z 397 stránek
Titel


Vorwort
















Inhalt
















Einleitung


































































































































Briefsteller


















zur Überlieferung
















zur Sprache

































































zusammenfass. Charakteristik

















































































Exkurze z.Bresl. Bistumsstreit




































Register zur Einleitung

















Název:
Schlesisch-Böhmische Briefmuster aus der Wende des 14. Jahrhunderts (Liber)
Autor:
Bebermeyer, Gustav; Burdach, Konrad
Rok vydání:
1926
Místo vydání:
Berlin
Počet stran celkem:
397
Obsah:
- Ia: Titel
- I: Vorwort
- XVII: Inhalt
- 1: Einleitung
- 131: Briefsteller
- 149: zur Überlieferung
- 165: zur Sprache
- 230: zusammenfass. Charakteristik
- 311: Exkurze z.Bresl. Bistumsstreit
- 347: Register zur Einleitung
upravit
Strana Ia
SCHLESISCH-BÖHMISCHE BRIEFMUSTER AUS DER WENDE DES VIERZEHNTEN JAHR- HUNDERTS UNTER MITWIRKUNG GUSTAV BEBERMEYERS HERAUSGEGEBEN, ERLAUTERT UND MIT EINLEITENDEN UNTERSUCHUNGEN BEGLEITET VON KONRAD BURDACH MIT BEITRAGEN VON MAX VOIGT† BERLIN WEIDMANNSCHE BUCHHANDLUNG 1926
SCHLESISCH-BÖHMISCHE BRIEFMUSTER AUS DER WENDE DES VIERZEHNTEN JAHR- HUNDERTS UNTER MITWIRKUNG GUSTAV BEBERMEYERS HERAUSGEGEBEN, ERLAUTERT UND MIT EINLEITENDEN UNTERSUCHUNGEN BEGLEITET VON KONRAD BURDACH MIT BEITRAGEN VON MAX VOIGT† BERLIN WEIDMANNSCHE BUCHHANDLUNG 1926
Strana Ib
VOM MITTELALTER ZUR REFORMATION FORSCHUNGEN ZUR GESCHICHTE DER DEUTSCHEN BILDUNG IM AUFTRAGE DER PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN HERAUSGEGEBEN VON KONRAD BURDACH FÜNFTER BAND SCHLESISCH - BÖHMISCHE BRIEFMUSTER AUS DER WENDE DES 14. JAHRHUNDERTS BERLIN WEIDMANNSCHE BUCHHANDLUNG 1926
VOM MITTELALTER ZUR REFORMATION FORSCHUNGEN ZUR GESCHICHTE DER DEUTSCHEN BILDUNG IM AUFTRAGE DER PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN HERAUSGEGEBEN VON KONRAD BURDACH FÜNFTER BAND SCHLESISCH - BÖHMISCHE BRIEFMUSTER AUS DER WENDE DES 14. JAHRHUNDERTS BERLIN WEIDMANNSCHE BUCHHANDLUNG 1926
Strana I
Vorwort. Der gegenwärtige Band meines Werks eröffnet die Texte und Untersuchungen zur Geschichte der ostmitteldeutschen Schrift- und Kanzleisprache von 1300 bis 1450', die nach dem ursprünglichen, später aber der Ubersichtlichkeit wegen ver- einfachten Plane eine eigene Abteilung mit Sondertitel hatten bilden sollen1. Uber die mannigfaltigen Schicksale des vorliegen- den Buchs und warum es erst nach so langer Vorbereitung und mit solch großer Verzögerung ans Licht tritt, darüber bin ich den Lesern Rechenschaft schuldig. Die Grundlage boten die Abschriften und Auszüge, die ich im Oktober des Jahres 1898 aus der von mir aufgefundenen Sammel- handschrift Nr. 194 des Prämonstratenserstifts Schlägl bei Aigen in Oberösterreich hergestellt hatte2. Eine vorläufige Auswahl lateinisch-deutscher Brieftexte redigierte daraus zunächst nach meinen Weisungen Dr. Willy Scheel3. Später, im Jahr 1906 wurde auf mein Ersuchen die Handschrift selbst durch das ge- fällige Entgegenkommen Sr. Gnaden des Abtes, des hochwürdigen Herrn Norbert Schachinger und des gelehrten hilfsbereiten Bibliothekars Pater Gottfried Vielhaber mir zu meiner vollen Verfügung nach Berlin gesandt. Und hier, seit 1914 im Hand- schriftenarchiv der Deutschen Kommission der Akademie unter der Obhut des meine Arbeiten vielfach fördernden Archivars der Deutschen Kommission Professor Dr. Fritz Behrend, blieb die Handschrift mit einmaliger kürzerer Unterbrechung, während der sie für einen andern Gelehrten zur Ausnutzung ihrer liturgisch- theologischen Bestandteile nach Schlägl zurückging, bis heute, inmitten aller Kriegsläufte und politisch-sozialen Umwälzungen, 1 Vgl. Sitzungsberichte der Berliner Akademie der Wissenschaften 1920, S. 76 Anm. 2 Vgl. darüber meinen Reisebericht von 1899, Abhandlungen der Berliner Akademie der Wissenschaften 1903, S. 31ff. (= Vorspiel, Band I, 2, S. 170). 3 Vgl. Sitzb. d. Berl. Akad. d. Wiss. 1906, S. 102; 1907, S. 82. Burdach, Mittelalt. u. Reform. V. I. Schles. böhm. Formelb. a
Vorwort. Der gegenwärtige Band meines Werks eröffnet die Texte und Untersuchungen zur Geschichte der ostmitteldeutschen Schrift- und Kanzleisprache von 1300 bis 1450', die nach dem ursprünglichen, später aber der Ubersichtlichkeit wegen ver- einfachten Plane eine eigene Abteilung mit Sondertitel hatten bilden sollen1. Uber die mannigfaltigen Schicksale des vorliegen- den Buchs und warum es erst nach so langer Vorbereitung und mit solch großer Verzögerung ans Licht tritt, darüber bin ich den Lesern Rechenschaft schuldig. Die Grundlage boten die Abschriften und Auszüge, die ich im Oktober des Jahres 1898 aus der von mir aufgefundenen Sammel- handschrift Nr. 194 des Prämonstratenserstifts Schlägl bei Aigen in Oberösterreich hergestellt hatte2. Eine vorläufige Auswahl lateinisch-deutscher Brieftexte redigierte daraus zunächst nach meinen Weisungen Dr. Willy Scheel3. Später, im Jahr 1906 wurde auf mein Ersuchen die Handschrift selbst durch das ge- fällige Entgegenkommen Sr. Gnaden des Abtes, des hochwürdigen Herrn Norbert Schachinger und des gelehrten hilfsbereiten Bibliothekars Pater Gottfried Vielhaber mir zu meiner vollen Verfügung nach Berlin gesandt. Und hier, seit 1914 im Hand- schriftenarchiv der Deutschen Kommission der Akademie unter der Obhut des meine Arbeiten vielfach fördernden Archivars der Deutschen Kommission Professor Dr. Fritz Behrend, blieb die Handschrift mit einmaliger kürzerer Unterbrechung, während der sie für einen andern Gelehrten zur Ausnutzung ihrer liturgisch- theologischen Bestandteile nach Schlägl zurückging, bis heute, inmitten aller Kriegsläufte und politisch-sozialen Umwälzungen, 1 Vgl. Sitzungsberichte der Berliner Akademie der Wissenschaften 1920, S. 76 Anm. 2 Vgl. darüber meinen Reisebericht von 1899, Abhandlungen der Berliner Akademie der Wissenschaften 1903, S. 31ff. (= Vorspiel, Band I, 2, S. 170). 3 Vgl. Sitzb. d. Berl. Akad. d. Wiss. 1906, S. 102; 1907, S. 82. Burdach, Mittelalt. u. Reform. V. I. Schles. böhm. Formelb. a
Strana II
II Vorwort. in sicherer Verwahrung. So konnte auf das bequemste in viel- jähriger, immer erweiterter und wiederholter Durcharbeitung ihr reicher Inhalt ausgeschöpft werden. Für diesen seltenen Beweis von Vertrauen und von Verständnis schwieriger wissenschaftlicher Aufgaben gebührt der früheren wie der gegenwärtigen hochver- ehrten Leitung des Stiftes Schlägl, insbesondere also auch dem jetzigen Abte Sr. Gnaden Herrn Benedikt Sobotka und dem jetzigen Bibliothekar Pater Gerlach Indra wärmster Dank. Bei der Abschrift und kritischen Herrichtung der ausgewählten Texte haben vielfach zunächst Paul Piur und nachdem er sich überwiegend von andern Teilen meines Werks in Anspruch ge- nommen und festgehalten sah, namentlich Max Voigt, ein Schüler Gustav Roethes, mich mit löblichem Eifer unterstützt. Der Druck, dessen Vorbereitung bereits im Jahre 1907 abgeschlossen schien, begann im Jahr 1908 und war am Ablauf des nächsten Jahres bis zum Ende der deutschlateinischen Texte (Nr. 1—30) gediehen 1. Die Entdeckung einer zweiten, textlich verwandten Handschrift im Gymnasium zu Schneeberg durch Dr. Fritz Schillmann, über deren Inhalt und Bedeutung unsere Einleitung (2. Kapitel, S. 131 —144, 3. Kapitel S. 159—162) berichtet, machte, wie bereits die Kollation des Entdeckers gezeigt hatte, eine weitgehende Ergän- zung und Verbesserung der bereits gesetzten 30 Brieftexte not- wendig, bereicherte auch durch einige dem Genannten verdankte urkundliche Ermittlungen meinen Entwurf der biographisch-lite- rarischen Einleitung2. Diese Handschrift wurde gleichfalls mit dankenswerter Bereitwilligkeit von der Leitung des Schneeberger Gymnasiums und seiner Bibliothek Herrn Rektor Professor Dr. Richard Fritzsche dem Handschriftenarchiv der Berliner Aka- demie im August 1912 anvertraut und steht hier bis heute zu meiner Verfügung. Der Fund selbst erfüllte mich mit gemischten Ge- fühlen. Einerseits war es erfreulich, in der neuen Handschrift einen besseren Zeugen der Überlieferung zu gewinnen, der eine reinere Herstellung des verderbten Textes erlaubte, manche meiner Emendationen glänzend bestätigte, und zugleich aus der eigen- tümlichen Zusammensetzung dieser Formelbüchersammlung und ihrer merkwürdig sich kreuzenden Berührung mit der Schlägler Sammlung zu erkennen, daß diese Briefmuster um die Wende 1 Vgl. Sitzb. d. Berl. Akad. d. Wiss. 1908, S. 107; 1909, S. 149f.; 1910, S. 91. 2 Vgl. Sitzb. d. Berl. Akad. d. Wiss. 1913, S. 139.
II Vorwort. in sicherer Verwahrung. So konnte auf das bequemste in viel- jähriger, immer erweiterter und wiederholter Durcharbeitung ihr reicher Inhalt ausgeschöpft werden. Für diesen seltenen Beweis von Vertrauen und von Verständnis schwieriger wissenschaftlicher Aufgaben gebührt der früheren wie der gegenwärtigen hochver- ehrten Leitung des Stiftes Schlägl, insbesondere also auch dem jetzigen Abte Sr. Gnaden Herrn Benedikt Sobotka und dem jetzigen Bibliothekar Pater Gerlach Indra wärmster Dank. Bei der Abschrift und kritischen Herrichtung der ausgewählten Texte haben vielfach zunächst Paul Piur und nachdem er sich überwiegend von andern Teilen meines Werks in Anspruch ge- nommen und festgehalten sah, namentlich Max Voigt, ein Schüler Gustav Roethes, mich mit löblichem Eifer unterstützt. Der Druck, dessen Vorbereitung bereits im Jahre 1907 abgeschlossen schien, begann im Jahr 1908 und war am Ablauf des nächsten Jahres bis zum Ende der deutschlateinischen Texte (Nr. 1—30) gediehen 1. Die Entdeckung einer zweiten, textlich verwandten Handschrift im Gymnasium zu Schneeberg durch Dr. Fritz Schillmann, über deren Inhalt und Bedeutung unsere Einleitung (2. Kapitel, S. 131 —144, 3. Kapitel S. 159—162) berichtet, machte, wie bereits die Kollation des Entdeckers gezeigt hatte, eine weitgehende Ergän- zung und Verbesserung der bereits gesetzten 30 Brieftexte not- wendig, bereicherte auch durch einige dem Genannten verdankte urkundliche Ermittlungen meinen Entwurf der biographisch-lite- rarischen Einleitung2. Diese Handschrift wurde gleichfalls mit dankenswerter Bereitwilligkeit von der Leitung des Schneeberger Gymnasiums und seiner Bibliothek Herrn Rektor Professor Dr. Richard Fritzsche dem Handschriftenarchiv der Berliner Aka- demie im August 1912 anvertraut und steht hier bis heute zu meiner Verfügung. Der Fund selbst erfüllte mich mit gemischten Ge- fühlen. Einerseits war es erfreulich, in der neuen Handschrift einen besseren Zeugen der Überlieferung zu gewinnen, der eine reinere Herstellung des verderbten Textes erlaubte, manche meiner Emendationen glänzend bestätigte, und zugleich aus der eigen- tümlichen Zusammensetzung dieser Formelbüchersammlung und ihrer merkwürdig sich kreuzenden Berührung mit der Schlägler Sammlung zu erkennen, daß diese Briefmuster um die Wende 1 Vgl. Sitzb. d. Berl. Akad. d. Wiss. 1908, S. 107; 1909, S. 149f.; 1910, S. 91. 2 Vgl. Sitzb. d. Berl. Akad. d. Wiss. 1913, S. 139.
Strana III
Vorwort. III des 14. Jahrhunderts im schlesisch-lausitzischen Gebiet eine be- trächtliche Verbreitung gefunden haben müssen. Anderseits wurde der Stolz oder meinetwegen die Eitelkeit des Konjekturalkritikers ein wenig enttäuscht, wenn die allmählich gezeitigte Frucht lang- wierigen mühevollen kritischen Nachdenkens nun hier plötzlich reif und rund vom Baum urkundlicher Uberlieferung mir in den Schoß fiel und den Triumph der Emendation, mindestens in den Augen der Leser, verdunkelte. Wie lange und angestrengt habe ich z. B. über das sinnlose dilacione quamuis ac homine da pretermissa 3a, 10 gebrütet, bis ich darin die synonymische zweigliedrige Formel quauis ac omnimoda erkannte. Nun standen diese Worte im Schneeberger Codex wirklich da: mein Scharfsinn sah zwar seine Ermittlung bestätigt, aber doch auch sozusagen ein bißchen ent- wertet. Und so ging es in manchen andern Fällen. Durch den Fund der Schneeberger Handschrift erweiterte und vertiefte sich der Editionsplan. Es war jetzt wünschbar und möglich, eine umfänglichere, mannigfaltigere und gehaltreichere Auslese dieser schlesisch-böhmischen Briefmuster mitzuteilen. Für diese, neue Anforderungen stellende Aufgabe trat mir im Mai 1914 Dr. Gustav Bebermeyer, ein Schüler Wilhelm Meyers und Edward Schroeders, als wissenschaftlicher Assistent an die Seite. Aber kaum unter meiner Anleitung in der Mitarbeit warm geworden, eilte er bei Kriegsausbruch am 1. August als Frei- williger zu den Fahnen. Nun übernahm der schon genannte Dr. Max Voigt, mein trefflicher früherer Helfer, seine Stelle'. Freilich war der Druck des in Rede stehenden Teils zusammen mit allen andern Teilen meines Werks außer den beiden dem Ackermann aus Böhmen gewidmeten vom Verleger bei Kriegs- ausbruch eingestellt worden. Voigts fördernde Mitwirkung kam also jetzt nur der Fortführung und dem Abschluß eines Manu- skripts zugute, dessen Drucklegung in unberechenbarer Ferne lag. Das beeinträchtigte aber den Eifer und die gleichmäßig angespannte Energie meines Mitarbeiters nicht im geringsten. Seine Hingabe, seine echt wissenschaftliche unermüdliche Treue im Kleinen und zugleich sein Verständnis für das Ziel meiner Forschungen, für alle mit ihrem Gegenstand verknüpften großen Sprach-, Literatur- und Kulturprobleme lernte ich im Laufe jenes Winters, da uns die Sorge um das Schicksal des Vaterlandes und seiner Verteidiger bedrückte, aber auch mit einem Bande der Seelengemeinschaft 1 Vgl. Sitzb. d. Berl. Akad. d. Wiss. 1915, S. 112; 1916, S. 152.
Vorwort. III des 14. Jahrhunderts im schlesisch-lausitzischen Gebiet eine be- trächtliche Verbreitung gefunden haben müssen. Anderseits wurde der Stolz oder meinetwegen die Eitelkeit des Konjekturalkritikers ein wenig enttäuscht, wenn die allmählich gezeitigte Frucht lang- wierigen mühevollen kritischen Nachdenkens nun hier plötzlich reif und rund vom Baum urkundlicher Uberlieferung mir in den Schoß fiel und den Triumph der Emendation, mindestens in den Augen der Leser, verdunkelte. Wie lange und angestrengt habe ich z. B. über das sinnlose dilacione quamuis ac homine da pretermissa 3a, 10 gebrütet, bis ich darin die synonymische zweigliedrige Formel quauis ac omnimoda erkannte. Nun standen diese Worte im Schneeberger Codex wirklich da: mein Scharfsinn sah zwar seine Ermittlung bestätigt, aber doch auch sozusagen ein bißchen ent- wertet. Und so ging es in manchen andern Fällen. Durch den Fund der Schneeberger Handschrift erweiterte und vertiefte sich der Editionsplan. Es war jetzt wünschbar und möglich, eine umfänglichere, mannigfaltigere und gehaltreichere Auslese dieser schlesisch-böhmischen Briefmuster mitzuteilen. Für diese, neue Anforderungen stellende Aufgabe trat mir im Mai 1914 Dr. Gustav Bebermeyer, ein Schüler Wilhelm Meyers und Edward Schroeders, als wissenschaftlicher Assistent an die Seite. Aber kaum unter meiner Anleitung in der Mitarbeit warm geworden, eilte er bei Kriegsausbruch am 1. August als Frei- williger zu den Fahnen. Nun übernahm der schon genannte Dr. Max Voigt, mein trefflicher früherer Helfer, seine Stelle'. Freilich war der Druck des in Rede stehenden Teils zusammen mit allen andern Teilen meines Werks außer den beiden dem Ackermann aus Böhmen gewidmeten vom Verleger bei Kriegs- ausbruch eingestellt worden. Voigts fördernde Mitwirkung kam also jetzt nur der Fortführung und dem Abschluß eines Manu- skripts zugute, dessen Drucklegung in unberechenbarer Ferne lag. Das beeinträchtigte aber den Eifer und die gleichmäßig angespannte Energie meines Mitarbeiters nicht im geringsten. Seine Hingabe, seine echt wissenschaftliche unermüdliche Treue im Kleinen und zugleich sein Verständnis für das Ziel meiner Forschungen, für alle mit ihrem Gegenstand verknüpften großen Sprach-, Literatur- und Kulturprobleme lernte ich im Laufe jenes Winters, da uns die Sorge um das Schicksal des Vaterlandes und seiner Verteidiger bedrückte, aber auch mit einem Bande der Seelengemeinschaft 1 Vgl. Sitzb. d. Berl. Akad. d. Wiss. 1915, S. 112; 1916, S. 152.
Strana IV
IV Vorwort. umschlang, voller Freude und Bewunderung kennen. Leider nahm auch dieses fruchtbare Zusammenwirken bald ein Ende: Voigt wurde im Februar 1915 freiwilliger Krankenpfleger des Heeres und im folgenden Jahr selbst Frontsoldat. Erst im März 1919, nachdem ich die Zwischenzeit auf die Fortführung meiner biographischen, literar- und ideengeschicht- lichen Untersuchungen über den Dichter des Ackermann verwendet und von dem sie behandelnden Teil meines Werks die größere Hälfte zum Druck gebracht hatte, konnte ich die Arbeit an den schlesisch-böhmischen Briefmustern nachdrücklicher wieder auf- nehmen. Damals war auch mein früherer Assistent Dr. Gustav Bebermeyer, der nach seinem Eintritt als Kriegsfreiwilliger rasch zum Offizier befördert, die schweren Kämpfe an der Westfront bis zum November 1918 ruhmvoll mitgemacht und trotz zwei- maliger Verwundung überstanden hatte, nach Berlin zurückgekehrt, um mich bei der endlichen Fertigstellung der Edition wie den damit verknüpften kritischen und sprachlichen Ermittlungen zu unterstützen. Er unterzog sich jetzt insbesondere der Aufgabe, das Verhältnis einer von Konrad Wutke, dem Vorsteher des Breslauer Staatsarchivs, entdeckten und zuerst gewürdigten Schweidnitzer Briefformulariensammlung, die in einigen Stücken der Schlägl-Schneeberger Sammlung nahesteht, genauer zu be- stimmen (vgl. unsere Einleitung 2. Kapitel, S. 134f. 144—147 3. Kapitel, S. 162—164). Für den Sommer 1920 war damals der Abschluß des nach Kriegsende vom Verleger wieder aufgenom- menen Drucks zu erhoffen4. Indessen mußte Dr. Bebermeyer aus Rücksicht auf seine Gesundheit, die in den furchtbaren Kriegs- jahren arg gelitten hatte, Berlin, wo damals die Lebensführung besonders schwierig war, verlassen. Er siedelte nach Tübingen über und entschloß sich zur Habilitation an der dortigen Uni- versität, wodurch ihm natürlich ablenkende neue selbständige Auf- gaben und Pflichten zufielen. Zwar hörte seine wirksame Betei- ligung an dem vorliegenden Werk nicht auf, aber für mancherlei Kleinarbeit, die nur angesichts der in Berlin deponierten drei Handschriften möglich war, mußten nun wieder Dr. Piur und namentlich Dr. Max Voigt, obgleich beide stark von ihrem Schul- amt in Anspruch genommen waren, durch Mitprüfung der teilweise ungemein schwierigen Textgestaltung, Nachkollationieren der viel- 1 Vgl. Sitzb. d. Berl. Akad. d. Wiss. 1920, S. 137.
IV Vorwort. umschlang, voller Freude und Bewunderung kennen. Leider nahm auch dieses fruchtbare Zusammenwirken bald ein Ende: Voigt wurde im Februar 1915 freiwilliger Krankenpfleger des Heeres und im folgenden Jahr selbst Frontsoldat. Erst im März 1919, nachdem ich die Zwischenzeit auf die Fortführung meiner biographischen, literar- und ideengeschicht- lichen Untersuchungen über den Dichter des Ackermann verwendet und von dem sie behandelnden Teil meines Werks die größere Hälfte zum Druck gebracht hatte, konnte ich die Arbeit an den schlesisch-böhmischen Briefmustern nachdrücklicher wieder auf- nehmen. Damals war auch mein früherer Assistent Dr. Gustav Bebermeyer, der nach seinem Eintritt als Kriegsfreiwilliger rasch zum Offizier befördert, die schweren Kämpfe an der Westfront bis zum November 1918 ruhmvoll mitgemacht und trotz zwei- maliger Verwundung überstanden hatte, nach Berlin zurückgekehrt, um mich bei der endlichen Fertigstellung der Edition wie den damit verknüpften kritischen und sprachlichen Ermittlungen zu unterstützen. Er unterzog sich jetzt insbesondere der Aufgabe, das Verhältnis einer von Konrad Wutke, dem Vorsteher des Breslauer Staatsarchivs, entdeckten und zuerst gewürdigten Schweidnitzer Briefformulariensammlung, die in einigen Stücken der Schlägl-Schneeberger Sammlung nahesteht, genauer zu be- stimmen (vgl. unsere Einleitung 2. Kapitel, S. 134f. 144—147 3. Kapitel, S. 162—164). Für den Sommer 1920 war damals der Abschluß des nach Kriegsende vom Verleger wieder aufgenom- menen Drucks zu erhoffen4. Indessen mußte Dr. Bebermeyer aus Rücksicht auf seine Gesundheit, die in den furchtbaren Kriegs- jahren arg gelitten hatte, Berlin, wo damals die Lebensführung besonders schwierig war, verlassen. Er siedelte nach Tübingen über und entschloß sich zur Habilitation an der dortigen Uni- versität, wodurch ihm natürlich ablenkende neue selbständige Auf- gaben und Pflichten zufielen. Zwar hörte seine wirksame Betei- ligung an dem vorliegenden Werk nicht auf, aber für mancherlei Kleinarbeit, die nur angesichts der in Berlin deponierten drei Handschriften möglich war, mußten nun wieder Dr. Piur und namentlich Dr. Max Voigt, obgleich beide stark von ihrem Schul- amt in Anspruch genommen waren, durch Mitprüfung der teilweise ungemein schwierigen Textgestaltung, Nachkollationieren der viel- 1 Vgl. Sitzb. d. Berl. Akad. d. Wiss. 1920, S. 137.
Strana V
Vorwort. fach recht unbequem lesbaren Handschriften und Mitlesen der Druckkorrekturen helfend eingreifen 1. Wider Erwarten unterbrachen damals sachliche und persön- liche, namentlich aber finanzielle Hindernisse den Druck des dem Abschluß nahen vorliegenden Teils aufs neue und brachten ihn dann bald zum Stillstand 2. Einen schwersten Verlust erfuhr vor allem mein Werk dadurch, daß Dr. Max Voigt, damals voll hineingewachsen in die durch Herausgabe und allseitige Würdigung dieser schlesisch-böhmischen Briefmuster von mir gestellten Aufgaben, einem tückischen Schicksal erlag. Am 9. April 1921 raffte ihn plötzlich und unerwartet ein Gehirnschlag aus anscheinend vollem Wohlsein hinweg. Max Voigt hatte seit April 1915 als freiwilliger Krankenpfleger einem aufreibenden Kriegslazarettdienst in Polen, Ostpreußen, Russisch-Litauen, Kurland sich bis zur Erschöpfung der letzten Kräfte gewidmet, war aber im Mai 1916 bei der Nachmusterung als Infanterist eingezogen und nahm im Winter 1916/17 an dem Bewegungskrieg in den rumänischen Grenzgebirgen nicht ohne schmerzhafte Erkrankungen, später an den schweren Kämpfen im Westen (von Lothringen bis Flandern) teil. Zeitweilig darauf zum Hilfsdienst an eine hinter der Kampflinie liegende Soldaten- bibliothek abkommandiert, entschloß er sich, weil ihn sein dortiger Vorgesetzter in unangemessener Weise behandelte und wohl auch um dem freilich unbegründeten Schein der Mutlosigkeit zu ent- gehen, trotz meinen inständigen Vorstellungen und Bitten, sich an die Front zurückzumelden. Hier ereilte ihn nach wenigen Tagen, was ich gefürchtet. Als Unteroffizier bei der Offensive vor Arras am 29. März 1918 wurde er durch Gewehrdurchschuß des Halswirbels schwer verwundet. Die Wunde heilte schnell, Lähmungserscheinungen, die als besorgniserregende Folge auf- traten, wichen, nachdem sie anfangs von einem unwissenden Arzte mit Härte als Simulation abgeleugnet waren, der von Voigt mit Energie herbeigerufenen spezialärztlichen Behandlung. Die Ge- sundheit schien zurückgekehrt. Voigt konnte endlich die so viele Jahre lang aufgeschobene Staatsprüfung für das höhere Schulamt am 5. November 1918 mit Auszeichnung bestehen. Sein Exami- nator, Gustav Roethe, erklärte nachher, er habe in dieser Prüfung 1 Vgl. Sitzb. d. Berl. Akad. d. Wiss. 1921, S. 152f. 2 Vgl. Sitzb. d. Berl. Akad. d. Wiss. 1922, S. LXIII. LXIV.
Vorwort. fach recht unbequem lesbaren Handschriften und Mitlesen der Druckkorrekturen helfend eingreifen 1. Wider Erwarten unterbrachen damals sachliche und persön- liche, namentlich aber finanzielle Hindernisse den Druck des dem Abschluß nahen vorliegenden Teils aufs neue und brachten ihn dann bald zum Stillstand 2. Einen schwersten Verlust erfuhr vor allem mein Werk dadurch, daß Dr. Max Voigt, damals voll hineingewachsen in die durch Herausgabe und allseitige Würdigung dieser schlesisch-böhmischen Briefmuster von mir gestellten Aufgaben, einem tückischen Schicksal erlag. Am 9. April 1921 raffte ihn plötzlich und unerwartet ein Gehirnschlag aus anscheinend vollem Wohlsein hinweg. Max Voigt hatte seit April 1915 als freiwilliger Krankenpfleger einem aufreibenden Kriegslazarettdienst in Polen, Ostpreußen, Russisch-Litauen, Kurland sich bis zur Erschöpfung der letzten Kräfte gewidmet, war aber im Mai 1916 bei der Nachmusterung als Infanterist eingezogen und nahm im Winter 1916/17 an dem Bewegungskrieg in den rumänischen Grenzgebirgen nicht ohne schmerzhafte Erkrankungen, später an den schweren Kämpfen im Westen (von Lothringen bis Flandern) teil. Zeitweilig darauf zum Hilfsdienst an eine hinter der Kampflinie liegende Soldaten- bibliothek abkommandiert, entschloß er sich, weil ihn sein dortiger Vorgesetzter in unangemessener Weise behandelte und wohl auch um dem freilich unbegründeten Schein der Mutlosigkeit zu ent- gehen, trotz meinen inständigen Vorstellungen und Bitten, sich an die Front zurückzumelden. Hier ereilte ihn nach wenigen Tagen, was ich gefürchtet. Als Unteroffizier bei der Offensive vor Arras am 29. März 1918 wurde er durch Gewehrdurchschuß des Halswirbels schwer verwundet. Die Wunde heilte schnell, Lähmungserscheinungen, die als besorgniserregende Folge auf- traten, wichen, nachdem sie anfangs von einem unwissenden Arzte mit Härte als Simulation abgeleugnet waren, der von Voigt mit Energie herbeigerufenen spezialärztlichen Behandlung. Die Ge- sundheit schien zurückgekehrt. Voigt konnte endlich die so viele Jahre lang aufgeschobene Staatsprüfung für das höhere Schulamt am 5. November 1918 mit Auszeichnung bestehen. Sein Exami- nator, Gustav Roethe, erklärte nachher, er habe in dieser Prüfung 1 Vgl. Sitzb. d. Berl. Akad. d. Wiss. 1921, S. 152f. 2 Vgl. Sitzb. d. Berl. Akad. d. Wiss. 1922, S. LXIII. LXIV.
Strana VI
VI Vorwort. von dem gelehrten Examinanden sehr viel gelernt. Dem Un- bemittelten winkte endlich eine feste Versorgung: er wurde Ober- lehrer im Dienst seiner Vaterstadt Berlin, bald auch Studienrat an ihrem Köllnischen Gymnasium. Wie beglückte es ihn, nun für seine geliebte gute Mutter, eine Witwe in bedrängter Lage, selbst sorgen zu können! Jetzt in seiner gesicherten Lebens- stellung widmete er sich neben seinem amtlichen Beruf, den er mit vollster Hingabe und großem Erfolge erfüllte, auch mannig- faltiger rein wissenschaftlicher Betätigung, soweit es Zeit und Kraft erlaubten. Sein Gesundheitszustand war im ganzen befriedigend. Aber als er in dem schlimmen Winter der Berliner Kohlennot mit einem Freunde vereint eine Holzfuhre zur Wohnung seiner Mutter zog, stellten sich, durch den Druck des Zugseils an der Schulter hervorgerufen, wieder Lähmungserscheinungen der Nerven ein, die zwar bald vorübergingen, aber doch bewiesen, daß die Verletzung des Halswirbels nicht ausgeheilt war, sondern an- scheinend weitere innerliche krankhafte Prozesse veranlaßte. Ob sein Tod in ursächlichem Zusammenhang damit steht, läßt sich, da eine Obduktion leider unterblieb, nicht mit Sicherheit sagen, indessen nach der mir von sachkundigster Seite gegebenen Be- lehrung zweifle ich nicht daran, daß es der Fall ist. Mein akademisches Unternehmen hatte Voigt bereits seit 1907, nach voraufgegangener Mitarbeit am Handschriftenarchiv der Deutschen Kommission, durch wiederholte Dienste verschiedener Art und Dauer, jeden Auftrag pünktlichst und mit lebendigem eigenem Interesse ausführend, auch durch selbständige Beiträge wesentlich gefördert. Das wertvollste Ergebnis, seine Ermittlung des fiktiven Charakters der Datierungen in den lateinisch-deutschen Briefmustern der Schlägl-Schneeberger Sammlung und der Nach- weis, daß von der Schneeberger Handschrift die ursprüngliche Jahreszahl 1404 festgehalten, hingegen von der Schlägler Hand- schrift willkürlich in 1407 verändert sei, ist in unserer Einleitung S. 136—141 mitgeteilt. Aber auch an Einzelheiten der kritischen Textgestaltung, Emendation und Erklärung der vielfach schwierigen Briefmuster, namentlich der lateinischen Scholarenbriefe, war er helfend, anregend, findend im letzten Winter und Frühjahr seines Lebens wissenschaftlich und freundschaftlich innigst beteiligt. Manche Aufklärungen, die mir kurz nach seinem Tode noch ge- langen durch erneute und verstärkte Heranziehung der als Vor- bild benutzten Summa Cancellarie Johanns von Neumarkt und
VI Vorwort. von dem gelehrten Examinanden sehr viel gelernt. Dem Un- bemittelten winkte endlich eine feste Versorgung: er wurde Ober- lehrer im Dienst seiner Vaterstadt Berlin, bald auch Studienrat an ihrem Köllnischen Gymnasium. Wie beglückte es ihn, nun für seine geliebte gute Mutter, eine Witwe in bedrängter Lage, selbst sorgen zu können! Jetzt in seiner gesicherten Lebens- stellung widmete er sich neben seinem amtlichen Beruf, den er mit vollster Hingabe und großem Erfolge erfüllte, auch mannig- faltiger rein wissenschaftlicher Betätigung, soweit es Zeit und Kraft erlaubten. Sein Gesundheitszustand war im ganzen befriedigend. Aber als er in dem schlimmen Winter der Berliner Kohlennot mit einem Freunde vereint eine Holzfuhre zur Wohnung seiner Mutter zog, stellten sich, durch den Druck des Zugseils an der Schulter hervorgerufen, wieder Lähmungserscheinungen der Nerven ein, die zwar bald vorübergingen, aber doch bewiesen, daß die Verletzung des Halswirbels nicht ausgeheilt war, sondern an- scheinend weitere innerliche krankhafte Prozesse veranlaßte. Ob sein Tod in ursächlichem Zusammenhang damit steht, läßt sich, da eine Obduktion leider unterblieb, nicht mit Sicherheit sagen, indessen nach der mir von sachkundigster Seite gegebenen Be- lehrung zweifle ich nicht daran, daß es der Fall ist. Mein akademisches Unternehmen hatte Voigt bereits seit 1907, nach voraufgegangener Mitarbeit am Handschriftenarchiv der Deutschen Kommission, durch wiederholte Dienste verschiedener Art und Dauer, jeden Auftrag pünktlichst und mit lebendigem eigenem Interesse ausführend, auch durch selbständige Beiträge wesentlich gefördert. Das wertvollste Ergebnis, seine Ermittlung des fiktiven Charakters der Datierungen in den lateinisch-deutschen Briefmustern der Schlägl-Schneeberger Sammlung und der Nach- weis, daß von der Schneeberger Handschrift die ursprüngliche Jahreszahl 1404 festgehalten, hingegen von der Schlägler Hand- schrift willkürlich in 1407 verändert sei, ist in unserer Einleitung S. 136—141 mitgeteilt. Aber auch an Einzelheiten der kritischen Textgestaltung, Emendation und Erklärung der vielfach schwierigen Briefmuster, namentlich der lateinischen Scholarenbriefe, war er helfend, anregend, findend im letzten Winter und Frühjahr seines Lebens wissenschaftlich und freundschaftlich innigst beteiligt. Manche Aufklärungen, die mir kurz nach seinem Tode noch ge- langen durch erneute und verstärkte Heranziehung der als Vor- bild benutzten Summa Cancellarie Johanns von Neumarkt und
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Vorwort. VII an denen er sich mit mir in seiner selbstlosen Sachlichkeit gefreut hätte, als wären sie ihm selbst zu verdanken, weckten mir nun wehmütige Pein und entfachten immer wieder den Schmerz, daß aus den treuen klugen und gütigen Augen dieses verstehenden Gehilfen und Freundes mich und mein Werk hinfort kein Blick mehr treffen werde. Voigts reife Kraft sollte in den nächsten Jahren immer selb- ständiger und umfassender bei der Fortführung und künftigen Vollendung des weiten, vielgeschossigen Baues, den ich unter- nommen, mitwirken. Er war eine geborne Forschernatur. Davon gibt auch sein posthumes Buch Beiträge zur Geschichte der Visionenliteratur im Mittelalter', das als seine Doktordissertation entstanden war, genugsam Kunde. Es offenbart jedem sach- kundigen Leser mehr als meine Worte es an dieser Stelle könnten, wie viel von diesem Opfer des Krieges die Wissenschaft noch erwarten durfte. Auch die Mitwirkung Gustav Bebermeyers, die nach dem Hinscheiden Voigts, mir doppelt erwünscht sein mußte, war in der nächsten Zeit teils durch die Vorbereitung seiner Tübinger Habilitation und die neuen lehramtlichen Pflichten teils durch Krankheit gehemmt. In meiner eigenen Arbeit war ich zeitweilig durch körperliche Beschwerden gehindert. Eine lange Pause des Drucks erzwang aber der damals sich verstärkende Notstand der Geldentwertung und die dadurch bewirkte zunehmende Teuerung der Buchherstellung. Der Verleger konnte das bis dahin auf eigene Kosten an die Öffentlichkeit gebrachte Werk fortan nur gegen sehr beträchtliche Zuschüsse weiterführen. Staatliche Geld- mittel aber blieben zunächst längere Zeit aus. Währenddessen wurden von mir die einleitenden Untersuchungen im Manuskript reichlich ergänzt. Den abgebrochenen Druck wieder aufzunehmen ermöglichte dann vom Januar bis März 1923 die Julius Rodenberg-Stiftung für die Wissenschaft vom deutschen Leben1, welche Frau Justina Rodenberg, die Witwe des Begründers und langjährigen Herausgebers der Deutschen Rundschau' zum Gedächtnis ihres Mannes als ein schönes Denkmal seiner und ihrer Verehrung für deutsche Wissenschaft errichtet und aus der sie zur Förderung 1 Vgl. Sitzb. d. Berl. Akad. d. Wiss. 1923, S. XXVI. LIII. LXIII; 1924. S. LXXII.
Vorwort. VII an denen er sich mit mir in seiner selbstlosen Sachlichkeit gefreut hätte, als wären sie ihm selbst zu verdanken, weckten mir nun wehmütige Pein und entfachten immer wieder den Schmerz, daß aus den treuen klugen und gütigen Augen dieses verstehenden Gehilfen und Freundes mich und mein Werk hinfort kein Blick mehr treffen werde. Voigts reife Kraft sollte in den nächsten Jahren immer selb- ständiger und umfassender bei der Fortführung und künftigen Vollendung des weiten, vielgeschossigen Baues, den ich unter- nommen, mitwirken. Er war eine geborne Forschernatur. Davon gibt auch sein posthumes Buch Beiträge zur Geschichte der Visionenliteratur im Mittelalter', das als seine Doktordissertation entstanden war, genugsam Kunde. Es offenbart jedem sach- kundigen Leser mehr als meine Worte es an dieser Stelle könnten, wie viel von diesem Opfer des Krieges die Wissenschaft noch erwarten durfte. Auch die Mitwirkung Gustav Bebermeyers, die nach dem Hinscheiden Voigts, mir doppelt erwünscht sein mußte, war in der nächsten Zeit teils durch die Vorbereitung seiner Tübinger Habilitation und die neuen lehramtlichen Pflichten teils durch Krankheit gehemmt. In meiner eigenen Arbeit war ich zeitweilig durch körperliche Beschwerden gehindert. Eine lange Pause des Drucks erzwang aber der damals sich verstärkende Notstand der Geldentwertung und die dadurch bewirkte zunehmende Teuerung der Buchherstellung. Der Verleger konnte das bis dahin auf eigene Kosten an die Öffentlichkeit gebrachte Werk fortan nur gegen sehr beträchtliche Zuschüsse weiterführen. Staatliche Geld- mittel aber blieben zunächst längere Zeit aus. Währenddessen wurden von mir die einleitenden Untersuchungen im Manuskript reichlich ergänzt. Den abgebrochenen Druck wieder aufzunehmen ermöglichte dann vom Januar bis März 1923 die Julius Rodenberg-Stiftung für die Wissenschaft vom deutschen Leben1, welche Frau Justina Rodenberg, die Witwe des Begründers und langjährigen Herausgebers der Deutschen Rundschau' zum Gedächtnis ihres Mannes als ein schönes Denkmal seiner und ihrer Verehrung für deutsche Wissenschaft errichtet und aus der sie zur Förderung 1 Vgl. Sitzb. d. Berl. Akad. d. Wiss. 1923, S. XXVI. LIII. LXIII; 1924. S. LXXII.
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VIII Vowort. des Werkes Vom Mittelalter zur Reformation’ wiederholt an- scheinend sehr erhebliche Beträge gespendet hatte. Leider aber trog die Hoffnung, aus diesen Schenkungen die Vollendung des vorliegenden Buchs bestreiten zu können. Die reißend wachsende Geldentwertung verschlang die Millionen der ideal gesinnten ehr- würdigen Frau, die am 8. Dezember 1923 im 87. Lebensjahr in voller geistiger Frische verschied. Der Dank der Akademie und mein persönlicher Dank bleibt ihr gleichwohl ungeschmälert für ihr schönes Beispiel opferwilliger Tatkraft zum Besten der be- drängten deutschkundlichen Forschung. Im Juni 1923 griff auf Antrag der Akademie auch die Not- gemeinschaft der deutschen Akademie und das Preußische Unter- richtsministerium mit namhaften Unterstützungen ein, die freilich auch ihrerseits teilweise in der Flut der Inflation fast wirkungslos versanken. Der Verleger erklärte sich nunmehr bereit, den Druck wieder fortzusetzen. Die Vollendung wurde jedoch abermals hinausgeschoben dadurch, daß ich dem biographischen Teil der Einleitung noch geschichtliche Exkurse und der Darstellung der Sprache der Brieftexte eine zusammenfassende Charakteristik der Sprache der deutschen Briefmuster hinzufügte. Die ganze Zeit hindurch hat Gustav Bebermeyer dem Werke bis zum end- gültigen Abschluß seine getreuliche Mitwirkung bewahrt: er hat nicht nur die unten im einzelnen bezeichneten Stücke teils in stetem Einvernehmen mit mir selbständig beigesteuert, teils in gemeinsamer Arbeit mit mir ausführen helfen, sondern mich auch bei der Korrektur und Redaktion dauernd unterstützt. Was nun nach vieljähriger Bemühung an das Licht tritt, will und kann einer rein ästhetischen Betrachtungsweise nur wenig oder nichts bieten. Aus der Höhe genialer persönlicher Sprachgestaltung, wie sie in des Johannes von Saaz Meisterdialog erscheint, steigt dieser Teil meines Werks hinab in die Niederung kleinstädtischer Kanzlei- kunst. Aber eine geschichtliche, d. h. genetische Erforschung des Humanismus und der Renaissance ist nicht möglich, wenn man nur die Hervorbringungen der schöpferischen und führenden Geister berücksichtigt, wie das bisher fast ausnahmslos geschehen ist. Humanismus und Renaissance sind eine Umgestaltung, ja eine Umwälzung des Seelenzustands der europäischen Kultur, die niemals eingetreten und nimmermehr zu begreifen wäre, wenn nicht weithin ein breiter Nährboden auf die Saat der neuen
VIII Vowort. des Werkes Vom Mittelalter zur Reformation’ wiederholt an- scheinend sehr erhebliche Beträge gespendet hatte. Leider aber trog die Hoffnung, aus diesen Schenkungen die Vollendung des vorliegenden Buchs bestreiten zu können. Die reißend wachsende Geldentwertung verschlang die Millionen der ideal gesinnten ehr- würdigen Frau, die am 8. Dezember 1923 im 87. Lebensjahr in voller geistiger Frische verschied. Der Dank der Akademie und mein persönlicher Dank bleibt ihr gleichwohl ungeschmälert für ihr schönes Beispiel opferwilliger Tatkraft zum Besten der be- drängten deutschkundlichen Forschung. Im Juni 1923 griff auf Antrag der Akademie auch die Not- gemeinschaft der deutschen Akademie und das Preußische Unter- richtsministerium mit namhaften Unterstützungen ein, die freilich auch ihrerseits teilweise in der Flut der Inflation fast wirkungslos versanken. Der Verleger erklärte sich nunmehr bereit, den Druck wieder fortzusetzen. Die Vollendung wurde jedoch abermals hinausgeschoben dadurch, daß ich dem biographischen Teil der Einleitung noch geschichtliche Exkurse und der Darstellung der Sprache der Brieftexte eine zusammenfassende Charakteristik der Sprache der deutschen Briefmuster hinzufügte. Die ganze Zeit hindurch hat Gustav Bebermeyer dem Werke bis zum end- gültigen Abschluß seine getreuliche Mitwirkung bewahrt: er hat nicht nur die unten im einzelnen bezeichneten Stücke teils in stetem Einvernehmen mit mir selbständig beigesteuert, teils in gemeinsamer Arbeit mit mir ausführen helfen, sondern mich auch bei der Korrektur und Redaktion dauernd unterstützt. Was nun nach vieljähriger Bemühung an das Licht tritt, will und kann einer rein ästhetischen Betrachtungsweise nur wenig oder nichts bieten. Aus der Höhe genialer persönlicher Sprachgestaltung, wie sie in des Johannes von Saaz Meisterdialog erscheint, steigt dieser Teil meines Werks hinab in die Niederung kleinstädtischer Kanzlei- kunst. Aber eine geschichtliche, d. h. genetische Erforschung des Humanismus und der Renaissance ist nicht möglich, wenn man nur die Hervorbringungen der schöpferischen und führenden Geister berücksichtigt, wie das bisher fast ausnahmslos geschehen ist. Humanismus und Renaissance sind eine Umgestaltung, ja eine Umwälzung des Seelenzustands der europäischen Kultur, die niemals eingetreten und nimmermehr zu begreifen wäre, wenn nicht weithin ein breiter Nährboden auf die Saat der neuen
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Vorwort. IX Bildung gewartet hätte. Auch zahllose kleine Geister waren Empfänger, Träger, Verbreiter der neuen Stimmung, des neuen Verlangens nach geformter Rede und Kunst, nach geregelter und reicher Schönheit, nach Schmuck und Glanz des Lebens. Emp- fänger, Träger, Verbreiter auch 'des neuen Sprachbewußtseins, dem die neuhochdeutsche Schriftsprache entkeimte. Wenn wir nicht in die Seelen dieser subalternen Pioniere des Humanismus, in ihre Bedürfnisse, ihr Können, Einblick gewinnen und auf ihre tastenden Schritte achten, werden wir das Werden des Humanis- mus und der Renaissance niemals enträtseln. Das gilt in gleichem Maße für Deutschland und für Italien. Auch im Ursprungslande der Renaissance und des neuen Huma- nismus menschlicher Wiedergeburt wären Dante, Petrarca, Rienzo und Boccaccio, Salutati, Bruni und Poggio, Enea Silvio und Valla nicht durchgedrungen ohne eine Schar seelenverwandter Vor- bereiter, Mitläufer, Nachläufer von geringerem Talent. Der mittel- mäßige Geist des Schlesiers Johann von Neumarkt empfand das neue Sprachideal in Dantes, Rienzos und Petrarcas Schriften schon tief und stark, bewunderte es und strebte ihm in seinem eigenen, noch von mittelalterlicher Tradition beherrschten Stil tastend und stolpernd aus der Ferne nach. Er pflanzte seinen Kollegen und Schülern der königlichen Kanzlei, unter denen sich gleichfalls nicht wenige Schlesier befanden, das Interesse und die Begeisterung ein für die transalpine Eloquenz, und in einem dieser Schüler, dem Saazer Notar Johannes, trat neben jene Petrarca- Verehrer der böhmischen Kanzlei nun ein Kollege als dichtender Nachfolger Petrarcas zum Wettkampf mit dem italienischen Meister, um ihn als Künstler zu erreichen, ja in gewisser Hin- sicht zu übertreffen. Meine neulichen Ausführungen1 ergänzend, möchte ich hier der im Jahr 1920 geäußerten Meinung Joachimsens, in dem böhmischen Streitgespräch seien Petrarcas Schriften nicht (mittel- bar oder unmittelbar) benutzt und die Grundstimmung der huma- nistischen Moralphilosophie’ sei von der Weltanschauung des Ackermann vollständig verschieden’, eine ältere Auffassung Joa- chimsens aus dem Jahr 1896 entgegenhalten, die er im Hinblick auf des Niclas von Wyle Translation von Petrarcas De remediis utriusque fortunae' ausgesprochen hatte: „Doch hat Vetter 1 Der Dichter des Ackermann und seine Zeit 2,1 = Vom Mittelalter zur Reformation III, 2, Vorwort S. LXV.
Vorwort. IX Bildung gewartet hätte. Auch zahllose kleine Geister waren Empfänger, Träger, Verbreiter der neuen Stimmung, des neuen Verlangens nach geformter Rede und Kunst, nach geregelter und reicher Schönheit, nach Schmuck und Glanz des Lebens. Emp- fänger, Träger, Verbreiter auch 'des neuen Sprachbewußtseins, dem die neuhochdeutsche Schriftsprache entkeimte. Wenn wir nicht in die Seelen dieser subalternen Pioniere des Humanismus, in ihre Bedürfnisse, ihr Können, Einblick gewinnen und auf ihre tastenden Schritte achten, werden wir das Werden des Humanis- mus und der Renaissance niemals enträtseln. Das gilt in gleichem Maße für Deutschland und für Italien. Auch im Ursprungslande der Renaissance und des neuen Huma- nismus menschlicher Wiedergeburt wären Dante, Petrarca, Rienzo und Boccaccio, Salutati, Bruni und Poggio, Enea Silvio und Valla nicht durchgedrungen ohne eine Schar seelenverwandter Vor- bereiter, Mitläufer, Nachläufer von geringerem Talent. Der mittel- mäßige Geist des Schlesiers Johann von Neumarkt empfand das neue Sprachideal in Dantes, Rienzos und Petrarcas Schriften schon tief und stark, bewunderte es und strebte ihm in seinem eigenen, noch von mittelalterlicher Tradition beherrschten Stil tastend und stolpernd aus der Ferne nach. Er pflanzte seinen Kollegen und Schülern der königlichen Kanzlei, unter denen sich gleichfalls nicht wenige Schlesier befanden, das Interesse und die Begeisterung ein für die transalpine Eloquenz, und in einem dieser Schüler, dem Saazer Notar Johannes, trat neben jene Petrarca- Verehrer der böhmischen Kanzlei nun ein Kollege als dichtender Nachfolger Petrarcas zum Wettkampf mit dem italienischen Meister, um ihn als Künstler zu erreichen, ja in gewisser Hin- sicht zu übertreffen. Meine neulichen Ausführungen1 ergänzend, möchte ich hier der im Jahr 1920 geäußerten Meinung Joachimsens, in dem böhmischen Streitgespräch seien Petrarcas Schriften nicht (mittel- bar oder unmittelbar) benutzt und die Grundstimmung der huma- nistischen Moralphilosophie’ sei von der Weltanschauung des Ackermann vollständig verschieden’, eine ältere Auffassung Joa- chimsens aus dem Jahr 1896 entgegenhalten, die er im Hinblick auf des Niclas von Wyle Translation von Petrarcas De remediis utriusque fortunae' ausgesprochen hatte: „Doch hat Vetter 1 Der Dichter des Ackermann und seine Zeit 2,1 = Vom Mittelalter zur Reformation III, 2, Vorwort S. LXV.
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X Vorwort. (Kürschners Deutsche Nationalliteratur XII, 1, [S.] XIII) gewiß mit Recht auf den Ackermann aus Böheim’ hingewiesen, der die Stimmung des Petrarcaschen Stücks [De remediis utriusque fortunae] — ohne es zu kennen (über die englische Vorlage — siehe Burdach, Zentralblatt für Bibliothekswesen VIII, 1521 ) viel kongenialer wiedergegeben hat.“ Der von mir hier gesperrte Satz enthält nicht etwa, wie man vermuten könnte, ein wörtliches Zitat aus dem Buch Vetters — dort ist vielmehr der Ackermann’ lediglich ein literarhistorisch merkwürdiges Stück’ genannt ohne jede Erwähnung Petrarcas —, sondern bietet Joachimsens eigene damalige Ansicht. Der Hinweis auf meinen Aufsatz im Zentralblatt für Bibliothekswesen beruht übrigens aut Mißverständnis: nicht schlechthin als Vorlage des Ackermann- dialogs habe ich dort das englische Pflügergedicht bezeichnet, sondern nur als Vorbild für ‘den Titel und die Fiktion, daß ein Landmann über die großen Welträtsel seine Gedanken ausspricht, daß er der Gewissensangst und dem Schrecken vor dem daher- rasenden Todesengel der Pest [s. dazu meine Berichtigung Eupho- rion 1925, Bd. 26, S. 331 Anm.] die menschliche, die ewige Natur und die göttliche Weltordnung gegenüberstellt'. Sonderbarerweise zitiert Joachimsen in seinem Aufsatz von 1920, der die Grund- stimmung der Schrift Petrarcas über die Heilmittel wider Glück und Unglück dem Ackermann’ völlig abspricht, gerade auch jene ältere Untersuchung von 1896, die im Ackermann’ eine kon- geniale Wiedergabe der Stimmung jener Petrarcaschen Schrift erblickt. Ich glaube, der Joachimsen des Jahres 1896 steht der Wahrheit näher. Und er berührt sich zugleich mit meiner eigenen Meinung. Neben und unter dem von William Langlands und Petrarcas Geist befruchteten Dichtergenie aus Saaz liegt das breite Revier, auf dem sich die Kanzleiskribenten und Lehrer der Kanzlei- rhetorik tummeln. In dieses Revier führen die unten mitgeteilten Briefsammlungen und Anleitungen zur Epistolographie, insbeson- dere die Progymnasmata’ für Scholaren und Kleriker von dem in Prag gebildeten, 1409 nach Leipzig als Mitbegründer der neuen Universität ausgewanderten Schlesier Anselm von Fran- kenstein. Die Ausgabe, Erläuterung und bildungsgeschichtliche Behand- lung der schlesisch-böhmischen Briefmuster nebst den sie beglei- tenden Rhetoriken, die wir in diesen Blättern bieten, zeigt uns
X Vorwort. (Kürschners Deutsche Nationalliteratur XII, 1, [S.] XIII) gewiß mit Recht auf den Ackermann aus Böheim’ hingewiesen, der die Stimmung des Petrarcaschen Stücks [De remediis utriusque fortunae] — ohne es zu kennen (über die englische Vorlage — siehe Burdach, Zentralblatt für Bibliothekswesen VIII, 1521 ) viel kongenialer wiedergegeben hat.“ Der von mir hier gesperrte Satz enthält nicht etwa, wie man vermuten könnte, ein wörtliches Zitat aus dem Buch Vetters — dort ist vielmehr der Ackermann’ lediglich ein literarhistorisch merkwürdiges Stück’ genannt ohne jede Erwähnung Petrarcas —, sondern bietet Joachimsens eigene damalige Ansicht. Der Hinweis auf meinen Aufsatz im Zentralblatt für Bibliothekswesen beruht übrigens aut Mißverständnis: nicht schlechthin als Vorlage des Ackermann- dialogs habe ich dort das englische Pflügergedicht bezeichnet, sondern nur als Vorbild für ‘den Titel und die Fiktion, daß ein Landmann über die großen Welträtsel seine Gedanken ausspricht, daß er der Gewissensangst und dem Schrecken vor dem daher- rasenden Todesengel der Pest [s. dazu meine Berichtigung Eupho- rion 1925, Bd. 26, S. 331 Anm.] die menschliche, die ewige Natur und die göttliche Weltordnung gegenüberstellt'. Sonderbarerweise zitiert Joachimsen in seinem Aufsatz von 1920, der die Grund- stimmung der Schrift Petrarcas über die Heilmittel wider Glück und Unglück dem Ackermann’ völlig abspricht, gerade auch jene ältere Untersuchung von 1896, die im Ackermann’ eine kon- geniale Wiedergabe der Stimmung jener Petrarcaschen Schrift erblickt. Ich glaube, der Joachimsen des Jahres 1896 steht der Wahrheit näher. Und er berührt sich zugleich mit meiner eigenen Meinung. Neben und unter dem von William Langlands und Petrarcas Geist befruchteten Dichtergenie aus Saaz liegt das breite Revier, auf dem sich die Kanzleiskribenten und Lehrer der Kanzlei- rhetorik tummeln. In dieses Revier führen die unten mitgeteilten Briefsammlungen und Anleitungen zur Epistolographie, insbeson- dere die Progymnasmata’ für Scholaren und Kleriker von dem in Prag gebildeten, 1409 nach Leipzig als Mitbegründer der neuen Universität ausgewanderten Schlesier Anselm von Fran- kenstein. Die Ausgabe, Erläuterung und bildungsgeschichtliche Behand- lung der schlesisch-böhmischen Briefmuster nebst den sie beglei- tenden Rhetoriken, die wir in diesen Blättern bieten, zeigt uns
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Vorwort. XI eine fast noch unerforschte Sphäre von größtem Umfang : sie hat eine hohe Bedeutung für das Werden und Wachsen der geistigen Kultur an der Schwelle der Renaissance. Wenn ich vor fünfunddreißig Jahren zuerst erkannte, daß auf dem Gebiete der lateinischen Brief- und Urkundenberedsamkeit. des gelehrten Rechts und des gelehrten Unterrichts, der kirch- lichen Reformation und der künstlerisch-humanistischen Renais- sance im Sinne nationaler und menschheitlicher Wiedergeburt, der deutschen Kanzlei- und Schriftsprache die der Zukunft den Stempel aufprägende Kulturbewegung von Böhmen und Mähren aus über Schlesien und die Lausitz nach Meißen zog, so liefert das vorliegende Buch dafür eine, wie mir scheint, gewichtige Be- stätigung. Freilich ist, was wir nach so langwieriger Vorbereitung jetzt der gelehrten Welt mitteilen, nur ein erster Schritt auf wenig bebautem Felde: erst der Anfang einer Geschichte des lateinischen Briefs, die wir bisher nach Hampes treffender Bemerkung1 fast noch ganz entbehren. Insbesondere mußte ich künftiger Unter- suchung überlassen, die Quellen der in den Formularbüchern der Schlägler, Schneeberger, Schweidnitzer Handschriften enthaltenen Rhetoriken genau zu ermitteln. Außer dem von mir darüber in der Einleitung S. 57 bis 130 Gesagten möchte ich hier nur hervorheben, daß der Abriß der Redekunst im Codex Plagensis Bl. 106r (s. Einleitung S. 152f.), den in wesentlich übereinstimmender Fassung auch die Schnee- berger Handschrift Bl. 1r bis 5r enthält, in den Definitionen und Erklärungen der Rhetorik und des Dictamens ganz nahesteht, dem Wortlaut der Einleitung des mit dem Satz Sapiencia clamitat in plateis beginnenden Traktats über die Rhetorik unter dem Titel Correctoria Tybini in einer von mir 1898 und 1899 benutzten Handschrift der Wiener Hofbibliothek (Nr. 5218)2 sowie dem An- fang eines Leitfadens der Rhetorik von 1403 in der Handschrift des Fürstlich Schwarzenbergschen Archivs von Wittingau (Cod. C 2, Bl. 150r), der als achtes Stück auf die an sechster Stelle in der Handschrift stehenden Correctoria reverendi magistri Dyvint (Bl. 74r bis 1077, sec. 14 exeunt.) folgt und offenbar mit den Dybinusschriften eng verwandt ist. In der Schlägler Handschrift lesen wir (Bl. 106r): Vnde rethorica, de qua hic intenditur, Est 1 K. Hampe, Zur Auffassung der Fortuna im Mittelalter, Festschrift für G. Steinhausen 1926, S. 28. 2 Vgl. über sie Joachimsohn. Zeitschr. f. d. Altertum Bd. 37, S. 73 Anm.
Vorwort. XI eine fast noch unerforschte Sphäre von größtem Umfang : sie hat eine hohe Bedeutung für das Werden und Wachsen der geistigen Kultur an der Schwelle der Renaissance. Wenn ich vor fünfunddreißig Jahren zuerst erkannte, daß auf dem Gebiete der lateinischen Brief- und Urkundenberedsamkeit. des gelehrten Rechts und des gelehrten Unterrichts, der kirch- lichen Reformation und der künstlerisch-humanistischen Renais- sance im Sinne nationaler und menschheitlicher Wiedergeburt, der deutschen Kanzlei- und Schriftsprache die der Zukunft den Stempel aufprägende Kulturbewegung von Böhmen und Mähren aus über Schlesien und die Lausitz nach Meißen zog, so liefert das vorliegende Buch dafür eine, wie mir scheint, gewichtige Be- stätigung. Freilich ist, was wir nach so langwieriger Vorbereitung jetzt der gelehrten Welt mitteilen, nur ein erster Schritt auf wenig bebautem Felde: erst der Anfang einer Geschichte des lateinischen Briefs, die wir bisher nach Hampes treffender Bemerkung1 fast noch ganz entbehren. Insbesondere mußte ich künftiger Unter- suchung überlassen, die Quellen der in den Formularbüchern der Schlägler, Schneeberger, Schweidnitzer Handschriften enthaltenen Rhetoriken genau zu ermitteln. Außer dem von mir darüber in der Einleitung S. 57 bis 130 Gesagten möchte ich hier nur hervorheben, daß der Abriß der Redekunst im Codex Plagensis Bl. 106r (s. Einleitung S. 152f.), den in wesentlich übereinstimmender Fassung auch die Schnee- berger Handschrift Bl. 1r bis 5r enthält, in den Definitionen und Erklärungen der Rhetorik und des Dictamens ganz nahesteht, dem Wortlaut der Einleitung des mit dem Satz Sapiencia clamitat in plateis beginnenden Traktats über die Rhetorik unter dem Titel Correctoria Tybini in einer von mir 1898 und 1899 benutzten Handschrift der Wiener Hofbibliothek (Nr. 5218)2 sowie dem An- fang eines Leitfadens der Rhetorik von 1403 in der Handschrift des Fürstlich Schwarzenbergschen Archivs von Wittingau (Cod. C 2, Bl. 150r), der als achtes Stück auf die an sechster Stelle in der Handschrift stehenden Correctoria reverendi magistri Dyvint (Bl. 74r bis 1077, sec. 14 exeunt.) folgt und offenbar mit den Dybinusschriften eng verwandt ist. In der Schlägler Handschrift lesen wir (Bl. 106r): Vnde rethorica, de qua hic intenditur, Est 1 K. Hampe, Zur Auffassung der Fortuna im Mittelalter, Festschrift für G. Steinhausen 1926, S. 28. 2 Vgl. über sie Joachimsohn. Zeitschr. f. d. Altertum Bd. 37, S. 73 Anm.
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XII Vorwort. sciencia docens, de quocunque persuasibili materiam invenire et ipsius particulas convenienter ordinare et congruenter, que venus- tantur tam verbis quam ſentencijs, coloribus floride perornare, memorie conmendare ac totum demum pronuncciando auribus nuncciare, ex qua rethorice declaracione quinque proprietates re- thoris eliciuntur. In der genannten Wiener Handschrift heißt es, nachdem vorher Definitionen aus Aristoteles und Guido [de Faba] angeführt sind: Sed secundum modernos describitur rethorica sic: Rethorica est sciencia docens materiam invenire, inventam disponere, dispositam eloqui, elocutam memorie conmendare, memorie conmendatam alijs debite pronuncciare. Et ita diffinicio trahitur ex diffinicione Tulij, qui sic describit rethoricam1: Est sciencia docens de quolibet perswadibili contingenter decenter materias in- venire et partes ipsarum congruenter ordinare et postea coloribus exornare et memorie conmendare et vltimo alijs debite pronuncciare." Diese Definition selbst ist uraltes Erbgut der antiken Schul- rhetorik und ruht auf der Scheidung der fünf Aufgaben oder Teile der Redekunst: inventio, dispositio, elocutio (ornatus), me- moria, pronunciatio. Es ist bedeutsam, daß auch Johann von Neumarkt in einem an Petrarca gerichteten Brief gerade diese Schlagworte braucht, um des Meisters Beredsamkeit zu preisen (Summa Cancellariae ed. Tadra, Prag 1895, Nr. 60, S. 37f.): 1 Cicero De inventione I 5, 6: Civilis quaedam ratio est, quae multis et magnis ex rebus constat; eius quaedam magna et ampla pars est artificiosa eloquentia, quam rhetoricam vocant... quare hanc oratoriam facultatem in eo genere ponemus, ut eam civilis scientiae partem esse dicamus. officium autem eius facultatis videtur esse dicere apposite ad persuasionem; finis per- suadere dictione. 7, 9 quare materia quidem nobis rhetoricae videtur artis quam Aristoteli visam esse diximus Igenus demonstratirum, deliberativum, iudiciale]; partes autem eae, quas plerique dixerunt: inventio, dispositio, elo- cutio, memoria, pronuntiatio. — De Oratore I, 30, 142: cumque esset omnis ora- toris vis ac facultas in quinque partis distributa, ut deberet reperire primum quid diceret, deinde inventa non solum ordine, sed etiam momento quodam atque iudicio dispensare atque componere; tum ea denique vestire atque ornare oratione; post memoria saepire; ad extremum agere cum dignitate ac venustate; II 19, 79: deinde quinque faciunt quasi membra eloquentiae, invenire quid dicas, inventa disponere, deinde ornare verbis, post memoriae mandare, tum ad extremum agere ac pronuntiare; III 10, 37: quinam igitur dicendi est modus melior... quam ut Latine, ut plane, ut ornate, ut ad id, quodeumque agetur, apte congruenterque dicamus? Auctor ad Herennium I 2, 3: oportet igitur esse in oratore inventionem, dispositionem, elocutionem, memoriam, pronuntiationem (die folgenden Erlänterungen stehen im Wortlaut ferner).
XII Vorwort. sciencia docens, de quocunque persuasibili materiam invenire et ipsius particulas convenienter ordinare et congruenter, que venus- tantur tam verbis quam ſentencijs, coloribus floride perornare, memorie conmendare ac totum demum pronuncciando auribus nuncciare, ex qua rethorice declaracione quinque proprietates re- thoris eliciuntur. In der genannten Wiener Handschrift heißt es, nachdem vorher Definitionen aus Aristoteles und Guido [de Faba] angeführt sind: Sed secundum modernos describitur rethorica sic: Rethorica est sciencia docens materiam invenire, inventam disponere, dispositam eloqui, elocutam memorie conmendare, memorie conmendatam alijs debite pronuncciare. Et ita diffinicio trahitur ex diffinicione Tulij, qui sic describit rethoricam1: Est sciencia docens de quolibet perswadibili contingenter decenter materias in- venire et partes ipsarum congruenter ordinare et postea coloribus exornare et memorie conmendare et vltimo alijs debite pronuncciare." Diese Definition selbst ist uraltes Erbgut der antiken Schul- rhetorik und ruht auf der Scheidung der fünf Aufgaben oder Teile der Redekunst: inventio, dispositio, elocutio (ornatus), me- moria, pronunciatio. Es ist bedeutsam, daß auch Johann von Neumarkt in einem an Petrarca gerichteten Brief gerade diese Schlagworte braucht, um des Meisters Beredsamkeit zu preisen (Summa Cancellariae ed. Tadra, Prag 1895, Nr. 60, S. 37f.): 1 Cicero De inventione I 5, 6: Civilis quaedam ratio est, quae multis et magnis ex rebus constat; eius quaedam magna et ampla pars est artificiosa eloquentia, quam rhetoricam vocant... quare hanc oratoriam facultatem in eo genere ponemus, ut eam civilis scientiae partem esse dicamus. officium autem eius facultatis videtur esse dicere apposite ad persuasionem; finis per- suadere dictione. 7, 9 quare materia quidem nobis rhetoricae videtur artis quam Aristoteli visam esse diximus Igenus demonstratirum, deliberativum, iudiciale]; partes autem eae, quas plerique dixerunt: inventio, dispositio, elo- cutio, memoria, pronuntiatio. — De Oratore I, 30, 142: cumque esset omnis ora- toris vis ac facultas in quinque partis distributa, ut deberet reperire primum quid diceret, deinde inventa non solum ordine, sed etiam momento quodam atque iudicio dispensare atque componere; tum ea denique vestire atque ornare oratione; post memoria saepire; ad extremum agere cum dignitate ac venustate; II 19, 79: deinde quinque faciunt quasi membra eloquentiae, invenire quid dicas, inventa disponere, deinde ornare verbis, post memoriae mandare, tum ad extremum agere ac pronuntiare; III 10, 37: quinam igitur dicendi est modus melior... quam ut Latine, ut plane, ut ornate, ut ad id, quodeumque agetur, apte congruenterque dicamus? Auctor ad Herennium I 2, 3: oportet igitur esse in oratore inventionem, dispositionem, elocutionem, memoriam, pronuntiationem (die folgenden Erlänterungen stehen im Wortlaut ferner).
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Vorwort. XIII Etenim preclare magister, sicut apothecarii vestri [des in Prag ansässigen Apothekers Angelo aus Florenz] tenebat assercio, cum penetralia vestre mentis sint favore divino apta quidem grandes invenire materias, inventas disponere et flore rethorico vestire dis- positas et elocuta memorie commendare et dulcis plectri modulamine pronuncciare noverint memorata ... Das galt, wie die Wiener Handschrift bezeugt, damals als moderne Theorie der Redekunst. in der man einen neuen Hauch witterte: etwas vom Geist der Antike, aus dem man sich verjüngen und stärken wollte. Man heftete die uralte Definition an den Namen des göttlichen Tullius, obgleich Cicero selbst natürlich sie weder geprägt noch umgestaltet noch auch nur auf sie besonderes Gewicht gelegt hat, wie sich aus den oben (S. XII Anm.) abgedruckten Belegen erkennen läßt. Unsere beiden Briefmusterbücher — um es noch einmal hervor- zuheben — bekräftigen also auch ihrerseits und bezeugen für Schlesien und die Lausitz was schon aus Joachimsens einstiger wertvoller Quellenuntersuchung über die südwestdeutschen huma- nistischen Rhetoriken des ausgehenden 15. Jahrhunderts sich er- schließen ließ, daß von Prag, wo unter Karl IV. der 1387 als tot bezeugte Rhetoriklehrer Nicolaus Dybinus gebildet war, eine ununterbrochene Strömung schriftsprachlicher und humanistischer Entwicklung über Schlesien und die Lausitz nach Meißen und von hier aus oder über Franken (Nürnberg, Eichstätt) nach dem deutschen Südwesten (Ulm, Augsburg, Heidelberg, Freiburg, Straß- burg) gegangen ist 1. Uber die äußere Einrichtung dieser Ausgabe ist in den Bemerkungen vor den einzelnen Abteilungen der Brieftexte das Notwendige gesagt. Doch verlangt die Orthographie der latei- nischen Stücke noch ein Wort der Aufklärung. Abweichend von dem gemeinüblichen Verfahren in den mo- dernen Editionen mittelalterlicher Texte bewahrte ich die in den Handschriften dieser Zeit und Gegend herrschende rein graphische Regelung des Gebrauchs von u und v, die in den Inlaut u, in den Anlaut v setzt (abgesehen von dem vereinzelten uel), den 1 Vgl. jetzt die Nachweise K. Dreschers, Euphorion Bd. 26 (1925), S. 504 ff. 513. 525 ff. über das stilistische und rhythmische Fortwirken der Prosa Johanns von Neumarkt auf den bayrischen Humanisten Johann Hartlieb und Luthers Bibelübersetzung.
Vorwort. XIII Etenim preclare magister, sicut apothecarii vestri [des in Prag ansässigen Apothekers Angelo aus Florenz] tenebat assercio, cum penetralia vestre mentis sint favore divino apta quidem grandes invenire materias, inventas disponere et flore rethorico vestire dis- positas et elocuta memorie commendare et dulcis plectri modulamine pronuncciare noverint memorata ... Das galt, wie die Wiener Handschrift bezeugt, damals als moderne Theorie der Redekunst. in der man einen neuen Hauch witterte: etwas vom Geist der Antike, aus dem man sich verjüngen und stärken wollte. Man heftete die uralte Definition an den Namen des göttlichen Tullius, obgleich Cicero selbst natürlich sie weder geprägt noch umgestaltet noch auch nur auf sie besonderes Gewicht gelegt hat, wie sich aus den oben (S. XII Anm.) abgedruckten Belegen erkennen läßt. Unsere beiden Briefmusterbücher — um es noch einmal hervor- zuheben — bekräftigen also auch ihrerseits und bezeugen für Schlesien und die Lausitz was schon aus Joachimsens einstiger wertvoller Quellenuntersuchung über die südwestdeutschen huma- nistischen Rhetoriken des ausgehenden 15. Jahrhunderts sich er- schließen ließ, daß von Prag, wo unter Karl IV. der 1387 als tot bezeugte Rhetoriklehrer Nicolaus Dybinus gebildet war, eine ununterbrochene Strömung schriftsprachlicher und humanistischer Entwicklung über Schlesien und die Lausitz nach Meißen und von hier aus oder über Franken (Nürnberg, Eichstätt) nach dem deutschen Südwesten (Ulm, Augsburg, Heidelberg, Freiburg, Straß- burg) gegangen ist 1. Uber die äußere Einrichtung dieser Ausgabe ist in den Bemerkungen vor den einzelnen Abteilungen der Brieftexte das Notwendige gesagt. Doch verlangt die Orthographie der latei- nischen Stücke noch ein Wort der Aufklärung. Abweichend von dem gemeinüblichen Verfahren in den mo- dernen Editionen mittelalterlicher Texte bewahrte ich die in den Handschriften dieser Zeit und Gegend herrschende rein graphische Regelung des Gebrauchs von u und v, die in den Inlaut u, in den Anlaut v setzt (abgesehen von dem vereinzelten uel), den 1 Vgl. jetzt die Nachweise K. Dreschers, Euphorion Bd. 26 (1925), S. 504 ff. 513. 525 ff. über das stilistische und rhythmische Fortwirken der Prosa Johanns von Neumarkt auf den bayrischen Humanisten Johann Hartlieb und Luthers Bibelübersetzung.
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XIV Vorwort. vokalischen oder konsonantischen Wert der beiden Buchstaben dabei aber nicht unterscheidet. Eine Anpassung an die moderne Weise, in der die beiden Zeichen phonetisch als Vokal und Kon- sonant gesondert werden, würde eine charakteristische Eigentüm- lichkeit spätmittelalterlicher, nichthumanistischer Schreibung ver- wischen, die in Handschriften und Drucken bis ins 17. Jahr- hundert weithin festgehalten worden ist (vgl. die Einleitung S. 257 Anm.). Gewisse Schwierigkeiten bereitet die Auflösung abgekürzter Worte und Silben, deren voll ausgeschriebene Form in verschie- denen Lauten vorkommt. Fast stets erscheint abgekürzt die Kon- junktion quatenus. Aber einmal begegnet sie in P (Bl. 63r letztes Wort) ausgeschrieben als Quatinus und war daher auch mit i�Laut in der Mittelsilbe durchzuführen. Es entspricht das der von Konrad von Mure in seiner 'Summa de arte prosandi' (Rockinger, Quellen und Erörterungen zur bayerischen und deutschen Ge- schichte IX, S. 469, vgl. S. 406. 411) unter Berufung auf seinen "Novus Grecismus’ gegebenen Scheidung, die für die Konjunktion in der Bedeutung von ut oder quod diese Schreibung, dagegen in der Bedeutung inwieweit' die Form qua tenus (als zwei Worte) verlangt. Mißlich war die Behandlung der Vorsilben con und in, die meist abgekürzt auftreten, wo sie aber aufgelöst erscheinen, variieren. So lesen wir in P Bl. 1187 (s. Texte 68, 18 S. 99) im Text der Glosse commissio und compleccio abgekürzt als 9missio, 9plecco, aber am Rande hat der Rubrikator dafür comiſſio und conplecco. Demgemäß war auch 9pleccones (Bl. 56r, Z. 18) als conpleccones aufzulösen. Wiederholt (z. B. Bl. 64r Z. 6; 65r Z. 5) liest man ausgeschrieben inbutus, also die etymologische Schreibung ohne Sandhi (vgl. darüber Einleitung S. 254 ff.). Anderseits finden sich auch wieder echte Sandhi-Assimilationen wie das ausgeschrie- bene compar (Bl. 58v, Texte Nr. 54, Glosse Z. 4), ferner collocari (Bl. 58r, Texte Nr. 53, 22), illecebris (Bl. 58r, Texte 53, 12), noch weitergehendes Zusammenwachsen in der Schreibung colocari (Bl. 59r, Texte 55, 17), amonere statt admonere, ammonere (Texte 59, 8. 10), aparatis statt adparatis, apparatis 3, 8, comendando statt conmendando, commendando 46, 10 (aber conmendabili 44, 3), comensalem statt conmensalem, commensalem. Bei dieser Sachlage schien es mir am richtigsten, im allge- meinen die Schreibungen der Handschriften P und S in den
XIV Vorwort. vokalischen oder konsonantischen Wert der beiden Buchstaben dabei aber nicht unterscheidet. Eine Anpassung an die moderne Weise, in der die beiden Zeichen phonetisch als Vokal und Kon- sonant gesondert werden, würde eine charakteristische Eigentüm- lichkeit spätmittelalterlicher, nichthumanistischer Schreibung ver- wischen, die in Handschriften und Drucken bis ins 17. Jahr- hundert weithin festgehalten worden ist (vgl. die Einleitung S. 257 Anm.). Gewisse Schwierigkeiten bereitet die Auflösung abgekürzter Worte und Silben, deren voll ausgeschriebene Form in verschie- denen Lauten vorkommt. Fast stets erscheint abgekürzt die Kon- junktion quatenus. Aber einmal begegnet sie in P (Bl. 63r letztes Wort) ausgeschrieben als Quatinus und war daher auch mit i�Laut in der Mittelsilbe durchzuführen. Es entspricht das der von Konrad von Mure in seiner 'Summa de arte prosandi' (Rockinger, Quellen und Erörterungen zur bayerischen und deutschen Ge- schichte IX, S. 469, vgl. S. 406. 411) unter Berufung auf seinen "Novus Grecismus’ gegebenen Scheidung, die für die Konjunktion in der Bedeutung von ut oder quod diese Schreibung, dagegen in der Bedeutung inwieweit' die Form qua tenus (als zwei Worte) verlangt. Mißlich war die Behandlung der Vorsilben con und in, die meist abgekürzt auftreten, wo sie aber aufgelöst erscheinen, variieren. So lesen wir in P Bl. 1187 (s. Texte 68, 18 S. 99) im Text der Glosse commissio und compleccio abgekürzt als 9missio, 9plecco, aber am Rande hat der Rubrikator dafür comiſſio und conplecco. Demgemäß war auch 9pleccones (Bl. 56r, Z. 18) als conpleccones aufzulösen. Wiederholt (z. B. Bl. 64r Z. 6; 65r Z. 5) liest man ausgeschrieben inbutus, also die etymologische Schreibung ohne Sandhi (vgl. darüber Einleitung S. 254 ff.). Anderseits finden sich auch wieder echte Sandhi-Assimilationen wie das ausgeschrie- bene compar (Bl. 58v, Texte Nr. 54, Glosse Z. 4), ferner collocari (Bl. 58r, Texte Nr. 53, 22), illecebris (Bl. 58r, Texte 53, 12), noch weitergehendes Zusammenwachsen in der Schreibung colocari (Bl. 59r, Texte 55, 17), amonere statt admonere, ammonere (Texte 59, 8. 10), aparatis statt adparatis, apparatis 3, 8, comendando statt conmendando, commendando 46, 10 (aber conmendabili 44, 3), comensalem statt conmensalem, commensalem. Bei dieser Sachlage schien es mir am richtigsten, im allge- meinen die Schreibungen der Handschriften P und S in den
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Vorwort. XV lateinischen Stücken mit ihren Schwankungen und Inkonsequenzen beizubehalten, die Abkürzungen, soweit sie mehrdeutig sind, im Einklang mit den aus den gelegentlichen vollen Ausschreibungen sich ergebenden Lautformen zu gestalten. So liest man in den unten gebotenen Textabdrucken regelmäßig congnoscitur, con- gnoscere und ähnliches; conmunicatiua, conmunis, reconmendacione, inmundo. Auch der wechselnde Gebrauch einfacher und doppelter Konsonanz ist unangetastet: z. B. exporrigere 59, 9; 61, 12 neben porigimus 66, 9; etterne 57, 20; etternum 58, 11; apperientis 58, 12; sumula 59, 6. Ebenso folgt unsere Ausgabe der Handschrift im Gebrauch von y und i, z. B. ydoneum, loyce, ymmo, theoloye (aber theologya 41a, 40), Ethycorum neben rethorica, aber gimnasiorum 54, 13, des unorganischen anlautenden h neben der Auslassung des etymologisch berechtigten h: habundanter, exhamare, aber exibicionem 57, 3; exibuit 65, 10; des k neben c: oft karissime, karitate neben precarissimo 72, 1; caritatis 73, 2; carissimum 72, 15: tua caritas, sociorum karissime 55, 7; des nasalierten g in dingne 56, 12 neben Auslassung des Nasals in consaguineo 65, 1; des aus m vor n entfalteten p in dampnum 66, 13, der Schreibungen ji für ii in serijs, privilegijs, alijs, mendacijs, maij, neben sordiciis, spurticiis, sociis. Ungeändert blieb auch die Schreibung con- specsisse 71, 12; ferner das w für v oder u in Wenerabili 62, 1 (aber sonst venerabili, venerabilitati 66, 1. 13); pingwissimas 72, 18; swadeo 73, 12; inconswetis 73, 18; das f statt v: z. B. confersa- cionis 71, 11; fapores 72, 10 (vaporibus 73, 17). Selbstverständlich sind beibehalten worden die in mittelalterlicher Lateinortho- graphie regelmäßig gebrauchten Schreibungen ci statt ti in den Typen sciencia, eloquencia, alcioribus, preciositas, modulacio, pre- lacionen, indigencium, enunccians, dileccio usw.; ferner die Schrei- bungen michi, nichil, nichilominus, proch. In dem Schwanken der Schreibung mögen teilweise verschieden- artige Vorlagen durchschimmern. Aber mehr noch darf man es auf die von mir in der Einleitung S. 249. 250. 261 für die Sprache und Schreibung der deutschen Texte gewürdigte Lust am graphischen und lautlichen Wechsel zurückführen, die natür- lich ebenso auch in der Wiedergabe lateinischer Stücke sich geltend macht. Nur in Ausnahmefällen habe ich die handschrift- liche Schreibung, obgleich sie den dargelegten und im allgemeinen von mir nicht angetasteten sonstigen Brauch entsprach, durch die uns geläufige Form ersetzt, um dem Leser das Verständnis zu
Vorwort. XV lateinischen Stücken mit ihren Schwankungen und Inkonsequenzen beizubehalten, die Abkürzungen, soweit sie mehrdeutig sind, im Einklang mit den aus den gelegentlichen vollen Ausschreibungen sich ergebenden Lautformen zu gestalten. So liest man in den unten gebotenen Textabdrucken regelmäßig congnoscitur, con- gnoscere und ähnliches; conmunicatiua, conmunis, reconmendacione, inmundo. Auch der wechselnde Gebrauch einfacher und doppelter Konsonanz ist unangetastet: z. B. exporrigere 59, 9; 61, 12 neben porigimus 66, 9; etterne 57, 20; etternum 58, 11; apperientis 58, 12; sumula 59, 6. Ebenso folgt unsere Ausgabe der Handschrift im Gebrauch von y und i, z. B. ydoneum, loyce, ymmo, theoloye (aber theologya 41a, 40), Ethycorum neben rethorica, aber gimnasiorum 54, 13, des unorganischen anlautenden h neben der Auslassung des etymologisch berechtigten h: habundanter, exhamare, aber exibicionem 57, 3; exibuit 65, 10; des k neben c: oft karissime, karitate neben precarissimo 72, 1; caritatis 73, 2; carissimum 72, 15: tua caritas, sociorum karissime 55, 7; des nasalierten g in dingne 56, 12 neben Auslassung des Nasals in consaguineo 65, 1; des aus m vor n entfalteten p in dampnum 66, 13, der Schreibungen ji für ii in serijs, privilegijs, alijs, mendacijs, maij, neben sordiciis, spurticiis, sociis. Ungeändert blieb auch die Schreibung con- specsisse 71, 12; ferner das w für v oder u in Wenerabili 62, 1 (aber sonst venerabili, venerabilitati 66, 1. 13); pingwissimas 72, 18; swadeo 73, 12; inconswetis 73, 18; das f statt v: z. B. confersa- cionis 71, 11; fapores 72, 10 (vaporibus 73, 17). Selbstverständlich sind beibehalten worden die in mittelalterlicher Lateinortho- graphie regelmäßig gebrauchten Schreibungen ci statt ti in den Typen sciencia, eloquencia, alcioribus, preciositas, modulacio, pre- lacionen, indigencium, enunccians, dileccio usw.; ferner die Schrei- bungen michi, nichil, nichilominus, proch. In dem Schwanken der Schreibung mögen teilweise verschieden- artige Vorlagen durchschimmern. Aber mehr noch darf man es auf die von mir in der Einleitung S. 249. 250. 261 für die Sprache und Schreibung der deutschen Texte gewürdigte Lust am graphischen und lautlichen Wechsel zurückführen, die natür- lich ebenso auch in der Wiedergabe lateinischer Stücke sich geltend macht. Nur in Ausnahmefällen habe ich die handschrift- liche Schreibung, obgleich sie den dargelegten und im allgemeinen von mir nicht angetasteten sonstigen Brauch entsprach, durch die uns geläufige Form ersetzt, um dem Leser das Verständnis zu
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XVI Vorwort. erleichtern: z. B. adicenti 68, 7 (s. die Lesart). Auch in den deutschen Texten ist das einige Male geschehen. Vielleicht hätte selbst in diesen Fällen auf eine Anderung verzichtet werden können. Gern erfülle ich schließlich noch eine doppelte Pflicht des Dankes: gegenüber der mit seltnem Idealismus geleiteten Weid- mannschen Buchhandlung, die als Verleger mir und meiner Arbeit viel Opferbereitschaft, Vertrauen und unbeirrbare Geduld betätigt hat, und gegenüber der Druckerei von Breitkopf & Härtel, die dem Werk trotz allen für sie unbequemen und verlustbringenden Unterbrechungen und langen Pausen in vieljähriger Mühwaltung ihre erprobte Kraft, ihre unermüdliche Dienstwilligkeit gewidmet und den teilweise recht schwierigen Satz zuverlässig durchgeführt hat. * Die Freude über die endliche Vollendung des Buchs trübt sich mir durch das wehmütige Gedenken an den treuen jüngeren Mit- arbeiter und Freund, der weit vor seinem Ziel mich verlassen mußte. Und während ich das Schlußstück dieser Blätter für den Druck richtete, ist dem Frühverstorbenen sein Lehrer, Gustav Roethe, der ihm vor zwei Jahren einen schönen und herzlichen Nachruf geweiht hatte, unerwartet gefolgt. Er, der Vorsitzende und tätigste Förderer der Deutschen Kommission, an die mein Werk selbständig angegliedert ist, war befähigt und gerüstet, es so umfassend zu würdigen wie sonst vielleicht niemand. Die Wissen- schaft vom Deutschen Leben betrauert in diesem arbeitsgewaltigen großen Organisator und lebensvollen Lehrer, in diesem vielseitigen Forscher einen ihrer stärksten Führer. Berlin-Grunewald, im Oktober 1926. Konrad Burdach.
XVI Vorwort. erleichtern: z. B. adicenti 68, 7 (s. die Lesart). Auch in den deutschen Texten ist das einige Male geschehen. Vielleicht hätte selbst in diesen Fällen auf eine Anderung verzichtet werden können. Gern erfülle ich schließlich noch eine doppelte Pflicht des Dankes: gegenüber der mit seltnem Idealismus geleiteten Weid- mannschen Buchhandlung, die als Verleger mir und meiner Arbeit viel Opferbereitschaft, Vertrauen und unbeirrbare Geduld betätigt hat, und gegenüber der Druckerei von Breitkopf & Härtel, die dem Werk trotz allen für sie unbequemen und verlustbringenden Unterbrechungen und langen Pausen in vieljähriger Mühwaltung ihre erprobte Kraft, ihre unermüdliche Dienstwilligkeit gewidmet und den teilweise recht schwierigen Satz zuverlässig durchgeführt hat. * Die Freude über die endliche Vollendung des Buchs trübt sich mir durch das wehmütige Gedenken an den treuen jüngeren Mit- arbeiter und Freund, der weit vor seinem Ziel mich verlassen mußte. Und während ich das Schlußstück dieser Blätter für den Druck richtete, ist dem Frühverstorbenen sein Lehrer, Gustav Roethe, der ihm vor zwei Jahren einen schönen und herzlichen Nachruf geweiht hatte, unerwartet gefolgt. Er, der Vorsitzende und tätigste Förderer der Deutschen Kommission, an die mein Werk selbständig angegliedert ist, war befähigt und gerüstet, es so umfassend zu würdigen wie sonst vielleicht niemand. Die Wissen- schaft vom Deutschen Leben betrauert in diesem arbeitsgewaltigen großen Organisator und lebensvollen Lehrer, in diesem vielseitigen Forscher einen ihrer stärksten Führer. Berlin-Grunewald, im Oktober 1926. Konrad Burdach.
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Inhalt. EINLEITUNG. ERSTES KAPITEL. . Die Schlägler Briefsteller. Von Konrad Burdach I. Charakter und Bedeutung im allgemeinen . . . . . . . . . 1. Inhalt und Quellenwert . . 2. Die böhmische Kanzlei 3. Allgemeines über Formularbiicher 4. Bildungsgeschichtliches Schlesiens Schulen 10. — Der Trieb nach Säkularisierung der Bildung 12. — Die Universität Prag 13. — Ihr inter- nationaler wissenschaftlicher Charakter 16. — Die Uni- versität Krakau 17. Seite 3 3 10 II. Die erste Briefmustersammlung (Bl. 58r—63"). I. Historische und persönliche Beziehungen. . 2. Scholarenbriefe Das Proömium (Brief der Jungfrau Maria an den Stu- denten) 22. — Rhctorik und Pfründe als Lebenskiel 23. — Das Kanzleiliteratentum 24. 20 21 22 3. Die stilistisch-rhetorische Leistung. Einheitlicher Stiltypus 25. — Textrerderbnis 25. — Einige Proben der Scholarenbriefe: Entlehnungen aus der Summa Cancellarie Johanns von Neumarkt 26. 25 III. Die zweite Briefmustersammlung (Bl. 1061—1451) 1. Die Sammlung als Ganzes. Anordnung nach Standesgruppen, Doppelausfertigung der Laienbriefe in lateinischer und deutscher Sprache, Standes- gleichheit der Korrespondenten 28. — Sammler und Re- daktor: prologartiger Brief des Prager Studenten Anshelm von Frankenstein an die Jungfrau Maria 29. 28 28 2. Historische und persönliche Beziehungen. Datierung 30. — Adressen und Unterschriften: Nikolaus von Riesenburg, Bischof von Olmütx (1390/97) und Bischof Wenxel von Breslau (1382/1417) 30, der Breslauer Bistums- streit von 1380/82 (Bierkrieg) 32, Bexiehungen des Nikolaus Burdach, Mittelalt. u. Reform. V. 1. Schles.-böhm. Formelb. b* 30
Inhalt. EINLEITUNG. ERSTES KAPITEL. . Die Schlägler Briefsteller. Von Konrad Burdach I. Charakter und Bedeutung im allgemeinen . . . . . . . . . 1. Inhalt und Quellenwert . . 2. Die böhmische Kanzlei 3. Allgemeines über Formularbiicher 4. Bildungsgeschichtliches Schlesiens Schulen 10. — Der Trieb nach Säkularisierung der Bildung 12. — Die Universität Prag 13. — Ihr inter- nationaler wissenschaftlicher Charakter 16. — Die Uni- versität Krakau 17. Seite 3 3 10 II. Die erste Briefmustersammlung (Bl. 58r—63"). I. Historische und persönliche Beziehungen. . 2. Scholarenbriefe Das Proömium (Brief der Jungfrau Maria an den Stu- denten) 22. — Rhctorik und Pfründe als Lebenskiel 23. — Das Kanzleiliteratentum 24. 20 21 22 3. Die stilistisch-rhetorische Leistung. Einheitlicher Stiltypus 25. — Textrerderbnis 25. — Einige Proben der Scholarenbriefe: Entlehnungen aus der Summa Cancellarie Johanns von Neumarkt 26. 25 III. Die zweite Briefmustersammlung (Bl. 1061—1451) 1. Die Sammlung als Ganzes. Anordnung nach Standesgruppen, Doppelausfertigung der Laienbriefe in lateinischer und deutscher Sprache, Standes- gleichheit der Korrespondenten 28. — Sammler und Re- daktor: prologartiger Brief des Prager Studenten Anshelm von Frankenstein an die Jungfrau Maria 29. 28 28 2. Historische und persönliche Beziehungen. Datierung 30. — Adressen und Unterschriften: Nikolaus von Riesenburg, Bischof von Olmütx (1390/97) und Bischof Wenxel von Breslau (1382/1417) 30, der Breslauer Bistums- streit von 1380/82 (Bierkrieg) 32, Bexiehungen des Nikolaus Burdach, Mittelalt. u. Reform. V. 1. Schles.-böhm. Formelb. b* 30
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XVIII Inhalt. Seite von Riesenburg zur Königskanzlei und dem Kreise Johanns von Neumarkt (Henko Brunonis, Nikolaus von Posen, Theo- dericus Damera) 34. — Kritik der historischen Angaben 36. 3. Charakter der bürgerlichen Personennamen . 4. Die lokalen Elemente des lateinisch-deutschen Teils 37 38 Inhaltsproben 38. — Hauptschauplatx beiderseits der mitt- leren Sudeten: die schlesische Seite (Schweidnitz, Reichen- bach, Frankenstein oft genannt) 38. — Charakteristische Einxelheiten 39. — Nebenschauplätze 42. — Kontrolle der geschichtlichen Glaubwürdigkeit 42. — Die böhmische Seite 43. 5. Die Ortsangaben im rein lateinischen Teil . 6. Echtheit der individuellen Züge. . . Der Prager Magister Nikolaus Storch 45. — Der Prager Student Anshelm von Frankenstein, Verfasser der Korrespon- denz der heiligen Katharina und der Jungfrau Maria, 1381 Prager Baccalarius, 1405 Magister, 1409/10 Mitbegründer der Universität Leipxig 46. 44 44 7. Heimat des Verfassers . 8. Heimat der Niederschrift. 9. Die stilistisch-rhetorische Leistung. Abhängigkeit von Johann von Neumarkt 52. — Verhältnis xum ersten Schlägler Formular, Technik der Abfassung der deutschen Briefe 53. — Emendation der deutschen Texte aus den lateinischen Originalen, die rhythmischen Satzschlüsse (Cursus) 54. . . . . . 51 52 52 10. Die lateinische Glosse und die Rhetorik an Herennius Das quellengeschichtliche Problem 57. — Die Terminologie der erläuterten colores rhetoricales stammt aus der Herennius- Rhetorik 58. 57 a) Zwillingsverhältnis zu Ciceros Jugendschrift De in- ventione' und Fortwirken vom christlichen Altertum bis zur Renaissance . Der Archetypus der unvollständigen Handschriften des als Ciceronisch geltenden Herenniuslehrbuchs lombardischer Her- kunft: aus dem Kreise Augustins 59. — Hieronymus wahr- scheinlich Besitzer eines vollständigen Exemplars in einer Sammlung der rhetorischen Schriften Ciceros 62. — Ver- breitung der unvollständigen Ausgabe unter karolingischen Gelehrten 63. — Deren Emendationen und Glossen (älteste Scholienschicht) 64. — Neue, vollständige Ausgabe im 12. Jahrhundert nach einer unbekannten, verlorenen Ur- schrift, verbunden mit Ciceros De inventione' und allgemein Cicero xugeschrieben 64. — Ungeheure Verbreitung dieser neuen Ausgabe (~weite Scholienschicht): Cicero De inven- tione' = Tullii rhetorica prima, das Herenniusbuch = Tullii rhetorica secunda 65. — Die Ausgabe vermutlich entsprungen der seit Ende des II. Jahrhunderts bis aum Ausgang des 59
XVIII Inhalt. Seite von Riesenburg zur Königskanzlei und dem Kreise Johanns von Neumarkt (Henko Brunonis, Nikolaus von Posen, Theo- dericus Damera) 34. — Kritik der historischen Angaben 36. 3. Charakter der bürgerlichen Personennamen . 4. Die lokalen Elemente des lateinisch-deutschen Teils 37 38 Inhaltsproben 38. — Hauptschauplatx beiderseits der mitt- leren Sudeten: die schlesische Seite (Schweidnitz, Reichen- bach, Frankenstein oft genannt) 38. — Charakteristische Einxelheiten 39. — Nebenschauplätze 42. — Kontrolle der geschichtlichen Glaubwürdigkeit 42. — Die böhmische Seite 43. 5. Die Ortsangaben im rein lateinischen Teil . 6. Echtheit der individuellen Züge. . . Der Prager Magister Nikolaus Storch 45. — Der Prager Student Anshelm von Frankenstein, Verfasser der Korrespon- denz der heiligen Katharina und der Jungfrau Maria, 1381 Prager Baccalarius, 1405 Magister, 1409/10 Mitbegründer der Universität Leipxig 46. 44 44 7. Heimat des Verfassers . 8. Heimat der Niederschrift. 9. Die stilistisch-rhetorische Leistung. Abhängigkeit von Johann von Neumarkt 52. — Verhältnis xum ersten Schlägler Formular, Technik der Abfassung der deutschen Briefe 53. — Emendation der deutschen Texte aus den lateinischen Originalen, die rhythmischen Satzschlüsse (Cursus) 54. . . . . . 51 52 52 10. Die lateinische Glosse und die Rhetorik an Herennius Das quellengeschichtliche Problem 57. — Die Terminologie der erläuterten colores rhetoricales stammt aus der Herennius- Rhetorik 58. 57 a) Zwillingsverhältnis zu Ciceros Jugendschrift De in- ventione' und Fortwirken vom christlichen Altertum bis zur Renaissance . Der Archetypus der unvollständigen Handschriften des als Ciceronisch geltenden Herenniuslehrbuchs lombardischer Her- kunft: aus dem Kreise Augustins 59. — Hieronymus wahr- scheinlich Besitzer eines vollständigen Exemplars in einer Sammlung der rhetorischen Schriften Ciceros 62. — Ver- breitung der unvollständigen Ausgabe unter karolingischen Gelehrten 63. — Deren Emendationen und Glossen (älteste Scholienschicht) 64. — Neue, vollständige Ausgabe im 12. Jahrhundert nach einer unbekannten, verlorenen Ur- schrift, verbunden mit Ciceros De inventione' und allgemein Cicero xugeschrieben 64. — Ungeheure Verbreitung dieser neuen Ausgabe (~weite Scholienschicht): Cicero De inven- tione' = Tullii rhetorica prima, das Herenniusbuch = Tullii rhetorica secunda 65. — Die Ausgabe vermutlich entsprungen der seit Ende des II. Jahrhunderts bis aum Ausgang des 59
Strana XIX
Inhalt. XIX Seite 12. Jahrhunderts in Monte Cassino, in der päpstlichen Kanzlei und in Bologna vollzogenen Reform des Lateinstils: mittelalterlicher Humanismus in dem auf spätantike Ubung zurückgreifenden neu regulierten Cursus 66. — Lateinische Kommentierung und Versifixierung des Herenniusbuchs im 13. Jahrhundert 67. — Eintritt in die Landessprachen: ita- lienische und französische Ubersetxungen 69. — Bedeutung der nationalrömischen Gesinnung des Buchs für die An- fänge der Renaissance: Dante und Petrarca 70. — Fort- wirken von Augustins Verehrung der Wortkunst und Hu- manität Ciceros 71. b) Die hellenistischen Quellen der Herennius-Rhetorik und der Schrift Ciceros De inventione 74 Der Kulturherd Rhodus . 76 Panaitios und das neue Ideal der Humanität und des wissen- schaftlichen Redners 77. — Poseidonios, der antike Vor- läufer Vicos, Herders. Wilh. v. Humboldts und Jac. Grimms 78, Nachklang seiner Kunstlehre und rhetorischen Theorie in Ciceros De inventione und im Schneeberger Formelbuch 81. Der asianische Stil und die rhodischen Redner. 82 Mittelstellung der rhodischen Redner zwischen Attikern und Asianern 82. — Die beiden Typen des Asianismus: der symmetrisch-kommatische (Tradition der alten Sophistik: Gorgias) 83; der Typus der strömenden Fülle, der geglie- derten, rhythmisch schwingenden Periode 85. — Ciceros Verwandtschaft mit dem zweiten asianischen Typus 87. Ciceros De inrentione und das Herenniusbuch aus derselben rhetorischen Schule: Ausgestaltung vor- und nacharistoteli- scher griechischer Rhetorik 88. Grammatische Studien auf Rhodus: der Grundsatz der Nachahmung und der schriftsprachlichen Richtigkeit Die Nachahmung sprachlicher Muster 90. — Gramma- tische und rhetorische Lehre eng verbunden wirkend 91. — Die Herennius-Rhetorik zielt auf Sprachrichtigkeit und Sprachgeschicklichkei und bricht dem schriftsprachlichen Gedanken die Bahn 92. — Als praktisches Schulbuch mit betontem nationalrömischem Patriotismus hat sie durch die Jahrhunderte gewirkt 94. 90 Zwiespäiltiges Verhältnis zum Asianismus 96 Theoretisch bekennt der Anonymus die stilistische Grund- lehre des Aristoteles und Theophrast von den drei richtigen Gattungen der Rede und ihren drei Ausartungen, praktisch aber verfällt er selbst in Uberladung und Spielereien 96. — Cicero und der Anonymus über gesangsartige Rexitation der Redeschliisse 97. — Cicero tadelt als eintönig die beständig gleichen Satzschlußrhythmen gewisser Asianer 99.
Inhalt. XIX Seite 12. Jahrhunderts in Monte Cassino, in der päpstlichen Kanzlei und in Bologna vollzogenen Reform des Lateinstils: mittelalterlicher Humanismus in dem auf spätantike Ubung zurückgreifenden neu regulierten Cursus 66. — Lateinische Kommentierung und Versifixierung des Herenniusbuchs im 13. Jahrhundert 67. — Eintritt in die Landessprachen: ita- lienische und französische Ubersetxungen 69. — Bedeutung der nationalrömischen Gesinnung des Buchs für die An- fänge der Renaissance: Dante und Petrarca 70. — Fort- wirken von Augustins Verehrung der Wortkunst und Hu- manität Ciceros 71. b) Die hellenistischen Quellen der Herennius-Rhetorik und der Schrift Ciceros De inventione 74 Der Kulturherd Rhodus . 76 Panaitios und das neue Ideal der Humanität und des wissen- schaftlichen Redners 77. — Poseidonios, der antike Vor- läufer Vicos, Herders. Wilh. v. Humboldts und Jac. Grimms 78, Nachklang seiner Kunstlehre und rhetorischen Theorie in Ciceros De inventione und im Schneeberger Formelbuch 81. Der asianische Stil und die rhodischen Redner. 82 Mittelstellung der rhodischen Redner zwischen Attikern und Asianern 82. — Die beiden Typen des Asianismus: der symmetrisch-kommatische (Tradition der alten Sophistik: Gorgias) 83; der Typus der strömenden Fülle, der geglie- derten, rhythmisch schwingenden Periode 85. — Ciceros Verwandtschaft mit dem zweiten asianischen Typus 87. Ciceros De inrentione und das Herenniusbuch aus derselben rhetorischen Schule: Ausgestaltung vor- und nacharistoteli- scher griechischer Rhetorik 88. Grammatische Studien auf Rhodus: der Grundsatz der Nachahmung und der schriftsprachlichen Richtigkeit Die Nachahmung sprachlicher Muster 90. — Gramma- tische und rhetorische Lehre eng verbunden wirkend 91. — Die Herennius-Rhetorik zielt auf Sprachrichtigkeit und Sprachgeschicklichkei und bricht dem schriftsprachlichen Gedanken die Bahn 92. — Als praktisches Schulbuch mit betontem nationalrömischem Patriotismus hat sie durch die Jahrhunderte gewirkt 94. 90 Zwiespäiltiges Verhältnis zum Asianismus 96 Theoretisch bekennt der Anonymus die stilistische Grund- lehre des Aristoteles und Theophrast von den drei richtigen Gattungen der Rede und ihren drei Ausartungen, praktisch aber verfällt er selbst in Uberladung und Spielereien 96. — Cicero und der Anonymus über gesangsartige Rexitation der Redeschliisse 97. — Cicero tadelt als eintönig die beständig gleichen Satzschlußrhythmen gewisser Asianer 99.
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XX Inhalt. Freier und gebundener Satzrhythmus. Seite 100 Ciceros freie, im Rhythmus wechselnde Satzarchitektonik gegenüder dem periodischen asianischen Typus mit gebun- dener Rhythmik und festen Klauseln 100. — Drei stereotype asianische Klauseln: zwei Trochäen; Kretiker + Trochäus: zwei Kretiker 101. — Das Herenniusbuch im Banne dieser festen Klauseln 102. — Sie jauch Grundlage des cursus Leoninus des 5. Jahrhunderts und der drei stereotypen Satz- schlüsse (velox, planus, tardus) des mittelalterlichen Cursus 102. — Deshalb auch zeigt der regulierte mittelalterliche Cursus die von Cicero am Asianismus getadelten Rhythmus- füllsel 103. Verschränkte Wortstellung. Asianisch ist bei dem Anonymus die gewaltsame Umstellung der Worte und die Häufung des Ausdrucks 104. . 104 c) Die Theorie des Herenniusbuchs . 105 Die drei Gattungen Figura grauis, mediocris, attenuata (auch von Cicero an- erkannt) leben fort in Walthers von der Vogelweide drier slahte sanc (Lachm. 84,22) 105. — Abstufung der ihnen xukommenden exornationes (= colores, Redefiguren) 106. 105 Die rhythmischen Satzschlüsse . Das Beispiel des Anonymus für die hohe Redegattung 106. — Uberwiegen der asianischen Klausel des Ditrochäus 107. — Die mittelalterliche akxentuierend-rhythmische Wertung entnahm daraus die drei regulären Cursusformen und den Typus ’x'X'x 108. — Rhetorische Wortwiederholungen und Parallelismus symmetrisch gebauter Sätze mit Assonanz oder Reim (Gorgianische Figuren’) 108. — Umschreibungen. Hauptkennxeichen des asianischen Schwulstes, sind auch das Kernstück der mittelalterlichen lateinischen Kunstsprache und auch in den Scholarenbriefen unseres schlesisch-böhmischen Formelbuchs sehr häufig 109. 106 Verbindung synonymischer Worte Synonymen-Gebrauch xur Abwechslung und Paarung xweier sinngleicher oder sinnverwandter Worte nebst Umschreibung eines Substantivbegriffs durch Beiordnung eines Genetirs im Epilog des Anonymus 110. — Beispiele der Variation des Ausdrucks: Figur der Interpretatio (ihr Fortwirken im Mittelalter und bei Chaucer als internationale Stilmanier. 112. 110 Rhetorische Wortwiederholung . Lehre des Anonymus vom rednerischen Schmuck: Lumina orationis aus sophistischer Quelle 114. — Besondere Art des Wortspiels: uenit — peruenit 115. bei Rienxo beliebt 116. — Figur der Traductio und Contentio: mit diesem Namen in der Glosse des schlesisch-böhmischen Formelbuchs an den Musterbriefen erläutert 117. — Ebenso die Figuren der Transitio, Definitio. Correctio 118. — Prunkstücke des 114
XX Inhalt. Freier und gebundener Satzrhythmus. Seite 100 Ciceros freie, im Rhythmus wechselnde Satzarchitektonik gegenüder dem periodischen asianischen Typus mit gebun- dener Rhythmik und festen Klauseln 100. — Drei stereotype asianische Klauseln: zwei Trochäen; Kretiker + Trochäus: zwei Kretiker 101. — Das Herenniusbuch im Banne dieser festen Klauseln 102. — Sie jauch Grundlage des cursus Leoninus des 5. Jahrhunderts und der drei stereotypen Satz- schlüsse (velox, planus, tardus) des mittelalterlichen Cursus 102. — Deshalb auch zeigt der regulierte mittelalterliche Cursus die von Cicero am Asianismus getadelten Rhythmus- füllsel 103. Verschränkte Wortstellung. Asianisch ist bei dem Anonymus die gewaltsame Umstellung der Worte und die Häufung des Ausdrucks 104. . 104 c) Die Theorie des Herenniusbuchs . 105 Die drei Gattungen Figura grauis, mediocris, attenuata (auch von Cicero an- erkannt) leben fort in Walthers von der Vogelweide drier slahte sanc (Lachm. 84,22) 105. — Abstufung der ihnen xukommenden exornationes (= colores, Redefiguren) 106. 105 Die rhythmischen Satzschlüsse . Das Beispiel des Anonymus für die hohe Redegattung 106. — Uberwiegen der asianischen Klausel des Ditrochäus 107. — Die mittelalterliche akxentuierend-rhythmische Wertung entnahm daraus die drei regulären Cursusformen und den Typus ’x'X'x 108. — Rhetorische Wortwiederholungen und Parallelismus symmetrisch gebauter Sätze mit Assonanz oder Reim (Gorgianische Figuren’) 108. — Umschreibungen. Hauptkennxeichen des asianischen Schwulstes, sind auch das Kernstück der mittelalterlichen lateinischen Kunstsprache und auch in den Scholarenbriefen unseres schlesisch-böhmischen Formelbuchs sehr häufig 109. 106 Verbindung synonymischer Worte Synonymen-Gebrauch xur Abwechslung und Paarung xweier sinngleicher oder sinnverwandter Worte nebst Umschreibung eines Substantivbegriffs durch Beiordnung eines Genetirs im Epilog des Anonymus 110. — Beispiele der Variation des Ausdrucks: Figur der Interpretatio (ihr Fortwirken im Mittelalter und bei Chaucer als internationale Stilmanier. 112. 110 Rhetorische Wortwiederholung . Lehre des Anonymus vom rednerischen Schmuck: Lumina orationis aus sophistischer Quelle 114. — Besondere Art des Wortspiels: uenit — peruenit 115. bei Rienxo beliebt 116. — Figur der Traductio und Contentio: mit diesem Namen in der Glosse des schlesisch-böhmischen Formelbuchs an den Musterbriefen erläutert 117. — Ebenso die Figuren der Transitio, Definitio. Correctio 118. — Prunkstücke des 114
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Inhalt. XXI Seite Asianismus (Erbe der kommatisch-rhythmischen Satzbildung des Gorgias) in der Rhetorik des Anonymus, Compar, Simi- liter cadens, Similiter desinens. erscheinen in den Scholaren- briefen unseres Formelbuchs mit raffinierter Verkünstelung 120. — Einer dieser Scholarenbriefe nennt sich selbst prae- conamen (= praeexercitamentum, progymnasma. 122. — Das Progymnasma Anshelms von Frankenstein: an ihm er- läutert die Glosse den Color der Conuersio (Epipher), der Repeticio (Anapherl, der Conpleccio 123. — Die Figur der Adnominatio und die willkürlich auf sie folgende Subiectio behandelt in gleicher Verkoppelung auch die Glosse unseres Formelbuchs 125. — Die rhetorischen Progymnasmata ein Erbe des Altertums 127. — Wirkung des Cicero xugeschrie- benen Lehrbuchs an Herennius auf das Toulouser Poeten- kollegium von 1356 wie auf die Führer der italienischen Renaissance 127. — Die colores rhetoricales Triumphal- seichen der humanistischen Sprachkunst 128: Chaucer, Albrecht von Eyb. Peter Luder 129. — Die Scholarenbriefe Anshelms von Frankenstein deuten rückwärts auf alte helle- nische Stiltradition und vorwürts auf neue Anläufe 130. ZWEITES KAPITEL. Die Schneeberger und Schweidnitzer Briefsteller und ihr Verhältnis zu den Schlägler Formularen. Von Gustav Bebermeyer . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Schneeberger Briefmuster I. Die erste Sammlung . 2. Die zweite Sammlung II. Die Schweidnitzer Sammlung III. Abhängigkeitsverhältnis der drei Handschriften 1. Cod. Plag. (P) und die Schneeberger Handschrift (S) Untersuchung von Dr. Max Voigt über die Datierungen in P und S: sie sind ein fiktives Gebilde, 1404 in S ur- sprünglich, 1407 in P daraus entstellt 136. I . 131 131 131 132 134 135 . 135 2. Die Schweidnitzer Handschrift (Sw) 144 DRITTES KAPITEL. Zur Uberlieferung. Von Konrad Burdach und Gustav Bebermeyer 149 I. Einteilung des Textabdrucks und Ubersicht der Uberlieferung 149 II. Beschreibung der Handschriften und ihres Inhalts . . . . 149 1. Cod. Plag (P) . 149 . . . . . . . . . 2. Die Schneeberger Handschrift (S) . . . . . . . 159 3. Die Schweidnitzer Handschrift (Sw) . . 162
Inhalt. XXI Seite Asianismus (Erbe der kommatisch-rhythmischen Satzbildung des Gorgias) in der Rhetorik des Anonymus, Compar, Simi- liter cadens, Similiter desinens. erscheinen in den Scholaren- briefen unseres Formelbuchs mit raffinierter Verkünstelung 120. — Einer dieser Scholarenbriefe nennt sich selbst prae- conamen (= praeexercitamentum, progymnasma. 122. — Das Progymnasma Anshelms von Frankenstein: an ihm er- läutert die Glosse den Color der Conuersio (Epipher), der Repeticio (Anapherl, der Conpleccio 123. — Die Figur der Adnominatio und die willkürlich auf sie folgende Subiectio behandelt in gleicher Verkoppelung auch die Glosse unseres Formelbuchs 125. — Die rhetorischen Progymnasmata ein Erbe des Altertums 127. — Wirkung des Cicero xugeschrie- benen Lehrbuchs an Herennius auf das Toulouser Poeten- kollegium von 1356 wie auf die Führer der italienischen Renaissance 127. — Die colores rhetoricales Triumphal- seichen der humanistischen Sprachkunst 128: Chaucer, Albrecht von Eyb. Peter Luder 129. — Die Scholarenbriefe Anshelms von Frankenstein deuten rückwärts auf alte helle- nische Stiltradition und vorwürts auf neue Anläufe 130. ZWEITES KAPITEL. Die Schneeberger und Schweidnitzer Briefsteller und ihr Verhältnis zu den Schlägler Formularen. Von Gustav Bebermeyer . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Schneeberger Briefmuster I. Die erste Sammlung . 2. Die zweite Sammlung II. Die Schweidnitzer Sammlung III. Abhängigkeitsverhältnis der drei Handschriften 1. Cod. Plag. (P) und die Schneeberger Handschrift (S) Untersuchung von Dr. Max Voigt über die Datierungen in P und S: sie sind ein fiktives Gebilde, 1404 in S ur- sprünglich, 1407 in P daraus entstellt 136. I . 131 131 131 132 134 135 . 135 2. Die Schweidnitzer Handschrift (Sw) 144 DRITTES KAPITEL. Zur Uberlieferung. Von Konrad Burdach und Gustav Bebermeyer 149 I. Einteilung des Textabdrucks und Ubersicht der Uberlieferung 149 II. Beschreibung der Handschriften und ihres Inhalts . . . . 149 1. Cod. Plag (P) . 149 . . . . . . . . . 2. Die Schneeberger Handschrift (S) . . . . . . . 159 3. Die Schweidnitzer Handschrift (Sw) . . 162
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XXII Inhalt. Seite VIERTES KAPITEL. Zur Sprache der Briefsteller. Von Konrad Burdach und Gustav Bebermeyer . . . . . . . I. Grundziige des deutschen Lautstandes. Von Konrad Burdach und Gustav Bebermeyer . 165 . Abgekürzte Titel der häufig angeführten Hilfsmittel. . . . 167 Sonstige Abkürzungen . . . . 168 (Vgl. daxu S. 240 Anmerk. I.) A. Vokalismus . . 168 a) Die Monophthonge . 168 . . — § 1. a 168. — § 2. e 171. — § 3. i 173. — § 4. o 176. — § 5. u 178. b) Die Diphthonge . . . . . . 181 § 6. ai 181. — § 7. an (aw) 181. — § 8. ei (ey) 181. — § 9. en (ew) 182. — § 10. ie 183. — § 11. ou 183. — § 12. oi (oy) 183. 165 II. Uber Syntax und Stil. Von Gustav Bebermeyer c) Allgemeine Vorgänge § 13. Umlaut. Quantität. Betonung. Nebensilben 183. B. Konsonantismus § 14. Liquiden und Nasale (1, r, m, n) 184. — § 15. La- biale Verschluß- und Reibelaute (b, p, f, pf, v, w) 189. — § 16. Dentale (d, t, s, ss, 6, sch, z, cz, czez, zc, scz, tz) 192. — § 17. Gutturale (g, k, ch, h) 195. . A. Allgemeines § 18 . B. Zur Syntax . . § 19. 198. — § 20. Lateinische Akkusativ mit Infinitiv-. Partixipial- und Gerundivkonstruktionen 199. — § 21. Wort- und Satxfolge 200. — § 22. Kasusrektion 200. — § 23. Kon- junktionen 201. . . . . 183 184 . 196 196 . 198 C. Zum Stil. § 24. Vereinfachungen 202. — § 25. Umschreibung durch einen Satz 203. — § 26. Synonymische Häufung 203. 202 III. Textkritisches über das gegenseitige Verhältnis der lateinischen . . und deutschen Fassungen. Von Gustav Bebermeyer . § 27. Tendenx zur Kürxung, Lücken 204. — § 28. Un- geschickte Ausdrucksformen 205. — § 29. Kritische Einzel- heiten 206. 204 IV. Der rhythmische Satzschluß. Von Gustav Bebermeyer A. Allgemeines § 30 B. Der Cursus der vorliegenden Briefmustersammlungen § 31. Vorbemerkung 210. 207 . . . 207 . . . . 210
XXII Inhalt. Seite VIERTES KAPITEL. Zur Sprache der Briefsteller. Von Konrad Burdach und Gustav Bebermeyer . . . . . . . I. Grundziige des deutschen Lautstandes. Von Konrad Burdach und Gustav Bebermeyer . 165 . Abgekürzte Titel der häufig angeführten Hilfsmittel. . . . 167 Sonstige Abkürzungen . . . . 168 (Vgl. daxu S. 240 Anmerk. I.) A. Vokalismus . . 168 a) Die Monophthonge . 168 . . — § 1. a 168. — § 2. e 171. — § 3. i 173. — § 4. o 176. — § 5. u 178. b) Die Diphthonge . . . . . . 181 § 6. ai 181. — § 7. an (aw) 181. — § 8. ei (ey) 181. — § 9. en (ew) 182. — § 10. ie 183. — § 11. ou 183. — § 12. oi (oy) 183. 165 II. Uber Syntax und Stil. Von Gustav Bebermeyer c) Allgemeine Vorgänge § 13. Umlaut. Quantität. Betonung. Nebensilben 183. B. Konsonantismus § 14. Liquiden und Nasale (1, r, m, n) 184. — § 15. La- biale Verschluß- und Reibelaute (b, p, f, pf, v, w) 189. — § 16. Dentale (d, t, s, ss, 6, sch, z, cz, czez, zc, scz, tz) 192. — § 17. Gutturale (g, k, ch, h) 195. . A. Allgemeines § 18 . B. Zur Syntax . . § 19. 198. — § 20. Lateinische Akkusativ mit Infinitiv-. Partixipial- und Gerundivkonstruktionen 199. — § 21. Wort- und Satxfolge 200. — § 22. Kasusrektion 200. — § 23. Kon- junktionen 201. . . . . 183 184 . 196 196 . 198 C. Zum Stil. § 24. Vereinfachungen 202. — § 25. Umschreibung durch einen Satz 203. — § 26. Synonymische Häufung 203. 202 III. Textkritisches über das gegenseitige Verhältnis der lateinischen . . und deutschen Fassungen. Von Gustav Bebermeyer . § 27. Tendenx zur Kürxung, Lücken 204. — § 28. Un- geschickte Ausdrucksformen 205. — § 29. Kritische Einzel- heiten 206. 204 IV. Der rhythmische Satzschluß. Von Gustav Bebermeyer A. Allgemeines § 30 B. Der Cursus der vorliegenden Briefmustersammlungen § 31. Vorbemerkung 210. 207 . . . 207 . . . . 210
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XXIII Seite 1. Die Schlägler doppelsprachigen Texte (Nr. 1—30) . . . 210 § 32. 210. . 211 a) Die lateinischen Texte . . . . § 33. Cursus planus 211. — § 34. Cursus velox 211. — § 35. Cursus tardus 212. — § 36. Andere Typen 213. — § 37. Rückblick 214. Inhalt. . . . 214 b) Die deutschen Texte der Schlägler Handschrift § 38. 214. — § 39. Planus 214. — § 40. Velox 215. — — § 41. Tardus 216. — § 42. Typus Meyer VI 216. § 43. Doppeldeutige Satzschlüsse 217. c) In P und S verschieden überlieferte Satzschlüsse § 44 . 218 2. Der zweite doppelsprachige Schneeberger Briefsteller (Nr. 31 bis 44) . . . . . . a) Die lateinischen Texte . . . . § 45. Planus 218. — § 46. Velox 219. — § 47. Tardus 219. — § 48. Typus Meyer VI 220. — § 49. Typus Meyer VII und Anomala 220. . b) Die deutschen Texte . . . 220 § 50. 220. — § 51. Planus 221. — § 52. Velox 221. — § 54. Tardus 221. — § 54. Typus Meyer VI 221. — § 55. Satzschlüsse ohne Cursus 221. 218 218 3. Die Texte der Schweidnitzer Sammlung (Nr. 45—51) . . 222 222 a) Die lateinischen Formulare . § 56. Planus 222. — § 57. Velox 222. — § 58. Tardus 222. — § 59. Typus Meyer VI 223. — § 60. Typus Meyer VII 223. b) Die deutschen Fassungen . . . 223 § 61. Planus 223. — § 62. Schwebender Velox 223. — § 63. Jambische Satxschlüsse 223. 4. Die einsprachig lateinischen Texte (Nr. 52—85). . . . 224. — § 64. Vorbemerkung 223. — § 65. Cursus planus § 66. Cursus velox 224. — § 67. Cursus tardus 225. - § 68. Andere Cadenzen 226. — § 69. Anomala 227. § 70. Cursusfreie Briefstellen 227. — § 71. Anselms von Frankenstein Briefgebet 227. — § 72. Text Nr. 52 227. § 73. Rückhlick 228. C. Ergebnis § 74 . . 228 . 223 FÜNFTES KAPITEL. Zusammenfassende Charakteristik der Sprache der deutschen Briefmuster. Von Konrad Burdach. . . . 230 230 § 75. Natursprache und Sprachgestaltung. Jacob Grimm befreite von der regulativen lateinischen Gram- matik, sah in der Sprache mit romantischem Geist ein Natur- gewächs 230. — Die naturalistische Methode seiner Nachfolger
XXIII Seite 1. Die Schlägler doppelsprachigen Texte (Nr. 1—30) . . . 210 § 32. 210. . 211 a) Die lateinischen Texte . . . . § 33. Cursus planus 211. — § 34. Cursus velox 211. — § 35. Cursus tardus 212. — § 36. Andere Typen 213. — § 37. Rückblick 214. Inhalt. . . . 214 b) Die deutschen Texte der Schlägler Handschrift § 38. 214. — § 39. Planus 214. — § 40. Velox 215. — — § 41. Tardus 216. — § 42. Typus Meyer VI 216. § 43. Doppeldeutige Satzschlüsse 217. c) In P und S verschieden überlieferte Satzschlüsse § 44 . 218 2. Der zweite doppelsprachige Schneeberger Briefsteller (Nr. 31 bis 44) . . . . . . a) Die lateinischen Texte . . . . § 45. Planus 218. — § 46. Velox 219. — § 47. Tardus 219. — § 48. Typus Meyer VI 220. — § 49. Typus Meyer VII und Anomala 220. . b) Die deutschen Texte . . . 220 § 50. 220. — § 51. Planus 221. — § 52. Velox 221. — § 54. Tardus 221. — § 54. Typus Meyer VI 221. — § 55. Satzschlüsse ohne Cursus 221. 218 218 3. Die Texte der Schweidnitzer Sammlung (Nr. 45—51) . . 222 222 a) Die lateinischen Formulare . § 56. Planus 222. — § 57. Velox 222. — § 58. Tardus 222. — § 59. Typus Meyer VI 223. — § 60. Typus Meyer VII 223. b) Die deutschen Fassungen . . . 223 § 61. Planus 223. — § 62. Schwebender Velox 223. — § 63. Jambische Satxschlüsse 223. 4. Die einsprachig lateinischen Texte (Nr. 52—85). . . . 224. — § 64. Vorbemerkung 223. — § 65. Cursus planus § 66. Cursus velox 224. — § 67. Cursus tardus 225. - § 68. Andere Cadenzen 226. — § 69. Anomala 227. § 70. Cursusfreie Briefstellen 227. — § 71. Anselms von Frankenstein Briefgebet 227. — § 72. Text Nr. 52 227. § 73. Rückhlick 228. C. Ergebnis § 74 . . 228 . 223 FÜNFTES KAPITEL. Zusammenfassende Charakteristik der Sprache der deutschen Briefmuster. Von Konrad Burdach. . . . 230 230 § 75. Natursprache und Sprachgestaltung. Jacob Grimm befreite von der regulativen lateinischen Gram- matik, sah in der Sprache mit romantischem Geist ein Natur- gewächs 230. — Die naturalistische Methode seiner Nachfolger
Strana XXIV
XXIV Inhalt. Seite (Schleicher, Scherer, Junggrammatiker) 231. — Sie versagt gegen- über der nicht mehr elementaren Sprache, der schriftlichen Kunst- sprache 232. — Sprachgeschichte ist Bildungsgeschichte 233. — Die unablässige Wirkung des Sprachbewußtseins 233: das Sprach- bewußtsein des Mittelalters und der Renaissance ahnte nichts von der modernen sprachgenetischen Anschauung und deren Ter- minologie, kann daher nur ohne diese verstanden werden 234. § 76. Die Grundlegung der neuhochdeutschen Sprachgestaltung 234 Die nhd. Schriftsprache ersteht aus neuer Grundlage (Kanzlei) im östlichen Mitteldeutschland auf Kolonialboden im Bereich der germanischen Urheimat 234. — Schlesiens deutsche Volkssprache: nicht einheitlich 234; literarischer Einfluß der böhmischen Dich- tersprache 235. s 77. Methode der Analyse des schriftsprachlichen Elements 236 Untersuchungen der schriftsprachlichen Bewegung müssen des grammatischen Systems entraten, weil sie wechselnde Mischungen aus Natur- und Kunstsprache betreffen 236. — Schwierigkeiten und Unsicherheit bei der Untersuchung der vorliegenden Brief- muster 237. — Willkür der Umschriften und Beharrlich- keit 238. 78. Verhältnis zum grobmundartlichen Vokalismus als Mittel der Heimatbestimmung . . Bei der Lokalisierung der Hs. P aus ihren mundartlichen Zügen ist xu beachten, daß sie gewisse Eigenheiten der grobmundart- lichen schlesischen Volksmundart meidet: 1. Es fehlen die Entrun- dungen von ö, ü, eu 240; 2. Es fehlen die sekundären Diphthon- gierungen ou, au (aus mhd. o, ô; u, uo; â, a) 240. — Deren gegenwärtiges Verbreitungsgebiet 241. — 3. Heimatbestimmung des Schreibers von P aus seinem eir [ihr) 242; ihre gegenwärtige Verbreitung nach Wenkers deutschem Sprachatlas und Wredes Berichten 242. — 4. Innerhalb des durch diese heutigen eir fest- gelegten ziemlich weiten Spielraums erlauben die sachlichen Be- xiehungen zum Gebiet Schweidnitz-Frankenstein, das südlichste der drei eir-Gebiete Schlesiens zu wählen 245. — 5. Verhalten des Schreibers von P zu den sekundären Diphthongierungen des mhd. o ô uo und xu den Monophthongierungen des mhd. ei ou 246. 239 § § 79. Verhältnis zur gemeinsprachlichen nhd. Diphthongierung 248 1. Das zweite Schneeberger Formelbuch folgt seiner mundart- lichen Aussprache und meidet die neuen böhmischen Diphthonge 248. — Vier Ausnahmen und ihre psychologische Ursache 248. — Nachweis aller undiphthongierten Worte 249. — 2. Der Re- daktor der Schlägler Briefsammlung P erstrebt umgekehrt Di- phthongierung: drei Ausnahmen sind Lässigkeiten des Schreibers 249. — Das beweist die diphthongierte Schreibung der drei Worte an den entsprechenden Briefstellen in der Handschrift S (im ersten Schneeberger Formelbuch"), die sonst der undiphthongierten Form geneigter ist 250. — Der Stammsilbenlaut des Ortsnamen Schweidnitz 250. — Das schlesische -kyt-keit 251. — 3. Ver-
XXIV Inhalt. Seite (Schleicher, Scherer, Junggrammatiker) 231. — Sie versagt gegen- über der nicht mehr elementaren Sprache, der schriftlichen Kunst- sprache 232. — Sprachgeschichte ist Bildungsgeschichte 233. — Die unablässige Wirkung des Sprachbewußtseins 233: das Sprach- bewußtsein des Mittelalters und der Renaissance ahnte nichts von der modernen sprachgenetischen Anschauung und deren Ter- minologie, kann daher nur ohne diese verstanden werden 234. § 76. Die Grundlegung der neuhochdeutschen Sprachgestaltung 234 Die nhd. Schriftsprache ersteht aus neuer Grundlage (Kanzlei) im östlichen Mitteldeutschland auf Kolonialboden im Bereich der germanischen Urheimat 234. — Schlesiens deutsche Volkssprache: nicht einheitlich 234; literarischer Einfluß der böhmischen Dich- tersprache 235. s 77. Methode der Analyse des schriftsprachlichen Elements 236 Untersuchungen der schriftsprachlichen Bewegung müssen des grammatischen Systems entraten, weil sie wechselnde Mischungen aus Natur- und Kunstsprache betreffen 236. — Schwierigkeiten und Unsicherheit bei der Untersuchung der vorliegenden Brief- muster 237. — Willkür der Umschriften und Beharrlich- keit 238. 78. Verhältnis zum grobmundartlichen Vokalismus als Mittel der Heimatbestimmung . . Bei der Lokalisierung der Hs. P aus ihren mundartlichen Zügen ist xu beachten, daß sie gewisse Eigenheiten der grobmundart- lichen schlesischen Volksmundart meidet: 1. Es fehlen die Entrun- dungen von ö, ü, eu 240; 2. Es fehlen die sekundären Diphthon- gierungen ou, au (aus mhd. o, ô; u, uo; â, a) 240. — Deren gegenwärtiges Verbreitungsgebiet 241. — 3. Heimatbestimmung des Schreibers von P aus seinem eir [ihr) 242; ihre gegenwärtige Verbreitung nach Wenkers deutschem Sprachatlas und Wredes Berichten 242. — 4. Innerhalb des durch diese heutigen eir fest- gelegten ziemlich weiten Spielraums erlauben die sachlichen Be- xiehungen zum Gebiet Schweidnitz-Frankenstein, das südlichste der drei eir-Gebiete Schlesiens zu wählen 245. — 5. Verhalten des Schreibers von P zu den sekundären Diphthongierungen des mhd. o ô uo und xu den Monophthongierungen des mhd. ei ou 246. 239 § § 79. Verhältnis zur gemeinsprachlichen nhd. Diphthongierung 248 1. Das zweite Schneeberger Formelbuch folgt seiner mundart- lichen Aussprache und meidet die neuen böhmischen Diphthonge 248. — Vier Ausnahmen und ihre psychologische Ursache 248. — Nachweis aller undiphthongierten Worte 249. — 2. Der Re- daktor der Schlägler Briefsammlung P erstrebt umgekehrt Di- phthongierung: drei Ausnahmen sind Lässigkeiten des Schreibers 249. — Das beweist die diphthongierte Schreibung der drei Worte an den entsprechenden Briefstellen in der Handschrift S (im ersten Schneeberger Formelbuch"), die sonst der undiphthongierten Form geneigter ist 250. — Der Stammsilbenlaut des Ortsnamen Schweidnitz 250. — Das schlesische -kyt-keit 251. — 3. Ver-
Strana XXV
Inhalt. XXV Seite halten des Schreibers der 19 Briefe im ersten Schneeberger For- melbuch zur Diphthongierung gegenüber dem Text von P 251: (Umsetkung des mhd. î in ey mit sieben Ausnahmen; Ansätze zur Diphthongierung des mhd. ů und iu 252) starker Gegensatz au dem Verhalten des xweiten Schneeberger Formelbuchs 253. — 4. Behandlung der mundartlich monophthongierten mhd. ei im ersten und zweiten Schneeberger Formelbuch 253. — 5. Ergebnis für das damalige Verfahren bei der Abschrift deutscher Brief- muster im Grenzgebiet Schlesien-Lausitz-Böhmen 254. § 80. Der Kampf zwischen Wortschrift und Satzschrift im Sprachbewußtsein . I. Die Worteinheit Grundlage der lateinischen Orthographie und der landessprachlichen des Mittelalters 254. — Satzschriftliche Vorstößse dagegen: Otfrieds Umlaut durch Enklise 255, Wort- verschmelzungen mit Veränderung des Anlauts oder Auslauts 255; die Akxente bei Otfried und Notker, das Anlauts- und Aus- lautsgesetz 256. — Im Zwiespalt wort- und satzphonetischer Schreibweise und Schriftsprache siegt die wortisolierende 256. — 2. Die naturalistische Auffassung des schriftsprachlichen Problems unhaltbar 257: ihre Berichtigung aus schreibungsgeschichtlichen Untersuchungen und aus solchen über die mhd. Dichtersprache 257, aus neuesten Arbeiten xur ald. Grammatik 258, aus den satzmelodischen Beobachtungen von Sievers 259. — 3. Die Sprach- form-Varietäten stammen aus dem Kampf des hoch-oder schrift- sprachlichen und des mundartlichen Sprachtriebs, der Mundarten und mundartlichen Kunstsprachen, der univerbalen mit der satz- phonetischen Sprachaufzeichnung und in der Prosa auch aus dem Einfluß der Rhythmuskunst 260. — 4. Das Sprachbewußt- sein des ausgehenden Mittelalters kennt nicht den lautgesetzlichen Zwang, sondern empfindet die Doppel- oder Mehrformigkeit als Schmuck 260. 254 § 81. Umlaut 1. Die sprachlichen Schwankungen in den vorliegenden Brief- mustern sind Folgen teils des Streits zwischen Wort-und Satzschrift, teils der wiederholten Umschriften, teils der uneinheitlichen schle- sischen Volkssprache 261. — 2. Die schlesisch-böhmische Litera- tursprache im Gedicht Ludwigs des Landgrafen Kreuxfahrt’: Doppelformen oder Mehrformigkeit 262. Abhängigkeit von der Dichtersprache der an böhmischen Höfen blühenden Epik 263; Wirkungen der Satzbetonung 264. — 3. Doppelformige Umlauts- bezeichnungen in P und S: kurzes und langes a 265 (pfarrer, pregisch, bebistlichn neben babestliche, bobistlichn, psychischer Einfluß der lateinischen Vorlage und der Adresse 266); die übrigen Vokale und die Diphthonge 266 (tewfers, sewmmisse 267). 261 § 82. Betonung und Quantität . I. Die neuhochd. Schriftsprache bezeichnet den Akzent und die Quantität nicht oder unxulänglich 268. — 2. Die schlesischen Vokalkürxungen und Vokaldehnungen sind in unsern Brief- mustern nicht sichtbar; graphische Doppelkonsonanz (brieff, selliges) 269. — 3. Die Form off 269. — 4. Die Schreibungen . . . . . . . . 268
Inhalt. XXV Seite halten des Schreibers der 19 Briefe im ersten Schneeberger For- melbuch zur Diphthongierung gegenüber dem Text von P 251: (Umsetkung des mhd. î in ey mit sieben Ausnahmen; Ansätze zur Diphthongierung des mhd. ů und iu 252) starker Gegensatz au dem Verhalten des xweiten Schneeberger Formelbuchs 253. — 4. Behandlung der mundartlich monophthongierten mhd. ei im ersten und zweiten Schneeberger Formelbuch 253. — 5. Ergebnis für das damalige Verfahren bei der Abschrift deutscher Brief- muster im Grenzgebiet Schlesien-Lausitz-Böhmen 254. § 80. Der Kampf zwischen Wortschrift und Satzschrift im Sprachbewußtsein . I. Die Worteinheit Grundlage der lateinischen Orthographie und der landessprachlichen des Mittelalters 254. — Satzschriftliche Vorstößse dagegen: Otfrieds Umlaut durch Enklise 255, Wort- verschmelzungen mit Veränderung des Anlauts oder Auslauts 255; die Akxente bei Otfried und Notker, das Anlauts- und Aus- lautsgesetz 256. — Im Zwiespalt wort- und satzphonetischer Schreibweise und Schriftsprache siegt die wortisolierende 256. — 2. Die naturalistische Auffassung des schriftsprachlichen Problems unhaltbar 257: ihre Berichtigung aus schreibungsgeschichtlichen Untersuchungen und aus solchen über die mhd. Dichtersprache 257, aus neuesten Arbeiten xur ald. Grammatik 258, aus den satzmelodischen Beobachtungen von Sievers 259. — 3. Die Sprach- form-Varietäten stammen aus dem Kampf des hoch-oder schrift- sprachlichen und des mundartlichen Sprachtriebs, der Mundarten und mundartlichen Kunstsprachen, der univerbalen mit der satz- phonetischen Sprachaufzeichnung und in der Prosa auch aus dem Einfluß der Rhythmuskunst 260. — 4. Das Sprachbewußt- sein des ausgehenden Mittelalters kennt nicht den lautgesetzlichen Zwang, sondern empfindet die Doppel- oder Mehrformigkeit als Schmuck 260. 254 § 81. Umlaut 1. Die sprachlichen Schwankungen in den vorliegenden Brief- mustern sind Folgen teils des Streits zwischen Wort-und Satzschrift, teils der wiederholten Umschriften, teils der uneinheitlichen schle- sischen Volkssprache 261. — 2. Die schlesisch-böhmische Litera- tursprache im Gedicht Ludwigs des Landgrafen Kreuxfahrt’: Doppelformen oder Mehrformigkeit 262. Abhängigkeit von der Dichtersprache der an böhmischen Höfen blühenden Epik 263; Wirkungen der Satzbetonung 264. — 3. Doppelformige Umlauts- bezeichnungen in P und S: kurzes und langes a 265 (pfarrer, pregisch, bebistlichn neben babestliche, bobistlichn, psychischer Einfluß der lateinischen Vorlage und der Adresse 266); die übrigen Vokale und die Diphthonge 266 (tewfers, sewmmisse 267). 261 § 82. Betonung und Quantität . I. Die neuhochd. Schriftsprache bezeichnet den Akzent und die Quantität nicht oder unxulänglich 268. — 2. Die schlesischen Vokalkürxungen und Vokaldehnungen sind in unsern Brief- mustern nicht sichtbar; graphische Doppelkonsonanz (brieff, selliges) 269. — 3. Die Form off 269. — 4. Die Schreibungen . . . . . . . . 268
Strana XXVI
XXVI Inhalt. Seite bischoffe neben bischofliche, bischafliche 270. — 5. Schwankungen in der Bexeichnung erhaltener mhd. Kürzen 270. — Die Schrei- bungen muter, iemmerlich 271. — 6. Sonstige (seltene) Kon- sonantenverdoppelung in P 271. — 7. Doppelschreibungen der Konsonanten im ersten Schneeberger Formelbuch häufiger als in P 271; Verdoppelung des f im Anlaut 272. — 8. Doppelschrei- bung der Konsonanten im zweiten Schneeberger Formelbuch 272; optisch-akustisches Zeichen nachdrücklicher Betonung : hoff, kouffet, in allemm, bischtummes, thummereye 273. — 9. Die Schreibung th 273. § 83. Enklise und Proklise . I. Die Zulassung und Bexeichnung von Wortverschmelzungen durch die Schreibung hat sich vom Mhd. xum Nhd. gewandelt und wechselt 274; die schriftsprachliche Bewegung sucht solche satz- phonetische Schreibungen xu verringern 274; Schwankungen der Schreibung bei Abgrenxung proklitischer Worte: czusendin, czu- sehn, czunemen 275. — 2. Die betonten Pronominalformen eir (ihr’) in P, ir in S, die unbetonten er in P und S 276. Aus- gleich in ihrem Gebrauch 276. — 3. Die Possessivpronomina be- tont eir P, ir S, unbetont er P S 277. — 4. Die schwachtonigen Pronominalformen en (ihn’) em (ihm’) in der Schlägl-Schnee- berger Briefsammlung 278. — 5. Schwachtonige ere (ihre’) erem (ihrem'), eris (ihres’), em (ihm'), en (ihn'), im xweiten Schnee- berger Formelbuch 279. — 6. Schwachtoniges se (sie’) in PS 279. — 7. Schwachtoniges em (um’) neben vmme in P S 279. — 8. Schwachform von einander' (enander, nandir) in P und Sw 279. — 9. Auslautendes n vor m-Anlaut assimiliert zu m 280, die starke Dativform auf m trotx der Abneigung der Mund- art und einzelnen Schwankungen im Auslaut xwischen m und n überwiegend richtig angewendet unter dem Einfluß der kaiser- lichen Kanxleisprache 280. — 10. Euphonisches d vor den Vor- silben er-, ir- 281. — 11. Die Schwachform ich (statt icht) sulchs in P, dafür in S eyn sulchz 281. 274 § 84. Betonung und Lautgestalt der Nebensilben . 281 1. Sprachliche Doppelformigkeit der Nebensilhen in der schlesisch- böhmischen Dichtersprache 281. — 2. Abneigung unserer Texte gegen Apokope und Elision 282. — 3. Das Präsens bitten vor ich und wir 282. — 4. Das erste Schneeberger Formelbuch über- trifft P in Erhaltung auslautender e, meidet die Elision von ane und wenne 282. — 5. Die flexivischen auslautenden e in P er- halten (Nominativ der schwachen Maskulina, Abstrakta auf -unge, starker Dativ der Maskulina und Neutra) 283. — 6. Die apo- kopierten Dative dinst und grus in P in der Salutatio durch rhythmische und euphonische Regel begründet (die Lehre Fabian Francks 284) 283. — 7. Die Rhythmisierung der Salutatio in P nach einem festen Schema von Trochäen und Daktylen 285. — 8. Das Endungs-e bewahrt im 2. Kompositionsglied und in schweren Ableitungssilben dreisilbiger Worte 287. — 9. Wechsel zwischen apokopierten und vollen Dativen der Substantivkompo- sita in der Datierungsformel nach fester, rhythmisch bedingter Regel in P 288. — 10. Adverbia auf -e erscheinen meist mit
XXVI Inhalt. Seite bischoffe neben bischofliche, bischafliche 270. — 5. Schwankungen in der Bexeichnung erhaltener mhd. Kürzen 270. — Die Schrei- bungen muter, iemmerlich 271. — 6. Sonstige (seltene) Kon- sonantenverdoppelung in P 271. — 7. Doppelschreibungen der Konsonanten im ersten Schneeberger Formelbuch häufiger als in P 271; Verdoppelung des f im Anlaut 272. — 8. Doppelschrei- bung der Konsonanten im zweiten Schneeberger Formelbuch 272; optisch-akustisches Zeichen nachdrücklicher Betonung : hoff, kouffet, in allemm, bischtummes, thummereye 273. — 9. Die Schreibung th 273. § 83. Enklise und Proklise . I. Die Zulassung und Bexeichnung von Wortverschmelzungen durch die Schreibung hat sich vom Mhd. xum Nhd. gewandelt und wechselt 274; die schriftsprachliche Bewegung sucht solche satz- phonetische Schreibungen xu verringern 274; Schwankungen der Schreibung bei Abgrenxung proklitischer Worte: czusendin, czu- sehn, czunemen 275. — 2. Die betonten Pronominalformen eir (ihr’) in P, ir in S, die unbetonten er in P und S 276. Aus- gleich in ihrem Gebrauch 276. — 3. Die Possessivpronomina be- tont eir P, ir S, unbetont er P S 277. — 4. Die schwachtonigen Pronominalformen en (ihn’) em (ihm’) in der Schlägl-Schnee- berger Briefsammlung 278. — 5. Schwachtonige ere (ihre’) erem (ihrem'), eris (ihres’), em (ihm'), en (ihn'), im xweiten Schnee- berger Formelbuch 279. — 6. Schwachtoniges se (sie’) in PS 279. — 7. Schwachtoniges em (um’) neben vmme in P S 279. — 8. Schwachform von einander' (enander, nandir) in P und Sw 279. — 9. Auslautendes n vor m-Anlaut assimiliert zu m 280, die starke Dativform auf m trotx der Abneigung der Mund- art und einzelnen Schwankungen im Auslaut xwischen m und n überwiegend richtig angewendet unter dem Einfluß der kaiser- lichen Kanxleisprache 280. — 10. Euphonisches d vor den Vor- silben er-, ir- 281. — 11. Die Schwachform ich (statt icht) sulchs in P, dafür in S eyn sulchz 281. 274 § 84. Betonung und Lautgestalt der Nebensilben . 281 1. Sprachliche Doppelformigkeit der Nebensilhen in der schlesisch- böhmischen Dichtersprache 281. — 2. Abneigung unserer Texte gegen Apokope und Elision 282. — 3. Das Präsens bitten vor ich und wir 282. — 4. Das erste Schneeberger Formelbuch über- trifft P in Erhaltung auslautender e, meidet die Elision von ane und wenne 282. — 5. Die flexivischen auslautenden e in P er- halten (Nominativ der schwachen Maskulina, Abstrakta auf -unge, starker Dativ der Maskulina und Neutra) 283. — 6. Die apo- kopierten Dative dinst und grus in P in der Salutatio durch rhythmische und euphonische Regel begründet (die Lehre Fabian Francks 284) 283. — 7. Die Rhythmisierung der Salutatio in P nach einem festen Schema von Trochäen und Daktylen 285. — 8. Das Endungs-e bewahrt im 2. Kompositionsglied und in schweren Ableitungssilben dreisilbiger Worte 287. — 9. Wechsel zwischen apokopierten und vollen Dativen der Substantivkompo- sita in der Datierungsformel nach fester, rhythmisch bedingter Regel in P 288. — 10. Adverbia auf -e erscheinen meist mit
Strana XXVII
Inhalt. XXVII Seite voller Endung 291, Adverbialbildung -lich häufiger als -lichen in P und Sw, in S umgekehrt: rhy'imische Gründe mitbestimmend 291. — 11. Das e der Endung -en und inlautendes e der Ableitungs- und Flexionssilben in P und S nur selten synkopiert 291; schwankende Betonung der Ableitungssilben: ohemen neben ohme, donnirstage neben dornstage, sonstige, teilweise rhythmisch be- dingte Schwankungen 292. — 12. Flexionslos einsilbige Formen des proklitischen unbestimmten Artik und Possessirpronomens 292. Demonstratirpronomens 293, nest 293. — 13. Schreibung des Schwachvokals unbetonter Nebensilben als e und i in der Schlägl- Schneeberger Sammlung 293. Neigung xum Lautwechsel 294, dabei e-Schreibung in S häufiger als in P 294, stärkeres Vor- herrschen der e im xweiten Schneeberger Formelbuch 295. Häu- figkeit der i-Schreibung in Sw 295. — Verwendung des y statt i 295. § 85. Psychogenetische Ergebnisse für die Anfänge der mo- . dernen deutschen Bildung und Sprache . . 297 I. Die Grundströmung der schriftsprachlichen Bewegung um 1400 schwer zu erkennen 297. — Der Einfluß der böhmischen Kanzlei- sprache auf die Sprache Schlesiens, der Lausitz, Meißens 297, er ist ein bildungsgeschichtlicher Vorgang, der psychogenetisch aufgeklärt werden muß 298. — 2. Die Auswanderung der deut- schen Professoren und Studenten von Prag nach Leipxig trug einen in Böhmen geschaffenen Bildungsschatz mit sich und pflanxte ihn von Meißen aus fort 299. — 3. Der Schlägl-Schnee- berger Briefsteller zeigt die rhetorischen Jugendversuche eines Führers dieser Auswanderer: des Schlesiers Anshelm von Fran- kenstein 299; seine Abhängigkeit von der Summa cancellorie Jo- hanns von Neumarkt 299, seine Rhythmuskunst 300. — 4. Es kommt darauf an, die durchgehenden. Richtung weisenden Linien der wirren schriftsprachlichen Entwicklung und ihre seelischen Motive und geistigen Kräfte zu bestimmen 300. — 5. Der Grund- typus der deutschen Reichskanzleisprache unter Karl IV. 30I. — Außere und innere Schwierigkeiten einer xuverlässigen Kenntnis der Schreibgewohnheit der Reichskanzlei und der böhmischen Landeskanzlei 302; Wichtigkeit der theoretischen Kundgebungen über den kanzleigerechten Sprachgebrauch: die Briefmusterbücher: Nicolaus Dybinus und Johannes von Gelnhausen 302. — 6. Sprach- liche Verschiedenhei in den parallelen Uberlieferungen unserer Texte Nr. 1—19 in P und S 303: es ergibt sich daraus, in wel- cher Weise die schriftsprachlichen Neuerungen allmählich vor- dringen 303. — 7. Sprachlich-stilistische Ungleichheiten inner- halb einzelner Briefe der Schlägl-Schnceberger Sammlung 305, die Adresse schriftsprachlicher als der Brieftext 306. — 8. Andere sprachliche Unterschiede in bexug auf die schriftsprachliche Form stammen aus örtlich verschiedenen Vorlagen 306. — 9. Ahnliche Unterschiede im xweiten Schneeberger Formelbuch 307. — 10. Die letzten drei Abteilungen der Schlägler Briefsammlung weichen lautlich und orthographisch von den übrigen Briefen der Samm- lung ab 309, stammen also wohl aus echten, in adligen Privat- kanzleien entstandenen Vorlagen 310.
Inhalt. XXVII Seite voller Endung 291, Adverbialbildung -lich häufiger als -lichen in P und Sw, in S umgekehrt: rhy'imische Gründe mitbestimmend 291. — 11. Das e der Endung -en und inlautendes e der Ableitungs- und Flexionssilben in P und S nur selten synkopiert 291; schwankende Betonung der Ableitungssilben: ohemen neben ohme, donnirstage neben dornstage, sonstige, teilweise rhythmisch be- dingte Schwankungen 292. — 12. Flexionslos einsilbige Formen des proklitischen unbestimmten Artik und Possessirpronomens 292. Demonstratirpronomens 293, nest 293. — 13. Schreibung des Schwachvokals unbetonter Nebensilben als e und i in der Schlägl- Schneeberger Sammlung 293. Neigung xum Lautwechsel 294, dabei e-Schreibung in S häufiger als in P 294, stärkeres Vor- herrschen der e im xweiten Schneeberger Formelbuch 295. Häu- figkeit der i-Schreibung in Sw 295. — Verwendung des y statt i 295. § 85. Psychogenetische Ergebnisse für die Anfänge der mo- . dernen deutschen Bildung und Sprache . . 297 I. Die Grundströmung der schriftsprachlichen Bewegung um 1400 schwer zu erkennen 297. — Der Einfluß der böhmischen Kanzlei- sprache auf die Sprache Schlesiens, der Lausitz, Meißens 297, er ist ein bildungsgeschichtlicher Vorgang, der psychogenetisch aufgeklärt werden muß 298. — 2. Die Auswanderung der deut- schen Professoren und Studenten von Prag nach Leipxig trug einen in Böhmen geschaffenen Bildungsschatz mit sich und pflanxte ihn von Meißen aus fort 299. — 3. Der Schlägl-Schnee- berger Briefsteller zeigt die rhetorischen Jugendversuche eines Führers dieser Auswanderer: des Schlesiers Anshelm von Fran- kenstein 299; seine Abhängigkeit von der Summa cancellorie Jo- hanns von Neumarkt 299, seine Rhythmuskunst 300. — 4. Es kommt darauf an, die durchgehenden. Richtung weisenden Linien der wirren schriftsprachlichen Entwicklung und ihre seelischen Motive und geistigen Kräfte zu bestimmen 300. — 5. Der Grund- typus der deutschen Reichskanzleisprache unter Karl IV. 30I. — Außere und innere Schwierigkeiten einer xuverlässigen Kenntnis der Schreibgewohnheit der Reichskanzlei und der böhmischen Landeskanzlei 302; Wichtigkeit der theoretischen Kundgebungen über den kanzleigerechten Sprachgebrauch: die Briefmusterbücher: Nicolaus Dybinus und Johannes von Gelnhausen 302. — 6. Sprach- liche Verschiedenhei in den parallelen Uberlieferungen unserer Texte Nr. 1—19 in P und S 303: es ergibt sich daraus, in wel- cher Weise die schriftsprachlichen Neuerungen allmählich vor- dringen 303. — 7. Sprachlich-stilistische Ungleichheiten inner- halb einzelner Briefe der Schlägl-Schnceberger Sammlung 305, die Adresse schriftsprachlicher als der Brieftext 306. — 8. Andere sprachliche Unterschiede in bexug auf die schriftsprachliche Form stammen aus örtlich verschiedenen Vorlagen 306. — 9. Ahnliche Unterschiede im xweiten Schneeberger Formelbuch 307. — 10. Die letzten drei Abteilungen der Schlägler Briefsammlung weichen lautlich und orthographisch von den übrigen Briefen der Samm- lung ab 309, stammen also wohl aus echten, in adligen Privat- kanzleien entstandenen Vorlagen 310.
Strana XXVIII
XXVIII Inhalt. Seite Exkurse aum Breslauer Bistumsstreit von 1380/82 (zu S. 30—35. 40). Von Konrad Burdach . . . . . . I. Die Vorgeschichte des Konflikts zwischen König Wenzel und . dem Breslauer Domkapitel . 2. Die Vermittlung des Konflikts. . 3. Nikolaus Henrici aus Posen a) Sein Lebensgang b) Die Bilderhandschriften der Hedwigslegende für die Herzöge von Liegnitz c) Des Nikolaus von Posen Freundeskreis und humanistische Disposition. . 4. Der dynastische Patriotismus der Piasten und die geistige Wandlung der Zeit . a) Die heilige Hedwig und die Schicksale ihrer Familie b) Der Frömmigkeitsenthusiasmus der heiligen Hedwig und der Weltkult ihrer Brüder . . c) Die religiöse Erregung der Zeit als Seelenbefreiung und . Vorstufe der Renaissance . d) Der Hedwigkult der Herzöge von Liegnitz-Brieg und ihr heimatlicher Vergangenheitsstolz . . . 5. Die Korrespondenz des Nikolaus von Posen . . . . a) Dietrich Damerau, Bischof von Dorpat. . . . b) Johannes Brunonis . c) Nikolaus von Riesenburg Register zur Einleitung. Von Burdach und Bebermeyer . . 311 311 318 320 320 322 325 328 329 333 337 338 341 341 343 345 . . 347 TEXTE. Lateinisch-deutsche Briefmuster für Laien (Nr. 1—30) Vorbemerkung . . Forme personarum ciuilium simplicium (Nr. 1—5) . Nr. I. Anfrage des Hinricus Hecht aus Königgrätx an Nicolaus Berg in Nimburg a. Elbe wegen Lösung des Dienstverhältnisses S. 4/5. — Nr. 2. Antwort auf Nr. 1: Das Dienstverhältnis wird nicht gelöst S. 6/7. — Nr. 3. Bitte des Niclos Bovm, Bürger xu Königgrätz, an Peter Vochs, Bürger in Prag, um Einwechslung von 100 ungarischen Gulden gegen eine gleichwertige Summe von böhmischen Groschen S. 6/7. — Nr. 4. Antwort auf Nr. 3: Er- füllung der Bitte S. 8/9. — Nr. 5. Bitte des Andreas Monch aus Prag an Nicolaus Burg in Zittau, seinen Tuchtransport von Zittau nach Prag weiterzuleiten S. 8/9.
XXVIII Inhalt. Seite Exkurse aum Breslauer Bistumsstreit von 1380/82 (zu S. 30—35. 40). Von Konrad Burdach . . . . . . I. Die Vorgeschichte des Konflikts zwischen König Wenzel und . dem Breslauer Domkapitel . 2. Die Vermittlung des Konflikts. . 3. Nikolaus Henrici aus Posen a) Sein Lebensgang b) Die Bilderhandschriften der Hedwigslegende für die Herzöge von Liegnitz c) Des Nikolaus von Posen Freundeskreis und humanistische Disposition. . 4. Der dynastische Patriotismus der Piasten und die geistige Wandlung der Zeit . a) Die heilige Hedwig und die Schicksale ihrer Familie b) Der Frömmigkeitsenthusiasmus der heiligen Hedwig und der Weltkult ihrer Brüder . . c) Die religiöse Erregung der Zeit als Seelenbefreiung und . Vorstufe der Renaissance . d) Der Hedwigkult der Herzöge von Liegnitz-Brieg und ihr heimatlicher Vergangenheitsstolz . . . 5. Die Korrespondenz des Nikolaus von Posen . . . . a) Dietrich Damerau, Bischof von Dorpat. . . . b) Johannes Brunonis . c) Nikolaus von Riesenburg Register zur Einleitung. Von Burdach und Bebermeyer . . 311 311 318 320 320 322 325 328 329 333 337 338 341 341 343 345 . . 347 TEXTE. Lateinisch-deutsche Briefmuster für Laien (Nr. 1—30) Vorbemerkung . . Forme personarum ciuilium simplicium (Nr. 1—5) . Nr. I. Anfrage des Hinricus Hecht aus Königgrätx an Nicolaus Berg in Nimburg a. Elbe wegen Lösung des Dienstverhältnisses S. 4/5. — Nr. 2. Antwort auf Nr. 1: Das Dienstverhältnis wird nicht gelöst S. 6/7. — Nr. 3. Bitte des Niclos Bovm, Bürger xu Königgrätz, an Peter Vochs, Bürger in Prag, um Einwechslung von 100 ungarischen Gulden gegen eine gleichwertige Summe von böhmischen Groschen S. 6/7. — Nr. 4. Antwort auf Nr. 3: Er- füllung der Bitte S. 8/9. — Nr. 5. Bitte des Andreas Monch aus Prag an Nicolaus Burg in Zittau, seinen Tuchtransport von Zittau nach Prag weiterzuleiten S. 8/9.
Strana XXIX
Inhalt. De consagwineis ciuilibus (Nr. 6—9) XXIX Seite 10 Nr. 6. Hynricus Brodaw aus Prag bestellt bei seinem Vetter Niclos Wint in Schweidnitx Bier zur Hochzeitsfeier seiner Tochter S. 10/II. — Nr. 7. Bitte des Peter Hunt aus Königgrätx an Niclos Grunt in Prag. seinem Sohn eine offene Kaplanstelle zu verleihen S. 12/13. — Nr. 8. Antwort auf Nr. 7: Erfüllung der Bitte S. 12 15. — Nr. 9. Bitte des Peter Foyt aus Reichenbach an seinen Bruder Niclos Gros in Münsterberg um Besorgung eines bequemen Stand- platxes für den Jahrmarkt S. 14/15. De prothoconsulibus (Nr. 10—21) 14 Nr. 10. Aufforderung des Rates von Reichenbach an den Rat in Schweidnitz, in einer Gerichtssache nach Reichenbach zu kommen S. 14/17. — Nr. II. Aufforderung des Schweidnitzer Rates an den Rat ron Reichenbach, nach Schweidnitz au kommen zur Einsicht- nahme in einen Sendbrief des Königs S. 16/17. — Nr. 12. Bitte des Rates von Königgrätz an den Rat in Jaromèř, einen Land- friedensbrecher namens Niclos Posch bis zur Aburteilung in Haft zu halten S. 18 19. — Nr. 13. Bitte des Schweidnitzer Rates an den Rat von Hirschberg, xum Wiederaufbau der durch einen Brand zerstörten Häuser die Holxabfuhr aus dem Hirschberger Walde zu gestatten S. 18/21. — Nr. 14. Antwort auf Nr. 13: Gewährung der Bitte S. 20 21. — Nr. 15. Geleitbrief des Schweidnitzer Rates für einen Mitbürger an den Rat xu Prag S. 20/23. — Nr. 16. Auf- forderung des Rates zu Schweidnitx an den Rat in Jauer, nach Schweidnitx au kommen zu einer Beratung wegen des angekün- digten Besuchs des Königs S. 22/23. — Nr. 17. Einladung des Rates von Kaaden an den Rat in Prag, beim König ein gemein- sames Verfahren gegen einen Raubritter einzuleiten S. 24/25. — Nr. 18. Bitte des Rates von Königgrätz an den Rat und die Schöffen zu Glatz. einen säumigen Schuldner an die Einlösung der Schuld zu mahnen S. 24/27. — Nr. 19. Der Rat zu Prag warnt den Rat von Nimburg vor einem Haufen fremden Volks S. 26/27. — Nr. 20. Bitte des Rates von Königgrätz an den Rat au Nimburg, einen Landstreicher in Haft xu nehmen S. 26/29. — Nr. 21. Bitte des Rates von Frankenstein an den Rat von Schweidnitz, einen inhaftierten Brandstifter zu vernehmen S. 28/29. De clientibus (Nr. 22—23) Nr. 22. Ritter Nicolaus Czirnaw, Erbherr xu Guhlau, bittet Johannes Czobten, Erbherrn xu Turnau, um Leihung eines Pferdes und Schützen S. 28—31. — Nr. 23. Jenlin Beczaw, Erbherr zu Gräditz, bittet den Jesko von Tirpitz um Uberlassung eines Habichts S. 30/31. 28 De militibus (Nr. 24—25) . Nr. 24. Ritter Peter Reym (Heseler 24b), Erbherr xu Protzan, bittet den Ritter Konrad Schoneich, Erbherrn in Stolx, eine Erbschaft nach Gebühr xu regeln S. 32/33. — Nr. 25. Sigmunt Rogewicz, Erbherr xu Politz, bittet den Ritter Nicolaus Bes, Erbherrn xu Tinx. die Sache seines vom Breslauer Rat angeklagten Schwagers fordern zu helfen S. 32/33. . . 32
Inhalt. De consagwineis ciuilibus (Nr. 6—9) XXIX Seite 10 Nr. 6. Hynricus Brodaw aus Prag bestellt bei seinem Vetter Niclos Wint in Schweidnitx Bier zur Hochzeitsfeier seiner Tochter S. 10/II. — Nr. 7. Bitte des Peter Hunt aus Königgrätx an Niclos Grunt in Prag. seinem Sohn eine offene Kaplanstelle zu verleihen S. 12/13. — Nr. 8. Antwort auf Nr. 7: Erfüllung der Bitte S. 12 15. — Nr. 9. Bitte des Peter Foyt aus Reichenbach an seinen Bruder Niclos Gros in Münsterberg um Besorgung eines bequemen Stand- platxes für den Jahrmarkt S. 14/15. De prothoconsulibus (Nr. 10—21) 14 Nr. 10. Aufforderung des Rates von Reichenbach an den Rat in Schweidnitz, in einer Gerichtssache nach Reichenbach zu kommen S. 14/17. — Nr. II. Aufforderung des Schweidnitzer Rates an den Rat ron Reichenbach, nach Schweidnitz au kommen zur Einsicht- nahme in einen Sendbrief des Königs S. 16/17. — Nr. 12. Bitte des Rates von Königgrätz an den Rat in Jaromèř, einen Land- friedensbrecher namens Niclos Posch bis zur Aburteilung in Haft zu halten S. 18 19. — Nr. 13. Bitte des Schweidnitzer Rates an den Rat von Hirschberg, xum Wiederaufbau der durch einen Brand zerstörten Häuser die Holxabfuhr aus dem Hirschberger Walde zu gestatten S. 18/21. — Nr. 14. Antwort auf Nr. 13: Gewährung der Bitte S. 20 21. — Nr. 15. Geleitbrief des Schweidnitzer Rates für einen Mitbürger an den Rat xu Prag S. 20/23. — Nr. 16. Auf- forderung des Rates zu Schweidnitx an den Rat in Jauer, nach Schweidnitx au kommen zu einer Beratung wegen des angekün- digten Besuchs des Königs S. 22/23. — Nr. 17. Einladung des Rates von Kaaden an den Rat in Prag, beim König ein gemein- sames Verfahren gegen einen Raubritter einzuleiten S. 24/25. — Nr. 18. Bitte des Rates von Königgrätz an den Rat und die Schöffen zu Glatz. einen säumigen Schuldner an die Einlösung der Schuld zu mahnen S. 24/27. — Nr. 19. Der Rat zu Prag warnt den Rat von Nimburg vor einem Haufen fremden Volks S. 26/27. — Nr. 20. Bitte des Rates von Königgrätz an den Rat au Nimburg, einen Landstreicher in Haft xu nehmen S. 26/29. — Nr. 21. Bitte des Rates von Frankenstein an den Rat von Schweidnitz, einen inhaftierten Brandstifter zu vernehmen S. 28/29. De clientibus (Nr. 22—23) Nr. 22. Ritter Nicolaus Czirnaw, Erbherr xu Guhlau, bittet Johannes Czobten, Erbherrn xu Turnau, um Leihung eines Pferdes und Schützen S. 28—31. — Nr. 23. Jenlin Beczaw, Erbherr zu Gräditz, bittet den Jesko von Tirpitz um Uberlassung eines Habichts S. 30/31. 28 De militibus (Nr. 24—25) . Nr. 24. Ritter Peter Reym (Heseler 24b), Erbherr xu Protzan, bittet den Ritter Konrad Schoneich, Erbherrn in Stolx, eine Erbschaft nach Gebühr xu regeln S. 32/33. — Nr. 25. Sigmunt Rogewicz, Erbherr xu Politz, bittet den Ritter Nicolaus Bes, Erbherrn xu Tinx. die Sache seines vom Breslauer Rat angeklagten Schwagers fordern zu helfen S. 32/33. . . 32
Strana XXX
XXX Inhalt. Seit- De baronibus (Nr. 26—28) Nr. 26. Einladung des Bernhard von Biberstein an Johann von Dohna xu einem in Gegenwart des Königs xu Breslau stattfinden- den ritterlichen Turnier und Tanxfest S. 34/35. — Nr. 27. Leutold von Falkenberg, Herr xu Hohenstein, an Bernhard von Biberstein: Klage über räuberische Ubergriffe von seiten des Gesindes des Herrn von Hennenberg S. 34/37. — Nr. 28. Einladung des Wil- helm von Dohna, Herrn xu Carpenstein, an Bernhard von Biber- stein zu einem Jagdvergnügen S. 36/37. 34 De comitibus (Nr. 29—30). 36 Nr. 29. Bitte des Wilhelm von Wesenstein (Gräfenstein 29" , Grafen xu Barby, an Dietrich von Anhalt, Grafen zu Henneberg, um Er- neuerung des geschlossenen Schutx- und Trutzbündnisses S. 36/39. — Nr. 30. Antwort auf Nr. 29: Erneuerung des Paktes auf xwei Jahre S. 38/39. Lateinisch-deutsche Briefmuster für Laien und Kleriker . (Nr. 31—51) 41 43 Vorbemerkung Nr. 31. Geleitbrief für einen reisenden Bürger, ausgestellt durch den Rat seiner Vaterstadt S. 44/45. — Nr. 32. Empfehlungschreiben einer Stadt für ihren Mitbürger, einen reisenden Handwerker S. 46/47. — Nr. 33. Bitte an den Offixial xu Merseburg, die Verleihung einer Pfarrstelle an einen Priester aus dem Bistum Meißen xu bestätigen S. 48/49. — Nr. 34. Bitte an Bischof Nikolaus xu Merseburg, einen für ein Lehen in Aussicht genommenen Kleriker des Bistums Meißen zum Priester xu weihen S. 50/51. — Nr. 35. Bitte an König Wenxel, für die Gestellung eines militärischen Aufgebots einen Aufschub von vier Wochen zu gewähren S. 52/53. — Nr. 36. Bitte an König Wenxel um militärischen Schutx gegen heidnische Angriffe S. 54/55. — Nr. 37. Antwort auf Nr. 36: Wenzel ver- spricht Sigismund die erbetene Hilfe S. 56/57. — Nr. 38. Erz- bischof Heinrich von Prag wird für eine erledigte Pfründe ein Bewerber empfohlen S. 58/59. — Nr. 39. Antwort auf Nr. 38 an Bischof Johann von Meißen: die Pfründe ist dem vorgeschlagenen Bewerber verliehen S. 60/61. — Nr. 40. Bitte um Vermittlung beim Austausch xweier Pfarrstellen S. 62/63. — Nr. 41. An Pfarrer Heinrich in Bautzen mit der Bitte um Besorgung einiger neuer theologischer Bücher aus Prag S. 64/65. — Nr. 42. Antwort auf Nr. 41: Erfüllung der Bitte S. 64/67. — Nr. 43. Bewerbung um eine frei werdende Domherrnstelle S. 66/67. — Nr. 44. Zustim- mende Antwort auf Nr. 43 S. 68/69. — Nr. 45. Bitte an Mark- graf Johann von Mähren um Unterstützung in einer Heirats- angelegenheit S. 68/69. — Nr. 46. Bitte um Auskunft über die Höhe der jährlichen Studienkosten in Prag S. 70/71. — Nr. 47. Einladung eines jungen Mädchens an ihre Freundin zu einem Tanzfest S. 70/71. — Nr. 48. Bitte einer Bürgerfrau an ihre Freundin, ihr 100 Ellen Leinwand bleichen zu lassen S. 72/73. — Nr. 49. An eine Markgräfin: Empfehlung eines adligen Fräuleins als Hofdame S. 72/73. — Nr. 50. Bischof Wenzel von Breslau führt Beschwerde, daß ein Zöllner von seinem Schweidnitzer Biertransport
XXX Inhalt. Seit- De baronibus (Nr. 26—28) Nr. 26. Einladung des Bernhard von Biberstein an Johann von Dohna xu einem in Gegenwart des Königs xu Breslau stattfinden- den ritterlichen Turnier und Tanxfest S. 34/35. — Nr. 27. Leutold von Falkenberg, Herr xu Hohenstein, an Bernhard von Biberstein: Klage über räuberische Ubergriffe von seiten des Gesindes des Herrn von Hennenberg S. 34/37. — Nr. 28. Einladung des Wil- helm von Dohna, Herrn xu Carpenstein, an Bernhard von Biber- stein zu einem Jagdvergnügen S. 36/37. 34 De comitibus (Nr. 29—30). 36 Nr. 29. Bitte des Wilhelm von Wesenstein (Gräfenstein 29" , Grafen xu Barby, an Dietrich von Anhalt, Grafen zu Henneberg, um Er- neuerung des geschlossenen Schutx- und Trutzbündnisses S. 36/39. — Nr. 30. Antwort auf Nr. 29: Erneuerung des Paktes auf xwei Jahre S. 38/39. Lateinisch-deutsche Briefmuster für Laien und Kleriker . (Nr. 31—51) 41 43 Vorbemerkung Nr. 31. Geleitbrief für einen reisenden Bürger, ausgestellt durch den Rat seiner Vaterstadt S. 44/45. — Nr. 32. Empfehlungschreiben einer Stadt für ihren Mitbürger, einen reisenden Handwerker S. 46/47. — Nr. 33. Bitte an den Offixial xu Merseburg, die Verleihung einer Pfarrstelle an einen Priester aus dem Bistum Meißen xu bestätigen S. 48/49. — Nr. 34. Bitte an Bischof Nikolaus xu Merseburg, einen für ein Lehen in Aussicht genommenen Kleriker des Bistums Meißen zum Priester xu weihen S. 50/51. — Nr. 35. Bitte an König Wenxel, für die Gestellung eines militärischen Aufgebots einen Aufschub von vier Wochen zu gewähren S. 52/53. — Nr. 36. Bitte an König Wenxel um militärischen Schutx gegen heidnische Angriffe S. 54/55. — Nr. 37. Antwort auf Nr. 36: Wenzel ver- spricht Sigismund die erbetene Hilfe S. 56/57. — Nr. 38. Erz- bischof Heinrich von Prag wird für eine erledigte Pfründe ein Bewerber empfohlen S. 58/59. — Nr. 39. Antwort auf Nr. 38 an Bischof Johann von Meißen: die Pfründe ist dem vorgeschlagenen Bewerber verliehen S. 60/61. — Nr. 40. Bitte um Vermittlung beim Austausch xweier Pfarrstellen S. 62/63. — Nr. 41. An Pfarrer Heinrich in Bautzen mit der Bitte um Besorgung einiger neuer theologischer Bücher aus Prag S. 64/65. — Nr. 42. Antwort auf Nr. 41: Erfüllung der Bitte S. 64/67. — Nr. 43. Bewerbung um eine frei werdende Domherrnstelle S. 66/67. — Nr. 44. Zustim- mende Antwort auf Nr. 43 S. 68/69. — Nr. 45. Bitte an Mark- graf Johann von Mähren um Unterstützung in einer Heirats- angelegenheit S. 68/69. — Nr. 46. Bitte um Auskunft über die Höhe der jährlichen Studienkosten in Prag S. 70/71. — Nr. 47. Einladung eines jungen Mädchens an ihre Freundin zu einem Tanzfest S. 70/71. — Nr. 48. Bitte einer Bürgerfrau an ihre Freundin, ihr 100 Ellen Leinwand bleichen zu lassen S. 72/73. — Nr. 49. An eine Markgräfin: Empfehlung eines adligen Fräuleins als Hofdame S. 72/73. — Nr. 50. Bischof Wenzel von Breslau führt Beschwerde, daß ein Zöllner von seinem Schweidnitzer Biertransport
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Inhalt. XXXI Seite zu Unrecht Zoll erhoben hat S. 74 75. — Nr. 51. Eine Stadt führt bei einem gräflichen Herrn Beschwerde, daß einige seiner Diener einem jungen Stadtfräulein Gewalt angetan haben S. 74/75. Lateinische Briefmuster für Scholaren und Kleriker . . . . . . . . . . . . . (Nr. 52—86) Vorbemerkung Nr. 52. Hymnus an die Rhetorik S. 80/83. — Nr. 53. Brief der Gottesmutter an einen Scholaren S. 83/84. — Nr. 54. Mahnung eines Scholaren Laurencius Hotener an einen Studienfreund, sich durch dulcia mulierum spectacula nicht von seinem Studium ab- lenken zu lassen S. 85/86. — Nr. 55. An den Scholaren Nik. War- tenberg: Lob auf die Beredtsamkeit und Rhetorik S. 86187. — Nr. 56. Ein Scholar warnt einen andern vor der Reise in die Mark Brandenburg S. 88. — Nr. 57. Mahnung an den Magister N. Glocz, stets bedacht zu sein auf die Erringung der ewigen Seligkeit S. 89190. — Nr. 58. Bitte an einen Theologieprofessor, Nr. 59. sich des Seelenheils des Absenders anxunchmen S. 90 91. — Bitte an einen Baccalarius. einen säumigen Studenten an die Be- gleichung einer Schuld energisch zu mahnen S. 91. — Nr. 60. Empfehlung eines Verwandten für eine Notariatstelle S. 92. — Nr. 61. Bitte an einen Kanoniker, gelegentlich einer Romreise dem Absender Lestätigungsurkunden xu besorgen S. 92. — Nr. 62. An einen Archidiakon: Klage über gewaltsame Beraubung durch Herrn Wenzel von Roggaw und Bitte um Beratung S. 93. — Nr. 63. Antwort auf Nr. 62: er rät, sich an die Freunde des Raubritters zu wenden S. 94. — Nr. 64. Bitte an den Propst in Regensburg um Beförderung in ein Notariat S. 94/95. — Nr. 65. Antwort auf Nr. 64: Erfüllung der Bitte S. 95. — Nr. 66. An den Propst in Marienstein: Warnung vor einem Nebenbuhler, der esvauf seine Pfründe abgeschen habe S. 96. — Nr. 67. Student Anshelm von Frankenstein bittet die heilige Katherina um Förderung seines Seelenheils S. 97/98. — Nr. 68. Derselbe an die Jungfrau Maria mit der gleichen Bitte S. 98/100. — Nr. 69. Antwort auf Nr. 68: ähnlicher Inhalt wie Nr. 53 S. 101. — Nr. 70. Der Prager Stu- dent Paulus Tolan an den Krakauer Studenten Nicolaus Wint: In- halt wie Nr. 54 S. 102/3. — Nr. 71. Antwort auf Nr. 70: die Ge- rüchte über seinen liederlichen Lebenswandel sind lediglich Aus- streuungen eines Verleumders S. 103/4. — Nr. 72. Der Pariser Student Paulus Stok an seinen Studienfreund Nic. Hecht in Krakau: ähnlicher Inhalt wie Nr. 55 S. 104/5. — Nr. 73. Der Wiener Student Johannes Kny an seinen Studiengenossen Nic. Ber: Warnung wie Nr. 56 S. 106. — Nr. 74. Der Pariser Student Paul Crancz an den Wiener Studenten Nicolaus Steyn: acht ein- leitende deutsch-lateinische Verse behandeln dasselbe Thema wie Nr. 54 und 70 S. 107/8. — Nr. 75. Der Pariser Magister Paul Wint an seinen Prager Amtsgenossen Nicolaus Glocz: dasselbe Thema wie Nr. 57 S. 108/9. — Nr. 76. Der Prager Magister Paul Groncz warnt seinen Krakauer Amtsgenossen Nicolaus Herbest vor einem Räuber S. 109/10. — Nr. 77. Der Schweidnitzer Magister und Schulrektor Paul Berg an den Magister und Doktor der heiligen Schrift Nic. Veld: Inhalt wie Nr. 58 S. 110III. — Nr. 78. Der Prager Magister Paul Loncz erbittet für seine not- 77 79
Inhalt. XXXI Seite zu Unrecht Zoll erhoben hat S. 74 75. — Nr. 51. Eine Stadt führt bei einem gräflichen Herrn Beschwerde, daß einige seiner Diener einem jungen Stadtfräulein Gewalt angetan haben S. 74/75. Lateinische Briefmuster für Scholaren und Kleriker . . . . . . . . . . . . . (Nr. 52—86) Vorbemerkung Nr. 52. Hymnus an die Rhetorik S. 80/83. — Nr. 53. Brief der Gottesmutter an einen Scholaren S. 83/84. — Nr. 54. Mahnung eines Scholaren Laurencius Hotener an einen Studienfreund, sich durch dulcia mulierum spectacula nicht von seinem Studium ab- lenken zu lassen S. 85/86. — Nr. 55. An den Scholaren Nik. War- tenberg: Lob auf die Beredtsamkeit und Rhetorik S. 86187. — Nr. 56. Ein Scholar warnt einen andern vor der Reise in die Mark Brandenburg S. 88. — Nr. 57. Mahnung an den Magister N. Glocz, stets bedacht zu sein auf die Erringung der ewigen Seligkeit S. 89190. — Nr. 58. Bitte an einen Theologieprofessor, Nr. 59. sich des Seelenheils des Absenders anxunchmen S. 90 91. — Bitte an einen Baccalarius. einen säumigen Studenten an die Be- gleichung einer Schuld energisch zu mahnen S. 91. — Nr. 60. Empfehlung eines Verwandten für eine Notariatstelle S. 92. — Nr. 61. Bitte an einen Kanoniker, gelegentlich einer Romreise dem Absender Lestätigungsurkunden xu besorgen S. 92. — Nr. 62. An einen Archidiakon: Klage über gewaltsame Beraubung durch Herrn Wenzel von Roggaw und Bitte um Beratung S. 93. — Nr. 63. Antwort auf Nr. 62: er rät, sich an die Freunde des Raubritters zu wenden S. 94. — Nr. 64. Bitte an den Propst in Regensburg um Beförderung in ein Notariat S. 94/95. — Nr. 65. Antwort auf Nr. 64: Erfüllung der Bitte S. 95. — Nr. 66. An den Propst in Marienstein: Warnung vor einem Nebenbuhler, der esvauf seine Pfründe abgeschen habe S. 96. — Nr. 67. Student Anshelm von Frankenstein bittet die heilige Katherina um Förderung seines Seelenheils S. 97/98. — Nr. 68. Derselbe an die Jungfrau Maria mit der gleichen Bitte S. 98/100. — Nr. 69. Antwort auf Nr. 68: ähnlicher Inhalt wie Nr. 53 S. 101. — Nr. 70. Der Prager Stu- dent Paulus Tolan an den Krakauer Studenten Nicolaus Wint: In- halt wie Nr. 54 S. 102/3. — Nr. 71. Antwort auf Nr. 70: die Ge- rüchte über seinen liederlichen Lebenswandel sind lediglich Aus- streuungen eines Verleumders S. 103/4. — Nr. 72. Der Pariser Student Paulus Stok an seinen Studienfreund Nic. Hecht in Krakau: ähnlicher Inhalt wie Nr. 55 S. 104/5. — Nr. 73. Der Wiener Student Johannes Kny an seinen Studiengenossen Nic. Ber: Warnung wie Nr. 56 S. 106. — Nr. 74. Der Pariser Student Paul Crancz an den Wiener Studenten Nicolaus Steyn: acht ein- leitende deutsch-lateinische Verse behandeln dasselbe Thema wie Nr. 54 und 70 S. 107/8. — Nr. 75. Der Pariser Magister Paul Wint an seinen Prager Amtsgenossen Nicolaus Glocz: dasselbe Thema wie Nr. 57 S. 108/9. — Nr. 76. Der Prager Magister Paul Groncz warnt seinen Krakauer Amtsgenossen Nicolaus Herbest vor einem Räuber S. 109/10. — Nr. 77. Der Schweidnitzer Magister und Schulrektor Paul Berg an den Magister und Doktor der heiligen Schrift Nic. Veld: Inhalt wie Nr. 58 S. 110III. — Nr. 78. Der Prager Magister Paul Loncz erbittet für seine not- 77 79
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XXXII Inhalt. Seite leidenden Eltern die Unterstützung seines Kollegen Nic. Helt S. III. — Nr. 79. Priester Joh. Bowm in Protzan ersucht seinen Amts- bruder Paul Bes in Brodau, gegen den ausschweifenden Lebens- wandel seines Verwandten, eines Geistlichen, einzuschreiten S. 112. — Nr. 80. Paul Him, Kanoniker in Breslau, bittet den Prager Kanoniker Nic. Kant um Besorgung eines Marienbildnisses von einem berühmten Prager Bildhauer S. 112/13. — Nr. 81. Antwort auf Nr. 80: Erfüllung der Bitte S. 113. — Nr. 82. Bischof Wenzel von Breslau bittet den Olmützer Bischof Nicolaus (von Riesenburg), ihm für seinen Hof in Neiße guten Wein zu liefern S. 114. — Nr. 83. Der Wiener Rektor Peter Jegerdorf ersucht den Prager Rektor Nic. Storch, frühere Wiener Studenten ohne genügenden Ausweis über Studien und Führung in Prag nicht xu promovieren S. 114/15. — Nr. 84. Zustimmende Antwort auf Nr. 83 S. 115. — Nr. 85. Katherina Meisterin, ord. sancti Augustini in Prag, mahnt ihre Prager Mitschwester Katherina Walin, ord. sancti Francisci, den Verkehr mit einem Studenten abzubrechen S. 115/16. — Nr 86. Antwort der Angeschuldigten, der fragliche Student sei ihr Bruder S. 116. . Nachträge und Berichtigungen Einleitung . . . . . . Texte. Register zu den Texten. Von Burdach und Bebermeyer. . . . . . Lateinisches Glossar . 119 . . . . . . . . Deutsches Wortverzeichnis . 133 . . . . . Verzeichnis der Briefanfänge 136 . . . . . . . . . . . . . 142 . . . . . 142 . . . . 147 . .
XXXII Inhalt. Seite leidenden Eltern die Unterstützung seines Kollegen Nic. Helt S. III. — Nr. 79. Priester Joh. Bowm in Protzan ersucht seinen Amts- bruder Paul Bes in Brodau, gegen den ausschweifenden Lebens- wandel seines Verwandten, eines Geistlichen, einzuschreiten S. 112. — Nr. 80. Paul Him, Kanoniker in Breslau, bittet den Prager Kanoniker Nic. Kant um Besorgung eines Marienbildnisses von einem berühmten Prager Bildhauer S. 112/13. — Nr. 81. Antwort auf Nr. 80: Erfüllung der Bitte S. 113. — Nr. 82. Bischof Wenzel von Breslau bittet den Olmützer Bischof Nicolaus (von Riesenburg), ihm für seinen Hof in Neiße guten Wein zu liefern S. 114. — Nr. 83. Der Wiener Rektor Peter Jegerdorf ersucht den Prager Rektor Nic. Storch, frühere Wiener Studenten ohne genügenden Ausweis über Studien und Führung in Prag nicht xu promovieren S. 114/15. — Nr. 84. Zustimmende Antwort auf Nr. 83 S. 115. — Nr. 85. Katherina Meisterin, ord. sancti Augustini in Prag, mahnt ihre Prager Mitschwester Katherina Walin, ord. sancti Francisci, den Verkehr mit einem Studenten abzubrechen S. 115/16. — Nr 86. Antwort der Angeschuldigten, der fragliche Student sei ihr Bruder S. 116. . Nachträge und Berichtigungen Einleitung . . . . . . Texte. Register zu den Texten. Von Burdach und Bebermeyer. . . . . . Lateinisches Glossar . 119 . . . . . . . . Deutsches Wortverzeichnis . 133 . . . . . Verzeichnis der Briefanfänge 136 . . . . . . . . . . . . . 142 . . . . . 142 . . . . 147 . .
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EINLEITUNG Burdach, Mittelalt. u. Reform. V, 1. Schles.-böhm. Formelb.
EINLEITUNG Burdach, Mittelalt. u. Reform. V, 1. Schles.-böhm. Formelb.
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ERSTES KAPITEL. DIE SCHLAGLER BRIEFSTELLERI. I. Charakter und Bedeutung im allgemeinen. 1. Inhalt und Quellenwert. IINE Sammelhandschrift des Prämonstratenserstiftes Schlägl in Ober- österreich, die ich daselbst im Oktober 1898 während einer Durch- forschung der dortigen Handschriftenbestände auffand und zu größeren Teilen abschrieb 2, enthält durch andere Stücke getrennt zwei lateinische Briefsammlungen mit eingemischten Bestandteilen deutscher Sprache. Es sind Briefmuster, überwiegend in lateinischer Sprache, die durch eine Art lehrbuchhafter Glosse in lateinischer Sprache erläutert werden. Also zwei Formularbücher oder, wie man gewöhnlich weniger treffend es nennt, Formelbücher mit einem Abriß des Kanxleistils'. Beider Niederschrift stammt aus dem Anfang des 15. Jahrhunderts. Beide verbinden mit praktischen Beispielen eine elementare Abhandlung theoretischen Inhalts und zwar so, daß sie an die gebotenen Musterbriefe 1 Das erste Kapitel gibt im wesentlichen meinen in der Berliner Akademie der Wissenschaften am 18. April 1907 gehaltenen Vortrag wieder (vgl. das kurxe Referat Sitzungsberichte 1907, S. 373). 2 Vgl. dazu meinen Bericht über Forschungen zum Ursprung der neu- hochdeutschen Schriftsprache und des deutschen Humanismus', Abhandlungen der Berliner Akademie der Wissenschaften 1903, S. 31—34. 3 Noch immer bieten die umfassendste und brauchbarste einführende Uber- sicht dieser Gattung der mittelalterlichen Literatur die Abhandlung von Wil- helm Wattenbach, Uber die Briefsteller des Mittelalters (in seinem Ier austriacum'), Archiv für Kunde österreichischer Geschichtsquellen Bd. 14 (1855), S. 29—94 und die Schriften von Ludwig Rockinger: Uber Formelbücher vom dreixehnten bis zum sechzehnten Jahrhundert als rechtsgeschichtliche Quellen, Münchner Habilitationsschrift, München, Chr. Kaiser, 1855; Uber Briefsteller und Formelbücher in Deutschland während des Mittelalters, Münchner Aka- demie-Vortrag, München 1861. — Einen Versuch eines Corpus formulariorum enthält Rockingers Auswahl von Texten aus siebzehn einschlägigen Werken: Briefsteller und Formelbücher des 11. bis 14. Jahrhunderts (Quellen und Erörte- rungen zur bayerischen und deutschen Geschichte, 9. Bd., 1. Abt.), München, G. Franz, 1863 (mit reichhaltiger Einleitung).
ERSTES KAPITEL. DIE SCHLAGLER BRIEFSTELLERI. I. Charakter und Bedeutung im allgemeinen. 1. Inhalt und Quellenwert. IINE Sammelhandschrift des Prämonstratenserstiftes Schlägl in Ober- österreich, die ich daselbst im Oktober 1898 während einer Durch- forschung der dortigen Handschriftenbestände auffand und zu größeren Teilen abschrieb 2, enthält durch andere Stücke getrennt zwei lateinische Briefsammlungen mit eingemischten Bestandteilen deutscher Sprache. Es sind Briefmuster, überwiegend in lateinischer Sprache, die durch eine Art lehrbuchhafter Glosse in lateinischer Sprache erläutert werden. Also zwei Formularbücher oder, wie man gewöhnlich weniger treffend es nennt, Formelbücher mit einem Abriß des Kanxleistils'. Beider Niederschrift stammt aus dem Anfang des 15. Jahrhunderts. Beide verbinden mit praktischen Beispielen eine elementare Abhandlung theoretischen Inhalts und zwar so, daß sie an die gebotenen Musterbriefe 1 Das erste Kapitel gibt im wesentlichen meinen in der Berliner Akademie der Wissenschaften am 18. April 1907 gehaltenen Vortrag wieder (vgl. das kurxe Referat Sitzungsberichte 1907, S. 373). 2 Vgl. dazu meinen Bericht über Forschungen zum Ursprung der neu- hochdeutschen Schriftsprache und des deutschen Humanismus', Abhandlungen der Berliner Akademie der Wissenschaften 1903, S. 31—34. 3 Noch immer bieten die umfassendste und brauchbarste einführende Uber- sicht dieser Gattung der mittelalterlichen Literatur die Abhandlung von Wil- helm Wattenbach, Uber die Briefsteller des Mittelalters (in seinem Ier austriacum'), Archiv für Kunde österreichischer Geschichtsquellen Bd. 14 (1855), S. 29—94 und die Schriften von Ludwig Rockinger: Uber Formelbücher vom dreixehnten bis zum sechzehnten Jahrhundert als rechtsgeschichtliche Quellen, Münchner Habilitationsschrift, München, Chr. Kaiser, 1855; Uber Briefsteller und Formelbücher in Deutschland während des Mittelalters, Münchner Aka- demie-Vortrag, München 1861. — Einen Versuch eines Corpus formulariorum enthält Rockingers Auswahl von Texten aus siebzehn einschlägigen Werken: Briefsteller und Formelbücher des 11. bis 14. Jahrhunderts (Quellen und Erörte- rungen zur bayerischen und deutschen Geschichte, 9. Bd., 1. Abt.), München, G. Franz, 1863 (mit reichhaltiger Einleitung).
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Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. einen Kommentar über die einzelnen darin vorkommenden stilistischen Erscheinungen anknüpfen. Die Anordnung der Briefe ist nach Ständen. Und die für die einzelnen Stände nach dem Kurialstil erforderlichen Abstufungen der Beiworte in der Adresse (Superscripcio) und in der Devotionsformel der einleitenden Begrüßung (Salutacio) werden mit beson- derer Sorgfalt festgestellt und durch Beispiele erläutert. Das Bedeutsame an diesen beiden Formularbüchern ist nicht ihr Vor- rat an historischem Brief- oder Urkundenmaterial. Vergeblich sucht man darin nach originalen wichtigeren Aktenstücken zur politischen Geschichte, wie sie manches Formelbuch des deutschen Mittelalters bietet, im 14. Jahr- hundert namentlich die Summa cancellarie Karoli IV., d. h. die aus Briefen der Kanzlei Karls IV. von Johann von Neumarkt zusammen- gestellte Sammlung, oder der Collectarius perpetuarum formarum seines Schülers, des Johann von Gelnhausen1. Auch findet man hier nicht Schulübungen, d. h. fingierte Briefe, von hervorragendem geistigem Gehalt oder einer ungewöhnlichen, ausgeprägten Individualität. 1) Vgl. über ihn die aus Breßlaus Schule hervorgegangene verdienstliche Untersuchung von Hans Kaiser (Straßburger Dissertation 1898) und des- selben wertvolle Ausgabe des Collectarius perpetuarum formarum (Innsbruck, Wagner, 1900) sowie meine urkundlichen Nachweise, die den zuerst von mir bis 1387 ats Stadtschreiber in Brünn nachgewiesenen (Zentralbl. f. Bibliotheks- wesen 1891, S. 157 Anm. = Vom Mittelalt. xur Refom. 11, S. 34 Anm. 1) Johann von Gelnhausen als Stadtschreiber von Iglau für 1400—1404 ermittelten und so seinen Lebensgang endlich klarstellten, in meiner eingehenden, leider durch einen Lapsus calami (s. unten S. 7 Anm. 1, Z. 10 f.) entstellten Anzeige der Dissertation Kaisers (D. Literaturxeit. 1898, Sp. 1963 ff.). Daselbst berichtigte ich auch meine irreführende frühere Identifixierung des Johann von Geln- hausen mit dem beträchtlich älteren Brünner Stadtschreiber Johannes, dem Verfasser des berühmten illustrierten Schöffenbuchs im Brünner Stadtarchiv (Zentralbl. f. Bibliotheksw. 1891, S. 157f. = V. Mittelalt zur Reform. 11, S. 34f.), der Kaiser unter überreichlicher Belobigung meiner Arbeit allxu willig gefolgt war. Zugleich machte ich einige sachliche und, wie ich auch heute glaube, begründete Ausstellungen an der von mir im ganxen als vortrefflich anerkannten Leistung, wodurch ich leider die Gunst des geehrten Verfassers verscherzte und seinen lebhaften Unwillen erregte, der in dem Vorwort seiner Ausgabe S. VIIf. Anm. 2 sich gegen mich, wie mir noch jetxt nach zweiundzwanzig Jahren scheinen will, in unverdientem Maße entlud und jetxt plötzlich mit ungerechter Nichtbeachtung meiner neuen, doch unleugbar wichtigen Nachweise Vergeltung übte. — Eine umfassende und in gewisser Hinsicht abschließende kritisch- historische Studie über Johann von Gelnhausen mit erschöpfender Berücksich- tigung der gesamten früheren Forschung und wertvollen neuen Ergebnissen auf Grund eindringender Kenntnis aller Handschriften gab B. Bretholz, Zeit- schrift für die Geschichte Mährens, 7. Jahrg. 1903, Heft 1—2 (daxu Ergänzungen von Wibel, Neues Archiv d. Gesellsch. f. ältere deutsche Geschichtskunde, Bd. 28, S. 768 Nr. 371; Bretholz ebd. 29, S. 490—494; Wibel ebd. 30, S. 192 f.).
Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. einen Kommentar über die einzelnen darin vorkommenden stilistischen Erscheinungen anknüpfen. Die Anordnung der Briefe ist nach Ständen. Und die für die einzelnen Stände nach dem Kurialstil erforderlichen Abstufungen der Beiworte in der Adresse (Superscripcio) und in der Devotionsformel der einleitenden Begrüßung (Salutacio) werden mit beson- derer Sorgfalt festgestellt und durch Beispiele erläutert. Das Bedeutsame an diesen beiden Formularbüchern ist nicht ihr Vor- rat an historischem Brief- oder Urkundenmaterial. Vergeblich sucht man darin nach originalen wichtigeren Aktenstücken zur politischen Geschichte, wie sie manches Formelbuch des deutschen Mittelalters bietet, im 14. Jahr- hundert namentlich die Summa cancellarie Karoli IV., d. h. die aus Briefen der Kanzlei Karls IV. von Johann von Neumarkt zusammen- gestellte Sammlung, oder der Collectarius perpetuarum formarum seines Schülers, des Johann von Gelnhausen1. Auch findet man hier nicht Schulübungen, d. h. fingierte Briefe, von hervorragendem geistigem Gehalt oder einer ungewöhnlichen, ausgeprägten Individualität. 1) Vgl. über ihn die aus Breßlaus Schule hervorgegangene verdienstliche Untersuchung von Hans Kaiser (Straßburger Dissertation 1898) und des- selben wertvolle Ausgabe des Collectarius perpetuarum formarum (Innsbruck, Wagner, 1900) sowie meine urkundlichen Nachweise, die den zuerst von mir bis 1387 ats Stadtschreiber in Brünn nachgewiesenen (Zentralbl. f. Bibliotheks- wesen 1891, S. 157 Anm. = Vom Mittelalt. xur Refom. 11, S. 34 Anm. 1) Johann von Gelnhausen als Stadtschreiber von Iglau für 1400—1404 ermittelten und so seinen Lebensgang endlich klarstellten, in meiner eingehenden, leider durch einen Lapsus calami (s. unten S. 7 Anm. 1, Z. 10 f.) entstellten Anzeige der Dissertation Kaisers (D. Literaturxeit. 1898, Sp. 1963 ff.). Daselbst berichtigte ich auch meine irreführende frühere Identifixierung des Johann von Geln- hausen mit dem beträchtlich älteren Brünner Stadtschreiber Johannes, dem Verfasser des berühmten illustrierten Schöffenbuchs im Brünner Stadtarchiv (Zentralbl. f. Bibliotheksw. 1891, S. 157f. = V. Mittelalt zur Reform. 11, S. 34f.), der Kaiser unter überreichlicher Belobigung meiner Arbeit allxu willig gefolgt war. Zugleich machte ich einige sachliche und, wie ich auch heute glaube, begründete Ausstellungen an der von mir im ganxen als vortrefflich anerkannten Leistung, wodurch ich leider die Gunst des geehrten Verfassers verscherzte und seinen lebhaften Unwillen erregte, der in dem Vorwort seiner Ausgabe S. VIIf. Anm. 2 sich gegen mich, wie mir noch jetxt nach zweiundzwanzig Jahren scheinen will, in unverdientem Maße entlud und jetxt plötzlich mit ungerechter Nichtbeachtung meiner neuen, doch unleugbar wichtigen Nachweise Vergeltung übte. — Eine umfassende und in gewisser Hinsicht abschließende kritisch- historische Studie über Johann von Gelnhausen mit erschöpfender Berücksich- tigung der gesamten früheren Forschung und wertvollen neuen Ergebnissen auf Grund eindringender Kenntnis aller Handschriften gab B. Bretholz, Zeit- schrift für die Geschichte Mährens, 7. Jahrg. 1903, Heft 1—2 (daxu Ergänzungen von Wibel, Neues Archiv d. Gesellsch. f. ältere deutsche Geschichtskunde, Bd. 28, S. 768 Nr. 371; Bretholz ebd. 29, S. 490—494; Wibel ebd. 30, S. 192 f.).
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I. Charakter und Bedeutung im allgemeinen. 5 Vielmehr werden wir auf ein mittleres, ja man muß sagen auf ein niederes Niveau der Bildung hinabgeführt. In einen Kreis geistiger und materieller Interessen sowie stilistischer Kunst, der uns armselig und halb barbarisch anmutet. Aber wir sehen diesen Kreis hier unmittelbar in seinem echten Wollen und Wirken: das Kleinleben einer zeitlich und räumlich eng begrenzten unteren Bildungsschicht der werdenden Neuzeit. Beide Briefsteller liegen uns vor in sehr fehlerhaften Niederschriften zweier ihrem Charakter nach verwandter und wohl nahezu gleichzeitiger Hände. Beide stehen nach Anlage und Inhalt zueinander in Beziehung. Beide erweisen sich von vornherein als Produkte der Zeit um 1400. Und beide entstammen dem mitteldeutschen Osten, genauer dem schlesisch- böhmischen Grenzgebiet, also recht eigentlich dem Kern des damaligen Königreichs Böhmen. Schlesiens politische Abhängigkeit von Polen hatten 1335 der Tren- tschiner Vertrag, worin der polnische König Kasimir allen Ansprüchen auf Schlesien, soweit es sich unter die Hoheit der Krone Böhmens ge- stellt, entsagt, und die Erneuerung dieses Verzichts im Jahre 1339 ein Ende gemacht. Es handelte sich dabei um die folgenden schlesischen Fürstentümer: Breslau und Glatz, Glogau, Liegnitz und Brieg, Sagan und Crossen, Namslau und Oels, Steinau, Auschnitz, Teschen, Kosel und Beuthen, Falkenberg, Oppeln, Strelitz, Ratibor; am spätesten und erst nach kriegerischem Widerstand hatten die Herzöge von Münsterberg, von Jauer und Fürstenberg und von Schweidnitz die vasallitische Huldi- gung dem König von Böhmen geleistet (1335), auch dann noch in den nächsten Jahren vielfach mit Böhmens Feinden sich verbindend. Darauf hin hatte König Karl IV. am 7. April 1348 Schlesien dem Königtum Böhmen einverleibt, diesen staatsrechtlichen Akt als Kaiser förmlich bekräftigt und durch die Bestätigung seitens der deutschen Kurfürsten legalisiert. Sein Sohn und Nachfolger König Wenzel führte vor seiner Thronbesteigung in seinen Urkunden häufig den Titel Herxog in Schlesien oder Herzog zu Schlesien’. Schlesien bestand hinfort aus dem unmittelbaren Besitz der böhmischen Krone, den Vasallenfürstentümern (einschließlich des dem Bistum gehörigen Grottkauer Herzogtums) und dem Neißer Kirchenland (mit Ottmachau). Dieser Eintritt in den böhmischen Staat war also für Schlesien die Brücke, auf der sich sein Ubergang aus polnischer Botmäßigkeit in den Verband des Deutschen Reiches und den lebendigen Kreislauf der freieren und höheren deutschen Kultur vollzog!. Auch 1 Vgl. Werunsky, Gesch. Kaiser Karls IV. und seiner Zeit 1, S. 143. 147ff. 156f. 380 f.; 2, S. 141; Huber, Regesta imperii unter Kaiser Karl IV., Nr. 653. 2268; Lehns- und Besitzurkunden Schlesiens und seiner Fürsten- tümer im Mittelalter, hrsg. von C. Grünhagen und H. Markgraf, Bd. I (Leipxig 1881), S. 3 ff. 8ff. 12ff.; W. Schulte, Die polit. Tendenx der Cronica principum Polonie, Breslau 1906, S. 2f. 10—14. 19. 28. 32 ff. 37f.
I. Charakter und Bedeutung im allgemeinen. 5 Vielmehr werden wir auf ein mittleres, ja man muß sagen auf ein niederes Niveau der Bildung hinabgeführt. In einen Kreis geistiger und materieller Interessen sowie stilistischer Kunst, der uns armselig und halb barbarisch anmutet. Aber wir sehen diesen Kreis hier unmittelbar in seinem echten Wollen und Wirken: das Kleinleben einer zeitlich und räumlich eng begrenzten unteren Bildungsschicht der werdenden Neuzeit. Beide Briefsteller liegen uns vor in sehr fehlerhaften Niederschriften zweier ihrem Charakter nach verwandter und wohl nahezu gleichzeitiger Hände. Beide stehen nach Anlage und Inhalt zueinander in Beziehung. Beide erweisen sich von vornherein als Produkte der Zeit um 1400. Und beide entstammen dem mitteldeutschen Osten, genauer dem schlesisch- böhmischen Grenzgebiet, also recht eigentlich dem Kern des damaligen Königreichs Böhmen. Schlesiens politische Abhängigkeit von Polen hatten 1335 der Tren- tschiner Vertrag, worin der polnische König Kasimir allen Ansprüchen auf Schlesien, soweit es sich unter die Hoheit der Krone Böhmens ge- stellt, entsagt, und die Erneuerung dieses Verzichts im Jahre 1339 ein Ende gemacht. Es handelte sich dabei um die folgenden schlesischen Fürstentümer: Breslau und Glatz, Glogau, Liegnitz und Brieg, Sagan und Crossen, Namslau und Oels, Steinau, Auschnitz, Teschen, Kosel und Beuthen, Falkenberg, Oppeln, Strelitz, Ratibor; am spätesten und erst nach kriegerischem Widerstand hatten die Herzöge von Münsterberg, von Jauer und Fürstenberg und von Schweidnitz die vasallitische Huldi- gung dem König von Böhmen geleistet (1335), auch dann noch in den nächsten Jahren vielfach mit Böhmens Feinden sich verbindend. Darauf hin hatte König Karl IV. am 7. April 1348 Schlesien dem Königtum Böhmen einverleibt, diesen staatsrechtlichen Akt als Kaiser förmlich bekräftigt und durch die Bestätigung seitens der deutschen Kurfürsten legalisiert. Sein Sohn und Nachfolger König Wenzel führte vor seiner Thronbesteigung in seinen Urkunden häufig den Titel Herxog in Schlesien oder Herzog zu Schlesien’. Schlesien bestand hinfort aus dem unmittelbaren Besitz der böhmischen Krone, den Vasallenfürstentümern (einschließlich des dem Bistum gehörigen Grottkauer Herzogtums) und dem Neißer Kirchenland (mit Ottmachau). Dieser Eintritt in den böhmischen Staat war also für Schlesien die Brücke, auf der sich sein Ubergang aus polnischer Botmäßigkeit in den Verband des Deutschen Reiches und den lebendigen Kreislauf der freieren und höheren deutschen Kultur vollzog!. Auch 1 Vgl. Werunsky, Gesch. Kaiser Karls IV. und seiner Zeit 1, S. 143. 147ff. 156f. 380 f.; 2, S. 141; Huber, Regesta imperii unter Kaiser Karl IV., Nr. 653. 2268; Lehns- und Besitzurkunden Schlesiens und seiner Fürsten- tümer im Mittelalter, hrsg. von C. Grünhagen und H. Markgraf, Bd. I (Leipxig 1881), S. 3 ff. 8ff. 12ff.; W. Schulte, Die polit. Tendenx der Cronica principum Polonie, Breslau 1906, S. 2f. 10—14. 19. 28. 32 ff. 37f.
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6 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. auf kirchlichem Gebiet hatte Karl IV. Schlesiens Abtrennung von Polen erstrebt, indem er das Bistum Breslau aus der Metropolitanschaft Gnesen zu lösen und dem neu errichteten Erzbistum Prag zu unterstellen sich bemühte. Allein dies gelang ihm nicht; der Einfluß des Gnesener Erz- bischofs und des Königs Kasimir von Polen war mächtig genug, es zu verhindern. Die Nachwirkung und Fortdauer jener Versuche, auch für das geistliche Schlesien, das theologisch und allgemein-wissenschaftlich nach der Universität Prag und der Königskanzlei von Prag gravitierte, den hierarchischen Schwerpunkt ganz nach Böhmen zu verlegen, sowie gewisse Gegenwirkungen einer von einzelnen schlesischen Herzögen be- günstigten Partei, die, beseelt von Sympathien für Polen, die böhmische Oberherrschaft zu lockern wünschte, machen sich während der Regierung König Wenxels mehrfach geltendd. 2. Die böhmische Kanzlei. Gerade in jenen Landschaften, die damals unter der Krone Böhmens zusammengefaßt waren, blühte schon früher, seit dem Ende des 13. Jahr- hunderts, dann aber mit neuem, stärkerem Antrieb seit der Regierung des Luxemburgischen Hauses durch den Anstoß Karls IV. und seines Hofkanzlers Johann von Neumarkt die Kanzleitechnik und die theoretisch-praktische Ausbildung der Kanzleisprache im Dienste der Neuordnung und Fixierung der Formen des juristischen und geschäft- lichen Verkehrs, der Beamtenorganisation wie der Zentralisierung der Verwaltung und half den modernen Staats- und Rechtsbegriff, den Geist der modernen Bildung vorbereiten. Eine Massenherstellung von Formular- büchern und Anleitungen zur kanzleigerechten, feierlichen, kolorierten und subtilen Sprachkunst, die doch schon den ersten Hauch frühhuma- nistischer Eloquenz gierig einsog, gab davon eindringlichste Kunde. Die Beredsamkeit dieser Kanzleibeamten des Königsreichs Böhmen steht gleich ihrem Meister Johann von Neumarkt und dessen engerem Schülerkreis, wie ich seit Jahren wiederholt betont habe, noch im Bann jenes rhetorischen Lateinstils der italienischen Ars dictandi2 des 13. Jahr- hunderts, die sich so prunkvoll entfaltet in den mit dem Namen des großen Kanzlers Kaiser Friedrichs II. Petrus de Vinea (Vineis) ver- knüpften Mustersammlungen und in den Lehr- und Formularbüchern 1 W. Schulte a. a. O. S. 39—49. 78f. 170 f. 2 Darüber im allgemeinen L. Rockinger, Die ars dictandi und die Summae dictaminum in Italien, vorzugsweise in der Lombardei vom Aus- gange des 11. bis in die xweite Hälfte des 13. Jahrhunderts, Sitzber. d. königl. bayerischen Akad. d. Wissensch. Jahrg. 1861, Bd. 1, Hist. Klasse, S. 98—151; vgl. auch A. Bütow, Die Entwicklung der mittelalterlichen Briefsteller bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts mit besonderer Berücksichtigung der ars dictandi, Greifswalder Inaug.-Dissert. 1908.
6 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. auf kirchlichem Gebiet hatte Karl IV. Schlesiens Abtrennung von Polen erstrebt, indem er das Bistum Breslau aus der Metropolitanschaft Gnesen zu lösen und dem neu errichteten Erzbistum Prag zu unterstellen sich bemühte. Allein dies gelang ihm nicht; der Einfluß des Gnesener Erz- bischofs und des Königs Kasimir von Polen war mächtig genug, es zu verhindern. Die Nachwirkung und Fortdauer jener Versuche, auch für das geistliche Schlesien, das theologisch und allgemein-wissenschaftlich nach der Universität Prag und der Königskanzlei von Prag gravitierte, den hierarchischen Schwerpunkt ganz nach Böhmen zu verlegen, sowie gewisse Gegenwirkungen einer von einzelnen schlesischen Herzögen be- günstigten Partei, die, beseelt von Sympathien für Polen, die böhmische Oberherrschaft zu lockern wünschte, machen sich während der Regierung König Wenxels mehrfach geltendd. 2. Die böhmische Kanzlei. Gerade in jenen Landschaften, die damals unter der Krone Böhmens zusammengefaßt waren, blühte schon früher, seit dem Ende des 13. Jahr- hunderts, dann aber mit neuem, stärkerem Antrieb seit der Regierung des Luxemburgischen Hauses durch den Anstoß Karls IV. und seines Hofkanzlers Johann von Neumarkt die Kanzleitechnik und die theoretisch-praktische Ausbildung der Kanzleisprache im Dienste der Neuordnung und Fixierung der Formen des juristischen und geschäft- lichen Verkehrs, der Beamtenorganisation wie der Zentralisierung der Verwaltung und half den modernen Staats- und Rechtsbegriff, den Geist der modernen Bildung vorbereiten. Eine Massenherstellung von Formular- büchern und Anleitungen zur kanzleigerechten, feierlichen, kolorierten und subtilen Sprachkunst, die doch schon den ersten Hauch frühhuma- nistischer Eloquenz gierig einsog, gab davon eindringlichste Kunde. Die Beredsamkeit dieser Kanzleibeamten des Königsreichs Böhmen steht gleich ihrem Meister Johann von Neumarkt und dessen engerem Schülerkreis, wie ich seit Jahren wiederholt betont habe, noch im Bann jenes rhetorischen Lateinstils der italienischen Ars dictandi2 des 13. Jahr- hunderts, die sich so prunkvoll entfaltet in den mit dem Namen des großen Kanzlers Kaiser Friedrichs II. Petrus de Vinea (Vineis) ver- knüpften Mustersammlungen und in den Lehr- und Formularbüchern 1 W. Schulte a. a. O. S. 39—49. 78f. 170 f. 2 Darüber im allgemeinen L. Rockinger, Die ars dictandi und die Summae dictaminum in Italien, vorzugsweise in der Lombardei vom Aus- gange des 11. bis in die xweite Hälfte des 13. Jahrhunderts, Sitzber. d. königl. bayerischen Akad. d. Wissensch. Jahrg. 1861, Bd. 1, Hist. Klasse, S. 98—151; vgl. auch A. Bütow, Die Entwicklung der mittelalterlichen Briefsteller bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts mit besonderer Berücksichtigung der ars dictandi, Greifswalder Inaug.-Dissert. 1908.
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I. Charakter und Bedeutung im allgemeinen. seiner Schüler. Aber sie haben wie ihr Lehrer und Vorbild Johann von Neumarkt und dessen Genossen diesen Stil doch schon mehr oder weniger mit jenen neuen Elementen durchsetzt, die aus Rienxos und Petrarcas Wortkunst ihnen erreichbar waren1. 3. Allgemeines über Formularbücher. Der Wert solcher Formularbücher wird für uns desto größer, je mehr sie örtliche und persönliche Elemente enthalten. Es herrscht ja im allgemeinen bei den Verfassern von Musterbüchern für den Kanzlei- bedarf der Trieb zum Schema. Das gilt sowohl für die Klasse der Briefsteller mit mehr oder minder treu bewahrtem geschichtlichen Inhalt als auch für die Klasse jener, die in stärkerem oder schwächerem Grade ihre Schriftstücke fingieren. In der ersten Klasse besteht fast immer, 1 Hierüber soll die Neubearbeitung des ersten Bandes dieses Werkes im Zusammenhang sprechen. Einstweilen vgl. meine frihere, an folgenden Stellen gegebene Darstellung: V. Ma. z. Reform. 11 (Halle 1893), S. 23—39. 42—47. 47—50 (mit Berichtigung S. 134). 71—83. 100—108 (= Zentralbl. f. Bibl. 1891, Bd. 8, S. 146—162. 165—170. 170—173. 343f. 433—443. 461—468) und Vor- rede S. VIII; Literarisches Zentralblatt 1892, 20. Februar, Sp. 241; Zur Gesch. d. nhd. Schriftsprache, Forschungen zur deutschen Philologie, Festgabe für Rud. Hildebrand, Leipxig, Veit u. Co., 1894, S. 307—309; Literar. Zentralbl. 1898, 23. April, Sp. 653 f.; Deutsche Literaturxeitung 1898, Nr. 51/52, Sp. 1963—65; (vorher, Sp. 1959, Absatx 2. 3. 3. 4 ist mein ärgerlicher Lapsus xu berichtigen: die Worte die erste' und die zweite' müssen vertauscht werden); 1899, Nr. 2, Sp. 61f.; Walther von der Vogelweide, Leipxig, Duncker u. Humblot, 1900, Vor- wort, S. XXf.; V. Ma. z. Reform. II, 1 (Rienzo u. die geist. Wandlung seiner Zeit, 1913), S. 8—21. 31—33; Uber den Satzrhythmus der deutschen Prosa, Sitzb. der Berliner Akad. d. Wissensch. 1909, S. 520—522; Uber den Ursprung des Humanismus, Deutsche Rundschau 1914, April, S. 72—81 (= Reformation, Renaissance. Humanismus. Zwei Abhandlungen über die Grundlage moderner Bildung und Sprachkunst, Berlin, Gebr. Paetel, 1918, S. 181—198. 220); Deutsche Renaissance. Betrachtungen über unsere künftige Bildung, Berlin, E. S. Mittler u. Sohn, 1916, S. 38—44, 2. vermehrte Aufl. 1918 (1917) und 3. (anastatischer Abdruck) 1920, S. 32—39. 96; V. Ma. x. Reform. III, 2 (Ein- führung in das Gesamtwerk') S. XXX—XLII. In diesen wiederholten Behand- lungen jenes großen geschichtlichen Vorgangs habe ich auch die ältere wissen- schaftliche Literatur (Pelzel, Palacky, Friedjung, Schlesinger, Grünhagen, Huber, Lindner, Loserth, Ott, Celakovski, Tadra, Novák, Bachmann u. a.) verzeichnet; die wichtigsten Nachweise stehen auch in Breßlaus Handbuch der Urkunden- lehre; eine Ubersicht der bisher bearbeiteten Formelbücher des 13. und 14. Jahr- hunderts gibt F. Schillmann, Deutsche Geschichtsblätter, Bd. 13 (1912), S. 197ff. Hier sei von neuester Forschung genannt nur: K. Hampe, Bei- träge zur Geschichte der letzten Staufer, Leipxig 1910; Konr. Wutke, Uber schlesische Formelbücher des Mittelalters (Darstellungen und Quellen xur schlesi- schen Geschichte, 26. Bd.), Breslau, Ferdinand Hirt, 1919.
I. Charakter und Bedeutung im allgemeinen. seiner Schüler. Aber sie haben wie ihr Lehrer und Vorbild Johann von Neumarkt und dessen Genossen diesen Stil doch schon mehr oder weniger mit jenen neuen Elementen durchsetzt, die aus Rienxos und Petrarcas Wortkunst ihnen erreichbar waren1. 3. Allgemeines über Formularbücher. Der Wert solcher Formularbücher wird für uns desto größer, je mehr sie örtliche und persönliche Elemente enthalten. Es herrscht ja im allgemeinen bei den Verfassern von Musterbüchern für den Kanzlei- bedarf der Trieb zum Schema. Das gilt sowohl für die Klasse der Briefsteller mit mehr oder minder treu bewahrtem geschichtlichen Inhalt als auch für die Klasse jener, die in stärkerem oder schwächerem Grade ihre Schriftstücke fingieren. In der ersten Klasse besteht fast immer, 1 Hierüber soll die Neubearbeitung des ersten Bandes dieses Werkes im Zusammenhang sprechen. Einstweilen vgl. meine frihere, an folgenden Stellen gegebene Darstellung: V. Ma. z. Reform. 11 (Halle 1893), S. 23—39. 42—47. 47—50 (mit Berichtigung S. 134). 71—83. 100—108 (= Zentralbl. f. Bibl. 1891, Bd. 8, S. 146—162. 165—170. 170—173. 343f. 433—443. 461—468) und Vor- rede S. VIII; Literarisches Zentralblatt 1892, 20. Februar, Sp. 241; Zur Gesch. d. nhd. Schriftsprache, Forschungen zur deutschen Philologie, Festgabe für Rud. Hildebrand, Leipxig, Veit u. Co., 1894, S. 307—309; Literar. Zentralbl. 1898, 23. April, Sp. 653 f.; Deutsche Literaturxeitung 1898, Nr. 51/52, Sp. 1963—65; (vorher, Sp. 1959, Absatx 2. 3. 3. 4 ist mein ärgerlicher Lapsus xu berichtigen: die Worte die erste' und die zweite' müssen vertauscht werden); 1899, Nr. 2, Sp. 61f.; Walther von der Vogelweide, Leipxig, Duncker u. Humblot, 1900, Vor- wort, S. XXf.; V. Ma. z. Reform. II, 1 (Rienzo u. die geist. Wandlung seiner Zeit, 1913), S. 8—21. 31—33; Uber den Satzrhythmus der deutschen Prosa, Sitzb. der Berliner Akad. d. Wissensch. 1909, S. 520—522; Uber den Ursprung des Humanismus, Deutsche Rundschau 1914, April, S. 72—81 (= Reformation, Renaissance. Humanismus. Zwei Abhandlungen über die Grundlage moderner Bildung und Sprachkunst, Berlin, Gebr. Paetel, 1918, S. 181—198. 220); Deutsche Renaissance. Betrachtungen über unsere künftige Bildung, Berlin, E. S. Mittler u. Sohn, 1916, S. 38—44, 2. vermehrte Aufl. 1918 (1917) und 3. (anastatischer Abdruck) 1920, S. 32—39. 96; V. Ma. x. Reform. III, 2 (Ein- führung in das Gesamtwerk') S. XXX—XLII. In diesen wiederholten Behand- lungen jenes großen geschichtlichen Vorgangs habe ich auch die ältere wissen- schaftliche Literatur (Pelzel, Palacky, Friedjung, Schlesinger, Grünhagen, Huber, Lindner, Loserth, Ott, Celakovski, Tadra, Novák, Bachmann u. a.) verzeichnet; die wichtigsten Nachweise stehen auch in Breßlaus Handbuch der Urkunden- lehre; eine Ubersicht der bisher bearbeiteten Formelbücher des 13. und 14. Jahr- hunderts gibt F. Schillmann, Deutsche Geschichtsblätter, Bd. 13 (1912), S. 197ff. Hier sei von neuester Forschung genannt nur: K. Hampe, Bei- träge zur Geschichte der letzten Staufer, Leipxig 1910; Konr. Wutke, Uber schlesische Formelbücher des Mittelalters (Darstellungen und Quellen xur schlesi- schen Geschichte, 26. Bd.), Breslau, Ferdinand Hirt, 1919.
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8 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. wenn auch abgestuft, die Neigung, die benutzten realen Unterlagen, also die aufgenommenen oder nachgebildeten Briefe und Urkunden ihres per- sönlichen und lokalen Gehaltes möglichst zu entleeren1, zuweilen auch der Grundsatz, gewisse typische Wendungen des Diktats (z. B. die Pön- formeln, die Korroborationsformeln) abzukürzen. Und auch in der andern Klasse, der fingierenden, werden die frei erfundenen Musterstücke vielfach ganz im farblosen Allgemeinen gehalten, frei von konkreten An- führungen bestimmter Personen oder Gegenden. Aber zum Glück ist dieses Streben nach einem sozusagen völlig abstrakten Schema der kanzlei- gemäßen Redetypen selten konsequent durchgeführt und auf die Spitze getrieben. Das verhindert der dem Menschen angeborene Drang zu fabulieren, der sich auch in dieser Sphäre geschäftlicher Schriftstellerei nicht ganz unterdrücken läßt. Und die Göttin Phantasie übt über Ge- danken und Federn selbst dieser trockensten Skribenten oft noch eine gewisse Macht aus. Der moderne Geschichtsforscher, sofern es ihm um mehr zu tun ist als um die bloße Feststellung der politischen Haupt- und Staatsaktionen, muß diese unbewußte Wirkung ästhetischer oder literarischer Bedürfnisse dankbar preisen. Gleichviel, ob dabei die ge- schichtliche Wahrheit im strengsten Sinn zu ihrem Recht kommt. Bei der Wertung der fiktiven Bestandteile dieser Briefmustersamm- lungen darf man jedoch nie Erfindung im modernen Sinn erwarten und verlangen. Was wir heute unter Originalität und schöpferischer Freiheit verstehen, das ist der gesamten Schriftstellerei und Dichtung des Mittelalters fremd, wie es ja auch dem ganx auf Stil und Tradition gegründeten griechisch-römischen Altertum nicht Bedürfnis gewesen war, und auch der Humanismus vom 14. bis ins 17. Jahrhundert bleibt noch weit entfernt von dem modernen Begriff des literarischen Eigentums, so ausgiebig er polemisch den Vorwurf des Plagiats zu verwenden weiß. In erster Reihe und am stärksten fällt uns dieser Mangel an Originali- tätsbedürfnis natürlich auf im Stofflichen. Und hier bedingt er offenbar einen Vorzug der älteren Kunst vor der modernen. Aber er besteht, freilich in geringerem Maße, auch in der Darstellung. Allein die unbe- fangenen Sueton- und Sallust-Anleihen der mittelalterlichen Geschicht- schreiber, die kunstbewußten Seneca-, Livius-, Cicero- und Vergil-Imita- tionen der Humanisten, anderseits die festen deutschen Stiltypen in der Spielmannsdichtung, im Heldenepos, im höfischen Roman, im Minnesang, in den Rechtsbüchern zeigen, wenn hier auch beträchtliche Gradunter- 1 Franz Palacky hat in seiner 1840 vorgetragenen grundlegenden Unter- suchung: Uber Formelbücher, xunächst in bezug auf böhmische Geschichte, I. Lieferung, Abhandlungen der Königl. Böhmischen Gesellschaft der Wissen- schaften, 5. Folge, 2. Bd., Prag 1843, S. 219—221, nach dem Grad und der Art, wie diese Weglassung der individuellen Bestandteile durchgeführt worden ist, die Formelbücher in vier Klassen gruppiert.
8 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. wenn auch abgestuft, die Neigung, die benutzten realen Unterlagen, also die aufgenommenen oder nachgebildeten Briefe und Urkunden ihres per- sönlichen und lokalen Gehaltes möglichst zu entleeren1, zuweilen auch der Grundsatz, gewisse typische Wendungen des Diktats (z. B. die Pön- formeln, die Korroborationsformeln) abzukürzen. Und auch in der andern Klasse, der fingierenden, werden die frei erfundenen Musterstücke vielfach ganz im farblosen Allgemeinen gehalten, frei von konkreten An- führungen bestimmter Personen oder Gegenden. Aber zum Glück ist dieses Streben nach einem sozusagen völlig abstrakten Schema der kanzlei- gemäßen Redetypen selten konsequent durchgeführt und auf die Spitze getrieben. Das verhindert der dem Menschen angeborene Drang zu fabulieren, der sich auch in dieser Sphäre geschäftlicher Schriftstellerei nicht ganz unterdrücken läßt. Und die Göttin Phantasie übt über Ge- danken und Federn selbst dieser trockensten Skribenten oft noch eine gewisse Macht aus. Der moderne Geschichtsforscher, sofern es ihm um mehr zu tun ist als um die bloße Feststellung der politischen Haupt- und Staatsaktionen, muß diese unbewußte Wirkung ästhetischer oder literarischer Bedürfnisse dankbar preisen. Gleichviel, ob dabei die ge- schichtliche Wahrheit im strengsten Sinn zu ihrem Recht kommt. Bei der Wertung der fiktiven Bestandteile dieser Briefmustersamm- lungen darf man jedoch nie Erfindung im modernen Sinn erwarten und verlangen. Was wir heute unter Originalität und schöpferischer Freiheit verstehen, das ist der gesamten Schriftstellerei und Dichtung des Mittelalters fremd, wie es ja auch dem ganx auf Stil und Tradition gegründeten griechisch-römischen Altertum nicht Bedürfnis gewesen war, und auch der Humanismus vom 14. bis ins 17. Jahrhundert bleibt noch weit entfernt von dem modernen Begriff des literarischen Eigentums, so ausgiebig er polemisch den Vorwurf des Plagiats zu verwenden weiß. In erster Reihe und am stärksten fällt uns dieser Mangel an Originali- tätsbedürfnis natürlich auf im Stofflichen. Und hier bedingt er offenbar einen Vorzug der älteren Kunst vor der modernen. Aber er besteht, freilich in geringerem Maße, auch in der Darstellung. Allein die unbe- fangenen Sueton- und Sallust-Anleihen der mittelalterlichen Geschicht- schreiber, die kunstbewußten Seneca-, Livius-, Cicero- und Vergil-Imita- tionen der Humanisten, anderseits die festen deutschen Stiltypen in der Spielmannsdichtung, im Heldenepos, im höfischen Roman, im Minnesang, in den Rechtsbüchern zeigen, wenn hier auch beträchtliche Gradunter- 1 Franz Palacky hat in seiner 1840 vorgetragenen grundlegenden Unter- suchung: Uber Formelbücher, xunächst in bezug auf böhmische Geschichte, I. Lieferung, Abhandlungen der Königl. Böhmischen Gesellschaft der Wissen- schaften, 5. Folge, 2. Bd., Prag 1843, S. 219—221, nach dem Grad und der Art, wie diese Weglassung der individuellen Bestandteile durchgeführt worden ist, die Formelbücher in vier Klassen gruppiert.
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I. Charakter und Bedeutung im allgemeinen. 9 schiede des individuellen Gehalts anzuerkennen sind, in der älteren Zeit für Latein und Landessprache, Poesie und Prosa dasselbe Bild eines nach heutigem Empfinden schwach entwickelten Anspruchs auf Neuheit und Selbständigkeit des sprachlichen Stils. Und die oft beliebte preziöse Manier mit ihrer Häufung entlegenster Worte und mit ihrer Sucht nach dunklen, schwülstigen Epitheten, Umschreibungen, Metaphern kann daran nichts ändern. Vollends in der Sphäre der Kanzlei, in der geschäftlichen Sprach- kunst, schon in den originalen Urkunden und Briefen, deren stilistische Vorlagen ja Formulare zu sein pflegten, die ihren Stamm- baum zurückführen bis in die beste Zeit des römischen Altertums 1, noch mehr aber in den fiktiven Elementen der mittelalterlichen und früh- humanistischen Formulare und Briefsteller lebt mit ungeheurer Zähigkeit eine ganz alte, vielschichtige und weitverzweigte Tradition. Die Wurzeln dieser Tradition liegen in den Topoi und Typen der antiken Rhethorik, die im Laufe des Mittelalters an verschiedenen Stellen mehr- mals schulmäßig um- und fortgebildet worden ist und so einen newen vulgären Kanon in mehrfachen Abwandlungen hervorbrachte. Die Stiltradition der Kanzlei, deren Werden, Wege und Wandlungen vom sprach- und formgeschichtlich literarischen Standpunkt aus noch zu erforschen sind, bewegt sich, was man sich klar machen muß und nie vergessen darf, in einem seltsamen Kreislauf. Unter Benutzung von Formularen und Formularbüchern entstanden schon die ältesten öffentlichen Urkunden und Briefe des Mittelalters, und aus diesen Originalurkunden und Originalbriefen wurden aufs neuc immer wieder Formularbücher zusammengestellt oder abgeleitet, die ihrerscits abermals als Muster dienen für neue Urkunden und Briefe. So ist auf diesem Gebiet der schrift- lichen Gestaltung der Sprache stets die schriftstellerische Produktion, der Bericht und die Darstellung der bestimmten Tatsachen und Willensakte verflochten mit bewußter sprachlich-stilistischer Theorie, mit der Anlehnung an Muster oder Vorlagen. Unter dieser einschränkenden Voraussetzung ihres unselbständigen, von vielfältiger Tradition bedingten Charakters sind auch die ausschmückenden oder erdichtenden Formularbücher wichtige, d. h. mit der notwendigen Kritik verwertet, nützliche historische Quellen. Auch sie haben zunächst unter allen Umständen eine formale Bedeutung: als Zeugen für einen bestimmten Kanzleistil sind sie willkommen, mögen sic selbst vom Stand- punkt der Diplomatik aus unauthentische, willkürliche oder nachlässige Formen der Rede und der Technik des Urkundentypus anwenden. Sie 1 Vgl. hierzu die lichtvollen Darlegungen von Harry Breßlau, Handbuch der Urkundenlehre Kap. 11 (Die Vorlagen der Urkundenschreiber. Die Formu- lare') und 12 (Das Verhältnis der Nachbildungen zu den Vorlagen'), Leipzig 1889, S. 608 ff. 656 ff. [2. Aufl. Bd. II, 1, (1915), Kap. 13. 14, S. 225 ff. 297 ff.].
I. Charakter und Bedeutung im allgemeinen. 9 schiede des individuellen Gehalts anzuerkennen sind, in der älteren Zeit für Latein und Landessprache, Poesie und Prosa dasselbe Bild eines nach heutigem Empfinden schwach entwickelten Anspruchs auf Neuheit und Selbständigkeit des sprachlichen Stils. Und die oft beliebte preziöse Manier mit ihrer Häufung entlegenster Worte und mit ihrer Sucht nach dunklen, schwülstigen Epitheten, Umschreibungen, Metaphern kann daran nichts ändern. Vollends in der Sphäre der Kanzlei, in der geschäftlichen Sprach- kunst, schon in den originalen Urkunden und Briefen, deren stilistische Vorlagen ja Formulare zu sein pflegten, die ihren Stamm- baum zurückführen bis in die beste Zeit des römischen Altertums 1, noch mehr aber in den fiktiven Elementen der mittelalterlichen und früh- humanistischen Formulare und Briefsteller lebt mit ungeheurer Zähigkeit eine ganz alte, vielschichtige und weitverzweigte Tradition. Die Wurzeln dieser Tradition liegen in den Topoi und Typen der antiken Rhethorik, die im Laufe des Mittelalters an verschiedenen Stellen mehr- mals schulmäßig um- und fortgebildet worden ist und so einen newen vulgären Kanon in mehrfachen Abwandlungen hervorbrachte. Die Stiltradition der Kanzlei, deren Werden, Wege und Wandlungen vom sprach- und formgeschichtlich literarischen Standpunkt aus noch zu erforschen sind, bewegt sich, was man sich klar machen muß und nie vergessen darf, in einem seltsamen Kreislauf. Unter Benutzung von Formularen und Formularbüchern entstanden schon die ältesten öffentlichen Urkunden und Briefe des Mittelalters, und aus diesen Originalurkunden und Originalbriefen wurden aufs neuc immer wieder Formularbücher zusammengestellt oder abgeleitet, die ihrerscits abermals als Muster dienen für neue Urkunden und Briefe. So ist auf diesem Gebiet der schrift- lichen Gestaltung der Sprache stets die schriftstellerische Produktion, der Bericht und die Darstellung der bestimmten Tatsachen und Willensakte verflochten mit bewußter sprachlich-stilistischer Theorie, mit der Anlehnung an Muster oder Vorlagen. Unter dieser einschränkenden Voraussetzung ihres unselbständigen, von vielfältiger Tradition bedingten Charakters sind auch die ausschmückenden oder erdichtenden Formularbücher wichtige, d. h. mit der notwendigen Kritik verwertet, nützliche historische Quellen. Auch sie haben zunächst unter allen Umständen eine formale Bedeutung: als Zeugen für einen bestimmten Kanzleistil sind sie willkommen, mögen sic selbst vom Stand- punkt der Diplomatik aus unauthentische, willkürliche oder nachlässige Formen der Rede und der Technik des Urkundentypus anwenden. Sie 1 Vgl. hierzu die lichtvollen Darlegungen von Harry Breßlau, Handbuch der Urkundenlehre Kap. 11 (Die Vorlagen der Urkundenschreiber. Die Formu- lare') und 12 (Das Verhältnis der Nachbildungen zu den Vorlagen'), Leipzig 1889, S. 608 ff. 656 ff. [2. Aufl. Bd. II, 1, (1915), Kap. 13. 14, S. 225 ff. 297 ff.].
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Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. 10 sind aber auch sachlich wertvoll, wenn sie lebendige, anschauliche Kunde, sei es der gleichzeitigen Wirklichkeit, sei es auch ihres mehr oder minder gefärbten Spiegelbildes uns bringen. Das klingt sehr selbstverständlich. Es ausxusprechen ist aber auch heute nicht überflüssig, da die Formular- bücher immer noch viel zu ausschließlich als Quellen und Hilfsmittel der politischen Geschichte und der Diplomatik oder auch, wenngleich schon viel weniger, der Rechts- und Verfassungsgeschichte ausgebeutet werden. Sie verdienen aber auch volle Beachtung für die Geschichte der literarischen Motive, Formen, Strömungen und für die Geschichte des Stils wie der allgemeinen geistigen und materiellen Kultur. Die methodische Untersuchung des Stils der mittelalterlichen Urkunden hat zuerst Theodor Sickeli, sichtlich unter der Nachwirkung seines von ihm hoch verehrten philologischen Lehrers Karl Lachmann, in die Diplomatik eingeführt. Aber sie diente ihm und seiner Schule nur als Mittel der Urkundenkritik. Als solches hat Harry Breßlau, Handbuch der Urkundenlehre S. 456 ff. 583 ff. [2. Aufl. I (1912), S. 610. 612ff.; II, 1 (1915), S. 355ff.] sie mit gesundem Blick gewürdigt, treff- liche Anweisungen dazu gegeben und den Nutzen wie die Grenxen ihrer Verwendung erläutert. Davon verschieden aber ist die rein literarische, formgeschichtliche und bildungsgeschichtliche Betrachtung des Stils der mittelalterlichen Urkunden und Briefe, die ich hier im Sinne habe. Sie ist von mir in der ersten Auflage dieses Werkes (Vom Mittelalter zur Reformation 1 [1893], S. 74 ff. 100—107 = Zentralbl. f. Bibl. 1891, Bd. 8, S. 435 ff. 460—468) mit Nachdruck gefordert und versucht worden. Und dieser Forderung hat Breßlau in der 2. Auflage seines Handbuchs, Bd. I (1912), S. 549 Anm. 4 grundsätzlich zugestimmt. Ergiebiger aber als die Urkunden und Briefe selbst sind für diese Stiluntersuchung die Formularbücher (Formelbücher), weil sie ja einerseits deren Vorbilder sind, anderseits in ihrer Anlage, in der Auswahl und Textgestaltung der Diktate mitbestimmend auch den sprachlich-stilistischen Gesichtspunkt walten lassen. 4. Bildungsgeschichtliches. Es gab in Schlesien bereits zur polnischen Zeit vor der mit dem zweiten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts stärker einsetzenden deutschen Kolonisation eine Kathedralschule am Breslauer Dom (1212 bexeugt) und einige Klosterschulen und Kollegiatstiftschulen, z. B. die Schule der Prämonstratenser von St. Vinzenz auf dem Elbing bei Breslau (1204), aber nur ganz wenige Pfarrschulen2. Es wurde in allen das Trivium 1 Dieser Verehrung gab Sickel warmen Ausdruck in der für seine Hallische Promotion (18. August 1850) verfaßten Vita, die ich, als zu seinem fünfzig- jährigen Doktorjubiläum die philosophische Fakultät der Universität Halle ihm sein Diplom erneuerte, in deren Akten kennen lernte. 2 Für eine quellenmäßige Erkenntnis des schlesischen Schulwesens im aus-
Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. 10 sind aber auch sachlich wertvoll, wenn sie lebendige, anschauliche Kunde, sei es der gleichzeitigen Wirklichkeit, sei es auch ihres mehr oder minder gefärbten Spiegelbildes uns bringen. Das klingt sehr selbstverständlich. Es ausxusprechen ist aber auch heute nicht überflüssig, da die Formular- bücher immer noch viel zu ausschließlich als Quellen und Hilfsmittel der politischen Geschichte und der Diplomatik oder auch, wenngleich schon viel weniger, der Rechts- und Verfassungsgeschichte ausgebeutet werden. Sie verdienen aber auch volle Beachtung für die Geschichte der literarischen Motive, Formen, Strömungen und für die Geschichte des Stils wie der allgemeinen geistigen und materiellen Kultur. Die methodische Untersuchung des Stils der mittelalterlichen Urkunden hat zuerst Theodor Sickeli, sichtlich unter der Nachwirkung seines von ihm hoch verehrten philologischen Lehrers Karl Lachmann, in die Diplomatik eingeführt. Aber sie diente ihm und seiner Schule nur als Mittel der Urkundenkritik. Als solches hat Harry Breßlau, Handbuch der Urkundenlehre S. 456 ff. 583 ff. [2. Aufl. I (1912), S. 610. 612ff.; II, 1 (1915), S. 355ff.] sie mit gesundem Blick gewürdigt, treff- liche Anweisungen dazu gegeben und den Nutzen wie die Grenxen ihrer Verwendung erläutert. Davon verschieden aber ist die rein literarische, formgeschichtliche und bildungsgeschichtliche Betrachtung des Stils der mittelalterlichen Urkunden und Briefe, die ich hier im Sinne habe. Sie ist von mir in der ersten Auflage dieses Werkes (Vom Mittelalter zur Reformation 1 [1893], S. 74 ff. 100—107 = Zentralbl. f. Bibl. 1891, Bd. 8, S. 435 ff. 460—468) mit Nachdruck gefordert und versucht worden. Und dieser Forderung hat Breßlau in der 2. Auflage seines Handbuchs, Bd. I (1912), S. 549 Anm. 4 grundsätzlich zugestimmt. Ergiebiger aber als die Urkunden und Briefe selbst sind für diese Stiluntersuchung die Formularbücher (Formelbücher), weil sie ja einerseits deren Vorbilder sind, anderseits in ihrer Anlage, in der Auswahl und Textgestaltung der Diktate mitbestimmend auch den sprachlich-stilistischen Gesichtspunkt walten lassen. 4. Bildungsgeschichtliches. Es gab in Schlesien bereits zur polnischen Zeit vor der mit dem zweiten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts stärker einsetzenden deutschen Kolonisation eine Kathedralschule am Breslauer Dom (1212 bexeugt) und einige Klosterschulen und Kollegiatstiftschulen, z. B. die Schule der Prämonstratenser von St. Vinzenz auf dem Elbing bei Breslau (1204), aber nur ganz wenige Pfarrschulen2. Es wurde in allen das Trivium 1 Dieser Verehrung gab Sickel warmen Ausdruck in der für seine Hallische Promotion (18. August 1850) verfaßten Vita, die ich, als zu seinem fünfzig- jährigen Doktorjubiläum die philosophische Fakultät der Universität Halle ihm sein Diplom erneuerte, in deren Akten kennen lernte. 2 Für eine quellenmäßige Erkenntnis des schlesischen Schulwesens im aus-
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I Charakter und Bedeutung im allgemeinen. 11 (Grammatik, Rhetorik, Dialektik) gelehrt, teilweise auch das Quadrivium der mittelalterlichen Fachwissenschaften. Mit der deutschen Besiedlung aber erblühte in Schlesien auch eine deutsche, d. h. eine von deutschen Lehrern geleitete Schule, und nun nahm Ausbreitung und Vertiefung des Schulunterrichts einen höheren Aufschwung. Man kann sagen: wo deutsche Kolonisten ein Gotteshaus bauten, eine Pfarrkirche errichteten, da gründeten sie auch eine Schule, und nirgends gab es einen Glöckner, wo sich nicht auch ein Schulmeister befunden hätte. Die jungen deut- schen Gemeinwesen im slavischen Koloniallande bedurften für ihre Selbst- verwaltung und die durch die Bürgerschaft selbst geübte Gerichtsbarkeit fast mehr noch als die alten Städte im westlichen Mutterlande der Schulbildung und daher eines geregelten Schulwesens. So schen wir in Schlesien schon früh wie im alten deutschen Stammgebiet das Amt des Stadtschreibers häufig mit dem des Schulrektors vereint. In nicht weniger als 21 kleineren schlesischen Stadtgemeinden sind seit dem 13. Jahrhundert die Schulmeister zugleich auch Stadtschreiber. So in Schweidnitz schon 1284, in Striegau 1305 und 1428, in Reichenbach 1343. Alle diese Stadtschulen oder richtiger städtische Pfarrschulen, deren Rektor vom Rat der Stadt gewählt wurde, lagen in der Nähe der Pfarrkirche und standen in engem Zusammenhang mit der Kirche und kirchlichen Funktionen. Den Inhalt des Unterrichts bildete das Trivium; die Knaben lernten auch das Vaterunser, Ave Maria, Glaubensbekenntnis, die sieben Bußpsalmen, Gesang und die Anfänge der lateinischen Sprache. Der Schulmeister hatte klerikale Bildung, meist auch die niedern geistlichen Weihen. Aber wie er, namentlich in kleineren Städten, häufig Stadtnotar wurde, so konnte er auch die Ratsherrnwürde erlangen. Neben ihm unterrichteten an man- chen Orten auch Gehilfen (Gesellen’). Ihren Unterhalt bestritten sie aus gehenden Mittelalter haben die ungemein verdienstlichen Arbeiten von Wilhelm Schulte (später: Fr. Lambert Schulte, O. F. M.) den Grund gelegt, auf dem die Nachfolger weiterbauen. Vgl. von ihm: Zur Geschichte des mittelalterlichen Schulwesens in Breslau, Zeitschr. f. Gesch. Schlesiens 36. Bd. (1901), S. 72—90; Die Entwicklung der Parochialverfassung und des höheren Schulwesens Schle- siens im Mittelalter, ebd. S. 399—404; Schulbildung als Bedingung für das Bürgerrecht in den schlesischen Städten des Mittelalters, ebd. 45. Bd. (1911, S. 345—347; Urkundliche Beiträge xur Geschichte des schlesischen Schulwesens im Mittelalter, Wissensch. Beilage xum Programm d. kathol. Gymnas. in Glatz 1902; Nachträge, Progr. 1905. Ferner: H. Schubert, Gelehrie Bildung in Schweidnitz im 15. und 16. Jahrhundert, Zeitschr. f. Gesch. Schlesiens 37. Bd. (1903), S. 169—202 (in der Beilage S. 190 ff. auch Nachweise der Universitäts- besucher aus Schweidnitx im 15. und 16. Jahrhundert); Derselbe, Die alte erangelische Lateinschule und das gesamte Sehulwesen in Schweidnitz, Bilde. aus der Geschichte der Stadt Schweidnitz, Schweidnitz 1911, S. 287 ff. (auch in Sonderausgabe Schweidnitz, Herge, 1912). Endlich eine vortreffliche Zu- sammenfassung: P. Athanasius Burda, O. F. M., Untersuchungen xur mittelalterlichen Schulgeschichte im Bistum Breslau, Breslau, Aderholz, 1916.
I Charakter und Bedeutung im allgemeinen. 11 (Grammatik, Rhetorik, Dialektik) gelehrt, teilweise auch das Quadrivium der mittelalterlichen Fachwissenschaften. Mit der deutschen Besiedlung aber erblühte in Schlesien auch eine deutsche, d. h. eine von deutschen Lehrern geleitete Schule, und nun nahm Ausbreitung und Vertiefung des Schulunterrichts einen höheren Aufschwung. Man kann sagen: wo deutsche Kolonisten ein Gotteshaus bauten, eine Pfarrkirche errichteten, da gründeten sie auch eine Schule, und nirgends gab es einen Glöckner, wo sich nicht auch ein Schulmeister befunden hätte. Die jungen deut- schen Gemeinwesen im slavischen Koloniallande bedurften für ihre Selbst- verwaltung und die durch die Bürgerschaft selbst geübte Gerichtsbarkeit fast mehr noch als die alten Städte im westlichen Mutterlande der Schulbildung und daher eines geregelten Schulwesens. So schen wir in Schlesien schon früh wie im alten deutschen Stammgebiet das Amt des Stadtschreibers häufig mit dem des Schulrektors vereint. In nicht weniger als 21 kleineren schlesischen Stadtgemeinden sind seit dem 13. Jahrhundert die Schulmeister zugleich auch Stadtschreiber. So in Schweidnitz schon 1284, in Striegau 1305 und 1428, in Reichenbach 1343. Alle diese Stadtschulen oder richtiger städtische Pfarrschulen, deren Rektor vom Rat der Stadt gewählt wurde, lagen in der Nähe der Pfarrkirche und standen in engem Zusammenhang mit der Kirche und kirchlichen Funktionen. Den Inhalt des Unterrichts bildete das Trivium; die Knaben lernten auch das Vaterunser, Ave Maria, Glaubensbekenntnis, die sieben Bußpsalmen, Gesang und die Anfänge der lateinischen Sprache. Der Schulmeister hatte klerikale Bildung, meist auch die niedern geistlichen Weihen. Aber wie er, namentlich in kleineren Städten, häufig Stadtnotar wurde, so konnte er auch die Ratsherrnwürde erlangen. Neben ihm unterrichteten an man- chen Orten auch Gehilfen (Gesellen’). Ihren Unterhalt bestritten sie aus gehenden Mittelalter haben die ungemein verdienstlichen Arbeiten von Wilhelm Schulte (später: Fr. Lambert Schulte, O. F. M.) den Grund gelegt, auf dem die Nachfolger weiterbauen. Vgl. von ihm: Zur Geschichte des mittelalterlichen Schulwesens in Breslau, Zeitschr. f. Gesch. Schlesiens 36. Bd. (1901), S. 72—90; Die Entwicklung der Parochialverfassung und des höheren Schulwesens Schle- siens im Mittelalter, ebd. S. 399—404; Schulbildung als Bedingung für das Bürgerrecht in den schlesischen Städten des Mittelalters, ebd. 45. Bd. (1911, S. 345—347; Urkundliche Beiträge xur Geschichte des schlesischen Schulwesens im Mittelalter, Wissensch. Beilage xum Programm d. kathol. Gymnas. in Glatz 1902; Nachträge, Progr. 1905. Ferner: H. Schubert, Gelehrie Bildung in Schweidnitz im 15. und 16. Jahrhundert, Zeitschr. f. Gesch. Schlesiens 37. Bd. (1903), S. 169—202 (in der Beilage S. 190 ff. auch Nachweise der Universitäts- besucher aus Schweidnitx im 15. und 16. Jahrhundert); Derselbe, Die alte erangelische Lateinschule und das gesamte Sehulwesen in Schweidnitz, Bilde. aus der Geschichte der Stadt Schweidnitz, Schweidnitz 1911, S. 287 ff. (auch in Sonderausgabe Schweidnitz, Herge, 1912). Endlich eine vortreffliche Zu- sammenfassung: P. Athanasius Burda, O. F. M., Untersuchungen xur mittelalterlichen Schulgeschichte im Bistum Breslau, Breslau, Aderholz, 1916.
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Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. 12 dem Schulgeld und durch kirchliche Leistungen, besonders halfen sie im Altardienst und im Chorgesang der Kirche und bei Begräbnissen. Neben diesen städtischen Parochialschulen mehrten sich im Laufe des 14. Jahrhunderts die übrigen Schulen, die von vornherein ausschließlich oder wenigstens überwiegend für kirchliche Bedürfnisse und Zwecke be- stimmt waren: die nicht zahlreichen Klosterschulen und namentlich die Kollegiatstiftschulen. Uber allen thronte als bedeutendste die Breslauer Kathedralschule, wo nicht bloß das Trivium, sondern auch das Quadri- vium gelehrt wurde und darüber hinaus eine Lektur für Theologie zu wissenschaftlichem Studium den Zugang öffnete. Seit der Mitte des 14. Jahrhunderts kommt auch im schlesischen Schulwesen jene geistige Wandlung zur Geltung, die im Zusammenhang darzustellen dem ersten Bande des gegenwärtigen Werkes vorbehalten bleibt. Die starken neuen Impulse, die damals der deutschen Kultur des Ostens einen veränderten Willen schaffen, der sich neue Wege sucht zu einem höheren Ziel, wirken bis in den Betrieb und die Theorie des elementaren Schulunterrichts. Es war die Zeit, da man in Schweidnitz und andern Städten Schlesiens das Bürgerrecht an die Bedingung der Schulbildung, d. h. der Kenntnis des Schreibens und Lesens knüpfte. Fast jede kleine Stadt besaß nun eine Lateinschule, der ein graduierter Kleriker vorstand. Die kleine Truppe dieser klerikal gebildeten Rektoren der städtischen Pfarrschulen mit ihren Gehilfen, die zwar mit ihren Schülern auch kirchliche Obliegenheiten übernahmen, aber doch vor allem dem weltlichen Leben dienen wollten, waren die Pioniere der newen Bil- dung, die gegen die Wende des 14. Jahrhunderts in die Geister eindringt. Die beiden erweckenden Mächte der Zeit, Universität und Humanismus, haben das Denken all dieser schlesischen Schulmeister oder Scholaren’, wie sie im allgemeinen Sinne damals auch hießen, unmittelbar oder mittelbar berührt und ihnen, den Führern weiter Kreise, den Trieb der Säkularisierung eingeimpft. Unsere beiden schlesisch-böhmischen Briefsteller aus dem Aufgang des 15. Jahrhunderts sind erfüllt von diesem ihr Zeitalter beherrschenden Trieb nach literarischer Verweltlichung der geistlichen Kultur. Sie spiegeln wieder und bekennen den damals erstarkenden Willen der Bildungsträger, nämlich der Kleriker, dem ungeheuren Fordern des hereinbrechenden modernen Leben, das sich in Staat und Wirtschaft, Recht und Sitte, Handel und Verkehr, in der ganzen Denkweise machtvoll ausbreitete, als bereite und geschickte Werkzeuge dienstbar zu sein. Dabei half ihnen eine gewisse, sei es auch nur lose und unsichere Fühlung mit der jungen Wissenschaft, wie sie die eben gegründeten Universitäten Deutschlands und die Anfänge des Humanismus darboten, aber auf der andern Seite auch die Aneignung aller praktischen und technischen Fähigkeiten, wie sie die wachsende Vielgestaltigkeit der bürgerlichen, geschäftlichen Ver- hältnisse entfaltet hatte.
Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. 12 dem Schulgeld und durch kirchliche Leistungen, besonders halfen sie im Altardienst und im Chorgesang der Kirche und bei Begräbnissen. Neben diesen städtischen Parochialschulen mehrten sich im Laufe des 14. Jahrhunderts die übrigen Schulen, die von vornherein ausschließlich oder wenigstens überwiegend für kirchliche Bedürfnisse und Zwecke be- stimmt waren: die nicht zahlreichen Klosterschulen und namentlich die Kollegiatstiftschulen. Uber allen thronte als bedeutendste die Breslauer Kathedralschule, wo nicht bloß das Trivium, sondern auch das Quadri- vium gelehrt wurde und darüber hinaus eine Lektur für Theologie zu wissenschaftlichem Studium den Zugang öffnete. Seit der Mitte des 14. Jahrhunderts kommt auch im schlesischen Schulwesen jene geistige Wandlung zur Geltung, die im Zusammenhang darzustellen dem ersten Bande des gegenwärtigen Werkes vorbehalten bleibt. Die starken neuen Impulse, die damals der deutschen Kultur des Ostens einen veränderten Willen schaffen, der sich neue Wege sucht zu einem höheren Ziel, wirken bis in den Betrieb und die Theorie des elementaren Schulunterrichts. Es war die Zeit, da man in Schweidnitz und andern Städten Schlesiens das Bürgerrecht an die Bedingung der Schulbildung, d. h. der Kenntnis des Schreibens und Lesens knüpfte. Fast jede kleine Stadt besaß nun eine Lateinschule, der ein graduierter Kleriker vorstand. Die kleine Truppe dieser klerikal gebildeten Rektoren der städtischen Pfarrschulen mit ihren Gehilfen, die zwar mit ihren Schülern auch kirchliche Obliegenheiten übernahmen, aber doch vor allem dem weltlichen Leben dienen wollten, waren die Pioniere der newen Bil- dung, die gegen die Wende des 14. Jahrhunderts in die Geister eindringt. Die beiden erweckenden Mächte der Zeit, Universität und Humanismus, haben das Denken all dieser schlesischen Schulmeister oder Scholaren’, wie sie im allgemeinen Sinne damals auch hießen, unmittelbar oder mittelbar berührt und ihnen, den Führern weiter Kreise, den Trieb der Säkularisierung eingeimpft. Unsere beiden schlesisch-böhmischen Briefsteller aus dem Aufgang des 15. Jahrhunderts sind erfüllt von diesem ihr Zeitalter beherrschenden Trieb nach literarischer Verweltlichung der geistlichen Kultur. Sie spiegeln wieder und bekennen den damals erstarkenden Willen der Bildungsträger, nämlich der Kleriker, dem ungeheuren Fordern des hereinbrechenden modernen Leben, das sich in Staat und Wirtschaft, Recht und Sitte, Handel und Verkehr, in der ganzen Denkweise machtvoll ausbreitete, als bereite und geschickte Werkzeuge dienstbar zu sein. Dabei half ihnen eine gewisse, sei es auch nur lose und unsichere Fühlung mit der jungen Wissenschaft, wie sie die eben gegründeten Universitäten Deutschlands und die Anfänge des Humanismus darboten, aber auf der andern Seite auch die Aneignung aller praktischen und technischen Fähigkeiten, wie sie die wachsende Vielgestaltigkeit der bürgerlichen, geschäftlichen Ver- hältnisse entfaltet hatte.
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L. Charakter und Bedeutung im allgemeinen. 13 Die beiden schlesisch-böhmischen Briefsteller unserer Schlägler Hand- schrift lassen uns hineinsehen in die weitreichende Wirksamkeit der Alma mater Pragensis. Diese Metapher ist in diesem Zusammenhang kein Anachronismus; sie war gerade damals aufgekommen als verehrungsvoller Ausdruck für die bildende Macht der Universität, deren Scholarenliste ja schon lange matricula hieß, und stammt aus der Liturgie (Denifle, Die Univer- sitäten im Mittelalter, I. Bd. (1885), S. 33 ff. Anm. 141—152). Man sang und kannte die Antiphon Alma redemptoris mater oder den Hymnus Aue maris stella, Dei mater alma oder am Fest des heiligen Thomas von Aquino die Antiphon Alma mater ecclesia. Jetxt übertrug man das Bild, das die Jungfrau Maria und die Kirche feierte, auf die Stätte und den Betrieb des gelehrten Unterrichts: gewiß ein sprechendes Symptom der Säkularisierung des Zeitalters. Ihr hat auch die Universität Prag mächtig vorgearbeitet trotz ihrem überwiegend klerikalen Charakter. Im Jahre 1348 von König Karl IV. gestiftet, war sie zwei Jahrzehnte lang die einzige Pflegestätte höherer Wissenschaft in Deutschland, die allen deutschen Stämmen das bot, was man sonst allein in Paris, Bologna, Oxford, Salerno gesucht hatte, und bis in den Anfang des 15. Jahr- hunderts die beherrschende Bildungsspenderin für die ausgedehnten Länder der böhmischen Krone1. Böhmen, Mähren, Schlesien, die Lausitze, 1 Uber den Umfang des böhmischen Reiches unter König Wenzel IV. s. Bachmann, Geschichte Böhmens 2. Bd. (1905), S. 2ff. Wenzel waren von seinem Vater Karl IV. Böhmen und Schlesien und xwar hier insbesondere neben den königlichen Eigenlanden Schweidnitz und Jauer (dem Erbteil von seiner Mutter Anna, der Erbin des Herxogs Bolko von Schweidnitz und Jauer; s. Bachmann, Bd. 1, S. 846 f.), die Herxogtümer und Lande Breslau, Glogau, Frankenstein, Steinau und Guhrau, ferner die Hoheitsrechte über alle mittel- baren Gebiete der Krone Böhmen zugewiesen. Daxu gehörten der Westen der beiden Lausitze, die Obergewalt über die Markgrafschaft Mähren, das Herxogtum Troppau, das Territorium des Herxogs Johann von Görlitx, des jüngsten Sohnes Karls IV., (die Lausitz zwischen Spree und Oder usw.), die Rechte und Län- dereien, die Karl IV. besessen und erworben hatte namentlich in Meißen, dem Vogtlande, in Thüringen; vielfältiges Gut der Kirchen von Meißen, Naumburg, Quedlinburg, jenseits des Erxgebirges und elbabwärts unter anderen Königstein, Pirna, Schloß Dohna mit Weesenstein, Dresden und Würdenhain, xwischen Elbe und schwarxer Elster Hohenstein und Radeberg, Pulsnitx, Elsterwerda, auf dem Erzgebirge die Schlösser Gottleuba, Bärenstein, Lauenstein, Frauen- stein, Rechenberg, Wolkenstein, die Mulde abwärts die Herrschaft Kolditx und Leisnig. Böhmische Lehnsmannen waren die Herren von Schönburg (für Stol- berg, Merane, Glauchau), von Waldenburg, von Kolditx und Köckeritz, die Burggrafen von Dohna, die Grafen von Querfurt, die Herren von Reuß, die Vögte zu Plauen und Gera. Uber den königlichen Besitz im Vogtlande und an der oberen Saale hatte Karl IV. einen eigenen Amtmann und Statthalter gesetzt.
L. Charakter und Bedeutung im allgemeinen. 13 Die beiden schlesisch-böhmischen Briefsteller unserer Schlägler Hand- schrift lassen uns hineinsehen in die weitreichende Wirksamkeit der Alma mater Pragensis. Diese Metapher ist in diesem Zusammenhang kein Anachronismus; sie war gerade damals aufgekommen als verehrungsvoller Ausdruck für die bildende Macht der Universität, deren Scholarenliste ja schon lange matricula hieß, und stammt aus der Liturgie (Denifle, Die Univer- sitäten im Mittelalter, I. Bd. (1885), S. 33 ff. Anm. 141—152). Man sang und kannte die Antiphon Alma redemptoris mater oder den Hymnus Aue maris stella, Dei mater alma oder am Fest des heiligen Thomas von Aquino die Antiphon Alma mater ecclesia. Jetxt übertrug man das Bild, das die Jungfrau Maria und die Kirche feierte, auf die Stätte und den Betrieb des gelehrten Unterrichts: gewiß ein sprechendes Symptom der Säkularisierung des Zeitalters. Ihr hat auch die Universität Prag mächtig vorgearbeitet trotz ihrem überwiegend klerikalen Charakter. Im Jahre 1348 von König Karl IV. gestiftet, war sie zwei Jahrzehnte lang die einzige Pflegestätte höherer Wissenschaft in Deutschland, die allen deutschen Stämmen das bot, was man sonst allein in Paris, Bologna, Oxford, Salerno gesucht hatte, und bis in den Anfang des 15. Jahr- hunderts die beherrschende Bildungsspenderin für die ausgedehnten Länder der böhmischen Krone1. Böhmen, Mähren, Schlesien, die Lausitze, 1 Uber den Umfang des böhmischen Reiches unter König Wenzel IV. s. Bachmann, Geschichte Böhmens 2. Bd. (1905), S. 2ff. Wenzel waren von seinem Vater Karl IV. Böhmen und Schlesien und xwar hier insbesondere neben den königlichen Eigenlanden Schweidnitz und Jauer (dem Erbteil von seiner Mutter Anna, der Erbin des Herxogs Bolko von Schweidnitz und Jauer; s. Bachmann, Bd. 1, S. 846 f.), die Herxogtümer und Lande Breslau, Glogau, Frankenstein, Steinau und Guhrau, ferner die Hoheitsrechte über alle mittel- baren Gebiete der Krone Böhmen zugewiesen. Daxu gehörten der Westen der beiden Lausitze, die Obergewalt über die Markgrafschaft Mähren, das Herxogtum Troppau, das Territorium des Herxogs Johann von Görlitx, des jüngsten Sohnes Karls IV., (die Lausitz zwischen Spree und Oder usw.), die Rechte und Län- dereien, die Karl IV. besessen und erworben hatte namentlich in Meißen, dem Vogtlande, in Thüringen; vielfältiges Gut der Kirchen von Meißen, Naumburg, Quedlinburg, jenseits des Erxgebirges und elbabwärts unter anderen Königstein, Pirna, Schloß Dohna mit Weesenstein, Dresden und Würdenhain, xwischen Elbe und schwarxer Elster Hohenstein und Radeberg, Pulsnitx, Elsterwerda, auf dem Erzgebirge die Schlösser Gottleuba, Bärenstein, Lauenstein, Frauen- stein, Rechenberg, Wolkenstein, die Mulde abwärts die Herrschaft Kolditx und Leisnig. Böhmische Lehnsmannen waren die Herren von Schönburg (für Stol- berg, Merane, Glauchau), von Waldenburg, von Kolditx und Köckeritz, die Burggrafen von Dohna, die Grafen von Querfurt, die Herren von Reuß, die Vögte zu Plauen und Gera. Uber den königlichen Besitz im Vogtlande und an der oberen Saale hatte Karl IV. einen eigenen Amtmann und Statthalter gesetzt.
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14 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. Meißen, aber auch die nordöstlichen deutschen Territorien, ein Teil des Sprengels von Gnesen (das Bistum Lebus), ferner das exempte Bistum Kammin in Pommern, die zur Metropole Riga gehörenden Bistümer Ermland (Braunsberg, Heilsberg, Frauenburg), Kulm, Pomesanien (Marien- werder) und Samland (Fischhausen), die ganze Sphäre des Deutschen Ordens und des deutsch-baltischen Kolonialgebiets haben thre nach höherem Wissen begierigen Kleriker an die Moldau entsandt. Es gibt ein merkwürdiges urkundliches Zeugnis, das mit förmlich symbolischer Kraft die geistige Kultureinheit des deutschen Ostens, die von der Moldau bis zum Frischen Haff und Pregel reicht, vor Augen stellt. Es ist das Testament des Frauenburger, also ermländischen Dompropstes Heinrich von Sonnenberg vom 7. Mai 1314 1. Er war der Sohn des Breslauer Bürgers, Schöffen und Mühlenbesitzers Heinrich Schilder (Clipeator), der aus Zeitz stammte und sich 1254—1305 in Breslau nachweisen läßt, und er stand im Februar 1270 im Dienste König Ottokars II. von Böhmen, des Gründers von Königsberg in Preußen, als dessen Kaplan. In jenem Testament bestimmte Heinrich von Sonnenberg, daß seine Amtsnachfolger aus den Einkünften einer von ihm gestifteten Vikarie für die Seelen seiner Eltern, einer Reihe von vier mit Namen hervorgehobenen Personen, ferner aller seiner Vorgänger und Wohltäter sowie für seine eigene Seele zu beten verpflichtet sein sollen. Unter den vier namentlich genannten steht an der Spitze Magister Wyttilo. Das ist der große Meister Witelo aus Liegnitz in Schlesien, der Verfasser der dem bekannten Aristotelesübersetzer Wilhelm von Moerbeke gewidmeten Optik (Perspec- tiva), über die Baeumker2 so aufschlußreiche Untersuchungen veröffent- licht hat. Die zwei letztgenannten sind der ermländische Domherr und Archidiakon von Natangen Levold (1282—1289), vorher Pfarrer von Batelau in Mähren, und Konrad von Borow, nachweisbar 1304—1320, Lehnsmann des Bischofs von Ermland, Verwandter des Testators, am 22. Juli 1290 Zeuge in einer Urkunde Herzog Heinrichs V. von Breslau. Der an xweiter Stelle stehende Philipp ist vielleicht der Marschall Philipp des Breslauer Bischofs (1309—1325). Wir erkennen also aus diesem Testament einen vom Ermland bis nach Schlesien, Böhmen und Mähren sich erstreckenden Kreis freundschaftlich und wissenschaftlich ver- bundener Personen. Die schlesischen Lande haben der Universität Prag bis zur Aus- 1 Vgl. Codex diplomaticus Warmiensis, hrsg. von Woelky und Saage, Bd. 1, Mainx 1860, S. 333 Nr. 195, nachgewiesen von Max Perlbach, Zeitschr. f. Gesch. Schlesiens 44. Bd. (1910), S. 256—259 (mit einem Beitrag Konrad Wutkes S. 258 Anm. 6). 2 Cl. Baeumker, Witelo. Ein Philosoph und Naturforscher des 13. Jahr- hunderts, Minster, Aschendorff, 1908.
14 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. Meißen, aber auch die nordöstlichen deutschen Territorien, ein Teil des Sprengels von Gnesen (das Bistum Lebus), ferner das exempte Bistum Kammin in Pommern, die zur Metropole Riga gehörenden Bistümer Ermland (Braunsberg, Heilsberg, Frauenburg), Kulm, Pomesanien (Marien- werder) und Samland (Fischhausen), die ganze Sphäre des Deutschen Ordens und des deutsch-baltischen Kolonialgebiets haben thre nach höherem Wissen begierigen Kleriker an die Moldau entsandt. Es gibt ein merkwürdiges urkundliches Zeugnis, das mit förmlich symbolischer Kraft die geistige Kultureinheit des deutschen Ostens, die von der Moldau bis zum Frischen Haff und Pregel reicht, vor Augen stellt. Es ist das Testament des Frauenburger, also ermländischen Dompropstes Heinrich von Sonnenberg vom 7. Mai 1314 1. Er war der Sohn des Breslauer Bürgers, Schöffen und Mühlenbesitzers Heinrich Schilder (Clipeator), der aus Zeitz stammte und sich 1254—1305 in Breslau nachweisen läßt, und er stand im Februar 1270 im Dienste König Ottokars II. von Böhmen, des Gründers von Königsberg in Preußen, als dessen Kaplan. In jenem Testament bestimmte Heinrich von Sonnenberg, daß seine Amtsnachfolger aus den Einkünften einer von ihm gestifteten Vikarie für die Seelen seiner Eltern, einer Reihe von vier mit Namen hervorgehobenen Personen, ferner aller seiner Vorgänger und Wohltäter sowie für seine eigene Seele zu beten verpflichtet sein sollen. Unter den vier namentlich genannten steht an der Spitze Magister Wyttilo. Das ist der große Meister Witelo aus Liegnitz in Schlesien, der Verfasser der dem bekannten Aristotelesübersetzer Wilhelm von Moerbeke gewidmeten Optik (Perspec- tiva), über die Baeumker2 so aufschlußreiche Untersuchungen veröffent- licht hat. Die zwei letztgenannten sind der ermländische Domherr und Archidiakon von Natangen Levold (1282—1289), vorher Pfarrer von Batelau in Mähren, und Konrad von Borow, nachweisbar 1304—1320, Lehnsmann des Bischofs von Ermland, Verwandter des Testators, am 22. Juli 1290 Zeuge in einer Urkunde Herzog Heinrichs V. von Breslau. Der an xweiter Stelle stehende Philipp ist vielleicht der Marschall Philipp des Breslauer Bischofs (1309—1325). Wir erkennen also aus diesem Testament einen vom Ermland bis nach Schlesien, Böhmen und Mähren sich erstreckenden Kreis freundschaftlich und wissenschaftlich ver- bundener Personen. Die schlesischen Lande haben der Universität Prag bis zur Aus- 1 Vgl. Codex diplomaticus Warmiensis, hrsg. von Woelky und Saage, Bd. 1, Mainx 1860, S. 333 Nr. 195, nachgewiesen von Max Perlbach, Zeitschr. f. Gesch. Schlesiens 44. Bd. (1910), S. 256—259 (mit einem Beitrag Konrad Wutkes S. 258 Anm. 6). 2 Cl. Baeumker, Witelo. Ein Philosoph und Naturforscher des 13. Jahr- hunderts, Minster, Aschendorff, 1908.
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I. Charakter und Bedeutung im allgemeinen. 15 wanderung ihrer deutschen Studenten nach Leipzig und Erfurt eine be- sonders hohe Besucherzahl gestellt. In dem Liber decanorum facultatis philosophicae universitatis Pragensis1 konnte Henschel mehr als 200 Schlesier mit Namen und Geburtsort nachweisen, die zwischen 1367 und 1409 in der philosophischen Fakultät zu Prag graduiert worden sind, und unter ihnen stehen die aus Liegnitz, Brieg, Breslau, Glogau, Neisse, Schweidnitz an Zahl voran; in der Matrikel der Prager juristi- schen Fakultät, die sich von den übrigen Fakultäten der Universität als eigene Universitas Juristarum mit eigenem Rektor absonderte, fand Henschel von 1372—1400 mindestens 160 Scholaren von bestimmt schlesischer Herkunft, darunter ein Dutzend Magister andrer Fakultäten. Die wirkliche Zahl der in Prag damals studierenden Schlesier war aber natürlich viel höher, denn viele der in den uns erhaltenen Verzeichnissen aufgeführten Namen werden Schlesiern angehören, ohne daß wir dies xu erkennen imstande sind, und vor allem: für die philosophische Fakultät kennen wir nur die Liste der Graduierten, während die Matrikel verloren ging, für die medizinische und theologische Fakultät fehlen aber sowohl Matrikel als Graduiertenliste. Die Schlesier gehörten unter den vier korporativen Landsmannschaften der Prager Magister und -Scholaren (Böhmen, Polen, Bayern, Sachsen) überwiegend zur Nation der Polen', die auch die Lausitzer, Thüringer und die Bewohner der heutigen Provinz Sachsen umfaßte, nur die aus dem Gebiet von Glatz stammenden wurden zur Nation der Böhmen gerechnet, die außer den eigentlichen Böhmen auch die Mährer, Ungarn, Siebenbürger begriff2. Aber die akademische Gründung Karls IV. pflegte die internatio- nale Wissenschaft des Zeitalters und sie war auch von vornherein eine Welt-Universität, gleich Paris, Oxford3, Bologna, ihren Vorbildern. 1 Monumenta historica Universitatis Pragensis Tom. I, pars 1. 2, Pragae 1830. 1832. Die Matrikel der juristischen Fakultät im Tom. II, pars I, Pragae 1830, S. 28—159, die Matrikel der graduierten Juristen ebd. S. 1—37. 2 Dr. A. W. E. Th. Henschel, Schlesiens wissenschaftliche Zustände im vierzehnten Jahrhundert. Ein Beitrag insbesondere zur Geschichte der Medixin. Breslau, Jos. Max u. Komp., 1850, S. 18. 28f.: in dieser mit polyhistorischem Wissen und für ihre Zeit bewundernswerter Quellenkenntnis, namentlich auf Grund der Breslauer Handschriftenbestände gearbeiteten Schrift, die viel zu wenig gekannt und obgleich in vielem veraltet und überholt, auch heute noch lehrreich und lesenswert ist, sind S. 10—72 der Einfluß der Universität Prag auf Schlesien und das Vorkommen von Schlesiern in den verschiedenen Fakul- täten der Prager Universität gründlich nachgewiesen. Vgl. auch desselben Verfassers gleichfalls höchst gelehrte Schrift: Zur Geschichte der Medizin in Schlesien, Breslau, Aderholz, 1837. Auf Henschel fußend hat Adolph Franz, Der Magister Nikolaus Magni de Iawor, Freiburg i./B., Herder, 1898, S. 1—5 Schlesiens Bexiehungen xur Prager Universität bis 1409 skixxiert. 3 Uber die Beziehungen zwischen Oxford und Prag s. jetxt meine Erörte-
I. Charakter und Bedeutung im allgemeinen. 15 wanderung ihrer deutschen Studenten nach Leipzig und Erfurt eine be- sonders hohe Besucherzahl gestellt. In dem Liber decanorum facultatis philosophicae universitatis Pragensis1 konnte Henschel mehr als 200 Schlesier mit Namen und Geburtsort nachweisen, die zwischen 1367 und 1409 in der philosophischen Fakultät zu Prag graduiert worden sind, und unter ihnen stehen die aus Liegnitz, Brieg, Breslau, Glogau, Neisse, Schweidnitz an Zahl voran; in der Matrikel der Prager juristi- schen Fakultät, die sich von den übrigen Fakultäten der Universität als eigene Universitas Juristarum mit eigenem Rektor absonderte, fand Henschel von 1372—1400 mindestens 160 Scholaren von bestimmt schlesischer Herkunft, darunter ein Dutzend Magister andrer Fakultäten. Die wirkliche Zahl der in Prag damals studierenden Schlesier war aber natürlich viel höher, denn viele der in den uns erhaltenen Verzeichnissen aufgeführten Namen werden Schlesiern angehören, ohne daß wir dies xu erkennen imstande sind, und vor allem: für die philosophische Fakultät kennen wir nur die Liste der Graduierten, während die Matrikel verloren ging, für die medizinische und theologische Fakultät fehlen aber sowohl Matrikel als Graduiertenliste. Die Schlesier gehörten unter den vier korporativen Landsmannschaften der Prager Magister und -Scholaren (Böhmen, Polen, Bayern, Sachsen) überwiegend zur Nation der Polen', die auch die Lausitzer, Thüringer und die Bewohner der heutigen Provinz Sachsen umfaßte, nur die aus dem Gebiet von Glatz stammenden wurden zur Nation der Böhmen gerechnet, die außer den eigentlichen Böhmen auch die Mährer, Ungarn, Siebenbürger begriff2. Aber die akademische Gründung Karls IV. pflegte die internatio- nale Wissenschaft des Zeitalters und sie war auch von vornherein eine Welt-Universität, gleich Paris, Oxford3, Bologna, ihren Vorbildern. 1 Monumenta historica Universitatis Pragensis Tom. I, pars 1. 2, Pragae 1830. 1832. Die Matrikel der juristischen Fakultät im Tom. II, pars I, Pragae 1830, S. 28—159, die Matrikel der graduierten Juristen ebd. S. 1—37. 2 Dr. A. W. E. Th. Henschel, Schlesiens wissenschaftliche Zustände im vierzehnten Jahrhundert. Ein Beitrag insbesondere zur Geschichte der Medixin. Breslau, Jos. Max u. Komp., 1850, S. 18. 28f.: in dieser mit polyhistorischem Wissen und für ihre Zeit bewundernswerter Quellenkenntnis, namentlich auf Grund der Breslauer Handschriftenbestände gearbeiteten Schrift, die viel zu wenig gekannt und obgleich in vielem veraltet und überholt, auch heute noch lehrreich und lesenswert ist, sind S. 10—72 der Einfluß der Universität Prag auf Schlesien und das Vorkommen von Schlesiern in den verschiedenen Fakul- täten der Prager Universität gründlich nachgewiesen. Vgl. auch desselben Verfassers gleichfalls höchst gelehrte Schrift: Zur Geschichte der Medizin in Schlesien, Breslau, Aderholz, 1837. Auf Henschel fußend hat Adolph Franz, Der Magister Nikolaus Magni de Iawor, Freiburg i./B., Herder, 1898, S. 1—5 Schlesiens Bexiehungen xur Prager Universität bis 1409 skixxiert. 3 Uber die Beziehungen zwischen Oxford und Prag s. jetxt meine Erörte-
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16 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. Aus ganx Deutschland, wenn auch seit dem letzten Viertel des 14. Jahr- hunderts überwiegend aus dem östlichen, aber auch aus Polen, Ungarn. den Niederlanden strömten hierher die Scholaren. Und unter den Studenten und Lehrern der Prager Universität waren manche, die auf einer der großen ausländischen Universitäten ihr Wissen erworben oder auch dort schon doziert hatten 1: so z. B. die Prager Kollegen und erbitterten Gegner Adalbert Ranconis de Ericinio und Heinrich Totting von Oyta. Die akademischen Briefe unseres Formelbuches spiegeln diesen inter- nationalen Lehrmittel-, Professoren- und Studentenaustausch, der zwischen Prag und den andren älteren großen Universitäten bestand, in der Region der Scholaren wieder. Im letzten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts nahm daran auch schon die 1365 von Herzog Rudolf IV., dem Schwiegersohn Karls IV., als Rivalin Prags gestiftete Universität Wien teil, die seit ihrer Organisation (im Jahre 1366) bis 1377 nur ein Scheinleben geführt hatte: der Ausbruch des päpstlichen Schismas rief in der Lehrerschaft der Pariser Hochschule eine Spaltung hervor, mehrere der angeschensten deutschen Dozenten wandten ihr infolge des entstandenen Zwistes den Rücken und fanden Aufnahme in Wien, wo Herzog Albrecht III. die Gründung seines früh verstorbenen Vorgängers neu zu beleben entschlossen war. Der hervorragendste darunter war Heinrich von Langenstein, dessen Reformvorschläge die Entwicklung seit der Reorganisation des Jahres 1384 entscheidend bestimmt haben2. Von Paris schied damals (1381) auch ein andrer bedeutender deutscher Professor: Heinrich Totting von Oytas, der seine Studien auf einer Erfurter Schule und an der Uni- rung, Der Dichter des Ackermann und seine Zeit, V. Ma. x. Reformat. III, 2, S. 145 ff. 1 Vgl. über die allgemeine geistige Wirkung, den Personalbestand und die wissenschaftliche Bedeutung der Universität Prag meine Darlegungen in der ersten Bearbeitung dieses Werkes V. Ma. x. Reform. 1, S. 39—47. 57—62. 76 f. (= Zentralbl. f. Bibl. 1891, Bd. 8, S. 162—170. 329—334. 437f. und jetzt auch V. Ma. z. Reform. III, I (1917) und 2 an den im Register s. v. Univer- sitäten' verxeichneter Stellen. Im übrigen s. Adolf Bachmann, Geschichte Böhmens 1. Bd. (1899), S. 826—828; 2. Bd. (1905), S. 107—118 (wo auch weitere Literaturangaben). 2 Vgl. Karl Schrauf, Wiener Universität: Wetxer und Welte Kirchen- lexikon, 2. Aufl., Bd. 12 (1900) und besonders Gustav Sommerfeldt, Aus der Zeit der Begründung der Universität Wien, Mitteilungen des Instituts für österreich. Geschichtsforsch., 29. Bd. (1908), S. 291—322; 30. Bd. (1909), S. 638—650. 8 Vgl. über sein Leben und Wirken G. Sommerfeldt, Mitteilungen des Instituts f. österreich. Geschichtsforsch., 25. Bd. (1904), S. 576—604 und an den in der vorigen Anmerkung genannten Stellen; Devselbe, Histor. Jahrb., 26. Bd. (1905), S. 291—301: Zwei politische Sermone des Heinrich von Oyta und des Nikolaus von Dinkelsbühl’; H. Grauert, Histor. Jahrb., 31. Bd. (1910), S. 250f. 282—286.
16 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. Aus ganx Deutschland, wenn auch seit dem letzten Viertel des 14. Jahr- hunderts überwiegend aus dem östlichen, aber auch aus Polen, Ungarn. den Niederlanden strömten hierher die Scholaren. Und unter den Studenten und Lehrern der Prager Universität waren manche, die auf einer der großen ausländischen Universitäten ihr Wissen erworben oder auch dort schon doziert hatten 1: so z. B. die Prager Kollegen und erbitterten Gegner Adalbert Ranconis de Ericinio und Heinrich Totting von Oyta. Die akademischen Briefe unseres Formelbuches spiegeln diesen inter- nationalen Lehrmittel-, Professoren- und Studentenaustausch, der zwischen Prag und den andren älteren großen Universitäten bestand, in der Region der Scholaren wieder. Im letzten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts nahm daran auch schon die 1365 von Herzog Rudolf IV., dem Schwiegersohn Karls IV., als Rivalin Prags gestiftete Universität Wien teil, die seit ihrer Organisation (im Jahre 1366) bis 1377 nur ein Scheinleben geführt hatte: der Ausbruch des päpstlichen Schismas rief in der Lehrerschaft der Pariser Hochschule eine Spaltung hervor, mehrere der angeschensten deutschen Dozenten wandten ihr infolge des entstandenen Zwistes den Rücken und fanden Aufnahme in Wien, wo Herzog Albrecht III. die Gründung seines früh verstorbenen Vorgängers neu zu beleben entschlossen war. Der hervorragendste darunter war Heinrich von Langenstein, dessen Reformvorschläge die Entwicklung seit der Reorganisation des Jahres 1384 entscheidend bestimmt haben2. Von Paris schied damals (1381) auch ein andrer bedeutender deutscher Professor: Heinrich Totting von Oytas, der seine Studien auf einer Erfurter Schule und an der Uni- rung, Der Dichter des Ackermann und seine Zeit, V. Ma. x. Reformat. III, 2, S. 145 ff. 1 Vgl. über die allgemeine geistige Wirkung, den Personalbestand und die wissenschaftliche Bedeutung der Universität Prag meine Darlegungen in der ersten Bearbeitung dieses Werkes V. Ma. x. Reform. 1, S. 39—47. 57—62. 76 f. (= Zentralbl. f. Bibl. 1891, Bd. 8, S. 162—170. 329—334. 437f. und jetzt auch V. Ma. z. Reform. III, I (1917) und 2 an den im Register s. v. Univer- sitäten' verxeichneter Stellen. Im übrigen s. Adolf Bachmann, Geschichte Böhmens 1. Bd. (1899), S. 826—828; 2. Bd. (1905), S. 107—118 (wo auch weitere Literaturangaben). 2 Vgl. Karl Schrauf, Wiener Universität: Wetxer und Welte Kirchen- lexikon, 2. Aufl., Bd. 12 (1900) und besonders Gustav Sommerfeldt, Aus der Zeit der Begründung der Universität Wien, Mitteilungen des Instituts für österreich. Geschichtsforsch., 29. Bd. (1908), S. 291—322; 30. Bd. (1909), S. 638—650. 8 Vgl. über sein Leben und Wirken G. Sommerfeldt, Mitteilungen des Instituts f. österreich. Geschichtsforsch., 25. Bd. (1904), S. 576—604 und an den in der vorigen Anmerkung genannten Stellen; Devselbe, Histor. Jahrb., 26. Bd. (1905), S. 291—301: Zwei politische Sermone des Heinrich von Oyta und des Nikolaus von Dinkelsbühl’; H. Grauert, Histor. Jahrb., 31. Bd. (1910), S. 250f. 282—286.
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I. Charakter und Bedeutung im allgemeinen. 17 versität Prag begonnen, dann hier artistischer Professor und theologischer Baccalar gewesen, später nach Paris gegangen (1377) und dort Lixentiat der theologischen Fakultät geworden war (1380); er kehrte zunächst nach Prag zurück, lehrte dort bis 1384, begab sich aber dann auch nach Wien und dozierte dort, bis er wie sein Kollege Heinrich von Langenstein 1397 hier starb. Heidelberg, eröffnet 1386, hatte nach einem raschen Aufschwung während der ersten zwei Jahre einen starken Rückschlag erlebt, und trotzdem bald wieder die Frequenz sich hob, in dem nächsten Jahrzehnt noch keine große Bedeutung für den deutschen Osten1. Köln, dessen Generalstudium 1388 durch die päpstliche Errichtungsbulle privi- legiert worden war, blieb in seiner Wirkung auf die westdeutschen Land- schaften beschränkt. In Erfurt, das schon seit dem 13. Jahrhundert für das Studiengebiet der Artes berühmte und vielbesuchte Stiftsschulen besessen hatte, neben denen wohl schon im 13., sicher aber im 14. Jahr- hundert in den Klosterschulen auch Theologie gelehrt wurde, kam nach langen Vorbereitungen ein alle vier Fakultäten umfassendes Generalstudium erst 1392 in Gang. Und erst im Laufe und seit der Mitte des 15. Jahr- hunderts wurde die Erfurter Universität die besuchteste in Deutschland. Gleich Heidelberg und Köln stand sie in der Zeit von 1390—1410 dem schlesisch-böhmischen Gesichtskreis noch ziemlich fern und wird demgemäß auch in den Scholarenbriefen des Schlägler Formelbuches nicht genannt. Nach 1450 strömten ihr dann auch Schlesier in größerer Zahl und für ein längeres Studium xu2. Dagegen übte eine bedeutende Wirkung auf das östliche Deutschland um die Wende des 14. Jahrhunderts die Universität Krakau aus. Kaiser Karl IV. hatte im Dexember 1363 zu Krakau seine Hochzeit gefeiert mit seiner vierten Frau, Elisabeth, der Enkelin des Polenkönigs Kasimir des Großen. Und schon 1364 stiftete nach dem Vorbild Prags König Kasimir hier eine Universität. Aber diese Stiftung blieb zunächst ohne rechten Erfolg. Erst am 26. Juli 1400 wurde sie wieder hergestellt durch König Wladyslaw Jagiello. Nicht er freilich, der einstige heidnische Großfürst von Litauen, war der geistige Urheber dieser Neugründung, sondern seine Gemahlin Hedwig, die ungarische Königstochter und Erbin des polnischen Throns, mit deren Hand er Christentum, Königreich und 1 Unter den von Ad. Franz, Der Magister Nikolaus Magni de Iawor, S. 79 Anm. aus der Heidelberger Matrikel bis zum Jahre 1450 nachgewiesenen 15 Schlesiern haben nur 4 dort ihre Studien schon vor 1400 begonnen. 2 Vgl. Herm. Grauert, Auf dem Wege zur Universität Erfurt, Histor. Jahrbuch, 31. Bd. (1910), S. 249—289; J. Ch. H. Weißenborn-A. Hor- tzschansky, Akten der Erfurter Universität (Geschichtsquellen d. Provinz Sachsen VIII, 1—3), Halle a./S. 1881—1898; Gustav Bauch, In Erfurt als Artisten promovierte Schlesier, Zeitschr. f. Gesch. Schlesiens, 40. Bd. (1906), S. 325—332; Gust. Bauch, Der Frühhumanismus an der Universität Erfurt, Breslau 1904.
I. Charakter und Bedeutung im allgemeinen. 17 versität Prag begonnen, dann hier artistischer Professor und theologischer Baccalar gewesen, später nach Paris gegangen (1377) und dort Lixentiat der theologischen Fakultät geworden war (1380); er kehrte zunächst nach Prag zurück, lehrte dort bis 1384, begab sich aber dann auch nach Wien und dozierte dort, bis er wie sein Kollege Heinrich von Langenstein 1397 hier starb. Heidelberg, eröffnet 1386, hatte nach einem raschen Aufschwung während der ersten zwei Jahre einen starken Rückschlag erlebt, und trotzdem bald wieder die Frequenz sich hob, in dem nächsten Jahrzehnt noch keine große Bedeutung für den deutschen Osten1. Köln, dessen Generalstudium 1388 durch die päpstliche Errichtungsbulle privi- legiert worden war, blieb in seiner Wirkung auf die westdeutschen Land- schaften beschränkt. In Erfurt, das schon seit dem 13. Jahrhundert für das Studiengebiet der Artes berühmte und vielbesuchte Stiftsschulen besessen hatte, neben denen wohl schon im 13., sicher aber im 14. Jahr- hundert in den Klosterschulen auch Theologie gelehrt wurde, kam nach langen Vorbereitungen ein alle vier Fakultäten umfassendes Generalstudium erst 1392 in Gang. Und erst im Laufe und seit der Mitte des 15. Jahr- hunderts wurde die Erfurter Universität die besuchteste in Deutschland. Gleich Heidelberg und Köln stand sie in der Zeit von 1390—1410 dem schlesisch-böhmischen Gesichtskreis noch ziemlich fern und wird demgemäß auch in den Scholarenbriefen des Schlägler Formelbuches nicht genannt. Nach 1450 strömten ihr dann auch Schlesier in größerer Zahl und für ein längeres Studium xu2. Dagegen übte eine bedeutende Wirkung auf das östliche Deutschland um die Wende des 14. Jahrhunderts die Universität Krakau aus. Kaiser Karl IV. hatte im Dexember 1363 zu Krakau seine Hochzeit gefeiert mit seiner vierten Frau, Elisabeth, der Enkelin des Polenkönigs Kasimir des Großen. Und schon 1364 stiftete nach dem Vorbild Prags König Kasimir hier eine Universität. Aber diese Stiftung blieb zunächst ohne rechten Erfolg. Erst am 26. Juli 1400 wurde sie wieder hergestellt durch König Wladyslaw Jagiello. Nicht er freilich, der einstige heidnische Großfürst von Litauen, war der geistige Urheber dieser Neugründung, sondern seine Gemahlin Hedwig, die ungarische Königstochter und Erbin des polnischen Throns, mit deren Hand er Christentum, Königreich und 1 Unter den von Ad. Franz, Der Magister Nikolaus Magni de Iawor, S. 79 Anm. aus der Heidelberger Matrikel bis zum Jahre 1450 nachgewiesenen 15 Schlesiern haben nur 4 dort ihre Studien schon vor 1400 begonnen. 2 Vgl. Herm. Grauert, Auf dem Wege zur Universität Erfurt, Histor. Jahrbuch, 31. Bd. (1910), S. 249—289; J. Ch. H. Weißenborn-A. Hor- tzschansky, Akten der Erfurter Universität (Geschichtsquellen d. Provinz Sachsen VIII, 1—3), Halle a./S. 1881—1898; Gustav Bauch, In Erfurt als Artisten promovierte Schlesier, Zeitschr. f. Gesch. Schlesiens, 40. Bd. (1906), S. 325—332; Gust. Bauch, Der Frühhumanismus an der Universität Erfurt, Breslau 1904.
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18 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. Empfänglichkeit für höhere Kultur gewonnen hatte. Diese vom Zauber der Jugend und Schönheit umflossene, ebenso tapfere wie kluge Frau war in treuer Anhänglichkeit an die in Wien bei Herzog Albrecht empfangenen Kindheitseindrücke eine Hüterin und Förderin deutscher Bildung, die Beschützerin des Deutschen Ritterordens gegen die polnische Angriffslust. In Prag hatte sie 1397 das Hedwigkollegium gestiftet, in dem seitdem polnische Studenten zahlreich sich sammelten. Als sie, deren Ehe drei- zehn Jahre kinderlos gewesen war, bald nach dem Tode ihres nur drei Wochen lebenden Töchterchens erst achtundzwanzigjährig starb, trug sie bei ihrem Tode dem Bischof von Krakau und ihrem treuesten Ritter auf, alle ihr Geschmeide und Kostbarkeiten, all ihr Hab und Gut, Kleider, Geld und königliches Gerät teils den Armen zu geben, teils für die Wiederaufrichtung der Krakauer Universität zu verwenden1. Diese Reorganisation führte nun rasch zu einem hohen Aufschwung2. Vor- bereitet war er offenbar auf den Antrieb der Königin durch den König schon früher. Und in persönlicher Anwesenheit hatte dabei entscheidend mitgewirkt der berühmte Prager Professor, Prediger und Vorreformator Matthäus von Krakau, Sohn eines deutschen Krakauer Notars, auf der Universität Prag gebildet, auch mit Schlesien durch persönliche Be- ziehungen verknüpft als Propst von S. Agidien in Breslau, und durch seine Werke, wie ihre handschriftliche Verbreitung ausweist, gleich stark auf Böhmen, Schlesien, den deutschen Nordosten und Polen wirkend3. In der damals ihrer Bürgerschaft und ihrer Verwaltung nach über- 1 Caro, Geschichte Polens, 3. Bd., Gotha, Perthes, 1869, S. 179. 2 Denifle, a. a. O. S. 625—629. 3 Uber diese führende Persönlichkeit werde ich in der Neubearbeitung des ersten Bandes dieses Werkes eingehender reden. Seit meiner früheren Würdi- gung seines Wirkens (Zentralbl. f. Bibliothekswesen 1891, Jahrg. 8, S. 173—175 = V. Ma. z. Reformat. 1, S. 50—52) sind über ihn besonders durch mehrere sehr verdienstliche Aufsätze und Editionen Gustav Sommerfeldts und die fleißige Dissertation von Franz Franke, Matthaeus von Krakau, Greifswald 1910, wichtige neue Aufschlüsse gegeben worden. Leider hat sich Franke, der sonst eine gute Kenntnis der wissenschaftlichen Literatur bekundet (S. 27 Anm. 30 und S. 55 Anm. 85 lies Loserth statt Pertx!), meine Darstellung entgehen lassen: das Zeugnis von 1355 in der von Denifle abgedruckten Supplik Karls IV. (Franke a. a. O. S. 14. 21) hatte vor Sommerlad zuerst ich herangezogen (Zentralbl. f. Bibliothekswesen 1891, Jahrg. 8, S. 165 Anm. 1 = V. Ma. z. Reform. 1893, 1, S. 41 Anm. 2); daß wir von Matthäus seit 1390 nichts mehr in Prag hören, hätte er Sommerlad (der übrigens seit 1391 sagt) nicht nachschreiben sollen, denn ich hatte a. a. O. aus den Libri confirmationum seine Anwesenheit noch für den 7. Oktober 1392 belegt und Sommerlads Datierung seines Fort- gangs ausdrücklich berichtigt (V. Ma. x. Reform. 1, S. 134); auch hatte ich (ebd.) auf Handschriften in Lund und Upsala hingewiesen, die in Frankes lobens- wert reichhaltigem Schriftenverzeichnis (a. a. O. S. 114—135) nicht berücksich- tigt sind.
18 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. Empfänglichkeit für höhere Kultur gewonnen hatte. Diese vom Zauber der Jugend und Schönheit umflossene, ebenso tapfere wie kluge Frau war in treuer Anhänglichkeit an die in Wien bei Herzog Albrecht empfangenen Kindheitseindrücke eine Hüterin und Förderin deutscher Bildung, die Beschützerin des Deutschen Ritterordens gegen die polnische Angriffslust. In Prag hatte sie 1397 das Hedwigkollegium gestiftet, in dem seitdem polnische Studenten zahlreich sich sammelten. Als sie, deren Ehe drei- zehn Jahre kinderlos gewesen war, bald nach dem Tode ihres nur drei Wochen lebenden Töchterchens erst achtundzwanzigjährig starb, trug sie bei ihrem Tode dem Bischof von Krakau und ihrem treuesten Ritter auf, alle ihr Geschmeide und Kostbarkeiten, all ihr Hab und Gut, Kleider, Geld und königliches Gerät teils den Armen zu geben, teils für die Wiederaufrichtung der Krakauer Universität zu verwenden1. Diese Reorganisation führte nun rasch zu einem hohen Aufschwung2. Vor- bereitet war er offenbar auf den Antrieb der Königin durch den König schon früher. Und in persönlicher Anwesenheit hatte dabei entscheidend mitgewirkt der berühmte Prager Professor, Prediger und Vorreformator Matthäus von Krakau, Sohn eines deutschen Krakauer Notars, auf der Universität Prag gebildet, auch mit Schlesien durch persönliche Be- ziehungen verknüpft als Propst von S. Agidien in Breslau, und durch seine Werke, wie ihre handschriftliche Verbreitung ausweist, gleich stark auf Böhmen, Schlesien, den deutschen Nordosten und Polen wirkend3. In der damals ihrer Bürgerschaft und ihrer Verwaltung nach über- 1 Caro, Geschichte Polens, 3. Bd., Gotha, Perthes, 1869, S. 179. 2 Denifle, a. a. O. S. 625—629. 3 Uber diese führende Persönlichkeit werde ich in der Neubearbeitung des ersten Bandes dieses Werkes eingehender reden. Seit meiner früheren Würdi- gung seines Wirkens (Zentralbl. f. Bibliothekswesen 1891, Jahrg. 8, S. 173—175 = V. Ma. z. Reformat. 1, S. 50—52) sind über ihn besonders durch mehrere sehr verdienstliche Aufsätze und Editionen Gustav Sommerfeldts und die fleißige Dissertation von Franz Franke, Matthaeus von Krakau, Greifswald 1910, wichtige neue Aufschlüsse gegeben worden. Leider hat sich Franke, der sonst eine gute Kenntnis der wissenschaftlichen Literatur bekundet (S. 27 Anm. 30 und S. 55 Anm. 85 lies Loserth statt Pertx!), meine Darstellung entgehen lassen: das Zeugnis von 1355 in der von Denifle abgedruckten Supplik Karls IV. (Franke a. a. O. S. 14. 21) hatte vor Sommerlad zuerst ich herangezogen (Zentralbl. f. Bibliothekswesen 1891, Jahrg. 8, S. 165 Anm. 1 = V. Ma. z. Reform. 1893, 1, S. 41 Anm. 2); daß wir von Matthäus seit 1390 nichts mehr in Prag hören, hätte er Sommerlad (der übrigens seit 1391 sagt) nicht nachschreiben sollen, denn ich hatte a. a. O. aus den Libri confirmationum seine Anwesenheit noch für den 7. Oktober 1392 belegt und Sommerlads Datierung seines Fort- gangs ausdrücklich berichtigt (V. Ma. x. Reform. 1, S. 134); auch hatte ich (ebd.) auf Handschriften in Lund und Upsala hingewiesen, die in Frankes lobens- wert reichhaltigem Schriftenverzeichnis (a. a. O. S. 114—135) nicht berücksich- tigt sind.
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I. Charakter und Bedeutung im allgemeinen. 19 wiegend deutschen Stadt Krakau 1 lebte, angeregt durch den königlichen Hof, insbesondere den Einfluß der Königin Hedwig, durch die königliche Kanzlei und die junge Universität der in Prag und Olmütz am Geiste Rienzos und Petrarcas entzündete böhmische Frühhumanismus fort, auf Böhmen und Schlesien zurückwirkend, und nachdem Böhmen im Bann des Hussitismus sich von der deutschen Geistesbewegung abgesondert hatte, sprudelte in der polnischen Residenz ein Born deutscher Bildung und Kunst wie humanistischer Rede. Hier war schon im Mai 1399 eine die Form einer Königsurkunde nachahmende lateinische Deklamation, in welcher der als Herrscher gedachte Mai über die bevorstehende Niederkunft der unglücklichen Hedwig von Polen panegyrische Huldigungen ausspricht, vielleicht als erstes Denkmal humanistischer Kanzlei-Rhetorik entstanden. Vereinigt mit andern Musterstücken aus der polnischen Königskanzlei, die es als Prolog eröffnet, wurde es aufgenommen in ein grofses 1441—1444 angelegtes und in der Breslauer Bischofskanzlei ge- brauchtes Formularbuch, dem eine 1441 in Liegnitz hergestellte Abschrift der Summa cancellariae Karoli IV. und eine Sammlung von Briefen und Urkunden aus der Kanzlei des Bischofs Konrad von Breslau (1417—1447) folgt (Bresl. Unir. Bibl. Cod. II Fol. Nr. 23). Der polnischen Königskanzlei gehörten im zweiten und dritten Jahrzelnt des 15. Jahrhunderts die Begrün- der des polnischen Humanismus an: Zbigniew Oleýnicki, später Kardinal- bischof von Krakau, ein Korrespondent Enea Silvios und von diesem wegen seines Stils gepriesen; Stanislaus Ciolek, später Bischof von Posen und Vertreter Polens auf dem Baseler Konzil; Gregor von Sanok, später Erzbischof von Lemberg. Bis in die Tage des Veit Stoß und Conrad Celtes zog Stadt und Universität Krakau deutsche Studenten und Künstler in Scharen an2. In unsre beiden Schlägler Briefsteller spielt ein leiser 1 Der Stadt Krakau hatte 1257 Herzog Boleslav von Polen deutsches Recht nach Breslauer Muster erteilt. Infolgedavon gehörte sie später wie Breslau au der Reihe jener Tochterstädte des Rechts-Oberhofs Magdeburg, deren Schöffen- stühle als angeschene Führer ein engeres Gebiet durch die eigenen Ent- scheidungen beherrschten s. Rich. Schroeder, Lehrb. d. deutsch. Rechtsgesch.5 1907. S. 698 und Anm. 17). In den ältesten Stadtbichern (acta consularia) von Krakan aus dem Ende des 14. Jahrhunderts xeigen sich die Bezichungen auf Schlesien so massenhaft, und kehren die bekannten Breslauer Namen so häufig wieder, daß man den Eindruck gewinnt. Krakau sci damals nicht riel anders als eine Vorstadt von Breslau gewesen' (Grünhagen, Zeitschr. f. Gesch. Schlesiens Bd. 9, 1868, S. 138 und Bd. 18, S. 41f.). 2 Vgl. dazu Literarisches Zentralblatt 1898, 23. April, Sp. 653f.: meine dort gebotenen Ausführungen beruhten auf meiner Durcharbeitung des genannten Formularbuchs der Breslauer bischöflichen Kanzlei in der Breslauer Univer- sitätsbibliothek während meines mehrmonatlichen Studienaufenthalts in Breslau (Winter 1897 98). Ich stellte mir damals von dem Kodex eine Beschreibung her und nahm von xahlreichen sciner Sticke Abschrift. Seitdem hat Konrad
I. Charakter und Bedeutung im allgemeinen. 19 wiegend deutschen Stadt Krakau 1 lebte, angeregt durch den königlichen Hof, insbesondere den Einfluß der Königin Hedwig, durch die königliche Kanzlei und die junge Universität der in Prag und Olmütz am Geiste Rienzos und Petrarcas entzündete böhmische Frühhumanismus fort, auf Böhmen und Schlesien zurückwirkend, und nachdem Böhmen im Bann des Hussitismus sich von der deutschen Geistesbewegung abgesondert hatte, sprudelte in der polnischen Residenz ein Born deutscher Bildung und Kunst wie humanistischer Rede. Hier war schon im Mai 1399 eine die Form einer Königsurkunde nachahmende lateinische Deklamation, in welcher der als Herrscher gedachte Mai über die bevorstehende Niederkunft der unglücklichen Hedwig von Polen panegyrische Huldigungen ausspricht, vielleicht als erstes Denkmal humanistischer Kanzlei-Rhetorik entstanden. Vereinigt mit andern Musterstücken aus der polnischen Königskanzlei, die es als Prolog eröffnet, wurde es aufgenommen in ein grofses 1441—1444 angelegtes und in der Breslauer Bischofskanzlei ge- brauchtes Formularbuch, dem eine 1441 in Liegnitz hergestellte Abschrift der Summa cancellariae Karoli IV. und eine Sammlung von Briefen und Urkunden aus der Kanzlei des Bischofs Konrad von Breslau (1417—1447) folgt (Bresl. Unir. Bibl. Cod. II Fol. Nr. 23). Der polnischen Königskanzlei gehörten im zweiten und dritten Jahrzelnt des 15. Jahrhunderts die Begrün- der des polnischen Humanismus an: Zbigniew Oleýnicki, später Kardinal- bischof von Krakau, ein Korrespondent Enea Silvios und von diesem wegen seines Stils gepriesen; Stanislaus Ciolek, später Bischof von Posen und Vertreter Polens auf dem Baseler Konzil; Gregor von Sanok, später Erzbischof von Lemberg. Bis in die Tage des Veit Stoß und Conrad Celtes zog Stadt und Universität Krakau deutsche Studenten und Künstler in Scharen an2. In unsre beiden Schlägler Briefsteller spielt ein leiser 1 Der Stadt Krakau hatte 1257 Herzog Boleslav von Polen deutsches Recht nach Breslauer Muster erteilt. Infolgedavon gehörte sie später wie Breslau au der Reihe jener Tochterstädte des Rechts-Oberhofs Magdeburg, deren Schöffen- stühle als angeschene Führer ein engeres Gebiet durch die eigenen Ent- scheidungen beherrschten s. Rich. Schroeder, Lehrb. d. deutsch. Rechtsgesch.5 1907. S. 698 und Anm. 17). In den ältesten Stadtbichern (acta consularia) von Krakan aus dem Ende des 14. Jahrhunderts xeigen sich die Bezichungen auf Schlesien so massenhaft, und kehren die bekannten Breslauer Namen so häufig wieder, daß man den Eindruck gewinnt. Krakau sci damals nicht riel anders als eine Vorstadt von Breslau gewesen' (Grünhagen, Zeitschr. f. Gesch. Schlesiens Bd. 9, 1868, S. 138 und Bd. 18, S. 41f.). 2 Vgl. dazu Literarisches Zentralblatt 1898, 23. April, Sp. 653f.: meine dort gebotenen Ausführungen beruhten auf meiner Durcharbeitung des genannten Formularbuchs der Breslauer bischöflichen Kanzlei in der Breslauer Univer- sitätsbibliothek während meines mehrmonatlichen Studienaufenthalts in Breslau (Winter 1897 98). Ich stellte mir damals von dem Kodex eine Beschreibung her und nahm von xahlreichen sciner Sticke Abschrift. Seitdem hat Konrad
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20 Abglanz hinein aus jenen ersten Anfängen der wissenschaftlichen Blüte Krakaus und seines Eintritts in den Kreis der Weltuniversitäten: die darin enthaltenen Formulare lassen Scholaren von Prag, Wien, Krakau und Paris miteinander korrespondieren (siehe Textabdruck Nr. 70—72 und 76). Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. II. Die erste Briefmustersammlung. Von den beiden Formelbüchern ist das erste fast ganz lateinisch und wenig umfänglich (Bl. 58°—63"). Es bietet Briefe nur aus einem eng begrenxten Kreis gelehrter Stände. Eigentümlich ist für diese Samm- lung, daß darin die Fiktion einer Standesgleichheit der Korre- spondenten herrscht. Es ist das wohl für ein modernes naives Gefühl die seltsamste der auch sonst uns auffallenden Künstlichkeiten. Scholaren schreiben an einander. Es folgen Briefe an Magister, Doktoren; der Brief eines Studenten an einen Baccalarius; Muster für Schreiben an Presbyter, eines Kapellans an einen Kapellan, eines Domherrn an einen Domherrn, eines Pfarrers an den Archidiakon, oder an einen Domherrn, Bittbrief eines Studenten an den Propst zur Beförderung in eine Dienst- stellung. Man sieht immerhin: zwischen Briefschreiber und Briefempfänger waltet wenigstens nicht überall Gleichheit des Ranges; aber immer Gleich- heit des Standes. Die Erklärung und xugleich eine gewisse Milderung der Willkür liegt in den tatsächlich sehr engen Standesschranken der Zeit und in dem Umstand, daß viel mehr als heute damals der Zug zur festen Gliederung nach Klassen und Typen die Geister beherrschte. Ubrigens war wohl auch ein methodisch-didaktischer Grund mit im Spiel: diese elementare Anleitung begnügt sich, xunächst einmal die Beiworte und Phrasen für das einfachste Verhältnis, die Korrespondenz zwischen Standesgleichen einzuprägen. Wutke, der damals (gelegentlich auch im Verein mit Gustav Bauch) im Breslauer Staatsarchiv meine Arbeiten über die Formularbücher und die Kanz- leien Schlesiens mit Teilnahme und guten Winken begleitete, eine genauere Unter- suchung und Ubersicht des Inhalts, der Zusammensetxung und der Quellen jenes Kodex veröffentlicht (unterstütxt von Joseph Klapper, der auch am vorliegenden Werke als Mitherausgeber Johanns von Neumarkt beteiligt ist), ohne übrigens meine Bemerkungen im Lit. Zentralbl. zu kennen: Uber schlesische Formelbücher des Mittelalters a. a. O. S. 22—28. 107—176. — Vgl. ferner Gust. Bauch, Schlesien und die Universität Krakau im XV. u. XVI. Jahrh., Zeitschr. f. d. Gesch. Schlesiens, 41. Bd. (1907), S. 99—180: er weist unter 250 Namen von Schlesiern bis 1450 nicht weniger als 65 nach, was bei der Un- zulänglichkeit und Lückenhaftigkeit der Nameneintragung in der Krakauer Matrikel nur ein geringer Bruchteil der tatsächlich in Krakau studierenden Schlesier sein kann.
20 Abglanz hinein aus jenen ersten Anfängen der wissenschaftlichen Blüte Krakaus und seines Eintritts in den Kreis der Weltuniversitäten: die darin enthaltenen Formulare lassen Scholaren von Prag, Wien, Krakau und Paris miteinander korrespondieren (siehe Textabdruck Nr. 70—72 und 76). Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. II. Die erste Briefmustersammlung. Von den beiden Formelbüchern ist das erste fast ganz lateinisch und wenig umfänglich (Bl. 58°—63"). Es bietet Briefe nur aus einem eng begrenxten Kreis gelehrter Stände. Eigentümlich ist für diese Samm- lung, daß darin die Fiktion einer Standesgleichheit der Korre- spondenten herrscht. Es ist das wohl für ein modernes naives Gefühl die seltsamste der auch sonst uns auffallenden Künstlichkeiten. Scholaren schreiben an einander. Es folgen Briefe an Magister, Doktoren; der Brief eines Studenten an einen Baccalarius; Muster für Schreiben an Presbyter, eines Kapellans an einen Kapellan, eines Domherrn an einen Domherrn, eines Pfarrers an den Archidiakon, oder an einen Domherrn, Bittbrief eines Studenten an den Propst zur Beförderung in eine Dienst- stellung. Man sieht immerhin: zwischen Briefschreiber und Briefempfänger waltet wenigstens nicht überall Gleichheit des Ranges; aber immer Gleich- heit des Standes. Die Erklärung und xugleich eine gewisse Milderung der Willkür liegt in den tatsächlich sehr engen Standesschranken der Zeit und in dem Umstand, daß viel mehr als heute damals der Zug zur festen Gliederung nach Klassen und Typen die Geister beherrschte. Ubrigens war wohl auch ein methodisch-didaktischer Grund mit im Spiel: diese elementare Anleitung begnügt sich, xunächst einmal die Beiworte und Phrasen für das einfachste Verhältnis, die Korrespondenz zwischen Standesgleichen einzuprägen. Wutke, der damals (gelegentlich auch im Verein mit Gustav Bauch) im Breslauer Staatsarchiv meine Arbeiten über die Formularbücher und die Kanz- leien Schlesiens mit Teilnahme und guten Winken begleitete, eine genauere Unter- suchung und Ubersicht des Inhalts, der Zusammensetxung und der Quellen jenes Kodex veröffentlicht (unterstütxt von Joseph Klapper, der auch am vorliegenden Werke als Mitherausgeber Johanns von Neumarkt beteiligt ist), ohne übrigens meine Bemerkungen im Lit. Zentralbl. zu kennen: Uber schlesische Formelbücher des Mittelalters a. a. O. S. 22—28. 107—176. — Vgl. ferner Gust. Bauch, Schlesien und die Universität Krakau im XV. u. XVI. Jahrh., Zeitschr. f. d. Gesch. Schlesiens, 41. Bd. (1907), S. 99—180: er weist unter 250 Namen von Schlesiern bis 1450 nicht weniger als 65 nach, was bei der Un- zulänglichkeit und Lückenhaftigkeit der Nameneintragung in der Krakauer Matrikel nur ein geringer Bruchteil der tatsächlich in Krakau studierenden Schlesier sein kann.
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II. Die erste Briefmustersammlung. 21 1. Historische und persönliche Beziehungen. Dem Hang zur abstrakten Formel ist hier ziemlich weit nachgegeben. Es werden die Personen- und Ortsnamen teilweise durch ein N. (nomen nescio) oder talis ersetxt: z. B. magistro N. in tali loco. Alle Zeit- angaben fehlen. Aber es werden doch gelegentlich auch Personen und Orte genannt. Und zwar die folgenden: Prag, Liegnitz, Schweidnitz, Freiberg, Böhm. Kamnitz (Bezirk Tetschen), Bautzen und vielleicht das bei Kamenz gelegene Marienstern (als Marginsten); ferner Regensburg und die unsichern Namen Glisberg, Vrauwensteyn. Es erscheint in einem Brief eines unbezeichneten Pfarrers an seinen Archidiakon ein Wences- laus de roggaw (s. unten Abdruck Nr. 62): das weist nach dem Ant- wortbrief des Archidiakons, der den Beschwerde Führenden als Pfarrer von Schweidnitz bexeichnet (unten Abdruck Nr. 63), auf das Rogau im Kreise Schweidnitx1. Ferner Waltherus de kokericz Kanonikus zu St. Peter in Bautzen. Das 1213 gegrüindete Domstift in Bautzen ist in der Tat dem heiligen Petrus geweiht, und die Familie von Köckeritz gehört wirklich der Oberlausitz an2. Und Walther von Köckeritz war wirklich Domherr im Kollegiatstift zu Bautzen, aber auch Domherr von Magdeburg, und ist als solcher 1397, als Archidiakon der Lausitz von 1405 (Januar 19) bis zu scinem Tode (1432, Dexember 20) nachzuweisen3. Bei dem scolari Nicolao Wartinberg muß man an Herkunft aus einem Ort dieses Namens denken: dies kann das böhmische Wartenberg östlich von Böhmisch-Leipa sein, aber cher das schlesische Groß-Wartenberg (Regie- rungsbezirk Breslaw, 8 Meilen ostnordöstlich von Breslau). Wenn N. glocz magistro als Nicolaus Glatz aufzulösen ist und auch hier der Familien- name den Heimatort bezeichnet, könnte man iln wiederfinden in cinem Nicolaus de Glacz, der 1399 in quadragesima in der philosophischen Fakultät der Prager Universität zur Baccalariatsprüfung zugelassen wurde4. Doch ist das natürlich eine bloße Möglichkeit. Zweifelhiaft ist auch, wen man in dem archiepiscopus dominus Conradus sancte virginis ecclesie 1 Es gab in Schweidnitz schon in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts ein Archipresbyterat (Sedes Swidnicensis, 1335), und Rogau am Zobten im Kreise Schweidnitx ist schon 1318 bexeugt als Rogaw prope Sobotam civitatem : Zeitschr. f. Gesch. Schlesiens, Bd. 7 (1866), S. 293. 289. Vgl. ferner ebd. Bd. 14 (1878), S. 24.5: Her Mathis von der Rogaw (15. Jahrh.) in der Nähe von Schweidnfx; ebd. Bd. 4 (1862), S. 282 Guntherus, Nycolaus, Mathias de Rogaw (14. Jahrh.) im Nekrologium von Heinrichau. 2 Vgl. Codex diplomaticus Lusatiae superioris herg. von R. Jecht, Bd. II, Görlitz. 1900—1904, Register s. v. Köckeritx. 3 Ursinus, Geschichte der Domkirche xu Meißen 1782, S.177; C. Klachn, Diplomatisches Verzeichnis der Archidiakone der Lausitz, Neues Lausitzisches Magazin. Bd. 35, Görlitz 1859, S. 12 f. Walther Köckeritz wird übrigens auch in dem unten zu besprechenden Schneeberger Kodex (Bl. 105) genannt. 4 Monumenta universitatis Pragensis I, 339.
II. Die erste Briefmustersammlung. 21 1. Historische und persönliche Beziehungen. Dem Hang zur abstrakten Formel ist hier ziemlich weit nachgegeben. Es werden die Personen- und Ortsnamen teilweise durch ein N. (nomen nescio) oder talis ersetxt: z. B. magistro N. in tali loco. Alle Zeit- angaben fehlen. Aber es werden doch gelegentlich auch Personen und Orte genannt. Und zwar die folgenden: Prag, Liegnitz, Schweidnitz, Freiberg, Böhm. Kamnitz (Bezirk Tetschen), Bautzen und vielleicht das bei Kamenz gelegene Marienstern (als Marginsten); ferner Regensburg und die unsichern Namen Glisberg, Vrauwensteyn. Es erscheint in einem Brief eines unbezeichneten Pfarrers an seinen Archidiakon ein Wences- laus de roggaw (s. unten Abdruck Nr. 62): das weist nach dem Ant- wortbrief des Archidiakons, der den Beschwerde Führenden als Pfarrer von Schweidnitz bexeichnet (unten Abdruck Nr. 63), auf das Rogau im Kreise Schweidnitx1. Ferner Waltherus de kokericz Kanonikus zu St. Peter in Bautzen. Das 1213 gegrüindete Domstift in Bautzen ist in der Tat dem heiligen Petrus geweiht, und die Familie von Köckeritz gehört wirklich der Oberlausitz an2. Und Walther von Köckeritz war wirklich Domherr im Kollegiatstift zu Bautzen, aber auch Domherr von Magdeburg, und ist als solcher 1397, als Archidiakon der Lausitz von 1405 (Januar 19) bis zu scinem Tode (1432, Dexember 20) nachzuweisen3. Bei dem scolari Nicolao Wartinberg muß man an Herkunft aus einem Ort dieses Namens denken: dies kann das böhmische Wartenberg östlich von Böhmisch-Leipa sein, aber cher das schlesische Groß-Wartenberg (Regie- rungsbezirk Breslaw, 8 Meilen ostnordöstlich von Breslau). Wenn N. glocz magistro als Nicolaus Glatz aufzulösen ist und auch hier der Familien- name den Heimatort bezeichnet, könnte man iln wiederfinden in cinem Nicolaus de Glacz, der 1399 in quadragesima in der philosophischen Fakultät der Prager Universität zur Baccalariatsprüfung zugelassen wurde4. Doch ist das natürlich eine bloße Möglichkeit. Zweifelhiaft ist auch, wen man in dem archiepiscopus dominus Conradus sancte virginis ecclesie 1 Es gab in Schweidnitz schon in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts ein Archipresbyterat (Sedes Swidnicensis, 1335), und Rogau am Zobten im Kreise Schweidnitx ist schon 1318 bexeugt als Rogaw prope Sobotam civitatem : Zeitschr. f. Gesch. Schlesiens, Bd. 7 (1866), S. 293. 289. Vgl. ferner ebd. Bd. 14 (1878), S. 24.5: Her Mathis von der Rogaw (15. Jahrh.) in der Nähe von Schweidnfx; ebd. Bd. 4 (1862), S. 282 Guntherus, Nycolaus, Mathias de Rogaw (14. Jahrh.) im Nekrologium von Heinrichau. 2 Vgl. Codex diplomaticus Lusatiae superioris herg. von R. Jecht, Bd. II, Görlitz. 1900—1904, Register s. v. Köckeritx. 3 Ursinus, Geschichte der Domkirche xu Meißen 1782, S.177; C. Klachn, Diplomatisches Verzeichnis der Archidiakone der Lausitz, Neues Lausitzisches Magazin. Bd. 35, Görlitz 1859, S. 12 f. Walther Köckeritz wird übrigens auch in dem unten zu besprechenden Schneeberger Kodex (Bl. 105) genannt. 4 Monumenta universitatis Pragensis I, 339.
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22 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. erkennen soll, den ein Brief des Regensburger Propstes an einen ver- wandten Prager Studenten nennt (Bl. 637). Regensburg gehört zur Metropole Salzburg, aber kein Salzburger Erzbischof dieser Zeit führt den Namen Konrad. Also entweder ist archiepiscopus, das hinter durchstrichenem episcopus steht, gegen die Wirklichkeit zur absichtlichen Verdunkelung für das richtige episcopus eingesetzt: dann könnte man an den Regensburger Bischof Konrad von Heimberg (1368—1381) denken. Oder man müßte, da auch weder in Prag noch in Magdeburg noch in Gnesen damals ein Konrad Erzbischof war, bis nach Mainz die Blicke richten, wo Conradus de Weinsperg (1391—1396) den erzbischöflichen Stuhl einnahm. Schwierigkeiten macht aber dabei immer das sancte vir- ginis ecclesie. Denn keine der in Frage kommenden Metropolitankirchen war der Jungfrau Maria geweiht. Die übrigen Personennamen, deren Träger sämtlich Scholaren und Kleriker sind, bieten keinerlei Anhalt, um ihre historische Echtheit zu bestimmen. Eine feste oder eng begrenzte Zeitbestimmung läßt sich somit hieraus für die Entstehung des Formelbuchs nicht gewinnen. Nur auf die Wende des 14. Jahrhunderts weist die Erwähnung des Walther von Köckeritz. Und innerhalb des oberlausitzisch-schlesisch-böhmischen Grenzgebietes werden wir den Verfasser des ersten Formelbuchs suchen. 2. Die Scholarenbriefe. Besonders interessieren die Scholarenbriefe: Briefe an Magister, Doktoren; das Muster quomodo scribit studens bacalario; ein Bittbrief eines Prager Studenten an den ihm verwandten Regensburger Propst. Alle diese Briefe sind in lateinischem Text. Aber die Eingänge der Briefe bieten mehrmals gereimte deutsch-lateinische Verse. Die Scholarenbriefe eröffnet ein sonderbares Proömium: ein Brief der Jungfrau Maria an den Studenten. Ahnliche fingierte Briefe oder Erlasse göttlicher oder heiliger Personen wie auch umgekehrt Briefe oder Gedichte an diese sind der spätmittelalterlichen Schulschriftstellerei geläufig. Und gerade die Rhetoriken lieben sie, um auch daran das Schema der Kanzleiform zu hängen und durch den Gegensatz zwischen der typischen Form des fest gegliederten kanzleimäßigen Diktats und dem gehobenen Inhalt zu reizen. Der vorliegende Einleitungsbrief zeigt so recht den preziösen, spielerischen Charakter dieser akademischen Halb- bildung, die zwar auf geistlichem Grunde ruht und geistliche Einkleidung und Ausdrucksweise bevorzugt, aber hinausstrebt in ein freies Formen- spiel, in eine prunkende Manier der Wortfülle und des kolorierten Stils. Es ist die Zeit, wo der Marienkultus seine höchste künstlerische Blüte zeitigt und selbst eine so stark von politischem Wollen und humanistisch- rhetorischen Interessen erfüllie Persönlichkeit wie Rienzo sich als Diener
22 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. erkennen soll, den ein Brief des Regensburger Propstes an einen ver- wandten Prager Studenten nennt (Bl. 637). Regensburg gehört zur Metropole Salzburg, aber kein Salzburger Erzbischof dieser Zeit führt den Namen Konrad. Also entweder ist archiepiscopus, das hinter durchstrichenem episcopus steht, gegen die Wirklichkeit zur absichtlichen Verdunkelung für das richtige episcopus eingesetzt: dann könnte man an den Regensburger Bischof Konrad von Heimberg (1368—1381) denken. Oder man müßte, da auch weder in Prag noch in Magdeburg noch in Gnesen damals ein Konrad Erzbischof war, bis nach Mainz die Blicke richten, wo Conradus de Weinsperg (1391—1396) den erzbischöflichen Stuhl einnahm. Schwierigkeiten macht aber dabei immer das sancte vir- ginis ecclesie. Denn keine der in Frage kommenden Metropolitankirchen war der Jungfrau Maria geweiht. Die übrigen Personennamen, deren Träger sämtlich Scholaren und Kleriker sind, bieten keinerlei Anhalt, um ihre historische Echtheit zu bestimmen. Eine feste oder eng begrenzte Zeitbestimmung läßt sich somit hieraus für die Entstehung des Formelbuchs nicht gewinnen. Nur auf die Wende des 14. Jahrhunderts weist die Erwähnung des Walther von Köckeritz. Und innerhalb des oberlausitzisch-schlesisch-böhmischen Grenzgebietes werden wir den Verfasser des ersten Formelbuchs suchen. 2. Die Scholarenbriefe. Besonders interessieren die Scholarenbriefe: Briefe an Magister, Doktoren; das Muster quomodo scribit studens bacalario; ein Bittbrief eines Prager Studenten an den ihm verwandten Regensburger Propst. Alle diese Briefe sind in lateinischem Text. Aber die Eingänge der Briefe bieten mehrmals gereimte deutsch-lateinische Verse. Die Scholarenbriefe eröffnet ein sonderbares Proömium: ein Brief der Jungfrau Maria an den Studenten. Ahnliche fingierte Briefe oder Erlasse göttlicher oder heiliger Personen wie auch umgekehrt Briefe oder Gedichte an diese sind der spätmittelalterlichen Schulschriftstellerei geläufig. Und gerade die Rhetoriken lieben sie, um auch daran das Schema der Kanzleiform zu hängen und durch den Gegensatz zwischen der typischen Form des fest gegliederten kanzleimäßigen Diktats und dem gehobenen Inhalt zu reizen. Der vorliegende Einleitungsbrief zeigt so recht den preziösen, spielerischen Charakter dieser akademischen Halb- bildung, die zwar auf geistlichem Grunde ruht und geistliche Einkleidung und Ausdrucksweise bevorzugt, aber hinausstrebt in ein freies Formen- spiel, in eine prunkende Manier der Wortfülle und des kolorierten Stils. Es ist die Zeit, wo der Marienkultus seine höchste künstlerische Blüte zeitigt und selbst eine so stark von politischem Wollen und humanistisch- rhetorischen Interessen erfüllie Persönlichkeit wie Rienzo sich als Diener
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II. Die erste Briefmustersammlung. 23 und Werkzeug der heiligen Gottesmutter bekennt (V. Ma. z. Reform. II, 2, Briefwechsel Rienzos Nr. 49, 47 f.; 50, 52; 73, 54 ff.) und damit seinen Schülern und Nachahmern ein Stichwort gibt. Damals wurden allerorten in den Ländern des Königreichs Böhmen Marienbilder uud Marien- skulpturen mit mächtig gesteigerter Devotion und wachsender Lebendigkeit der Darstellung geschaffen. Einen Reflex davon zeigt ein leider unvoll- ständiges Formular eines Briefes an einen Domherrn Nicolaus Kant mit der Bitte, bei einem gerade in seiner Stadt anwesenden Maler aus dem Orden der Augustinereremiten ein Bildnis der Gottesmutter zu bestellen (Bl. 621): ein willkommenes Zeugnis für die von mir in der ersten Bearbeitung dieses Werkes hervorgehobene künstlerische Betätigung dieses Ordens1. Die Mutter Gottes wird damals als die Beherrscherin des tieferen seelischen Lebens empfunden. So faßt denn auch der Ver- fasser dieser rhetorischen Musterbriefe die ersehnten Wirkungen der von ihm gelehrten Wissenschaft und Kunst, omnis eloquencie doctrina et omne studiorum genus als eine Spende der allmächtigen Himmelskönigin auf und macht sie verantwortlich für den Erfolg der Beredsamkeit in irdischen Dingen. Was er, was seine Lehrer und Schüler sich wünschen, verrät er dabei deutlich genug und mit dem Schwung rhetorischer Figuren, der dem Jünger der neuen Eloquenz ziemt: die Gebenedeite wird ihn und alle braven Schüler der von ihm gelehrten Kunst machen ex paupere divitem, ex depresso sublimem, ex ingrato gratissimum, ex immundo mundissimum, ex indocto doctissimum. Auch die zweite Briefmuster- sammlung stellt sich huldigend unter den Schutz der heiligen Jungfrau (s. unten III, I) und enthält ein Formular, das dem eben angeführten nahverwandt ist: Bitte an den Domherrn Nicolaus Kant in Prag, von einem berühmten Steinmetz ein Marienbild herstellen zu lassen (Bl. 129", Texte Nr. 80) 2 Wohl bewegt sich diese werdende Bildung noch im kirchlichen Be- reiche. Ist sie doch tausendfach abhängig von der Organisation und den materiellen Gütern der Kirche. Ist doch die kirchliche Pfründe das Hauptziel aller dieser geistlichen Halbgelehrten. Daß die Kanzlei gleich der Prager Universität eine große Versorgungs- anstalt, eine unglaublich prompt arbeitende Pfründenfabrik' war, habe 1 Vom Mittelalt. x. Reformat. 1 (1893), S. 93 ff. (= Zentralbl. f. Bibliotheks- wesen 1891, Bd. 8, S. 454ff.); daxu vgl. meinen Bericht über Forschungen zum Ursprung der neuhochdeutschen Schriftsprache und des deutschen Humanismus, Abhandlungen d. Berliner Akad. d. Wissensch. 1903, S. 44 ff. 2 Uber die Blüte des Marienkults in Böhmen des Karolinischen Zeit- alters und seinen Abglanx in der Poesie und Kunst, insbesondere über die Anregungen des ersten Prager Erzbischofs Ernst von Pardubitx und des könig- lichen Hofkanzlers und Bischofs von Olmütz Johann von Neumarkt s. die erste Auflage dieses Werkes (V. Ma. x. Reform. 1, S. 108 ff. = Zentralbl. f. Bibl. 1891, S. 468 ff.).
II. Die erste Briefmustersammlung. 23 und Werkzeug der heiligen Gottesmutter bekennt (V. Ma. z. Reform. II, 2, Briefwechsel Rienzos Nr. 49, 47 f.; 50, 52; 73, 54 ff.) und damit seinen Schülern und Nachahmern ein Stichwort gibt. Damals wurden allerorten in den Ländern des Königreichs Böhmen Marienbilder uud Marien- skulpturen mit mächtig gesteigerter Devotion und wachsender Lebendigkeit der Darstellung geschaffen. Einen Reflex davon zeigt ein leider unvoll- ständiges Formular eines Briefes an einen Domherrn Nicolaus Kant mit der Bitte, bei einem gerade in seiner Stadt anwesenden Maler aus dem Orden der Augustinereremiten ein Bildnis der Gottesmutter zu bestellen (Bl. 621): ein willkommenes Zeugnis für die von mir in der ersten Bearbeitung dieses Werkes hervorgehobene künstlerische Betätigung dieses Ordens1. Die Mutter Gottes wird damals als die Beherrscherin des tieferen seelischen Lebens empfunden. So faßt denn auch der Ver- fasser dieser rhetorischen Musterbriefe die ersehnten Wirkungen der von ihm gelehrten Wissenschaft und Kunst, omnis eloquencie doctrina et omne studiorum genus als eine Spende der allmächtigen Himmelskönigin auf und macht sie verantwortlich für den Erfolg der Beredsamkeit in irdischen Dingen. Was er, was seine Lehrer und Schüler sich wünschen, verrät er dabei deutlich genug und mit dem Schwung rhetorischer Figuren, der dem Jünger der neuen Eloquenz ziemt: die Gebenedeite wird ihn und alle braven Schüler der von ihm gelehrten Kunst machen ex paupere divitem, ex depresso sublimem, ex ingrato gratissimum, ex immundo mundissimum, ex indocto doctissimum. Auch die zweite Briefmuster- sammlung stellt sich huldigend unter den Schutz der heiligen Jungfrau (s. unten III, I) und enthält ein Formular, das dem eben angeführten nahverwandt ist: Bitte an den Domherrn Nicolaus Kant in Prag, von einem berühmten Steinmetz ein Marienbild herstellen zu lassen (Bl. 129", Texte Nr. 80) 2 Wohl bewegt sich diese werdende Bildung noch im kirchlichen Be- reiche. Ist sie doch tausendfach abhängig von der Organisation und den materiellen Gütern der Kirche. Ist doch die kirchliche Pfründe das Hauptziel aller dieser geistlichen Halbgelehrten. Daß die Kanzlei gleich der Prager Universität eine große Versorgungs- anstalt, eine unglaublich prompt arbeitende Pfründenfabrik' war, habe 1 Vom Mittelalt. x. Reformat. 1 (1893), S. 93 ff. (= Zentralbl. f. Bibliotheks- wesen 1891, Bd. 8, S. 454ff.); daxu vgl. meinen Bericht über Forschungen zum Ursprung der neuhochdeutschen Schriftsprache und des deutschen Humanismus, Abhandlungen d. Berliner Akad. d. Wissensch. 1903, S. 44 ff. 2 Uber die Blüte des Marienkults in Böhmen des Karolinischen Zeit- alters und seinen Abglanx in der Poesie und Kunst, insbesondere über die Anregungen des ersten Prager Erzbischofs Ernst von Pardubitx und des könig- lichen Hofkanzlers und Bischofs von Olmütz Johann von Neumarkt s. die erste Auflage dieses Werkes (V. Ma. x. Reform. 1, S. 108 ff. = Zentralbl. f. Bibl. 1891, S. 468 ff.).
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24 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. ich in der ersten Auflage dieses Werkes (V. Ma. x. Reform. 1, S. 47 ff. = Zentralbl. f. Bibl. 1891, S. 170 ff.) ausgesprochen. Der zweite Ausdruck ist von Zeumer zugleich mit meiner Bezeichnung der Kanzlei als der Wiege des modernen Beamtentums' beanstandet worden in seiner Be- sprechung von E. Gutjahrs Buch, Die Urkunden deutscher Sprache in der Kanzlei Karls IV. (Neues Archiv f. ältere deutsche Geschichtskunde, 32. Bd. 1907, S. 557). Gutjahr hatte diese Metaphern wie manches andere meinem Werk entnommen, wenn auch seine gänzlich verfehlten Untersuchungen (s. V. Ma. z. Reform. III, 2, Einführung in das Ge- samtwerk', S. XXIIf. Anm.) in ihrer Methode und in ihrem Ziel mit meinen Forschungen nichts gemein haben. Die von Zeumer so scharf verdammten 1 Metaphern bestchen sachlich vollkommen zu Recht. Natürlich ist ihr Sinn nur dieser: die Kanzleilaufbahn war damals ein beliebter und erfolgreicher Weg, um rasch und sicher durch den König, durch geistliche und weltliche Fürsten die Anwartschaft auf eine Pfründe zu erlangen, und sie war xugleich für eine wichtigste Seite des werdenden Beamtenstandes eine gute Schule, nämlich für die Ausbildung in der Technik des schriftlichen Geschäfts-, Verwaltungs- und Rechtsbetriebs. Dafür sprechen die klar vorliegenden Tatsachen, und die Verfasser der Kanzleirhetoriken wiederholen es selbst mit Stolz oft genug, daß die von ihnen gelehrte neue Eloquenx des Kanzleiliteraten das Sprungbrett sei, um an den Höfen in die Höhe zu kommen, Ehre und Reichtum einzuheimsen. Vgl. auch besonders unten S. 26 ff. Das andere praktische Ziel der rhetorischen Bemühungen dieser künftigen Kanzleiliteraten verrät in unserer Sammlung z. B. das Briefchen eines Prager Studenten an seinen Verwandten, den Propst M. in Regens- burg, worin er bittet, ihm zur Erlangung eines weltlichen oder geistlichen Notariats, zu dem ihn seine Studien befähigten, behilflich zu sein (Bl. 63r, unten Texte Nr. 64), und die zusagende Antwort des Gönners, die ihm Aussicht macht auf ein erzbischöfliches Notariat (Bl. 63", unten Texte Nr. 65). In diesem Kreise fühlt man sich doch schon als eine erlesene Gruppe mit überlegener Feinheit des Geschmacks und freieren Umgangsformen. Es ist eine Kleinigkeit, aber bedeutungsvoll, wenn der Verfasser für sich und seinen Leserkreis eine besondere Datierungsweise reserviert und lehrt : Nota persone litterate inter se non scribunt diem festorum sed diem mensium (Bl. 58"). Dies wird dann in dem darauf folgenden Musterbeispiel veranschaulicht, das mit den Worten schließt: Datum Prage ea die mensis scilicet iiij septembris (s. unten Texte Nr. 54). Für die reguläre Urkunde war also damals im Osten die Datierung nach 1 Zeumer dachte übrigens später, wie ich brieflich von ihm weiß und wie sein Urteil über meine und Piurs Rienxo-Ausgabe und deren Benutzung im 8. Band der Constitutiones (Mon. Germ. Leg. sect. IV, 1910), Nr. 244—247, S. 301ff. beweist, über meine Arbeit anders ats jener Tadel erwarten läßt.
24 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. ich in der ersten Auflage dieses Werkes (V. Ma. x. Reform. 1, S. 47 ff. = Zentralbl. f. Bibl. 1891, S. 170 ff.) ausgesprochen. Der zweite Ausdruck ist von Zeumer zugleich mit meiner Bezeichnung der Kanzlei als der Wiege des modernen Beamtentums' beanstandet worden in seiner Be- sprechung von E. Gutjahrs Buch, Die Urkunden deutscher Sprache in der Kanzlei Karls IV. (Neues Archiv f. ältere deutsche Geschichtskunde, 32. Bd. 1907, S. 557). Gutjahr hatte diese Metaphern wie manches andere meinem Werk entnommen, wenn auch seine gänzlich verfehlten Untersuchungen (s. V. Ma. z. Reform. III, 2, Einführung in das Ge- samtwerk', S. XXIIf. Anm.) in ihrer Methode und in ihrem Ziel mit meinen Forschungen nichts gemein haben. Die von Zeumer so scharf verdammten 1 Metaphern bestchen sachlich vollkommen zu Recht. Natürlich ist ihr Sinn nur dieser: die Kanzleilaufbahn war damals ein beliebter und erfolgreicher Weg, um rasch und sicher durch den König, durch geistliche und weltliche Fürsten die Anwartschaft auf eine Pfründe zu erlangen, und sie war xugleich für eine wichtigste Seite des werdenden Beamtenstandes eine gute Schule, nämlich für die Ausbildung in der Technik des schriftlichen Geschäfts-, Verwaltungs- und Rechtsbetriebs. Dafür sprechen die klar vorliegenden Tatsachen, und die Verfasser der Kanzleirhetoriken wiederholen es selbst mit Stolz oft genug, daß die von ihnen gelehrte neue Eloquenx des Kanzleiliteraten das Sprungbrett sei, um an den Höfen in die Höhe zu kommen, Ehre und Reichtum einzuheimsen. Vgl. auch besonders unten S. 26 ff. Das andere praktische Ziel der rhetorischen Bemühungen dieser künftigen Kanzleiliteraten verrät in unserer Sammlung z. B. das Briefchen eines Prager Studenten an seinen Verwandten, den Propst M. in Regens- burg, worin er bittet, ihm zur Erlangung eines weltlichen oder geistlichen Notariats, zu dem ihn seine Studien befähigten, behilflich zu sein (Bl. 63r, unten Texte Nr. 64), und die zusagende Antwort des Gönners, die ihm Aussicht macht auf ein erzbischöfliches Notariat (Bl. 63", unten Texte Nr. 65). In diesem Kreise fühlt man sich doch schon als eine erlesene Gruppe mit überlegener Feinheit des Geschmacks und freieren Umgangsformen. Es ist eine Kleinigkeit, aber bedeutungsvoll, wenn der Verfasser für sich und seinen Leserkreis eine besondere Datierungsweise reserviert und lehrt : Nota persone litterate inter se non scribunt diem festorum sed diem mensium (Bl. 58"). Dies wird dann in dem darauf folgenden Musterbeispiel veranschaulicht, das mit den Worten schließt: Datum Prage ea die mensis scilicet iiij septembris (s. unten Texte Nr. 54). Für die reguläre Urkunde war also damals im Osten die Datierung nach 1 Zeumer dachte übrigens später, wie ich brieflich von ihm weiß und wie sein Urteil über meine und Piurs Rienxo-Ausgabe und deren Benutzung im 8. Band der Constitutiones (Mon. Germ. Leg. sect. IV, 1910), Nr. 244—247, S. 301ff. beweist, über meine Arbeit anders ats jener Tadel erwarten läßt.
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II. Die erste Briefmustersammlung. 25 den kirchlichen Festen durchaus vorgeschrieben oder wenigstens im Ge- brauch herrschend1. Diese aufstrebenden Kanzleibeamten in ihrem Lite- ratenbewußtsein emanzipieren sich für ihre Privatbriefe davon und äugeln hinüber nach den Gepflogenheiten des jungen Humanismus2, mögen sie von ihm durch ihren Mangel an tieferer Kenntnis der alten lateinischen Autoren und durch ihr immer noch barbarisches Latein auch weit abstehn. 3. Die stilistisch-rhetorische Leistung. Die stilistisch-rhetorische Leistung, die in diesem Briefsteller vorliegt, richtig zu beurteilen, erschwert mancherlei. Zunächst muß man die Frage nach dem persönlichen Verdienst, nach der individuellen Kraft in den Hintergrund drängen. Denn inwieweit in diesem Formularbuch außer den reproduxierten, nur leicht durch Beseiti- gung der Namen und ähnliche Eingriffe veränderten Briefen verschiedener Personen auch eigene Diktate des Sammlers und Kommentators vor- kommen, das wird sich kaum klarstellen lassen. Wir müssen uns be- gnügen, hier einen zwar abgestuften und nach den jeweiligen Korrespon- denten und Anlässen unterschiedenen, aber im ganzen doch cinheitlichen Stiltypus eines zeitlich und räumlich leidlich begrenzten Bevirks der ost- mitteldeutschen Kanzlei zu beobachten. Schlimmer ist die nngeheure Verderbnis des uns überlieserten Textes. Lese- wie namentlich Hörschler und wirkliche Unkenntnis des Lateini- schen müssen zusammen gearbeitet haben, um — vermittelt durch mehrere handschriftliche Zwischenglieder — diese Häufung von Sinnlosigkeit xu erzeugen, wie sie uns hier entgegentritt. Namentlich diejenigen Scholaren- briefe, die offenbar mit besonderem Eifer einen höheren Schwung und reichere Fülle der Rede anstreben (eine Auswahl daraus unten Texte Nr. 53—58), sind nahezu unverständlich überliefert. Man müßte an einer Emendation dieser Texte verzweifeln, käme nicht von drei Seiten Hilfe. Erstens wiederholt der nachfolgende Kommentar (die Glosse') einzelne Stellen und gibt sie dabei mehrfach, wenn auch leider keines- wegs immer, in reinerer Gestalt. Diese textkritische Hilfe wird freilich dadurch beeinträchtigt, daß die Glosse ihrerseits von eigenen, neuen Fehlern wimmelt und die Zitate der Briefbeispiele stark abkürxt. Zweitens hilft der Umstand, daß trotz aller raffinierten Manier des preziösen 1 Uber die Entwicklung und die Verbreitungsgebiete der einzelnen Datie- rungsarten in den mittelalterlichen Urkunden und Briefen s. Breßlau, Ur- kundenlehre1 (1889) 16. Kapitel, S. 818f., besonders S. 854 ff. 2 Uber die Säkularisierung in den Kreisen der Kanzlei und deren Beziehungen xum jungen Humanismus s. meine Erörterung Die Kanzlei und der Kampf weltlicher und geistlicher Bildung', V. Ma. x. Reform. 1, S. 47 ff., Die Kanzlei und die Anfänge der Renaissance', ebd. S. 52 ff. (= Zentralbl. f. Bibl. 1891, Bd. 8, S. 170 ff. 324 ff. 433 ff.).
II. Die erste Briefmustersammlung. 25 den kirchlichen Festen durchaus vorgeschrieben oder wenigstens im Ge- brauch herrschend1. Diese aufstrebenden Kanzleibeamten in ihrem Lite- ratenbewußtsein emanzipieren sich für ihre Privatbriefe davon und äugeln hinüber nach den Gepflogenheiten des jungen Humanismus2, mögen sie von ihm durch ihren Mangel an tieferer Kenntnis der alten lateinischen Autoren und durch ihr immer noch barbarisches Latein auch weit abstehn. 3. Die stilistisch-rhetorische Leistung. Die stilistisch-rhetorische Leistung, die in diesem Briefsteller vorliegt, richtig zu beurteilen, erschwert mancherlei. Zunächst muß man die Frage nach dem persönlichen Verdienst, nach der individuellen Kraft in den Hintergrund drängen. Denn inwieweit in diesem Formularbuch außer den reproduxierten, nur leicht durch Beseiti- gung der Namen und ähnliche Eingriffe veränderten Briefen verschiedener Personen auch eigene Diktate des Sammlers und Kommentators vor- kommen, das wird sich kaum klarstellen lassen. Wir müssen uns be- gnügen, hier einen zwar abgestuften und nach den jeweiligen Korrespon- denten und Anlässen unterschiedenen, aber im ganzen doch cinheitlichen Stiltypus eines zeitlich und räumlich leidlich begrenzten Bevirks der ost- mitteldeutschen Kanzlei zu beobachten. Schlimmer ist die nngeheure Verderbnis des uns überlieserten Textes. Lese- wie namentlich Hörschler und wirkliche Unkenntnis des Lateini- schen müssen zusammen gearbeitet haben, um — vermittelt durch mehrere handschriftliche Zwischenglieder — diese Häufung von Sinnlosigkeit xu erzeugen, wie sie uns hier entgegentritt. Namentlich diejenigen Scholaren- briefe, die offenbar mit besonderem Eifer einen höheren Schwung und reichere Fülle der Rede anstreben (eine Auswahl daraus unten Texte Nr. 53—58), sind nahezu unverständlich überliefert. Man müßte an einer Emendation dieser Texte verzweifeln, käme nicht von drei Seiten Hilfe. Erstens wiederholt der nachfolgende Kommentar (die Glosse') einzelne Stellen und gibt sie dabei mehrfach, wenn auch leider keines- wegs immer, in reinerer Gestalt. Diese textkritische Hilfe wird freilich dadurch beeinträchtigt, daß die Glosse ihrerseits von eigenen, neuen Fehlern wimmelt und die Zitate der Briefbeispiele stark abkürxt. Zweitens hilft der Umstand, daß trotz aller raffinierten Manier des preziösen 1 Uber die Entwicklung und die Verbreitungsgebiete der einzelnen Datie- rungsarten in den mittelalterlichen Urkunden und Briefen s. Breßlau, Ur- kundenlehre1 (1889) 16. Kapitel, S. 818f., besonders S. 854 ff. 2 Uber die Säkularisierung in den Kreisen der Kanzlei und deren Beziehungen xum jungen Humanismus s. meine Erörterung Die Kanzlei und der Kampf weltlicher und geistlicher Bildung', V. Ma. x. Reform. 1, S. 47 ff., Die Kanzlei und die Anfänge der Renaissance', ebd. S. 52 ff. (= Zentralbl. f. Bibl. 1891, Bd. 8, S. 170 ff. 324 ff. 433 ff.).
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26 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. Stils doch Inhalt und Form durchaus typisch bleiben und sich daher die einzelnen Briefe vielfach untereinander oder an gleichartigen sonst bekannten gleichzeitigen Briefen kontrollieren und dadurch berichtigen lassen. Wertvollere Dienste leistet indes für die beiden korrumpiertesten Schreiben eine dritte Hilfe: die direkte literarische Abhängigkeit, in der sie stehen zu dem maßgebenden Stilmusterbuch: der Summa cancellarie Karoli IV. von Johann von Neumarkt. Sorgenvoll mahnt der Prager Scholar Laurencius Hotener seinen Kommilitonen, durch die dulcia mulierum spectacula die Studien nicht weiter in die Länge ziehen zu lassen, que florem terunt iuniorum amabilem tota ui cordis postergare (hintanzusetzen) und ad fontem virtutis et ad culmen salutis et artis in gimnasiorum laboribus (d. h. im Universitäts- studium) ohne Verzug zurückzukehren (Bl. 58", unten Texte Nr. 54). Ein ungenannter Scholar in Liegnitz, der vermutlich dort nach Be- endigung seines Prager Studiums eine Kanzleistellung gefunden hat, singt seinem Kameraden Nicolaus Wartinberg ein hohes Loblied der Bered- samkeit (Bl. 59r, unten Texte Nr. 55). Alles Vermögen der Wissenschaften erzielt ohne die facundia, deren Verwalterin (amministratiua) die rheto- rica ist, wenig Gewinn oder keinen'. Und nun macht er eine Anleihe bei einem geschraubten Gleichnis der Summa cancellarie. Den Freund bittet er, er möge getränkt mit jenen Süßigkeiten, nach denen der Säugling verlangt, nämlich den Süßigkeiten der Mutter Grammatik, nun gestärkt durch so reichen Milchtrank, auch die herrlichen Libationen der glänzen- den Sprache der Rhetorik kosten, die bekränzt ist von goldigen Halsketten frühlingshafter Blüten, und er möge kosten auch den vertraulichen Um- gang mit ihr. Denn die Eine der beiden, die Grammatik, verschafft auf geschickteste Art die Kongruität, die andere aber, die Rhetorik, schmückt die kongruenten Sätze der Rede mit Glanx und Gewicht (splendore perornat emphatico) und führt durch den sonnenhaften Strahl ihrer Eloquenx das an das Licht, was im Dunkel verborgen war. Denn sie, die Königin der Frühlingsblumen (florum regina vernancium) macht, daß die verachteten und niedrigen Untergebenen an die Tische der Fürsten gesetzt werden: despectos et abiectos subditos in mensas facit principum collocari1. Und sie wird die süße Huld der Großen anlächeln und sie werden mit klugen Augen die gefährlichen Ratschlüsse der Herren durchdringen und um ihre Mienen wird die Volksmenge sich bittend mühen und sie werden für ihre Arbeit in Freuden dreißigfache Frucht ernten und sie werden reichlichste Pfründen besitzen als Folge ihrer Herrlichkeit". 1 Die Handschrift überliefert reinen Unsinn: spectus et obiectus subditus in ebensos facit principibus colocari. Eines der zahlreichen Beispiele für die durch Hörfehler beim Aufnehmen des Diktats entstandenen Verderbnisse: o » u, a o, mensas ebensos!
26 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. Stils doch Inhalt und Form durchaus typisch bleiben und sich daher die einzelnen Briefe vielfach untereinander oder an gleichartigen sonst bekannten gleichzeitigen Briefen kontrollieren und dadurch berichtigen lassen. Wertvollere Dienste leistet indes für die beiden korrumpiertesten Schreiben eine dritte Hilfe: die direkte literarische Abhängigkeit, in der sie stehen zu dem maßgebenden Stilmusterbuch: der Summa cancellarie Karoli IV. von Johann von Neumarkt. Sorgenvoll mahnt der Prager Scholar Laurencius Hotener seinen Kommilitonen, durch die dulcia mulierum spectacula die Studien nicht weiter in die Länge ziehen zu lassen, que florem terunt iuniorum amabilem tota ui cordis postergare (hintanzusetzen) und ad fontem virtutis et ad culmen salutis et artis in gimnasiorum laboribus (d. h. im Universitäts- studium) ohne Verzug zurückzukehren (Bl. 58", unten Texte Nr. 54). Ein ungenannter Scholar in Liegnitz, der vermutlich dort nach Be- endigung seines Prager Studiums eine Kanzleistellung gefunden hat, singt seinem Kameraden Nicolaus Wartinberg ein hohes Loblied der Bered- samkeit (Bl. 59r, unten Texte Nr. 55). Alles Vermögen der Wissenschaften erzielt ohne die facundia, deren Verwalterin (amministratiua) die rheto- rica ist, wenig Gewinn oder keinen'. Und nun macht er eine Anleihe bei einem geschraubten Gleichnis der Summa cancellarie. Den Freund bittet er, er möge getränkt mit jenen Süßigkeiten, nach denen der Säugling verlangt, nämlich den Süßigkeiten der Mutter Grammatik, nun gestärkt durch so reichen Milchtrank, auch die herrlichen Libationen der glänzen- den Sprache der Rhetorik kosten, die bekränzt ist von goldigen Halsketten frühlingshafter Blüten, und er möge kosten auch den vertraulichen Um- gang mit ihr. Denn die Eine der beiden, die Grammatik, verschafft auf geschickteste Art die Kongruität, die andere aber, die Rhetorik, schmückt die kongruenten Sätze der Rede mit Glanx und Gewicht (splendore perornat emphatico) und führt durch den sonnenhaften Strahl ihrer Eloquenx das an das Licht, was im Dunkel verborgen war. Denn sie, die Königin der Frühlingsblumen (florum regina vernancium) macht, daß die verachteten und niedrigen Untergebenen an die Tische der Fürsten gesetzt werden: despectos et abiectos subditos in mensas facit principum collocari1. Und sie wird die süße Huld der Großen anlächeln und sie werden mit klugen Augen die gefährlichen Ratschlüsse der Herren durchdringen und um ihre Mienen wird die Volksmenge sich bittend mühen und sie werden für ihre Arbeit in Freuden dreißigfache Frucht ernten und sie werden reichlichste Pfründen besitzen als Folge ihrer Herrlichkeit". 1 Die Handschrift überliefert reinen Unsinn: spectus et obiectus subditus in ebensos facit principibus colocari. Eines der zahlreichen Beispiele für die durch Hörfehler beim Aufnehmen des Diktats entstandenen Verderbnisse: o » u, a o, mensas ebensos!
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II. Die erste Briefmustersammlung. 27 Dieser ganze Hymnus ist zusammengestoppelt aus verschiedenen Stellen ein Briefes in Johanns von Neumarkt Summa an den böhmischen Kammerschreiber Paul von Jenzenstein, dessen Verfasser wir zufällig nachweisen können aus der Angabe eines fragmentarischen Kodex in Brünn, die ich zuerst bemerkt habe: es ist der königliche Kanzleischreiber Peter ron Jauer, in der Kanzlei Karls IV. 1360 Januar 21 bis 1376 Juli 18, im letzten Jahr vielleicht schon Protonotar. Während dieser Zeit nahm er an der Universität Prag Studien auf und erwarb 1371 den Baccalariat. Unter Wenzel war er dann Protonotar bis 1386, wurde 1382 Lizentiat der Prager artistischen Fakultät und ließ sich 1385 bei der dortigen Juristenfakultät inskribieren1. Ob es nun Zufall ist, daß dieser Lieg- nitzer Scholar gerade seinem Landsmann aus Jauer nachschreibt? — Johann von Neumarkt selbst war ja auch ein Schlesier und noch manche Schlesier außer diesen beiden waren in der königlichen Kanzlei tätig. Jedesfalls ist die Tatsache der Entlehnung an sich wichtig. Denn jener Brief2 steht damit nicht allein. Auch andere Briefe dieser Samm- lung (unten Texte Nr. 55—58, S. 86ff.) schöpfen aus Johanns von Neu- markt Musterbuch. So zeigt sich, daß die Sammlung Johanns unmittelbar nach ihrer Entstehung in den Kanzleikreisen Schlesiens gelesen und benutzt wurde. Aber auch was aus ihr entnommen wird, ist bemerkenswert. An dem überschwenglichen Panegyrikus auf die Macht und den Glanz der Rhetorik berauscht sich dieser armselige Scholar der Liegnitzer Schreibstube. Es ist das große die Welt bewegende und erneuernde Lied, das der Huma- nismus angestimmt hatte und das hier an entlegener Südostecke Deutsch- lands zuerst in die breitere Menge dringt. Ein Menschenalter vorher hatten im angrenzenden Böhmen der gefangene Tribun Cola di Rienxo, auch er aus der Notariatslaufbahn hervorgegangen, und mit und nach ihm der Gast des Kaisers am Prager Hof, der große Erwecker Petrarca eine wirksame Propaganda entfaltet für den Kultus der Eloquenz durch begeisterte Enkomien auf ihre Herrlichkeit und durch hinreißendes Bei- spiel, durch große Manifeste einer rauschenden Wortkunst. Diese Saat ging jetzt auf in den niedrigeren Schichten der Schreibkundigen. Ging 1 Huber, Regesta imperii VIII, 1, Ergänzungsheft, S. VIII, Nr. 34; Bur- dach, V. Ma. x. Reform. 1, 1. Aufl., S. 44 (= Zentralbl. f. Bibl. 1891, S. 167): Deutsche Literaturxeitung 1899, S. 68; V. Ma. x. Reform. III, 2 (Der Dichter des Ackermann aus Böhmen), S. 53. 2 Verwandt sind mit ihm, was Bebermeyer feststellte, der Brief auf Bl. 122" (unten Texte Nr. 72) und die Rhetoriken an der Spitxe der Schneeberger Hand- schrift (Bl. 51, unten Texte Nr. 67) sowie am Eingang des xweiten Schneeberger Formularbuchs (ebd. Bl. 23r—25r, s. unten Texte Nr. 52), von denen die erste am Anfang übereinstimmt mit der Rhetorik, die das zweite Schlägler Brief- musterbuch eröffnet (Bl. 106". unten Texte Nr. 67).
II. Die erste Briefmustersammlung. 27 Dieser ganze Hymnus ist zusammengestoppelt aus verschiedenen Stellen ein Briefes in Johanns von Neumarkt Summa an den böhmischen Kammerschreiber Paul von Jenzenstein, dessen Verfasser wir zufällig nachweisen können aus der Angabe eines fragmentarischen Kodex in Brünn, die ich zuerst bemerkt habe: es ist der königliche Kanzleischreiber Peter ron Jauer, in der Kanzlei Karls IV. 1360 Januar 21 bis 1376 Juli 18, im letzten Jahr vielleicht schon Protonotar. Während dieser Zeit nahm er an der Universität Prag Studien auf und erwarb 1371 den Baccalariat. Unter Wenzel war er dann Protonotar bis 1386, wurde 1382 Lizentiat der Prager artistischen Fakultät und ließ sich 1385 bei der dortigen Juristenfakultät inskribieren1. Ob es nun Zufall ist, daß dieser Lieg- nitzer Scholar gerade seinem Landsmann aus Jauer nachschreibt? — Johann von Neumarkt selbst war ja auch ein Schlesier und noch manche Schlesier außer diesen beiden waren in der königlichen Kanzlei tätig. Jedesfalls ist die Tatsache der Entlehnung an sich wichtig. Denn jener Brief2 steht damit nicht allein. Auch andere Briefe dieser Samm- lung (unten Texte Nr. 55—58, S. 86ff.) schöpfen aus Johanns von Neu- markt Musterbuch. So zeigt sich, daß die Sammlung Johanns unmittelbar nach ihrer Entstehung in den Kanzleikreisen Schlesiens gelesen und benutzt wurde. Aber auch was aus ihr entnommen wird, ist bemerkenswert. An dem überschwenglichen Panegyrikus auf die Macht und den Glanz der Rhetorik berauscht sich dieser armselige Scholar der Liegnitzer Schreibstube. Es ist das große die Welt bewegende und erneuernde Lied, das der Huma- nismus angestimmt hatte und das hier an entlegener Südostecke Deutsch- lands zuerst in die breitere Menge dringt. Ein Menschenalter vorher hatten im angrenzenden Böhmen der gefangene Tribun Cola di Rienxo, auch er aus der Notariatslaufbahn hervorgegangen, und mit und nach ihm der Gast des Kaisers am Prager Hof, der große Erwecker Petrarca eine wirksame Propaganda entfaltet für den Kultus der Eloquenz durch begeisterte Enkomien auf ihre Herrlichkeit und durch hinreißendes Bei- spiel, durch große Manifeste einer rauschenden Wortkunst. Diese Saat ging jetzt auf in den niedrigeren Schichten der Schreibkundigen. Ging 1 Huber, Regesta imperii VIII, 1, Ergänzungsheft, S. VIII, Nr. 34; Bur- dach, V. Ma. x. Reform. 1, 1. Aufl., S. 44 (= Zentralbl. f. Bibl. 1891, S. 167): Deutsche Literaturxeitung 1899, S. 68; V. Ma. x. Reform. III, 2 (Der Dichter des Ackermann aus Böhmen), S. 53. 2 Verwandt sind mit ihm, was Bebermeyer feststellte, der Brief auf Bl. 122" (unten Texte Nr. 72) und die Rhetoriken an der Spitxe der Schneeberger Hand- schrift (Bl. 51, unten Texte Nr. 67) sowie am Eingang des xweiten Schneeberger Formularbuchs (ebd. Bl. 23r—25r, s. unten Texte Nr. 52), von denen die erste am Anfang übereinstimmt mit der Rhetorik, die das zweite Schlägler Brief- musterbuch eröffnet (Bl. 106". unten Texte Nr. 67).
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28 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. auf zunächst allerdings nur als Schnsucht und gläubiges Ahnen, als ein kindlich barbarisches Nachstammeln. Die Richtlinien der Zeitbewegung sind gleichwohl in dem Cento aus der Summa cancellarie gut gezogen. Neben dem enthusiastischen Gefühlsdrang, aus dem die gesamte Renais- sance die ihr inwohnende Kraft zur Umgestaltung und Erneuerung, zum Abreißen der Tradition und Wiederbeleben erstorbener Dinge sog, tritt auch scharf die materielle Sucht nach Macht und Glanz und Genuß hervor, die der Renaissance zugleich mit jenem idealen Zug tief einge- prägt war. Und wenn dieses schlesische Skribentlein treuherzig auf die reichen Pfründen, den schönsten Erfolg der Rhetorik, seine Hoffnungen setzt, so spricht es, obgleich es hier für seine Worte kein unmittelbares Vorbild in der Summa fand, eben nur plumper aus, was in der Tat den ganzen Schwarm der Poeten und Redner jenseits und diesseits der Alpen, alle die ungezählten Literaten höheren und niederen Stils, das gewaltige Heer der empordrängenden Schreiber und Beamten in diesem Zeitalter des anhebenden Humanismus lockte und bewegte. Die feiste Pfründe ist damals wirklich fast allen denen unentbehrlich, die es nach geistigem Fortschritt und höherer Bildung verlangte, fast allen oberen und unteren Intellektuellen. III. Die zweite Briefmustersammlung. Um vieles bedeutender als das erste Formularbuch der Schlägler Hand- schrift ist das zweite (Bl. 106r—1451). Schon äußerlich beträchtlich umfänglicher, aber auch innerlich weit reichhaltiger und belehrender für die Geschichte des Briefstils. 1. Die Sammlung als Ganzes. Dem ersten Formelbuch nuch Anlage und Charakter, Entstehungszeit und Entstehungsgebiet ganx nahe stehend, unterscheidet dieses zwcite sich dadurch, daß unter den 28 Standesgruppen, in welche die Briefe geordnet sindi, am Anfang drei bürgerliche und am Schluß (Abteilung 24—28) fünf adelige Laiengruppen stehen, von deren letzter nur Uberschrift und zwei Zeilen theoretischer Vorbemerkung erhalten sind, während die nächsten beiden Blätter fehlen, und daß innerhalb dieser sichen Gruppen die Briefe in doppelter Ausfertigung, in lateinischer und in deutscher Sprache erscheinen. Das übrige, das große Mittelstück, das 20 Ab- teilungen umfaßt, nur Briefe von Geistlichen in lateinischer Sprache enthaltend, gliedert sich nach der hergebrachten Weise in die Briefe an 1 Ganx anders verfährt das unten zu besprechende zweite Schneeberger Formelbuch, das inhaltlich gegliedert nach conductus, presentaciones, cre- dencie usw., in buntem Wechsel die Korrespondenx von Laien und Klerikern, weltlicher und geistlicher Standesherrn bringt, ohne Sonderung xwischen Bürger- tum und Adel, Welt- und Ordensklerus.
28 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. auf zunächst allerdings nur als Schnsucht und gläubiges Ahnen, als ein kindlich barbarisches Nachstammeln. Die Richtlinien der Zeitbewegung sind gleichwohl in dem Cento aus der Summa cancellarie gut gezogen. Neben dem enthusiastischen Gefühlsdrang, aus dem die gesamte Renais- sance die ihr inwohnende Kraft zur Umgestaltung und Erneuerung, zum Abreißen der Tradition und Wiederbeleben erstorbener Dinge sog, tritt auch scharf die materielle Sucht nach Macht und Glanz und Genuß hervor, die der Renaissance zugleich mit jenem idealen Zug tief einge- prägt war. Und wenn dieses schlesische Skribentlein treuherzig auf die reichen Pfründen, den schönsten Erfolg der Rhetorik, seine Hoffnungen setzt, so spricht es, obgleich es hier für seine Worte kein unmittelbares Vorbild in der Summa fand, eben nur plumper aus, was in der Tat den ganzen Schwarm der Poeten und Redner jenseits und diesseits der Alpen, alle die ungezählten Literaten höheren und niederen Stils, das gewaltige Heer der empordrängenden Schreiber und Beamten in diesem Zeitalter des anhebenden Humanismus lockte und bewegte. Die feiste Pfründe ist damals wirklich fast allen denen unentbehrlich, die es nach geistigem Fortschritt und höherer Bildung verlangte, fast allen oberen und unteren Intellektuellen. III. Die zweite Briefmustersammlung. Um vieles bedeutender als das erste Formularbuch der Schlägler Hand- schrift ist das zweite (Bl. 106r—1451). Schon äußerlich beträchtlich umfänglicher, aber auch innerlich weit reichhaltiger und belehrender für die Geschichte des Briefstils. 1. Die Sammlung als Ganzes. Dem ersten Formelbuch nuch Anlage und Charakter, Entstehungszeit und Entstehungsgebiet ganx nahe stehend, unterscheidet dieses zwcite sich dadurch, daß unter den 28 Standesgruppen, in welche die Briefe geordnet sindi, am Anfang drei bürgerliche und am Schluß (Abteilung 24—28) fünf adelige Laiengruppen stehen, von deren letzter nur Uberschrift und zwei Zeilen theoretischer Vorbemerkung erhalten sind, während die nächsten beiden Blätter fehlen, und daß innerhalb dieser sichen Gruppen die Briefe in doppelter Ausfertigung, in lateinischer und in deutscher Sprache erscheinen. Das übrige, das große Mittelstück, das 20 Ab- teilungen umfaßt, nur Briefe von Geistlichen in lateinischer Sprache enthaltend, gliedert sich nach der hergebrachten Weise in die Briefe an 1 Ganx anders verfährt das unten zu besprechende zweite Schneeberger Formelbuch, das inhaltlich gegliedert nach conductus, presentaciones, cre- dencie usw., in buntem Wechsel die Korrespondenx von Laien und Klerikern, weltlicher und geistlicher Standesherrn bringt, ohne Sonderung xwischen Bürger- tum und Adel, Welt- und Ordensklerus.
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III. Die zweite Briefmustersammlung. 29 den Weltklerus (Abteil. 4—14: Studenten; Magister und Doktoren; Prie- ster; Dechanten; Prälaten; Kapitel; Bischöfe; Erzbischöfe; Kardinäle; Patriarchen: Universitätsrektoren) und an den regulierten oder Ordens- klerus (Abteil. 15—23: Mönche oder Konventualen; Prioren: Provinzialen; Abte; fürstliche Abte; Nonnen; Priorissen; Abtissen; fürstliche Abtissen). Wie im ersten Briefsteller (s. oben S. 20) ist auch hier und sogar noch strenger das Prinzip der Standesgleichheit der Korrespondenten durch- geführt. Von den sieben lateinisch-deutschen Laienabteilungen gruppieren sich die bürgerlichen in forme personarum ciuilium, consagwinei ciuiles, d. h. Briefe an Freunde und Verwandte, und de prothoconsulibus etc., d. h. Briefe städtischer Kanzleien; die adligen in de clientibus, de militibus, de baronibus, de comitibus, de comitibus solempnibus, d. h. Knechte [Knappen], Ritter, Freiherren, Grafen, Landgrafen und Markgrafen. Die Sammlung ist unvollständig, wie man sieht; es fehlen die Fürsten und Könige, der Kaiser. Möglicherweise trägt an dieser Unvollständigkeit aber nur die eben erwähnte Verstümmlung des Schlägler Koder die Schuld, der mit dem Anfang der 28. Abteilung abbricht. Dem philologischen Auge fällt ein Umstand sofort auf. Die voran- stehende Gruppe der bürgerlichen Laienbriefe in lateinisch-deutscher Fas- sung eröffnet ein prologartiger Brief von einem Anshelmus an die heilige Katharina, datiert 18. April 1407 (Bl. 106", unten Texte Nr. 67)1. Und analog eröffnet das große Mittelstück der 20 Abteilungen von Briefen in rein lateinischer Fassung wieder ein prologartiger Eingang (Bl. 117", unten Texte Nr. 68), der wie das erste Formularbuch (oben S. 22) die rhetorische Briefkunst als Geschenk der Jungfrau Maria betrachtet2: ein Brief von dem Prager Studenten Anshelmus de Frankinstein an die Jungfraw Maria und Antwortschreiben der Himmelskönigin mit der Adresse Deuoto studenti: anshelmo pragensi diuinis cultibus inherere volenti; dies scheint dafür zu sprechen, daß ursprünglich die Sammlung rein lateinischer Brieftexte (20 Abteilungen) lediglich Schreiben an geist- liche Kreise enthaltend, ein selbständiges Ganxes für sich war und erst später von einer Sammlung von Laienbriefen in doppelsprachiger Gestalt eingerahmt worden ist, wobei diese dann in zwei Hälften, eine bürger- liche (drei Abteilungen) und eine adelige (fünf Abteilungen) zerrissen wurde. Die Annahme ist bestechend. Indessen zeigt nähere Untersuchung, daß die lateinisch-deutsche und die lateinische Briefsammlung, mögen sie nicht von vornherein xusammen bestanden haben, zeitlich und örtlich gemeinsamen Ursprung besitzen, ja wahrscheinlich auf denselben Sammler 1 Derselbe Brief im unten zu besprechenden Schneeberger Kodex Bl. 5r. 2 Zu dem Briefformular über die von dem Prager Kanonikus Kant erbetene Marienskulptur und dessen Doppelgänger im ersten Formelbuch vgl. oben S. 232.
III. Die zweite Briefmustersammlung. 29 den Weltklerus (Abteil. 4—14: Studenten; Magister und Doktoren; Prie- ster; Dechanten; Prälaten; Kapitel; Bischöfe; Erzbischöfe; Kardinäle; Patriarchen: Universitätsrektoren) und an den regulierten oder Ordens- klerus (Abteil. 15—23: Mönche oder Konventualen; Prioren: Provinzialen; Abte; fürstliche Abte; Nonnen; Priorissen; Abtissen; fürstliche Abtissen). Wie im ersten Briefsteller (s. oben S. 20) ist auch hier und sogar noch strenger das Prinzip der Standesgleichheit der Korrespondenten durch- geführt. Von den sieben lateinisch-deutschen Laienabteilungen gruppieren sich die bürgerlichen in forme personarum ciuilium, consagwinei ciuiles, d. h. Briefe an Freunde und Verwandte, und de prothoconsulibus etc., d. h. Briefe städtischer Kanzleien; die adligen in de clientibus, de militibus, de baronibus, de comitibus, de comitibus solempnibus, d. h. Knechte [Knappen], Ritter, Freiherren, Grafen, Landgrafen und Markgrafen. Die Sammlung ist unvollständig, wie man sieht; es fehlen die Fürsten und Könige, der Kaiser. Möglicherweise trägt an dieser Unvollständigkeit aber nur die eben erwähnte Verstümmlung des Schlägler Koder die Schuld, der mit dem Anfang der 28. Abteilung abbricht. Dem philologischen Auge fällt ein Umstand sofort auf. Die voran- stehende Gruppe der bürgerlichen Laienbriefe in lateinisch-deutscher Fas- sung eröffnet ein prologartiger Brief von einem Anshelmus an die heilige Katharina, datiert 18. April 1407 (Bl. 106", unten Texte Nr. 67)1. Und analog eröffnet das große Mittelstück der 20 Abteilungen von Briefen in rein lateinischer Fassung wieder ein prologartiger Eingang (Bl. 117", unten Texte Nr. 68), der wie das erste Formularbuch (oben S. 22) die rhetorische Briefkunst als Geschenk der Jungfrau Maria betrachtet2: ein Brief von dem Prager Studenten Anshelmus de Frankinstein an die Jungfraw Maria und Antwortschreiben der Himmelskönigin mit der Adresse Deuoto studenti: anshelmo pragensi diuinis cultibus inherere volenti; dies scheint dafür zu sprechen, daß ursprünglich die Sammlung rein lateinischer Brieftexte (20 Abteilungen) lediglich Schreiben an geist- liche Kreise enthaltend, ein selbständiges Ganxes für sich war und erst später von einer Sammlung von Laienbriefen in doppelsprachiger Gestalt eingerahmt worden ist, wobei diese dann in zwei Hälften, eine bürger- liche (drei Abteilungen) und eine adelige (fünf Abteilungen) zerrissen wurde. Die Annahme ist bestechend. Indessen zeigt nähere Untersuchung, daß die lateinisch-deutsche und die lateinische Briefsammlung, mögen sie nicht von vornherein xusammen bestanden haben, zeitlich und örtlich gemeinsamen Ursprung besitzen, ja wahrscheinlich auf denselben Sammler 1 Derselbe Brief im unten zu besprechenden Schneeberger Kodex Bl. 5r. 2 Zu dem Briefformular über die von dem Prager Kanonikus Kant erbetene Marienskulptur und dessen Doppelgänger im ersten Formelbuch vgl. oben S. 232.
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30 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. und Redaktor zurückgehen 1. Daß dies jener Anselm von Frankenstein gewesen, und Näheres über dessen Persönlichkeit wird sich unten (S. 46) ergeben. 2. Historische und persönliche Beziehungen. Durch das ganze zweite Formularbuch zieht sich als weit überwie- gende Datierung das Jahr 1407. Daneben kommt vereinzelt vor 1400 und 1404. Uber den Charakter dieser Datierungen wird noch unten (2. Kap. III, I) genauer zu sprechen sein. Doch sei, um einer Irrefüh- rung vorzubeugen, gleich hier das Ergebnis der an späterer Stelle mit- geteilten Untersuchung vorweggenommen: einen exakten geschichtichen Wert haben diese Daten nicht. Die uns vorliegende Niederschrift, die sich durch ihre massenhaften Verschreibungen, Lese- und namentlich Hörfehler2 als arg verderbte Abschrift einer Vorlage, sei es als Abschrift ersten oder höheren Grades erweist, muß auch noch in das erste Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts fallen und trägt die Zige der ostmitteldeutschen Schrift dieser Zeit. Durch das ganze Briefformular (alle 27 vollständigen Abteilungen) erscheinen in derselben Weise die Daten und die Namen ausgeschrieben. Und im Gegensatz zu dem das persönlich-lokale Element verdunkelnden ersten kürxeren Formularbuch aus dem lausitzisch-böhmisch-schlesischen Grenzland finden wir hier durchweg reiche und vollständige Datierungen, Adressen und Unterschriften. Wie sind diese Angaben zu beurteilen? Haben sie historischen Wert, entsprechen sie der geschichtlichen Wirklichkeit oder sind sie fingiert? Von der Antwort auf diese Fragen hängt es ab, ob wir die mitgeteilten Briefe für echte, d. h. wirklich geschriebene und abgesendete, oder für Schulerfindungen halten sollen, oder endlich für Mischprodukte aus Wieder- gabe wirklicher Briefvorlagen und Fiktion. In den Bischofsbriefen begegnet Nicolaus episcopus Olmucensis. Das ist Nikolaus von Riesenburg, Bischof von Olmütz 1390—1397. Neben ihm Wenczeslaus episcopus Wratislawiensis. Das ist Wenzel, Herzog von Liegnitz, Bischof von Breslau 1382—1417. Der Brief, den der letztere an den ersteren sendet (Abdruck unten Nr. 82), müßte also 1390—1397 geschrieben sein. Und es entspricht den realen Ver- hältnissen und hätte nur von einem gut informierten Kenner erfunden sein können, daß der Bischof von Breslau seine beiden Briefe von 1 Gleiches gilt von den unten (im zweiten Kapitel) zu besprechenden Brief- mustern der Schneeberger Handschrift. 2 Auf solche Hörfehler beim Diktieren muß man unter anderen die massen- haften Lautentstellungen und sinnlosen Verderbnisse des lateinischen Textes, dann auch manche Auslassungen und Doppelsetzungen einxelner Wörter zu- rückführen.
30 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. und Redaktor zurückgehen 1. Daß dies jener Anselm von Frankenstein gewesen, und Näheres über dessen Persönlichkeit wird sich unten (S. 46) ergeben. 2. Historische und persönliche Beziehungen. Durch das ganze zweite Formularbuch zieht sich als weit überwie- gende Datierung das Jahr 1407. Daneben kommt vereinzelt vor 1400 und 1404. Uber den Charakter dieser Datierungen wird noch unten (2. Kap. III, I) genauer zu sprechen sein. Doch sei, um einer Irrefüh- rung vorzubeugen, gleich hier das Ergebnis der an späterer Stelle mit- geteilten Untersuchung vorweggenommen: einen exakten geschichtichen Wert haben diese Daten nicht. Die uns vorliegende Niederschrift, die sich durch ihre massenhaften Verschreibungen, Lese- und namentlich Hörfehler2 als arg verderbte Abschrift einer Vorlage, sei es als Abschrift ersten oder höheren Grades erweist, muß auch noch in das erste Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts fallen und trägt die Zige der ostmitteldeutschen Schrift dieser Zeit. Durch das ganze Briefformular (alle 27 vollständigen Abteilungen) erscheinen in derselben Weise die Daten und die Namen ausgeschrieben. Und im Gegensatz zu dem das persönlich-lokale Element verdunkelnden ersten kürxeren Formularbuch aus dem lausitzisch-böhmisch-schlesischen Grenzland finden wir hier durchweg reiche und vollständige Datierungen, Adressen und Unterschriften. Wie sind diese Angaben zu beurteilen? Haben sie historischen Wert, entsprechen sie der geschichtlichen Wirklichkeit oder sind sie fingiert? Von der Antwort auf diese Fragen hängt es ab, ob wir die mitgeteilten Briefe für echte, d. h. wirklich geschriebene und abgesendete, oder für Schulerfindungen halten sollen, oder endlich für Mischprodukte aus Wieder- gabe wirklicher Briefvorlagen und Fiktion. In den Bischofsbriefen begegnet Nicolaus episcopus Olmucensis. Das ist Nikolaus von Riesenburg, Bischof von Olmütz 1390—1397. Neben ihm Wenczeslaus episcopus Wratislawiensis. Das ist Wenzel, Herzog von Liegnitz, Bischof von Breslau 1382—1417. Der Brief, den der letztere an den ersteren sendet (Abdruck unten Nr. 82), müßte also 1390—1397 geschrieben sein. Und es entspricht den realen Ver- hältnissen und hätte nur von einem gut informierten Kenner erfunden sein können, daß der Bischof von Breslau seine beiden Briefe von 1 Gleiches gilt von den unten (im zweiten Kapitel) zu besprechenden Brief- mustern der Schneeberger Handschrift. 2 Auf solche Hörfehler beim Diktieren muß man unter anderen die massen- haften Lautentstellungen und sinnlosen Verderbnisse des lateinischen Textes, dann auch manche Auslassungen und Doppelsetzungen einxelner Wörter zu- rückführen.
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III. Die zweite Briefmustersammlung. 31 Ottmachau schreibt. Dort befand sich in der Tat eine bischöfliche Residenz der Breslauer Kirchenfürsten, in der sie den Sommeraufenthalt zu nehmen pflegten. Die Namen jener beiden Bischöfe leiten in die geistige Sphäre der Anfänge des böhmisch-schlesischen Humanismus, über die im weiteren Zusammenhang an anderen Stellen dieses Werkes geredet werden soll1. Der Westpreuße Nikolaus von Riesenburg — soviel darf aber schon hier gesagt werden — muß insbesondere auch zum engeren Kreis Johanns von Neumarkt gezählt werden, dessen humanistische Neigungen und stilistische Art er fortsetxte. Er war unter ihm seit 1367 Notar der kaiserlichen Kanzlei, wurde 1374 Protonotar und, nachdem jener vom Kanzlerposten zurückgetreten war, sein unmittelbarer Nach- folger in der Leitung der Kanzlei ohne den Kanzlertitel, war königlicher Rat, Inhaber mehrerer Domherrnstellen und Propsteien und schließlich nach einem kurzen Zwischenspiel auf dem Bischofstuhl von Konstanz 1 Die Bexiehungen des Nikolaus von Riesenburg xum italienischen Früh- humanismus beleuchtet ein an ihn gerichteter Brief des Nicolò Beccari aus Ferrara, der am Hof Karls IV. in Prag und Tangermünde mehrere Jahre gelebt hat und an den Kaiser Episteln und Traktate schrieb, auch zum kaiser- lichen Familiar und armiger specialis ernannt wurde (1378, Oktober 27): s. Exio Leri, Antonio e Nicolò da Ferrara, poeti ed uomini di corte del trecento, Atti e Memorie della Deputaxione Ferrarese di storia patria XIX, 2 (1909), S. 41—403 [daxu Richard Salomon, Neues Archiv f. ält. d. Geschichtskunde, Bd. 36 (1910), Nr. 163]. Das erwähnte Schreiben des Nicolò Beccari an Niko- laus von Riesenburg (vom Jahre 1377) liegt mir seit 1910 vor in einer Text- herstellung von Dr. Max Voigt, der bei der Arbeit an seiner noch nicht ge- druckten Berliner Doktordissertation Beiträge xur Geschichte der Visionen- literatur im Mittelalter' 1907 auf die Briefsammlung Regulae singulares des Ferraresen gestoßen war und deren Text an einer andern Stelle meines Werkes nach zwei Handschriften veröffentlichen wird (s. Sitzber. d. Berliner Akad. d. Wissensch. 1910. S. 92). Voigt bemerkt, daß die in der historischen Literatur fortgeschleppte Bezeichnung des Protonotars Nicolaus de Resenburg prepositus Camericensis als Nikolaus von Cambrai (bei Alfons Huber, Regesta Im- perii VIII, Innsbruck 1877. S. XLV, Theodor Lindner, Das Urkundenwesen Karls IV., Stuttgart 1882, S. 23f. 25f., Bachmann, Geschichte Böhmens II. 13 Anm. I; selbst noch bei H. Breßlau, Urkundenlehre2 1, 1912, S. 537) zu be- richtigen ist in Nikolaus von Kemberg und daß Hubers Beanstandung des in mehreren Urkunden scinem Namen beigesetzten Magdeburgensis diocesis und Hubers wunderliche Versicherung, im Magdeburger Bistum keinen ähnlichen Ortsnamen zu finden, durch einen Blick in ein so elementares Hilfsmittel wie Graesses Orbis latinus von 1860 (s. v Cameracum ad Albim) sich hätte vermeiden lassen. Die Propstei dieses Städtchens ist später mit der Universität im nahen Wittenberg vereinigt worden. Eingehende Nachrichten über seinen Lebenslauf gibt Lindner, Gesch. d. deutschen Reichs unter König Wenzels Bd. I, Braunschwcig 1875. S. 407 f. (doch erweist der Brief Beccaris seine Her- kunft aus der westpreußischen Stadt Riesenburg und widerlegt Lindners An- nahme einer Abstammung aus der böhmischen Familie der Riesenburg).
III. Die zweite Briefmustersammlung. 31 Ottmachau schreibt. Dort befand sich in der Tat eine bischöfliche Residenz der Breslauer Kirchenfürsten, in der sie den Sommeraufenthalt zu nehmen pflegten. Die Namen jener beiden Bischöfe leiten in die geistige Sphäre der Anfänge des böhmisch-schlesischen Humanismus, über die im weiteren Zusammenhang an anderen Stellen dieses Werkes geredet werden soll1. Der Westpreuße Nikolaus von Riesenburg — soviel darf aber schon hier gesagt werden — muß insbesondere auch zum engeren Kreis Johanns von Neumarkt gezählt werden, dessen humanistische Neigungen und stilistische Art er fortsetxte. Er war unter ihm seit 1367 Notar der kaiserlichen Kanzlei, wurde 1374 Protonotar und, nachdem jener vom Kanzlerposten zurückgetreten war, sein unmittelbarer Nach- folger in der Leitung der Kanzlei ohne den Kanzlertitel, war königlicher Rat, Inhaber mehrerer Domherrnstellen und Propsteien und schließlich nach einem kurzen Zwischenspiel auf dem Bischofstuhl von Konstanz 1 Die Bexiehungen des Nikolaus von Riesenburg xum italienischen Früh- humanismus beleuchtet ein an ihn gerichteter Brief des Nicolò Beccari aus Ferrara, der am Hof Karls IV. in Prag und Tangermünde mehrere Jahre gelebt hat und an den Kaiser Episteln und Traktate schrieb, auch zum kaiser- lichen Familiar und armiger specialis ernannt wurde (1378, Oktober 27): s. Exio Leri, Antonio e Nicolò da Ferrara, poeti ed uomini di corte del trecento, Atti e Memorie della Deputaxione Ferrarese di storia patria XIX, 2 (1909), S. 41—403 [daxu Richard Salomon, Neues Archiv f. ält. d. Geschichtskunde, Bd. 36 (1910), Nr. 163]. Das erwähnte Schreiben des Nicolò Beccari an Niko- laus von Riesenburg (vom Jahre 1377) liegt mir seit 1910 vor in einer Text- herstellung von Dr. Max Voigt, der bei der Arbeit an seiner noch nicht ge- druckten Berliner Doktordissertation Beiträge xur Geschichte der Visionen- literatur im Mittelalter' 1907 auf die Briefsammlung Regulae singulares des Ferraresen gestoßen war und deren Text an einer andern Stelle meines Werkes nach zwei Handschriften veröffentlichen wird (s. Sitzber. d. Berliner Akad. d. Wissensch. 1910. S. 92). Voigt bemerkt, daß die in der historischen Literatur fortgeschleppte Bezeichnung des Protonotars Nicolaus de Resenburg prepositus Camericensis als Nikolaus von Cambrai (bei Alfons Huber, Regesta Im- perii VIII, Innsbruck 1877. S. XLV, Theodor Lindner, Das Urkundenwesen Karls IV., Stuttgart 1882, S. 23f. 25f., Bachmann, Geschichte Böhmens II. 13 Anm. I; selbst noch bei H. Breßlau, Urkundenlehre2 1, 1912, S. 537) zu be- richtigen ist in Nikolaus von Kemberg und daß Hubers Beanstandung des in mehreren Urkunden scinem Namen beigesetzten Magdeburgensis diocesis und Hubers wunderliche Versicherung, im Magdeburger Bistum keinen ähnlichen Ortsnamen zu finden, durch einen Blick in ein so elementares Hilfsmittel wie Graesses Orbis latinus von 1860 (s. v Cameracum ad Albim) sich hätte vermeiden lassen. Die Propstei dieses Städtchens ist später mit der Universität im nahen Wittenberg vereinigt worden. Eingehende Nachrichten über seinen Lebenslauf gibt Lindner, Gesch. d. deutschen Reichs unter König Wenzels Bd. I, Braunschwcig 1875. S. 407 f. (doch erweist der Brief Beccaris seine Her- kunft aus der westpreußischen Stadt Riesenburg und widerlegt Lindners An- nahme einer Abstammung aus der böhmischen Familie der Riesenburg).
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32 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. (1384—1387) auch Johanns von Neumarkt Nachfolger im Olmützer Episkopat (definitiv seit 1390). Er starb als Bischof von Olmütz am 6. Juni 1397. Im gegenwärtigen Zusammenhang muß besonders betont werden, daß er auch Domherr von Breslau gewesen war. Als solcher hat er entscheidend eingegriffen in den denkwürdigen Streit, den die 1376 eintretende mehrjährige Sedisvakanz des Breslauer Bistums hervorrief1. Der Anlaß dieses Streits war tragikomisch: einige Fässer Goldberger Biers, die der Herzog Ruprecht von Liegnitz und seine Gattin, die Herzogin Hedwig, dem Breslauer Domdechanten Hein- rich, Ruprechts Bruder, 1380 als Weihnachtsgeschenk gesandt hatten, waren vom Rat der Stadt Breslau, der sein Monopol des Ausschanks fremder Biere verletxt sah, konfisziert, und der Fuhrmann, der die La- dung mit falschen Angaben zur Dominsel hatte hineinbringen wollen, war verhaftet worden. Aber dieser Vorfall hatte schwerwiegende Folgen, in denen längst bestehende Standes-, soziale und wirtschaftliche Gegen- sätze und Spannungen rivalisierender Mächte und Interessen, ja auch ein tieferer politischer Prinxipienkonflikt sich entluden. Das Domkapitel verhängte wegen des angeblichen Eingriffs in seine Jurisdiktion das kirch- liche Interdikt über die gesamte Stadt Breslau, deputierte durch Spezial- mandat den Bruder des um sein Weihnachtsbier geprellten Dechanten Heinrich, den Herzog Wenzel von Liegnitz, Bischof von Lebus, als Generaladministrator des vakanten Bistums und postulierte ihn auch als Ersatz für den vorher postulierten Johann von Neumarkt, der am 24. Dezember 1380 gestorben war, zum Bischof von Breslau. Zugleich verlegte es den Sitz des Bischofs und des Kapitels wie des geistlichen Gerichts unter Mitnahme des kirchlichen Apparats von dem der Krone Böhmen allein und unmittelbar eigenen Herzogtum Breslau in das Bistum- land Neiße-Ottmachau, in dem das Domkapitel die vollen herzoglichen Rechte, wenn auch unter dem obersten Patronat des böhmischen Königs genoß. König Wenzel, als er am 28. und 29. Juni 1381 zur Huldigung Breslau das erste Mal besuchte, fand statt festlicher Gottesdienste eine moralisch und wirtschaftlich verstörte Stadt und geschlossene Kirchen. Einxig die Augustiner-Eremiten von St. Dorothea, Mitglieder jenes Ordens 1 Vgl. Grünhagen, König Wenzel und der Pfaffenkrieg in Breslau, Archiv für Kunde österreich. Geschichtsquellen, Bd. 37 (1867), S. 231—269; Theodor Lindner, Gesch. d. deutschen Reiches unter König Wenzel, Bd. I (1875), S. 146 f.; besonders die ausgexeichnete Untersuchung von Wilhelm Schulte, Die politische Tendenz der Cronica principum Polonie (Darstellungen und Quellen zur schlesischen Geschichte, Bd. 1), Breslau 1906, S. 73—159 und Beilagen Nr. 9—38, S. 177—254. Durch Schultes gründliche und reichhaltige Arbeit, die neues urkundliches Material, namentlich der päpstlichen Register, verwertet, wird dankenswerterweise auch das Zerrbild des blindwütigen Königs Wenzel beseitigt, das noch bei Grünhagen und Lindner, wenn auch schon gemildert, aus der vielhundertjährigen Geschichtslegende nachlebte.
32 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. (1384—1387) auch Johanns von Neumarkt Nachfolger im Olmützer Episkopat (definitiv seit 1390). Er starb als Bischof von Olmütz am 6. Juni 1397. Im gegenwärtigen Zusammenhang muß besonders betont werden, daß er auch Domherr von Breslau gewesen war. Als solcher hat er entscheidend eingegriffen in den denkwürdigen Streit, den die 1376 eintretende mehrjährige Sedisvakanz des Breslauer Bistums hervorrief1. Der Anlaß dieses Streits war tragikomisch: einige Fässer Goldberger Biers, die der Herzog Ruprecht von Liegnitz und seine Gattin, die Herzogin Hedwig, dem Breslauer Domdechanten Hein- rich, Ruprechts Bruder, 1380 als Weihnachtsgeschenk gesandt hatten, waren vom Rat der Stadt Breslau, der sein Monopol des Ausschanks fremder Biere verletxt sah, konfisziert, und der Fuhrmann, der die La- dung mit falschen Angaben zur Dominsel hatte hineinbringen wollen, war verhaftet worden. Aber dieser Vorfall hatte schwerwiegende Folgen, in denen längst bestehende Standes-, soziale und wirtschaftliche Gegen- sätze und Spannungen rivalisierender Mächte und Interessen, ja auch ein tieferer politischer Prinxipienkonflikt sich entluden. Das Domkapitel verhängte wegen des angeblichen Eingriffs in seine Jurisdiktion das kirch- liche Interdikt über die gesamte Stadt Breslau, deputierte durch Spezial- mandat den Bruder des um sein Weihnachtsbier geprellten Dechanten Heinrich, den Herzog Wenzel von Liegnitz, Bischof von Lebus, als Generaladministrator des vakanten Bistums und postulierte ihn auch als Ersatz für den vorher postulierten Johann von Neumarkt, der am 24. Dezember 1380 gestorben war, zum Bischof von Breslau. Zugleich verlegte es den Sitz des Bischofs und des Kapitels wie des geistlichen Gerichts unter Mitnahme des kirchlichen Apparats von dem der Krone Böhmen allein und unmittelbar eigenen Herzogtum Breslau in das Bistum- land Neiße-Ottmachau, in dem das Domkapitel die vollen herzoglichen Rechte, wenn auch unter dem obersten Patronat des böhmischen Königs genoß. König Wenzel, als er am 28. und 29. Juni 1381 zur Huldigung Breslau das erste Mal besuchte, fand statt festlicher Gottesdienste eine moralisch und wirtschaftlich verstörte Stadt und geschlossene Kirchen. Einxig die Augustiner-Eremiten von St. Dorothea, Mitglieder jenes Ordens 1 Vgl. Grünhagen, König Wenzel und der Pfaffenkrieg in Breslau, Archiv für Kunde österreich. Geschichtsquellen, Bd. 37 (1867), S. 231—269; Theodor Lindner, Gesch. d. deutschen Reiches unter König Wenzel, Bd. I (1875), S. 146 f.; besonders die ausgexeichnete Untersuchung von Wilhelm Schulte, Die politische Tendenz der Cronica principum Polonie (Darstellungen und Quellen zur schlesischen Geschichte, Bd. 1), Breslau 1906, S. 73—159 und Beilagen Nr. 9—38, S. 177—254. Durch Schultes gründliche und reichhaltige Arbeit, die neues urkundliches Material, namentlich der päpstlichen Register, verwertet, wird dankenswerterweise auch das Zerrbild des blindwütigen Königs Wenzel beseitigt, das noch bei Grünhagen und Lindner, wenn auch schon gemildert, aus der vielhundertjährigen Geschichtslegende nachlebte.
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III. Die zweite Briefmustersammlung. 33 also, der den Luxemburgischen Königen viel verdankt und, wie von mir oft betont worden ist1, an der künstlerisch-literarischen Bewegung des Zeitalters stark beteiligt ist, folgten dem Gebot des Königs und setzten sich über das Interdikt hinweg. Wenzel, nachdem er vergeblich um Auf- hebung oder Milderung des Interdikts gebeten, ergriff gegen das renitente Domkapitel gewaltsame Repressalien; dem vom Kapitel zum Breslauer Bischof postulierten und von Papst Urban VI. nach einiger Zeit auch bestätigten Bruder des Urhebers des Interdikts, des Domdechanten Heinrich, dem Herzog Wenzel von Liegnitz, Bischof von Lebus, verweigerte er die Anerkennung als Bischof von Breslau und befahl ihm, keine flüchtigen Breslauer Domkapitulare aufzunchmen. Aber der residierte seelenruhig seit der Sexession des Kapitels als legaler Generaladministrator des vakanten Bistums im Bistumsland Neiße auf der, bischöflichen Burg Ottmachau, im Besitz aller festen Schlösser der Diöxese und der reichen Einkünfte der mensa episcopalis. Vollends seitdem im April 1382 die päpstliche Transferierungsbulle, die ihn als Bischof von Breslau bestätigte, ergangen war, hielt er, umgeben von seinen heimlich frondierenden pia- stischen Verwandten, die der Huldigung des neuen böhmischen Oberherren in Schlesiens Hauptstadt ostentativ fern geblieben waren, besucht auch von einzelnen Breslauer Kanonikern, unter zahlreichen Rittern und Vasallen prächtig Hof wie ein souveräner Landesherr und traf mit voller Freiheit seine bischöflichen Verfügungen. Nachdem auf sofortige Beschwerden der Stadt Breslau bei der Kurie und dem Erzbischof von Gnesen der päpstliche Nuntius schon im Sep- tember 1381 zwischen Stadt und Kapitel eine gütliche Beilegung des Schankstreites herbeigeführt hatte, die dem durstigen Kapitel auf der Dominsel zwar ihr Bier sicherte, aber verbot, es in die Stadt zu ver- kaufen, gelang dem diplomatischen Geschick des Nikolaus von Riesen- burg, das ihn später ja auch tauglich zum päpstlichen Legaten machte 1 Vgl. meine Bemerkungen in der Ausgabe des Ackermann aus Böhmen' (V. Mittelalt. z. Reform. III, I) Einleitung S. 4 Fußnote und in der Ausgabe von Johanns von Neumarkt Buch der Liebkosung (V. Mittelalt. z. Reform. VI) S. 4 Fußnote. Da bei den gegenwärtigen Verhältnissen es unsicher ist, wann der eingestellte Druck dieses Bandes wieder aufgenommen und beendet werden kann, will ich aus der xuletxt angeführten Stelle hier den Ausdruck des Be- dauerns wiederholen, daß Georg Bäsecke, Der Wiener Oswald, Heidelberg 1912, Einleit. S. XCIVf. zu seinem Schaden seine Charakteristik der literari- schen Neigungen der schlesischen Augustinerstifter und ihrer Be- ziehungen zu Böhmen immer noch bloß auf Koldes Buch von 1879 gründet und auch S. XCIII Anm. wie am Schluß seines Buches (Anmerkungen S. 65) die Aufgabe einer künftigen Geschichte der schlesischen Volks- und Schriftsprache bezeichnet, ohne aus meiner früheren Darlegung und der Erörterung Nutzen xu ziehen, die ich in der Deutschen Literaturzeitung 1899 14. Januar, S. 61f. 63. 65 an Bruno Arndts Darstellung der Breslauer Kanzleisprache anknüpfte.
III. Die zweite Briefmustersammlung. 33 also, der den Luxemburgischen Königen viel verdankt und, wie von mir oft betont worden ist1, an der künstlerisch-literarischen Bewegung des Zeitalters stark beteiligt ist, folgten dem Gebot des Königs und setzten sich über das Interdikt hinweg. Wenzel, nachdem er vergeblich um Auf- hebung oder Milderung des Interdikts gebeten, ergriff gegen das renitente Domkapitel gewaltsame Repressalien; dem vom Kapitel zum Breslauer Bischof postulierten und von Papst Urban VI. nach einiger Zeit auch bestätigten Bruder des Urhebers des Interdikts, des Domdechanten Heinrich, dem Herzog Wenzel von Liegnitz, Bischof von Lebus, verweigerte er die Anerkennung als Bischof von Breslau und befahl ihm, keine flüchtigen Breslauer Domkapitulare aufzunchmen. Aber der residierte seelenruhig seit der Sexession des Kapitels als legaler Generaladministrator des vakanten Bistums im Bistumsland Neiße auf der, bischöflichen Burg Ottmachau, im Besitz aller festen Schlösser der Diöxese und der reichen Einkünfte der mensa episcopalis. Vollends seitdem im April 1382 die päpstliche Transferierungsbulle, die ihn als Bischof von Breslau bestätigte, ergangen war, hielt er, umgeben von seinen heimlich frondierenden pia- stischen Verwandten, die der Huldigung des neuen böhmischen Oberherren in Schlesiens Hauptstadt ostentativ fern geblieben waren, besucht auch von einzelnen Breslauer Kanonikern, unter zahlreichen Rittern und Vasallen prächtig Hof wie ein souveräner Landesherr und traf mit voller Freiheit seine bischöflichen Verfügungen. Nachdem auf sofortige Beschwerden der Stadt Breslau bei der Kurie und dem Erzbischof von Gnesen der päpstliche Nuntius schon im Sep- tember 1381 zwischen Stadt und Kapitel eine gütliche Beilegung des Schankstreites herbeigeführt hatte, die dem durstigen Kapitel auf der Dominsel zwar ihr Bier sicherte, aber verbot, es in die Stadt zu ver- kaufen, gelang dem diplomatischen Geschick des Nikolaus von Riesen- burg, das ihn später ja auch tauglich zum päpstlichen Legaten machte 1 Vgl. meine Bemerkungen in der Ausgabe des Ackermann aus Böhmen' (V. Mittelalt. z. Reform. III, I) Einleitung S. 4 Fußnote und in der Ausgabe von Johanns von Neumarkt Buch der Liebkosung (V. Mittelalt. z. Reform. VI) S. 4 Fußnote. Da bei den gegenwärtigen Verhältnissen es unsicher ist, wann der eingestellte Druck dieses Bandes wieder aufgenommen und beendet werden kann, will ich aus der xuletxt angeführten Stelle hier den Ausdruck des Be- dauerns wiederholen, daß Georg Bäsecke, Der Wiener Oswald, Heidelberg 1912, Einleit. S. XCIVf. zu seinem Schaden seine Charakteristik der literari- schen Neigungen der schlesischen Augustinerstifter und ihrer Be- ziehungen zu Böhmen immer noch bloß auf Koldes Buch von 1879 gründet und auch S. XCIII Anm. wie am Schluß seines Buches (Anmerkungen S. 65) die Aufgabe einer künftigen Geschichte der schlesischen Volks- und Schriftsprache bezeichnet, ohne aus meiner früheren Darlegung und der Erörterung Nutzen xu ziehen, die ich in der Deutschen Literaturzeitung 1899 14. Januar, S. 61f. 63. 65 an Bruno Arndts Darstellung der Breslauer Kanzleisprache anknüpfte.
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Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. 34 und ihn als Nachfolger Johanns von Neumarkt auf den Olmützer Bischofs- stuhl führte, der ungemein schwierige Ausgleich zwischen König und Dom- kapitel (Mai 1382), zuletzt nach vielfältiger Bemühung am 6. Januar und 2. Juli 1383 der noch schwierigere endgültige Friedensschluß zwischen dem König Wenxel und dem Bischof-Herzog Wenzel samt dessen mißver- gnügten fürstlichen Verwandten. Deren Piastenblut, das dem altpolnischen Königshause entstammte, hatte bisher den böhmischen Vasallitätszaum nur widerwillig ertragen, verzichtete nun aber auf jede Sonderstellung außerhalb des Königreichs Böhmen und unterwarf sich völlig der Souveränität König Wenzels, wobei des zum Zeugnis die Urkunden über die neuen Treugelöbnisse und Lehnsverpflichtungen nicht mehr in lateinischer, sondern in deut- scher Sprache abgefaßt wurden. Nikolaus von Riesenburg stützte sich bei seiner langwierigen Vermitt- lungsaktion auf die jüngeren Mitglieder des Domkapitels, xumal solche, die als Mitglieder der königlichen Kanzlei oder hohe Beamte dem Prager Hof nahestanden. Sein Helfer bei diesem Friedenswerk war namentlich der Unterkämmerer des Königreichs Böhmen, Mitglied des königlichen Rates und spätere Kanzler, also gleichfalls ein Nachfolger Johanns von Neumarkt: Johannes oder Hanko Brunonis, Propst von Lebus. Aber auch in den Kreisen der Prager Kanzleibeamten divergierten bei dieser Gelegenheit die Sympathien und Antipathien wie die politischen Auffassungen beträchtlich. Ein anderer früherer Protonotar Karls IV., der Breslauer Archidiakon Nikolaus von Posen, hatte gerade Schulter an Schulter mit dem um sein Bier gekommenen herzoglichen Dom- dechanten Heinrich für den Schutz der Rechte und der Freiheit der Kirche gegen den Pharao oder Herodes von Böhmen gekämpft mit den Waffen des Interdikts, der Sexession, der eigenmächtigen Bischofspostu- lierung. Seine Briefe 1, die er, zur Flucht gezwungen, aus seinem sichern Asyl bei dem Bischof Heinrich von Ermeland in die Welt sandte, spiegeln das lebendig wider. Bald will er einen andern früheren Notar der Prager Hofkanzlei, Theodericus Damerow, seit Dexember 1378 Bischof von Dorpat, gleichfalls ein Mitglied des Schülerkreises Johanns von Neumarkt und, wie ich feststellen kann, Besitzer jener kost- baren Handschrift des Epistolars Rienzos, die unsere Haupt- quelle der Schriftstellerei des Tribunen bildet2, für seinen 1 Dictamina Nicolai, Anhang aum Formelbuch des Arnold von Protzan, hrsg. von Wattenbach, Codex diplomaticus Silesiae, Vol. V, Breslau 1862, S. ХI—XX, 299—324. 2 Vgl. meine Nachweise im zweiten Teil des von mir und Paul Piur herausgegebenen Rienxo-Briefwechsels (Vom Mittelalter xur Reformation II, 2), Ubersicht und Beschreibung der Handschriften, Nr. 25. Uber Dieterich Da- merau (Theodericus Damerow) s. auch meinen Exkurs am Schluß der Ein- leitung.
Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. 34 und ihn als Nachfolger Johanns von Neumarkt auf den Olmützer Bischofs- stuhl führte, der ungemein schwierige Ausgleich zwischen König und Dom- kapitel (Mai 1382), zuletzt nach vielfältiger Bemühung am 6. Januar und 2. Juli 1383 der noch schwierigere endgültige Friedensschluß zwischen dem König Wenxel und dem Bischof-Herzog Wenzel samt dessen mißver- gnügten fürstlichen Verwandten. Deren Piastenblut, das dem altpolnischen Königshause entstammte, hatte bisher den böhmischen Vasallitätszaum nur widerwillig ertragen, verzichtete nun aber auf jede Sonderstellung außerhalb des Königreichs Böhmen und unterwarf sich völlig der Souveränität König Wenzels, wobei des zum Zeugnis die Urkunden über die neuen Treugelöbnisse und Lehnsverpflichtungen nicht mehr in lateinischer, sondern in deut- scher Sprache abgefaßt wurden. Nikolaus von Riesenburg stützte sich bei seiner langwierigen Vermitt- lungsaktion auf die jüngeren Mitglieder des Domkapitels, xumal solche, die als Mitglieder der königlichen Kanzlei oder hohe Beamte dem Prager Hof nahestanden. Sein Helfer bei diesem Friedenswerk war namentlich der Unterkämmerer des Königreichs Böhmen, Mitglied des königlichen Rates und spätere Kanzler, also gleichfalls ein Nachfolger Johanns von Neumarkt: Johannes oder Hanko Brunonis, Propst von Lebus. Aber auch in den Kreisen der Prager Kanzleibeamten divergierten bei dieser Gelegenheit die Sympathien und Antipathien wie die politischen Auffassungen beträchtlich. Ein anderer früherer Protonotar Karls IV., der Breslauer Archidiakon Nikolaus von Posen, hatte gerade Schulter an Schulter mit dem um sein Bier gekommenen herzoglichen Dom- dechanten Heinrich für den Schutz der Rechte und der Freiheit der Kirche gegen den Pharao oder Herodes von Böhmen gekämpft mit den Waffen des Interdikts, der Sexession, der eigenmächtigen Bischofspostu- lierung. Seine Briefe 1, die er, zur Flucht gezwungen, aus seinem sichern Asyl bei dem Bischof Heinrich von Ermeland in die Welt sandte, spiegeln das lebendig wider. Bald will er einen andern früheren Notar der Prager Hofkanzlei, Theodericus Damerow, seit Dexember 1378 Bischof von Dorpat, gleichfalls ein Mitglied des Schülerkreises Johanns von Neumarkt und, wie ich feststellen kann, Besitzer jener kost- baren Handschrift des Epistolars Rienzos, die unsere Haupt- quelle der Schriftstellerei des Tribunen bildet2, für seinen 1 Dictamina Nicolai, Anhang aum Formelbuch des Arnold von Protzan, hrsg. von Wattenbach, Codex diplomaticus Silesiae, Vol. V, Breslau 1862, S. ХI—XX, 299—324. 2 Vgl. meine Nachweise im zweiten Teil des von mir und Paul Piur herausgegebenen Rienxo-Briefwechsels (Vom Mittelalter xur Reformation II, 2), Ubersicht und Beschreibung der Handschriften, Nr. 25. Uber Dieterich Da- merau (Theodericus Damerow) s. auch meinen Exkurs am Schluß der Ein- leitung.
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III. Die zweite Briefmustersammlung. 35 Standpunkt gewinnen, bald will er sich bei den Führern der versöhn- lichen, einen Ausgleich anstrebenden Kollegen, also bei dem Propst Nikolaus von Riesenburg und dem Propst Hanko Brunonis, Deckung suchen und sich den Weg zur Rückkehr, zur Gnade des Königs bahnen. Von all diesen eingewurxelten politischen Gegensätzen hört man in den Texten unseres schlesisch-böhmischen Briefmusterbuchs keinen Laut. Der elementare Lehrxweck und die praktischen Bedürfnisse der internen städtischen Kanzlei, auf die in erster Linie Rücksicht genommen wird, führen in eine engere und niedrigere Sphäre. Aber gewiß hat der Ur- heber dieser Sammlung mit launigem Behagen die beiden Bischöfe von Breslau und Olmütz, Wonzel von Liegnitz und Nikolaus von Riesenburg, die einst als politische Gegner in einem ganx Schlesien und Böhmen aufregenden, der Konfiskation eines Biertransports entsprungenen Streit miteinander die Kräfte maßen, als befreundete Amtsbrider und Korre- spondenten auftreten und nun gerade den gastfreien Piastensprößling wieder von Ottmachau aus brieflich um die sichere Sendung eines guten Tropfens mährischen Weins für durstige Kehlen sich bei jenem bischöf- lichen Nachbar bemühen lassen, der ihm vor Jahren durch seine kluge Vermittlungskunst über die verhängnisvollen Wirkungen der gesperrten Bierzufuhr hinweggeholfen. In Schlesien und Böhmen hat kein ülterer zeitgenössischer Benutzer unseres Leitfadens diesen Brief ohne Schmun- zeln lesen können. Stand doch auch Nikolaus von Riesenburg selbst im Rufe eines verschwenderischen Lebens wie sein Amtsbruder Wenzel. Der Verfasser oder Redaktor der in unserem Formularbuch vereinigten Brief- muster aber hatte selbst einen Hauch von dem weltfreudigen, für Frauen- liebe und Becherklang empfänglichen, nach einem eloquenten Stil streben- den Geist, der unter den Kanzleigenossen und Schülern Johanns von Neumarkt, die Bande klerikaler Bildung lockernd, sich regte und in dem Epistolar des Nikolaus von Posen so stark zu spüren ist. Und er hat daron etwas in seine Scholarenbriefe (unten Texte Nr. 52—86) einfließen lassen, die in ihrer rhetorisch erbaulichen Wortfülle und ihrer dem Rigorismus abholden Gesinnung die Disposition für die andrüingen- den humanistischen Einflüsse zeigen 1. Zweimal tritt auf, als Briefschreiber und als Adressat, Johannes archiepiscopus Gnesnensis (Bl. 132r"), einmal in einem von 1407 (kor- rigiert 1408) datierten Brief. Das könnte Johannes Kropidlo sein, Erz- bischof von Gnesen 1389—1394, doch es stimmt die Jahreszahl nicht zu seiner Regierung. Es wird sich aber unten zeigen, daß dicse Jahreszahl zu den künstlichen Zigen der Sammlung gehört; sie könnte also in einen an sich echten oder aus einem cchten xurechtgemachten Brief um der durch- geführten chronologischen Fiktion willen nachträglich eingesctzt worden sein. 1 Vgl. meinen Exkurs über Nikolaus von Riesenburg und Nikolaus von Posen am Schluß der Einleitung.
III. Die zweite Briefmustersammlung. 35 Standpunkt gewinnen, bald will er sich bei den Führern der versöhn- lichen, einen Ausgleich anstrebenden Kollegen, also bei dem Propst Nikolaus von Riesenburg und dem Propst Hanko Brunonis, Deckung suchen und sich den Weg zur Rückkehr, zur Gnade des Königs bahnen. Von all diesen eingewurxelten politischen Gegensätzen hört man in den Texten unseres schlesisch-böhmischen Briefmusterbuchs keinen Laut. Der elementare Lehrxweck und die praktischen Bedürfnisse der internen städtischen Kanzlei, auf die in erster Linie Rücksicht genommen wird, führen in eine engere und niedrigere Sphäre. Aber gewiß hat der Ur- heber dieser Sammlung mit launigem Behagen die beiden Bischöfe von Breslau und Olmütz, Wonzel von Liegnitz und Nikolaus von Riesenburg, die einst als politische Gegner in einem ganx Schlesien und Böhmen aufregenden, der Konfiskation eines Biertransports entsprungenen Streit miteinander die Kräfte maßen, als befreundete Amtsbrider und Korre- spondenten auftreten und nun gerade den gastfreien Piastensprößling wieder von Ottmachau aus brieflich um die sichere Sendung eines guten Tropfens mährischen Weins für durstige Kehlen sich bei jenem bischöf- lichen Nachbar bemühen lassen, der ihm vor Jahren durch seine kluge Vermittlungskunst über die verhängnisvollen Wirkungen der gesperrten Bierzufuhr hinweggeholfen. In Schlesien und Böhmen hat kein ülterer zeitgenössischer Benutzer unseres Leitfadens diesen Brief ohne Schmun- zeln lesen können. Stand doch auch Nikolaus von Riesenburg selbst im Rufe eines verschwenderischen Lebens wie sein Amtsbruder Wenzel. Der Verfasser oder Redaktor der in unserem Formularbuch vereinigten Brief- muster aber hatte selbst einen Hauch von dem weltfreudigen, für Frauen- liebe und Becherklang empfänglichen, nach einem eloquenten Stil streben- den Geist, der unter den Kanzleigenossen und Schülern Johanns von Neumarkt, die Bande klerikaler Bildung lockernd, sich regte und in dem Epistolar des Nikolaus von Posen so stark zu spüren ist. Und er hat daron etwas in seine Scholarenbriefe (unten Texte Nr. 52—86) einfließen lassen, die in ihrer rhetorisch erbaulichen Wortfülle und ihrer dem Rigorismus abholden Gesinnung die Disposition für die andrüingen- den humanistischen Einflüsse zeigen 1. Zweimal tritt auf, als Briefschreiber und als Adressat, Johannes archiepiscopus Gnesnensis (Bl. 132r"), einmal in einem von 1407 (kor- rigiert 1408) datierten Brief. Das könnte Johannes Kropidlo sein, Erz- bischof von Gnesen 1389—1394, doch es stimmt die Jahreszahl nicht zu seiner Regierung. Es wird sich aber unten zeigen, daß dicse Jahreszahl zu den künstlichen Zigen der Sammlung gehört; sie könnte also in einen an sich echten oder aus einem cchten xurechtgemachten Brief um der durch- geführten chronologischen Fiktion willen nachträglich eingesctzt worden sein. 1 Vgl. meinen Exkurs über Nikolaus von Riesenburg und Nikolaus von Posen am Schluß der Einleitung.
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36 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. Wenn hier zweimal ein Wenczeslaus als sedis apostolice legatus et archiepiscopus Pragensis erscheint (Bl. 132r und "), so stimmt der Name nicht. Er ist entweder in unserer Abschrift entstellt oder absichtlich vom Schreiber oder Sammler geändert aus Wolframus, der 1396—1402 in Prag Erzbischof war. Aber in einem dritten Brief (Bl. 132") datiert 1407 (mit der Korrektur 1408) erscheint dieser Wenczeslaus gleichfalls. Damals saß auf dem Prager Stuhl Sbinco de Hasenburg (1402—1411). Ein aus Breslau 1407 Juni 21 datierter Brief des nicht nachweis- baren Patriarchen Silvester von Jerusalem ist gerichtet an Wenzel Patri- archen von Antiochia (Bl. 1331). Das ist Wenzel Králík aus Bouřenic, Propst von Wyssehrad bei Prag, seit dem 26. Oktober 1396 königlicher Hofkanzler, mit dem stolzen Titel Patriarch von Antiochia seit 1397, und seit 1413 Administrator des Bistums Olmütz, † 1416. Ein Schweidnitz betreffender Brief ist gerichtet an einen nicht nach- weisbaren Kardinal tituli beati sixti (Bl. 1331). Aber ein aus Venedig datierter (ohne Jahresxahl) trägt die Unterschrift Franciscus presbyter Cardinalis tytuli sancte suzanne. Damit wird Franciscus Carbonus gemeint sein, der von 1385—1405 Cardinal tit. Susanne war. Auch Johannes, Abt des Zisterzienserklosters Kamenz in Schlesien, in einem Brief 1407 Juli 8 von Paulus, Abt xu Heinrichau (Bl. 1377), könnte Johannes I. aus Breslau sein (Abt 1392—1421). Katherina, Abtisse des Zisterzienserinnenklosters Trebnitz, die von dort einen 1407 Juli 8 datierten Brief schreibt, könnte Katharina II., Herzogin von Brieg, Abtisse 1372—1406 sein. Aber es stimmt das Jahr nicht, das eben, wie sich zeigen läßt (s. unten 2. Kapitel, III, 1), dem durchgeführten Schema xulieb geändert sein wird. Andere Namen von Kardinälen, Abten, Abtissen stimmen zu den historischen nicht und sind entweder frei erfunden oder aus ähnlichen geschichtlichen verändert. Eine bare Unmöglichkeit und durch den Ver- stoß gegen die hierarchische Verfassung Schlesiens recht auffallend an- gesichts der sonst bewährten Sachkunde ist die Einführung eines Wenzel, Bischofs von Glatz und Suffragans des Breslauer Bischofs (Bl. 131"). Das Ergebnis ist also dieses : wohl entsprechen bei mehreren genannten Persönlichkeiten und Amtern die Einzelheiten den historisch-chronologi- schen Verhältnissen, aber wiederholt ist diese Entsprechung nicht voll- ständig. Mehrfach finden sich Verschiebungen des geschichtlichen Verhält- nisses. Der Möglichkeit, daß diese Abweichungen von der geschichtlichen Realität absichtlich zur Verdunklung an echten Briefvorlagen erfolgten, steht die andere Möglichkeit gegenüber, daß hier fingierte Briefe nur durch einzelne Namen und Angaben ein erborgtes historisches Kostüm als Aufputz und losen Uberwurf erhielten, und die dritte Möglichkeit, daß inhaltlich freie Erfindungen nach dem Muster wirklicher Briefe und in völliger treuer Anlehnung an deren Form und Stil hergestellt worden
36 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. Wenn hier zweimal ein Wenczeslaus als sedis apostolice legatus et archiepiscopus Pragensis erscheint (Bl. 132r und "), so stimmt der Name nicht. Er ist entweder in unserer Abschrift entstellt oder absichtlich vom Schreiber oder Sammler geändert aus Wolframus, der 1396—1402 in Prag Erzbischof war. Aber in einem dritten Brief (Bl. 132") datiert 1407 (mit der Korrektur 1408) erscheint dieser Wenczeslaus gleichfalls. Damals saß auf dem Prager Stuhl Sbinco de Hasenburg (1402—1411). Ein aus Breslau 1407 Juni 21 datierter Brief des nicht nachweis- baren Patriarchen Silvester von Jerusalem ist gerichtet an Wenzel Patri- archen von Antiochia (Bl. 1331). Das ist Wenzel Králík aus Bouřenic, Propst von Wyssehrad bei Prag, seit dem 26. Oktober 1396 königlicher Hofkanzler, mit dem stolzen Titel Patriarch von Antiochia seit 1397, und seit 1413 Administrator des Bistums Olmütz, † 1416. Ein Schweidnitz betreffender Brief ist gerichtet an einen nicht nach- weisbaren Kardinal tituli beati sixti (Bl. 1331). Aber ein aus Venedig datierter (ohne Jahresxahl) trägt die Unterschrift Franciscus presbyter Cardinalis tytuli sancte suzanne. Damit wird Franciscus Carbonus gemeint sein, der von 1385—1405 Cardinal tit. Susanne war. Auch Johannes, Abt des Zisterzienserklosters Kamenz in Schlesien, in einem Brief 1407 Juli 8 von Paulus, Abt xu Heinrichau (Bl. 1377), könnte Johannes I. aus Breslau sein (Abt 1392—1421). Katherina, Abtisse des Zisterzienserinnenklosters Trebnitz, die von dort einen 1407 Juli 8 datierten Brief schreibt, könnte Katharina II., Herzogin von Brieg, Abtisse 1372—1406 sein. Aber es stimmt das Jahr nicht, das eben, wie sich zeigen läßt (s. unten 2. Kapitel, III, 1), dem durchgeführten Schema xulieb geändert sein wird. Andere Namen von Kardinälen, Abten, Abtissen stimmen zu den historischen nicht und sind entweder frei erfunden oder aus ähnlichen geschichtlichen verändert. Eine bare Unmöglichkeit und durch den Ver- stoß gegen die hierarchische Verfassung Schlesiens recht auffallend an- gesichts der sonst bewährten Sachkunde ist die Einführung eines Wenzel, Bischofs von Glatz und Suffragans des Breslauer Bischofs (Bl. 131"). Das Ergebnis ist also dieses : wohl entsprechen bei mehreren genannten Persönlichkeiten und Amtern die Einzelheiten den historisch-chronologi- schen Verhältnissen, aber wiederholt ist diese Entsprechung nicht voll- ständig. Mehrfach finden sich Verschiebungen des geschichtlichen Verhält- nisses. Der Möglichkeit, daß diese Abweichungen von der geschichtlichen Realität absichtlich zur Verdunklung an echten Briefvorlagen erfolgten, steht die andere Möglichkeit gegenüber, daß hier fingierte Briefe nur durch einzelne Namen und Angaben ein erborgtes historisches Kostüm als Aufputz und losen Uberwurf erhielten, und die dritte Möglichkeit, daß inhaltlich freie Erfindungen nach dem Muster wirklicher Briefe und in völliger treuer Anlehnung an deren Form und Stil hergestellt worden
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III. Die zweite Briefmustersammlung. 37 sind. Welche dieser drei Möglichkeiten der Wahrheit entspricht, muß die weitere Untersuchung lehren. 3. Charakter der bürgerlichen Personennamen. Die vorkommenden Namen geistlicher Würdenträger höheren Ranges zeigen eine problematische Vereinigung geschichtlicher und erdichteter Züge. Wie steht es mit den zahlreichen bürgerlichen Namen? Tragen sie etwa den Stempel der Realität? Im ganzen verfährt hier der Sammler schematisierend, nach einem festen Plan der Umänderung. Er bevorzugt (in den lateinisch-deutschen Stücken besonders) einsilbige Familiennamen1 und die Vornamen Niko- laus, Petrus, Paulus, Johannes: z. B. Hinricus Hecht, famulus Johannis Hunt; Petrus vochs (Fuchs); Nicolaus Ber, Niclos Grunt, Niclaus Gros, Nicolaus Wint, Niclos Burg, Niclos Boum, Nicolaus Hecht, Nico- laus Posch, Nicolaus Loch, Nicolaus Kern, Petrus Stein, Petrus Born, Paulus Stok, Paulus Gros. Man bemerkt dabei auch das entschiedene Uberwiegen des Vornamens Nikolaus. Das für eine, ursprünglich vielleicht scherzhafte Auflösung der in Formularbüchern gebräuchlichen Abkürzung N.2 zu halten, woran man denken könnte, verbietet der Umstand, daß, wie Dr. Georg Schoppe bei einer für mich vorgenommenen Durch- sicht der ältesten Schweidnitzer Urkunden und Gerichtsakten feststellte, in diesen wirklich der Vorname Nikolaus unendlich oft vorkommt und auch heute noch in Schweidnitz bei älteren Leuten sehr verbreitet ist. Denn diese Namen sind andrerseits keineswegs willkürlich erfunden. Es sind die in Schlesien und Böhmen üblichen Familiennamen, nur nach einem bestimmten Prinzip gehäuft. Namen wie Ber, Burg, Grunt, Bock, Kant, Foit lassen sich überall aus schlesischen und böhmischen Urkunden dieser Zeit beibringen3. 1 Nur als Absender des sechsten Briefes und im 15., 18., 20. Brief er- scheinen mehrsilbige bürgerliche Namen. 2 Das N. für einen unbekannten oder absichtlich nicht genannten Namen setzt P. Ortmayr, Beiträge, Bd. 45 (1920), S. 146 mit Recht = nomen. Das doppelte (N. N.) würde man danach einfach = nomina (und nicht = nomen nescio oder nomen notatus) verstehen müssen. Daß es auf die Länder deut- scher Zunge beschränkt sei, wo seit dem 12. Jahrhundert neben den Vornamen auch die Familien- oder Zunamen auftreten’, bezweifle ich. Der Italiener Adr. Cappelli in seinem Lexikon abbreviaturarum, Leipzig 1901, notiert aus In- schriften die Abkürxung N. N = Non nominatus, NN = nomen. 3 Vgl. Schlesische Urkunden xur Geschichte des Gewerberechts, insbesondere des Innungswesens aus der Zeit vor 1400, hrsg. von Gcorg Korn, Breslau, Jos. Max u. Co., 1867 (Codex diplomaticus Silesiae, 8. Bd.): Nykel Grunt 1352, Striegauer Stadtbuch (S. 39, Abs. 12), Hanko Pfoyt Erbrichter 1337, Schweid- nitzer Handwerkerstatuten (S. 21, Nr. 14), Henricus Ber 1348 unter den Kon- suln von Neumarkt (S. 27, Nr. XIX), Belczel Beer, Glatzer Fleischmarktordnung
III. Die zweite Briefmustersammlung. 37 sind. Welche dieser drei Möglichkeiten der Wahrheit entspricht, muß die weitere Untersuchung lehren. 3. Charakter der bürgerlichen Personennamen. Die vorkommenden Namen geistlicher Würdenträger höheren Ranges zeigen eine problematische Vereinigung geschichtlicher und erdichteter Züge. Wie steht es mit den zahlreichen bürgerlichen Namen? Tragen sie etwa den Stempel der Realität? Im ganzen verfährt hier der Sammler schematisierend, nach einem festen Plan der Umänderung. Er bevorzugt (in den lateinisch-deutschen Stücken besonders) einsilbige Familiennamen1 und die Vornamen Niko- laus, Petrus, Paulus, Johannes: z. B. Hinricus Hecht, famulus Johannis Hunt; Petrus vochs (Fuchs); Nicolaus Ber, Niclos Grunt, Niclaus Gros, Nicolaus Wint, Niclos Burg, Niclos Boum, Nicolaus Hecht, Nico- laus Posch, Nicolaus Loch, Nicolaus Kern, Petrus Stein, Petrus Born, Paulus Stok, Paulus Gros. Man bemerkt dabei auch das entschiedene Uberwiegen des Vornamens Nikolaus. Das für eine, ursprünglich vielleicht scherzhafte Auflösung der in Formularbüchern gebräuchlichen Abkürzung N.2 zu halten, woran man denken könnte, verbietet der Umstand, daß, wie Dr. Georg Schoppe bei einer für mich vorgenommenen Durch- sicht der ältesten Schweidnitzer Urkunden und Gerichtsakten feststellte, in diesen wirklich der Vorname Nikolaus unendlich oft vorkommt und auch heute noch in Schweidnitz bei älteren Leuten sehr verbreitet ist. Denn diese Namen sind andrerseits keineswegs willkürlich erfunden. Es sind die in Schlesien und Böhmen üblichen Familiennamen, nur nach einem bestimmten Prinzip gehäuft. Namen wie Ber, Burg, Grunt, Bock, Kant, Foit lassen sich überall aus schlesischen und böhmischen Urkunden dieser Zeit beibringen3. 1 Nur als Absender des sechsten Briefes und im 15., 18., 20. Brief er- scheinen mehrsilbige bürgerliche Namen. 2 Das N. für einen unbekannten oder absichtlich nicht genannten Namen setzt P. Ortmayr, Beiträge, Bd. 45 (1920), S. 146 mit Recht = nomen. Das doppelte (N. N.) würde man danach einfach = nomina (und nicht = nomen nescio oder nomen notatus) verstehen müssen. Daß es auf die Länder deut- scher Zunge beschränkt sei, wo seit dem 12. Jahrhundert neben den Vornamen auch die Familien- oder Zunamen auftreten’, bezweifle ich. Der Italiener Adr. Cappelli in seinem Lexikon abbreviaturarum, Leipzig 1901, notiert aus In- schriften die Abkürxung N. N = Non nominatus, NN = nomen. 3 Vgl. Schlesische Urkunden xur Geschichte des Gewerberechts, insbesondere des Innungswesens aus der Zeit vor 1400, hrsg. von Gcorg Korn, Breslau, Jos. Max u. Co., 1867 (Codex diplomaticus Silesiae, 8. Bd.): Nykel Grunt 1352, Striegauer Stadtbuch (S. 39, Abs. 12), Hanko Pfoyt Erbrichter 1337, Schweid- nitzer Handwerkerstatuten (S. 21, Nr. 14), Henricus Ber 1348 unter den Kon- suln von Neumarkt (S. 27, Nr. XIX), Belczel Beer, Glatzer Fleischmarktordnung
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38 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. 4. Die lokalen Elemente des lateinisch-deutschen Teils. In dem doppelsprachigen Teil des zweiten Formularbuches erscheinen als Schauplatz am häufigsten, je neunmal, Prag und Grecz, letzteres ist nach allgemeinem damaligem Brauch, den es überflüssig ist aus Urkunden zu belegen, der Name für das heutige Königgrätz an der Elbe. Neben diesen beiden böhmischen Städten werden drei schlesische oft genannt: Schweidnitz (siebenmal), Reichenbach (viermal) und das Gebiet von Frankenstein. Diese Namen konnte woll auch ein Erdichter von Briefen einsetzen. Sie waren in dem ganzen weiteren Gebiet von Schlesien und Böhmen wohl allbekannt. Aber es begegnen außerdem Namen von unbedeutenderen Ortschaften, die teilweise wirklich nur einem allerengsten lokalen Kreise geläufig sein konnten, die bei freier Erfindung der Briefe schwerlich eingefügt worden wären. Denn so viel Mühe geben sich die damaligen Verfasser von Musterstücken für die Briefkunst nicht, daß sie, um den Schein der Echtheit ihren Mustern xu verleihen, Namen obskurster Plätze ausgrüben. Nickil Czirnaw 1, Erbherr xu Gohlau, bittet am Dienstag nach Sankt Veit 1407 von Peilau aus den Erbherrn Hannus Czobten xu Tarnau, er möge ihm ein Pferd und einen Schützen leihen, damit er an dem für Sonntag nach Johannis angekündigten, in Schweidnitz stattfindenden Landtag König Wenzels gut beritten teilnehmen könne (Bl. 140", unten Texte Nr. 22). Peilau liegt im Kreise Reichenbach in Schlesien, Tarnau 17/8 Meilen von Schweidnitz, Gohlau ist entweder das Guhlau 15/16 Meilen nordöstlich von Reichenbach oder das Guhlau 15/8 Meilen nordöstlich von Schweidnitz. Jenlin Beczaw, Erbherr zu Gradis, bittet Mittwoch nach Sankt Veit 1407 den Erbherrn Jesko von Trepicz (Türpitz) zu Belau um einen von 1354 in Transsumpt von 1477 (S. 43); Urkunden des Klosters Kamenz hrsg. von P. Pfotenhauer, Breslau 1881 (Cod. dipl. Sil., 10. Bd.): Leutko Foyt 1393, Urkunde der Stadt Patschkau (S. 238), Nicolaus Kant in Heynrichswalde religiosus 1448, bischöflicher Erlaß (S. 308, Nr. 341); Breslauer Stadtbuch hrsg. von H. Markgraf und O. Frenxel, Breslau 1882 (Cod. dipl. Sil., XI. Bd.): Ber (S. 91, 1), Bock (S. 92, 1), Bog (S. 183), Borg = mhd. barc, nd. borch (ver- schnittner Eber’) (S. 92, 1. 93, 1), Foit (S. 97, 2), Grunt (S. 101, 1). Besonders begegnen diese Namen in den gleichxeitigen Schweidnitzer Quellen. So konnte auf meine Veranlassung Dr. Schillmann an Ort und Stelle aus Schweid- nitzer Stadt- und Bürgerbüchern des 15. Jahrhunderts die Namen Hunt, Hecht Vochs, Mönch und Burg mehrfach nachweisen. Aus Schweidnitzer Archivalien des 14. und 15. Jahrhunderts belegte mir Dr. Schoppe die Namen Thomas voyt, Petir pylcz, Petir Gans, Johannes Pelcz, Heinrich Wirt, Hannos Burg, Petir Bawch, Hannos Hund (Altestes Stadtbuch, a. 1393. 1410). 1 Den Namen herman von Czirnaw weist mir Dr. Schoppe nach aus dem ältesten Schweidnitzer Stadtbuch (Bl. 199a) in einer Urkunde vom 10. Januar 1410 neben hannos hund.
38 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. 4. Die lokalen Elemente des lateinisch-deutschen Teils. In dem doppelsprachigen Teil des zweiten Formularbuches erscheinen als Schauplatz am häufigsten, je neunmal, Prag und Grecz, letzteres ist nach allgemeinem damaligem Brauch, den es überflüssig ist aus Urkunden zu belegen, der Name für das heutige Königgrätz an der Elbe. Neben diesen beiden böhmischen Städten werden drei schlesische oft genannt: Schweidnitz (siebenmal), Reichenbach (viermal) und das Gebiet von Frankenstein. Diese Namen konnte woll auch ein Erdichter von Briefen einsetzen. Sie waren in dem ganzen weiteren Gebiet von Schlesien und Böhmen wohl allbekannt. Aber es begegnen außerdem Namen von unbedeutenderen Ortschaften, die teilweise wirklich nur einem allerengsten lokalen Kreise geläufig sein konnten, die bei freier Erfindung der Briefe schwerlich eingefügt worden wären. Denn so viel Mühe geben sich die damaligen Verfasser von Musterstücken für die Briefkunst nicht, daß sie, um den Schein der Echtheit ihren Mustern xu verleihen, Namen obskurster Plätze ausgrüben. Nickil Czirnaw 1, Erbherr xu Gohlau, bittet am Dienstag nach Sankt Veit 1407 von Peilau aus den Erbherrn Hannus Czobten xu Tarnau, er möge ihm ein Pferd und einen Schützen leihen, damit er an dem für Sonntag nach Johannis angekündigten, in Schweidnitz stattfindenden Landtag König Wenzels gut beritten teilnehmen könne (Bl. 140", unten Texte Nr. 22). Peilau liegt im Kreise Reichenbach in Schlesien, Tarnau 17/8 Meilen von Schweidnitz, Gohlau ist entweder das Guhlau 15/16 Meilen nordöstlich von Reichenbach oder das Guhlau 15/8 Meilen nordöstlich von Schweidnitz. Jenlin Beczaw, Erbherr zu Gradis, bittet Mittwoch nach Sankt Veit 1407 den Erbherrn Jesko von Trepicz (Türpitz) zu Belau um einen von 1354 in Transsumpt von 1477 (S. 43); Urkunden des Klosters Kamenz hrsg. von P. Pfotenhauer, Breslau 1881 (Cod. dipl. Sil., 10. Bd.): Leutko Foyt 1393, Urkunde der Stadt Patschkau (S. 238), Nicolaus Kant in Heynrichswalde religiosus 1448, bischöflicher Erlaß (S. 308, Nr. 341); Breslauer Stadtbuch hrsg. von H. Markgraf und O. Frenxel, Breslau 1882 (Cod. dipl. Sil., XI. Bd.): Ber (S. 91, 1), Bock (S. 92, 1), Bog (S. 183), Borg = mhd. barc, nd. borch (ver- schnittner Eber’) (S. 92, 1. 93, 1), Foit (S. 97, 2), Grunt (S. 101, 1). Besonders begegnen diese Namen in den gleichxeitigen Schweidnitzer Quellen. So konnte auf meine Veranlassung Dr. Schillmann an Ort und Stelle aus Schweid- nitzer Stadt- und Bürgerbüchern des 15. Jahrhunderts die Namen Hunt, Hecht Vochs, Mönch und Burg mehrfach nachweisen. Aus Schweidnitzer Archivalien des 14. und 15. Jahrhunderts belegte mir Dr. Schoppe die Namen Thomas voyt, Petir pylcz, Petir Gans, Johannes Pelcz, Heinrich Wirt, Hannos Burg, Petir Bawch, Hannos Hund (Altestes Stadtbuch, a. 1393. 1410). 1 Den Namen herman von Czirnaw weist mir Dr. Schoppe nach aus dem ältesten Schweidnitzer Stadtbuch (Bl. 199a) in einer Urkunde vom 10. Januar 1410 neben hannos hund.
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III. Die zweite Briefmustersammlung. 39 Habicht zur Beizjagd (Bl. 141r, unten Texte Nr. 23). Gradis (Gredis) ist Gräditz, 3/4 Meilen südöstlich Schweidnitz. Trepitz = Tirpitz, Türpitz I7/8 Meilen südsüdöstlich von Strchlen, Belau ein Schloß im Dominial- forst von Türpitz. Den Ritter Niclos Bes 1, Erbherrn zu Tincz bittet am Donnerstag nach Sankt Veit 1407 Sigmund Rogewicz, Erbherr zu Politz, mit ihm zusammen nächsten Freitag nach Breslau zu reiten, um für seinen Schwager Johannes von Kinast2, dem infolge einer Gerichtssache vor den Ratmannen zu Breslau das Betreten der Stadt gefährlich erscheint, dort Frieden zu erwerben und ihm die Durchführung seiner Geschäfte in Breslau zu ermöglichen (Bl. 142r, unten Texte Nr. 25). Tincz wird wohl Klein-Tincz sein, 13/4 Meilen südwestlich von Breslau. Politz in Böhmen am Südwestabhang der Heuscheuer. Es kommt in dem Formel- buch noch einmal vor. Der Ritter Peter Reym, Erbherr in Protzan, bittet von Gohlau aus (Bl. 141", unten Texte Nr. 24) den Ritter Herrn Konrad Schoneich, Erbherrn zum Stolcz', um die Regelung der Erbschaft des verstorbenen Kunczil Stock, Mittwoch nach Sankt Veit 1407. Protzan liegt 1/2 Meile nördlich von Frankenstein, Stolz 5/8 Meilen östlich von Frankenstein, Gohlau ist wieder Guhlau bei Reichenbach oder bei Schweidnitz. Heinrich Hecht, Diener des Johannes Hunt in Grecz (Königgrätz) schreibt (Bl. 107r, Texte Nr. 1) an seinen Freund Johannes Berg in Böhmisch-Nimburg, ob er, falls dieser zum nächsten Johannistermin seine Stelle aufgebe, dessen Nachfolger werden könne, und erhält die Antwort: ich bleibe bei meinem Herrn (Texte Nr. 2). Das alles sind intime Verhiiltnisse und Vorgänge, eng provinziale Interessen und ein recht begrenzter Verkehr, die sich hier in diescr latcinisch-deutschen Korrespondenz spiegeln. Doch gelegentlich kommt auch der in die Ferne treibende kirchlich-religiöse Drang zum Vorschein. Der Bürger Niclos Boum in Grecz bittet (Bl. 108r, Texte Nr. 3) den Prager Bürger Petrus Vochs für eine beabsichtigte Pilgerfahrt nach Rom um Einwechselung von hundert ungarischen Goldgulden statt der entsprechenden Summe von Prager Groschen. Unser Formularbuch zeigt aber auch, wie in jene häuslich-persönliche Welt das damals schon rege gewerbliche und industrielle Leben dieser schlesischen Kleinstädte seine Wellen wirft. Um den Mittelpunkt Breslau gruppiert und mit ihm durch Straßen verbunden, 1 Der Name ist nicht bloß für das Gebiet von Oppeln (s. zu Nr. 25, 1, S. 32), sondern, worauf Wutke hinweist, im Codex diplomat. Siles. IX auch für Brieg oft belegt. 2 Als cliens (Knecht, Knappe) führt er das Beiwort validus (so statt validis ist Nr. 25, 4 xu lesen; vgl. Nr. 22, 1; 23, 1), während der Ritter strenuus oder fortis heißt (rgl. 24, 1; 25, 1); s. Burdach, Der Dichter des Ackermann' (V. Ma. x. Reform. III. 2). S. 19.
III. Die zweite Briefmustersammlung. 39 Habicht zur Beizjagd (Bl. 141r, unten Texte Nr. 23). Gradis (Gredis) ist Gräditz, 3/4 Meilen südöstlich Schweidnitz. Trepitz = Tirpitz, Türpitz I7/8 Meilen südsüdöstlich von Strchlen, Belau ein Schloß im Dominial- forst von Türpitz. Den Ritter Niclos Bes 1, Erbherrn zu Tincz bittet am Donnerstag nach Sankt Veit 1407 Sigmund Rogewicz, Erbherr zu Politz, mit ihm zusammen nächsten Freitag nach Breslau zu reiten, um für seinen Schwager Johannes von Kinast2, dem infolge einer Gerichtssache vor den Ratmannen zu Breslau das Betreten der Stadt gefährlich erscheint, dort Frieden zu erwerben und ihm die Durchführung seiner Geschäfte in Breslau zu ermöglichen (Bl. 142r, unten Texte Nr. 25). Tincz wird wohl Klein-Tincz sein, 13/4 Meilen südwestlich von Breslau. Politz in Böhmen am Südwestabhang der Heuscheuer. Es kommt in dem Formel- buch noch einmal vor. Der Ritter Peter Reym, Erbherr in Protzan, bittet von Gohlau aus (Bl. 141", unten Texte Nr. 24) den Ritter Herrn Konrad Schoneich, Erbherrn zum Stolcz', um die Regelung der Erbschaft des verstorbenen Kunczil Stock, Mittwoch nach Sankt Veit 1407. Protzan liegt 1/2 Meile nördlich von Frankenstein, Stolz 5/8 Meilen östlich von Frankenstein, Gohlau ist wieder Guhlau bei Reichenbach oder bei Schweidnitz. Heinrich Hecht, Diener des Johannes Hunt in Grecz (Königgrätz) schreibt (Bl. 107r, Texte Nr. 1) an seinen Freund Johannes Berg in Böhmisch-Nimburg, ob er, falls dieser zum nächsten Johannistermin seine Stelle aufgebe, dessen Nachfolger werden könne, und erhält die Antwort: ich bleibe bei meinem Herrn (Texte Nr. 2). Das alles sind intime Verhiiltnisse und Vorgänge, eng provinziale Interessen und ein recht begrenzter Verkehr, die sich hier in diescr latcinisch-deutschen Korrespondenz spiegeln. Doch gelegentlich kommt auch der in die Ferne treibende kirchlich-religiöse Drang zum Vorschein. Der Bürger Niclos Boum in Grecz bittet (Bl. 108r, Texte Nr. 3) den Prager Bürger Petrus Vochs für eine beabsichtigte Pilgerfahrt nach Rom um Einwechselung von hundert ungarischen Goldgulden statt der entsprechenden Summe von Prager Groschen. Unser Formularbuch zeigt aber auch, wie in jene häuslich-persönliche Welt das damals schon rege gewerbliche und industrielle Leben dieser schlesischen Kleinstädte seine Wellen wirft. Um den Mittelpunkt Breslau gruppiert und mit ihm durch Straßen verbunden, 1 Der Name ist nicht bloß für das Gebiet von Oppeln (s. zu Nr. 25, 1, S. 32), sondern, worauf Wutke hinweist, im Codex diplomat. Siles. IX auch für Brieg oft belegt. 2 Als cliens (Knecht, Knappe) führt er das Beiwort validus (so statt validis ist Nr. 25, 4 xu lesen; vgl. Nr. 22, 1; 23, 1), während der Ritter strenuus oder fortis heißt (rgl. 24, 1; 25, 1); s. Burdach, Der Dichter des Ackermann' (V. Ma. x. Reform. III. 2). S. 19.
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Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. 40 haben sie sich im allgemeinen nur durch dessen Vermittelung am aus- wärtigen Handel beteiligt, aber einzelne, die an den großen Straßen lagen, wie Schweidnitz, über das die Straßen von Breslau nach Prag und nach dem Westen, nach Leipzig und zum Rhein führten, setzten auch direkt Waren ins Ausland ab, und Schweidnitz war xum Beispiel 1404 bei den Beratungen über einen Handelsvertrag der preußischen Städte mit Böhmen und Schlesien durch eigene Gesandte vertreten1. Der Prager Bürger Monch bittet den Zittauer Nicolaus Burg, Tuch- stoffe, die dieser vom letzten Breslauer Mittfasten-Jahrmarkt2 nach Zittau geführt hat, nunmehr mit dem Fuhrmann des Prager nach Prag schaffen zu lassen (Bl. 108", Texte Nr. 5). Eine hübsche Illustration zu der früh entwickelten schlesischen Tuchweberei, die gerade auch in Schweid- nitz und Striegau blühte und durch Vermittelung von Breslauer Kauf- leuten ihre Erxeugnisse nach auswärts, bis nach Böhmen und Wien, auf den Markt brachte3 (vgl. auch unten S. 43). Der Prager Bürger Heinrich Brodaw bittet seinen Vetter Niclos Wint in Schweidnitx um Schweidnitzer Bier zur Hochzeit seiner Tochter. Datiert: Sonntag Jubilate 1407 (Bl. 109r, Texte Nr. 6). Schweidnitzer Bier war damals und noch lange in ganz Schlesien und den benachbarten Ländern beliebt und verbreitet. Bereits 1331 ward es in Breslau von der Stadt ausgeschenkt. Nach diesem Bier erhielt der Breslauer Ratskeller den Namen Schweidnitzer Keller (schon 1439 nach- weisbar), der ihm bis heute verblieben ist. Auch Brieg hatte einen solchen Schweidnitzer Keller. Der Anspruch der Breslauer Domgeistlichkeit, gleichfalls dieses Schweidnitzer Bier auszuschenken, rief 1381 den oben S. 32ff. besprochenen Bierstreit hervor, der dadurch seine Schlichtung fand, daß das Recht der Domgeistlichkeit, dieses und anderes Bier aus- zuschenken, auf die Bewohner der Dominsel beschränkt, jeder Verkauf aber an Bürger der Stadt ihr streng untersagt wurde4. Eine zu Anfang des 15. Jahrhunderts in der mährischen Stadt Iglau verfaßte Rhetorik (Candela rhetoricae)5 bringt daher das Scherzwort über die Breslauer 1 Colmar Grünhagen, Schlesien am Ausgange des Mittelalters, Zeit- schrift für Geschichte Schlesiens, Bd. 18 (1884), S. 34f. 36. 2 Im Jahre 1337 verlieh der König Johann von Böhmen der Stadt Breslau neben dem Jahrmarkt zu Johanni einen zweiten Markt (Breslauer Urkunden- buch, hrsg. von G. Korn, I, 140), der in einer Urkunde König Wenzels von Sonnabend nach Michaelis 1412 (Stadtarchiv Breslau, Urk. G 5) direkt Mittfasten genannt wird (Mitteilung von Dr. Schoppe). 3 Vgl. Grünhagen a. a. O. S. 36. “ Der trinkfrohe Bischof Wenxel (s. oben S. 35) verlich am 25. November 1396 auch den Kanonikern des Kollegiatstifts xu Ottmachau das Recht Schweid- nitzer Schöps und jedes andere Bier unter sich zu schenken und zu trinken' (Kopietz, Zeitschr. f. d. Gesch. Schlesiens 26. Bd., 1892, S. 146). 5 Ausxugsweise herausgegeben von Wattenbach nach einer Handschrift
Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. 40 haben sie sich im allgemeinen nur durch dessen Vermittelung am aus- wärtigen Handel beteiligt, aber einzelne, die an den großen Straßen lagen, wie Schweidnitz, über das die Straßen von Breslau nach Prag und nach dem Westen, nach Leipzig und zum Rhein führten, setzten auch direkt Waren ins Ausland ab, und Schweidnitz war xum Beispiel 1404 bei den Beratungen über einen Handelsvertrag der preußischen Städte mit Böhmen und Schlesien durch eigene Gesandte vertreten1. Der Prager Bürger Monch bittet den Zittauer Nicolaus Burg, Tuch- stoffe, die dieser vom letzten Breslauer Mittfasten-Jahrmarkt2 nach Zittau geführt hat, nunmehr mit dem Fuhrmann des Prager nach Prag schaffen zu lassen (Bl. 108", Texte Nr. 5). Eine hübsche Illustration zu der früh entwickelten schlesischen Tuchweberei, die gerade auch in Schweid- nitz und Striegau blühte und durch Vermittelung von Breslauer Kauf- leuten ihre Erxeugnisse nach auswärts, bis nach Böhmen und Wien, auf den Markt brachte3 (vgl. auch unten S. 43). Der Prager Bürger Heinrich Brodaw bittet seinen Vetter Niclos Wint in Schweidnitx um Schweidnitzer Bier zur Hochzeit seiner Tochter. Datiert: Sonntag Jubilate 1407 (Bl. 109r, Texte Nr. 6). Schweidnitzer Bier war damals und noch lange in ganz Schlesien und den benachbarten Ländern beliebt und verbreitet. Bereits 1331 ward es in Breslau von der Stadt ausgeschenkt. Nach diesem Bier erhielt der Breslauer Ratskeller den Namen Schweidnitzer Keller (schon 1439 nach- weisbar), der ihm bis heute verblieben ist. Auch Brieg hatte einen solchen Schweidnitzer Keller. Der Anspruch der Breslauer Domgeistlichkeit, gleichfalls dieses Schweidnitzer Bier auszuschenken, rief 1381 den oben S. 32ff. besprochenen Bierstreit hervor, der dadurch seine Schlichtung fand, daß das Recht der Domgeistlichkeit, dieses und anderes Bier aus- zuschenken, auf die Bewohner der Dominsel beschränkt, jeder Verkauf aber an Bürger der Stadt ihr streng untersagt wurde4. Eine zu Anfang des 15. Jahrhunderts in der mährischen Stadt Iglau verfaßte Rhetorik (Candela rhetoricae)5 bringt daher das Scherzwort über die Breslauer 1 Colmar Grünhagen, Schlesien am Ausgange des Mittelalters, Zeit- schrift für Geschichte Schlesiens, Bd. 18 (1884), S. 34f. 36. 2 Im Jahre 1337 verlieh der König Johann von Böhmen der Stadt Breslau neben dem Jahrmarkt zu Johanni einen zweiten Markt (Breslauer Urkunden- buch, hrsg. von G. Korn, I, 140), der in einer Urkunde König Wenzels von Sonnabend nach Michaelis 1412 (Stadtarchiv Breslau, Urk. G 5) direkt Mittfasten genannt wird (Mitteilung von Dr. Schoppe). 3 Vgl. Grünhagen a. a. O. S. 36. “ Der trinkfrohe Bischof Wenxel (s. oben S. 35) verlich am 25. November 1396 auch den Kanonikern des Kollegiatstifts xu Ottmachau das Recht Schweid- nitzer Schöps und jedes andere Bier unter sich zu schenken und zu trinken' (Kopietz, Zeitschr. f. d. Gesch. Schlesiens 26. Bd., 1892, S. 146). 5 Ausxugsweise herausgegeben von Wattenbach nach einer Handschrift
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III. Die zweite Briefmustersammlung. 41 und Schweidnitzer: Qui in suorum gutturum incude monetam fabricant, d. h. die auf dem Ambosse ihrer Kehlen aus ihrem Bierbrauen Geld schlagen 1. So entspricht es völlig den tatsächlichen Verhältnissen, daß ein reicher Prager Bürger für ein Hochzeitsfest sich aus Schweidnitz das hochgeschätzte Bier kommen läßt2. Peter Hunt in Grecz (Königgrätz) bittet seinen Onkel Nicolaus Grunt für seinen Sohn um Verleihung einer erledigten Altaristen- und Kapellan- stelle, deren Patronat jener habe, und erhält zusagende Antwort (Bl. 109" und 1101, Texte Nr. 7 und 8). Bürgermeister und Ratmannen von Reichenbach ersuchen den Bürgermeister und die Ratmannen von Schweidnitz am nächsten Montag nach Sankt Walpurgis d. J. 1400 im lateinischen oder 1407 im deutschen Text wegen eines verhafteten Räubers Niclos Vochs, über den der Ritter Niclos Hoberg dic Jurisdiktion beanspruche, zur gerichtlichen Verhandlung nach Reichenbach zu kommen (Bl. I11", Texte Nr. 10). Der Erlaß königlicher Briefe veranlaßt umgekehrt die Schweidnitzer zu einer Einladung der Reichenbacher nach Schweidnitz (Bl. 111", Texte Nr. 11). Bürgermeister und Ratmannen zu Grecz (Königgrätz) bitten den Bürgermeister und die Ratmannen von Germer (Jaroméř), einen ver- hafteten Räuber Nicolaus Posch in Gewahrsam zu behalten, damit auch die Vertreter von Jaromér an der Verhandlung gegen ihn teilnehmen können, die er ebenfalls geschüdigt habe: 1407 (Bl. 112", Texte Nr. 12). Ahnlich ist die Vorstellung der Stadt Cadan (Kaaden a. Eger) nach Prag wegen des Raubritters Hasso von Wedil (Bl. 114", Texte Nr. 17), der Stadt Grecz (Königgrätz) nach Nimburg wegen des Räubers Nicolaus Loter (Bl. 116r, Texte Nr. 20), der Stadt Frankenstein nach Schweid- nitz wegen eines ungenannten Brandstifters3 (Bl. 116", Texte Nr. 21). Diesen schweren Kampf der böhmisch-schlesischen Städte gegen das Raub- in Fulneck jetzt im Brünner Museum), Archiv f. Kunde österreich. Gesch., Bd. 30 (1864), S. 179 ff.; der Verfasser war seit 1403 in Iglau Notar und städtischer Schulmeister, sein Stillehrbuch schrieb er spätestens 1418: s. meine Bemerkungen, Deutsche Literaturxeitung 1898, Dex. 24, Sp. 1964 f. 1 Grünhagen, Zeitschrift f. Gesch. Schlesiens, Bd. 5 (1863), S. 388; Derselbe, ebd., Bd. 18 (1884), S. 37. 2 Auch Johann von Neumarkt rühmte das fröhlich stimmende Schweid- nitzer Märzenbier (Cancellaria Joh. Noviforensis ed. Tadra, Archiv f. österreich. Gesch., Bd. 68 (1886), Nr. 34, S. 49: illam veterem amiciciam, cuius beato presidio leti continuo marcialem Swidnicensem cervisiam bibebamus ; Nr. 136 S. 107: scribentem constituit... letissimum quod cum eodem [dem angekom- menen prepositus Brunnensis] amplius debeat in potacione marcialis cervisie delectari). 3 Zur Rechtsbedeutung von ewer burner (21, 5) vgl. meinen Kommentar xum Ackermann aus Böhmen' (V. Ma. x. Reform. III, 1) S. 164 und Anm.
III. Die zweite Briefmustersammlung. 41 und Schweidnitzer: Qui in suorum gutturum incude monetam fabricant, d. h. die auf dem Ambosse ihrer Kehlen aus ihrem Bierbrauen Geld schlagen 1. So entspricht es völlig den tatsächlichen Verhältnissen, daß ein reicher Prager Bürger für ein Hochzeitsfest sich aus Schweidnitz das hochgeschätzte Bier kommen läßt2. Peter Hunt in Grecz (Königgrätz) bittet seinen Onkel Nicolaus Grunt für seinen Sohn um Verleihung einer erledigten Altaristen- und Kapellan- stelle, deren Patronat jener habe, und erhält zusagende Antwort (Bl. 109" und 1101, Texte Nr. 7 und 8). Bürgermeister und Ratmannen von Reichenbach ersuchen den Bürgermeister und die Ratmannen von Schweidnitz am nächsten Montag nach Sankt Walpurgis d. J. 1400 im lateinischen oder 1407 im deutschen Text wegen eines verhafteten Räubers Niclos Vochs, über den der Ritter Niclos Hoberg dic Jurisdiktion beanspruche, zur gerichtlichen Verhandlung nach Reichenbach zu kommen (Bl. I11", Texte Nr. 10). Der Erlaß königlicher Briefe veranlaßt umgekehrt die Schweidnitzer zu einer Einladung der Reichenbacher nach Schweidnitz (Bl. 111", Texte Nr. 11). Bürgermeister und Ratmannen zu Grecz (Königgrätz) bitten den Bürgermeister und die Ratmannen von Germer (Jaroméř), einen ver- hafteten Räuber Nicolaus Posch in Gewahrsam zu behalten, damit auch die Vertreter von Jaromér an der Verhandlung gegen ihn teilnehmen können, die er ebenfalls geschüdigt habe: 1407 (Bl. 112", Texte Nr. 12). Ahnlich ist die Vorstellung der Stadt Cadan (Kaaden a. Eger) nach Prag wegen des Raubritters Hasso von Wedil (Bl. 114", Texte Nr. 17), der Stadt Grecz (Königgrätz) nach Nimburg wegen des Räubers Nicolaus Loter (Bl. 116r, Texte Nr. 20), der Stadt Frankenstein nach Schweid- nitz wegen eines ungenannten Brandstifters3 (Bl. 116", Texte Nr. 21). Diesen schweren Kampf der böhmisch-schlesischen Städte gegen das Raub- in Fulneck jetzt im Brünner Museum), Archiv f. Kunde österreich. Gesch., Bd. 30 (1864), S. 179 ff.; der Verfasser war seit 1403 in Iglau Notar und städtischer Schulmeister, sein Stillehrbuch schrieb er spätestens 1418: s. meine Bemerkungen, Deutsche Literaturxeitung 1898, Dex. 24, Sp. 1964 f. 1 Grünhagen, Zeitschrift f. Gesch. Schlesiens, Bd. 5 (1863), S. 388; Derselbe, ebd., Bd. 18 (1884), S. 37. 2 Auch Johann von Neumarkt rühmte das fröhlich stimmende Schweid- nitzer Märzenbier (Cancellaria Joh. Noviforensis ed. Tadra, Archiv f. österreich. Gesch., Bd. 68 (1886), Nr. 34, S. 49: illam veterem amiciciam, cuius beato presidio leti continuo marcialem Swidnicensem cervisiam bibebamus ; Nr. 136 S. 107: scribentem constituit... letissimum quod cum eodem [dem angekom- menen prepositus Brunnensis] amplius debeat in potacione marcialis cervisie delectari). 3 Zur Rechtsbedeutung von ewer burner (21, 5) vgl. meinen Kommentar xum Ackermann aus Böhmen' (V. Ma. x. Reform. III, 1) S. 164 und Anm.
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42 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller rittertum, den Schrecken der Zeit, beleuchtet auch ein anderes Schreiben: Bürgermeister und Ratmannen von Prag haben erfahren, daß vor der Stadt Rabenstein verdächtige Haufen bewaffneter Leute lagern und warnen vor diesen die Stadt Nimburg: 1407 (Bl. 116", Texte Nr. 19). Dem friedlichen kommunalpolitischen Verkehr zwischen den einzelnen Orten des schlesisch-böhmischen Gebietes dient ein anderes Formular: die Schweidnitzer bitten die Prager 1407 den Uberbringer des Briefes, Niclas Menteler, einen Schweidnitzer, zum Prager Mitbürger zu machen (Bl. 113", Texte Nr. 15). Die lateinisch-deutschen Briefe bewegen sich auf einem Schauplatz, der sich zu beiden Seiten der mittleren Sudeten erstreckt. Einmal auf der schlesischen Seite in südöstlicher Richtung der großen Verkehrs- straße folgend, an der die folgenden im Formelbuch genannten Orte liegen: Jauer, Striegau, Schweidnitz, Reichenbach, Peilau, Frankenstein, Glatz. Von Glatz führt die Straße weiter über das Gebirge nach Böhmen hinab zur Elbe. Und es entspricht sicherlich den wirklichen Verkehrs- und Handelsverhältnissen, wenn ein Brief mitgeteilt wird des Bürger- meisters und der Ratmannen von Königgrätz an den Protokonsul und die Schöffen von Glatz, worin um Zahlung einer zwischen zwei Bürgern der beiden Städte schwebenden Schuld für Lieferung von Tuch ersucht wird (Bl. 113", Texte Nr. 18). Gelegentlich greift das Formelbuch über diese schlesische Hauptstraße hinaus. Etwas östlich zur Seite von Frankenstein liegt Münsterberg: dem dortigen Notar Niclos Gros kündigt der Reichenbacher Bürger Peter Foyt seinen Besuch an für den Münsterberger Jahrmarkt am Sankt Bartholomäustag (24. August) 1 und bittet, ihm für sich und sein Waren- lager einen günstigen Verkaufstand zu verschaffen (Bl. 110", Texte Nr. 9). Nordwestlich liegt etwas ab Hirschberg, das (Bl. 112V, 1131) in Korre- spondanz erscheint mit dem abgebrannten Schweidnitz (Texte Nr. 13.14): Sonnabend nach Sanct Markus 1407 bittet Schweidnitz um Holz aus dem Hirschberger Wald zum Aufbau der verbrannten Stadt. Wir sind hier einmal in der Lage, die geschichtliche Glaubwürdigkeit des Formularbuchs zu kontrollieren. Schweidnitx war oft von Feuers- brünsten heimgesucht. Aber eine besonders große und schwere fand statt Pfingsten 1406 und hatte zur Folge, daß am Sonnabend nach Fron- 1 Ob in Münsterberg, mit dem Frankenstein ja politisch und wirtschaftlich eng verbunden ist, am 24. August wirklich ein Jahrmarkt stattfand, weiß ich nicht. Dr. Schoppe verweist mich auf Paul Jakob Marperger, Beschreibung der Messen und Jahrmärkte, Leipxig 1710, S. 129, wo drei Münsterberger Jahr- märkte genannt sind: Dienstag nach heil. drei Königen, Dienstag nach Himmel- fahrt, Dienstag nach Kreuxeserhöhung, und auf Franz Hartmann, Ge- schichte der Stadt Münsterberg, Münsterberg, H. Diebitsch, 1907, S. 109, wo nur ein Jahrmarkt am 3. Mai erwähnt ist.
42 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller rittertum, den Schrecken der Zeit, beleuchtet auch ein anderes Schreiben: Bürgermeister und Ratmannen von Prag haben erfahren, daß vor der Stadt Rabenstein verdächtige Haufen bewaffneter Leute lagern und warnen vor diesen die Stadt Nimburg: 1407 (Bl. 116", Texte Nr. 19). Dem friedlichen kommunalpolitischen Verkehr zwischen den einzelnen Orten des schlesisch-böhmischen Gebietes dient ein anderes Formular: die Schweidnitzer bitten die Prager 1407 den Uberbringer des Briefes, Niclas Menteler, einen Schweidnitzer, zum Prager Mitbürger zu machen (Bl. 113", Texte Nr. 15). Die lateinisch-deutschen Briefe bewegen sich auf einem Schauplatz, der sich zu beiden Seiten der mittleren Sudeten erstreckt. Einmal auf der schlesischen Seite in südöstlicher Richtung der großen Verkehrs- straße folgend, an der die folgenden im Formelbuch genannten Orte liegen: Jauer, Striegau, Schweidnitz, Reichenbach, Peilau, Frankenstein, Glatz. Von Glatz führt die Straße weiter über das Gebirge nach Böhmen hinab zur Elbe. Und es entspricht sicherlich den wirklichen Verkehrs- und Handelsverhältnissen, wenn ein Brief mitgeteilt wird des Bürger- meisters und der Ratmannen von Königgrätz an den Protokonsul und die Schöffen von Glatz, worin um Zahlung einer zwischen zwei Bürgern der beiden Städte schwebenden Schuld für Lieferung von Tuch ersucht wird (Bl. 113", Texte Nr. 18). Gelegentlich greift das Formelbuch über diese schlesische Hauptstraße hinaus. Etwas östlich zur Seite von Frankenstein liegt Münsterberg: dem dortigen Notar Niclos Gros kündigt der Reichenbacher Bürger Peter Foyt seinen Besuch an für den Münsterberger Jahrmarkt am Sankt Bartholomäustag (24. August) 1 und bittet, ihm für sich und sein Waren- lager einen günstigen Verkaufstand zu verschaffen (Bl. 110", Texte Nr. 9). Nordwestlich liegt etwas ab Hirschberg, das (Bl. 112V, 1131) in Korre- spondanz erscheint mit dem abgebrannten Schweidnitz (Texte Nr. 13.14): Sonnabend nach Sanct Markus 1407 bittet Schweidnitz um Holz aus dem Hirschberger Wald zum Aufbau der verbrannten Stadt. Wir sind hier einmal in der Lage, die geschichtliche Glaubwürdigkeit des Formularbuchs zu kontrollieren. Schweidnitx war oft von Feuers- brünsten heimgesucht. Aber eine besonders große und schwere fand statt Pfingsten 1406 und hatte zur Folge, daß am Sonnabend nach Fron- 1 Ob in Münsterberg, mit dem Frankenstein ja politisch und wirtschaftlich eng verbunden ist, am 24. August wirklich ein Jahrmarkt stattfand, weiß ich nicht. Dr. Schoppe verweist mich auf Paul Jakob Marperger, Beschreibung der Messen und Jahrmärkte, Leipxig 1710, S. 129, wo drei Münsterberger Jahr- märkte genannt sind: Dienstag nach heil. drei Königen, Dienstag nach Himmel- fahrt, Dienstag nach Kreuxeserhöhung, und auf Franz Hartmann, Ge- schichte der Stadt Münsterberg, Münsterberg, H. Diebitsch, 1907, S. 109, wo nur ein Jahrmarkt am 3. Mai erwähnt ist.
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III. Die zweite Briefmustersammlung. 43 leichnam dieses Jahres eine neue strenge, durch Strafen und Belohnungen wirkende Feuerlöschordnung erlassen ward1. Und schon hieraus schien sich angesichts der Tatsache, daß fast alle Briefe die Jahreszahl 1407 zeigen, vermutungsweise dieses Jahr als Zeitpunkt der Herstellung unserer Sammlung zu ergeben. Jedoch nach dem Bekanntwerden der Schnee- berger Handschrift (s. zweites Kapitel I), die für dieselben Briefe die Jahreszahl 1404 gibt, wurde die Entscheidung zweifelhaft. Darüber wird unten noch genauer zu reden sein. Doch sei schon hier vorgreifend be- merkt, daß Dr. Max Voigt durch cine scharfsinnige Untersuchung (unten 2. Kap., III, 1) dic Jahreszahl 1407 als nachträgliche, bloß dem Schreiber von P zur Last fallende Anderung der ursprünglichen, in der Schnee- berger Handschrift bewahrten Jahresxahl 1404 ermittelt hat. Danach muß man den fraglichen Brief auf die große Feuersbrunst beziehen, die im Jahre 1393 die schon 1391 von einem Brand heimgesuchte Stadt Schweidnitz fast völlig zerstörte und König Wenzel bewog, in einer Ur- kunde vom 7. Oktober der Stadt zur Erleichterung ihres Wiederaufbaus dic Zinsen, Steuern und sonstigen Abgaben auf vier Jahre zu erlassen2. Möglich aber, daß der furchtbare Brand von 1406 die Anderung ver- anlaßt hat. Weiter ab liegt von der bezeichneten Strecke der schlesisch-böhmischen Verkehrsstraße Zittau, das einmal in dem oben S. 40 besprochenen Brief (Texte Nr. 5) erscheint. Dieser Brief ist durchaus den möglichen Ver- hältnissen gemäß und er beleuchtet gut die zwischen Breslau, Zittau, Prag bestehenden Handelsbexichungen, insbesondere den Tuchhandel Breslaus. Keinen bestimmten geographischen Anhalt gewähren die Namen Sonnenberg und Lichtenberg, da verschiedene Orte Schlesiens oder Böhmens dafür zur Auswahl stehen. Sicherheit aber bietet weiter Politz an der Heuscheuer, an der anderen Gebirgsstraße von Schlesien nach Böhmen, die vom schlesischen Friedland nach dem böhmischen Halb- stadt führt. Auf der böhmischen Seite ist im Formularbuch außer dem am häufigsten genannten Grecz (Königgrätz) und Prag noch vertreten Germer d. h. Jaromer, an der Elbe gleich Königgrätz. Dem Lauf der Elbe folgend, aber schon viel näher an Prag erscheint das viermal genannte (Texte Nr. 1, 1; 2, 7—9; 19, 1; 20, 2) Neuenburg, d. i. Nimburg, auf dem rechten Ufer der Elbe, in der Bezirkshaupt- mannschaft Poděbrad. 1 Erhalten in dem Pergamentcodex der Handwerksinnungen im Schweid- nitzer Ratsarchiv Rep. II, Alph. II, Lit. PP, Part. III, Sekt. I, Nr. 1. Der Ein- gang der Ordnung abgedruckt bei Dr. Friedrich Julius Schmidt, Geschichte der Stadt Schweidnitz. Schweidnitz 1846, 1. Bd., S. 179 f.; vgl. auch H. Schu- bert, Bilder aus der Geschichte der Stadt Schweidnitz (1912), S. 408. 2 Vgl. Fr. J. Schmidt a. a. O. S. 212, Schubert a. a. O.
III. Die zweite Briefmustersammlung. 43 leichnam dieses Jahres eine neue strenge, durch Strafen und Belohnungen wirkende Feuerlöschordnung erlassen ward1. Und schon hieraus schien sich angesichts der Tatsache, daß fast alle Briefe die Jahreszahl 1407 zeigen, vermutungsweise dieses Jahr als Zeitpunkt der Herstellung unserer Sammlung zu ergeben. Jedoch nach dem Bekanntwerden der Schnee- berger Handschrift (s. zweites Kapitel I), die für dieselben Briefe die Jahreszahl 1404 gibt, wurde die Entscheidung zweifelhaft. Darüber wird unten noch genauer zu reden sein. Doch sei schon hier vorgreifend be- merkt, daß Dr. Max Voigt durch cine scharfsinnige Untersuchung (unten 2. Kap., III, 1) dic Jahreszahl 1407 als nachträgliche, bloß dem Schreiber von P zur Last fallende Anderung der ursprünglichen, in der Schnee- berger Handschrift bewahrten Jahresxahl 1404 ermittelt hat. Danach muß man den fraglichen Brief auf die große Feuersbrunst beziehen, die im Jahre 1393 die schon 1391 von einem Brand heimgesuchte Stadt Schweidnitz fast völlig zerstörte und König Wenzel bewog, in einer Ur- kunde vom 7. Oktober der Stadt zur Erleichterung ihres Wiederaufbaus dic Zinsen, Steuern und sonstigen Abgaben auf vier Jahre zu erlassen2. Möglich aber, daß der furchtbare Brand von 1406 die Anderung ver- anlaßt hat. Weiter ab liegt von der bezeichneten Strecke der schlesisch-böhmischen Verkehrsstraße Zittau, das einmal in dem oben S. 40 besprochenen Brief (Texte Nr. 5) erscheint. Dieser Brief ist durchaus den möglichen Ver- hältnissen gemäß und er beleuchtet gut die zwischen Breslau, Zittau, Prag bestehenden Handelsbexichungen, insbesondere den Tuchhandel Breslaus. Keinen bestimmten geographischen Anhalt gewähren die Namen Sonnenberg und Lichtenberg, da verschiedene Orte Schlesiens oder Böhmens dafür zur Auswahl stehen. Sicherheit aber bietet weiter Politz an der Heuscheuer, an der anderen Gebirgsstraße von Schlesien nach Böhmen, die vom schlesischen Friedland nach dem böhmischen Halb- stadt führt. Auf der böhmischen Seite ist im Formularbuch außer dem am häufigsten genannten Grecz (Königgrätz) und Prag noch vertreten Germer d. h. Jaromer, an der Elbe gleich Königgrätz. Dem Lauf der Elbe folgend, aber schon viel näher an Prag erscheint das viermal genannte (Texte Nr. 1, 1; 2, 7—9; 19, 1; 20, 2) Neuenburg, d. i. Nimburg, auf dem rechten Ufer der Elbe, in der Bezirkshaupt- mannschaft Poděbrad. 1 Erhalten in dem Pergamentcodex der Handwerksinnungen im Schweid- nitzer Ratsarchiv Rep. II, Alph. II, Lit. PP, Part. III, Sekt. I, Nr. 1. Der Ein- gang der Ordnung abgedruckt bei Dr. Friedrich Julius Schmidt, Geschichte der Stadt Schweidnitz. Schweidnitz 1846, 1. Bd., S. 179 f.; vgl. auch H. Schu- bert, Bilder aus der Geschichte der Stadt Schweidnitz (1912), S. 408. 2 Vgl. Fr. J. Schmidt a. a. O. S. 212, Schubert a. a. O.
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44 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. Uber Prag hinaus ins Egergebiet führt Kaaden am Eger, das in unserem Formelbuch als Cadan (Bl. 114") begegnet: Bürgermeister und Ratmannen von C. bitten Bürgermeister und Ratmannen von Prag, ge- meinsam mit ihnen in Schloß Karlstein vor König Wenzel Klage zu führen gegen den Raubritter Hasso von Wedil (s. oben S. 41). 5. Die Ortsangaben im rein lateinischen Teil. In dem rein lateinischen Teil des Formularbuchs tritt, abgesehen von den wenigen ausländischen Universitätsnamen Paris, Wien, Krakau in den Studentenbriefen und von den vereinzelten ausländischen Namen (Gnesen, Rom, Venedig, Jerusalem und Antiochia) in den Briefen der Erzbischöfe, Patriarchen, Kardinäle, Titularwürdenträger, die durch die Natur der Sache gegeben waren, im wesentlichen auch nur der schlesisch- böhmische Umkreis hervor. Auch hier sind Schweidnitx, Grecz (Königgrätz), Prag häufig ge- nannt. Auch hier erscheint Frankenstein mit dem benachkarten Procxan und dem nur intimster Lokalkenntnis naheliegenden Gotmannsdorf (= Güttmannsdorf 1/2 Meile ostnordöstlich Reichenbach in Schlesien). Auch hier haben wir wieder Reichenbach, Glatz, Politz an der Heuscheuer. Aber in Schlesien tritt hier auch Breslau mit seinen Klöstern öfter hervor, nicht bloß, wie im lateinisch-deutschen Teil, erwähnt innerhalb des Brief- kontextes, sondern als Datierungsort oder Adreßort. Ferner die bischöf- liche Residenz Ottmachau. Und außerdem gesellen sich die schlesi- schen Zisterzienserklöster in Kamenz, Heinrichau (bei Münsterberg), Leubus (Regierungbezirk Breslau, 21/2 Meilen westsüdwestlich Wohlau), Trebnitz (Zisterzienserinnen); das Augustiner-Eremitenkloster Hainau (Regierungsbexirk Liegnitz), das Klarissinnenkloster Strehlen. In Böhmen werden noch genannt Klöster in Wolin (Kreis Pilsen) und in Kuttenberg (südlich der Elbe, in der berühmten reichen Bergstadt). 6. Echtheit der individuellen Züge. Wie steht es nun mit der Echtheit dieser persönlichen und geographi- schen Elemente im einzelnen Fall? Bei dem Begriff der Echtheit ist zweierlei xu unterscheiden: die individuelle vollkommene historische Echt- heit und die allgemeine geschichtliche Lebenswahrheit. In allem Geographischen bewährt das Formelbuch, wenn man die handgreiflichen mehrfachen Entstellungen berichtigt — in der Regel ist das leicht und sicher möglich —, genaue Kenntnisse der wirklichen Ver- hältnisse. Die Zeitangaben scheinen im großen und ganzen auch zutreffend zu sein. Doch nicht immer. Auch ist offenbar ein Aufgeben der konkreten Wirklichkeit und ein generalisierendes Hindrängen xum Schema darin zu erkennen, daß so oft dieselbe Zeitbestimmung, dieselben Festtage
44 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. Uber Prag hinaus ins Egergebiet führt Kaaden am Eger, das in unserem Formelbuch als Cadan (Bl. 114") begegnet: Bürgermeister und Ratmannen von C. bitten Bürgermeister und Ratmannen von Prag, ge- meinsam mit ihnen in Schloß Karlstein vor König Wenzel Klage zu führen gegen den Raubritter Hasso von Wedil (s. oben S. 41). 5. Die Ortsangaben im rein lateinischen Teil. In dem rein lateinischen Teil des Formularbuchs tritt, abgesehen von den wenigen ausländischen Universitätsnamen Paris, Wien, Krakau in den Studentenbriefen und von den vereinzelten ausländischen Namen (Gnesen, Rom, Venedig, Jerusalem und Antiochia) in den Briefen der Erzbischöfe, Patriarchen, Kardinäle, Titularwürdenträger, die durch die Natur der Sache gegeben waren, im wesentlichen auch nur der schlesisch- böhmische Umkreis hervor. Auch hier sind Schweidnitx, Grecz (Königgrätz), Prag häufig ge- nannt. Auch hier erscheint Frankenstein mit dem benachkarten Procxan und dem nur intimster Lokalkenntnis naheliegenden Gotmannsdorf (= Güttmannsdorf 1/2 Meile ostnordöstlich Reichenbach in Schlesien). Auch hier haben wir wieder Reichenbach, Glatz, Politz an der Heuscheuer. Aber in Schlesien tritt hier auch Breslau mit seinen Klöstern öfter hervor, nicht bloß, wie im lateinisch-deutschen Teil, erwähnt innerhalb des Brief- kontextes, sondern als Datierungsort oder Adreßort. Ferner die bischöf- liche Residenz Ottmachau. Und außerdem gesellen sich die schlesi- schen Zisterzienserklöster in Kamenz, Heinrichau (bei Münsterberg), Leubus (Regierungbezirk Breslau, 21/2 Meilen westsüdwestlich Wohlau), Trebnitz (Zisterzienserinnen); das Augustiner-Eremitenkloster Hainau (Regierungsbexirk Liegnitz), das Klarissinnenkloster Strehlen. In Böhmen werden noch genannt Klöster in Wolin (Kreis Pilsen) und in Kuttenberg (südlich der Elbe, in der berühmten reichen Bergstadt). 6. Echtheit der individuellen Züge. Wie steht es nun mit der Echtheit dieser persönlichen und geographi- schen Elemente im einzelnen Fall? Bei dem Begriff der Echtheit ist zweierlei xu unterscheiden: die individuelle vollkommene historische Echt- heit und die allgemeine geschichtliche Lebenswahrheit. In allem Geographischen bewährt das Formelbuch, wenn man die handgreiflichen mehrfachen Entstellungen berichtigt — in der Regel ist das leicht und sicher möglich —, genaue Kenntnisse der wirklichen Ver- hältnisse. Die Zeitangaben scheinen im großen und ganzen auch zutreffend zu sein. Doch nicht immer. Auch ist offenbar ein Aufgeben der konkreten Wirklichkeit und ein generalisierendes Hindrängen xum Schema darin zu erkennen, daß so oft dieselbe Zeitbestimmung, dieselben Festtage
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III. Die zweite Briefmustersammlung. 45 sich wiederholen (z. B. St. Veit, Johannistag usw.). Genaueres über die schematische Datierung in der unten (2. Kap., III, 1) mitgeteilten Fest- stellung von Max Voigt. Ein paarmal wird mit den Orts- und Personennamen scherzhafte Symbolik getrieben: so wenn in den Studentenbriefen als Unterschrift Paulus Borg studens Pragensis und Adresse Nicolao Vochs studenti in Tregerdorf erscheint (Bl. 1241) oder wenn ein Paulus Rast studens Parisiensis einem Nicolao Loch1 studenti Pragensi (Bl. 120v, 1211) schreibt oder ein Pariser Student seinem Prager Kommilitonen Nicolao Wint leichtsinnigen Verkehr mit Weibern und Vernachlässigung des Studiums vorhält (Bl. 1211, Texte Nr. 70), so soll auf Eigentümlich- keiten hingedeutet werden, die auch dem Studenten der modernen Jahr- hunderte nicht fremd sind. Ahnliches gilt von dem Räubernamen Posch und Loter (s. oben S. 41). — Auch der Ortsname Niwerlde kann symbolisch-humoristisch gebraucht sein, obgleich es in Böhmen wie in Schlesien wirklich mehrere Orte Neuwelt gibt. Jedoch begegnen andere Namen aus der wirklichen akademischen Welt jener Tage, die wir mit bestimmten geschichtlichen Personen verknüpfen können. In der Korrespondenz der Universitätsrektoren findet sich ein Brief des Wiener Rektors Petrus gegerdorff magister in artibus an den Prager Rektor magistro Nicolao Storch (Bl. 1341, Texte Nr. 83). Der angebliche Wiener Rektor läßt sich nicht nachweisen. Aber ein Nicolaus Storch hat in Prag gelebt. Er wurde 1373 nach Pfingsten xum Baccalariat examiniert und xugelassen und er determinirte' am 19. Juli (Mon. Univ. Prag. 1, S. 156, Z. 2. 27); 1375 am 9. Februar wurde er xum Lizen- tiaten promoviert (ebd. S. 168, Z. 4); am 4. März begann' er sub magistro Thoma de Pusylia (ebd. S. 169, Z. 1f.). Im Herbst 1380 wurde er als Magister in die Baccalariatprüfungskommission gewählt (ebd. S. 196, Z. 2); ebenso 1383 und 1385 (ebd. S. 213, Z. 2; 232, Z. 7). Wiederholt erscheint er bis 1386 im Liber Decanorum der philo- sophischen Fakultät der Universität Prag als leitender Magister bei Deter- minationen der Baccalarianden und bei Inzeptionen der Lizentiaten. Folgende Männer determinirten’ unter ihm die von ihm gestellten posi- tiones, d. h. sie hielten nach vorhergegangener Disputation über ein sophisma cinen freien Vortrag über eine von ihm, dem Regens des Aktes, 1 Aus dem Missale magnum antiquum (Breslau Universitätsbibliothek Cod. I, Fol. 60) des Nikolaus von Neisse, der in Prag studiert hat und vielleicht identisch ist mit einem 1369 dort Magister gewordenen Mann dieses Namens, teilte A. W. E. Th. Henschel, Schlesiens wissenschaftl. Zustände im 14. Jahrh. S. 31 Anm. * folgende lustige Endschrift mit: Est scriptus per Nicolaum de Nyssa qui libenter bonam cerevisiam bibit, malum autem invitus potavit. Uber die Rolle, die das beliebte Schweidnitzer Bier in dem Formularbuch der Schlägler Handschrift spielt, s. oben S. 40f.
III. Die zweite Briefmustersammlung. 45 sich wiederholen (z. B. St. Veit, Johannistag usw.). Genaueres über die schematische Datierung in der unten (2. Kap., III, 1) mitgeteilten Fest- stellung von Max Voigt. Ein paarmal wird mit den Orts- und Personennamen scherzhafte Symbolik getrieben: so wenn in den Studentenbriefen als Unterschrift Paulus Borg studens Pragensis und Adresse Nicolao Vochs studenti in Tregerdorf erscheint (Bl. 1241) oder wenn ein Paulus Rast studens Parisiensis einem Nicolao Loch1 studenti Pragensi (Bl. 120v, 1211) schreibt oder ein Pariser Student seinem Prager Kommilitonen Nicolao Wint leichtsinnigen Verkehr mit Weibern und Vernachlässigung des Studiums vorhält (Bl. 1211, Texte Nr. 70), so soll auf Eigentümlich- keiten hingedeutet werden, die auch dem Studenten der modernen Jahr- hunderte nicht fremd sind. Ahnliches gilt von dem Räubernamen Posch und Loter (s. oben S. 41). — Auch der Ortsname Niwerlde kann symbolisch-humoristisch gebraucht sein, obgleich es in Böhmen wie in Schlesien wirklich mehrere Orte Neuwelt gibt. Jedoch begegnen andere Namen aus der wirklichen akademischen Welt jener Tage, die wir mit bestimmten geschichtlichen Personen verknüpfen können. In der Korrespondenz der Universitätsrektoren findet sich ein Brief des Wiener Rektors Petrus gegerdorff magister in artibus an den Prager Rektor magistro Nicolao Storch (Bl. 1341, Texte Nr. 83). Der angebliche Wiener Rektor läßt sich nicht nachweisen. Aber ein Nicolaus Storch hat in Prag gelebt. Er wurde 1373 nach Pfingsten xum Baccalariat examiniert und xugelassen und er determinirte' am 19. Juli (Mon. Univ. Prag. 1, S. 156, Z. 2. 27); 1375 am 9. Februar wurde er xum Lizen- tiaten promoviert (ebd. S. 168, Z. 4); am 4. März begann' er sub magistro Thoma de Pusylia (ebd. S. 169, Z. 1f.). Im Herbst 1380 wurde er als Magister in die Baccalariatprüfungskommission gewählt (ebd. S. 196, Z. 2); ebenso 1383 und 1385 (ebd. S. 213, Z. 2; 232, Z. 7). Wiederholt erscheint er bis 1386 im Liber Decanorum der philo- sophischen Fakultät der Universität Prag als leitender Magister bei Deter- minationen der Baccalarianden und bei Inzeptionen der Lizentiaten. Folgende Männer determinirten’ unter ihm die von ihm gestellten posi- tiones, d. h. sie hielten nach vorhergegangener Disputation über ein sophisma cinen freien Vortrag über eine von ihm, dem Regens des Aktes, 1 Aus dem Missale magnum antiquum (Breslau Universitätsbibliothek Cod. I, Fol. 60) des Nikolaus von Neisse, der in Prag studiert hat und vielleicht identisch ist mit einem 1369 dort Magister gewordenen Mann dieses Namens, teilte A. W. E. Th. Henschel, Schlesiens wissenschaftl. Zustände im 14. Jahrh. S. 31 Anm. * folgende lustige Endschrift mit: Est scriptus per Nicolaum de Nyssa qui libenter bonam cerevisiam bibit, malum autem invitus potavit. Uber die Rolle, die das beliebte Schweidnitzer Bier in dem Formularbuch der Schlägler Handschrift spielt, s. oben S. 40f.
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46 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. gestellte quaestio: 1384 Jan. 13 Martinus Radychawe (ebd. S. 218, Z. 4 v. u.), Mai 1 Johannes Conradi de Strygonia (d. h. Striegau: ebd. S. 240, Z. IIf.), Juni 26 Petrus de Swydenicz (ebd. S. 242, Z. 9 v. u.), 1385 Sept. 29 Joan. Amerge (ebd. 233, Z. 13 f.), 1386 Jan. 6 Franciscus Sculteti de Puraw (ebd. S. 235, Z. 8 v. u.), Juli 2 Nicol. de Gorka (ebd. S. 245, Z. 16f.), Sept. 16 Matthias Lynse (ebd. S. 245, Z. 2 f. v. u.). Es inzipierten' unter seinem Vorsitz die Lizen- tiaten: 1384 März 20 Joan. Gundram (ebd. S. 221, Z. 13), 1385 Febr. 26 Andreas Hoczenplocz (ebd. S. 227, Z. 7. 8 v. u.). Aber Rektor ist er nicht geworden. Vielleicht ist es kein Zufall, daß er für mehrere Schlesier (aus Striegau, Schweidnitz) als Leiter ihres akademischen Aktes fungierte. War er selbst ein Schlesier, gar aus der Gegend von Schweidnitz, dann begreift man leicht, wie ihn der Verfasser der Formularsammlung aus landsmannschaftlichem Interesse zum Rektor der Universität Prag be- fördern konnte. Aber wahrscheinlich hat der Zusammensteller des Formel- buches ihn dabei kontaminiert mit Magister Nikolaus Stör von Schweid- nitz; dieser ward in Prag, wohin er um 1387 gekommen war, 1389 Baccalarius, 1393 Magister, endlich 1402 Rektor. Auch als theologi- scher Schriftsteller war er vielfach tätig und seine Werke sind hand- schriftlich ziemlich weit verbreitet1. Man könnte geneigt sein, in jenem Anshelmus de Frankinstein, der in den beiden Prologen als studens Pragensis einmal an die heilige Katherina einen Brief richtet, dann an die Jungfrau Maria und von ihr eine Antwort empfängt (s. oben S. 29f.), den Urheber der Sammlung und namentlich des theoretischen Teils, vielleicht auch des Kommentars zu den Briefmustern zu erblicken. Ein Anselmus de Frankenstein ward 1381 in Prag zum Baccalariatsexamen unter dem Dekanat des mag. Ditmar de Swerte zugelassen und determinierte am 12. November wäh- rend des Dekanats des magister Lambertus de Enskyrchen unter dem Magister Nicolaus Prowin' (Mon. Univ. Prag. I, S. 199, Z. 20 bis S. 200, 1 Vgl. Henschel, Schlesiens wissenschaftl. Zustände im 14. Jahrh. S. 20; Adolf Franx, Der Katholik, Jahrg. 78 (1898), S. 16 ff. Die in dieser lesens- werten Abhandlung besprochene kirchen- und universitätspolitische Rolle Störs, seine leitende Mitwirkung im Kampf der polnischen, bayrischen, sächsischen Prager Universitäts-Nation gegen die Ansprüche der von Hus geführten Čechen und dann nach dem Sieg der Čechen seine Auswanderung nach Leipxig, zu- sammen mit Johann von Münsterberg und Peter Storch, den beiden späteren Rektoren der neugegründeten Universität Leipxig, alles dies fällt jenseits der für unser Formelbuch in Betracht kommenden Zeitgrenze. Ubrigens wurde Nikolaus Stör aus Schweidnitx von den Geschichtschreibern mit dem Magister Nikolaus von Liegnitz zusammengeworfen als angeblicher Magister Nikolaus Stör von Liegnitx. Jedesfalls sind beide, Nikolaus Storch und Nikolaus Stör wypische Vertreter der von der Universität Prag orientierten Geisteskultur Schlesiens um die Wende des 14. Jahrhunderts.
46 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. gestellte quaestio: 1384 Jan. 13 Martinus Radychawe (ebd. S. 218, Z. 4 v. u.), Mai 1 Johannes Conradi de Strygonia (d. h. Striegau: ebd. S. 240, Z. IIf.), Juni 26 Petrus de Swydenicz (ebd. S. 242, Z. 9 v. u.), 1385 Sept. 29 Joan. Amerge (ebd. 233, Z. 13 f.), 1386 Jan. 6 Franciscus Sculteti de Puraw (ebd. S. 235, Z. 8 v. u.), Juli 2 Nicol. de Gorka (ebd. S. 245, Z. 16f.), Sept. 16 Matthias Lynse (ebd. S. 245, Z. 2 f. v. u.). Es inzipierten' unter seinem Vorsitz die Lizen- tiaten: 1384 März 20 Joan. Gundram (ebd. S. 221, Z. 13), 1385 Febr. 26 Andreas Hoczenplocz (ebd. S. 227, Z. 7. 8 v. u.). Aber Rektor ist er nicht geworden. Vielleicht ist es kein Zufall, daß er für mehrere Schlesier (aus Striegau, Schweidnitz) als Leiter ihres akademischen Aktes fungierte. War er selbst ein Schlesier, gar aus der Gegend von Schweidnitz, dann begreift man leicht, wie ihn der Verfasser der Formularsammlung aus landsmannschaftlichem Interesse zum Rektor der Universität Prag be- fördern konnte. Aber wahrscheinlich hat der Zusammensteller des Formel- buches ihn dabei kontaminiert mit Magister Nikolaus Stör von Schweid- nitz; dieser ward in Prag, wohin er um 1387 gekommen war, 1389 Baccalarius, 1393 Magister, endlich 1402 Rektor. Auch als theologi- scher Schriftsteller war er vielfach tätig und seine Werke sind hand- schriftlich ziemlich weit verbreitet1. Man könnte geneigt sein, in jenem Anshelmus de Frankinstein, der in den beiden Prologen als studens Pragensis einmal an die heilige Katherina einen Brief richtet, dann an die Jungfrau Maria und von ihr eine Antwort empfängt (s. oben S. 29f.), den Urheber der Sammlung und namentlich des theoretischen Teils, vielleicht auch des Kommentars zu den Briefmustern zu erblicken. Ein Anselmus de Frankenstein ward 1381 in Prag zum Baccalariatsexamen unter dem Dekanat des mag. Ditmar de Swerte zugelassen und determinierte am 12. November wäh- rend des Dekanats des magister Lambertus de Enskyrchen unter dem Magister Nicolaus Prowin' (Mon. Univ. Prag. I, S. 199, Z. 20 bis S. 200, 1 Vgl. Henschel, Schlesiens wissenschaftl. Zustände im 14. Jahrh. S. 20; Adolf Franx, Der Katholik, Jahrg. 78 (1898), S. 16 ff. Die in dieser lesens- werten Abhandlung besprochene kirchen- und universitätspolitische Rolle Störs, seine leitende Mitwirkung im Kampf der polnischen, bayrischen, sächsischen Prager Universitäts-Nation gegen die Ansprüche der von Hus geführten Čechen und dann nach dem Sieg der Čechen seine Auswanderung nach Leipxig, zu- sammen mit Johann von Münsterberg und Peter Storch, den beiden späteren Rektoren der neugegründeten Universität Leipxig, alles dies fällt jenseits der für unser Formelbuch in Betracht kommenden Zeitgrenze. Ubrigens wurde Nikolaus Stör aus Schweidnitx von den Geschichtschreibern mit dem Magister Nikolaus von Liegnitz zusammengeworfen als angeblicher Magister Nikolaus Stör von Liegnitx. Jedesfalls sind beide, Nikolaus Storch und Nikolaus Stör wypische Vertreter der von der Universität Prag orientierten Geisteskultur Schlesiens um die Wende des 14. Jahrhunderts.
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III. Die zweite Briefmustersammlung. 47 Z. I; S. 201, Z. 8—10), der selbst ein Schlesier war1. Die beiden Prologbriefe in denen er studens Pragensis heißt, sind von 1407 datiert. Das ist eben eine dem chronologischen Schema xulieb gemachte Verschie- bung. Im Jahre 1405 erwarb er dann in Prag die Lizenz zum Magi- sterium auf Grund der vorgeschriebenen Prüfung, bei der als Exami- natoren die beiden Deutschen Helmod de Zoltwedel (Salzwedel) und Albert Varrentrapp neben zwei Böhmen fungierten (ebd. S. 383, Z. 1 v. u. bis S. 384, Z. 13), d. h. er erlangte das Recht, die Gewährung der Magisterwüirde bei dem Dekan der Fakultät zu beantragen und sich einen Magister au erwählen, unter dem er xu beginnen' (incipere) und von dem er die magistralen Insignien zu erhalten wünschte. Für diesen Akt war in der Regel festgesetzt, daß er innerhalb eines Jahres seit der Ernennung zum Lixentiaten und an derselben Universität erfolgen miisse. Er fand seinen Abschluß durch die erste feierliche Vorlesung mit den magistralen Abzeichen (Magisterbarett usw.) vom Katheder des Magisters, und dies war die eigentliche inceptio2. Anselm von Frankenstein hat anscheinend in Prag diese vorgeschrie- benen Formen erfüllt. Denn er taucht am Ende des Jahres 1409 oder spätestens im April 1410 urkundlich auf unter den aus Prag ausgewan- derten Gründern der Universität Leipzig mit dem Titel Magister': in dem Originalexemplar der ältesten Leipziger Universitäts-Matrikel ver- zeichnete der erste Rektor, der Schlesier Johannes Ottonis von Münster- berg, der Führer der Sexession der deutschen Professoren und Scholaren aus Prag, der sein neues Amt am 2. Dezember 1409 antrat, wahr- scheinlich cigenhändig an der Spitze die Namen der 46 von den Stiftern der Universität, den Markgrafen Friedrich und Wilhelm von Meißen, bestellten Magister", d. h. Universitätsprofessoren, und in dieser Liste nimmt Anselm von Frankenstein den 31. Platz ein. Voran stehen ihm unter andern die Magister Nicolaus Stör, Helmoldus de Zoltwedel (Salzwedel), Petrus Storch, Johannes Frankensteyn, Johannes Hoffmann (aus Schweidnitz), Albert Varrentrapp. Auf diese Liste folgen mit 1 Uber seine Familie und seine aus dem Dekanatsbuch der Prager philo- sophischen Fakultät ersichtliche akademische Tätigkeit, seine schlesischen Schiler und Examinanden in Prag sowie ein in seiner Vorlesung und seinen Disputationen von einem aus Brieg stammenden Studenten Nicolaus Sampson nachgeschriebenes Kollegheft über die Tractatus logicales des Petrus Hispanus (1276—1277 Papst als Johannes XXI.), das sein Urheber dann später, nachdem er Rektor der Kapitelschule des Kollegienstifts St. Hedwig xu Brieg geworden war, im Jahre 1407 dem Hedwigstift testamentarisch vermachte, s. Wattenbach, Zeitschr. f. Geschichte Schlesiens, 4. Band (1862), S. 377f. und Peiper, ebd. 9. Band (1868), S. 417—419. 2 Uber das übliche Verfahren bei Verleihung der artistischen Grade s. G. Kaufmann, Die Geschichte der dentschen Universitäten 2. Bd., S. 301f. 310 ff.
III. Die zweite Briefmustersammlung. 47 Z. I; S. 201, Z. 8—10), der selbst ein Schlesier war1. Die beiden Prologbriefe in denen er studens Pragensis heißt, sind von 1407 datiert. Das ist eben eine dem chronologischen Schema xulieb gemachte Verschie- bung. Im Jahre 1405 erwarb er dann in Prag die Lizenz zum Magi- sterium auf Grund der vorgeschriebenen Prüfung, bei der als Exami- natoren die beiden Deutschen Helmod de Zoltwedel (Salzwedel) und Albert Varrentrapp neben zwei Böhmen fungierten (ebd. S. 383, Z. 1 v. u. bis S. 384, Z. 13), d. h. er erlangte das Recht, die Gewährung der Magisterwüirde bei dem Dekan der Fakultät zu beantragen und sich einen Magister au erwählen, unter dem er xu beginnen' (incipere) und von dem er die magistralen Insignien zu erhalten wünschte. Für diesen Akt war in der Regel festgesetzt, daß er innerhalb eines Jahres seit der Ernennung zum Lixentiaten und an derselben Universität erfolgen miisse. Er fand seinen Abschluß durch die erste feierliche Vorlesung mit den magistralen Abzeichen (Magisterbarett usw.) vom Katheder des Magisters, und dies war die eigentliche inceptio2. Anselm von Frankenstein hat anscheinend in Prag diese vorgeschrie- benen Formen erfüllt. Denn er taucht am Ende des Jahres 1409 oder spätestens im April 1410 urkundlich auf unter den aus Prag ausgewan- derten Gründern der Universität Leipzig mit dem Titel Magister': in dem Originalexemplar der ältesten Leipziger Universitäts-Matrikel ver- zeichnete der erste Rektor, der Schlesier Johannes Ottonis von Münster- berg, der Führer der Sexession der deutschen Professoren und Scholaren aus Prag, der sein neues Amt am 2. Dezember 1409 antrat, wahr- scheinlich cigenhändig an der Spitze die Namen der 46 von den Stiftern der Universität, den Markgrafen Friedrich und Wilhelm von Meißen, bestellten Magister", d. h. Universitätsprofessoren, und in dieser Liste nimmt Anselm von Frankenstein den 31. Platz ein. Voran stehen ihm unter andern die Magister Nicolaus Stör, Helmoldus de Zoltwedel (Salzwedel), Petrus Storch, Johannes Frankensteyn, Johannes Hoffmann (aus Schweidnitz), Albert Varrentrapp. Auf diese Liste folgen mit 1 Uber seine Familie und seine aus dem Dekanatsbuch der Prager philo- sophischen Fakultät ersichtliche akademische Tätigkeit, seine schlesischen Schiler und Examinanden in Prag sowie ein in seiner Vorlesung und seinen Disputationen von einem aus Brieg stammenden Studenten Nicolaus Sampson nachgeschriebenes Kollegheft über die Tractatus logicales des Petrus Hispanus (1276—1277 Papst als Johannes XXI.), das sein Urheber dann später, nachdem er Rektor der Kapitelschule des Kollegienstifts St. Hedwig xu Brieg geworden war, im Jahre 1407 dem Hedwigstift testamentarisch vermachte, s. Wattenbach, Zeitschr. f. Geschichte Schlesiens, 4. Band (1862), S. 377f. und Peiper, ebd. 9. Band (1868), S. 417—419. 2 Uber das übliche Verfahren bei Verleihung der artistischen Grade s. G. Kaufmann, Die Geschichte der dentschen Universitäten 2. Bd., S. 301f. 310 ff.
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48 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. gleichen Schriftzügen und gleicher Tinte die Namen von 22 Studenten. Die Vermutung Zarnckes hat — trotz Erlers Einwendungen — viel für sich, daß diese Eintragung unmittelbar nach der Eröffnung der Uni- versität und Münsterbergs Wahl, also schon zu Ende des Jahres 1409 vollzogen wurde, und daß erst gegen Ablauf seines Rektorats, also im Frühlung (April) 1410, die durch dunklere Tinte sich abhebende Liste der übrigen 116 Immatrikulierten hinzukam. In jener ersten Eintragung folgt dem Namen Magister Anshelmus de Franckensteyn noch der Zu- satz doctor medicine, aber auf Rasur, ist also eine nachträgliche Kor- rektur. Sie wird indessen beglaubigt dadurch, daß sie von dem zweiten Exemplar der Matrikel, das 1440 der Rektor Johannes von Brieg, also wieder ein Schlesier, anlegte, übernommen wurde als medicine doctor und daß sie und gleich ihr eine Reihe anderer ähnlicher Titelzusätze von gleicher Hand zwar nach dem Sommer 1416, aber wahrscheinlich schon im Sommersemester 1429 von dem Rektor Johannes Czach aus Breslau während dessen zweiten Rektorats vorgenommen wurden. Alle diese Titel- zusätze und Titelkorrekturen sind Ergänzungen der Inskription von 1409 nach dem Stande von 1429, modernem juristischem Begriff gemäß also Urkundenfälschungen, aber ohne böse Absicht und nachweislich auf Grund xuverlässiger Kenntnis. Denn beinahe für alle Korrekturen läßt sich aus urkundlichen Quellen ihre Richtigkeit erhärten1. So wird denn auch der medizinische Doktortitel des Anselm von Frankenstein zutreffen. Stand doch sein Landsmann, der Breslauer Johannes Czach selbst als dreißigster, also unmittelbar vor Anselm von Frankenstein in jener Professorenliste von 1409, und auch seinem Namen folgt ein Zu- satz auf Rasur: sacre theologie professor (d. h. doctor sacre theologie actu regens, scilicet scholam). Freilich, wann und wo Anselm von Frankenstein den medixinischen Doktorgrad (oder dessen Vorstufe, set es die medizinische Lixentiatenwürde, sei es den medizinischen Bacca- lariat) erworben hat, ob noch in Prag oder erst in der Leipziger medi- zinischen Fakultät, in deren Doktorenverzeichnis sein Name jedoch fehlt2, 1 Vgl. die urkundlichen Belege und deren Erläuterungen bei E. G. Gers- dorf, Die Universität Leipzig im ersten Jahre ihres Bestehens, Bericht vom Jahre 1847 an die Mitglieder der deutschen Gesellschaft in Leipxig, S. 29 Anm. 31 und S. 31f.; Fr. Zarncke, Urkundliche Quellen xur Geschichte der Universität Leipzig, Abhandlungen der Kgl. Sächs. Gesellsch. d. Wissensch., III. Bd. 1857, S. 912; Die Matrikel der Universität Leipxig, hrsg. von G. Erler, I. Bd. (Codex diplomat. Saxoniae Regiae, II. Hauptteil 16. Bd.), Leipzig 1895, S. XIV, XIX, XLVIf. und S. 25f. 2 Es ist aber daraus keineswegs mit irgendwelcher Sicherheit xu schließen, daß Anselm nicht in Leipxig seinen neuen akademischen Grad erlangte. Denn wie sich aus G. Erlers Einleitung xum II. Band seiner Ausgabe der Leipziger Matrikel (Codex diplom. Sax. Reg. II, Bd. 17, Leipxig 1897), S. X, XXXV, XXXVI ergibt, wurde das Doktorenverzeichnis der medizinischen Fakultät
48 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. gleichen Schriftzügen und gleicher Tinte die Namen von 22 Studenten. Die Vermutung Zarnckes hat — trotz Erlers Einwendungen — viel für sich, daß diese Eintragung unmittelbar nach der Eröffnung der Uni- versität und Münsterbergs Wahl, also schon zu Ende des Jahres 1409 vollzogen wurde, und daß erst gegen Ablauf seines Rektorats, also im Frühlung (April) 1410, die durch dunklere Tinte sich abhebende Liste der übrigen 116 Immatrikulierten hinzukam. In jener ersten Eintragung folgt dem Namen Magister Anshelmus de Franckensteyn noch der Zu- satz doctor medicine, aber auf Rasur, ist also eine nachträgliche Kor- rektur. Sie wird indessen beglaubigt dadurch, daß sie von dem zweiten Exemplar der Matrikel, das 1440 der Rektor Johannes von Brieg, also wieder ein Schlesier, anlegte, übernommen wurde als medicine doctor und daß sie und gleich ihr eine Reihe anderer ähnlicher Titelzusätze von gleicher Hand zwar nach dem Sommer 1416, aber wahrscheinlich schon im Sommersemester 1429 von dem Rektor Johannes Czach aus Breslau während dessen zweiten Rektorats vorgenommen wurden. Alle diese Titel- zusätze und Titelkorrekturen sind Ergänzungen der Inskription von 1409 nach dem Stande von 1429, modernem juristischem Begriff gemäß also Urkundenfälschungen, aber ohne böse Absicht und nachweislich auf Grund xuverlässiger Kenntnis. Denn beinahe für alle Korrekturen läßt sich aus urkundlichen Quellen ihre Richtigkeit erhärten1. So wird denn auch der medizinische Doktortitel des Anselm von Frankenstein zutreffen. Stand doch sein Landsmann, der Breslauer Johannes Czach selbst als dreißigster, also unmittelbar vor Anselm von Frankenstein in jener Professorenliste von 1409, und auch seinem Namen folgt ein Zu- satz auf Rasur: sacre theologie professor (d. h. doctor sacre theologie actu regens, scilicet scholam). Freilich, wann und wo Anselm von Frankenstein den medixinischen Doktorgrad (oder dessen Vorstufe, set es die medizinische Lixentiatenwürde, sei es den medizinischen Bacca- lariat) erworben hat, ob noch in Prag oder erst in der Leipziger medi- zinischen Fakultät, in deren Doktorenverzeichnis sein Name jedoch fehlt2, 1 Vgl. die urkundlichen Belege und deren Erläuterungen bei E. G. Gers- dorf, Die Universität Leipzig im ersten Jahre ihres Bestehens, Bericht vom Jahre 1847 an die Mitglieder der deutschen Gesellschaft in Leipxig, S. 29 Anm. 31 und S. 31f.; Fr. Zarncke, Urkundliche Quellen xur Geschichte der Universität Leipzig, Abhandlungen der Kgl. Sächs. Gesellsch. d. Wissensch., III. Bd. 1857, S. 912; Die Matrikel der Universität Leipxig, hrsg. von G. Erler, I. Bd. (Codex diplomat. Saxoniae Regiae, II. Hauptteil 16. Bd.), Leipzig 1895, S. XIV, XIX, XLVIf. und S. 25f. 2 Es ist aber daraus keineswegs mit irgendwelcher Sicherheit xu schließen, daß Anselm nicht in Leipxig seinen neuen akademischen Grad erlangte. Denn wie sich aus G. Erlers Einleitung xum II. Band seiner Ausgabe der Leipziger Matrikel (Codex diplom. Sax. Reg. II, Bd. 17, Leipxig 1897), S. X, XXXV, XXXVI ergibt, wurde das Doktorenverzeichnis der medizinischen Fakultät
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III. Die zweite Briefmustersammlung. 49 oder gar an einer dritten Universität (Erfurt, Wien oder Krakau?) und ebenso, welcher Titelzusatz für ihn etwa zuerst, vor der Rasur, einge- getragen war, das entzieht sich unserer Kenntnis. In der schon etwas früher, am 24. Oktober 1409 von dem ersten Artisten-Dekan Heinrich Bernhagen angelegten Matrikel der Promotionen der artistischen Fakultät fehlt dem Verzeichnis der Magister, die ihn zum Dekan gewählt hatten, der Name Anselms von Frankenstein. Da- mals war er also wahrscheinlich noch nicht in Leipxig anwesend. Daß er aber erst im Sommer 1410 dorthin gekommen, bei Abfassung der Professorenliste der Rektormatrikel, sei es, daß diese, wie ich glaube, sofort nach Wahl des ersten Rektors (am 2. Dexember 1409), sei es, daß sie, wie Erler meint, erst gegen Ende des Rektorats (im April) erfolgte, noch nicht gegenwärtig gewesen sei, sondern seine Ankunft wohl nur erst versprochen habe, scheint eine unnötige Vermutung! zu sein. Hingegen spricht manches dafür, daß Anselm von Frankenstein identisch ist mit dem Magister Anshelmus de Frankenberg, der im Sommersemester 1410 von dem zweiten Leipxiger Rektor, Helmold Gledenstede von Salzwedel, in der Matrikel innerhalb der Nation der Poloni, zu der ja die Schlesier in Leipxig wie in Prag gerechnet wurden, als xweiter, unmittelbar hinter dem gleichfalls bereits in der Liste der ersten Professoren stehenden Magister Vincencius Vyau doctor in medi- cinis immatrikuliert ist2. Denn Frankenberg ist ein Dorf in nächster Nähe von Frankenstein. Möglich sogar, daß wir in dieser xweiten Be- zeichnung die genauere Angabe seines Geburtsortes besitzen. Jedesfalls gehörte Anselm von Frankenstein zu dem engeren Kreis des Johannes von Münsterberg, in eine Reihe mit Nikolaus Stör aus von 1409—1559 überhaupt nicht regelmäßtig geführt; ein besonderes Doktorbuch war lange Zeit gar nicht vorhanden und Helmold Gledenstede hat als medi- zinischer Dekan selbst zuerst neun Doktoren in ein den Statutenbüchern ein- geschaltetes Promotionenverzeichnis ohne jedes Datum eingetragen. In Erfurt weisen die Universitätsakten den Namen Anselms von Frankenstein nicht auf. Die Promotionslisten der Prager medixinischen Fakultät sind nicht erhalten. Die Möglichkeit also, daß er schon in ihr den Magisterrang empfing, besteht. Aber das Wahrscheinlichste ist wohl, daß es erst in Leipzig geschah. 1 Aufgestellt von Gersdorf a. a. O. S. IIf.; 26 Anm. 3; 28 Anm. 20; 29 Anm. 25. 31; 30 Anm. 32. 33; 31 Anm. 45. 46; S. 51; gebilligt von Zarncke a. a. O. S. 912; bestritten von Erler a. a. O. S. XLIV f., nachdem er S. XIV das Verzeichnis der ersten Professoren nicht wie jener als eine dem Markgrafen eingereichte und von diesem angenommene Vorschlagsliste, sondern als eine vom ersten Rektor nach Amtsantritt verfaßte Ubersicht des tatsächlichen, in- skribierten Personalbestandes der Universität gewertet hat. 2 Matrikel der Universität Leipzig, Bd. I, a. a. O. S. 32, Spalte b; die beiden Namensformen identifixierte zuerst Gersdorf a. a. O. S. 29 Anm. 31 und Erler, Register der Ausgabe der Leipziger Matrikel (Bd. 3, Cod. Dipl. Sax. Reg. II, Bd. 18, Leipxig 1902, S. 195 s. v. Frankenberg) folgte ihm.
III. Die zweite Briefmustersammlung. 49 oder gar an einer dritten Universität (Erfurt, Wien oder Krakau?) und ebenso, welcher Titelzusatz für ihn etwa zuerst, vor der Rasur, einge- getragen war, das entzieht sich unserer Kenntnis. In der schon etwas früher, am 24. Oktober 1409 von dem ersten Artisten-Dekan Heinrich Bernhagen angelegten Matrikel der Promotionen der artistischen Fakultät fehlt dem Verzeichnis der Magister, die ihn zum Dekan gewählt hatten, der Name Anselms von Frankenstein. Da- mals war er also wahrscheinlich noch nicht in Leipxig anwesend. Daß er aber erst im Sommer 1410 dorthin gekommen, bei Abfassung der Professorenliste der Rektormatrikel, sei es, daß diese, wie ich glaube, sofort nach Wahl des ersten Rektors (am 2. Dexember 1409), sei es, daß sie, wie Erler meint, erst gegen Ende des Rektorats (im April) erfolgte, noch nicht gegenwärtig gewesen sei, sondern seine Ankunft wohl nur erst versprochen habe, scheint eine unnötige Vermutung! zu sein. Hingegen spricht manches dafür, daß Anselm von Frankenstein identisch ist mit dem Magister Anshelmus de Frankenberg, der im Sommersemester 1410 von dem zweiten Leipxiger Rektor, Helmold Gledenstede von Salzwedel, in der Matrikel innerhalb der Nation der Poloni, zu der ja die Schlesier in Leipxig wie in Prag gerechnet wurden, als xweiter, unmittelbar hinter dem gleichfalls bereits in der Liste der ersten Professoren stehenden Magister Vincencius Vyau doctor in medi- cinis immatrikuliert ist2. Denn Frankenberg ist ein Dorf in nächster Nähe von Frankenstein. Möglich sogar, daß wir in dieser xweiten Be- zeichnung die genauere Angabe seines Geburtsortes besitzen. Jedesfalls gehörte Anselm von Frankenstein zu dem engeren Kreis des Johannes von Münsterberg, in eine Reihe mit Nikolaus Stör aus von 1409—1559 überhaupt nicht regelmäßtig geführt; ein besonderes Doktorbuch war lange Zeit gar nicht vorhanden und Helmold Gledenstede hat als medi- zinischer Dekan selbst zuerst neun Doktoren in ein den Statutenbüchern ein- geschaltetes Promotionenverzeichnis ohne jedes Datum eingetragen. In Erfurt weisen die Universitätsakten den Namen Anselms von Frankenstein nicht auf. Die Promotionslisten der Prager medixinischen Fakultät sind nicht erhalten. Die Möglichkeit also, daß er schon in ihr den Magisterrang empfing, besteht. Aber das Wahrscheinlichste ist wohl, daß es erst in Leipzig geschah. 1 Aufgestellt von Gersdorf a. a. O. S. IIf.; 26 Anm. 3; 28 Anm. 20; 29 Anm. 25. 31; 30 Anm. 32. 33; 31 Anm. 45. 46; S. 51; gebilligt von Zarncke a. a. O. S. 912; bestritten von Erler a. a. O. S. XLIV f., nachdem er S. XIV das Verzeichnis der ersten Professoren nicht wie jener als eine dem Markgrafen eingereichte und von diesem angenommene Vorschlagsliste, sondern als eine vom ersten Rektor nach Amtsantritt verfaßte Ubersicht des tatsächlichen, in- skribierten Personalbestandes der Universität gewertet hat. 2 Matrikel der Universität Leipzig, Bd. I, a. a. O. S. 32, Spalte b; die beiden Namensformen identifixierte zuerst Gersdorf a. a. O. S. 29 Anm. 31 und Erler, Register der Ausgabe der Leipziger Matrikel (Bd. 3, Cod. Dipl. Sax. Reg. II, Bd. 18, Leipxig 1902, S. 195 s. v. Frankenberg) folgte ihm.
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50 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. Schweidnitz, Peter Storch aus Zwickau (neuntem Leipziger Rektor: 1413), mit seinen einstigen Examinatoren Helmold Gledenstede von Salzwedel (zweitem Leipziger Rektor: 1410) und Albert von Varrentrapp, sowie mit scinen Landsleuten Johannes Hoffmann aus Schweidnitz (achtem Leipziger Rektor: 1413; Bischof von Meißen 1427—1451) und Magister Johannes [Brasiator aus] Frankenstein (in Prag 1394 Baccalarius und 1398 Magister artium, in Leipxig 1410 der erste hier xum Doktor theologiae Promovierte; später Vikar und Reformator des Klosters zum heiligen Adalbert in Breslau, Inquisitor haereticae gravitatis der Breslauer Diövese, gestorben 1446 in Breslau. Sie alle waren Träger und Führer des deutschen Geistes an der Prager Universität, Verteidiger der Karolinischen Tradition, die der nationalen Vergewaltigung durch Auswanderung sich entzogen und die in Prag empfangene Bildung auf gesicherteren deut- schen Boden verpflanzten, damit sie dort sich kräftig weiter entfalte. Meine Bemühungen, über die Persönlichkeit dieses Anselm von Frankenstein und sein Leben Weiteres zu ermitteln, waren bisher ver- geblich. Auch die Nachforschungen des Direktors der Breslauer Staats- archivs, Herrn Geheimrat Dr. Wutke in den reichen Beständen der ihm anvertrauten Urkundenmassen, namentlieh auch aus Schweidnitz, sowie eine wiederholte Durchsicht der Schweidnitzer alten Stadtbücher im Schweidnitzer Ratsarchiv durch Dr. Schillmann und Dr. Schoppe ergaben nichts. Nach Mitteilung des Herrn Geheimrat Wutke brannte im Jahre 1858 ein Teil der Stadt Frankenstein ab, darunter das Rathaus mit seinem gesamten Inhalt, so daß sich von den älteren Ur- kunden und Aktenbeständen, von Stadtbüchern usw. nichts erhalten hat. Unter diesen Umständen nahm ich von einem Besuch Frankensteins und weiteren Nachforschungen an Ort und Stelle Abstand. Dieser Anselm von Frankenstein spricht also vorläufig zu uns nur durch das vorliegende Kanzleibüchlein. Wenn er sich in dem prologierenden Briefe (Texte Nr. 68 S. 100) als studens Pragensis unterzeichnet, was nach dem damals überwiegenden, in dem vorliegenden Formelbuch sonst unzweifel- haft festgehaltenen Brauch, dem noch heute herrschenden Sinn ent- sprechend, soviel bedeutet als nicht graduierter Student (Scholar) 1, so 1 An sich konnten noch in der Zeit, um die es sich handelt, studere und studens für die Universitätslehrer wie für die Universitälshörer gebraucht werden. Viele von den Magistern einer Fakultät blieben ja selbst noch Studenten in einer anderen, die Lixentiaten und Baccalare waren ihrerseits auch schon Lehrer (s. G. Kaufmann, Geschichte d. d. Universitäten 1, S. 100f. 2, S. 56). Anselm von Frankenstein, nachdem er 1405 Magister artium geworden, blieb Student in der medizinischen Fakultät, hätte sich also auch damals noch studens Pragensis nennen dürfen. Ebenso ist sein Examinator in der artisti- schen Lixentiatenprüfung, Helmold Gledenstede von Salzwedel, der in Prag 1386 xum Magister artium promoviert, 1394 artistischer Dekan, 1398 Rektor der Universität Prag war, später in Leipzig Baccalarius der Theologie geworden
50 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. Schweidnitz, Peter Storch aus Zwickau (neuntem Leipziger Rektor: 1413), mit seinen einstigen Examinatoren Helmold Gledenstede von Salzwedel (zweitem Leipziger Rektor: 1410) und Albert von Varrentrapp, sowie mit scinen Landsleuten Johannes Hoffmann aus Schweidnitz (achtem Leipziger Rektor: 1413; Bischof von Meißen 1427—1451) und Magister Johannes [Brasiator aus] Frankenstein (in Prag 1394 Baccalarius und 1398 Magister artium, in Leipxig 1410 der erste hier xum Doktor theologiae Promovierte; später Vikar und Reformator des Klosters zum heiligen Adalbert in Breslau, Inquisitor haereticae gravitatis der Breslauer Diövese, gestorben 1446 in Breslau. Sie alle waren Träger und Führer des deutschen Geistes an der Prager Universität, Verteidiger der Karolinischen Tradition, die der nationalen Vergewaltigung durch Auswanderung sich entzogen und die in Prag empfangene Bildung auf gesicherteren deut- schen Boden verpflanzten, damit sie dort sich kräftig weiter entfalte. Meine Bemühungen, über die Persönlichkeit dieses Anselm von Frankenstein und sein Leben Weiteres zu ermitteln, waren bisher ver- geblich. Auch die Nachforschungen des Direktors der Breslauer Staats- archivs, Herrn Geheimrat Dr. Wutke in den reichen Beständen der ihm anvertrauten Urkundenmassen, namentlieh auch aus Schweidnitz, sowie eine wiederholte Durchsicht der Schweidnitzer alten Stadtbücher im Schweidnitzer Ratsarchiv durch Dr. Schillmann und Dr. Schoppe ergaben nichts. Nach Mitteilung des Herrn Geheimrat Wutke brannte im Jahre 1858 ein Teil der Stadt Frankenstein ab, darunter das Rathaus mit seinem gesamten Inhalt, so daß sich von den älteren Ur- kunden und Aktenbeständen, von Stadtbüchern usw. nichts erhalten hat. Unter diesen Umständen nahm ich von einem Besuch Frankensteins und weiteren Nachforschungen an Ort und Stelle Abstand. Dieser Anselm von Frankenstein spricht also vorläufig zu uns nur durch das vorliegende Kanzleibüchlein. Wenn er sich in dem prologierenden Briefe (Texte Nr. 68 S. 100) als studens Pragensis unterzeichnet, was nach dem damals überwiegenden, in dem vorliegenden Formelbuch sonst unzweifel- haft festgehaltenen Brauch, dem noch heute herrschenden Sinn ent- sprechend, soviel bedeutet als nicht graduierter Student (Scholar) 1, so 1 An sich konnten noch in der Zeit, um die es sich handelt, studere und studens für die Universitätslehrer wie für die Universitälshörer gebraucht werden. Viele von den Magistern einer Fakultät blieben ja selbst noch Studenten in einer anderen, die Lixentiaten und Baccalare waren ihrerseits auch schon Lehrer (s. G. Kaufmann, Geschichte d. d. Universitäten 1, S. 100f. 2, S. 56). Anselm von Frankenstein, nachdem er 1405 Magister artium geworden, blieb Student in der medizinischen Fakultät, hätte sich also auch damals noch studens Pragensis nennen dürfen. Ebenso ist sein Examinator in der artisti- schen Lixentiatenprüfung, Helmold Gledenstede von Salzwedel, der in Prag 1386 xum Magister artium promoviert, 1394 artistischer Dekan, 1398 Rektor der Universität Prag war, später in Leipzig Baccalarius der Theologie geworden
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III. Die zweite Briefmustersammlung. 51 würden wir dadurch für die drei mit seinem Namen verknüpften Briefe in seine Frühzeit (um 1380) geführt. Ob und wie weit er als Verfasser noch anderer Stücke oder gar als Sammler, Redaktor eines Teils der Musterbriefe, als Autor der daxu gehörigen Teile der Brieftheorie und des Kommentars (Glosse) xu gelten hat, wird man ohne neue hand- schriftliche Funde mit Sicherheit kaum ermitteln können. Aber es spricht nichts dagegen, daß der älteste Kern des zweiten Schlägler Briefstellers, die drei Scholarenbriefe Nr. 67—69, auf ihn zurückgeht. Sie zeigen ihn als unmittelbaren Schüler und Nachahmer der rhetorischen Brief- kunst Johanns von Neumarkt (s. die Nachweise der Benutzung seiner Summa Cancellarie in den Anmerkungen S. 97—100). 7. Heimat des Verfassers. Entscheidend für den Ursprung der Sammlung scheint die folgende Bemerkung auf Bl. 111" (Texte S. 16): Notandum: alique ciuitates prothoconsules habent et consules, ut hic in Bohemia; alique habent consules secundum ut in Silesia; alique habent scabinos secundum ut in glocz et hawirswerde [Habelschwert]. Et secundum hoc notarius interroget a notis et caute procedat. Silesie damals = Niederschlesien, d. h. die neun alten Fürstentümer Glogan, Sagan, Jauer, Liegnitz, Wohlau, Schweidnitz, Breslau, Oels und Brieg. Der Verfasser der theoretischen Abhandlung lebte demnach, als er sie schrieb, in Böhmen im engeren Sinn. Denn zwar gehörte auch Schlesien zum Königreich Böhmen damals. Aber die Gegenüberstellung hic in Boemia und Silesia beweist, daß nur das eigentliche Böhmen gemeint ist. Die Heimat des Verfassers der Abhandlung könnte dennoch Schlesien, das Fürstentum Schweidnitz, gewesen scin. Von dorther stammt das meiste Briefmaterial, wie die oben (S. 38 ff., 44) nachgewiesene Grup- pierung der Ortsnamen, namentlich der kleineren Orte vorwiegend um das Gebiet von Schweidnitz-Frankenstein verrät 1. Allerdings steht es nicht fest, daß der Sammler der Briefe und der Verfasser der Abhand- lung und des Kommentars dieselbe Person gewesen sind. (als solcher urkundlich xuerst 1410) und schließlich Doktor der Leipziger medizinischen Fakultät (als solcher zuerst 1416). Anselms von Frankenstein zweiter Examinator, Albert von Varrentrapp, wurde in Prag 1402 als Magister artium zur Aufnahme des juristischen Studiums in die Matrikel der Juristen inskribiert, später erscheint er in Leipzig als kanonistischer Doktor (doctor in decretis): s. Erler a. a. O. S. XLVI. Wo er den juristischen Grad erworben hat, wissen wir ebensowenig als wo Anselm von Frankenstein xum Doktor der Medizin promoviert worden ist. 1 Der Fund der Schneeberger Handschrift (S) verändert die Grundlage der obigen Beweisführung. Dort steht im Text der Glosse an dieser Stelle, worauf
III. Die zweite Briefmustersammlung. 51 würden wir dadurch für die drei mit seinem Namen verknüpften Briefe in seine Frühzeit (um 1380) geführt. Ob und wie weit er als Verfasser noch anderer Stücke oder gar als Sammler, Redaktor eines Teils der Musterbriefe, als Autor der daxu gehörigen Teile der Brieftheorie und des Kommentars (Glosse) xu gelten hat, wird man ohne neue hand- schriftliche Funde mit Sicherheit kaum ermitteln können. Aber es spricht nichts dagegen, daß der älteste Kern des zweiten Schlägler Briefstellers, die drei Scholarenbriefe Nr. 67—69, auf ihn zurückgeht. Sie zeigen ihn als unmittelbaren Schüler und Nachahmer der rhetorischen Brief- kunst Johanns von Neumarkt (s. die Nachweise der Benutzung seiner Summa Cancellarie in den Anmerkungen S. 97—100). 7. Heimat des Verfassers. Entscheidend für den Ursprung der Sammlung scheint die folgende Bemerkung auf Bl. 111" (Texte S. 16): Notandum: alique ciuitates prothoconsules habent et consules, ut hic in Bohemia; alique habent consules secundum ut in Silesia; alique habent scabinos secundum ut in glocz et hawirswerde [Habelschwert]. Et secundum hoc notarius interroget a notis et caute procedat. Silesie damals = Niederschlesien, d. h. die neun alten Fürstentümer Glogan, Sagan, Jauer, Liegnitz, Wohlau, Schweidnitz, Breslau, Oels und Brieg. Der Verfasser der theoretischen Abhandlung lebte demnach, als er sie schrieb, in Böhmen im engeren Sinn. Denn zwar gehörte auch Schlesien zum Königreich Böhmen damals. Aber die Gegenüberstellung hic in Boemia und Silesia beweist, daß nur das eigentliche Böhmen gemeint ist. Die Heimat des Verfassers der Abhandlung könnte dennoch Schlesien, das Fürstentum Schweidnitz, gewesen scin. Von dorther stammt das meiste Briefmaterial, wie die oben (S. 38 ff., 44) nachgewiesene Grup- pierung der Ortsnamen, namentlich der kleineren Orte vorwiegend um das Gebiet von Schweidnitz-Frankenstein verrät 1. Allerdings steht es nicht fest, daß der Sammler der Briefe und der Verfasser der Abhand- lung und des Kommentars dieselbe Person gewesen sind. (als solcher urkundlich xuerst 1410) und schließlich Doktor der Leipziger medizinischen Fakultät (als solcher zuerst 1416). Anselms von Frankenstein zweiter Examinator, Albert von Varrentrapp, wurde in Prag 1402 als Magister artium zur Aufnahme des juristischen Studiums in die Matrikel der Juristen inskribiert, später erscheint er in Leipzig als kanonistischer Doktor (doctor in decretis): s. Erler a. a. O. S. XLVI. Wo er den juristischen Grad erworben hat, wissen wir ebensowenig als wo Anselm von Frankenstein xum Doktor der Medizin promoviert worden ist. 1 Der Fund der Schneeberger Handschrift (S) verändert die Grundlage der obigen Beweisführung. Dort steht im Text der Glosse an dieser Stelle, worauf
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52 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. 8. Heimat der Niederschrift. Die Sprache der deutschen Brieftexte in der Schlägler Handschrift zeigt manche grob mundartliche Form. Daraus ergibt sich zunächst das schlesisch- böhmische Grenzgebiet. Und zwar gehen die mundartlichen Elemente weit hinaus über das, was in der königlichen Kanzleisprache Böhmens zulässig war 1. Einen Anhalt zur genaueren Lokalisierung bietet die oft vorkommende Form eir für das betonte Personalpronomen der zweiten Person ihr. Diese Form ist in Böhmen unerhört. Auch in Schlesien selten. Nach dem Sprachatlas des Deutschen Reichs herrscht in Schlesien von der deutschen Südgrenze des Riesengebirges und der Sudeten bis in die Nähe von Breslau (Neumarkt-Lauth) im allgemeinen die Form ir (betont). Aber es gibt zwei Enklaven mit ei. Eine kleinere zwischen Zobten und Ohlau mit der Form eier, d. h. ei mit leisem Nachklang. Ein ausgedehnteres Gebiet mit der Form eir mehr nördlich: von Polk- witz über Lüben, Winzig, Rawitsch, Görchen, Militsch, Jutroschin bis fast nach Koschmin im Norden und Mixstadt im Osten. Nördlich von Schlawa nochmals eine dritte, kleine Enklave mit eir2. 9. Die stilistisch-rhetorische Leistung. Der Verfasser der theoretischen Abhandlung beginnt seine Arbeit (Bl. 1061) mit traditionellen Definitionen der Rhetorik, mit einem ge- lehrten Hinweis auf des Aristoteles ersten Prolog zur Physik' (ab vni- uersalibus ad singularia procedendum est) und mit starkem Anklang an die allerdings teilweise auch typischen Wendungen, mit denen Johann von Neumarkt in einem Brief seiner Summa Cancellariae an Petrarca die rhetorische Fähigkeit und Kunst des großen italienischen Bahnbrechers der Renaissance charakterisiert. Immerhin ergibt sich daraus Abhängig- Bebermeyer mit Recht besonderes Gewicht legt, nur ut in Bohemia, also nicht hic. Da der Schneeberger Kodex, wie Bebermeyer xeigt (s. unten 2. Kapitel, III, 1), im ganzen eine bessere Uberlieferung bietet als der Schlägler Kodex, ist die Möglichkeit nicht von der Hand xu weisen, daß jenes hier' als Zusatx erst einem Schreiber oder Bearbeiter sein Dasein verdankte, der in Böhmen lebte. Freilich kann man dem entgegenhalten, der Schreiber oder Bearbeiter des Schneeberger Textes mußte jenes hic neben in Boemia aus seiner sonst im all- gemeinen treuer als von P bewahrten Vorlage fortlassen, weil er eben nicht in Böhmen sich aufhielt. Immerhin bleibt sicher: das Briefmaterial der Sammlung ist von einem Schlesier xusammengestellt und redi- giert, weil es schlesischen Ursprungs ist, und es weist hauptsächlich nach Schweidnitx-Frankenstein. 1 Uber den sprachlichen Charakter der Briefe in den beiden Handschriften rgl. im einzelnen die Untersuchung von Bebermeyer und mir im vierten Kapitel. 2 Vgl. v. Unwerth, Schles. Mundart § 12 und am Schluß die Dialektkarte Nr. 1 s. v. šnaitě Schnitte'.
52 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. 8. Heimat der Niederschrift. Die Sprache der deutschen Brieftexte in der Schlägler Handschrift zeigt manche grob mundartliche Form. Daraus ergibt sich zunächst das schlesisch- böhmische Grenzgebiet. Und zwar gehen die mundartlichen Elemente weit hinaus über das, was in der königlichen Kanzleisprache Böhmens zulässig war 1. Einen Anhalt zur genaueren Lokalisierung bietet die oft vorkommende Form eir für das betonte Personalpronomen der zweiten Person ihr. Diese Form ist in Böhmen unerhört. Auch in Schlesien selten. Nach dem Sprachatlas des Deutschen Reichs herrscht in Schlesien von der deutschen Südgrenze des Riesengebirges und der Sudeten bis in die Nähe von Breslau (Neumarkt-Lauth) im allgemeinen die Form ir (betont). Aber es gibt zwei Enklaven mit ei. Eine kleinere zwischen Zobten und Ohlau mit der Form eier, d. h. ei mit leisem Nachklang. Ein ausgedehnteres Gebiet mit der Form eir mehr nördlich: von Polk- witz über Lüben, Winzig, Rawitsch, Görchen, Militsch, Jutroschin bis fast nach Koschmin im Norden und Mixstadt im Osten. Nördlich von Schlawa nochmals eine dritte, kleine Enklave mit eir2. 9. Die stilistisch-rhetorische Leistung. Der Verfasser der theoretischen Abhandlung beginnt seine Arbeit (Bl. 1061) mit traditionellen Definitionen der Rhetorik, mit einem ge- lehrten Hinweis auf des Aristoteles ersten Prolog zur Physik' (ab vni- uersalibus ad singularia procedendum est) und mit starkem Anklang an die allerdings teilweise auch typischen Wendungen, mit denen Johann von Neumarkt in einem Brief seiner Summa Cancellariae an Petrarca die rhetorische Fähigkeit und Kunst des großen italienischen Bahnbrechers der Renaissance charakterisiert. Immerhin ergibt sich daraus Abhängig- Bebermeyer mit Recht besonderes Gewicht legt, nur ut in Bohemia, also nicht hic. Da der Schneeberger Kodex, wie Bebermeyer xeigt (s. unten 2. Kapitel, III, 1), im ganzen eine bessere Uberlieferung bietet als der Schlägler Kodex, ist die Möglichkeit nicht von der Hand xu weisen, daß jenes hier' als Zusatx erst einem Schreiber oder Bearbeiter sein Dasein verdankte, der in Böhmen lebte. Freilich kann man dem entgegenhalten, der Schreiber oder Bearbeiter des Schneeberger Textes mußte jenes hic neben in Boemia aus seiner sonst im all- gemeinen treuer als von P bewahrten Vorlage fortlassen, weil er eben nicht in Böhmen sich aufhielt. Immerhin bleibt sicher: das Briefmaterial der Sammlung ist von einem Schlesier xusammengestellt und redi- giert, weil es schlesischen Ursprungs ist, und es weist hauptsächlich nach Schweidnitx-Frankenstein. 1 Uber den sprachlichen Charakter der Briefe in den beiden Handschriften rgl. im einzelnen die Untersuchung von Bebermeyer und mir im vierten Kapitel. 2 Vgl. v. Unwerth, Schles. Mundart § 12 und am Schluß die Dialektkarte Nr. 1 s. v. šnaitě Schnitte'.
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III. Die zweite Briefmustersammlung. 53 keit von dem Musterbuch des Prager Kanzlers (vgl. im einzelnen die im Apparat der Texte Nr. 55. 56. 57. 68 nachgewiesenen Entlehnungen). Noch stärker zeigt sich diese Abhängigkeit in einem sehr merkwür- digen Studentenbrief des Johannes Kny studens Wiennensis mit der Adresse Studenti constanti in studio Nicolao Ber, datiert Wien 1404. Er hebt an mit einem Scholarenverslein, das recht ungeschlacht in der Bahn der Vagantendichtung Deutsch und Lateinisch mischt (s. Texte Nr. 73). Darauf folgt eine bewegliche Warnung, der Adressat möge nicht in das Land der marchigenarum (Mark Brandenburg) gehen, eine terra nebulis referta pernociuis, ein Land, das frumentis insipidis et vobis non swetis repletatur, ein Land voller Krankheiten, die er verschweigen wolle. Dann spricht er aber doch davon und sehr nachdrücklich. Dort werde infolge von schwefligen Dämpfen die Natur aufgerieben und nieder- geworfen und durch die ungewohnten Nahrungsmittel (inconswetis ciba- riorum fomitibus) werde die Gesundheit der Konstitution durch lang- wierige Krankheiten oder Pestleiden oder verderblichen Tod ach ! schrecklich vernichtet. Das Ganxe ist eine Imitation eines Briefes Johanns von Neumarkt in seiner Summa cancellariae an den Kanzleikollegen Henricus Thesauri, er möge nicht nach Ungarn gehen. Die Ubereinstimmung erstreckt sich bis auf den Wortlaut und auch auf die Einmischung deutscher Sätze. Dieser selbe Brief steht nun aber auch wenig abweichend in dem ersten, kürzeren Formularbuch der Schlägler Handschrift (Bl. 595), wo ihn ein Prager Student an einen Scholaren in Schweidnitz schreibt. Auch da wird vor der Mark Brandenburg gewarnt, und die wörtlichen Anklänge zwischen den beiden Briefen in den Formularbüchern der Schlägler Handschrift sind so stark, daß, wenn nicht der eine den anderen direkt nachgeahmt hat, nur Benutzung einer gemeinsamen Vorlage die Erklärung dafür geben kann. Im übrigen vergleiche die Nachweise über Abhängigkeit von der Summa Cancellariae in den Anmerkungen zu Text Nr. 55. 56. 57. 68. Für die Technik der Abfassung deutscher Briefe gibt der Verfasser der Abhandlung im zweiten Formularbuch eine sehr wichtige prinzipielle Lehre (Bl. 107", Texte Nr. 1 Glosse). Der Notar darf, wenn er den Inhalt eines lateinischen Briefes vor Laien vorträgt, ihn nicht nach dem genauen Wortlaut der Sätze oder nach der Reihenfolge der lateinischen Wendungen vortragen (non secundum precisum sentenciarum sermonem seu ordinem diccionum latinarum), weil so Unsinn und Unverständ- lichkeit entsteht, sondern er muß aus dem Tenor des lateinischen Briefes eine verständliche deutsche Form herstellen, ohne doch dabei etwas vom notwendigen Sinn fortzulassen. Von dieser allgemeinen Regel zeigt der Verfasser dann an einem einzelnen Beispiel die Anwendung; s. die Glosse zu Texte Nr. 21. Im ganzen betrachtet, entsprechen allerdings die 30 deutschen Brief- texte dieser Regel nur bis xu einem gewissen Grade. Sie sind nicht
III. Die zweite Briefmustersammlung. 53 keit von dem Musterbuch des Prager Kanzlers (vgl. im einzelnen die im Apparat der Texte Nr. 55. 56. 57. 68 nachgewiesenen Entlehnungen). Noch stärker zeigt sich diese Abhängigkeit in einem sehr merkwür- digen Studentenbrief des Johannes Kny studens Wiennensis mit der Adresse Studenti constanti in studio Nicolao Ber, datiert Wien 1404. Er hebt an mit einem Scholarenverslein, das recht ungeschlacht in der Bahn der Vagantendichtung Deutsch und Lateinisch mischt (s. Texte Nr. 73). Darauf folgt eine bewegliche Warnung, der Adressat möge nicht in das Land der marchigenarum (Mark Brandenburg) gehen, eine terra nebulis referta pernociuis, ein Land, das frumentis insipidis et vobis non swetis repletatur, ein Land voller Krankheiten, die er verschweigen wolle. Dann spricht er aber doch davon und sehr nachdrücklich. Dort werde infolge von schwefligen Dämpfen die Natur aufgerieben und nieder- geworfen und durch die ungewohnten Nahrungsmittel (inconswetis ciba- riorum fomitibus) werde die Gesundheit der Konstitution durch lang- wierige Krankheiten oder Pestleiden oder verderblichen Tod ach ! schrecklich vernichtet. Das Ganxe ist eine Imitation eines Briefes Johanns von Neumarkt in seiner Summa cancellariae an den Kanzleikollegen Henricus Thesauri, er möge nicht nach Ungarn gehen. Die Ubereinstimmung erstreckt sich bis auf den Wortlaut und auch auf die Einmischung deutscher Sätze. Dieser selbe Brief steht nun aber auch wenig abweichend in dem ersten, kürzeren Formularbuch der Schlägler Handschrift (Bl. 595), wo ihn ein Prager Student an einen Scholaren in Schweidnitz schreibt. Auch da wird vor der Mark Brandenburg gewarnt, und die wörtlichen Anklänge zwischen den beiden Briefen in den Formularbüchern der Schlägler Handschrift sind so stark, daß, wenn nicht der eine den anderen direkt nachgeahmt hat, nur Benutzung einer gemeinsamen Vorlage die Erklärung dafür geben kann. Im übrigen vergleiche die Nachweise über Abhängigkeit von der Summa Cancellariae in den Anmerkungen zu Text Nr. 55. 56. 57. 68. Für die Technik der Abfassung deutscher Briefe gibt der Verfasser der Abhandlung im zweiten Formularbuch eine sehr wichtige prinzipielle Lehre (Bl. 107", Texte Nr. 1 Glosse). Der Notar darf, wenn er den Inhalt eines lateinischen Briefes vor Laien vorträgt, ihn nicht nach dem genauen Wortlaut der Sätze oder nach der Reihenfolge der lateinischen Wendungen vortragen (non secundum precisum sentenciarum sermonem seu ordinem diccionum latinarum), weil so Unsinn und Unverständ- lichkeit entsteht, sondern er muß aus dem Tenor des lateinischen Briefes eine verständliche deutsche Form herstellen, ohne doch dabei etwas vom notwendigen Sinn fortzulassen. Von dieser allgemeinen Regel zeigt der Verfasser dann an einem einzelnen Beispiel die Anwendung; s. die Glosse zu Texte Nr. 21. Im ganzen betrachtet, entsprechen allerdings die 30 deutschen Brief- texte dieser Regel nur bis xu einem gewissen Grade. Sie sind nicht
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54 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. sklavische Nachbildungen lateinischer Originale. Syntax und Stil ge- stalten sie ziemlich frei um. Sie kopieren also z. B. nicht die ganze Häufung der colores rhetoricales, der Synonymen, auch emanzipieren sie sich teilweise von dem periodischen Satzbau. Immerhin streben sie in beiden Dingen doch dem lateinischen Vorbild nach. So tritt für die kritische Konstitution und Emendation dieser doppel- sprachigen Texte hier noch ein Hilfsmittel hinzu, das für das erste Formelbuch nicht zu Gebote stand: bei der Zusammenstellung der latei- nischen Fassung und ihrer deutschen Wiedergabe herrscht im allgemeinen doch immer das Bestreben, zwei sich dem Sinne nach und manchmal fast auch in den Worten entsprechende Texte zu bieten, nur ausnahms- weise ist die deutsche Ubertragung ganz abweichend; so ist es möglich, Verderbnisse in jedem der beiden Texte aus dem anderen zu erkennen und unter Umständen auch zu emendieren. Beispiele dafür sind: 5a, 6f. duo P, dici S iussistis, wo 5°, 6 list furen das richtige duci voraus- setxt, oder 8a, 4 de re quam P, de re quoniam fordert 8b, 4f. wen .... von des alt’s wegin das richtige de altare quoniam. Ebenso ver- langt 15, 7 der deutsche Text kegen vns vnd den vns'n im lateinischen erga nos ac nostros, während die Handschriften ergo vos ac vestris P bxw. erga ac nostras falsch überliefern. Ferner gibt 21, 5 das deutsche burner das lateinische incendiarium statt des überlieferten intendamur und 30, 8 eyde richtig iuramento statt memento an die Hand, während umgekehrt aus 26 a, 9 dominarum in 26b, 10 frawn statt fraudn zu erschließen ist. Alles in allem betrachtet, sind diese lateinisch-deutschen Doppeltexte unschätzbare Zeugnisse für die allmähliche Umbildung der deutschen, insbesondere der ostmitteldeutschen Kanzleisprache in den Typus des Satzbaues, der seit der Mitte des 15. Jahrhunderts durchdringt. Sehr bedeutungsvoll ist in derselben Beziehung, daß der zweite Brief- steller der Schlägler Handschrift in der ihn eröffnenden, ganz summarischen und schülerhaft konventionellen allgemeinen Anweisung über die prak- tische Rhetorik der Briefkunst eine kurze Lehre des Cursus, d. h. der erforderlichen und zulässigen rhythmischen Satzschlüsse bietet (Bl. 106 1). Wenn sie auch nur ganz knapp andeutend gehalten und recht ungeschickt formuliert, auch durch Textverderbnis entstellt ist und eigentlich nur durch die mitgeteilten exempla verständlich wird, so gewährt sie uns doch immerhin ein höchst wichtiges Zeugnis dafür, daß jene Regel des rhyth- mischen Satzausganges, die in der päpstlichen und kaiserlichen Kanzlei- sprache seit dem Ende des 11. Jahrhunderts sich durchgesetzt hatte und durch die sowohl Wortwahl und Wortstellung als Satzbildung und der ganze Stil dieser Sprache wesentlich beeinflußt war, eingewirkt hat auf die Theorie und Praxis auch der lateinischen und deutschen Sprache kleiner städtischer Kanzleien Schlesiens und der angrenzenden Gebiete um die Wende des 14. Jahrhunderts.
54 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. sklavische Nachbildungen lateinischer Originale. Syntax und Stil ge- stalten sie ziemlich frei um. Sie kopieren also z. B. nicht die ganze Häufung der colores rhetoricales, der Synonymen, auch emanzipieren sie sich teilweise von dem periodischen Satzbau. Immerhin streben sie in beiden Dingen doch dem lateinischen Vorbild nach. So tritt für die kritische Konstitution und Emendation dieser doppel- sprachigen Texte hier noch ein Hilfsmittel hinzu, das für das erste Formelbuch nicht zu Gebote stand: bei der Zusammenstellung der latei- nischen Fassung und ihrer deutschen Wiedergabe herrscht im allgemeinen doch immer das Bestreben, zwei sich dem Sinne nach und manchmal fast auch in den Worten entsprechende Texte zu bieten, nur ausnahms- weise ist die deutsche Ubertragung ganz abweichend; so ist es möglich, Verderbnisse in jedem der beiden Texte aus dem anderen zu erkennen und unter Umständen auch zu emendieren. Beispiele dafür sind: 5a, 6f. duo P, dici S iussistis, wo 5°, 6 list furen das richtige duci voraus- setxt, oder 8a, 4 de re quam P, de re quoniam fordert 8b, 4f. wen .... von des alt’s wegin das richtige de altare quoniam. Ebenso ver- langt 15, 7 der deutsche Text kegen vns vnd den vns'n im lateinischen erga nos ac nostros, während die Handschriften ergo vos ac vestris P bxw. erga ac nostras falsch überliefern. Ferner gibt 21, 5 das deutsche burner das lateinische incendiarium statt des überlieferten intendamur und 30, 8 eyde richtig iuramento statt memento an die Hand, während umgekehrt aus 26 a, 9 dominarum in 26b, 10 frawn statt fraudn zu erschließen ist. Alles in allem betrachtet, sind diese lateinisch-deutschen Doppeltexte unschätzbare Zeugnisse für die allmähliche Umbildung der deutschen, insbesondere der ostmitteldeutschen Kanzleisprache in den Typus des Satzbaues, der seit der Mitte des 15. Jahrhunderts durchdringt. Sehr bedeutungsvoll ist in derselben Beziehung, daß der zweite Brief- steller der Schlägler Handschrift in der ihn eröffnenden, ganz summarischen und schülerhaft konventionellen allgemeinen Anweisung über die prak- tische Rhetorik der Briefkunst eine kurze Lehre des Cursus, d. h. der erforderlichen und zulässigen rhythmischen Satzschlüsse bietet (Bl. 106 1). Wenn sie auch nur ganz knapp andeutend gehalten und recht ungeschickt formuliert, auch durch Textverderbnis entstellt ist und eigentlich nur durch die mitgeteilten exempla verständlich wird, so gewährt sie uns doch immerhin ein höchst wichtiges Zeugnis dafür, daß jene Regel des rhyth- mischen Satzausganges, die in der päpstlichen und kaiserlichen Kanzlei- sprache seit dem Ende des 11. Jahrhunderts sich durchgesetzt hatte und durch die sowohl Wortwahl und Wortstellung als Satzbildung und der ganze Stil dieser Sprache wesentlich beeinflußt war, eingewirkt hat auf die Theorie und Praxis auch der lateinischen und deutschen Sprache kleiner städtischer Kanzleien Schlesiens und der angrenzenden Gebiete um die Wende des 14. Jahrhunderts.
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III. Die zweite Briefmustersammlung. 55 Dieser Abriß beginnt mit Aufzählung der Briefarten: litere missiles, priuilegiales, instrumenta tabellionum, cetere litere apte ad quasuis hominum personas tam spirituales quam seculares in lateinischer und deutscher Sprache. Dann folgt eine Definition dieser praktischen Rhetorik oder Briefkunst als Lehre, für jedes beliebige überzeugende Thema den angemessenen Inhalt zu erfinden (materiam inuenire) und dessen Teile conuenienter et congruenter zu ordnen, durch Worte und Phrasen (tam verbis quam sentenciis) anmutig xu gestalten und mit coloribus floride zu schmücken (perornare), so dem Gedächtnis einzuprägen und schließlich das Ganze durch den Vortrag zu Gehör zu bringen (totum demum pronuncciando auribus nuncciare). Daraus folgert er fünf Eigenschaften des Redners (quinque proprietates rethoris), die er mit einem que patent ungenannt läßt. Darauf setzt er dictamen und epistula gleich und gibt nach alter Tradition eine ganz kurze Bestimmung der verschiedenen Gründe, warum man Briefe schreibt. Daran schließt sich unvermittelt — an- scheinend mit einer Lücke in unserem Texte — ein Hinweis auf die subdistinccio und subdiscrecio eines jeden Briefes und das Gebot: die Klausel ist nach den Satzteilen vom Schreiber oder Redner sorgfältig zu unterscheiden, damit die Hörer ein vollständigeres Verständnis gewinnen können. Zuerst spricht er davon, daß am Schluß vorgeschrieben seien Satzteile aus verschiedenen Silben, d. h. aus Silben verschiedenen Gewichts: et debet fieri clausula per dicciones diuersarum sillabarum; also nicht solche mit nur zwei Silben gleicher Betonung, sci es gehobener, ge- senkter oder mittlerer Aussprache: non omnino secundum dissillabas eleuatas nec depressas nec mediocriter se habentes. Als Beispiel solchen Schlusses gibt er: si grauitas instabit, sic pellis tua. Es ist das ein cursus velox, der rhythmisch nicht der hochmittelalterlichen Tradition entspricht: er bietet statt xx X'X vielmehr x X'X; das sic in der unbetonten Stellc (als letzte Silbe des Daktylus) ist zu schwer und pellis hat einen stärkeren Ton als das Schlußwort tua, während ihm an dieser Stelle nur Nebenton gebühren würde. Indessen kommen solche Formen des velox doch im ganzen Mittelalter vor, ja der Typus pellis tua als velox-Schluß an sich ist auch in der kurialen und kaiserlichen Praxis, wie bei Rienzo, nicht selten. Inwieweit auch mit cinem vorhergehenden einsilbigen, starktonigen Wort wie sic, wäre zu untersuchen. Jedesfalls enthalten die Musterbriefe des lateinisch-deutschen Schlägler Briefstellers keinen Beleg für diesen Typus instabit sic pellis tua. Aber die Satzschlüsse iudico satis aptum (Brief Nr. 7a, 12), veniam deo dante (Brief Nr. 9", 6), die der Belastung der letzten Daktylussilbe entbehren, sonst aber dem Typus pellis tua entsprechen, zeigen, daß der Verfasser, wenn er in seiner Skixxe der Cursustheorie mit jenem Beispicl beginnt, damit wohl eine erlaubte und übliche Form des Satzschlusses ohne Vor- behalt veranschaulichen will. Der Verfasser fährt dann fort: Aber im Satzschluß darf in der
III. Die zweite Briefmustersammlung. 55 Dieser Abriß beginnt mit Aufzählung der Briefarten: litere missiles, priuilegiales, instrumenta tabellionum, cetere litere apte ad quasuis hominum personas tam spirituales quam seculares in lateinischer und deutscher Sprache. Dann folgt eine Definition dieser praktischen Rhetorik oder Briefkunst als Lehre, für jedes beliebige überzeugende Thema den angemessenen Inhalt zu erfinden (materiam inuenire) und dessen Teile conuenienter et congruenter zu ordnen, durch Worte und Phrasen (tam verbis quam sentenciis) anmutig xu gestalten und mit coloribus floride zu schmücken (perornare), so dem Gedächtnis einzuprägen und schließlich das Ganze durch den Vortrag zu Gehör zu bringen (totum demum pronuncciando auribus nuncciare). Daraus folgert er fünf Eigenschaften des Redners (quinque proprietates rethoris), die er mit einem que patent ungenannt läßt. Darauf setzt er dictamen und epistula gleich und gibt nach alter Tradition eine ganz kurze Bestimmung der verschiedenen Gründe, warum man Briefe schreibt. Daran schließt sich unvermittelt — an- scheinend mit einer Lücke in unserem Texte — ein Hinweis auf die subdistinccio und subdiscrecio eines jeden Briefes und das Gebot: die Klausel ist nach den Satzteilen vom Schreiber oder Redner sorgfältig zu unterscheiden, damit die Hörer ein vollständigeres Verständnis gewinnen können. Zuerst spricht er davon, daß am Schluß vorgeschrieben seien Satzteile aus verschiedenen Silben, d. h. aus Silben verschiedenen Gewichts: et debet fieri clausula per dicciones diuersarum sillabarum; also nicht solche mit nur zwei Silben gleicher Betonung, sci es gehobener, ge- senkter oder mittlerer Aussprache: non omnino secundum dissillabas eleuatas nec depressas nec mediocriter se habentes. Als Beispiel solchen Schlusses gibt er: si grauitas instabit, sic pellis tua. Es ist das ein cursus velox, der rhythmisch nicht der hochmittelalterlichen Tradition entspricht: er bietet statt xx X'X vielmehr x X'X; das sic in der unbetonten Stellc (als letzte Silbe des Daktylus) ist zu schwer und pellis hat einen stärkeren Ton als das Schlußwort tua, während ihm an dieser Stelle nur Nebenton gebühren würde. Indessen kommen solche Formen des velox doch im ganzen Mittelalter vor, ja der Typus pellis tua als velox-Schluß an sich ist auch in der kurialen und kaiserlichen Praxis, wie bei Rienzo, nicht selten. Inwieweit auch mit cinem vorhergehenden einsilbigen, starktonigen Wort wie sic, wäre zu untersuchen. Jedesfalls enthalten die Musterbriefe des lateinisch-deutschen Schlägler Briefstellers keinen Beleg für diesen Typus instabit sic pellis tua. Aber die Satzschlüsse iudico satis aptum (Brief Nr. 7a, 12), veniam deo dante (Brief Nr. 9", 6), die der Belastung der letzten Daktylussilbe entbehren, sonst aber dem Typus pellis tua entsprechen, zeigen, daß der Verfasser, wenn er in seiner Skixxe der Cursustheorie mit jenem Beispicl beginnt, damit wohl eine erlaubte und übliche Form des Satzschlusses ohne Vor- behalt veranschaulichen will. Der Verfasser fährt dann fort: Aber im Satzschluß darf in der
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56 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. vollkommenen Rede eine Klausel stehen, die drei Silben hat, von denen die erste gehoben, die beiden anderen gesenkt sind': Sed in distinccione in oracione perfecta debet fieri clausula que habet tres sillabas, quarum prima eleuetur et cetere due grauentur. Beispiel: Solacium, o virgo, gloriose deus uite michi prebuit. Das ist so kein Cursus, vielleicht ist das in der Handschrift stehende michi als misericorditer xu bessern. Dann wäre es der bekannte cursus tardus ('xx XX), der im früheren Gebrauch als rhythmischer Ausgang beliebt war, in der Kurie und der kaiserlichen Kanzlei aber auf bestimmte Fälle eingeschränkt worden ist und als Schluß des gewöhnlichen Aussagesatzes vermieden wird. Aber am Rande steht noch ein undeutliches Zeichen, das wie Xr (d. h. Christus) aussieht. Der Schluß prebuit Christus ergäbe keinen Tardus, keine dreisilbige Klausel, vielmehr wäre es ein regelrechter Planus (xxX). Danach spricht der Verfasser von einer Klausel, die sich bloß aus einem Beispiel erkennen läßt, da der Text lückenhaft ist: omnis quiescit'. Das ist der cursus planus ('XX'X), der häufigste nächst dem velox in der kaiserlich-kurialen Praxis. Zuletxt behandelt er die Klausel aus vier Silben. Dafür gibt er zwei Beispiele, die zwei verschiedene Typen illustrieren sollen. Erstens (Primo): regina michi profecto que tribuas regni sui sedem'. Das ist ein im kurialen und kaiserlichen Kanxleigebrauch nicht üblicher Fall. Wohl aber begegnet er in freierer Ubung: in Petrarcas lateinischen Briefen, dann aber besonders in deutschen Texten, z. B. im Ackermann'. Es ist ein um einen Spondeus erweiterter velox, d. h. xx'x x'X statt des kurialen-kaiserlichen XX X’X. Zweitens (exemplum secundi): opera tua te postmodum continue restaurabit, worin die ersten beiden Silben des Schlusses (restau) gehoben, die letzten beiden gesenkt seien: quando quidem quatuor sillabe sic se habeant, quod prime due eleuentur et vltime due grauentur et deprimentur1. Das ist der richtige velox, der weitaus überwiegende Satzausgang in den päpstlich-kaiserlichen Kanzleischriftstücken. Die Beschreibung desselben durch unsern Ver- fasser ist freilich völlig ungenügend: er läßt die Hauptsache, den voraus- gehenden Daktylus, aus. Aber er scheint die Unzulänglichkeit seiner unklaren und unvollständigen Beschreibungen und Definitionen selbst zu fühlen und bricht ab mit einem bescheidenen: Das alles wird aus den 1 Es ist beachtenswert, daß der Verfasser hier im velox-Schluß so ent- schieden den ersten beiden Silben des Ditrochäus den Starkton gibt, während wir nach dem Cursusrhythmus und der herrschenden Auffassung seiner geschicht- lichen Entwicklung geneigt sind, umgekehrt gerade die vorletxte Silbe am stärk- sten zu betonen. Er hat offenbar bei allen seinen Tonangaben die grammatische Betonung, nicht die eigentlich rhythmische des Cursus im Auge. Im übrigen vergleiche den nächsten Abschnitt.
56 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. vollkommenen Rede eine Klausel stehen, die drei Silben hat, von denen die erste gehoben, die beiden anderen gesenkt sind': Sed in distinccione in oracione perfecta debet fieri clausula que habet tres sillabas, quarum prima eleuetur et cetere due grauentur. Beispiel: Solacium, o virgo, gloriose deus uite michi prebuit. Das ist so kein Cursus, vielleicht ist das in der Handschrift stehende michi als misericorditer xu bessern. Dann wäre es der bekannte cursus tardus ('xx XX), der im früheren Gebrauch als rhythmischer Ausgang beliebt war, in der Kurie und der kaiserlichen Kanzlei aber auf bestimmte Fälle eingeschränkt worden ist und als Schluß des gewöhnlichen Aussagesatzes vermieden wird. Aber am Rande steht noch ein undeutliches Zeichen, das wie Xr (d. h. Christus) aussieht. Der Schluß prebuit Christus ergäbe keinen Tardus, keine dreisilbige Klausel, vielmehr wäre es ein regelrechter Planus (xxX). Danach spricht der Verfasser von einer Klausel, die sich bloß aus einem Beispiel erkennen läßt, da der Text lückenhaft ist: omnis quiescit'. Das ist der cursus planus ('XX'X), der häufigste nächst dem velox in der kaiserlich-kurialen Praxis. Zuletxt behandelt er die Klausel aus vier Silben. Dafür gibt er zwei Beispiele, die zwei verschiedene Typen illustrieren sollen. Erstens (Primo): regina michi profecto que tribuas regni sui sedem'. Das ist ein im kurialen und kaiserlichen Kanxleigebrauch nicht üblicher Fall. Wohl aber begegnet er in freierer Ubung: in Petrarcas lateinischen Briefen, dann aber besonders in deutschen Texten, z. B. im Ackermann'. Es ist ein um einen Spondeus erweiterter velox, d. h. xx'x x'X statt des kurialen-kaiserlichen XX X’X. Zweitens (exemplum secundi): opera tua te postmodum continue restaurabit, worin die ersten beiden Silben des Schlusses (restau) gehoben, die letzten beiden gesenkt seien: quando quidem quatuor sillabe sic se habeant, quod prime due eleuentur et vltime due grauentur et deprimentur1. Das ist der richtige velox, der weitaus überwiegende Satzausgang in den päpstlich-kaiserlichen Kanzleischriftstücken. Die Beschreibung desselben durch unsern Ver- fasser ist freilich völlig ungenügend: er läßt die Hauptsache, den voraus- gehenden Daktylus, aus. Aber er scheint die Unzulänglichkeit seiner unklaren und unvollständigen Beschreibungen und Definitionen selbst zu fühlen und bricht ab mit einem bescheidenen: Das alles wird aus den 1 Es ist beachtenswert, daß der Verfasser hier im velox-Schluß so ent- schieden den ersten beiden Silben des Ditrochäus den Starkton gibt, während wir nach dem Cursusrhythmus und der herrschenden Auffassung seiner geschicht- lichen Entwicklung geneigt sind, umgekehrt gerade die vorletxte Silbe am stärk- sten zu betonen. Er hat offenbar bei allen seinen Tonangaben die grammatische Betonung, nicht die eigentlich rhythmische des Cursus im Auge. Im übrigen vergleiche den nächsten Abschnitt.
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III. Die zweite Briefmustersammlung. 57 verschiedenen Musterbriefen unten hervorgehen'. Und wirklich, diese Briefe unseres Formularbuchs, sowohl die lateinischen als die deutschen, be- kräftigen das. Sie enthalten wirklich die vier von unserem Verfasser zugelassenen Klauseln: am häufigsten den planus, nächstdem den velox, dann den von mir 'erweiterter velox' genannten Typusl, endlich den tardus 2. So erhellt mit voller Sicherheit: der cursus, diese im II. Jahrhundert wieder bewußt in Aufnahme gebrachte und strenger geregelte Erbschaft der antiken lateinischen Kunstprosa bestimmt auch Wortschatz, Stil und Satzbau der lateinischen wie der deutschen Kanzleisprache in den Städten Schlesiens und Böhmens. 10. Die lateinische Glosse und die Rhetorik an Herennius. Unbesprochen ließ ich bisher eine wichtige Frage : die Quellen der den Briefen als Glosse beigegebenen theoretischen Abhand- lung. Eine auch nur einigermaßen genaue Erörterung dieses Problems geht über die mir hier gestellte Aufgabe hinaus, überstiege auch meine Kräfte und überhaupt wohl die eines Einzelnen. Denn es handelt sich dabei um ein Netzwerk alter rhetorischer Uberlieferung, das zu entwirren und in seine einzelnen Fäden aufzulösen erst gelingen könnte nach zu- sammenhängender und umfassender kritischer Durchforschung des riesigen, weit zerstreuten, schwer zugänglichen und noch wenig bekannten hand- schriftlichen Materials mittelalterlicher Epistolartheorie. Nur völlig sichere und vielseitige paläographische Erfahrung, gründliche Vertrautheit mit der alt- wie mittellatcinischen Sprache neben einer gewissen Kenntnis der mittelalterlichen Landessprachen, ungewöhnliche Umsicht des planmäßigen Suchens und Sichtens, vor allem aber eine heroische Geduld, Energie und Arbeitskraft im glücklichen Bunde vermöchten jener Aufgabe Herr zu werden. Für die ältesten gedruckten deutschen Formularbücher ist vor Jahren ein vielverheißender Anfang gemacht worden3. Leider hat er nicht die rechte Nachfolge gefunden. Die Schwierigkeiten und die Unübersichtlichkeit der Stoffmasse wachsen ja freilich ins Ungeheure, sobald man rückwärts von der gedruckten Literatur aufsteigt in den handschrift- lichen Urwald der mittelalterlichen Ars dictandi Italiens, Frankreichs, Eng- lands und Deutschlands. Im vorliegenden Fall ist überdies eine frucht- bare Untersuchung der Quellenfrage ausgeschlossen schon durch die starke bis zur Sinnlosigkeit gehende Textverderbnis, namentlich die Lückenhaftig- keit der Glosse, wie sie allein in der Schlägler Handschrift uns bisher vorliegt. Ich habe mich also auf das Unumgängliche und für die Emen- 1 Vgl. Sitzungsberichte der Berliner Akad. d. Wissensch. 1909, S. 523. 2 Vgl. im einzelnen Bebermeyers Untersuchungen unten 4. Kap., IV. 3 P. Joachimsohn, Aus der Vorgeschichte des Formulare und deutsch Rhetorica, Zeitschr. f. deutsches Altertum 37. Band (1893), S. 24—121.
III. Die zweite Briefmustersammlung. 57 verschiedenen Musterbriefen unten hervorgehen'. Und wirklich, diese Briefe unseres Formularbuchs, sowohl die lateinischen als die deutschen, be- kräftigen das. Sie enthalten wirklich die vier von unserem Verfasser zugelassenen Klauseln: am häufigsten den planus, nächstdem den velox, dann den von mir 'erweiterter velox' genannten Typusl, endlich den tardus 2. So erhellt mit voller Sicherheit: der cursus, diese im II. Jahrhundert wieder bewußt in Aufnahme gebrachte und strenger geregelte Erbschaft der antiken lateinischen Kunstprosa bestimmt auch Wortschatz, Stil und Satzbau der lateinischen wie der deutschen Kanzleisprache in den Städten Schlesiens und Böhmens. 10. Die lateinische Glosse und die Rhetorik an Herennius. Unbesprochen ließ ich bisher eine wichtige Frage : die Quellen der den Briefen als Glosse beigegebenen theoretischen Abhand- lung. Eine auch nur einigermaßen genaue Erörterung dieses Problems geht über die mir hier gestellte Aufgabe hinaus, überstiege auch meine Kräfte und überhaupt wohl die eines Einzelnen. Denn es handelt sich dabei um ein Netzwerk alter rhetorischer Uberlieferung, das zu entwirren und in seine einzelnen Fäden aufzulösen erst gelingen könnte nach zu- sammenhängender und umfassender kritischer Durchforschung des riesigen, weit zerstreuten, schwer zugänglichen und noch wenig bekannten hand- schriftlichen Materials mittelalterlicher Epistolartheorie. Nur völlig sichere und vielseitige paläographische Erfahrung, gründliche Vertrautheit mit der alt- wie mittellatcinischen Sprache neben einer gewissen Kenntnis der mittelalterlichen Landessprachen, ungewöhnliche Umsicht des planmäßigen Suchens und Sichtens, vor allem aber eine heroische Geduld, Energie und Arbeitskraft im glücklichen Bunde vermöchten jener Aufgabe Herr zu werden. Für die ältesten gedruckten deutschen Formularbücher ist vor Jahren ein vielverheißender Anfang gemacht worden3. Leider hat er nicht die rechte Nachfolge gefunden. Die Schwierigkeiten und die Unübersichtlichkeit der Stoffmasse wachsen ja freilich ins Ungeheure, sobald man rückwärts von der gedruckten Literatur aufsteigt in den handschrift- lichen Urwald der mittelalterlichen Ars dictandi Italiens, Frankreichs, Eng- lands und Deutschlands. Im vorliegenden Fall ist überdies eine frucht- bare Untersuchung der Quellenfrage ausgeschlossen schon durch die starke bis zur Sinnlosigkeit gehende Textverderbnis, namentlich die Lückenhaftig- keit der Glosse, wie sie allein in der Schlägler Handschrift uns bisher vorliegt. Ich habe mich also auf das Unumgängliche und für die Emen- 1 Vgl. Sitzungsberichte der Berliner Akad. d. Wissensch. 1909, S. 523. 2 Vgl. im einzelnen Bebermeyers Untersuchungen unten 4. Kap., IV. 3 P. Joachimsohn, Aus der Vorgeschichte des Formulare und deutsch Rhetorica, Zeitschr. f. deutsches Altertum 37. Band (1893), S. 24—121.
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58 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. dation des entstellten Brief- und Glossentextes unmittelbar Notwendige, zugleich aber auch bildungsgeschichtlich Bedeutsamste beschränkt, wenn ich wenigstens für die Scholarenbriefe (Texte Nr. 52ff.) die Grundlage des hier verarbeiteten rhetorischen Wissens aufdecke und beleuchte. Dabei berücksichtige ich allerdings nur die unten abgedruckten Proben. Die colores rhetoricales, welche die Glosse an den Briefen, denen sie beigegeben ist, paradigmatisch erläutert, sind altes Erbgut frühantiker Stilkunst. Die dafür verwendete Terminologie stammt aus der Rheto- rica ad Herennium1, einer nach Ursprung, Quellen und Schicksalen vielfach rätselhaften Schrift eines unbekannten Verfassers, die, wie die geschichtlichen Beziehungen in ihren Beispielen erweisen, in der Blüte- zeit des Marius, d. h. bald nach dessen siebentem Konsulat (86) und vor Sullas Neuordnung des römischen Staats (82) entstanden ist. Mit Ciceros Jugendarbeit De inventione', die wenig später hervortrat, sich merkwürdig berührend in der Lehre von der Erfindung, in den lateini- schen Ubertragungen der griechischen rhetorischen Kunstausdrücke, in 1 Vgl. die meisterhafte Ausgabe: Incerti auctoris de ratione dicendi ad C. Herennium libri IV ed. Fridericus Marx, Lipsiae, B. G. Teubner, 1894 (mit reichhaltigen Prolegomena); daxu Brzoska, Pauly-Wissowa, Real- encyklopädie der klass. Altertumswissensch. Bd. IV, 1 (7. Halbband), 1900, Sp. 1605—1608. 1608—1623; Münscher, ebd. Bd. VII, 2 (14. Halbband), 1912, Sp. 1606, Z. 19—29; Sp. 1613, Z. 38 bis Sp. 1617, Z. 34; Schanz, Gesch. der römischen Literatur3 I, 2 (1909), § 197, S. 466—473; Wilh. Kroll, Teuffels Gesch. der röm. Literatur6 I, § 162, S. 305—309. — Die Ablehnung des Na- mens Cornificius für den Verfasser steht und fällt mit der Beurteilung von Quintilians bibliographischer und chronologischer Genauigkeit in den Titel- angaben seiner Zitate und literarischen Uberblicke. Marx, der friher selbst Cornificius für den Autor gehalten hatte, ist davon (gleich Schanz) abgekommen, weil er jene Genauigkeit Quintilians sehr hoch anschlägt. Andere Forscher, die allerdings jetxt wohl in der Minderheit sind (x. B. Thiele, Ammon), halten an dem Namen Cornificius fest. Bei der jetxt überwiegenden Ansicht entsteht meines Erachtens in der Tat eine sonderbare Lage: wir haben eine Rhetorik mit breitester Figurenlehre ohne Verfasser, wir kennen den Namen eines Schrift- stellers über Rhetorik, insbesondere über die Figuren, und die von Quintilian ihm zugeschriebenen und angeführten Lehren decken sich teils im vollen Wort- laut, teils im Inhalt mit Stellen jener verfasserlosen Rhetorik, aber sie sind beileibe nicht von dem Cornificius Quintilians, sondern dieser Cornificius bleibt unbestimmbar in der Luft schwebend. Einerseits also ein Werk ohne Verfasser, anderseits ein Verfasser ohne Werk, und die Brücke, die beide miteinander xu verbinden so einladend winkt: die völlige Ubereinstimmung des in jenem Werk und von diesem Verfasser vorgetragenen rhetorischen Lehrstoffs wird von der gestrengen Quellenkritik gesperrt! Ich behalte gelinde Zweifel an der Rich- tigkeit dieser Kritik. Denn: allxuscharf macht schartig. Doch muß ich xu- gestehn, daß die Verteidiger der Autorschaft des Cornificius teilweise ihre An- sicht nicht glücklich, ja mit offenbar unhaltbaren Annahmen begründet haben. Die ganxe Frage müßte von Grund aus neu geprüft werden.
58 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. dation des entstellten Brief- und Glossentextes unmittelbar Notwendige, zugleich aber auch bildungsgeschichtlich Bedeutsamste beschränkt, wenn ich wenigstens für die Scholarenbriefe (Texte Nr. 52ff.) die Grundlage des hier verarbeiteten rhetorischen Wissens aufdecke und beleuchte. Dabei berücksichtige ich allerdings nur die unten abgedruckten Proben. Die colores rhetoricales, welche die Glosse an den Briefen, denen sie beigegeben ist, paradigmatisch erläutert, sind altes Erbgut frühantiker Stilkunst. Die dafür verwendete Terminologie stammt aus der Rheto- rica ad Herennium1, einer nach Ursprung, Quellen und Schicksalen vielfach rätselhaften Schrift eines unbekannten Verfassers, die, wie die geschichtlichen Beziehungen in ihren Beispielen erweisen, in der Blüte- zeit des Marius, d. h. bald nach dessen siebentem Konsulat (86) und vor Sullas Neuordnung des römischen Staats (82) entstanden ist. Mit Ciceros Jugendarbeit De inventione', die wenig später hervortrat, sich merkwürdig berührend in der Lehre von der Erfindung, in den lateini- schen Ubertragungen der griechischen rhetorischen Kunstausdrücke, in 1 Vgl. die meisterhafte Ausgabe: Incerti auctoris de ratione dicendi ad C. Herennium libri IV ed. Fridericus Marx, Lipsiae, B. G. Teubner, 1894 (mit reichhaltigen Prolegomena); daxu Brzoska, Pauly-Wissowa, Real- encyklopädie der klass. Altertumswissensch. Bd. IV, 1 (7. Halbband), 1900, Sp. 1605—1608. 1608—1623; Münscher, ebd. Bd. VII, 2 (14. Halbband), 1912, Sp. 1606, Z. 19—29; Sp. 1613, Z. 38 bis Sp. 1617, Z. 34; Schanz, Gesch. der römischen Literatur3 I, 2 (1909), § 197, S. 466—473; Wilh. Kroll, Teuffels Gesch. der röm. Literatur6 I, § 162, S. 305—309. — Die Ablehnung des Na- mens Cornificius für den Verfasser steht und fällt mit der Beurteilung von Quintilians bibliographischer und chronologischer Genauigkeit in den Titel- angaben seiner Zitate und literarischen Uberblicke. Marx, der friher selbst Cornificius für den Autor gehalten hatte, ist davon (gleich Schanz) abgekommen, weil er jene Genauigkeit Quintilians sehr hoch anschlägt. Andere Forscher, die allerdings jetxt wohl in der Minderheit sind (x. B. Thiele, Ammon), halten an dem Namen Cornificius fest. Bei der jetxt überwiegenden Ansicht entsteht meines Erachtens in der Tat eine sonderbare Lage: wir haben eine Rhetorik mit breitester Figurenlehre ohne Verfasser, wir kennen den Namen eines Schrift- stellers über Rhetorik, insbesondere über die Figuren, und die von Quintilian ihm zugeschriebenen und angeführten Lehren decken sich teils im vollen Wort- laut, teils im Inhalt mit Stellen jener verfasserlosen Rhetorik, aber sie sind beileibe nicht von dem Cornificius Quintilians, sondern dieser Cornificius bleibt unbestimmbar in der Luft schwebend. Einerseits also ein Werk ohne Verfasser, anderseits ein Verfasser ohne Werk, und die Brücke, die beide miteinander xu verbinden so einladend winkt: die völlige Ubereinstimmung des in jenem Werk und von diesem Verfasser vorgetragenen rhetorischen Lehrstoffs wird von der gestrengen Quellenkritik gesperrt! Ich behalte gelinde Zweifel an der Rich- tigkeit dieser Kritik. Denn: allxuscharf macht schartig. Doch muß ich xu- gestehn, daß die Verteidiger der Autorschaft des Cornificius teilweise ihre An- sicht nicht glücklich, ja mit offenbar unhaltbaren Annahmen begründet haben. Die ganxe Frage müßte von Grund aus neu geprüft werden.
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III. Die zweite Briefmustersammlung. 59 manchen Beispielen und namentlich in der Dreiteilung der Insinuatio, und nicht weniger seltsam übereinstimmend mit den von Quintilian tadelnd angeführten Stellen aus der Rhetorik eines gewissen Cornificius, bleibt dieses für ein Mitglied der plebejischen Familie der Herennier geschriebene Lehrbuch der Rhetorik von einem Dämmerschein umflossen, den zu er- hellen der Forschung bis heute nicht geglückt ist. a) Zwillingsverhältnis zu Ciceros Jugendschrift "De inventione’ und Fortwirken vom christlichen Altertum bis zur Renaissance. Nachdem es im Altertum, wie die geringen und teilweise unsichern Spuren seiner Benutzung xeigen, nur eine schwache Wirkung getan, scheint es während des vierten Jahrhunderts in Afrika aus dem Dunkel der Vergessenheit wieder ans Licht getreten zu sein: wie Friedrich Marx einleuchtend vermutete, wurde um die Mitte des vierten Jahrhunderts — oder, wie ich glaube, etwas später — ein Exemplar aus der Bibliothek eines Angehörigen des Geschlechts der Herennier oder einer verwandten Familie von einem eifervollen Jünger der Rhetorik neu herausgegeben als Werk Ciceros, eingeteilt in sechs Bücher, obgleich das Original nach ausdrück- licher Angabe seines Verfassers (III 1, 1; IV 1, 1) nur vier Bücher gehabt hat 1. Die Annahme, daß Cicero der Verfasser sei, ergab sich in der Tat für den nicht tiefer Eindringenden leicht: die Rhetorik an Herennius rihmt sich I 9, 16, unter allen Darstellungen der Redekunst zum erstenmal für die Insinuatio drei Fälle unterschieden zu haben, und genau die gleiche Dreiteilung wie die von ihr I 6, 9 gegebene bietet Cicero in De inventione' I 17, 23. Diese mit dem Autornamen Cicero versehene Ausgabe des anonymen Werks wurde dem reichen Kaufherrn, Gönner und väterlichen Freunde, namentlich auch finanxiellen Patron Augustins, Romanianus2 zu Tagaste in Numidien gewidmet. Das erschließt Marx mit gutem Grunde aus der von dem ältesten und besten Vertreter dieser Textklasse des Werks, der Würzburger Handschrift des 9./10. Jahrhunderts, bewahrten Subscriptio des ersten Buches. Dieser Würzburger Kodex, gleich den übrigen aus demselben Archetypus stam- menden Handschriften am Eingang verstümmelt und auch sonst mit einigen Lücken, ist in langobardischer Schrift geschrieben, stammt also aus der Lombardei. Und auch der in der Entwicklungsgeschichte des italienischen Humanismus eine bedeutsame Rolle spielende berühmte 1 Die Explicits der sechs Bücher bexeichnen in allen Handschriften dieser Text-Rexension das Werk als M. Tullii Ciceronis ad Herennium liber de rheto- rica. Die Sechsteilung der Schrift hat sich in der Uberlieferung bis in die ältesten gedruckten Ausgaben erhalten. 2 Er hatte x. B. die Kosten für des jungen Augustin Studium in Karthago getragen; rgl. über ihn Gustav Krüger in Mart. Schanz' Geschichte der römischen Literatur IV (1920), S. 398 Anm. 2.
III. Die zweite Briefmustersammlung. 59 manchen Beispielen und namentlich in der Dreiteilung der Insinuatio, und nicht weniger seltsam übereinstimmend mit den von Quintilian tadelnd angeführten Stellen aus der Rhetorik eines gewissen Cornificius, bleibt dieses für ein Mitglied der plebejischen Familie der Herennier geschriebene Lehrbuch der Rhetorik von einem Dämmerschein umflossen, den zu er- hellen der Forschung bis heute nicht geglückt ist. a) Zwillingsverhältnis zu Ciceros Jugendschrift "De inventione’ und Fortwirken vom christlichen Altertum bis zur Renaissance. Nachdem es im Altertum, wie die geringen und teilweise unsichern Spuren seiner Benutzung xeigen, nur eine schwache Wirkung getan, scheint es während des vierten Jahrhunderts in Afrika aus dem Dunkel der Vergessenheit wieder ans Licht getreten zu sein: wie Friedrich Marx einleuchtend vermutete, wurde um die Mitte des vierten Jahrhunderts — oder, wie ich glaube, etwas später — ein Exemplar aus der Bibliothek eines Angehörigen des Geschlechts der Herennier oder einer verwandten Familie von einem eifervollen Jünger der Rhetorik neu herausgegeben als Werk Ciceros, eingeteilt in sechs Bücher, obgleich das Original nach ausdrück- licher Angabe seines Verfassers (III 1, 1; IV 1, 1) nur vier Bücher gehabt hat 1. Die Annahme, daß Cicero der Verfasser sei, ergab sich in der Tat für den nicht tiefer Eindringenden leicht: die Rhetorik an Herennius rihmt sich I 9, 16, unter allen Darstellungen der Redekunst zum erstenmal für die Insinuatio drei Fälle unterschieden zu haben, und genau die gleiche Dreiteilung wie die von ihr I 6, 9 gegebene bietet Cicero in De inventione' I 17, 23. Diese mit dem Autornamen Cicero versehene Ausgabe des anonymen Werks wurde dem reichen Kaufherrn, Gönner und väterlichen Freunde, namentlich auch finanxiellen Patron Augustins, Romanianus2 zu Tagaste in Numidien gewidmet. Das erschließt Marx mit gutem Grunde aus der von dem ältesten und besten Vertreter dieser Textklasse des Werks, der Würzburger Handschrift des 9./10. Jahrhunderts, bewahrten Subscriptio des ersten Buches. Dieser Würzburger Kodex, gleich den übrigen aus demselben Archetypus stam- menden Handschriften am Eingang verstümmelt und auch sonst mit einigen Lücken, ist in langobardischer Schrift geschrieben, stammt also aus der Lombardei. Und auch der in der Entwicklungsgeschichte des italienischen Humanismus eine bedeutsame Rolle spielende berühmte 1 Die Explicits der sechs Bücher bexeichnen in allen Handschriften dieser Text-Rexension das Werk als M. Tullii Ciceronis ad Herennium liber de rheto- rica. Die Sechsteilung der Schrift hat sich in der Uberlieferung bis in die ältesten gedruckten Ausgaben erhalten. 2 Er hatte x. B. die Kosten für des jungen Augustin Studium in Karthago getragen; rgl. über ihn Gustav Krüger in Mart. Schanz' Geschichte der römischen Literatur IV (1920), S. 398 Anm. 2.
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60 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. Sammelkodex, den 1421 der humanistische Bischof Gerardo Lan- driani in einer Lade des Doms von Lodi auffand und die huma- nistischen Zeitgenossen mit höchstem Entzücken begrüßten, weil ihnen darin neben dem längst bekannten Zwillingspaar, Ciceros De inventione' und der Rhetorik für Herennius, die bis dahin nur bruchstückweise oder gar nicht bekannten rhetorischen Hauptschriften des göttlichen Tullius, "De oratore’, Orator’ und Brutus', entgegentraten, war in altertümlichem, dem Entdecker wie den damaligen Gelehrten Mailands unleserlichem Duktus, d. h. in langobardischer Schrift geschrieben1. So liegt es in der Tat nahe, sich in diesem Zusammenhang daran zu erinnern, daß Augustin während der Jahre 384—387 auf dem Boden der spätern Lombardei in Mailand und im nahen Cassiciacum zeitweise mit seinem alten Gönner Romanianus, der aus geschäftlichen Gründen von Afrika dorthin gekommen war, wieder xusammentraf. Damals suchte Augustin aus seinem Amt eines Lehrers der Rhetorik durch humanistisch-philosophische Studien den Weg zur innerlichen Erfassung des Christentums und zur Taufe. Mit verwandten Freundesseelen gab er sich dem ihn von Grund aus aufrüttelnden Hortensius' Ciceros, den Gedichten Vergils und den Psalmen, den Schriften der Platoniker und Neuplatoniker hin, erörterte selbst nach Platons und Ciceros Muster in Dialogen Hauptprobleme der Erkenntnis, des menschlichen Glücks, der Theodizee, des Verhältnisses der Seele zu Gott, arbeitete von der nach Varros Vorbild in Angriff genommenen dialogischen Darstellung der freien Künste (Disciplinarum libri?) ein Buch über die Grammatik aus und verfaßte daneben nach Varro Prinxipien der Dialektik', nach Cicero und Hermagoras Prinzipien der Rhetorik'. Ein Zeugnis dieser erneuten geistigen Verbindung mit Romanianus ist, daß Augustin ihm das erste der dialogischen Werke von Cassiciacum, die Bücher gegen die Akade- miker’, widmete und ihm auch noch nach seiner Heimkehr in Tagaste (389/390) die Schrift "De vera religione' übersandte2. Ein Sohn des Romanianus, Licentiuss, den wir aus einem Gedicht als Rhetoren- schüler, Nachahmer Claudians und Vergils, aber auch des Prudentius 1 Vgl. Voigt-Lehnerdt, Wiederbelebung des klass. Altertums3 1893) I 245 f.; Marx a. a. O. Prolegom. S. 4. 32f.; Schanx, Gesch. d. röm. Lit.3 1 2, § 147a, S. 293. 2 Vgl. Augustin, Confess. VI 14; Contra Academicos I2; II 3 (Migne, Patrolog. Lat. 32, S. 731. 906. 920), dazu Gust. Krüger a. a. O. § 1167, S. 399. 405 i). 406; § 1170, S. 411—414. Erst nachdem meine obenstehenden Ausführungen gedruckt sind, geht mir die tief eindringende und lichtvolle Unter- suchung zu von Karl Holl, Augustins innere Entwicklung, Abhandlungen d. Pr. Akad. d. Wiss. Jahrg. 1922, Phil.-histor. Kl. Nr. 4, Berlin 1923 (vgl. darin besonders S. 3f. 8f. 14. 26. 28 Anm. 2. 48. 8 Vgl. über ihn Max Manitius, Geschichte der christlich-lateinischen Poesie bis xur Mitte des 8. Jahrhunderts, Stuttgart, Cotta, 1891, S. 295. 323 ff.
60 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. Sammelkodex, den 1421 der humanistische Bischof Gerardo Lan- driani in einer Lade des Doms von Lodi auffand und die huma- nistischen Zeitgenossen mit höchstem Entzücken begrüßten, weil ihnen darin neben dem längst bekannten Zwillingspaar, Ciceros De inventione' und der Rhetorik für Herennius, die bis dahin nur bruchstückweise oder gar nicht bekannten rhetorischen Hauptschriften des göttlichen Tullius, "De oratore’, Orator’ und Brutus', entgegentraten, war in altertümlichem, dem Entdecker wie den damaligen Gelehrten Mailands unleserlichem Duktus, d. h. in langobardischer Schrift geschrieben1. So liegt es in der Tat nahe, sich in diesem Zusammenhang daran zu erinnern, daß Augustin während der Jahre 384—387 auf dem Boden der spätern Lombardei in Mailand und im nahen Cassiciacum zeitweise mit seinem alten Gönner Romanianus, der aus geschäftlichen Gründen von Afrika dorthin gekommen war, wieder xusammentraf. Damals suchte Augustin aus seinem Amt eines Lehrers der Rhetorik durch humanistisch-philosophische Studien den Weg zur innerlichen Erfassung des Christentums und zur Taufe. Mit verwandten Freundesseelen gab er sich dem ihn von Grund aus aufrüttelnden Hortensius' Ciceros, den Gedichten Vergils und den Psalmen, den Schriften der Platoniker und Neuplatoniker hin, erörterte selbst nach Platons und Ciceros Muster in Dialogen Hauptprobleme der Erkenntnis, des menschlichen Glücks, der Theodizee, des Verhältnisses der Seele zu Gott, arbeitete von der nach Varros Vorbild in Angriff genommenen dialogischen Darstellung der freien Künste (Disciplinarum libri?) ein Buch über die Grammatik aus und verfaßte daneben nach Varro Prinxipien der Dialektik', nach Cicero und Hermagoras Prinzipien der Rhetorik'. Ein Zeugnis dieser erneuten geistigen Verbindung mit Romanianus ist, daß Augustin ihm das erste der dialogischen Werke von Cassiciacum, die Bücher gegen die Akade- miker’, widmete und ihm auch noch nach seiner Heimkehr in Tagaste (389/390) die Schrift "De vera religione' übersandte2. Ein Sohn des Romanianus, Licentiuss, den wir aus einem Gedicht als Rhetoren- schüler, Nachahmer Claudians und Vergils, aber auch des Prudentius 1 Vgl. Voigt-Lehnerdt, Wiederbelebung des klass. Altertums3 1893) I 245 f.; Marx a. a. O. Prolegom. S. 4. 32f.; Schanx, Gesch. d. röm. Lit.3 1 2, § 147a, S. 293. 2 Vgl. Augustin, Confess. VI 14; Contra Academicos I2; II 3 (Migne, Patrolog. Lat. 32, S. 731. 906. 920), dazu Gust. Krüger a. a. O. § 1167, S. 399. 405 i). 406; § 1170, S. 411—414. Erst nachdem meine obenstehenden Ausführungen gedruckt sind, geht mir die tief eindringende und lichtvolle Unter- suchung zu von Karl Holl, Augustins innere Entwicklung, Abhandlungen d. Pr. Akad. d. Wiss. Jahrg. 1922, Phil.-histor. Kl. Nr. 4, Berlin 1923 (vgl. darin besonders S. 3f. 8f. 14. 26. 28 Anm. 2. 48. 8 Vgl. über ihn Max Manitius, Geschichte der christlich-lateinischen Poesie bis xur Mitte des 8. Jahrhunderts, Stuttgart, Cotta, 1891, S. 295. 323 ff.
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III. Die zweite Briefmustersammlung. 61 und Juvencus kennen, war als Mitglied des in Cassiciacum um Augustin versammelten Kreises von Verwandten und Freunden sein dankbarer Genosse und Schüler, und neben einem andern Schüler Augustins in der Rhetorik, Favonius Eulogius, der gerade damals (um 385) zu Karthago im Unterricht seinen Zöglingen die rhetoricos Ciceronis libros, d. h. die Schrift De inventione' vortrug1 und den wir aus seinem Kommentar xum Somnium Scipionis' als Bewunderer Ciceros und Vergils kennen, kann dieser Licentius bis xu einem gewissen Grade uns auch jene literarisch-humanistischen Interessen vergegenwärtigen, die in seinem Vater Romanianus einen Förderer fanden. Sehr möglich also jedesfalls, daß damals wirklich ein Exemplar der dem Romanianus gewidmeten Neuausgabe der Rhetorik an Herennius mit dem Verfassernamen Cicero durch oder für Licentius auf Veran- lassung seines Vaters oder auch durch diesen selbst von Numidien nach dem Mailändischen Gebiet gebracht oder geschickt worden ist. Freilich hat man bisher in Augustins Schriften, auch in seinen Principia rhetorices' eine Erwähnung der Herennius-Rhetorik nicht nachgewiesen. Gekannt und benutzt hat er sie jedoch sicher : das beweisen die Epiloge zum ersten und xweiten Buch seines größten Werkes, De civitate Dei', die offenbar dem Schluß des zweiten Buchs des Lehrbuchs für Herennius nachgebildet sind 2. Der Grammatiker und Rhetor C. Marius Victorinuss, sein Lands- mann und Lehrer im Studium der neuplatonischen Philosophie, der unter Kaiser Constantius, als Hieronymus ein Knabe war, in Rom wegen seines rhetorischen Unterrichts durch eine Statue auf dem Trajans- forum geehrt wurde und den noch zwei Jahrhundert später der einfluß- reichere Boethius dankbar rühmte als seinen Vorgänger und Anreger in der Aufnahme und Verbreitung des Platonismus, hat wohl Ciceros De inventione’ kommentiert, aber anscheinend die Rhetorik an Herennius nicht benutzt und nicht genannt. Dagegen kannte sie gegen den Ausgang des 4. Jahrhunderts (etwa um 395) Hieronymus, den ich, wenn Marius Victorinus um seiner (daxu Derselbe, Gesch. d. latein. Literatur des Mittelalters I, München 1911, S.472 ; W. Kroll-Teuffel, Gesch. d. röm. Lit.6 (1913) III § 448, 3, S. 392 f.; Hosius-Schanz, Gesch. d. röm. Lit. IV 2 (1920), § 1183, 2, S. 462. 1 Augustin selbst erxählt (De cura pro mort. gerenda XI 13, Corp. script. ecclesiast. latin. 41 (Wien 1900), S. 642, Z. 12 ff.), daß, während er bei Mailand lebte, dies geschehen sei: vgl. Wissowa, Realenzyklopädie der klass. Altertums- wissensch. VI 2 (1909), Sp. 2077; Hosius bei Schanz, Gesch. d. röm. Lit. IV 2, § 1123, S. 264f. 2 Vgl. Marx, Prolegomena S. 85. 3 Vgl. über diesen Wessner bei Kroll-Teuffel, Gesch. d. röm. Lit.s III, § 408, S. 231—235; Schanx, Gesch. d. röm. Lit. IV I (1914), § 828—831 S. 149—161.
III. Die zweite Briefmustersammlung. 61 und Juvencus kennen, war als Mitglied des in Cassiciacum um Augustin versammelten Kreises von Verwandten und Freunden sein dankbarer Genosse und Schüler, und neben einem andern Schüler Augustins in der Rhetorik, Favonius Eulogius, der gerade damals (um 385) zu Karthago im Unterricht seinen Zöglingen die rhetoricos Ciceronis libros, d. h. die Schrift De inventione' vortrug1 und den wir aus seinem Kommentar xum Somnium Scipionis' als Bewunderer Ciceros und Vergils kennen, kann dieser Licentius bis xu einem gewissen Grade uns auch jene literarisch-humanistischen Interessen vergegenwärtigen, die in seinem Vater Romanianus einen Förderer fanden. Sehr möglich also jedesfalls, daß damals wirklich ein Exemplar der dem Romanianus gewidmeten Neuausgabe der Rhetorik an Herennius mit dem Verfassernamen Cicero durch oder für Licentius auf Veran- lassung seines Vaters oder auch durch diesen selbst von Numidien nach dem Mailändischen Gebiet gebracht oder geschickt worden ist. Freilich hat man bisher in Augustins Schriften, auch in seinen Principia rhetorices' eine Erwähnung der Herennius-Rhetorik nicht nachgewiesen. Gekannt und benutzt hat er sie jedoch sicher : das beweisen die Epiloge zum ersten und xweiten Buch seines größten Werkes, De civitate Dei', die offenbar dem Schluß des zweiten Buchs des Lehrbuchs für Herennius nachgebildet sind 2. Der Grammatiker und Rhetor C. Marius Victorinuss, sein Lands- mann und Lehrer im Studium der neuplatonischen Philosophie, der unter Kaiser Constantius, als Hieronymus ein Knabe war, in Rom wegen seines rhetorischen Unterrichts durch eine Statue auf dem Trajans- forum geehrt wurde und den noch zwei Jahrhundert später der einfluß- reichere Boethius dankbar rühmte als seinen Vorgänger und Anreger in der Aufnahme und Verbreitung des Platonismus, hat wohl Ciceros De inventione’ kommentiert, aber anscheinend die Rhetorik an Herennius nicht benutzt und nicht genannt. Dagegen kannte sie gegen den Ausgang des 4. Jahrhunderts (etwa um 395) Hieronymus, den ich, wenn Marius Victorinus um seiner (daxu Derselbe, Gesch. d. latein. Literatur des Mittelalters I, München 1911, S.472 ; W. Kroll-Teuffel, Gesch. d. röm. Lit.6 (1913) III § 448, 3, S. 392 f.; Hosius-Schanz, Gesch. d. röm. Lit. IV 2 (1920), § 1183, 2, S. 462. 1 Augustin selbst erxählt (De cura pro mort. gerenda XI 13, Corp. script. ecclesiast. latin. 41 (Wien 1900), S. 642, Z. 12 ff.), daß, während er bei Mailand lebte, dies geschehen sei: vgl. Wissowa, Realenzyklopädie der klass. Altertums- wissensch. VI 2 (1909), Sp. 2077; Hosius bei Schanz, Gesch. d. röm. Lit. IV 2, § 1123, S. 264f. 2 Vgl. Marx, Prolegomena S. 85. 3 Vgl. über diesen Wessner bei Kroll-Teuffel, Gesch. d. röm. Lit.s III, § 408, S. 231—235; Schanx, Gesch. d. röm. Lit. IV I (1914), § 828—831 S. 149—161.
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62 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. neuplatonisch-christlichen theologischen Schriften willen Augustinus ante Augustinum' heißen durfte, einen verbesserten Marius Victorinus nennen möchte. Denn er hat dessen nach der Bekehrung zum Christentum an Genesis und Paulinischen Briefen geübte, den Wortsinn bevorxugende, die Allc- gorese meidende Interpretationweise seinerseits vom rein christlichen Stand- punkt und mit vollem Verständnis der kirchlichen Anschauung auf die gesamte Bibel angewandt. Hieronymus war gleich Augustin und Marius Victorinus ein Bewunderer Ciceros als Stilisten und Philosophen der Humanität, und er hat mehr als beide auch seinen eigenen Stil an den Schriften des Meisters lateinischer Redekunst gebildet. Es hat daher einen tiefen inneren Grund, daß der werdende Huma- nismus der italienischen Renaissance in seinem Ursprungsland wie in den übrigen Teilen Europas, die ihn rexipierten, unter dem Zeichen eines mannigfaltigen Hieronymuskults stand. Petrarca verehrte und las den Hieronymus mit Inbrunst. Und auch Johanns von Neumarkt deutsche Ubersetzung des Lebens des heiligen Hieronymus in (frei erfundenen) Briefen von Eusebius, Cyrillus, Augustinus', namentlich aber die große Wirkung des in zahlreichen Handschriften verbreiteten seltsamen lateini- schen Originals wie dieser Ubersetzung begreift man nur als Folge des neu erwachten humanistischen und rhetorisch-stilistischen Sinns, mit dem man jetzt die Schriften des Kirchenvaters und seine Persönlichkeit auf- faßte. Hieronymus nun besaß ein wahrscheinlich vollständiges Exemplar der Herennius-Rhetorik, vielleicht sogar in einem dem oben erwähnten späteren Fund von Lodi ähnlichen Sammelkodex Ciceronischer rhetori- scher Schriften1, dessen Urexemplar nach Marx von einem Buchhändler des 4. oder 5. Jahrhunderts hergestellt war, der damit eine Gesamtausgabe der rhetorischen Schriften Ciceros zu schaffen wähnte, und auch Hierony- mus hielt die libri ad Herennium' xusammen mit De inventione' für ein Jugendwerk Ciceros, indem er auf diese beiden Schriften die Außerung Ciceros im Eingang seines Buchs Uber den Redner’ bezog und dem- gemäß dieses als kunstvolleren und vollkommeneren Ersatz jener beiden früheren unreifen Versuche ansah2. Auch die Grammatiker Rufinus 1 Vgl. Marx, Prolegom. S. 7f. 33. 2 Hieronymus ad prophetam Abdiam, praefatio (Migne, Patrolog. Lat. 25, Sp. 1098) : Dicit et Tullius tuus adulescentulo sibi inchoata quaedam et rudia excidisse. Si hoc ille tam de libris ad Herennium quam de rhetoricis [de inventione], quos ego vel perfectissimos puto, ad comparationem senilis peritiae dicere potuit, quanto ego libere profitebor et illud fuisse puerilis ingenii et hoc maturae senectutis. Apologia adversus libros Rufini I 16 (Migne 23, S. 409) aus dem Jahre 402: Lege ad Herennium Tullii libros, lege rhetoricos eius [de inventione) aut quia illa sibi dicit inchoata et rudia excidisse de manibus, reuolue tria volumina de oratore ... et quar- tum oratorem quem iam senex scribit ad Brutum. Vgl. Cicero, De Oratore I 2, 5: Vis enim fQuinte frater,] ut mihi saepe dixisti, quoniam quae pueris
62 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. neuplatonisch-christlichen theologischen Schriften willen Augustinus ante Augustinum' heißen durfte, einen verbesserten Marius Victorinus nennen möchte. Denn er hat dessen nach der Bekehrung zum Christentum an Genesis und Paulinischen Briefen geübte, den Wortsinn bevorxugende, die Allc- gorese meidende Interpretationweise seinerseits vom rein christlichen Stand- punkt und mit vollem Verständnis der kirchlichen Anschauung auf die gesamte Bibel angewandt. Hieronymus war gleich Augustin und Marius Victorinus ein Bewunderer Ciceros als Stilisten und Philosophen der Humanität, und er hat mehr als beide auch seinen eigenen Stil an den Schriften des Meisters lateinischer Redekunst gebildet. Es hat daher einen tiefen inneren Grund, daß der werdende Huma- nismus der italienischen Renaissance in seinem Ursprungsland wie in den übrigen Teilen Europas, die ihn rexipierten, unter dem Zeichen eines mannigfaltigen Hieronymuskults stand. Petrarca verehrte und las den Hieronymus mit Inbrunst. Und auch Johanns von Neumarkt deutsche Ubersetzung des Lebens des heiligen Hieronymus in (frei erfundenen) Briefen von Eusebius, Cyrillus, Augustinus', namentlich aber die große Wirkung des in zahlreichen Handschriften verbreiteten seltsamen lateini- schen Originals wie dieser Ubersetzung begreift man nur als Folge des neu erwachten humanistischen und rhetorisch-stilistischen Sinns, mit dem man jetzt die Schriften des Kirchenvaters und seine Persönlichkeit auf- faßte. Hieronymus nun besaß ein wahrscheinlich vollständiges Exemplar der Herennius-Rhetorik, vielleicht sogar in einem dem oben erwähnten späteren Fund von Lodi ähnlichen Sammelkodex Ciceronischer rhetori- scher Schriften1, dessen Urexemplar nach Marx von einem Buchhändler des 4. oder 5. Jahrhunderts hergestellt war, der damit eine Gesamtausgabe der rhetorischen Schriften Ciceros zu schaffen wähnte, und auch Hierony- mus hielt die libri ad Herennium' xusammen mit De inventione' für ein Jugendwerk Ciceros, indem er auf diese beiden Schriften die Außerung Ciceros im Eingang seines Buchs Uber den Redner’ bezog und dem- gemäß dieses als kunstvolleren und vollkommeneren Ersatz jener beiden früheren unreifen Versuche ansah2. Auch die Grammatiker Rufinus 1 Vgl. Marx, Prolegom. S. 7f. 33. 2 Hieronymus ad prophetam Abdiam, praefatio (Migne, Patrolog. Lat. 25, Sp. 1098) : Dicit et Tullius tuus adulescentulo sibi inchoata quaedam et rudia excidisse. Si hoc ille tam de libris ad Herennium quam de rhetoricis [de inventione], quos ego vel perfectissimos puto, ad comparationem senilis peritiae dicere potuit, quanto ego libere profitebor et illud fuisse puerilis ingenii et hoc maturae senectutis. Apologia adversus libros Rufini I 16 (Migne 23, S. 409) aus dem Jahre 402: Lege ad Herennium Tullii libros, lege rhetoricos eius [de inventione) aut quia illa sibi dicit inchoata et rudia excidisse de manibus, reuolue tria volumina de oratore ... et quar- tum oratorem quem iam senex scribit ad Brutum. Vgl. Cicero, De Oratore I 2, 5: Vis enim fQuinte frater,] ut mihi saepe dixisti, quoniam quae pueris
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III. Die zweite Briefmustersammlung 63 (5. Jahrh.) und Priscian teilten den Glauben, daß Cicero der Verfasser der Lehrschrift an Herennius sci. Danach aber verschiindet ihr Name lange Zeit: weder Isidor von Sevilla noch Beda noch Alcuin nennen sie. Erst auf der Höhe der karolingischen Renaissance, in Fulda bei Rabanus Maurus, an jener Stelle also, von der die Anfänge der althochdeutschen literarischen Sprachgestaltung, die Ubersetzung des Tatian, ausgingen und die grammatisch-rhetorischen Anregungen stammten, die Otfrid von Weißenburg ermutigten und befähigten, im Wetteifer mit antiker und christlicher Lateindichtung in deutschen Versen sein Evangelien- buch zu schaffen, erscheint das alte Schulkompendium wieder. Derjenige der karolingischen Gelehrten, der durch planmäßige Aufspürung, Samm- lung und Textkritik antiker Schriften am meisten den Humanisten der italienischen Renaissance verwandt ist, (Servatus) Lupus von Fer- rières, schrieb während seines Studienaufenthalts in Fulda bei Hraban an Einhart in Seligenstadt einen Brief (830)1, worin er beklagt, daß er des Tullii de rhetorica liber in einem sehr fehlerhaften Exemplar besitze und es mit cinem neulich in Fulda aufgefundenen anderen kollationiert habe, das noch fehlerhafter gewesen sei. Gleich darauf nennt er dieselbe Schrift libri ad Herennium und erbittet zugleich von Einhart auf Grund der Durchsicht seines Bücherkatalogs auch Uber- sendung von Ciceros De oratore' 2. aut adolescentulis nobis ex commentariolis nostris inchoata ac rudia ex- ciderunt, vix hac (sunt) aetate digna et hoc usu, quem ex causis quas diximus, tot tantisque consecuti sumus, aliquid eisdem de rebus politius perfectiusque proferri, solesque non numquam hac de re a me in disputationibus nostris dissentire, quod ego eruditissimorum hominum artibus eloquentiam contineri statuam, tu autem illam ab elegantia doctrinae segregandam putes et in quo- dam ingenii atque exercitationis genere ponendam. 1 Monumenta Germaniae Historica, Epistolae Tom. VI (Epist. Merowing. et Carolini aeri Tom. IV 1 ed. E. Dümmler, Berolini 1902), epist. 1, S. 8; vgl. Marx a. a. O. Prolegom. S. 9f.; M. Manitius, Gesch. d. lat. Lit. des Mittelalters I (1911), S. 486 f. 2 Die letxtere Schrift bexeichnet er dabei so, daß man sieht, er zitiert den Titel, den ihr Cicero in einem Briefe (Epist. ad fam. I 9, 23) gegeben: tres libros in disputatione ac dialogo de oratore. Auch aus einem andern Briefe des Lupus (Epist. 69 ed. Dümmler a. a. O. S. 67) ergibt sich, daß er das erste Buch der Ciceronischen Familiares-Briefe gelesen haben muß. Er verfüigte mithin über eine Kenntnis, die dom Mittelalter bald abhanden kam. Jedesfalls waren Ciceros Briefe im Mittelalter ohne Wirkung, seil dem 13. Jahrhundert ganz verschollen. Und erst durch Petrarcas und Salutatis Entdeckungen von 1345 und 1389 wurden sie wiedergewonnen als Belebungsquellen des Briefstils. Tatsächlich besaß übrigens Einhart das Werk De oratore' nicht, der Titel in seinem Handschriftenkatalog (Ciceronis de rhetorica), den Lupus darauf deutete, meinte rielmehr, wie der unmittelbar folgende Titel explanatio [des Marius Victorinus] in libros Ciceronis lehrt, die libri rhetorici de inrentione'.
III. Die zweite Briefmustersammlung 63 (5. Jahrh.) und Priscian teilten den Glauben, daß Cicero der Verfasser der Lehrschrift an Herennius sci. Danach aber verschiindet ihr Name lange Zeit: weder Isidor von Sevilla noch Beda noch Alcuin nennen sie. Erst auf der Höhe der karolingischen Renaissance, in Fulda bei Rabanus Maurus, an jener Stelle also, von der die Anfänge der althochdeutschen literarischen Sprachgestaltung, die Ubersetzung des Tatian, ausgingen und die grammatisch-rhetorischen Anregungen stammten, die Otfrid von Weißenburg ermutigten und befähigten, im Wetteifer mit antiker und christlicher Lateindichtung in deutschen Versen sein Evangelien- buch zu schaffen, erscheint das alte Schulkompendium wieder. Derjenige der karolingischen Gelehrten, der durch planmäßige Aufspürung, Samm- lung und Textkritik antiker Schriften am meisten den Humanisten der italienischen Renaissance verwandt ist, (Servatus) Lupus von Fer- rières, schrieb während seines Studienaufenthalts in Fulda bei Hraban an Einhart in Seligenstadt einen Brief (830)1, worin er beklagt, daß er des Tullii de rhetorica liber in einem sehr fehlerhaften Exemplar besitze und es mit cinem neulich in Fulda aufgefundenen anderen kollationiert habe, das noch fehlerhafter gewesen sei. Gleich darauf nennt er dieselbe Schrift libri ad Herennium und erbittet zugleich von Einhart auf Grund der Durchsicht seines Bücherkatalogs auch Uber- sendung von Ciceros De oratore' 2. aut adolescentulis nobis ex commentariolis nostris inchoata ac rudia ex- ciderunt, vix hac (sunt) aetate digna et hoc usu, quem ex causis quas diximus, tot tantisque consecuti sumus, aliquid eisdem de rebus politius perfectiusque proferri, solesque non numquam hac de re a me in disputationibus nostris dissentire, quod ego eruditissimorum hominum artibus eloquentiam contineri statuam, tu autem illam ab elegantia doctrinae segregandam putes et in quo- dam ingenii atque exercitationis genere ponendam. 1 Monumenta Germaniae Historica, Epistolae Tom. VI (Epist. Merowing. et Carolini aeri Tom. IV 1 ed. E. Dümmler, Berolini 1902), epist. 1, S. 8; vgl. Marx a. a. O. Prolegom. S. 9f.; M. Manitius, Gesch. d. lat. Lit. des Mittelalters I (1911), S. 486 f. 2 Die letxtere Schrift bexeichnet er dabei so, daß man sieht, er zitiert den Titel, den ihr Cicero in einem Briefe (Epist. ad fam. I 9, 23) gegeben: tres libros in disputatione ac dialogo de oratore. Auch aus einem andern Briefe des Lupus (Epist. 69 ed. Dümmler a. a. O. S. 67) ergibt sich, daß er das erste Buch der Ciceronischen Familiares-Briefe gelesen haben muß. Er verfüigte mithin über eine Kenntnis, die dom Mittelalter bald abhanden kam. Jedesfalls waren Ciceros Briefe im Mittelalter ohne Wirkung, seil dem 13. Jahrhundert ganz verschollen. Und erst durch Petrarcas und Salutatis Entdeckungen von 1345 und 1389 wurden sie wiedergewonnen als Belebungsquellen des Briefstils. Tatsächlich besaß übrigens Einhart das Werk De oratore' nicht, der Titel in seinem Handschriftenkatalog (Ciceronis de rhetorica), den Lupus darauf deutete, meinte rielmehr, wie der unmittelbar folgende Titel explanatio [des Marius Victorinus] in libros Ciceronis lehrt, die libri rhetorici de inrentione'.
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64 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. Damals war also die Herennius-Rhetorik als ein Werk Ciceros ge- trennt von Ciceros De inventione in fehlerhaften Handschriften verbreitet1. Ihr Archetypus war eine verstümmelte und durch Auslassungen entstellte Abschrift jenes für Romanianus in Tagaste hergestellten numidischen Exemplars, das dann, wie oben gesagt, 384—387, im Original oder in Kopie, dem humanistischen Freundeskreis des jungen Augustinus xu- gänglich geworden und so nach der Lombardei gelangt war. Diese karolingische Ausgabe der Rhetorik an Herennius enthielt Emen- dationen und interlineare und marginale Glossen, die sich gelegentlich, z. B. durch Zusätze von Inhaltsrubriken, bis zur Erläuterung steigern. Es ist dies die älteste Schicht der später anwachsenden Scholien zur Rhetorica secunda'. Neben diese verstümmelte und fehlerhafte frühmittelalterliche Ausgabe des Lehrbuchs für Herennius mit dem Verfassernamen Cicero, aus der die Gelchrten der karolingischen Renaissance, Lupus und seine Schüler, ihre Kenntnis der vermeintlich Ciceronischen Rhetorik bezogen und deren Text sie vielfach unter Heranholung und Kollationierung zahlreicher Exemplare mit Scharfsinn und teilweise mit Glück emendierten und glossierten, trat im 12. Jahrhundert eine neue Ausgabe des Werks. Diese neue Ausgabe bot einen vollständigen Text. In ihr trug die Rhetorik an Herennius den Namen Ciceros wie in der Edition für Romanianus und in der karolingischen Textgestalt. Aber abweichend von letzterer war sie vereinigt mit einem echten Werk Ciceros, den Rhetorici libri de inventione'. Ein vollständiges Exemplar der Herennius-Rhetorik hatte ja auch Hieronymus besessen, und in diesem war sie vielleicht nicht bloß mit Ciceros De inventione', sondern auch mit seinen rhetorischen Haupt- schriften verbunden (s. oben S. 62). Die im 12. Jahrhundert erscheinen- 1 Das bestätigt auch die älteste uns vorliegende Uberlieferung, die nur wenig jünger ist als der in Einharts Bibliothekskatalog verzeichnete Kodex: drei Handschriften des 9. oder 10. Jahrhunderts (Marx, Prolegom. S. IIff.: Cod. Herbipolitanus = H; Cod. Parisinus 7714 = P; Cod. Bernensis = B) und eine vierte des 10. oder 11. Jahrhunderts (Cod. Parisinus 7231 = II. Sie alle sind verstümmelt und fehlerhaft, entbehren des Anfangs und beginnen erst I 6,9 mit den Worten Tria sunt tempora. Sie alle bringen die Rhetorik an Herennius ohne Ciceros De inventione', nur die letxtgenannte verbindet damit Ciceros Katechismus der Rhetorik Partitiones oratoriae. Ein merkwürdiges Beispiel der Nebeneinanderstellung der Rhetorik an Herennius und der Cicero- nischen Schrift De inventione' bietet die Corvey-Petersburger Handschrift (Marx: C) des 9. oder 10. Jahrhunderts. Hier sind — es ist ungewiß, in wel- cher Zeit — beide Schriften wunderlich durcheinandergewirrt durch die Schuld eines unwissenden Buchbinders oder dessen, der ihn anwies (s. Marx, Prolegom. S. 15 f.). Der Text der Herennius-Rhetorik in dieser Handschrift gibt ein gutes Bild der karolingischen Rexension mit ihren Emendationen und Glossen.
64 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. Damals war also die Herennius-Rhetorik als ein Werk Ciceros ge- trennt von Ciceros De inventione in fehlerhaften Handschriften verbreitet1. Ihr Archetypus war eine verstümmelte und durch Auslassungen entstellte Abschrift jenes für Romanianus in Tagaste hergestellten numidischen Exemplars, das dann, wie oben gesagt, 384—387, im Original oder in Kopie, dem humanistischen Freundeskreis des jungen Augustinus xu- gänglich geworden und so nach der Lombardei gelangt war. Diese karolingische Ausgabe der Rhetorik an Herennius enthielt Emen- dationen und interlineare und marginale Glossen, die sich gelegentlich, z. B. durch Zusätze von Inhaltsrubriken, bis zur Erläuterung steigern. Es ist dies die älteste Schicht der später anwachsenden Scholien zur Rhetorica secunda'. Neben diese verstümmelte und fehlerhafte frühmittelalterliche Ausgabe des Lehrbuchs für Herennius mit dem Verfassernamen Cicero, aus der die Gelchrten der karolingischen Renaissance, Lupus und seine Schüler, ihre Kenntnis der vermeintlich Ciceronischen Rhetorik bezogen und deren Text sie vielfach unter Heranholung und Kollationierung zahlreicher Exemplare mit Scharfsinn und teilweise mit Glück emendierten und glossierten, trat im 12. Jahrhundert eine neue Ausgabe des Werks. Diese neue Ausgabe bot einen vollständigen Text. In ihr trug die Rhetorik an Herennius den Namen Ciceros wie in der Edition für Romanianus und in der karolingischen Textgestalt. Aber abweichend von letzterer war sie vereinigt mit einem echten Werk Ciceros, den Rhetorici libri de inventione'. Ein vollständiges Exemplar der Herennius-Rhetorik hatte ja auch Hieronymus besessen, und in diesem war sie vielleicht nicht bloß mit Ciceros De inventione', sondern auch mit seinen rhetorischen Haupt- schriften verbunden (s. oben S. 62). Die im 12. Jahrhundert erscheinen- 1 Das bestätigt auch die älteste uns vorliegende Uberlieferung, die nur wenig jünger ist als der in Einharts Bibliothekskatalog verzeichnete Kodex: drei Handschriften des 9. oder 10. Jahrhunderts (Marx, Prolegom. S. IIff.: Cod. Herbipolitanus = H; Cod. Parisinus 7714 = P; Cod. Bernensis = B) und eine vierte des 10. oder 11. Jahrhunderts (Cod. Parisinus 7231 = II. Sie alle sind verstümmelt und fehlerhaft, entbehren des Anfangs und beginnen erst I 6,9 mit den Worten Tria sunt tempora. Sie alle bringen die Rhetorik an Herennius ohne Ciceros De inventione', nur die letxtgenannte verbindet damit Ciceros Katechismus der Rhetorik Partitiones oratoriae. Ein merkwürdiges Beispiel der Nebeneinanderstellung der Rhetorik an Herennius und der Cicero- nischen Schrift De inventione' bietet die Corvey-Petersburger Handschrift (Marx: C) des 9. oder 10. Jahrhunderts. Hier sind — es ist ungewiß, in wel- cher Zeit — beide Schriften wunderlich durcheinandergewirrt durch die Schuld eines unwissenden Buchbinders oder dessen, der ihn anwies (s. Marx, Prolegom. S. 15 f.). Der Text der Herennius-Rhetorik in dieser Handschrift gibt ein gutes Bild der karolingischen Rexension mit ihren Emendationen und Glossen.
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III. Die zweite Briefmustersammlung. 65 den Abschriften der neuen Ausgabe des alten Schulbuchs haben dessen Text jedesfalls aus einem vollständigen Exemplar, in dem Ciceros Schrift De inventione' voranging, am Anfang und auch sonst ergänzt, stellen- weise wohl auch berichtigt. Leider ist uns dieses vollständige Exemplar verloren und auch nicht näher bekannt. Im ganan gibt die neue Aus- gabe aber den verderbten Text der karolingischen Rexension wieder und fügt zu deren Konjekturen eigene neue. Marx glaubt, daß diese neue Ausgabe des 12. Jahrhunderts die Halbierung eines Korpus von rhetori- schen Schriften Ciceros war, wie es sich uns darstellt in dem Kodex von Lodi (s. oben S. 59f.) und in dem für Hieronymus zu erschließenden Sammelkodex gleichen Inhalts. Wie Hieronymus kannte man auch im 12. Jahrhundert jene Außerung Ciceros (oben S. 62) über seine unreifen rhetorischen Jugendschriften und ihren Ersatz darmss eine spätere kunstvollere und vollendetere Dar- stellung. Aber da man seine reifen rhetorischen Schriften (De oratore', Orator', Brutus') gar nicht oder nur in Teilen kannte, so mißverstand man jene Bemerkung dahin, daß man in der echten Schrift Ciceros De inventione' den unvollkommenen Erstling und in der inhaltlich vielfach sich mit ihr nah berührenden Rhetorik an Herennius die Ersatzarbeit und Verbesserung erblickte. Schienen ja doch auch die Schlußworte der Schrift De inventione': quae restant in reliquis dicemus, die eine (in Wirklichkeit dann unterbliebene) Fortführung und Vollendung der Darstellung des ganzen Systems der Rhetorik verheißen, in der Rhetorik an Herennius ihre Erfüllung xu finden. Demgemäß hieß fortan die echte Schrift Ciceros De inventione’ Tullii rhetorica prima, die Rhetorik an Herennius aber Tullii rhetorica secunda. Nahegelegt oder befestigt wurde diese Auffassung auch dadurch, daß eben in allen Handschriften der newen, ergänzten Ausgabe der Herennius-Rhetorik dieser die Schrift Ciceros De inventione' voranging. Der schülerhaften Arbeit des Knaben Cicero über die Lehre von der Erfindung folgte — das meinte man nun vor Augen zu haben — die spätere Darstellung der ganzen Rhetorik, die er als reifer Mann zur Verbesserung jenes Teilversuchs ver- faßt hatte 1. Diese neue Ausgabe des Herennius-Kompendiums, in der es mit Ciceros "De inventione' vereinigt auftritt, fand eine ungeheure Verbreitung. Wir besitzen davon zahllose Handschriften. Manche von ihnen enthalten neben den marginalen Glossen auch förmliche Erläuterungen: das ist die zweite Schicht der Scholien, die dann im 14. und 15. Jahr- hundert gesammelt und zu einem Kommentar verarbeitet werden. 1 So in der Leidener Handschrift des 12. Jahrhunderts (Cod. Vossianus Lat. Nr. 103) und in der Bamberger Handschrift des 12. Jahrhunderts (M. V. 9, 424), vgl. Marx, Prolegom. S. 8. 51f. In der letxteren steht vor De inven- tione folgendes Scholion: Est prima rhetorica quae dicitur ei [Cicero] puero elapsa unde ad eius correccionem secundam scripsit.
III. Die zweite Briefmustersammlung. 65 den Abschriften der neuen Ausgabe des alten Schulbuchs haben dessen Text jedesfalls aus einem vollständigen Exemplar, in dem Ciceros Schrift De inventione' voranging, am Anfang und auch sonst ergänzt, stellen- weise wohl auch berichtigt. Leider ist uns dieses vollständige Exemplar verloren und auch nicht näher bekannt. Im ganan gibt die neue Aus- gabe aber den verderbten Text der karolingischen Rexension wieder und fügt zu deren Konjekturen eigene neue. Marx glaubt, daß diese neue Ausgabe des 12. Jahrhunderts die Halbierung eines Korpus von rhetori- schen Schriften Ciceros war, wie es sich uns darstellt in dem Kodex von Lodi (s. oben S. 59f.) und in dem für Hieronymus zu erschließenden Sammelkodex gleichen Inhalts. Wie Hieronymus kannte man auch im 12. Jahrhundert jene Außerung Ciceros (oben S. 62) über seine unreifen rhetorischen Jugendschriften und ihren Ersatz darmss eine spätere kunstvollere und vollendetere Dar- stellung. Aber da man seine reifen rhetorischen Schriften (De oratore', Orator', Brutus') gar nicht oder nur in Teilen kannte, so mißverstand man jene Bemerkung dahin, daß man in der echten Schrift Ciceros De inventione' den unvollkommenen Erstling und in der inhaltlich vielfach sich mit ihr nah berührenden Rhetorik an Herennius die Ersatzarbeit und Verbesserung erblickte. Schienen ja doch auch die Schlußworte der Schrift De inventione': quae restant in reliquis dicemus, die eine (in Wirklichkeit dann unterbliebene) Fortführung und Vollendung der Darstellung des ganzen Systems der Rhetorik verheißen, in der Rhetorik an Herennius ihre Erfüllung xu finden. Demgemäß hieß fortan die echte Schrift Ciceros De inventione’ Tullii rhetorica prima, die Rhetorik an Herennius aber Tullii rhetorica secunda. Nahegelegt oder befestigt wurde diese Auffassung auch dadurch, daß eben in allen Handschriften der newen, ergänzten Ausgabe der Herennius-Rhetorik dieser die Schrift Ciceros De inventione' voranging. Der schülerhaften Arbeit des Knaben Cicero über die Lehre von der Erfindung folgte — das meinte man nun vor Augen zu haben — die spätere Darstellung der ganzen Rhetorik, die er als reifer Mann zur Verbesserung jenes Teilversuchs ver- faßt hatte 1. Diese neue Ausgabe des Herennius-Kompendiums, in der es mit Ciceros "De inventione' vereinigt auftritt, fand eine ungeheure Verbreitung. Wir besitzen davon zahllose Handschriften. Manche von ihnen enthalten neben den marginalen Glossen auch förmliche Erläuterungen: das ist die zweite Schicht der Scholien, die dann im 14. und 15. Jahr- hundert gesammelt und zu einem Kommentar verarbeitet werden. 1 So in der Leidener Handschrift des 12. Jahrhunderts (Cod. Vossianus Lat. Nr. 103) und in der Bamberger Handschrift des 12. Jahrhunderts (M. V. 9, 424), vgl. Marx, Prolegom. S. 8. 51f. In der letxteren steht vor De inven- tione folgendes Scholion: Est prima rhetorica quae dicitur ei [Cicero] puero elapsa unde ad eius correccionem secundam scripsit.
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66 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. Marx hat über den Urheber der neuen Ausgabe des rhetorischen Lehrbuchs für Herennius und die näheren Umstände ihrer Herstellung keinerlei Vermutung gewagt. Und auch sonst ist meines Wissens darüber nicht gesprochen worden. Es unterliegt aber, meine ich, keinem Zweifel, daß den Anlaß dazu jene denkwürdigen Bemühungen zu Ende des 11. Jahrhunderts gaben, die, ausgehend von Monte Cassino, der römischen Kurie und der Universität Bologna, den neuen Aufschwnng der rhetori- schen Studien herbeiführten. Damals erbliht die Ars dictandi zu reich- ster Entfaltung in planmäßig organisiertem Unterricht und in einer ausgebreiteten Produktion rhetorischer Handbücher und Leitfäden. Da- mals wird die Sprache der päpstlichen Kanzlei reformiert mit dem bewußten Streben, ihrer Latinität antiqui leporis et eloquentiae stilum, insbesondere den Cursus aus der Zeit Leos I. (Leoninum cursum) wieder- zugewinnen1. Diese Wandlung der kurialen Kanzleisprache durch Ab- dankung der Sprachnorm des Liber diurnus' und Wiederanknüpfen an den Typus der Papstbriefe des 5. Jahrhunderts, die der antiken Tradition noch folgten, vollzog sich auf Geheiß des Papstes Urban II. 1088 durch den von ihm der päpstlichen Kanzlei vorgesetzten Johannes Gaëtani, den späteren Papst Gelasius II. (1118—1119). Die strengste Regelung und feinste Ausbildung des Cursus im päpstlichen Kanzleistil führte dann Albert von Morra durch, der 1178—1187 das Kanzleramt inne- hatte und danach selbst den römischen Stuhl als Gregor VIII. bestieg, im Verein mit seinem Untergebenen und zeitweiligen Vertreter Trans- mundus, dem Verfasser einer weithin wirkenden Summa dictaminis. Im Zusammenhang mit diesen neuen Regungen eines italienischen Humanismus, der sich freilich im engen Bezirk der Grammatik und Rhetorik hielt und sich wesentlich innerhalb der Kanzlei auswirkte, steht offenbar die Veranstaltung einer newen Edition der als Werk Ciceros geltenden Rhetorik ad Herennium auf Grund eines vollständigen Exem- plars und ihre Vereinigung mit der vorangestellten Ciceronischen Schrift "De inventione'. Mit beiden wähnte man die Blüte und die reife Frucht aus dem rhetorischen Garten des viel gepriesenen und wenig gekannten Meisters Tullius sich anxueignen. Es wäre eine lohnende Aufgabe, die seitdem entstandenen Formular- bücher der päpstlichen und der von dieser beeinflußten kaiserlichen Kanxlei unter Berücksichtigung des Sprachgebrauchs der originalen Ur- kunden und Briefe der beiden Kanzleien, insbesondere den Stil des 1 Vgl. darüber Karl Kraus, Deutsche Gedichte des 12. Jahrhunderts, Halle, M. Niemeyer, 1894, S. 200—207 (darin der höchst wichtige Nachweis, daß Transmundus eine lateinische Albanuslegende im strengsten päpstlichen Cursus geschrieben hat, auf die unsere mittelhochdeutschen Gedichtfragmente aus dem nördlichsten Teile Moselfrankens, vielleicht allerdings durch eine Mittel- quelle, zurückgehen) und meinen Aufsatz, Uber den Satzrhythmus der deutschen Prosa, Sitzungsberichte der Berliner Akademie der Wissensch. 1909, S. 525 f.
66 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. Marx hat über den Urheber der neuen Ausgabe des rhetorischen Lehrbuchs für Herennius und die näheren Umstände ihrer Herstellung keinerlei Vermutung gewagt. Und auch sonst ist meines Wissens darüber nicht gesprochen worden. Es unterliegt aber, meine ich, keinem Zweifel, daß den Anlaß dazu jene denkwürdigen Bemühungen zu Ende des 11. Jahrhunderts gaben, die, ausgehend von Monte Cassino, der römischen Kurie und der Universität Bologna, den neuen Aufschwnng der rhetori- schen Studien herbeiführten. Damals erbliht die Ars dictandi zu reich- ster Entfaltung in planmäßig organisiertem Unterricht und in einer ausgebreiteten Produktion rhetorischer Handbücher und Leitfäden. Da- mals wird die Sprache der päpstlichen Kanzlei reformiert mit dem bewußten Streben, ihrer Latinität antiqui leporis et eloquentiae stilum, insbesondere den Cursus aus der Zeit Leos I. (Leoninum cursum) wieder- zugewinnen1. Diese Wandlung der kurialen Kanzleisprache durch Ab- dankung der Sprachnorm des Liber diurnus' und Wiederanknüpfen an den Typus der Papstbriefe des 5. Jahrhunderts, die der antiken Tradition noch folgten, vollzog sich auf Geheiß des Papstes Urban II. 1088 durch den von ihm der päpstlichen Kanzlei vorgesetzten Johannes Gaëtani, den späteren Papst Gelasius II. (1118—1119). Die strengste Regelung und feinste Ausbildung des Cursus im päpstlichen Kanzleistil führte dann Albert von Morra durch, der 1178—1187 das Kanzleramt inne- hatte und danach selbst den römischen Stuhl als Gregor VIII. bestieg, im Verein mit seinem Untergebenen und zeitweiligen Vertreter Trans- mundus, dem Verfasser einer weithin wirkenden Summa dictaminis. Im Zusammenhang mit diesen neuen Regungen eines italienischen Humanismus, der sich freilich im engen Bezirk der Grammatik und Rhetorik hielt und sich wesentlich innerhalb der Kanzlei auswirkte, steht offenbar die Veranstaltung einer newen Edition der als Werk Ciceros geltenden Rhetorik ad Herennium auf Grund eines vollständigen Exem- plars und ihre Vereinigung mit der vorangestellten Ciceronischen Schrift "De inventione'. Mit beiden wähnte man die Blüte und die reife Frucht aus dem rhetorischen Garten des viel gepriesenen und wenig gekannten Meisters Tullius sich anxueignen. Es wäre eine lohnende Aufgabe, die seitdem entstandenen Formular- bücher der päpstlichen und der von dieser beeinflußten kaiserlichen Kanxlei unter Berücksichtigung des Sprachgebrauchs der originalen Ur- kunden und Briefe der beiden Kanzleien, insbesondere den Stil des 1 Vgl. darüber Karl Kraus, Deutsche Gedichte des 12. Jahrhunderts, Halle, M. Niemeyer, 1894, S. 200—207 (darin der höchst wichtige Nachweis, daß Transmundus eine lateinische Albanuslegende im strengsten päpstlichen Cursus geschrieben hat, auf die unsere mittelhochdeutschen Gedichtfragmente aus dem nördlichsten Teile Moselfrankens, vielleicht allerdings durch eine Mittel- quelle, zurückgehen) und meinen Aufsatz, Uber den Satzrhythmus der deutschen Prosa, Sitzungsberichte der Berliner Akademie der Wissensch. 1909, S. 525 f.
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III. Die zweite Briefmustersammlung. 67 kaiserlichen Kanzlers Petrus von Vinea (Vineis) und seiner Schule zu prüfen, inwieweit sie der Lehre und dem Beispiel der Rhetorik für Herennius oder nach dem Glauben der Zeit der zweiten Rhetorik Ciceros Folge leisten. Mit Ablauf des 12. Jahrhunderts überschreitet die Wirkung des alten unter Ciceros Namen gehenden Herennius-Buchs die Grenzen des Lateins der Kanzlei. Bereits am Ausgang des 12. Jahrhunderts hatte ein auf lange Zeit tonangebender Führer der lateinischen Schulpoesie, Alanus von Lille, der viel nachgeahmte Dichter des allegorischen Gedichts Anticlaudianus' und des nach des Boethius Consolatio' Gedichte in Prosa einrahmenden Planctus naturac', einen Kommentar zu der voll- ständigen Herennius-Rhetorik verfaßt1. Eine Würzburger Handschrift des 12. Jahrhunderts bringt unter dem Titel Flores rhetorici den größten Teil der Behandlung der Elocutio im vierten Buch (IV 8, 11 bis 30, 41), also diejenigen Abschnitte, die für den stilistischen Bedarf das unmittelbarste Interesse boten, und läßt dem eine Versifikation des Stücks nebst Kommentar folgen 2. Eine Halberstädter Handschrift des 12. oder 13. Jahrhunderts3 gibt aus der Lehre von der Elocutio im vierten Buch der Herennius-Rhetorik den Abschnitt von den Wortfiguren, der in der mittelalterlichen Sechsteilung des ganxen Werks und Dreiteilung des origi- nalen vierten Buchs als fünftes Buch bezeichnet ist, nämlich § 19—42 (Repetitio bis Conclusio), und bricht mit der Einleitung zu den als Einheit zusammengefaßten zchn letzten Wortfiguren ab. Darauf läßt sie eine Bearbeitung desselben Stücks in leoninischen Hexamctern folgen. Dabei steht für jede Figur voran in Prosa die einleitende Definition des Originals, an Stelle der Prosabeispiele des Originals erscheinen dann versifizierte Beispiele. Wie der Prolog ausspricht, soll der Anfänger, um sich die Einprägung der Figuren xu erleichtern, diese Memorialverse auswendig lernen. An sich gewiß ein unschuldiges Vergnügen. Aber eine Arbeit wie die vorliegende in Anjou oder wenigstens in Frank- reich entstandene und die Unterrichtspraxis, der sie dient, leisteten der dem Mittelalter eigenen Unfähigkeit, Stilgrenzen einzuhalten, Vorschub und beförderten dic in der mittellateinischen Literatur nur allzu verbreitete 1 Vgl. Marx, Prolegom. Addenda S. VI. 2 Nach dem von Schanx a.a. O. § 197a, S. 472 Mitte angeführten Nach- weis der mir unzugänglichen Schrift: J. Simon, Die Handschriften der Rhe- torik an Herennius. I. Gymnasialprogr. Schweinfurt 1863, S. 7 Anm. 2. 3 Vgl. Moriz Haupt, Berichte d. kgl. sächs. Gesellsch. d. Wissenschaften, 2. Bd. (1848), Leipxig 1849, S. 53—58. Die bei der Complexio als Beispiel gegebenen Verse über die Leute von Anjou lauten (S. 54): Qui sunt qui pugnant audaciter? Andagavenses. Qui sunt qui superant inimicos? Andagavenses. Qui sunt qui parcunt superatis? Andagavenses. Egregios igitur livor neget Andagavenses.
III. Die zweite Briefmustersammlung. 67 kaiserlichen Kanzlers Petrus von Vinea (Vineis) und seiner Schule zu prüfen, inwieweit sie der Lehre und dem Beispiel der Rhetorik für Herennius oder nach dem Glauben der Zeit der zweiten Rhetorik Ciceros Folge leisten. Mit Ablauf des 12. Jahrhunderts überschreitet die Wirkung des alten unter Ciceros Namen gehenden Herennius-Buchs die Grenzen des Lateins der Kanzlei. Bereits am Ausgang des 12. Jahrhunderts hatte ein auf lange Zeit tonangebender Führer der lateinischen Schulpoesie, Alanus von Lille, der viel nachgeahmte Dichter des allegorischen Gedichts Anticlaudianus' und des nach des Boethius Consolatio' Gedichte in Prosa einrahmenden Planctus naturac', einen Kommentar zu der voll- ständigen Herennius-Rhetorik verfaßt1. Eine Würzburger Handschrift des 12. Jahrhunderts bringt unter dem Titel Flores rhetorici den größten Teil der Behandlung der Elocutio im vierten Buch (IV 8, 11 bis 30, 41), also diejenigen Abschnitte, die für den stilistischen Bedarf das unmittelbarste Interesse boten, und läßt dem eine Versifikation des Stücks nebst Kommentar folgen 2. Eine Halberstädter Handschrift des 12. oder 13. Jahrhunderts3 gibt aus der Lehre von der Elocutio im vierten Buch der Herennius-Rhetorik den Abschnitt von den Wortfiguren, der in der mittelalterlichen Sechsteilung des ganxen Werks und Dreiteilung des origi- nalen vierten Buchs als fünftes Buch bezeichnet ist, nämlich § 19—42 (Repetitio bis Conclusio), und bricht mit der Einleitung zu den als Einheit zusammengefaßten zchn letzten Wortfiguren ab. Darauf läßt sie eine Bearbeitung desselben Stücks in leoninischen Hexamctern folgen. Dabei steht für jede Figur voran in Prosa die einleitende Definition des Originals, an Stelle der Prosabeispiele des Originals erscheinen dann versifizierte Beispiele. Wie der Prolog ausspricht, soll der Anfänger, um sich die Einprägung der Figuren xu erleichtern, diese Memorialverse auswendig lernen. An sich gewiß ein unschuldiges Vergnügen. Aber eine Arbeit wie die vorliegende in Anjou oder wenigstens in Frank- reich entstandene und die Unterrichtspraxis, der sie dient, leisteten der dem Mittelalter eigenen Unfähigkeit, Stilgrenzen einzuhalten, Vorschub und beförderten dic in der mittellateinischen Literatur nur allzu verbreitete 1 Vgl. Marx, Prolegom. Addenda S. VI. 2 Nach dem von Schanx a.a. O. § 197a, S. 472 Mitte angeführten Nach- weis der mir unzugänglichen Schrift: J. Simon, Die Handschriften der Rhe- torik an Herennius. I. Gymnasialprogr. Schweinfurt 1863, S. 7 Anm. 2. 3 Vgl. Moriz Haupt, Berichte d. kgl. sächs. Gesellsch. d. Wissenschaften, 2. Bd. (1848), Leipxig 1849, S. 53—58. Die bei der Complexio als Beispiel gegebenen Verse über die Leute von Anjou lauten (S. 54): Qui sunt qui pugnant audaciter? Andagavenses. Qui sunt qui superant inimicos? Andagavenses. Qui sunt qui parcunt superatis? Andagavenses. Egregios igitur livor neget Andagavenses.
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68 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. Gewohnheit, den poetischen Ausdruck in rhetorischem Flitter zu suchen, deren Quelle freilich weit zurückliegt in der frühen Antike. Solche Versifikationen zeigen, wie lebhaft man sich damals um ein lebendiges Verständnis und gedächtnismäßige Aneignung der Lehren des Herennius-Buchs bemühte. Ohne Zweifel hat man auch schon in jener Zeit die überkommenen Glossen und Erläuterungen zusammengestellt und vermehrt. Scholien zu der ganzen Rhetorik verschiedenen Alters finden sich in einer Stockholmer Handschrift, die in den Jahren 1465—1485 zu Laon und Paris von dem Kanonikus Johannes Poulain geschrieben ward. Wieviel davon auf mittelalterliche Uberlieferung zurückgeht, ist noch festzustellen 1. Nach der Mitte des 13. Jahrhunderts greift die Herennius-Rhetorik ein in die Gestaltung der Landessprachen. Immer umleuchtete 1 Vgl. M. Wisén, De scholiis rhetorices ad Herennium codice Holmiensi traditis. Dissertation, Upsala 1905. Nach S. 3 lautet die Rubrik dieses Kom- mentars: Incipit apparatus Grillii et aliorum expositorum supra secundam rhetoricam Tullii, und es folgt in der Handschrift auf Ciceros De inventione' mit angeschlossenem Kommentar des Marius Victorinus die Herennius-Rhetorik nebst Scholien, xuletxt Boethius De differentiis topicorum Buch 4. Die Scholien aus verschiedenartigen Bestandteilen — es wird auch schon Lorenzo Valla ge- nannt (S. 9) — will Wisén teilweise wenigstens wirklich auf Grillius zurück- führen, ohne xu entscheiden, was etwa diesem gehöre (S. 23). Dieser Annahme dienen xur Stütze zwei Beobachtungen (S. 7; 9 Anm. 3; 24ff.): I) der Würz- burger Handschrift des 9./10. Jahrhunderts (s. oben S. 59), den Scholien der Venetianischen Inkunabel von 1481 (Marx, Prolegom. S. 60) und dem Kom- mentar des Johannes Poulain sei in den Rubriken der einzelnen Textabschnitte ein Wortlaut gemeinsam, der vielfach nur aus diesem Kommentar verständlich werde (x. B. IV 19, 26 Articulus grauis; 21, 29 Adnominatio humilis: vgl. Wisén S. 54f.) und dadurch bexeuge, daß eben dieser Kommentar (des Grillius) schon der Würzburger Handschrift vorlag; 2) die häufige Nennung Vergils im Kommentar passe gut xu Grillius als Verfasser, weil Priscian von diesem ein Buch xitiert unter dem Titel Grillius ad Vergilium de accentibus. Das ist keineswegs zwingend. Mehr Gewicht beixulegen hat man der Angabe Wiséns (S 93f.), daß ein Mediceo-Laurentianus des 13. Jahrhunderts (plut. 90 sup., Nr. 87; Bandini, Catalog. cod. lat. III 673) und ebenso, wenn auch in gerin- gerem Maße, ein anderer des 12. Jahrhunderts (cod. 38 bibl. Strozx.) die Heren- nius-Rhetorik mit verschiedenartigen Marginalscholien enthalten, die teilweise sich mit Scholien der Sammlung des Johannes Poulain decken. Es bedürfte eingehender Analyse und Charakteristik des bunten Scholienmaterials in der Sammlung des Johannes Poulain, um erkennen zu können, ob wirklich darin Stücke eines alten Kommentars xur Herennius-Rhetorik von Grillius enthalten sind. An sich wäre die Existenx eines solchen Kommentars, da Grillius ja De inventione' kommentiert hat (s. Hosius bei Schanx, Gesch. d. röm. Lit. IV 2 (1920), § 1122, S. 263f.), ganx natürlich. Sie würde beweisen, daß auch er wie Hieronymus De inventione und das Herennius-Buch als eng verbundene Werke Ciceros in einem Kodex benutzt hat.
68 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. Gewohnheit, den poetischen Ausdruck in rhetorischem Flitter zu suchen, deren Quelle freilich weit zurückliegt in der frühen Antike. Solche Versifikationen zeigen, wie lebhaft man sich damals um ein lebendiges Verständnis und gedächtnismäßige Aneignung der Lehren des Herennius-Buchs bemühte. Ohne Zweifel hat man auch schon in jener Zeit die überkommenen Glossen und Erläuterungen zusammengestellt und vermehrt. Scholien zu der ganzen Rhetorik verschiedenen Alters finden sich in einer Stockholmer Handschrift, die in den Jahren 1465—1485 zu Laon und Paris von dem Kanonikus Johannes Poulain geschrieben ward. Wieviel davon auf mittelalterliche Uberlieferung zurückgeht, ist noch festzustellen 1. Nach der Mitte des 13. Jahrhunderts greift die Herennius-Rhetorik ein in die Gestaltung der Landessprachen. Immer umleuchtete 1 Vgl. M. Wisén, De scholiis rhetorices ad Herennium codice Holmiensi traditis. Dissertation, Upsala 1905. Nach S. 3 lautet die Rubrik dieses Kom- mentars: Incipit apparatus Grillii et aliorum expositorum supra secundam rhetoricam Tullii, und es folgt in der Handschrift auf Ciceros De inventione' mit angeschlossenem Kommentar des Marius Victorinus die Herennius-Rhetorik nebst Scholien, xuletxt Boethius De differentiis topicorum Buch 4. Die Scholien aus verschiedenartigen Bestandteilen — es wird auch schon Lorenzo Valla ge- nannt (S. 9) — will Wisén teilweise wenigstens wirklich auf Grillius zurück- führen, ohne xu entscheiden, was etwa diesem gehöre (S. 23). Dieser Annahme dienen xur Stütze zwei Beobachtungen (S. 7; 9 Anm. 3; 24ff.): I) der Würz- burger Handschrift des 9./10. Jahrhunderts (s. oben S. 59), den Scholien der Venetianischen Inkunabel von 1481 (Marx, Prolegom. S. 60) und dem Kom- mentar des Johannes Poulain sei in den Rubriken der einzelnen Textabschnitte ein Wortlaut gemeinsam, der vielfach nur aus diesem Kommentar verständlich werde (x. B. IV 19, 26 Articulus grauis; 21, 29 Adnominatio humilis: vgl. Wisén S. 54f.) und dadurch bexeuge, daß eben dieser Kommentar (des Grillius) schon der Würzburger Handschrift vorlag; 2) die häufige Nennung Vergils im Kommentar passe gut xu Grillius als Verfasser, weil Priscian von diesem ein Buch xitiert unter dem Titel Grillius ad Vergilium de accentibus. Das ist keineswegs zwingend. Mehr Gewicht beixulegen hat man der Angabe Wiséns (S 93f.), daß ein Mediceo-Laurentianus des 13. Jahrhunderts (plut. 90 sup., Nr. 87; Bandini, Catalog. cod. lat. III 673) und ebenso, wenn auch in gerin- gerem Maße, ein anderer des 12. Jahrhunderts (cod. 38 bibl. Strozx.) die Heren- nius-Rhetorik mit verschiedenartigen Marginalscholien enthalten, die teilweise sich mit Scholien der Sammlung des Johannes Poulain decken. Es bedürfte eingehender Analyse und Charakteristik des bunten Scholienmaterials in der Sammlung des Johannes Poulain, um erkennen zu können, ob wirklich darin Stücke eines alten Kommentars xur Herennius-Rhetorik von Grillius enthalten sind. An sich wäre die Existenx eines solchen Kommentars, da Grillius ja De inventione' kommentiert hat (s. Hosius bei Schanx, Gesch. d. röm. Lit. IV 2 (1920), § 1122, S. 263f.), ganx natürlich. Sie würde beweisen, daß auch er wie Hieronymus De inventione und das Herennius-Buch als eng verbundene Werke Ciceros in einem Kodex benutzt hat.
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III. Die zweite Briefmustersammlung. 69 sie ja und hob sie der Glanx des Namens Tullius. Denn niemand hat damals und auch in der ganzen Renaissance bis auf Lorenzo Valla den leisesten Zweifel an der Autorschaft Ciceros geäußert. Wenig beachtet, indessen von hoher bildungsgeschichtlicher Bedeutung ist es, daß in italienischer Sprache unter dem Titel Rettorica nuova di Tullio ein Ausxug daraus verfaßt und vor 1266 König Manfred, dem Sohn Kaiser Friedrichs II., gewidmet wurde1. Damit kommen wir unmittelbar in die Sphäre der staufischen Publixistik, die so starkes Gewicht auf volltönige Diktion und rhythmischen Schwung legte2. Rhetorica nova war jetzt an Stelle von Rhetorica secunda der Name des Herennius-Kompendiums im Unterschied von der Rhetorica vetus, wie hinfort die bisher Rhetorica prima genannte Schrift 'De inventione hieß3. Aber auch auf der politischen Gegenseite lebte ein reges Interesse für die Rhetoriken des Tullius. Der guelfisch gesinnte Florentiner Brunetto Latini, der durch seinen Trésor der Lehrer Dantes wurde, übertrug zwischen 1266/68 und 1282 das erste Buch von De inventione' ins Italienische und begleitete seine Ubersetzung mit einem ausführlichen Kommentar4. Annähernd gleichzeitig übersetzte der französische Ritter vom Hospitaliterorden des heiligen Johannes von Jerusalem Jean d'Antioche beide Rhetoriken auf Verlangen des Bruders Guillaume de Saint-Étienne in seine Muttersprache und vollendete diese Arbeit 1282 im Ordenshause von Accon5. 1 Vgl. Adolf Gaspary, Geschichte der italien. Literatur I (1885), S. 186. 503. Als Verfasser wird in den Handschriften teils der Florentiner Bono Giamboni, teils der Bolognese Fra Guidotto genannt, vielleicht ist dem letzteren die Bearbeitung in lateinischer Sprache, dem Ersteren deren Ubersetzung zu- zuschreiben. Als Titel erscheint in den Handschriften auch Fiore di Rettorica. 2 Es sei hier nochmals hingewiesen auf das ungemein förderliche Buch von Hampe (s. oben S. 7 Anm. und Vom Mittelalt. x. Reformat. II, 1, 1913, S. 16f. Anm.) und die Arbeit von seinem Schüler Eugen Müller: Beiträge zur Kenntnis der öffentlichen Meinung während des Interregnums, Heidelberger Dissert. 1912; Peter von Prexxa, ein Publixist des Interregnums, Heidelberg, Carl Winter, 1913. 3 Marx, Prolegom. S. 15. 52f. 4 Gaspary a. a. O. S. 186. 503. 5 Vgl. L. Delisle, Notices et extraits des manuscrits de la Bibliothèque nationale, Tome 36 (Paris 1899), S. 207—265, und Histoire littéraire de la France, Tome 33 (Paris 1906), S. 2—17. Nach Delisle (S. 208f.) hat der Uber- setxer beide Schriften als Einheit behandelt, die er in sechs Bücher teilte, von denen die ersten beiden De inventione, die letzten vier die Herennius-Rhetorik umfaßten. Falls hier kein Irrtum Delisles vorliegt, hätte also der Ubersetzer die nach Marx in der mittelalterlichen Uberlieferung herrschende Sechsteilung des Herennius-Kompendiums mit der von ihrem Verfasser beabsichtigten und vorgeschriebenen Vierteilung vertauscht. Das würde auf ein nicht gewöhnliches Maß von Aufmerksamkeit und Kritik schließen lassen.
III. Die zweite Briefmustersammlung. 69 sie ja und hob sie der Glanx des Namens Tullius. Denn niemand hat damals und auch in der ganzen Renaissance bis auf Lorenzo Valla den leisesten Zweifel an der Autorschaft Ciceros geäußert. Wenig beachtet, indessen von hoher bildungsgeschichtlicher Bedeutung ist es, daß in italienischer Sprache unter dem Titel Rettorica nuova di Tullio ein Ausxug daraus verfaßt und vor 1266 König Manfred, dem Sohn Kaiser Friedrichs II., gewidmet wurde1. Damit kommen wir unmittelbar in die Sphäre der staufischen Publixistik, die so starkes Gewicht auf volltönige Diktion und rhythmischen Schwung legte2. Rhetorica nova war jetzt an Stelle von Rhetorica secunda der Name des Herennius-Kompendiums im Unterschied von der Rhetorica vetus, wie hinfort die bisher Rhetorica prima genannte Schrift 'De inventione hieß3. Aber auch auf der politischen Gegenseite lebte ein reges Interesse für die Rhetoriken des Tullius. Der guelfisch gesinnte Florentiner Brunetto Latini, der durch seinen Trésor der Lehrer Dantes wurde, übertrug zwischen 1266/68 und 1282 das erste Buch von De inventione' ins Italienische und begleitete seine Ubersetzung mit einem ausführlichen Kommentar4. Annähernd gleichzeitig übersetzte der französische Ritter vom Hospitaliterorden des heiligen Johannes von Jerusalem Jean d'Antioche beide Rhetoriken auf Verlangen des Bruders Guillaume de Saint-Étienne in seine Muttersprache und vollendete diese Arbeit 1282 im Ordenshause von Accon5. 1 Vgl. Adolf Gaspary, Geschichte der italien. Literatur I (1885), S. 186. 503. Als Verfasser wird in den Handschriften teils der Florentiner Bono Giamboni, teils der Bolognese Fra Guidotto genannt, vielleicht ist dem letzteren die Bearbeitung in lateinischer Sprache, dem Ersteren deren Ubersetzung zu- zuschreiben. Als Titel erscheint in den Handschriften auch Fiore di Rettorica. 2 Es sei hier nochmals hingewiesen auf das ungemein förderliche Buch von Hampe (s. oben S. 7 Anm. und Vom Mittelalt. x. Reformat. II, 1, 1913, S. 16f. Anm.) und die Arbeit von seinem Schüler Eugen Müller: Beiträge zur Kenntnis der öffentlichen Meinung während des Interregnums, Heidelberger Dissert. 1912; Peter von Prexxa, ein Publixist des Interregnums, Heidelberg, Carl Winter, 1913. 3 Marx, Prolegom. S. 15. 52f. 4 Gaspary a. a. O. S. 186. 503. 5 Vgl. L. Delisle, Notices et extraits des manuscrits de la Bibliothèque nationale, Tome 36 (Paris 1899), S. 207—265, und Histoire littéraire de la France, Tome 33 (Paris 1906), S. 2—17. Nach Delisle (S. 208f.) hat der Uber- setxer beide Schriften als Einheit behandelt, die er in sechs Bücher teilte, von denen die ersten beiden De inventione, die letzten vier die Herennius-Rhetorik umfaßten. Falls hier kein Irrtum Delisles vorliegt, hätte also der Ubersetzer die nach Marx in der mittelalterlichen Uberlieferung herrschende Sechsteilung des Herennius-Kompendiums mit der von ihrem Verfasser beabsichtigten und vorgeschriebenen Vierteilung vertauscht. Das würde auf ein nicht gewöhnliches Maß von Aufmerksamkeit und Kritik schließen lassen.
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70 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. Eine ganz neue, vertiefte Bedeutung gewann das Zwillingspaar alt- römischer Rhetorik für die Bahnbrecher der italienischen Renaissance. Ihnen war gerade die Herennius-Rhetorik eine hochwillkommene Fund- grube geschichtlicher Belehrung über die großen Erlebnisse und die großen Führer des römischen Altertums wie über die Anfänge der römischen Dichtung, Geschichtschreibung und Beredsamkeit. Namentlich aber mußte sie, die Schöpfer des Bewußtseins der nationalen Einheit und die Wecker der geistigen nationalen Wiedergeburt Italiens, mächtig anziehen und befriedigen die so stark betonte nationalrömische Gesinnung des Verfassers der Herennius-Rhetorik. Dante selbst kannte zweifellos sowohl die alte als die neue Rhetorik des Tullius, wenn er auch anscheinend die Schrift De inventione als noua rhetorica anführt, abweichend vom herrschenden Brauch, der sie rhetorica prima oder vetus nannte 1. Petrarca besaß in seiner Bibliothek eine reichhaltige Sammelhandschrift Ciceronischer Schriften, die sich jetzt in der Stadtbibliothek von Troyes befindet2. Sie bietet durch die Werke, die sie vereinigt, und durch einen beigegebenen Abriß über Leben, Taten, wissenschaftliche Bedeutung, Schriften und Ende des großen Redners ge- radexu eine kleine Cicero-Enzyklopädie. Petrarca hat der darin ent- haltenen Epythoma de uita, gestis, scientie prestantia et libris ac fine uiri clarissimi ac illustris Marchi Tullii Ciceronis kritische Randbemer- kungen hinzugefügt, die sein genaues Studium des geliebten Meisters und ein verhältnismäßig sehr gründliches Wissen bekundens. Die Handschrift selbst umfaßte früher nach Ausweis des alten gleichzeitigen Inhaltsver- zeichnisses auch den liber Rhetorice noue eiusdem Tulii und den liber Rhetorice ueteris eiusdem Tulii; jetzt fehlen beide. Die Gesamtüber- sicht der schriftstellerischen Tätigkeit Ciceros in der Epitoma erwähnt natürlich beide; dabei ist irrig zur ars vetus, dem Buch De inventione', ein ad Herennium beigesetzt, was Petrarca am Rande rigt. Daß aber beide echte Schriften des von ihm genau gekannten Cicero seien, dessen Stil er doch so gründlich studiert hatte, daran ist Petrarca niemals ein Zweifel aufgestiegen, und ein Bedenken hinsichtlich der Rhetorik an Herennius, wie es später Lorenxo Valla4 begründete, lag ihm gleich den 1 Marx, Prolegom. S. 53. Vgl. Dante, De monarchia II 5 Anfang, ed. Moore, Oxford 1904, S. 354, Z. 15ff. (Zitat aus De inventione I 38, 68); Brief an Can Grande, Kap. 19 Anfang, ed. Moore S. 417 (Zitat aus De inven- tione I 15, 20. 21). 2 Vgl. Pierre De Nolhac, Pétrarque et l'humanisme [2. édition], Paris 1907, I, S. 226—246. 3 De Nolhac a. a. O. S. 232 ff. 4 Lorenzo Valla hatte vor 1445 eine Schrift über die Rhetorik an Herennius verfaßt, worin er den Widerspruch der im Prooemium des vierten Buchs vorgetragenen Ansicht mit Ciceros Praxis und Theorie in seinen übrigen rhetorischen Schriften aufdeckte. Diese Schrift scheint verloren zu sein. Auf
70 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. Eine ganz neue, vertiefte Bedeutung gewann das Zwillingspaar alt- römischer Rhetorik für die Bahnbrecher der italienischen Renaissance. Ihnen war gerade die Herennius-Rhetorik eine hochwillkommene Fund- grube geschichtlicher Belehrung über die großen Erlebnisse und die großen Führer des römischen Altertums wie über die Anfänge der römischen Dichtung, Geschichtschreibung und Beredsamkeit. Namentlich aber mußte sie, die Schöpfer des Bewußtseins der nationalen Einheit und die Wecker der geistigen nationalen Wiedergeburt Italiens, mächtig anziehen und befriedigen die so stark betonte nationalrömische Gesinnung des Verfassers der Herennius-Rhetorik. Dante selbst kannte zweifellos sowohl die alte als die neue Rhetorik des Tullius, wenn er auch anscheinend die Schrift De inventione als noua rhetorica anführt, abweichend vom herrschenden Brauch, der sie rhetorica prima oder vetus nannte 1. Petrarca besaß in seiner Bibliothek eine reichhaltige Sammelhandschrift Ciceronischer Schriften, die sich jetzt in der Stadtbibliothek von Troyes befindet2. Sie bietet durch die Werke, die sie vereinigt, und durch einen beigegebenen Abriß über Leben, Taten, wissenschaftliche Bedeutung, Schriften und Ende des großen Redners ge- radexu eine kleine Cicero-Enzyklopädie. Petrarca hat der darin ent- haltenen Epythoma de uita, gestis, scientie prestantia et libris ac fine uiri clarissimi ac illustris Marchi Tullii Ciceronis kritische Randbemer- kungen hinzugefügt, die sein genaues Studium des geliebten Meisters und ein verhältnismäßig sehr gründliches Wissen bekundens. Die Handschrift selbst umfaßte früher nach Ausweis des alten gleichzeitigen Inhaltsver- zeichnisses auch den liber Rhetorice noue eiusdem Tulii und den liber Rhetorice ueteris eiusdem Tulii; jetzt fehlen beide. Die Gesamtüber- sicht der schriftstellerischen Tätigkeit Ciceros in der Epitoma erwähnt natürlich beide; dabei ist irrig zur ars vetus, dem Buch De inventione', ein ad Herennium beigesetzt, was Petrarca am Rande rigt. Daß aber beide echte Schriften des von ihm genau gekannten Cicero seien, dessen Stil er doch so gründlich studiert hatte, daran ist Petrarca niemals ein Zweifel aufgestiegen, und ein Bedenken hinsichtlich der Rhetorik an Herennius, wie es später Lorenxo Valla4 begründete, lag ihm gleich den 1 Marx, Prolegom. S. 53. Vgl. Dante, De monarchia II 5 Anfang, ed. Moore, Oxford 1904, S. 354, Z. 15ff. (Zitat aus De inventione I 38, 68); Brief an Can Grande, Kap. 19 Anfang, ed. Moore S. 417 (Zitat aus De inven- tione I 15, 20. 21). 2 Vgl. Pierre De Nolhac, Pétrarque et l'humanisme [2. édition], Paris 1907, I, S. 226—246. 3 De Nolhac a. a. O. S. 232 ff. 4 Lorenzo Valla hatte vor 1445 eine Schrift über die Rhetorik an Herennius verfaßt, worin er den Widerspruch der im Prooemium des vierten Buchs vorgetragenen Ansicht mit Ciceros Praxis und Theorie in seinen übrigen rhetorischen Schriften aufdeckte. Diese Schrift scheint verloren zu sein. Auf
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III. Die zweite Briefmustersammlung. 71 Zeitgenossen noch fern. Von der ars noua, also der wirklichen Herennius- Rhetorik, wie Petrarca am Rande berichtigend hervorhebt, sagt der Ver- fasser der Epitoma ganx treffend1: in ihr gibt Cicero Beispiele der Beredsamkeit und erörtert die Figuren und Formen des kunstvollen Ausdrucks'. Diese Sammelhandschrift von Troyes, die Petrarcas Augen im stillen Häuschen des Tals Vaucluse bis zur Ubersiedlung nach Italien (1353) so oft und so lange durchspürt haben, bedecken an den verschiedensten Textstellen zahllose Randnotizen von seiner Hand. Sie sind ein ergrei- fendes Denkmal seines unermüdlichen Ringens, sich durch eindringliche, immer erneute Vertiefung in Leben und Schriften des zum Führer Er- kornen den Weg zu bahnen, der in seine Nähe führte, der eine ihm ebenbürtige Form des Stils und die Krone der Humanität verhieß. Da wirkt nun xauberhaft erleuchtend ein genauer Einblick in diese Cicero- Anthologie, den wir der feinsinnigen Beobachtung Pierre de Nolhacs verdanken. Eingestreut finden wir in ihr jene schönen, tiefen und ge- rechten Lobesworte, die Augustin in seinen Konfessionen dem Redner und Philosophen Cicero spendet, der ihm, dem nach Humanität au) religiösem Grunde inbrünstig Verlangenden, schon im Katechumenat seit dem neunzchnten Lebensjahre Erwecker zur Liebe der Philosophie und zum Studium der Weisheit, ethischer Helfer, Befreier von eiteln Hoff- nungen, Umwandler seines Innern und Führer zu Gott gewesen war durch scinen Hortensius 2. Unmittelbar an jene Worte schließt sich — sie beruft sich aber Raphael Regius 1491 in einer Abhandlung, die mit treffenden Gründen xum erstenmal die Rhetorik Cicero absprach. Vgl. Marx, Prolegom. S. 61—64. 1 De Nolhac a. a. O. S. 234: Scripsit ad Herennium uolumen quod Rhetoricorum intitulatur [daxu Petrarca am Rande: Falsum] diciturque ars uetus, et nouam libris quatuor fes ist auffällig und zeugt von gründlicher Kenntnis des Werks, daß hier die originale Vierteilung angegeben ist statt der durch die Romanianus-Edition eingeführten und von allen Handschriften bei- behaltenen, von den ersten gedruckten Ausgaben übernommenen Sechsteilung!], in quibus dat eloquentie documenta et colores ac modos ponit ornate loquendi (daxu Petrarca am Rande: Hec utique ad Herennium est]. Den Ausdruck colores in diesem Sinne hat die Rhetorik an Herennius nicht, wie er überhaupt in der eigentlichen Terminologie der antiken Rhetorik fehlt (s. Ed. Norden, Die antike Kunstprosa2 II 871 Anm. 2). Doch bietet gerade das Herennius- Buch IV 11, 16 (ed. Marx S. 304, Z. 14—17) ein scharf geprägtes Beispiel für den hergebrachten Vergleich der rednerischen exornatio- nes (d. h. nach unserem Sprachgebrauch: Figuren) mit den Farben (s. darüber auch unten). Das Wort figura wiederum bedeutet beim Anonymus soviel wie genus orationis (IV 8, 11, ed. Marx S. 298, Z. 13ff.): Sunt igitur tria genera, quae genera nos figuras appellamus, in quibus omnis oratio non vitiosa consumitur. 2 G. Krüger bei Schanz a. a. O. S. 404 E betont unter Anführung der
III. Die zweite Briefmustersammlung. 71 Zeitgenossen noch fern. Von der ars noua, also der wirklichen Herennius- Rhetorik, wie Petrarca am Rande berichtigend hervorhebt, sagt der Ver- fasser der Epitoma ganx treffend1: in ihr gibt Cicero Beispiele der Beredsamkeit und erörtert die Figuren und Formen des kunstvollen Ausdrucks'. Diese Sammelhandschrift von Troyes, die Petrarcas Augen im stillen Häuschen des Tals Vaucluse bis zur Ubersiedlung nach Italien (1353) so oft und so lange durchspürt haben, bedecken an den verschiedensten Textstellen zahllose Randnotizen von seiner Hand. Sie sind ein ergrei- fendes Denkmal seines unermüdlichen Ringens, sich durch eindringliche, immer erneute Vertiefung in Leben und Schriften des zum Führer Er- kornen den Weg zu bahnen, der in seine Nähe führte, der eine ihm ebenbürtige Form des Stils und die Krone der Humanität verhieß. Da wirkt nun xauberhaft erleuchtend ein genauer Einblick in diese Cicero- Anthologie, den wir der feinsinnigen Beobachtung Pierre de Nolhacs verdanken. Eingestreut finden wir in ihr jene schönen, tiefen und ge- rechten Lobesworte, die Augustin in seinen Konfessionen dem Redner und Philosophen Cicero spendet, der ihm, dem nach Humanität au) religiösem Grunde inbrünstig Verlangenden, schon im Katechumenat seit dem neunzchnten Lebensjahre Erwecker zur Liebe der Philosophie und zum Studium der Weisheit, ethischer Helfer, Befreier von eiteln Hoff- nungen, Umwandler seines Innern und Führer zu Gott gewesen war durch scinen Hortensius 2. Unmittelbar an jene Worte schließt sich — sie beruft sich aber Raphael Regius 1491 in einer Abhandlung, die mit treffenden Gründen xum erstenmal die Rhetorik Cicero absprach. Vgl. Marx, Prolegom. S. 61—64. 1 De Nolhac a. a. O. S. 234: Scripsit ad Herennium uolumen quod Rhetoricorum intitulatur [daxu Petrarca am Rande: Falsum] diciturque ars uetus, et nouam libris quatuor fes ist auffällig und zeugt von gründlicher Kenntnis des Werks, daß hier die originale Vierteilung angegeben ist statt der durch die Romanianus-Edition eingeführten und von allen Handschriften bei- behaltenen, von den ersten gedruckten Ausgaben übernommenen Sechsteilung!], in quibus dat eloquentie documenta et colores ac modos ponit ornate loquendi (daxu Petrarca am Rande: Hec utique ad Herennium est]. Den Ausdruck colores in diesem Sinne hat die Rhetorik an Herennius nicht, wie er überhaupt in der eigentlichen Terminologie der antiken Rhetorik fehlt (s. Ed. Norden, Die antike Kunstprosa2 II 871 Anm. 2). Doch bietet gerade das Herennius- Buch IV 11, 16 (ed. Marx S. 304, Z. 14—17) ein scharf geprägtes Beispiel für den hergebrachten Vergleich der rednerischen exornatio- nes (d. h. nach unserem Sprachgebrauch: Figuren) mit den Farben (s. darüber auch unten). Das Wort figura wiederum bedeutet beim Anonymus soviel wie genus orationis (IV 8, 11, ed. Marx S. 298, Z. 13ff.): Sunt igitur tria genera, quae genera nos figuras appellamus, in quibus omnis oratio non vitiosa consumitur. 2 G. Krüger bei Schanz a. a. O. S. 404 E betont unter Anführung der
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72 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. nach der Bexeichnung der Titelrubrik — das erste Buch der Ciceroni- schen Schrift 'Vom Lobe und der Verteidigung der Philosophie, worin Lucullus xu Hortensius spricht' (d. h. in Wahrheit das gewöhnlich Lucullus betitelte erste Buch der Academica priora'). Die genannte Epitoma bespricht den Inhalt der 'Dialoge an Hortensius sowie Augustins Studium dieses Werks, und Petrarca stößt daxu am Rande den sehn- süchtigen Ruf aus: Wäre dieses Buch doch hier in dieser Sammlung! Nachträglich, aber mit ersichtlich um mehrere Jahre späteren Schriftzügen berichtigt er die angeführte Titelrubrik Vom Lobe der Philosophie’ folgen- dermaßen: Diese Betitelung, obgleich die übliche, ist dennoch falsch. Es ist nicht das Buch de Laude philosophie [der Hortensius'], son- dern der Schluß der 'Academica'. Denn er hatte inxwischen, wie er in einem seiner Altersbriefe (Epist. sen. XV I) ausführlich erxählt, die eine Zeit lang, obzwar zweifelnd, gehegte Hoffnung, in diesem Stück ein Fragment des eifrig gesuchten Hortensius'-xu besitzen, als auf einem Irrtum beruhend erkannt und die richtige Zuteilung des Stücks gefunden1. Man sieht: über ein Jahrtausend hinweg reichen sich Petrarca und Augustin die Hände in dem Enthusiasmus für ein Buch des römischen Altertums, das wie kein xweites den in Ciceros Schriften am sinn- fälligsten, ja hinreißend verkörperten Geist menschlicher Bildung zum Ausdruck bringt. In voller Klarheit steht so die innere Einheit der humanistischen Bewegung vor uns und ihre geheime Kontinuität. Wie jene Flüsse mit teilweise unterirdischem Lauf, steigt sie zu Zeiten weit- hin sichtbar in die Höhe und sinkt dann wieder in die Tiefe. Aber sie versiegt niemals. Die sinnvolle, kunstreich geformte Rede und der ethisch-religiöse Erkenntnisdrang, das sind ihre beiden Pole, um die sie beständig strömt. Immer wieder erneut sich in ihr deren Gegensatz, der Aussagen Augustins Beata vita 1, 4; Confess. III 4, 7; VI 11, 18; VIII 7, 17, daß Ciceros Hortensius' von ihm nicht nur in den Dialogen von Cassiciacum xitiert und benuixt ist, sondern auch in späteren Schriften (De trinitate; Civitas Dei ; Contra Julianum). Aber er scheint mir bei der unvollständigen Mitteilung des Zeugnisses der Konfessionen und ebenso in seiner Darstellung S. 399 (wie in der Polemik gegen Zielinski Anm. 1) die Lektüre des Ciceronischen Dialogs zu niedrig xu werten mit der Formulierung: 'sie legte den Grund für ethische Vorsätze, eröffnete ihm den Sinn für die Bedeutung der Philosophie als der Führerin xur Wahrheitserkenntnis und kam auch seinem religiösen Sinn entgegen'. Nach der ersten der oben genannten Stellen der Konfessionen war die Wirkung des Hortensius' eine viel tiefere und geradezu religiös er- regende: ille vero liber mutavit affectum meum et ad te ipsum, domine, mu- tavit preces meas, et vota ac desideria mea fecit alia. viluit mihi repente omnia vana spes, et immortalitatem sapientiae concupiscebam aestu cordis incredibili et surgere coeperam, ut ad te redirem ... Quomodo ardebam, deus meus, quomodo ardebam revolare a terrenis ad te! 1 Vgl. De Nolhac a. a. O. S. 228. 233. 244 ff.
72 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. nach der Bexeichnung der Titelrubrik — das erste Buch der Ciceroni- schen Schrift 'Vom Lobe und der Verteidigung der Philosophie, worin Lucullus xu Hortensius spricht' (d. h. in Wahrheit das gewöhnlich Lucullus betitelte erste Buch der Academica priora'). Die genannte Epitoma bespricht den Inhalt der 'Dialoge an Hortensius sowie Augustins Studium dieses Werks, und Petrarca stößt daxu am Rande den sehn- süchtigen Ruf aus: Wäre dieses Buch doch hier in dieser Sammlung! Nachträglich, aber mit ersichtlich um mehrere Jahre späteren Schriftzügen berichtigt er die angeführte Titelrubrik Vom Lobe der Philosophie’ folgen- dermaßen: Diese Betitelung, obgleich die übliche, ist dennoch falsch. Es ist nicht das Buch de Laude philosophie [der Hortensius'], son- dern der Schluß der 'Academica'. Denn er hatte inxwischen, wie er in einem seiner Altersbriefe (Epist. sen. XV I) ausführlich erxählt, die eine Zeit lang, obzwar zweifelnd, gehegte Hoffnung, in diesem Stück ein Fragment des eifrig gesuchten Hortensius'-xu besitzen, als auf einem Irrtum beruhend erkannt und die richtige Zuteilung des Stücks gefunden1. Man sieht: über ein Jahrtausend hinweg reichen sich Petrarca und Augustin die Hände in dem Enthusiasmus für ein Buch des römischen Altertums, das wie kein xweites den in Ciceros Schriften am sinn- fälligsten, ja hinreißend verkörperten Geist menschlicher Bildung zum Ausdruck bringt. In voller Klarheit steht so die innere Einheit der humanistischen Bewegung vor uns und ihre geheime Kontinuität. Wie jene Flüsse mit teilweise unterirdischem Lauf, steigt sie zu Zeiten weit- hin sichtbar in die Höhe und sinkt dann wieder in die Tiefe. Aber sie versiegt niemals. Die sinnvolle, kunstreich geformte Rede und der ethisch-religiöse Erkenntnisdrang, das sind ihre beiden Pole, um die sie beständig strömt. Immer wieder erneut sich in ihr deren Gegensatz, der Aussagen Augustins Beata vita 1, 4; Confess. III 4, 7; VI 11, 18; VIII 7, 17, daß Ciceros Hortensius' von ihm nicht nur in den Dialogen von Cassiciacum xitiert und benuixt ist, sondern auch in späteren Schriften (De trinitate; Civitas Dei ; Contra Julianum). Aber er scheint mir bei der unvollständigen Mitteilung des Zeugnisses der Konfessionen und ebenso in seiner Darstellung S. 399 (wie in der Polemik gegen Zielinski Anm. 1) die Lektüre des Ciceronischen Dialogs zu niedrig xu werten mit der Formulierung: 'sie legte den Grund für ethische Vorsätze, eröffnete ihm den Sinn für die Bedeutung der Philosophie als der Führerin xur Wahrheitserkenntnis und kam auch seinem religiösen Sinn entgegen'. Nach der ersten der oben genannten Stellen der Konfessionen war die Wirkung des Hortensius' eine viel tiefere und geradezu religiös er- regende: ille vero liber mutavit affectum meum et ad te ipsum, domine, mu- tavit preces meas, et vota ac desideria mea fecit alia. viluit mihi repente omnia vana spes, et immortalitatem sapientiae concupiscebam aestu cordis incredibili et surgere coeperam, ut ad te redirem ... Quomodo ardebam, deus meus, quomodo ardebam revolare a terrenis ad te! 1 Vgl. De Nolhac a. a. O. S. 228. 233. 244 ff.
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III. Die zweite Briefmustersammlung. 73 in dem alten, nie geschlichteten Streit zwischen griechischen wie lateini- schen Philosophen und Rhetoren, zwischen mittelalterlichen Dialektikern und Auctores-Verehrern, danach im Zeitalter der Renaissance zwischen Scholastikern und 'Poeten' sich auslebt, und auch später, bis in unsere Tage, unter anderen Namen kaum verändert fortdauert. In dem regelrechten Betrieb des rhetorischen Studiums kam Augustin, wie er in seinen Konfessionen berichtet, an das Buch Hortensius'. Das wühlte sein Inneres um. Es riß ihn aus der Rhetoreneitelkeit empor zum heiligen Dienst der Wahrheit, die unsterblich ist. Es veränderte seinen Sinn und sein Wünschen und lenkte ihn zu Gott. Es entzündete in seinem Herzen eine unbeschreibliche Glut der Liebe für die ewige Weisheit. Nicht mehr, um seine Sprache xu schärfen, las er dies Buch. Nicht seine Form, sein Inhalt hatte ihn bezaubert. Der hatte ihn ent- flammt xur wahren Philosophie, die so viel bedeutet als Liebe der Weis- heit, und nach Hiob 12, 13. 16 ist diese Weisheit bei Gott. Vor der falschen Philosophie, die ihren großen und ehrwürdigen Namen miß- braucht, um durch geschminkte Irrtümer zu verführen, hatte jenes Buch Ciceros in ausführlicher Erörterung gewarnt und so den Lesenden erfüllt mit der Mahnung des göttlichen Geistes, wie er sie erst später aus dem Munde des Apostels (Kol. 2, 8) vernehmen sollte: sich nicht durch Nichtig- keiten der Philosophenschulen täuschen zu lassen. So ward Ciceros Wortkunst ihm die leuchtende Schale, der er die goldene Frucht religiöser Humanität entnahm, und sie wuchs ihm zur Brücke des Aufstiegs zu Gott. Aber gewiß färbt diese Darstellung der Konfessionen das Erlebnis des Neunzehnjährigen im Sinne der gefestigten Christlichkeit seiner Reife, als er in der Abkehr vom Weltlichen das Heil sah, und sie drängt den Eindruck aurück, den, wie die mehrere Jahre später entstandenen Dialoge von Cassiciacum bekunden, gerade der humanistische Charakter und die vollendete ästhetische Form des Hortensius' auf den Suchen- den, Werdenden, platonischem und neuplatonischem Schönheitskult sich Öffnenden xweifellos gemacht hat1. Anderseits darf man nicht verkennen: Petrarca sah in Augustin seinen Vorläufer und Verbündeten im Kultus Ciceros und der religiösen Humanität; aber er ging den Weg Augustins in umgekehrter Richtung; ihm war und wurde je länger je mehr die Rhetorik, die Kunst der schönen Rede und der stilistischen Form ein 1 Eduard Norden in seiner verständnisvollen und warmen geschichtlichen Würdigung Augustins (Die lateinische Literatur im Ubergang vom Altertum zum Mittelalter, Hinnebergs Kultur der Gegenwart, Teil I, Abt. 8, 2. Aufl. 1907, S. 419ff.) scheint mir den unmittelbaren und persönlichen Einfluß Platons etwas zu überschätzen, anderseits Ciceros (und des hinter ihm stehenden Posei- donios) Bedeutung wie insbesondere die Bedeutung des rhetorischen Studiums nicht hoch genug zu werten. Der ganxe Augustin, auch sein Tiefstes, Bestes, Reinstes, ist eben von rhetorischer Bildung durchdrungen: gerade wie Cicero selbst und wie Petrarca.
III. Die zweite Briefmustersammlung. 73 in dem alten, nie geschlichteten Streit zwischen griechischen wie lateini- schen Philosophen und Rhetoren, zwischen mittelalterlichen Dialektikern und Auctores-Verehrern, danach im Zeitalter der Renaissance zwischen Scholastikern und 'Poeten' sich auslebt, und auch später, bis in unsere Tage, unter anderen Namen kaum verändert fortdauert. In dem regelrechten Betrieb des rhetorischen Studiums kam Augustin, wie er in seinen Konfessionen berichtet, an das Buch Hortensius'. Das wühlte sein Inneres um. Es riß ihn aus der Rhetoreneitelkeit empor zum heiligen Dienst der Wahrheit, die unsterblich ist. Es veränderte seinen Sinn und sein Wünschen und lenkte ihn zu Gott. Es entzündete in seinem Herzen eine unbeschreibliche Glut der Liebe für die ewige Weisheit. Nicht mehr, um seine Sprache xu schärfen, las er dies Buch. Nicht seine Form, sein Inhalt hatte ihn bezaubert. Der hatte ihn ent- flammt xur wahren Philosophie, die so viel bedeutet als Liebe der Weis- heit, und nach Hiob 12, 13. 16 ist diese Weisheit bei Gott. Vor der falschen Philosophie, die ihren großen und ehrwürdigen Namen miß- braucht, um durch geschminkte Irrtümer zu verführen, hatte jenes Buch Ciceros in ausführlicher Erörterung gewarnt und so den Lesenden erfüllt mit der Mahnung des göttlichen Geistes, wie er sie erst später aus dem Munde des Apostels (Kol. 2, 8) vernehmen sollte: sich nicht durch Nichtig- keiten der Philosophenschulen täuschen zu lassen. So ward Ciceros Wortkunst ihm die leuchtende Schale, der er die goldene Frucht religiöser Humanität entnahm, und sie wuchs ihm zur Brücke des Aufstiegs zu Gott. Aber gewiß färbt diese Darstellung der Konfessionen das Erlebnis des Neunzehnjährigen im Sinne der gefestigten Christlichkeit seiner Reife, als er in der Abkehr vom Weltlichen das Heil sah, und sie drängt den Eindruck aurück, den, wie die mehrere Jahre später entstandenen Dialoge von Cassiciacum bekunden, gerade der humanistische Charakter und die vollendete ästhetische Form des Hortensius' auf den Suchen- den, Werdenden, platonischem und neuplatonischem Schönheitskult sich Öffnenden xweifellos gemacht hat1. Anderseits darf man nicht verkennen: Petrarca sah in Augustin seinen Vorläufer und Verbündeten im Kultus Ciceros und der religiösen Humanität; aber er ging den Weg Augustins in umgekehrter Richtung; ihm war und wurde je länger je mehr die Rhetorik, die Kunst der schönen Rede und der stilistischen Form ein 1 Eduard Norden in seiner verständnisvollen und warmen geschichtlichen Würdigung Augustins (Die lateinische Literatur im Ubergang vom Altertum zum Mittelalter, Hinnebergs Kultur der Gegenwart, Teil I, Abt. 8, 2. Aufl. 1907, S. 419ff.) scheint mir den unmittelbaren und persönlichen Einfluß Platons etwas zu überschätzen, anderseits Ciceros (und des hinter ihm stehenden Posei- donios) Bedeutung wie insbesondere die Bedeutung des rhetorischen Studiums nicht hoch genug zu werten. Der ganxe Augustin, auch sein Tiefstes, Bestes, Reinstes, ist eben von rhetorischer Bildung durchdrungen: gerade wie Cicero selbst und wie Petrarca.
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74 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. Werkzeug des Aufschwungs, ein Mittel seelischer und vaterländischer Wiedergeburt, die er erstrebte. b) Die hellenistischen Quellen der Herennius-Rhetorik und der Schrift Ciceros De inventione’. Jone Einheit und heimliche Kontinuität der humanistischen Strömung von Marius Victorinus, Romanianus, dem Augustinschüler, Cicero- Kommentator und Vergil-Verehrer Favonius Eulogius und Hieronymus zu den Gelehrten der sogenannten ostgotischen, altirischen, altenglischen, karolingischen, ottonischen und der späteren französisch-englischen Renais- sance in den Schulen von Chartres und Orléans, daneben und nachher xu den italienischen Meistern der Ars dictandi in Monte Cassino, an der päpstlichen Kurie, in Bologna enthüllt sich uns deutlicher noch als durch das Fortleben der Schriften Ciceros an den Schicksalen der Rhetorik für Herennius. Ihr hochverdienter letzter Herausgeber hat ihren Urheber sehr niedrig eingeschätzt1. Er sieht in ihm einen kaum dem Knabenalter entwach- senen Jüngling aus gutem, plebejischem Hause, der für einen Verwandten, eben den C. Herennius, gleichfalls plebejischen Geschlechts, aus nachge- schriebenen Lehrvorträgen eines römischen Rhetors seinen Leitfaden ohne eigene Erfindung xusammengestellt hat. Die Diktate dieses Lehrers hat er bald Wort für Wort, bald mit leichten Anderungen und Zusätzen wiedergegeben. Einmal beruft er sich ausdrücklich auf ihn mit einem doctor noster (I 11, 18). Wiederholt bietet er Grundsätze, Regeln, Mahnungen nicht, als ob er selber lehre, sondern sichtlich als eben empfangene Unterweisung, die er an seinen Verwandten weiterreicht und mit ihm in gemeinsamer rhetorischer Ubung praktisch erproben und bewähren will. Darstellung und Stil sind nach Marxens Urteil unreif, ja kindlich. Die Diktion nüchtern, holprig, teilweise vulgär und alter- tümlich. Die Ubergänge von einem Abschnitt zum andern ungeschickt. Nur in dem Prooemium xu dem für uns wichtigsten vierten Buch, der Lehre von der Elocutio2, wird ein höheres geistiges Niveau bemerklich. Ein großer Aufwand von Worten dient hier mit Scharfsinn und Ge- lehrsamkeit der Beweisführung für die These, daß eine Theorie der Redekunst nicht, wie die griechischen Rhetoren es meistens tun und zu rechtfertigen suchen, als Muster Beispiele aus andern Dichtern und Schrift- stellern für die vorgetragenen Lehren und Regeln, sondern selbstgeschaffene Sätze beibringen müsse. Da überdies die im Text des vierten Buchs folgen- den Ausführungen diesem Standpunkt widersprechen und viele fremde 1 Marx, Prolegom. S. 84 ff. 2 Dieses Buch ist von der gesamten handschriftlichen Uberlieferung in drei Bücher geteilt worden auf Grund des aus der Romanianus-Edition (s. oben S. 59f.) geflossenen Archetypus.
74 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. Werkzeug des Aufschwungs, ein Mittel seelischer und vaterländischer Wiedergeburt, die er erstrebte. b) Die hellenistischen Quellen der Herennius-Rhetorik und der Schrift Ciceros De inventione’. Jone Einheit und heimliche Kontinuität der humanistischen Strömung von Marius Victorinus, Romanianus, dem Augustinschüler, Cicero- Kommentator und Vergil-Verehrer Favonius Eulogius und Hieronymus zu den Gelehrten der sogenannten ostgotischen, altirischen, altenglischen, karolingischen, ottonischen und der späteren französisch-englischen Renais- sance in den Schulen von Chartres und Orléans, daneben und nachher xu den italienischen Meistern der Ars dictandi in Monte Cassino, an der päpstlichen Kurie, in Bologna enthüllt sich uns deutlicher noch als durch das Fortleben der Schriften Ciceros an den Schicksalen der Rhetorik für Herennius. Ihr hochverdienter letzter Herausgeber hat ihren Urheber sehr niedrig eingeschätzt1. Er sieht in ihm einen kaum dem Knabenalter entwach- senen Jüngling aus gutem, plebejischem Hause, der für einen Verwandten, eben den C. Herennius, gleichfalls plebejischen Geschlechts, aus nachge- schriebenen Lehrvorträgen eines römischen Rhetors seinen Leitfaden ohne eigene Erfindung xusammengestellt hat. Die Diktate dieses Lehrers hat er bald Wort für Wort, bald mit leichten Anderungen und Zusätzen wiedergegeben. Einmal beruft er sich ausdrücklich auf ihn mit einem doctor noster (I 11, 18). Wiederholt bietet er Grundsätze, Regeln, Mahnungen nicht, als ob er selber lehre, sondern sichtlich als eben empfangene Unterweisung, die er an seinen Verwandten weiterreicht und mit ihm in gemeinsamer rhetorischer Ubung praktisch erproben und bewähren will. Darstellung und Stil sind nach Marxens Urteil unreif, ja kindlich. Die Diktion nüchtern, holprig, teilweise vulgär und alter- tümlich. Die Ubergänge von einem Abschnitt zum andern ungeschickt. Nur in dem Prooemium xu dem für uns wichtigsten vierten Buch, der Lehre von der Elocutio2, wird ein höheres geistiges Niveau bemerklich. Ein großer Aufwand von Worten dient hier mit Scharfsinn und Ge- lehrsamkeit der Beweisführung für die These, daß eine Theorie der Redekunst nicht, wie die griechischen Rhetoren es meistens tun und zu rechtfertigen suchen, als Muster Beispiele aus andern Dichtern und Schrift- stellern für die vorgetragenen Lehren und Regeln, sondern selbstgeschaffene Sätze beibringen müsse. Da überdies die im Text des vierten Buchs folgen- den Ausführungen diesem Standpunkt widersprechen und viele fremde 1 Marx, Prolegom. S. 84 ff. 2 Dieses Buch ist von der gesamten handschriftlichen Uberlieferung in drei Bücher geteilt worden auf Grund des aus der Romanianus-Edition (s. oben S. 59f.) geflossenen Archetypus.
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III. Die zweite Briefmustersammlung. 75 Beispiele gerade aus griechischen Schriftstellern, besonders aus der Kranz- rede des Demosthenes, freilich ohne Nennung des Autors, enthalten, schließt Marx, daß in jenem Prooemium nicht der Verfasser rede oder sein Lehrer, dessen Vorlesungen er nachschreibt, sondern eine von diesem benutzte andere griechische Quelle, die verschieden ist von der, die für die vorgetragenen Regeln die Grundlage bildet1. Im Hinblick auf die oben (S. 58 f.) hervorgehobenen vielfachen inhalt- lichen Berührungen zwischen der Herennius-Rhetorik und Ciceros Jugend- schrift De inventione' gelangt Marx zu der Annahme, daß weder eine aus der andern, noch beide einfach aus einer gemeinsamen Quelle schöpfen, sondern beide treue Nachschriften, Schulhefte (nouvýuara oxokiKá)2 gehörter Lehrvorträge zweier römischer Rhetoren (rhetores latini) sind, denen in lateinischer Ubersetzung und wenig ändernder Bearbeitung zwei zwar vielfach dieselben Quellen benutzende, aber gegeneinander pole- misierende griechische Lehrbücher der Rhetorik (réxvai), außerdem auch ältere lateinische artes rhetoricae, wie vielleicht die des M. Antonius zugrunde liegen. Als Ursprungsort dieser beiden griechischen Lehrbücher betrachtet er die Insel Rhodus3. Und mag seine Hypothese über die Art der Quellen zweifelhaft sein, allgemein anerkannt und sicher ist, daß hellenistische, doch daneben auch ältere griechische Redekunst dem rhetorischen Zwillingspaar, das durch die Uberlieferung vicler Jahrhunderte unter dem Namen Ciceros verbunden war, den Grundbestandteil des Stoffes und seiner Behandlung geliefert hat4. Und sicher ist auch ein zweites: die entscheidende Prägung der in diesen beiden fast gleichzeitigen rhetorischen Schriften vorgetragenen Theorie stammt aus Rhodus5. 1 Marx, Prolegom. S. 112—115. 2 Uber diese Hypomnemata (lateinisch commentarii) als literarische Gattung und ihren stilistischen Charakter vgl. v. Wilamowitx, Die griechische Literatur des Altertums, Hinnebergs Kultur der Gegenwart, Teil I, Abt. 82 (1907), S. 89. 96. 153. 3 Marx, Rheinisches Museum für Philologie, 46. Bd. (1891), S. 423—425. Derselbe, Prolegom. S. 78. 80—82. 85. 122. 127. 151. 157. 159. 161. 4 Vgl. darüber außer den oben S. 58 Anm. 1 genannten Schriften nament- lich Georg Thiele, Hermagoras. Ein Beitrag zur Geschichte der Rhetorik. Straßburg 1893, S. 16—18. 90—143 (Rekonstruktion des Lehrbuchs des Herma- goras aus Ciceros De inventione und dem die Lehre von der Erfindung be- handelnden Teil des Herennius-Kompendiums: Argumentationstheorie; Teile der Rede); ferner die gelehrte und scharfsinnige Abhandlung von Paul Wend- land, Quaestiones Rhetoricae, Göttinger Preisverkündungsprogramm 1914, S. 5f. 19f.; endlich Karl Aulitzky, Apsines, Tepì èAéoU, Wiener Studien, 39. Jahrg. 1917, S. 28—39. 5 Das erweisen die mehrfachen sachlichen und persönlichen Bexichungen und Zitate in beiden Schriften: De inventione I 30, 47; 56, 109; II 29, 87; 32, 98; Ad Her. II 31, 50; IV 6, 9 (Chares, der Erxbildner des Helios-Kolosses von Rhodus); 44, 57: s. Marx, Prolegom. S. 157—162 (daxu S. 124).
III. Die zweite Briefmustersammlung. 75 Beispiele gerade aus griechischen Schriftstellern, besonders aus der Kranz- rede des Demosthenes, freilich ohne Nennung des Autors, enthalten, schließt Marx, daß in jenem Prooemium nicht der Verfasser rede oder sein Lehrer, dessen Vorlesungen er nachschreibt, sondern eine von diesem benutzte andere griechische Quelle, die verschieden ist von der, die für die vorgetragenen Regeln die Grundlage bildet1. Im Hinblick auf die oben (S. 58 f.) hervorgehobenen vielfachen inhalt- lichen Berührungen zwischen der Herennius-Rhetorik und Ciceros Jugend- schrift De inventione' gelangt Marx zu der Annahme, daß weder eine aus der andern, noch beide einfach aus einer gemeinsamen Quelle schöpfen, sondern beide treue Nachschriften, Schulhefte (nouvýuara oxokiKá)2 gehörter Lehrvorträge zweier römischer Rhetoren (rhetores latini) sind, denen in lateinischer Ubersetzung und wenig ändernder Bearbeitung zwei zwar vielfach dieselben Quellen benutzende, aber gegeneinander pole- misierende griechische Lehrbücher der Rhetorik (réxvai), außerdem auch ältere lateinische artes rhetoricae, wie vielleicht die des M. Antonius zugrunde liegen. Als Ursprungsort dieser beiden griechischen Lehrbücher betrachtet er die Insel Rhodus3. Und mag seine Hypothese über die Art der Quellen zweifelhaft sein, allgemein anerkannt und sicher ist, daß hellenistische, doch daneben auch ältere griechische Redekunst dem rhetorischen Zwillingspaar, das durch die Uberlieferung vicler Jahrhunderte unter dem Namen Ciceros verbunden war, den Grundbestandteil des Stoffes und seiner Behandlung geliefert hat4. Und sicher ist auch ein zweites: die entscheidende Prägung der in diesen beiden fast gleichzeitigen rhetorischen Schriften vorgetragenen Theorie stammt aus Rhodus5. 1 Marx, Prolegom. S. 112—115. 2 Uber diese Hypomnemata (lateinisch commentarii) als literarische Gattung und ihren stilistischen Charakter vgl. v. Wilamowitx, Die griechische Literatur des Altertums, Hinnebergs Kultur der Gegenwart, Teil I, Abt. 82 (1907), S. 89. 96. 153. 3 Marx, Rheinisches Museum für Philologie, 46. Bd. (1891), S. 423—425. Derselbe, Prolegom. S. 78. 80—82. 85. 122. 127. 151. 157. 159. 161. 4 Vgl. darüber außer den oben S. 58 Anm. 1 genannten Schriften nament- lich Georg Thiele, Hermagoras. Ein Beitrag zur Geschichte der Rhetorik. Straßburg 1893, S. 16—18. 90—143 (Rekonstruktion des Lehrbuchs des Herma- goras aus Ciceros De inventione und dem die Lehre von der Erfindung be- handelnden Teil des Herennius-Kompendiums: Argumentationstheorie; Teile der Rede); ferner die gelehrte und scharfsinnige Abhandlung von Paul Wend- land, Quaestiones Rhetoricae, Göttinger Preisverkündungsprogramm 1914, S. 5f. 19f.; endlich Karl Aulitzky, Apsines, Tepì èAéoU, Wiener Studien, 39. Jahrg. 1917, S. 28—39. 5 Das erweisen die mehrfachen sachlichen und persönlichen Bexichungen und Zitate in beiden Schriften: De inventione I 30, 47; 56, 109; II 29, 87; 32, 98; Ad Her. II 31, 50; IV 6, 9 (Chares, der Erxbildner des Helios-Kolosses von Rhodus); 44, 57: s. Marx, Prolegom. S. 157—162 (daxu S. 124).
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76 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. Der Kulturherd Rhodus. Dieser uralte Knotenpunkt des mittelländischen Seeverkehrs hatte mit seiner dorischen Bevölkerung teil am Kerne des hellenischen Volks- tums. Aber vor der Schwelle Kleinasiens und an der Straße nach dem Westen, nach Sixilien und Italien gelegen, war die Insel Rhodus schon zur Zeit des älteren König Philipp von Makedonien Herrin über das Münzwesen im Agäischen Meer. Später als nächste Nachbarin des von Alexander dem Großen gegründeten Weltemporiums Alexandria die See- geltung Athens überflügelnd, ward sie im 3. Jahrhundert v. Chr. die Vor- macht des Bundes der Agäischen Inseln und Seestädte, ja aller griechi- schen Republiken. Sie hatte dann im Syrischen Krieg auf der Seite Roms den großen Karthager Hannibal in der Seeschlacht bei Side (190 v. Chr.) besiegt und wurde nun, auch nach dem bald darauf einsetzenden politischen Niedergang, durch ihre wirtschaftliche Stärke als Handels- stadt, als Metropole des maritimen Rechts1 und des Schiffsbaues und dank den zum Besuch und Studienaufenthalt lockenden Reizen ihrer schönen Natur und ihres gesunden Klimas geradezu die geistige Brücke zwischen Griechenland und dem Orient, die auch dem nach Osten vor- dringenden römischen Reich den Eintritt in die Bildung des Hellenismus vermittelte. Immer deutlicher und imponierender stellt Rhodus sich der geschichtlichen Forschung dar in dieser weitgreifenden und lange fort- wirkenden Bedeutung: die Insel übernimmt, nachdem um die Mitte des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts Alexandria die literarisch-künstleri- sche Hegemonie des Hellenismus verloren hat, gewissermaßen deren Erbe und ist seit dem unter schweren Demütigungen errungenen Bündnis mit Rom (164 v. Chr.), das die Rhodier einreihte unter die socii atque amici imperii Romani, zwar politisch abhängig, aber kurz danach mindestens zwei Jahrhunderte lang einer der großen Herde hellenistischer Weltkultur, von dem Wärme und Leben ausging in die nüchternere lateinische Bildung und durch sie dann die folgenden Jahrhunderte, so- wohl die nordische Zone des Mittelalters als die südlichen Breiten der Renaissance befruchtete 2. Bildhauerei, Philosophie, rhetorisch-gramma- tische Lehre sind die drei Pfeiler dieser rhodischen Geistesbildung. Panaitios und Poseidonios bezeichnen ihren First, von dem der römischen Nobilität sich das Banner der Humanität3 entfaltete. 1 Vgl. Digesten XIV 2, 9; Isidor Origines V 17. 2 Vgl. H. van Gelder, Geschichte der alten Rhodier, Haag 1900, S. 99ff. 157. 166 f. 173—176. 409—422; W. Schmid: Uber den kulturgeschichtlichen Zusammenhang und die Bedeutung der griechischen Renaissance in der Römer- zeit, Leipxig, Dieterichsche Verlagsbuchhandlung 1898, S. 10—14 und Anm. 41f.; Derselbe in Christ, Geschichte der griechischen Literatur 6 II I (1920), S. 312 f.; v. Wilamowitx, Die griechische Literatur des Altertums, Hinnebergs Kultur der Gegenwart, Teil I, Abt. 82, S. 85. 103. 148. 8 Vgl. die gedankenreiche Rede von Richard Reitzenstein, Werden und
76 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. Der Kulturherd Rhodus. Dieser uralte Knotenpunkt des mittelländischen Seeverkehrs hatte mit seiner dorischen Bevölkerung teil am Kerne des hellenischen Volks- tums. Aber vor der Schwelle Kleinasiens und an der Straße nach dem Westen, nach Sixilien und Italien gelegen, war die Insel Rhodus schon zur Zeit des älteren König Philipp von Makedonien Herrin über das Münzwesen im Agäischen Meer. Später als nächste Nachbarin des von Alexander dem Großen gegründeten Weltemporiums Alexandria die See- geltung Athens überflügelnd, ward sie im 3. Jahrhundert v. Chr. die Vor- macht des Bundes der Agäischen Inseln und Seestädte, ja aller griechi- schen Republiken. Sie hatte dann im Syrischen Krieg auf der Seite Roms den großen Karthager Hannibal in der Seeschlacht bei Side (190 v. Chr.) besiegt und wurde nun, auch nach dem bald darauf einsetzenden politischen Niedergang, durch ihre wirtschaftliche Stärke als Handels- stadt, als Metropole des maritimen Rechts1 und des Schiffsbaues und dank den zum Besuch und Studienaufenthalt lockenden Reizen ihrer schönen Natur und ihres gesunden Klimas geradezu die geistige Brücke zwischen Griechenland und dem Orient, die auch dem nach Osten vor- dringenden römischen Reich den Eintritt in die Bildung des Hellenismus vermittelte. Immer deutlicher und imponierender stellt Rhodus sich der geschichtlichen Forschung dar in dieser weitgreifenden und lange fort- wirkenden Bedeutung: die Insel übernimmt, nachdem um die Mitte des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts Alexandria die literarisch-künstleri- sche Hegemonie des Hellenismus verloren hat, gewissermaßen deren Erbe und ist seit dem unter schweren Demütigungen errungenen Bündnis mit Rom (164 v. Chr.), das die Rhodier einreihte unter die socii atque amici imperii Romani, zwar politisch abhängig, aber kurz danach mindestens zwei Jahrhunderte lang einer der großen Herde hellenistischer Weltkultur, von dem Wärme und Leben ausging in die nüchternere lateinische Bildung und durch sie dann die folgenden Jahrhunderte, so- wohl die nordische Zone des Mittelalters als die südlichen Breiten der Renaissance befruchtete 2. Bildhauerei, Philosophie, rhetorisch-gramma- tische Lehre sind die drei Pfeiler dieser rhodischen Geistesbildung. Panaitios und Poseidonios bezeichnen ihren First, von dem der römischen Nobilität sich das Banner der Humanität3 entfaltete. 1 Vgl. Digesten XIV 2, 9; Isidor Origines V 17. 2 Vgl. H. van Gelder, Geschichte der alten Rhodier, Haag 1900, S. 99ff. 157. 166 f. 173—176. 409—422; W. Schmid: Uber den kulturgeschichtlichen Zusammenhang und die Bedeutung der griechischen Renaissance in der Römer- zeit, Leipxig, Dieterichsche Verlagsbuchhandlung 1898, S. 10—14 und Anm. 41f.; Derselbe in Christ, Geschichte der griechischen Literatur 6 II I (1920), S. 312 f.; v. Wilamowitx, Die griechische Literatur des Altertums, Hinnebergs Kultur der Gegenwart, Teil I, Abt. 82, S. 85. 103. 148. 8 Vgl. die gedankenreiche Rede von Richard Reitzenstein, Werden und
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III. Die zweite Briefmustersammlung. 77 Der Eine, Panaitios, der Freund und Begleiter des jüngeren Scipio Africanus, Schöpfer des neuen ethischen Ideals der Persönlichkeit, ihrer innerlichen und äußerlichen Ausbildung für das Wohl der Gemeinschaft (der Familie, des Staats, der Menschheit) durch das Schönheitsempfinden, durch den Kult der großen Vergangenheit (ein Erbteil des Hellenismus!) und durch gehaltvolle Redekunst: jenes Ideals, das in Ciceros Officien- buch vollendeten Ausdruck findet. Vorher aber schon, unter dem Ein- fluß seiner beiden Lehrer aus der Athenischen Akademie, Philons von Larissa und des Antiochos von Askalon, die den von Platon über- kommenen Schulstreit gegen die Rhetorik geschlichtet hatten, indem sie den rhetorischen Unterricht in den philosophischen Lehrbetrieb aufnahmen, wurde dieses neue Ideal des wissenschaftlich gebildeten Redners in Ciceros reifen rhetorischen und philosophischen Dialogen den Mitlebenden und der Nachwelt verkündet1. Es gewann von hier aus dann Augustins Seele dem Christentum, um später Dante, Rienzo, Petrarca und die ibrigen Fahnenträger der italienischen Renaissance mit dem großen Gedanken der Wiedergeburt des Vaterlands und der Aufrichtung eines Wesen der Humanität im Altertum, Straßburg, J. H. Ed. Heitx 1907, S. 11—20. 28—30 (Anm. 11—23). — Anders freilich hat Theodor Mommsen (Römische Geschichte, 4. Buch, Kap. 12 Schluß, 7. Aufl. II S. 427f.) dicse im Scipionen- kreis aufkommende Idee der Humanitäl beurteilt. Er bespricht den Widerstand gegen die sogenannten rhetores latini um 90 v. Chr. Dem ernstlich conser- rativ Gesinnten entging die Wahlverwandtschaft nicht zwischen der gewerbmäßig entwickelten Redekunst und dem demagogischen Handwerk. So hatte denn namentlich der Scipionische Kreis den Rhe- toren die bitterste Feindschaft geschworen’, und deshalb verbot im Jahre 92 als Censor Licinius Crassus, der erste Gerichtsredner seiner Zeit, diese wider- wärtigen und verderblichen Wortmühlen'. Natürlich vergebens: lateinische Declamierübungen über die gangbaren griechischen Schulthemen wurden ein bleibender Bestandteil des römischen Jugendunterrichts’ ... Als Gesamtergebnis aber dieser modernen römischen Erziehung entwickelte sich der neue Begriff der sogenannten „Menschlichkeit“, der Humanität, welche bestand teils in der mehr oder minder oberflächlich angeeigneten musischen Bildung der Hellenen, teils in einer dieser nachgebildeten oder nachgestümperten privilegierten lateini- schen. Diese neue Humanität sagte, wie schon der Name andeutet, sich los von dem spexifisch-römischen Wesen, ja trat dagegen in Opposition und vereinigte in sich, eben wie unsere eng verwandte allgemeine Bildung, einen national kosmopolitischen und einen soxial exklusiven Charakter.' Mommsen hat die Gegensätze wohl xu scharf und einscitig formuliert. Die historische Entwicklung war in ihren Zusammenhängen komplixierter, als seine Beleuchtung erkennen läßt. 1 r. Wilamowitx, Hermes, Bd. 35 (1900), S. 18 f. — Vgl. Hans von Arnim, Dion von Prusa, Berlin 1898, Bd. 1, S. 96 ff.; W. Kroll, Rheinisches Museum, Bd. 58 (1903), S. 552ff. 566. 576ff., und Ilbergs Neue Jahrbücher f. klass. Altertumswissenschaft, Bd. 11 (1903), S. 685; L. Laurand, De M. Tullii Ciceronis studiis rhetoricis, Paris 1907 (Thèse), S. 62. 80—82.
III. Die zweite Briefmustersammlung. 77 Der Eine, Panaitios, der Freund und Begleiter des jüngeren Scipio Africanus, Schöpfer des neuen ethischen Ideals der Persönlichkeit, ihrer innerlichen und äußerlichen Ausbildung für das Wohl der Gemeinschaft (der Familie, des Staats, der Menschheit) durch das Schönheitsempfinden, durch den Kult der großen Vergangenheit (ein Erbteil des Hellenismus!) und durch gehaltvolle Redekunst: jenes Ideals, das in Ciceros Officien- buch vollendeten Ausdruck findet. Vorher aber schon, unter dem Ein- fluß seiner beiden Lehrer aus der Athenischen Akademie, Philons von Larissa und des Antiochos von Askalon, die den von Platon über- kommenen Schulstreit gegen die Rhetorik geschlichtet hatten, indem sie den rhetorischen Unterricht in den philosophischen Lehrbetrieb aufnahmen, wurde dieses neue Ideal des wissenschaftlich gebildeten Redners in Ciceros reifen rhetorischen und philosophischen Dialogen den Mitlebenden und der Nachwelt verkündet1. Es gewann von hier aus dann Augustins Seele dem Christentum, um später Dante, Rienzo, Petrarca und die ibrigen Fahnenträger der italienischen Renaissance mit dem großen Gedanken der Wiedergeburt des Vaterlands und der Aufrichtung eines Wesen der Humanität im Altertum, Straßburg, J. H. Ed. Heitx 1907, S. 11—20. 28—30 (Anm. 11—23). — Anders freilich hat Theodor Mommsen (Römische Geschichte, 4. Buch, Kap. 12 Schluß, 7. Aufl. II S. 427f.) dicse im Scipionen- kreis aufkommende Idee der Humanitäl beurteilt. Er bespricht den Widerstand gegen die sogenannten rhetores latini um 90 v. Chr. Dem ernstlich conser- rativ Gesinnten entging die Wahlverwandtschaft nicht zwischen der gewerbmäßig entwickelten Redekunst und dem demagogischen Handwerk. So hatte denn namentlich der Scipionische Kreis den Rhe- toren die bitterste Feindschaft geschworen’, und deshalb verbot im Jahre 92 als Censor Licinius Crassus, der erste Gerichtsredner seiner Zeit, diese wider- wärtigen und verderblichen Wortmühlen'. Natürlich vergebens: lateinische Declamierübungen über die gangbaren griechischen Schulthemen wurden ein bleibender Bestandteil des römischen Jugendunterrichts’ ... Als Gesamtergebnis aber dieser modernen römischen Erziehung entwickelte sich der neue Begriff der sogenannten „Menschlichkeit“, der Humanität, welche bestand teils in der mehr oder minder oberflächlich angeeigneten musischen Bildung der Hellenen, teils in einer dieser nachgebildeten oder nachgestümperten privilegierten lateini- schen. Diese neue Humanität sagte, wie schon der Name andeutet, sich los von dem spexifisch-römischen Wesen, ja trat dagegen in Opposition und vereinigte in sich, eben wie unsere eng verwandte allgemeine Bildung, einen national kosmopolitischen und einen soxial exklusiven Charakter.' Mommsen hat die Gegensätze wohl xu scharf und einscitig formuliert. Die historische Entwicklung war in ihren Zusammenhängen komplixierter, als seine Beleuchtung erkennen läßt. 1 r. Wilamowitx, Hermes, Bd. 35 (1900), S. 18 f. — Vgl. Hans von Arnim, Dion von Prusa, Berlin 1898, Bd. 1, S. 96 ff.; W. Kroll, Rheinisches Museum, Bd. 58 (1903), S. 552ff. 566. 576ff., und Ilbergs Neue Jahrbücher f. klass. Altertumswissenschaft, Bd. 11 (1903), S. 685; L. Laurand, De M. Tullii Ciceronis studiis rhetoricis, Paris 1907 (Thèse), S. 62. 80—82.
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Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. 78 neuen Weltreiches des Geistes zu erfüllen. Der Andere war der Syrer Poseidonios aus Apameia, des Panaitios Schüler, ein universales Genie, von Cicero, Pompeius, Cäsar, Varro als geistiger Führer geehrt, Lehrer der römischen Aristokratie in seinem Wohnsitz Rhodus und in Rom, das er wiederholt besuchte. Er, der Vollender der stoischen Philosophie, die er mit Platonischem Enthusiasmus beseelte, der Uberwinder ihres Rationalismus durch theologische Spekulation, mystische Gottesschau und religiöses Pathos, der Reformator der Tugendlehre, die er einerseits aus der Physiognomik, anderseits aus der pantheistischen Erkenntnis des Kosmos befruchtete, der Entdecker der auf Harmonie und Sympathie gegründeten Natureinheit im vernunftvollen Universum und in der aus göttlichen Elementen stammenden Vernunft des Menschen, der krönende Fortführer aller früheren antiken Historiographie und Urheber einer, aller- dings astrologisch gebundnen, großzügigen dynamistischen Weltgeschichts- schreibung, der antike Vorläufer Vicos, Herders, Wilhelm von Humboldts und Jacob Grimms und Verfasser einer zuerst von dem Germanisten Karl Müllenhoff voll gewürdigten Ethnographie, die den Naturzustand selbstgeschauter primitiver Völker (Parther, Iberer, Gallier, Ligurer) be- schrieb und durch die Schilderung der Kimbern das erste lebensvolle Charakterbild der Germanen entwarf, er, dieser Himmel und Erde um- spannende schöpferische Geist — auch er ist abhängig von jenem rhe- torischen Bildungsideal, das in Rhodus vielleicht die erste, jedenfalls die wirksamste Prägung gefunden hat, und er, der enzyklopädische Ge- lehrte ist ein vollendeter Stilist mit allen rhetorischen Künsten'1. 1 Nachdem Müllenhoff, Deutsche Altertumskunde I (1870), S. 357—359; II (1887), S. 126—189. 303—321; III (1892), S. 35f. 40 f. die persönliche und wissenschaftliche Bedeutung des Poseidonios und sein Fortwirken in der historisch-geographischen Literatur erkennen gelehrt hatte, wendete sich ihm die Quellenforschung mit ergiebigstem Eifer xu: s. Uberweg-Prächter, Grund- riß der Geschichte der Philosophie I11 (1920), S. 176—181 und W. v. Christ- Wilh. Schmid, Geschichte der griechischen Literatur II 16 (1920), § 517, S. 347—355. Charakteristiken gaben Eduard Schwartx, Charakterköpfe aus der antiken Literatur 2 (1906), S. 89—98; v. Wilamowitz, Hermes, Bd. 35 (1900), S. 18 und Die griechische Literatur des Altertums, Hinnebergs Kultur der Gegenwart, Teil I, Abt. 82 (1907), S. 11I f.; F. Leo, Die römische Literatur des Altertums, ebd. S. 360 f. — Uber Poseidonische Gedanken im Acker- mann aus Böhmen’ s. meinen Kommentar xu diesem S. 317—322. 393; 327; 388 sowie meine noch ungedruckte Abhandlung Platonische und freireligiöse Zige im Ackermann aus Böhmen' (Abhandlungen der Berliner Akademie der Wissenschaften). — Erst nach Abschluß meiner obigen Darlegung erreicht mich das geistvoll eigenwillige Buch von Karl Reinhardt, Poseidonios, München, Beck 1921. Was darin S. 12—15 über den Stil des Poseidonios gesagt wird, ist im Grunde nur die — freilich übertreibende — Folgerung aus der die her- kömmliche Ansicht einschränkenden und berichtigenden günstigeren Wertung des sogenannten Asianismus, die v. Wilamowitx in Hermes von 1900 be-
Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. 78 neuen Weltreiches des Geistes zu erfüllen. Der Andere war der Syrer Poseidonios aus Apameia, des Panaitios Schüler, ein universales Genie, von Cicero, Pompeius, Cäsar, Varro als geistiger Führer geehrt, Lehrer der römischen Aristokratie in seinem Wohnsitz Rhodus und in Rom, das er wiederholt besuchte. Er, der Vollender der stoischen Philosophie, die er mit Platonischem Enthusiasmus beseelte, der Uberwinder ihres Rationalismus durch theologische Spekulation, mystische Gottesschau und religiöses Pathos, der Reformator der Tugendlehre, die er einerseits aus der Physiognomik, anderseits aus der pantheistischen Erkenntnis des Kosmos befruchtete, der Entdecker der auf Harmonie und Sympathie gegründeten Natureinheit im vernunftvollen Universum und in der aus göttlichen Elementen stammenden Vernunft des Menschen, der krönende Fortführer aller früheren antiken Historiographie und Urheber einer, aller- dings astrologisch gebundnen, großzügigen dynamistischen Weltgeschichts- schreibung, der antike Vorläufer Vicos, Herders, Wilhelm von Humboldts und Jacob Grimms und Verfasser einer zuerst von dem Germanisten Karl Müllenhoff voll gewürdigten Ethnographie, die den Naturzustand selbstgeschauter primitiver Völker (Parther, Iberer, Gallier, Ligurer) be- schrieb und durch die Schilderung der Kimbern das erste lebensvolle Charakterbild der Germanen entwarf, er, dieser Himmel und Erde um- spannende schöpferische Geist — auch er ist abhängig von jenem rhe- torischen Bildungsideal, das in Rhodus vielleicht die erste, jedenfalls die wirksamste Prägung gefunden hat, und er, der enzyklopädische Ge- lehrte ist ein vollendeter Stilist mit allen rhetorischen Künsten'1. 1 Nachdem Müllenhoff, Deutsche Altertumskunde I (1870), S. 357—359; II (1887), S. 126—189. 303—321; III (1892), S. 35f. 40 f. die persönliche und wissenschaftliche Bedeutung des Poseidonios und sein Fortwirken in der historisch-geographischen Literatur erkennen gelehrt hatte, wendete sich ihm die Quellenforschung mit ergiebigstem Eifer xu: s. Uberweg-Prächter, Grund- riß der Geschichte der Philosophie I11 (1920), S. 176—181 und W. v. Christ- Wilh. Schmid, Geschichte der griechischen Literatur II 16 (1920), § 517, S. 347—355. Charakteristiken gaben Eduard Schwartx, Charakterköpfe aus der antiken Literatur 2 (1906), S. 89—98; v. Wilamowitz, Hermes, Bd. 35 (1900), S. 18 und Die griechische Literatur des Altertums, Hinnebergs Kultur der Gegenwart, Teil I, Abt. 82 (1907), S. 11I f.; F. Leo, Die römische Literatur des Altertums, ebd. S. 360 f. — Uber Poseidonische Gedanken im Acker- mann aus Böhmen’ s. meinen Kommentar xu diesem S. 317—322. 393; 327; 388 sowie meine noch ungedruckte Abhandlung Platonische und freireligiöse Zige im Ackermann aus Böhmen' (Abhandlungen der Berliner Akademie der Wissenschaften). — Erst nach Abschluß meiner obigen Darlegung erreicht mich das geistvoll eigenwillige Buch von Karl Reinhardt, Poseidonios, München, Beck 1921. Was darin S. 12—15 über den Stil des Poseidonios gesagt wird, ist im Grunde nur die — freilich übertreibende — Folgerung aus der die her- kömmliche Ansicht einschränkenden und berichtigenden günstigeren Wertung des sogenannten Asianismus, die v. Wilamowitx in Hermes von 1900 be-
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III. Die zweite Briefmustersammlung. 79 Poseidonios demonstrierte den Vorrang der Natur vor aller Kunst und schritt dadurch über Platon und Aristoteles hinaus. Die Kunst des Dichters ist ihm nichts anderes als die Kunst, das Leben durch Rede nachzubilden. Und weiter: die prosaische Rede, wenigstens die künstlerisch geformte, ist Nachahmung der Dichtersprache, die am Anfang aller literarischen Gattungen stehend durch allmähliche Auflösung ihrer metrischen Form gleichsam von einer Höhe xu der jetzigen Prosa- gestalt hinabgeführt wurde, als ob sie von einem Wagen auf den Fuß- boden herabgestiegen wäre 1. Das sind Gedanken, die lange nachgewirkt haben und in der Poetik der Renaissance eine ständige Rolle spielten, freilich oft mehr mit ornamentaler Bedeutung, und erst im achtzehnten Jahrhundert durch die moderne Anschauung vom Wesen und Werden der ursprünglichen Poesie ersetzt wurden, aber auch heute noch in dem längst nicht völlig überwundenen Vorurteil gegen die Ursprünglichkeit der Prosa nachklingen. Des Poseidonios Polemik gegen den Lydier Hermagoras, der viel- fach kompilierend, aber auch mit eigenen Neuerungen ein besonders die Erfindung (ebpeotg, inventio) und Anordnung (rážic, dispositio) berück- sichtigendes viel benutztes, ja geradezu epochemachendes Lehrbuch der Rhetorik verfaßt und darin ein schematisches System der dialektischen Aufgaben der Redekunst aufgestellt hatte, kehrt wieder sowohl in Ciceros De inventione' (I 6, 8) mit Nennung des Namens des Getadelten als auch unter Weglassung des Namens im Herennius-Kompendium (Pro- oemium zum letzten Buch: IV 3,6; vgl. 4, 7). Mit merkwürdig wört- lichem Gleichlaut werfen beide dem Hermagoras vor, er lehre die Rede- kunst wie einer, der wohl über die Kunst (de arte), aber nicht aus der Kunst' (ex arte), d. h. wohl als Theoretiker, aber nicht aus schaffender gründet hat (s. darüber auch unten). Weit aber schießt über das Ziel eine isolierende Betrachtung, die des Poseidonios wortkünstlerischen Stil allein aus dem 'Vitalismus und Charakterisierungsdrang seiner genialen Persönlich- keit hervorgehn läßt und übersieht, daß er sich der längst geprägten rhetorischen Mittel bedient, die das verwandte Bedürfnis nach starkem, lebendigem Ausdruck des Weltgeschehens und der Kräfte des menschlichen Geistes geschaffen hatte in der Redekunst der Sophistik und ihrer Erben. Ich glaube also, daß Karl Trüdinger, Studien zur Geschichte der griechisch-römischen Ethnographie, Leipzig, Teubner 1918, S. 115 und Anm., des Poseidonios Zusammenhang mit den gleichfalls Sinnfälligkeit der Schilderung (èvápreia) erstrebenden historio- graphischen Vorgängern (Timaios, Agatharchides u. a.) im wesentlichen treffend beurteilt und seine antithetischen Wortspiele mit Recht an Hegesias anknüpft. Ubrigens war der Standpunkt Reinhardts, in seiner Negation, aber auch in positiren Einzelheiten vorbereitet durch das gründliche und reiche, allerdings schlicht sachliche Werk von Gunnar Rudberg, Forschungen zu Poseidonios, Uppsala 1918 (Leipzig, O. Harrassowitz) wie auch durch Trüdingers Buch. 1 Vgl. G. Kaibel, Abhandlungen d. Göttinger Gesellsch. d. Wissenschaften, Phil.-hist. Kl. N. F. Bd. 2, Nr. 4 (1898), S. 21 ff. 25.
III. Die zweite Briefmustersammlung. 79 Poseidonios demonstrierte den Vorrang der Natur vor aller Kunst und schritt dadurch über Platon und Aristoteles hinaus. Die Kunst des Dichters ist ihm nichts anderes als die Kunst, das Leben durch Rede nachzubilden. Und weiter: die prosaische Rede, wenigstens die künstlerisch geformte, ist Nachahmung der Dichtersprache, die am Anfang aller literarischen Gattungen stehend durch allmähliche Auflösung ihrer metrischen Form gleichsam von einer Höhe xu der jetzigen Prosa- gestalt hinabgeführt wurde, als ob sie von einem Wagen auf den Fuß- boden herabgestiegen wäre 1. Das sind Gedanken, die lange nachgewirkt haben und in der Poetik der Renaissance eine ständige Rolle spielten, freilich oft mehr mit ornamentaler Bedeutung, und erst im achtzehnten Jahrhundert durch die moderne Anschauung vom Wesen und Werden der ursprünglichen Poesie ersetzt wurden, aber auch heute noch in dem längst nicht völlig überwundenen Vorurteil gegen die Ursprünglichkeit der Prosa nachklingen. Des Poseidonios Polemik gegen den Lydier Hermagoras, der viel- fach kompilierend, aber auch mit eigenen Neuerungen ein besonders die Erfindung (ebpeotg, inventio) und Anordnung (rážic, dispositio) berück- sichtigendes viel benutztes, ja geradezu epochemachendes Lehrbuch der Rhetorik verfaßt und darin ein schematisches System der dialektischen Aufgaben der Redekunst aufgestellt hatte, kehrt wieder sowohl in Ciceros De inventione' (I 6, 8) mit Nennung des Namens des Getadelten als auch unter Weglassung des Namens im Herennius-Kompendium (Pro- oemium zum letzten Buch: IV 3,6; vgl. 4, 7). Mit merkwürdig wört- lichem Gleichlaut werfen beide dem Hermagoras vor, er lehre die Rede- kunst wie einer, der wohl über die Kunst (de arte), aber nicht aus der Kunst' (ex arte), d. h. wohl als Theoretiker, aber nicht aus schaffender gründet hat (s. darüber auch unten). Weit aber schießt über das Ziel eine isolierende Betrachtung, die des Poseidonios wortkünstlerischen Stil allein aus dem 'Vitalismus und Charakterisierungsdrang seiner genialen Persönlich- keit hervorgehn läßt und übersieht, daß er sich der längst geprägten rhetorischen Mittel bedient, die das verwandte Bedürfnis nach starkem, lebendigem Ausdruck des Weltgeschehens und der Kräfte des menschlichen Geistes geschaffen hatte in der Redekunst der Sophistik und ihrer Erben. Ich glaube also, daß Karl Trüdinger, Studien zur Geschichte der griechisch-römischen Ethnographie, Leipzig, Teubner 1918, S. 115 und Anm., des Poseidonios Zusammenhang mit den gleichfalls Sinnfälligkeit der Schilderung (èvápreia) erstrebenden historio- graphischen Vorgängern (Timaios, Agatharchides u. a.) im wesentlichen treffend beurteilt und seine antithetischen Wortspiele mit Recht an Hegesias anknüpft. Ubrigens war der Standpunkt Reinhardts, in seiner Negation, aber auch in positiren Einzelheiten vorbereitet durch das gründliche und reiche, allerdings schlicht sachliche Werk von Gunnar Rudberg, Forschungen zu Poseidonios, Uppsala 1918 (Leipzig, O. Harrassowitz) wie auch durch Trüdingers Buch. 1 Vgl. G. Kaibel, Abhandlungen d. Göttinger Gesellsch. d. Wissenschaften, Phil.-hist. Kl. N. F. Bd. 2, Nr. 4 (1898), S. 21 ff. 25.
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80 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. Ausübung, als wirklicher Redner, zu sprechen vermochte 1. Auch hier könnte man die lebendige Anschauung des Poseidonios zu spüren meinen, die als Quelle jeder höheren geistigen Leistung den vollen Einsatz der lebendigen Kräfte einer produktiven Persönlichkeit betrachtet. Namentlich wären ferner des Poseidonios würdig die beiden prachtvollen Vergleiche zur Begründung des Gebots, daß der Lehrer der Kunst der Rede wie jeder Lehrer einer anderen Kunst ein schöpferischer Könner, kein Ent- lehner sein solle: der Hinweis auf Prometheus, der für das den Menschen mitzuteilende Feuer nicht von den Nachbarn Kohlen zusammengebettelt, und auf Chares, den Bildner des Helios-Kolosses von Rhodus, dem sein Lehrer Lysipp nicht einen Kopf von Myron, Arme von Praxiteles, eine Brust von Polyklet zur Nachahmung gezeigt, sondern alles in seiner Anwesenheit selbst formend vor Augen gestellt habe (IV 6, 9). Ob des Poseidonios Kunstlehre und rhetorische Theorie tiefere Ein- drücke in den beiden so eng verschwisterten ältesten lateinischen Rhetoriken durch das Medium ihrer rhodischen Vorlagen hinterlassen hat? Behauptet wurde es von verschiedenen Forschern2. Mit gutem Grunde aber, scheint mir, hat man angenommen3, daß jene hohe Auffassung des Redners, die Cicero schon in seinem rhetorischen Erstling bekannte, die er dann gereift in seinen Reden und philosophischen Schriften wie in seinen rheto- rischen Meisterwerken bewährt und begründet, am nachdrücklichsten aber in seinem Buch De oratore' durch den Mund seines Vorläufers Crassus zum Ausdruck bringt, jene Forderung einer universalen menschlichen Bildung im Bunde mit der Kunst des rednerischen Ausdrucks auch von Poseidonios befördert worden ist. Spricht doch meines Erachtens dafür schon allein die Tatsache, daß Cicero das Manuskript seiner Denkschrift über sein Konsulat, die er nach eigener Versicherung mit höchster red- 1 Marx, Proleg. S. 113f. — Eine andere Lehre des Hermagoras, die Wider- spruch erfuhr, war seine Unterscheidung von vier orddeig (constitutiones), d.h. Fragestellungen der Untersuchung: die Frage des Faktums (facti quaestio oder an sit), die Begriffsbestimmung (nominis quaestio oder quid sit), die Frage der Be- schaffenheit (noiórns; generis quaestio; quale sit), die Frage der gerichtlichen Zuständigkeit (actionis quaestio oder constitutio translativa; translatio; an in- duci in iudicium debeat). Dem entgegen wurden rielfach nur die ersten drei anerkannt. Cicero De invent. I 8, 10; 11, 16 ergreift in dem Streit darüber ausdrücklich für den Erfinder der vierten oráoig Partei unter Nennung seines Namens, während der Verfasser der Herennius-Rhetorik I11, 16 mit Berufung auf seinen Lehrer (doctor noster) und Verschweigung des Namens Hermagoras die Annahme von vier causarum constitutiones verwirft und nur drei statuiert. Vgl. Marx, Proleg. S. 122 f. 156 f. Uber die Statuslehre des Poseidonios be- richtet Quintilian Instit. III 6, 37. 2 Vgl. R. Philippson, Philologische Wochenschrift, Bd. 38 (1918), S. 630 f. 3 Vgl. W. Watzinger, Vitruvstudien, Rheinisches Museum, Bd. 64 (1909). S. 202 ff. 207f.; H. Mutschmann, Das Genesisxitat in der Schrift Tepì Uwoug. Hermes, Bd. 52 (1917), S. 186.
80 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. Ausübung, als wirklicher Redner, zu sprechen vermochte 1. Auch hier könnte man die lebendige Anschauung des Poseidonios zu spüren meinen, die als Quelle jeder höheren geistigen Leistung den vollen Einsatz der lebendigen Kräfte einer produktiven Persönlichkeit betrachtet. Namentlich wären ferner des Poseidonios würdig die beiden prachtvollen Vergleiche zur Begründung des Gebots, daß der Lehrer der Kunst der Rede wie jeder Lehrer einer anderen Kunst ein schöpferischer Könner, kein Ent- lehner sein solle: der Hinweis auf Prometheus, der für das den Menschen mitzuteilende Feuer nicht von den Nachbarn Kohlen zusammengebettelt, und auf Chares, den Bildner des Helios-Kolosses von Rhodus, dem sein Lehrer Lysipp nicht einen Kopf von Myron, Arme von Praxiteles, eine Brust von Polyklet zur Nachahmung gezeigt, sondern alles in seiner Anwesenheit selbst formend vor Augen gestellt habe (IV 6, 9). Ob des Poseidonios Kunstlehre und rhetorische Theorie tiefere Ein- drücke in den beiden so eng verschwisterten ältesten lateinischen Rhetoriken durch das Medium ihrer rhodischen Vorlagen hinterlassen hat? Behauptet wurde es von verschiedenen Forschern2. Mit gutem Grunde aber, scheint mir, hat man angenommen3, daß jene hohe Auffassung des Redners, die Cicero schon in seinem rhetorischen Erstling bekannte, die er dann gereift in seinen Reden und philosophischen Schriften wie in seinen rheto- rischen Meisterwerken bewährt und begründet, am nachdrücklichsten aber in seinem Buch De oratore' durch den Mund seines Vorläufers Crassus zum Ausdruck bringt, jene Forderung einer universalen menschlichen Bildung im Bunde mit der Kunst des rednerischen Ausdrucks auch von Poseidonios befördert worden ist. Spricht doch meines Erachtens dafür schon allein die Tatsache, daß Cicero das Manuskript seiner Denkschrift über sein Konsulat, die er nach eigener Versicherung mit höchster red- 1 Marx, Proleg. S. 113f. — Eine andere Lehre des Hermagoras, die Wider- spruch erfuhr, war seine Unterscheidung von vier orddeig (constitutiones), d.h. Fragestellungen der Untersuchung: die Frage des Faktums (facti quaestio oder an sit), die Begriffsbestimmung (nominis quaestio oder quid sit), die Frage der Be- schaffenheit (noiórns; generis quaestio; quale sit), die Frage der gerichtlichen Zuständigkeit (actionis quaestio oder constitutio translativa; translatio; an in- duci in iudicium debeat). Dem entgegen wurden rielfach nur die ersten drei anerkannt. Cicero De invent. I 8, 10; 11, 16 ergreift in dem Streit darüber ausdrücklich für den Erfinder der vierten oráoig Partei unter Nennung seines Namens, während der Verfasser der Herennius-Rhetorik I11, 16 mit Berufung auf seinen Lehrer (doctor noster) und Verschweigung des Namens Hermagoras die Annahme von vier causarum constitutiones verwirft und nur drei statuiert. Vgl. Marx, Proleg. S. 122 f. 156 f. Uber die Statuslehre des Poseidonios be- richtet Quintilian Instit. III 6, 37. 2 Vgl. R. Philippson, Philologische Wochenschrift, Bd. 38 (1918), S. 630 f. 3 Vgl. W. Watzinger, Vitruvstudien, Rheinisches Museum, Bd. 64 (1909). S. 202 ff. 207f.; H. Mutschmann, Das Genesisxitat in der Schrift Tepì Uwoug. Hermes, Bd. 52 (1917), S. 186.
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III. Die zweite Briefmustersammlung. 81 nerischer Kunst, mit allen Farben von der Palette des Isokrates aus- gestattet hatte, dem befreundeten Philosophen nach Rhodus sandte, damit er denselben Gegenstand mit noch reicherem rhetorischem Schmuck (or- natius) griechisch bearbeite (an Atticus II I). Es ist von Marx ausge- sprochen und seitdem allgemein anerkannt, daß der junge Cicero für die Prooemien zu seinen beiden Büchern über die rhetorische Erfindung andere Quellen als seine aus der rhodischen Rhetorenschule stammenden Vor- lagen herangezogen hat; denn hier verrät sich ein bestimmter philoso- phischer Einfluß. Das Prooemium zum ersten Buch (I 1, 1—3, 5) gibt die hellenistische Diskussion über die Berechtigung und den Wert der Rhetorik wieder: über den Wert von Weisheit' und Beredsamkeit' er- tönen hier wahrscheinlich Gedanken des Poseidonios, dessen Stimme namentlich in der Schilderung der Urzeit (I 2, 2) zu vernehmen ist1. Eine allerdings nur recht kurze und freie Paraphrase der in dieser Einleitung niedergelegten Würdigung der Beredsamkeit enthält der unten als Nr. 52 abgedruckte Panegyrikus auf die Rhetorik in der Schneeberger Handschrift (s. S. 82 zu Z. 48 f.). Fraglich bleibt, auf welchem Wege der junge Cicero jene Theorie des Poseidonios kennen lernte, ob und welche andere philosophischen Autori- täten hier noch mitspielen und durch welche Ableitungen und Mittel- glieder unser Briefsteller seine Kenntnis bezogen hat 2. Wie dem auch sei, Poseidonios, der enthusiastische Vertreter und wissenschaftliche Gestalter einer Weltanschauung, die auf den ewigen Werten ruht, der überall nach dem Wesen der Dinge, nach den Kräften des Menschengeschehens und der Naturvorgänge, nach den Urquellen des Lebens forscht, stand im Bann einer rhetorischen Manier. Der Ent- decker seiner überragenden Bedeutung Karl Müllenhoff schloß sich mit Bedauern in diesem Punkte dem Tadel an, den der von ihm sonst so sehr verachtete Strabon gegen seinen Liebling erhoben hatte. Später ist dann wiederholt, meist unter Bezugnahme auf jene Kritik Strabons (III 29, Casaub. I S. 147), ausgesprochen worden, daß Poseidonios beherrscht gewesen sei von dem sogenannten asianischen Stil3 der griechischen Rhetorik, dem auch Cicero gehuldigt hat. Wort und Begriff verlangen eine kurze Aufklärung. 1 Vgl. W. Kroll, Teuffels Gesch. d. röm. Lit.6 I § 177, 4, S. 365. 2 Vielleicht liegen auch peripatetische Lehrmeinungen teilweise xugrunde. Das Lob der Rhetorik' im Schneeberger Briefsteller bringt mehrmals Zitate aus Aristoteles (Rhetorik, Nik. Ethik): s. Nr. 52, xu Z. 22 f. 53 f. 56. 3 Uber das Wesen und das Fort- und Wiederaufleben des asiatischen Rednerstils' vgl. besonders Ed. Norden, Antike Kunstprosa an den im Register s. v. Asianismus verzeichneten Stellen; v. Wilamowitz, Asianismus und Atti- cismus, Hermes, Bd. 35 (1900), S. 1—32; W. Schmid bei v. Christ a. a. O. 16 § 292, S. 604; § 312, S. 616; II6 § 452, S. 207; § 500, S. 302 f.; § 505, S. 314 ff.; § 513, S. 340 f.; § 562. 563, S. 455—459.
III. Die zweite Briefmustersammlung. 81 nerischer Kunst, mit allen Farben von der Palette des Isokrates aus- gestattet hatte, dem befreundeten Philosophen nach Rhodus sandte, damit er denselben Gegenstand mit noch reicherem rhetorischem Schmuck (or- natius) griechisch bearbeite (an Atticus II I). Es ist von Marx ausge- sprochen und seitdem allgemein anerkannt, daß der junge Cicero für die Prooemien zu seinen beiden Büchern über die rhetorische Erfindung andere Quellen als seine aus der rhodischen Rhetorenschule stammenden Vor- lagen herangezogen hat; denn hier verrät sich ein bestimmter philoso- phischer Einfluß. Das Prooemium zum ersten Buch (I 1, 1—3, 5) gibt die hellenistische Diskussion über die Berechtigung und den Wert der Rhetorik wieder: über den Wert von Weisheit' und Beredsamkeit' er- tönen hier wahrscheinlich Gedanken des Poseidonios, dessen Stimme namentlich in der Schilderung der Urzeit (I 2, 2) zu vernehmen ist1. Eine allerdings nur recht kurze und freie Paraphrase der in dieser Einleitung niedergelegten Würdigung der Beredsamkeit enthält der unten als Nr. 52 abgedruckte Panegyrikus auf die Rhetorik in der Schneeberger Handschrift (s. S. 82 zu Z. 48 f.). Fraglich bleibt, auf welchem Wege der junge Cicero jene Theorie des Poseidonios kennen lernte, ob und welche andere philosophischen Autori- täten hier noch mitspielen und durch welche Ableitungen und Mittel- glieder unser Briefsteller seine Kenntnis bezogen hat 2. Wie dem auch sei, Poseidonios, der enthusiastische Vertreter und wissenschaftliche Gestalter einer Weltanschauung, die auf den ewigen Werten ruht, der überall nach dem Wesen der Dinge, nach den Kräften des Menschengeschehens und der Naturvorgänge, nach den Urquellen des Lebens forscht, stand im Bann einer rhetorischen Manier. Der Ent- decker seiner überragenden Bedeutung Karl Müllenhoff schloß sich mit Bedauern in diesem Punkte dem Tadel an, den der von ihm sonst so sehr verachtete Strabon gegen seinen Liebling erhoben hatte. Später ist dann wiederholt, meist unter Bezugnahme auf jene Kritik Strabons (III 29, Casaub. I S. 147), ausgesprochen worden, daß Poseidonios beherrscht gewesen sei von dem sogenannten asianischen Stil3 der griechischen Rhetorik, dem auch Cicero gehuldigt hat. Wort und Begriff verlangen eine kurze Aufklärung. 1 Vgl. W. Kroll, Teuffels Gesch. d. röm. Lit.6 I § 177, 4, S. 365. 2 Vielleicht liegen auch peripatetische Lehrmeinungen teilweise xugrunde. Das Lob der Rhetorik' im Schneeberger Briefsteller bringt mehrmals Zitate aus Aristoteles (Rhetorik, Nik. Ethik): s. Nr. 52, xu Z. 22 f. 53 f. 56. 3 Uber das Wesen und das Fort- und Wiederaufleben des asiatischen Rednerstils' vgl. besonders Ed. Norden, Antike Kunstprosa an den im Register s. v. Asianismus verzeichneten Stellen; v. Wilamowitz, Asianismus und Atti- cismus, Hermes, Bd. 35 (1900), S. 1—32; W. Schmid bei v. Christ a. a. O. 16 § 292, S. 604; § 312, S. 616; II6 § 452, S. 207; § 500, S. 302 f.; § 505, S. 314 ff.; § 513, S. 340 f.; § 562. 563, S. 455—459.
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82 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. Der asianische Stil und die rhodischen Redner. Nach dem Abblühen der attischen Beredsamkeit, die in der maßvollen Formschönheit ihr — von Isokrates und Hypereides verkörpertes — Ideal fand, hatte sich gegen Ende des 4. Jahrhunderts v. Chr. besonders in den hellenischen Städten Kleinasiens, offenbar befördert durch die Disposition des orientalischen Geistes, cine barocke Redekunst entwickelt. Cicero hat sie in seinen rhetorischen Schriften an mehreren Stellen wohl auf Grund früherer Beobachtungen seiner griechischen Quellen folgendermaßen geschildert. Nachdem die Beredsamkeit ihr Heimatland Attika verlassen, durchlief sie alle Agäischen Inseln, wanderte in ganx Asien umher und befleckte sich hier mit fremden Sitten, verlor die Frische und Gesundheit der attischen Ausdrucksweise. Die asiatischen Redner zeichnen sich zwar durch Geläufigkeit (celeritas) und Fülle (copia) aus, aber sie sind allzu wenig gedrängt und allzu überströmend: parum pressi et nimis redun- dantes. Ihnen stellt er als gesünder und den Attikern ähnlicher die rhodischen Redner gegenüber (Brutus § 51). Er hatte deren Stil schon im Jahre 81, zur Zeit seines ersten Auftretens als Redner (in dem Zivilproxeß für P. Quinctius) kennen gelernt: damals weilte als Gesandter in Rom eines der Häupter der rhodischen Rednerschule Apollonios Molon, und ihm widmete Cicero als Lernender sein Studium (Brut. § 311). Der cigentliche Sitz jener asiatischen Bered- samkeit, sagt Cicero weiter, ist Karien, Phrygien, Mysien: diese Länder, die am wenigsten gebildet und elegant sind (minime politae minimeque elegantes), nahmen eine ihren Ohren zusagende gewissermaßen fette und schmalzige Diktion an (opimum quoddam et tamquam adi- patae dictionis genus), d. h. eine überladene und schwülstige Ausdrucks- weise. Ihre Nachbarn, die Rhodier, obgleich sie nur ein nicht sehr breiter Meeresarm von jenen trennt, haben das niemals gutgeheißen, die Athener aber es durchaus verworfen: quod Rhodii numquam probaverunt, Athe- nienses vero funditus repudiaverunt. Denn, fährt er fort, in Athen hatte man immer einen solch guten Geschmack (prudens sincerumque iudicium), daß man das Reine und das Elegante ertrug (nihil nisi in- corruptum et elegans), und da die Redner sich diesem Feingefühl (religioni) unterordneten, wagten sie kein auffallendes oder anstößiges Wort (verbum insolens, odiosum) xu brauchen (Orator § 25). Daraus ergibt sich: nach Ciceros sicherlich auf guter Kenntnis be- ruhender Meinung standen sich zu seiner Zeit als extreme Gegensätze in der Beurteilung des rednerischen Ideals Athen und Kleinasien gegenüber, während Rhodus eine mittlere Stellung einnahm. Innerhalb dieser asianischen Redekunst (genus orationis Asiaticum, Asiatica dictio) unterscheidet Cicero, gewiß auch dies im Anschluß an seine griechischen Lehrer, zwei Typen. Er beschreibt sie genauer, um gleichzeitig seinen großen älteren Rivalen und Freund, den römischen
82 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. Der asianische Stil und die rhodischen Redner. Nach dem Abblühen der attischen Beredsamkeit, die in der maßvollen Formschönheit ihr — von Isokrates und Hypereides verkörpertes — Ideal fand, hatte sich gegen Ende des 4. Jahrhunderts v. Chr. besonders in den hellenischen Städten Kleinasiens, offenbar befördert durch die Disposition des orientalischen Geistes, cine barocke Redekunst entwickelt. Cicero hat sie in seinen rhetorischen Schriften an mehreren Stellen wohl auf Grund früherer Beobachtungen seiner griechischen Quellen folgendermaßen geschildert. Nachdem die Beredsamkeit ihr Heimatland Attika verlassen, durchlief sie alle Agäischen Inseln, wanderte in ganx Asien umher und befleckte sich hier mit fremden Sitten, verlor die Frische und Gesundheit der attischen Ausdrucksweise. Die asiatischen Redner zeichnen sich zwar durch Geläufigkeit (celeritas) und Fülle (copia) aus, aber sie sind allzu wenig gedrängt und allzu überströmend: parum pressi et nimis redun- dantes. Ihnen stellt er als gesünder und den Attikern ähnlicher die rhodischen Redner gegenüber (Brutus § 51). Er hatte deren Stil schon im Jahre 81, zur Zeit seines ersten Auftretens als Redner (in dem Zivilproxeß für P. Quinctius) kennen gelernt: damals weilte als Gesandter in Rom eines der Häupter der rhodischen Rednerschule Apollonios Molon, und ihm widmete Cicero als Lernender sein Studium (Brut. § 311). Der cigentliche Sitz jener asiatischen Bered- samkeit, sagt Cicero weiter, ist Karien, Phrygien, Mysien: diese Länder, die am wenigsten gebildet und elegant sind (minime politae minimeque elegantes), nahmen eine ihren Ohren zusagende gewissermaßen fette und schmalzige Diktion an (opimum quoddam et tamquam adi- patae dictionis genus), d. h. eine überladene und schwülstige Ausdrucks- weise. Ihre Nachbarn, die Rhodier, obgleich sie nur ein nicht sehr breiter Meeresarm von jenen trennt, haben das niemals gutgeheißen, die Athener aber es durchaus verworfen: quod Rhodii numquam probaverunt, Athe- nienses vero funditus repudiaverunt. Denn, fährt er fort, in Athen hatte man immer einen solch guten Geschmack (prudens sincerumque iudicium), daß man das Reine und das Elegante ertrug (nihil nisi in- corruptum et elegans), und da die Redner sich diesem Feingefühl (religioni) unterordneten, wagten sie kein auffallendes oder anstößiges Wort (verbum insolens, odiosum) xu brauchen (Orator § 25). Daraus ergibt sich: nach Ciceros sicherlich auf guter Kenntnis be- ruhender Meinung standen sich zu seiner Zeit als extreme Gegensätze in der Beurteilung des rednerischen Ideals Athen und Kleinasien gegenüber, während Rhodus eine mittlere Stellung einnahm. Innerhalb dieser asianischen Redekunst (genus orationis Asiaticum, Asiatica dictio) unterscheidet Cicero, gewiß auch dies im Anschluß an seine griechischen Lehrer, zwei Typen. Er beschreibt sie genauer, um gleichzeitig seinen großen älteren Rivalen und Freund, den römischen
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III. Die zweite Briefmustersammlung. 83 Redner Hortensius, als hervorragenden Vertreter der beiden asianischen Stilarten zu charakterisieren (Brutus § 325. 326). Die eine Stilart nennt er das genus sententiosum et argutum, d. h. reich an zugespitzten Sentenzen, die nicht sowohl wuchtig und pathetisch als vielmehr symmetrisch und anmutig seien: sententiis non tam gravibus et severis quam concinnis et venustis!. Als hervorragendes Beispiel für diesen ersten asianischen Typus führt er auf dem Gebiet der Historiographie den Sixilier Timaios an. Zur Ergänzung und Beleuchtung dieses kurzen, aber gewiß treffenden Urteils Ciceros muß hervorgehoben werden, daß dieser etwa 346 bis etwa 250 lebende Verfasser eines großen Geschichtswerkes über Sixilien, Karthago, Italien in Athen lange gelebt und hier von einem aus Milet, also von der Küste Kariens stammenden Schüler des Isokrates, Philiskos, seine rhetorische Ausbildung empfangen hatte. Außerdem nennt Cicero als beriïhmte Vertreter dieses ersten asianischen Typus innerhalb der eigent- lichen Redekunst die beiden Brüder Hierokles und Menekles aus Alabanda in Karien (Brut. § 325). Sie blühten, wie er sagt, in seiner Knabenxeit (pueris nobis), waren, wie er schon in einer früheren Schrift (De oratore II § 95) berichtet hatte, auch noch von ihm selbst gehört und galten in ganz Asien als Vorbilder. Ihre Art beschreibt er noch einmal genauer, und zwar tadelnd (Orator § 231) in einer Weise, die sich mit ihrer Einreihung in den ersten (kommatischen) Typus des Asianismus nicht recht xu vertragen scheint. Ich komme daher später auf diese Kritik des Brüderpaars zurück. Uber den auch uns durch erhaltene Fragmente greifbareren Alexander- historiker und epideiktischen Redner Hegesias aus Magnesia in Lydien (um 250 v. Chr.), also aus Kariens nächster Nachbarschaft, spricht Cicero häufiger und eingehender. Er bezcichnet ihn als Nachahmer des attischen Rhetors Charisios, eines Zeitgenossen des Menander, der seiner- seits sich den Lysias zum Muster genommen hatte. Durch diesen Stamm- baum der Schülerschaft will Cicero verdeutlichen, wie unsicher und schwer faßbar das von der Reaktion gegen den Asianismus aufgestellte Ideal des sogenannten Attizismus sei, da selbst aus der Schule des Lysias, des trockensten und klarsten aller attischen Meisterredner, dem gerade die extremsten Parteigänger jener Reaktion, die radikalen Attizisten, kanonische Geltung verliehen, sich indirekt die asia- nische Manier eines Hegesias entwickeln konnte. Von Hegesias behauptet Cicero, er habe sich selbst für einen Attiker, d. h. für einen wahrhaft 1 t. Wilamowitx a. a. O. S. 2: Die eine [Art] jagt nach eleganten Pointen. Damit will er aber nicht Ciceros Charakteristik erschöpfend wieder- geben; denn gerade aus seiner eigenen weiteren Analyse der periodischen und kommatischen Redeform geht hervor, daß diese eleganten Pointen durch sym- metrischen Parallelismus der sentenxiösen Satzglieder entstehen, der am häufigsten als Antithese erscheint, und daß sie dadurch anmutig wirken sollen.
III. Die zweite Briefmustersammlung. 83 Redner Hortensius, als hervorragenden Vertreter der beiden asianischen Stilarten zu charakterisieren (Brutus § 325. 326). Die eine Stilart nennt er das genus sententiosum et argutum, d. h. reich an zugespitzten Sentenzen, die nicht sowohl wuchtig und pathetisch als vielmehr symmetrisch und anmutig seien: sententiis non tam gravibus et severis quam concinnis et venustis!. Als hervorragendes Beispiel für diesen ersten asianischen Typus führt er auf dem Gebiet der Historiographie den Sixilier Timaios an. Zur Ergänzung und Beleuchtung dieses kurzen, aber gewiß treffenden Urteils Ciceros muß hervorgehoben werden, daß dieser etwa 346 bis etwa 250 lebende Verfasser eines großen Geschichtswerkes über Sixilien, Karthago, Italien in Athen lange gelebt und hier von einem aus Milet, also von der Küste Kariens stammenden Schüler des Isokrates, Philiskos, seine rhetorische Ausbildung empfangen hatte. Außerdem nennt Cicero als beriïhmte Vertreter dieses ersten asianischen Typus innerhalb der eigent- lichen Redekunst die beiden Brüder Hierokles und Menekles aus Alabanda in Karien (Brut. § 325). Sie blühten, wie er sagt, in seiner Knabenxeit (pueris nobis), waren, wie er schon in einer früheren Schrift (De oratore II § 95) berichtet hatte, auch noch von ihm selbst gehört und galten in ganz Asien als Vorbilder. Ihre Art beschreibt er noch einmal genauer, und zwar tadelnd (Orator § 231) in einer Weise, die sich mit ihrer Einreihung in den ersten (kommatischen) Typus des Asianismus nicht recht xu vertragen scheint. Ich komme daher später auf diese Kritik des Brüderpaars zurück. Uber den auch uns durch erhaltene Fragmente greifbareren Alexander- historiker und epideiktischen Redner Hegesias aus Magnesia in Lydien (um 250 v. Chr.), also aus Kariens nächster Nachbarschaft, spricht Cicero häufiger und eingehender. Er bezcichnet ihn als Nachahmer des attischen Rhetors Charisios, eines Zeitgenossen des Menander, der seiner- seits sich den Lysias zum Muster genommen hatte. Durch diesen Stamm- baum der Schülerschaft will Cicero verdeutlichen, wie unsicher und schwer faßbar das von der Reaktion gegen den Asianismus aufgestellte Ideal des sogenannten Attizismus sei, da selbst aus der Schule des Lysias, des trockensten und klarsten aller attischen Meisterredner, dem gerade die extremsten Parteigänger jener Reaktion, die radikalen Attizisten, kanonische Geltung verliehen, sich indirekt die asia- nische Manier eines Hegesias entwickeln konnte. Von Hegesias behauptet Cicero, er habe sich selbst für einen Attiker, d. h. für einen wahrhaft 1 t. Wilamowitx a. a. O. S. 2: Die eine [Art] jagt nach eleganten Pointen. Damit will er aber nicht Ciceros Charakteristik erschöpfend wieder- geben; denn gerade aus seiner eigenen weiteren Analyse der periodischen und kommatischen Redeform geht hervor, daß diese eleganten Pointen durch sym- metrischen Parallelismus der sentenxiösen Satzglieder entstehen, der am häufigsten als Antithese erscheint, und daß sie dadurch anmutig wirken sollen.
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84 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. stilreinen und künstlerischen Redner und alle wirklichen Attiker vor ihm beinahe für bäurisch gehalten. Cicero billigt ihm zu, daß er die er- strebte Konzinnitüt des Satzbaus erreichte, aber durch einen Stil, den er gebrochen, kleinlich, kindisch (fractum, minutum, puerile) nennt (Brutus § 286). Noch schärfer wiederholt er bald danach denselben Vorwurf: Hegesias, obgleich er den Lysias, der fast ein zweiter Demosthenes ist, nachahmen will, wird durch seine Flucht vor der rhythmischen mehrgliedrigen Periode (numerosa comprehensio) tänxelnd, indem er lauter kleine Einschnitte macht (saltat incidens particulas), ist dabei aber auch in seinen Gedanken mangelhaft, so daß, wer ihn kennt, keinen geschmacklosen Redner erst zu suchen braucht (Orator § 226). Und von ihm am meisten ist jener üble Stil der asianischen Redner ausge- gangen, der durch Zerbrechen und Zerstückeln der rhythmischen Reihe in eine gewisse würdelose Ausdrucksweise gerät, die den Schein von Versikeln hervorruft (Orator § 230) 1. Das Charakteristische in der Sprache des Hegesias und seiner Nachfolger ist also, daß sie ihre Sätze nicht periodisch, sondern kommatisch baut. Als Cicero im Sommer 46 einen Brief in hastigen abgerissenen Sätzen beginnt (ad Atticum XII 6) und sich mit einem jähen Doch was schwatze ich? Du wirst schon sorgen’ unterbricht, fügt er scherzend hinxu: Du hast hier eine Probe vom Stil des Hegesias, den Varro so lobt. Der Hieb gegen Varro soll einerseits dessen Unfähigkeit zur Perio- disierung, anderseits seine nicht selten hervorbrechende Lust an allerlei stilistischen Schnörkeln und Künsten, an Wortspielen, Annominatio und dergleichen 2 treffen. Dieser erste Typus des asianischen Stils, den man kurz auch den kommatisch-symmetrischen nennen kann, knüpft, wie man sieht, an die frühere Tradition der Sophistik: an die raffinierten Wortkünste 1 Die Stelle lautet in der Uberlieferung: Infringendis concindendisque numeris in quoddam genus abiectum incidunt siculorum simillimum, was v. Wilamowitx a. a. O. S. 2 Anm. 2 mit Otto Jahn xu versiculorum er- gänxt unter Hinweis auf § 227. 229, wo Cicero verlangt, daß der rhythmische Satzschluß nicht nur nicht ein poetisch (metrisch) gebundener poetice vinctus (ëunerpoc), sondern einem solchen möglichst unähnlich sein müsse. Norden. Antike Kunstprosa I 147 versteht Siculorum und denkt an die kurzen anti- thetisch und wortspielend xugespitxten parallelen Satzglieder der sixilischen Rednerschule (eines Gorgias, Timaios). v. Wilamowitx hätte für seine Text- herstellung vor allem sich auf Orator § 39 berufen können, wo das abiectum genus aus der Frühxeit der Redekunst (ut modo primumque nascentia; § 42 spricht davon als den oratoris quasi incunabulis), die Art des Thrasymachus. Gorgias, Theodorus von Byxanx genau ebenso charakterisiert ist: satis arguta multa, sed minuta et versiculorum similia quaedam nimiumque depicta. — Man beachte übrigens hier wieder das Bild vom Farbenauftrag, die Grund- lage des mittelalterlichen Terminus colores (s. oben S. 71, Anm. 1). 2 Vgl. Ed. Norden, Antike Kunstprosa I, S. 195—199.
84 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. stilreinen und künstlerischen Redner und alle wirklichen Attiker vor ihm beinahe für bäurisch gehalten. Cicero billigt ihm zu, daß er die er- strebte Konzinnitüt des Satzbaus erreichte, aber durch einen Stil, den er gebrochen, kleinlich, kindisch (fractum, minutum, puerile) nennt (Brutus § 286). Noch schärfer wiederholt er bald danach denselben Vorwurf: Hegesias, obgleich er den Lysias, der fast ein zweiter Demosthenes ist, nachahmen will, wird durch seine Flucht vor der rhythmischen mehrgliedrigen Periode (numerosa comprehensio) tänxelnd, indem er lauter kleine Einschnitte macht (saltat incidens particulas), ist dabei aber auch in seinen Gedanken mangelhaft, so daß, wer ihn kennt, keinen geschmacklosen Redner erst zu suchen braucht (Orator § 226). Und von ihm am meisten ist jener üble Stil der asianischen Redner ausge- gangen, der durch Zerbrechen und Zerstückeln der rhythmischen Reihe in eine gewisse würdelose Ausdrucksweise gerät, die den Schein von Versikeln hervorruft (Orator § 230) 1. Das Charakteristische in der Sprache des Hegesias und seiner Nachfolger ist also, daß sie ihre Sätze nicht periodisch, sondern kommatisch baut. Als Cicero im Sommer 46 einen Brief in hastigen abgerissenen Sätzen beginnt (ad Atticum XII 6) und sich mit einem jähen Doch was schwatze ich? Du wirst schon sorgen’ unterbricht, fügt er scherzend hinxu: Du hast hier eine Probe vom Stil des Hegesias, den Varro so lobt. Der Hieb gegen Varro soll einerseits dessen Unfähigkeit zur Perio- disierung, anderseits seine nicht selten hervorbrechende Lust an allerlei stilistischen Schnörkeln und Künsten, an Wortspielen, Annominatio und dergleichen 2 treffen. Dieser erste Typus des asianischen Stils, den man kurz auch den kommatisch-symmetrischen nennen kann, knüpft, wie man sieht, an die frühere Tradition der Sophistik: an die raffinierten Wortkünste 1 Die Stelle lautet in der Uberlieferung: Infringendis concindendisque numeris in quoddam genus abiectum incidunt siculorum simillimum, was v. Wilamowitx a. a. O. S. 2 Anm. 2 mit Otto Jahn xu versiculorum er- gänxt unter Hinweis auf § 227. 229, wo Cicero verlangt, daß der rhythmische Satzschluß nicht nur nicht ein poetisch (metrisch) gebundener poetice vinctus (ëunerpoc), sondern einem solchen möglichst unähnlich sein müsse. Norden. Antike Kunstprosa I 147 versteht Siculorum und denkt an die kurzen anti- thetisch und wortspielend xugespitxten parallelen Satzglieder der sixilischen Rednerschule (eines Gorgias, Timaios). v. Wilamowitx hätte für seine Text- herstellung vor allem sich auf Orator § 39 berufen können, wo das abiectum genus aus der Frühxeit der Redekunst (ut modo primumque nascentia; § 42 spricht davon als den oratoris quasi incunabulis), die Art des Thrasymachus. Gorgias, Theodorus von Byxanx genau ebenso charakterisiert ist: satis arguta multa, sed minuta et versiculorum similia quaedam nimiumque depicta. — Man beachte übrigens hier wieder das Bild vom Farbenauftrag, die Grund- lage des mittelalterlichen Terminus colores (s. oben S. 71, Anm. 1). 2 Vgl. Ed. Norden, Antike Kunstprosa I, S. 195—199.
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III. Die zweite Briefmustersammlung. 85 und die spielerische Ornamentik des von Platon bekämpften Gorgias, namentlich in der überreichen Würze der sogenannten Figurens. Die zweite Manier des asianischen Stils war nach Cicero (Brut. § 325) zu seiner Zeit in ganz Asion die vorherrschende. Er charakteri- siert sie als nicht so reich an Sentenzen, vielmehr als beweglich und erregt im Ausdruck: non tam sententiis frequentatum quam verbis volucre atque incitatum. Ihr cigentümliches Wesen bestcht nicht nur im Fluß der Rede (flumine orationis), cs xcigt sich auch in der schmuck- und kunstreichen Gestaltung des Ausdrucks: exornato et facto genere verborum. Meister waren darin, meint Cicero, sein Altersgenosse Aischi- nes aus Milet und der etwas ältere Aischylos von Knidos. Sie ver- fügten über einen bewunderungswürdigen Lauf der Rede, doch nicht iber die ziervolle Symmetrie der Sentenzen: in his erat admirabilis orationis cursus, ornata sententiarum concinnitas non erat. Unver- kennbar schildert Cicero hier cine periodische Struktur der Rede, und (s ist für unsere Betrachtung höchst bedeutsam, daß er xu ihrer Cha- rakteristik das Wort cursus anwendet, das im Altertum als fester rhe- torischer Terminus nicht vorkommt1, dem Mittelalter aber seit dem 11. Jahrhundert mit Bezichung auf den cursus Leoninus der Papstbriefe des 5. Jahrhunderts zum Schlagwort wird für den rhythmisch geregelten und stilistisch geschmückten Periodenbau der lateinischen Kanzleisprache. Ciceros Charakteristik des Asianismus ist für uns nicht leicht faßbar. Denn wie auch sonst bei seinen Schilderungen einzelner Richtungen oder Persönlichkeiten aus der Geschichte der Redekunst umschreibt er mehr nur den Eindruck, den sie auf ihn und seine Zeit machten. Nur un- vollkommen aber analysiert er das, worauf es uns ankäme, die cigent- liche rhctorische Technik, die sprachlich-stilistischen Mittel der von ihm 1 Cicero braucht hier cursus für periodische Rede im Gegensatx xu dem membratim dicere der Rede in кûAa und кóuuaтa (Orat. § 222). Auch De oratore III § 136 erscheint das Wort bereits mit ähnlichem Sinn und ebenfalls mit Bexug auf den periodischen Typus des asianischen Stils in dem tadelnden Urteil des Licinius Crassus über die rhetorische Routine seiner Zeit, über jene eloquentiam quam in clamore et in verborum cursu positam putant, was sich (s. Norden a. a. O. S. 224 und Anm. I) gegen die rhetores Latini vom Schlage der Lehrer des Verfassers der Rhetorik für Herennius richtet, die im Banne des Asianismus standen. Aber schon Quintilian verwendet, wie Norden, Antike Kunstprosa S. 960 bemerkt, das Wort allgemein Inst. IX 4, 70 für den rhyth- misch geregelten Gang der Periode. Könnte man an dieser Stelle das salvus est cursus sogar schon verstehen als gerettet ist der (rechte) Satxschluß', so seigt doch IX 4, 106 ubi cursus orationis exigitur et clausulis non insistitur, daß Quintilian gerade cursus und Satzklauseln noch als Gegensatz empfindet. Allerdings umfaßt ja auch der mittelalterliche cursus nicht bloß die rhythmi- schen Schlüsse, sondern auch die Anfänge, nur daß für diese nicht eine allge- mein anerkannte Regelung sich durchsetxte.
III. Die zweite Briefmustersammlung. 85 und die spielerische Ornamentik des von Platon bekämpften Gorgias, namentlich in der überreichen Würze der sogenannten Figurens. Die zweite Manier des asianischen Stils war nach Cicero (Brut. § 325) zu seiner Zeit in ganz Asion die vorherrschende. Er charakteri- siert sie als nicht so reich an Sentenzen, vielmehr als beweglich und erregt im Ausdruck: non tam sententiis frequentatum quam verbis volucre atque incitatum. Ihr cigentümliches Wesen bestcht nicht nur im Fluß der Rede (flumine orationis), cs xcigt sich auch in der schmuck- und kunstreichen Gestaltung des Ausdrucks: exornato et facto genere verborum. Meister waren darin, meint Cicero, sein Altersgenosse Aischi- nes aus Milet und der etwas ältere Aischylos von Knidos. Sie ver- fügten über einen bewunderungswürdigen Lauf der Rede, doch nicht iber die ziervolle Symmetrie der Sentenzen: in his erat admirabilis orationis cursus, ornata sententiarum concinnitas non erat. Unver- kennbar schildert Cicero hier cine periodische Struktur der Rede, und (s ist für unsere Betrachtung höchst bedeutsam, daß er xu ihrer Cha- rakteristik das Wort cursus anwendet, das im Altertum als fester rhe- torischer Terminus nicht vorkommt1, dem Mittelalter aber seit dem 11. Jahrhundert mit Bezichung auf den cursus Leoninus der Papstbriefe des 5. Jahrhunderts zum Schlagwort wird für den rhythmisch geregelten und stilistisch geschmückten Periodenbau der lateinischen Kanzleisprache. Ciceros Charakteristik des Asianismus ist für uns nicht leicht faßbar. Denn wie auch sonst bei seinen Schilderungen einzelner Richtungen oder Persönlichkeiten aus der Geschichte der Redekunst umschreibt er mehr nur den Eindruck, den sie auf ihn und seine Zeit machten. Nur un- vollkommen aber analysiert er das, worauf es uns ankäme, die cigent- liche rhctorische Technik, die sprachlich-stilistischen Mittel der von ihm 1 Cicero braucht hier cursus für periodische Rede im Gegensatx xu dem membratim dicere der Rede in кûAa und кóuuaтa (Orat. § 222). Auch De oratore III § 136 erscheint das Wort bereits mit ähnlichem Sinn und ebenfalls mit Bexug auf den periodischen Typus des asianischen Stils in dem tadelnden Urteil des Licinius Crassus über die rhetorische Routine seiner Zeit, über jene eloquentiam quam in clamore et in verborum cursu positam putant, was sich (s. Norden a. a. O. S. 224 und Anm. I) gegen die rhetores Latini vom Schlage der Lehrer des Verfassers der Rhetorik für Herennius richtet, die im Banne des Asianismus standen. Aber schon Quintilian verwendet, wie Norden, Antike Kunstprosa S. 960 bemerkt, das Wort allgemein Inst. IX 4, 70 für den rhyth- misch geregelten Gang der Periode. Könnte man an dieser Stelle das salvus est cursus sogar schon verstehen als gerettet ist der (rechte) Satxschluß', so seigt doch IX 4, 106 ubi cursus orationis exigitur et clausulis non insistitur, daß Quintilian gerade cursus und Satzklauseln noch als Gegensatz empfindet. Allerdings umfaßt ja auch der mittelalterliche cursus nicht bloß die rhythmi- schen Schlüsse, sondern auch die Anfänge, nur daß für diese nicht eine allge- mein anerkannte Regelung sich durchsetxte.
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Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. 86 empfundenen Wirkungen. Immerhin vermögen wir die beiden Typen, die er unterscheidet, in den erhaltenen griechischen und lateinischen Prosa- denkmälern des Altertums zu erkennen und in ihrer Fortbildung zu ver- folgen. Noch der lateinische Grammatiker Diomedes (in der zweiten Hälfie des 4. Jahrhunderts) stellt nach derselben guten alten Tradition als die beiden Typen der falschen Kunstrichtung (cacozelia) nebeneinander den nimius cultus und den tumor. Jener, der die Auflösung der Periode erzielt, lebt für uns in Sallust, Seneca, Tacitus. Der tumor tritt uns entgegen in der späthellenistischen Kanzleisprache, z. B. in dem inschriftlichen Erlaß des syrischen Königs Antiochos von Kommagene (1. Jahrhundert v. Chr.) oder in dem inschriftlichen Gedenkwort des syri- schen Königs Mithridates Kallinikos (Anfang des 1. Jahrh. v. Chr.) für seine Verwandten1. Die ältere hellenistische Kanzleisprache hingegen bediente sich noch der schlichten Koine. Aber Livius XXXV 48 spottet über die Rede eines Gesandten des Königs Antiochos im Jahre 192, in- dem er ihn wegen des leeren Klangs seiner Worte (inanis sonitus ver- borum) cinen vaniloquus nennt und hinzusetzt, er habe eben gesprochen wie die Mehrzahl derer, die im Dienste eines Königs stehn. Auch Herkunft und geschichtliche Entwicklung der beiden asianischen Rede- formen, die Cicero beschreibt, wird uns aus seinen Worten, wenigstens in den Grundzügen klar, wenn wir uns gegenwärtig halten, daß dieser Geschichtschreiber und Kritiker der hellenisch-römischen Redekunst durch- aus in eigener Sache spricht: seine eigene rednerische Art galt es zu verteidigen und zu rechtfertigen gegenüber den Anhängern jenes oben (S. 82) gekennzeichneten strengen Attixismus, die ihr wegen ihrer Fülle, ihres reichen rhetorischen Schmucks und ihres rhythmischen Schwungs den Vorwurf des Asianismus machten, und diese Angreifer, unter denen sich vor allem sein Freund M. Junius Brutus und Julius Cäsar befanden, womöglich zu bekehren oder doch seinem Standpunkt zu nähern. In Wahrheit hatten sie ja ganx recht: Cicero war tatsächlich ein Asianer, wenn auch ein abgeklärter. Sein ganxer Bildungsgang, über den er genau Rechenschaft gibt, lehrt es. Als er seine rednerische Laufbahn begann, dominierten in Rom die asianischen Rhetoren: der gefeiertste Anwalt Hortensius, sein Muster und sein Rival, war ganz Asianer. Cicero hatte in seiner Knabenxeit das karische Brüderpaar Hierokles und Menekles, die damaligen Führer des Asianismus gehört. Deren Schüler aber waren die gleich ihnen aus Ala- banda stammenden beiden Begründer der rhodischen Redekunst: Apol- lonios ô uaxakóg und Apollonios, des Molon Sohn, gewöhnlich bloß Molon genannt. Diese wanderten nach Rhodus aus und gaben hier der asianischen Beredsamkeit ihrer Lehrer eine neue Richtung. Molon kam 1 Norden, Antike Kunstprosa I146, Anm. Ein weiteres Beispiel bespricht v. Wilamowitz, Hermes, Bd. 35 (1900), S. 536 ff.
Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. 86 empfundenen Wirkungen. Immerhin vermögen wir die beiden Typen, die er unterscheidet, in den erhaltenen griechischen und lateinischen Prosa- denkmälern des Altertums zu erkennen und in ihrer Fortbildung zu ver- folgen. Noch der lateinische Grammatiker Diomedes (in der zweiten Hälfie des 4. Jahrhunderts) stellt nach derselben guten alten Tradition als die beiden Typen der falschen Kunstrichtung (cacozelia) nebeneinander den nimius cultus und den tumor. Jener, der die Auflösung der Periode erzielt, lebt für uns in Sallust, Seneca, Tacitus. Der tumor tritt uns entgegen in der späthellenistischen Kanzleisprache, z. B. in dem inschriftlichen Erlaß des syrischen Königs Antiochos von Kommagene (1. Jahrhundert v. Chr.) oder in dem inschriftlichen Gedenkwort des syri- schen Königs Mithridates Kallinikos (Anfang des 1. Jahrh. v. Chr.) für seine Verwandten1. Die ältere hellenistische Kanzleisprache hingegen bediente sich noch der schlichten Koine. Aber Livius XXXV 48 spottet über die Rede eines Gesandten des Königs Antiochos im Jahre 192, in- dem er ihn wegen des leeren Klangs seiner Worte (inanis sonitus ver- borum) cinen vaniloquus nennt und hinzusetzt, er habe eben gesprochen wie die Mehrzahl derer, die im Dienste eines Königs stehn. Auch Herkunft und geschichtliche Entwicklung der beiden asianischen Rede- formen, die Cicero beschreibt, wird uns aus seinen Worten, wenigstens in den Grundzügen klar, wenn wir uns gegenwärtig halten, daß dieser Geschichtschreiber und Kritiker der hellenisch-römischen Redekunst durch- aus in eigener Sache spricht: seine eigene rednerische Art galt es zu verteidigen und zu rechtfertigen gegenüber den Anhängern jenes oben (S. 82) gekennzeichneten strengen Attixismus, die ihr wegen ihrer Fülle, ihres reichen rhetorischen Schmucks und ihres rhythmischen Schwungs den Vorwurf des Asianismus machten, und diese Angreifer, unter denen sich vor allem sein Freund M. Junius Brutus und Julius Cäsar befanden, womöglich zu bekehren oder doch seinem Standpunkt zu nähern. In Wahrheit hatten sie ja ganx recht: Cicero war tatsächlich ein Asianer, wenn auch ein abgeklärter. Sein ganxer Bildungsgang, über den er genau Rechenschaft gibt, lehrt es. Als er seine rednerische Laufbahn begann, dominierten in Rom die asianischen Rhetoren: der gefeiertste Anwalt Hortensius, sein Muster und sein Rival, war ganz Asianer. Cicero hatte in seiner Knabenxeit das karische Brüderpaar Hierokles und Menekles, die damaligen Führer des Asianismus gehört. Deren Schüler aber waren die gleich ihnen aus Ala- banda stammenden beiden Begründer der rhodischen Redekunst: Apol- lonios ô uaxakóg und Apollonios, des Molon Sohn, gewöhnlich bloß Molon genannt. Diese wanderten nach Rhodus aus und gaben hier der asianischen Beredsamkeit ihrer Lehrer eine neue Richtung. Molon kam 1 Norden, Antike Kunstprosa I146, Anm. Ein weiteres Beispiel bespricht v. Wilamowitz, Hermes, Bd. 35 (1900), S. 536 ff.
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III. Die zweite Briefmustersammlung. 87 im Jakre 81 v. Chr.1 als rhodischer Gesandter nach Rom und wurde damals von Cicero gehört. Aber entscheidend hat er die Läuterung und Vollendung seiner rednerischen Ausbildung erst 78 bestimmt, als Cicero zum Abschluß seiner großen Bildungsreise, die er, nach xweijähriger forensischer Tätigkeit schon ein rühmlich bekannter Redner, angetreten hatte, ihn in Rhodus aufsuchte. Vorher hatte er in Athen und in ver- schiedenen kleinasiatischen Städten bei den angesehensten Philosophen und Rhetoren emsige Studien gemacht. Er gedenkt besonders warm seines sechs Monate langen Verkehrs mit dem damaligen Haupt der athenischen Akademie, Antiochos von Askalon, unter dessen Leitung er das seit frühester Jugend begonnene, stets erweiterte und niemals unterbrochene Studium der Philosophie von neuem aufgenommen habe (Brut. § 315, vgl. De nat. deorum I § 6). Wir müssen dem hinzu- fügen und stark betonen, daß dieser Platoniker jenes Philon von Larissa Schiller war, der abwechsclnd rednerische und philosophische Vorträge hielt (Tuscul. II 9), also Philosophie und Rhetorik vereinigte. Von den berühmten Lehrern der Redekunst, bei denen Cicero sich damals übte, nennt er den Syrer Demetrios in Athen, und in Kleinasien Dionysios aus Magnesia, Aischylos aus Knidos, Xenokles aus Adra- myttion, vor allem aber als den größten Redner in ganx Asien Menippos aus Stratonikeia in Karien (Brutus § 315. 316)2. Den Knidier Aischylos zählte er selbst (Brut. § 325) xu den Meistern des zweiten asianischen Typus, den der Fluß und der reiche Ausdruck der Rede charakteri- siert. Menippos von Stratonikeia bemüht er sich, mit der etwas gewundenen Wendung, das Freisein von Uberladung und Geschmacklosigkeiten (mo- lestiarum et ineptiarum) sei das Wesen der Attiker, in die Reihen dieser zu stellen. Also es kann keinem Zweifel unterliegen: Cicero war während dieser Studienreise tief eingetaucht in alle Künste der asianischen Meister. Der Grundzug seiner rednerischen Wesensart war ja von Anfang und blieb sein Leben lang die strömende Fülle der harmonisch gegliederten, rhythmisch schwingenden Periode, also jener Stilcharakter, der ihn nach Cäsars treffendem Wort xum principem copiae atque inventorem gemacht hat (Brut. § 253. 254. 255) und der dem oben beschriebenen zweiten Typus der asianischen Redekunst innerlich aufs nächste verwandt ist. Aber sein tiefer und anhaltender Drang zur philosophischen Klarheit 1 Falls Cicero Brut. § 307 die Worte eodem anno — magistro keine Inter- polation sind, auch schon vorher im Jahre 87 v. Chr. 2 Vgl. über diese von Cicero genannten Redner Franz Susemihl, Gesch. d. griech. Literatur in der Alexandrinerxeit, 2. Bd. (1892), S. 488 Anm. 119 bis 121: 489—496 Anm. 124—153; 697; Braoska, Realenzyklop. f. klass. Altert. I 1 (1894), S. 1062, Z. 43—55; 1085, Z. 8—15: W. Schmid, ebd. II I (1895), S. 140, Z. 10—141, Z. 9.
III. Die zweite Briefmustersammlung. 87 im Jakre 81 v. Chr.1 als rhodischer Gesandter nach Rom und wurde damals von Cicero gehört. Aber entscheidend hat er die Läuterung und Vollendung seiner rednerischen Ausbildung erst 78 bestimmt, als Cicero zum Abschluß seiner großen Bildungsreise, die er, nach xweijähriger forensischer Tätigkeit schon ein rühmlich bekannter Redner, angetreten hatte, ihn in Rhodus aufsuchte. Vorher hatte er in Athen und in ver- schiedenen kleinasiatischen Städten bei den angesehensten Philosophen und Rhetoren emsige Studien gemacht. Er gedenkt besonders warm seines sechs Monate langen Verkehrs mit dem damaligen Haupt der athenischen Akademie, Antiochos von Askalon, unter dessen Leitung er das seit frühester Jugend begonnene, stets erweiterte und niemals unterbrochene Studium der Philosophie von neuem aufgenommen habe (Brut. § 315, vgl. De nat. deorum I § 6). Wir müssen dem hinzu- fügen und stark betonen, daß dieser Platoniker jenes Philon von Larissa Schiller war, der abwechsclnd rednerische und philosophische Vorträge hielt (Tuscul. II 9), also Philosophie und Rhetorik vereinigte. Von den berühmten Lehrern der Redekunst, bei denen Cicero sich damals übte, nennt er den Syrer Demetrios in Athen, und in Kleinasien Dionysios aus Magnesia, Aischylos aus Knidos, Xenokles aus Adra- myttion, vor allem aber als den größten Redner in ganx Asien Menippos aus Stratonikeia in Karien (Brutus § 315. 316)2. Den Knidier Aischylos zählte er selbst (Brut. § 325) xu den Meistern des zweiten asianischen Typus, den der Fluß und der reiche Ausdruck der Rede charakteri- siert. Menippos von Stratonikeia bemüht er sich, mit der etwas gewundenen Wendung, das Freisein von Uberladung und Geschmacklosigkeiten (mo- lestiarum et ineptiarum) sei das Wesen der Attiker, in die Reihen dieser zu stellen. Also es kann keinem Zweifel unterliegen: Cicero war während dieser Studienreise tief eingetaucht in alle Künste der asianischen Meister. Der Grundzug seiner rednerischen Wesensart war ja von Anfang und blieb sein Leben lang die strömende Fülle der harmonisch gegliederten, rhythmisch schwingenden Periode, also jener Stilcharakter, der ihn nach Cäsars treffendem Wort xum principem copiae atque inventorem gemacht hat (Brut. § 253. 254. 255) und der dem oben beschriebenen zweiten Typus der asianischen Redekunst innerlich aufs nächste verwandt ist. Aber sein tiefer und anhaltender Drang zur philosophischen Klarheit 1 Falls Cicero Brut. § 307 die Worte eodem anno — magistro keine Inter- polation sind, auch schon vorher im Jahre 87 v. Chr. 2 Vgl. über diese von Cicero genannten Redner Franz Susemihl, Gesch. d. griech. Literatur in der Alexandrinerxeit, 2. Bd. (1892), S. 488 Anm. 119 bis 121: 489—496 Anm. 124—153; 697; Braoska, Realenzyklop. f. klass. Altert. I 1 (1894), S. 1062, Z. 43—55; 1085, Z. 8—15: W. Schmid, ebd. II I (1895), S. 140, Z. 10—141, Z. 9.
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88 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. und menschlichen Reife 1 sowie das physische Bedürfnis seines schwäch- lichen Körpers nach Schonung der Stimme und der Zunge mußte ihn antreiben, im rednerischen Vortrag das rechte Maß zu suchen und grelle Effekte übersteigerter Kraftanspannung zu vermeiden. Deshalb ging er nach Rhodus und fand hier bei seinem alten Lehrer Molon und bei Poseidonios, was er brauchte: einen von Ubertreibung gereinigten Asia- nismus, den Glanz und die Tiefe einer religiös beseelten universalen Weltanschauung. Aber diese rhodische Schule, die ihm nach seiner Ver- sicherung jetzt das Heil brachte und ihm den Weg zum künstlerisch gezügelten Stil öffnete, indem sie die überströmende Fülle und Uferlosig- keit seiner jugendlichen Beredsamkeit dämmte2, sie war ihm ja schon in seinen frühesten Anfängen, schon vor jenem ersten Studium bei Molon in Rom, nahegekommen: seine Jugendschrift De inventione und ihre Doppelgängerin, die Rhetorik an Herennius, weisen zurück auf gemein- same Vorlagen, in denen diese rhodische Redekunst auf einer etwas älteren Stufe erscheint, und zwar zeigt das vom Auctor ad Herennium benutxte Lehrmaterial wieder noch einen früheren Entwicklungsstand als Ciceros Rhetorik. Beide aber im Verein und namentlich das Herenniusbuch mit seinen schon oben (S. 74 f.) berührten innern Widersprüchen in Einxelheiten wie im Grundsätzlichen lehren noch etwas wichtiges anderes: auf Rhodus bestanden im ersten Viertel des ersten vorchristlichen Jahrhunderts ver- schiedene, ja entgegengesetzte Richtungen der literarischen und gelehrten Bildung, insbesondere auch Gegensätze der rhetorischen Theorie und Praxis, die sich in Reibungen der Rivalität und auch in offenem und lebhaftem Meinungskampf Luft machten. Im einzelnen können wir diese Schichtungen und Phasen der philo- sophischen und der rhetorischen Schule von Rhodus nicht erkennen: ihre literarischen Erzougnisse sind in den Originalen untergegangen, ihre Widerspiegelungen in späteren Quellen und die antiken biographisch- literargeschichtlichen Nachrichten über sie geben nur ein schwankendes und lückenhaftes Bild. So sind denn De inventione' und besonders die anonyme Lehrschrift an Herennius unschätzbare Urkunden für jene weithin ausstrahlende rhodische Gestaltung vor- und nach- aristotelischer Rhetorik. Die richtige Beleuchtung gibt für ihr Ver- 1 Orat. § 12: Fateor me oratorem, si modo sim aut quicumque sim, non ex rhetorum officinis, sed ex Academiae spatiis exstitisse. 2 Brut. § 316: Rhodum veni meque ad eundem, qua Romae audiveram, Molonem applicavi cum actorem in veris causis scriptoremque praestantem tum in notandis animadvertendisque vitiis et instituendo docendoque pruden- tissimum. is dedit operam, si modo id consequi potuit, ut nimis redundantis nos et superfluentis iuvenili quadam dicendi impunitate et licentia reprimeret et quasi extra ripas diffluentis coerceret: ita recepi me biennio post non modo exercitatior, sed prope [oder probe?] mutatus.
88 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. und menschlichen Reife 1 sowie das physische Bedürfnis seines schwäch- lichen Körpers nach Schonung der Stimme und der Zunge mußte ihn antreiben, im rednerischen Vortrag das rechte Maß zu suchen und grelle Effekte übersteigerter Kraftanspannung zu vermeiden. Deshalb ging er nach Rhodus und fand hier bei seinem alten Lehrer Molon und bei Poseidonios, was er brauchte: einen von Ubertreibung gereinigten Asia- nismus, den Glanz und die Tiefe einer religiös beseelten universalen Weltanschauung. Aber diese rhodische Schule, die ihm nach seiner Ver- sicherung jetzt das Heil brachte und ihm den Weg zum künstlerisch gezügelten Stil öffnete, indem sie die überströmende Fülle und Uferlosig- keit seiner jugendlichen Beredsamkeit dämmte2, sie war ihm ja schon in seinen frühesten Anfängen, schon vor jenem ersten Studium bei Molon in Rom, nahegekommen: seine Jugendschrift De inventione und ihre Doppelgängerin, die Rhetorik an Herennius, weisen zurück auf gemein- same Vorlagen, in denen diese rhodische Redekunst auf einer etwas älteren Stufe erscheint, und zwar zeigt das vom Auctor ad Herennium benutxte Lehrmaterial wieder noch einen früheren Entwicklungsstand als Ciceros Rhetorik. Beide aber im Verein und namentlich das Herenniusbuch mit seinen schon oben (S. 74 f.) berührten innern Widersprüchen in Einxelheiten wie im Grundsätzlichen lehren noch etwas wichtiges anderes: auf Rhodus bestanden im ersten Viertel des ersten vorchristlichen Jahrhunderts ver- schiedene, ja entgegengesetzte Richtungen der literarischen und gelehrten Bildung, insbesondere auch Gegensätze der rhetorischen Theorie und Praxis, die sich in Reibungen der Rivalität und auch in offenem und lebhaftem Meinungskampf Luft machten. Im einzelnen können wir diese Schichtungen und Phasen der philo- sophischen und der rhetorischen Schule von Rhodus nicht erkennen: ihre literarischen Erzougnisse sind in den Originalen untergegangen, ihre Widerspiegelungen in späteren Quellen und die antiken biographisch- literargeschichtlichen Nachrichten über sie geben nur ein schwankendes und lückenhaftes Bild. So sind denn De inventione' und besonders die anonyme Lehrschrift an Herennius unschätzbare Urkunden für jene weithin ausstrahlende rhodische Gestaltung vor- und nach- aristotelischer Rhetorik. Die richtige Beleuchtung gibt für ihr Ver- 1 Orat. § 12: Fateor me oratorem, si modo sim aut quicumque sim, non ex rhetorum officinis, sed ex Academiae spatiis exstitisse. 2 Brut. § 316: Rhodum veni meque ad eundem, qua Romae audiveram, Molonem applicavi cum actorem in veris causis scriptoremque praestantem tum in notandis animadvertendisque vitiis et instituendo docendoque pruden- tissimum. is dedit operam, si modo id consequi potuit, ut nimis redundantis nos et superfluentis iuvenili quadam dicendi impunitate et licentia reprimeret et quasi extra ripas diffluentis coerceret: ita recepi me biennio post non modo exercitatior, sed prope [oder probe?] mutatus.
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III. Die zweite Briefmustersammlung. 89 ständnis aber nur Ciceros Charakteristik des Asianismus und seine Dar- stellung dessen, was er dem Rhodier Molon verdankt. An ihm, der als ausgezeichneter Sachwalter und Redekünstler, als Verfasser eines rhetorischen Lehrbuchs sowie historischer Werke und als Lehrer der Beredsamkeit sich praktisch, theoretisch und schriftstellerisch gleichermaßen hervorgetan hatte, rühmt Cicero mit dem nachdrücklichsten Lobe scine scharfe und sichere Kritik rednerischer Mängel und Auswrüchse und bekennt, durch ihn von der asianischen Uberfülle geheilt, ja nahezu verwandelt zu sein (s. oben S. 88, Anm. 2); zwei Jahre später machte auch ein so ausgeprägt nüchterner, unasianischer Stilist wie C. Julius Cäsar bei dem rhodischen Meister (clarissimus dicendi magister) Studien (Sueton Caes. 4); allgemein galt die rhodische Schule als Vertreterin einer Mittelstellung zwischen Asianismus und klassizistischem Attixismus; ihre beiden Führer Apollonius ô uakakóg und Apollonius Molon stammten aber, wie gesagt, selbst aus Kleinasien und waren Schüler des Menekles, eines der Häupter des Asianismus; demnach muß man schließen, daß beide, xumal aber Molon, der Kritiker der stilistischen Uberfülle Ciceros, selbst erst die asianische Manier allmählich überwunden und sich zu einer reineren und strengeren Kunst durchgerungen haben. Durch welche Mittel und auf welchem Wege? mit welchem Erfolge? Apollonios ô uaxakóg und Apollonios Molon bewahrten, scheint es, ihr Leben lang als Erbteil der alten Sophistik die Geringschätzung der Philosophie. Der ältere Apollonios hat gewohnheitsmäßig die Philosophie mit geistreichem Spott herabgesetzt, x. B. die Ansichten des Panaitios (Cic. De orat. I § 75). Molon schrieb ein Buch gegen die Philosophen, worin er, wie ein erhaltenes Fragment zeigt (Schol. zu Aristoph. Wolken 144), einen für Sokrates eintretenden Orakelspruch der Pythia als Fäl- schung verwirft und wahrscheinlich auch seine uns überlieferte feindliche Bemerkung gegen Platon (Diogen. Laert. III 34) vorkam. Das also schied beide scharf von Cicero, während es nachklingt in den Ausfällen des Herenniuskompendiums wider die Zweideutigkeiten (amphibolias) der Dialektiker, die es als pueriles opiniones abweist (II I1, 16). Diesem antiphilosophischen Standpunkt entsprach die Hinneigung der beiden Rhodier zu der spielerischen Willkür des alten sophistischen Stils eines Gorgias und seiner Nachahmer, der im ersten asianischen Typus fortlebte. Aber dieser modernen Gesinnung, die eigenmächtig die Rede nach Stimmung und Laune auf den frappierenden Ausdruck xuspitzt, stand bei den Rhodiern zügelnd zur Seite ein bewußter Trieb zum Lesen guter Muster.
III. Die zweite Briefmustersammlung. 89 ständnis aber nur Ciceros Charakteristik des Asianismus und seine Dar- stellung dessen, was er dem Rhodier Molon verdankt. An ihm, der als ausgezeichneter Sachwalter und Redekünstler, als Verfasser eines rhetorischen Lehrbuchs sowie historischer Werke und als Lehrer der Beredsamkeit sich praktisch, theoretisch und schriftstellerisch gleichermaßen hervorgetan hatte, rühmt Cicero mit dem nachdrücklichsten Lobe scine scharfe und sichere Kritik rednerischer Mängel und Auswrüchse und bekennt, durch ihn von der asianischen Uberfülle geheilt, ja nahezu verwandelt zu sein (s. oben S. 88, Anm. 2); zwei Jahre später machte auch ein so ausgeprägt nüchterner, unasianischer Stilist wie C. Julius Cäsar bei dem rhodischen Meister (clarissimus dicendi magister) Studien (Sueton Caes. 4); allgemein galt die rhodische Schule als Vertreterin einer Mittelstellung zwischen Asianismus und klassizistischem Attixismus; ihre beiden Führer Apollonius ô uakakóg und Apollonius Molon stammten aber, wie gesagt, selbst aus Kleinasien und waren Schüler des Menekles, eines der Häupter des Asianismus; demnach muß man schließen, daß beide, xumal aber Molon, der Kritiker der stilistischen Uberfülle Ciceros, selbst erst die asianische Manier allmählich überwunden und sich zu einer reineren und strengeren Kunst durchgerungen haben. Durch welche Mittel und auf welchem Wege? mit welchem Erfolge? Apollonios ô uaxakóg und Apollonios Molon bewahrten, scheint es, ihr Leben lang als Erbteil der alten Sophistik die Geringschätzung der Philosophie. Der ältere Apollonios hat gewohnheitsmäßig die Philosophie mit geistreichem Spott herabgesetzt, x. B. die Ansichten des Panaitios (Cic. De orat. I § 75). Molon schrieb ein Buch gegen die Philosophen, worin er, wie ein erhaltenes Fragment zeigt (Schol. zu Aristoph. Wolken 144), einen für Sokrates eintretenden Orakelspruch der Pythia als Fäl- schung verwirft und wahrscheinlich auch seine uns überlieferte feindliche Bemerkung gegen Platon (Diogen. Laert. III 34) vorkam. Das also schied beide scharf von Cicero, während es nachklingt in den Ausfällen des Herenniuskompendiums wider die Zweideutigkeiten (amphibolias) der Dialektiker, die es als pueriles opiniones abweist (II I1, 16). Diesem antiphilosophischen Standpunkt entsprach die Hinneigung der beiden Rhodier zu der spielerischen Willkür des alten sophistischen Stils eines Gorgias und seiner Nachahmer, der im ersten asianischen Typus fortlebte. Aber dieser modernen Gesinnung, die eigenmächtig die Rede nach Stimmung und Laune auf den frappierenden Ausdruck xuspitzt, stand bei den Rhodiern zügelnd zur Seite ein bewußter Trieb zum Lesen guter Muster.
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90 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägier Briefsteller. Grammatische Studien auf Rhodus: der Grundsatz der Nachahmung und der schriftsprachlichen Richtigkeit. Der Auspruch: Die Lektüre ist die Nahrung des Ausdrucks', der Molon zugeschricben wird1 und wahrscheinlich aus seinem rhetorischen Lehrbuch stammt, im Verein mit seiner selbständigen grammatischen Arbeit, die er der Interpretation Homers zuwendete 2, weisen die Richtung, in der er und die rhodische Rhetorenschule über sein anfängliches Vor- bild, seinen asianischen Lehrer Menekles, hinausgekommen sind. Freilich bleibt es uns bei dem Verlust der originalen Quellen und den unbestimmten Angaben der antiken Berichterstatter verborgen, welche Folgerung Molon und seine Leute aus jener Empfehlung der Lektüre zogen. Schwerlich hat man aber ein Recht xu sagen: vielleicht empfahl er besonders gerade das Lesen asianischer Redner. Denn das Wesen des ersten asianischen Stils drängte durchaus auf eigene Erfindung geistreicher neuer Pointen. Jener Satz über die àváyvwoig hingegen schließt offenbar die Forderung ein, daß man durch Lektüre feststellen solle, was musterhaft sei. Und ebenso klar ist, daß hiermit das grammatische Studium, das den Sprachgebrauch der bedeutendsten älteren Schriftsteller ermittelt und er- klärt, Hand in Hand geht xum gleichen Ziel. Allerdings bleibt immer noch ein weiter Spielraum für die Art der Befolgung jenes Gebots der Lektüre. Aber nicht zu umgehen war, sobald man las, um den Aus- druck zu nähren, sobald man der Sprache der alten besten Dichter und Schriftsteller grammatisch nachforschte, daß man an Stelle der für den Asianismus des Hegesias und Menekles maßgebenden Tendenz xur Neuerung des Ausdrucks vielmehr den Grundsatz der Nachahmung (uiunois) verkündigte. Auch das Prinzip der Nachahmung erträgt verschiedene Anwendung. Wird es streng durchgeführt, so entsteht der Attixismus, allgemeiner aus- gedrückt der Klassizismus. Das Augusteische Zeitalter hat diesem Klassizismus xu einem allerdings nicht lange währenden und bald wieder scharf bekämpften Siege verholfen. Es ist behauptet worden, daß der eigentliche Ursprungsort dieses Attizismus mit dem grammatisch-rhetori- schen Prinzip der Nachahmung älterer Muster Rhodus gewesen sei und die beiden Apollonios sich, vom Asianismus ausgehend, zu mehr oder minder attisierenden Vorläufern des dann in Rom durchgesetzten Klassizismus 1 Aelius Theon Progymnasmata (Rhetores Graeci ed. L. Spengel II61. Z. 28 f.: ń bè àvárvwoig, úc rův upeoßurépuv ric ěon, 'AOMRúVIoc 8okei uoi ó Pódiog, трофi Xéžeug čoтi. Susemihl a. a. O. S. 492 Anm. 139 und v. Wilamow itz Hermes, Bd. 35, S. 30 Anm. 2 bexiehn das auf Apollonios Molon, andere (z. B. [Brzoska?] Realenzyklop. II1 S. 140, Z. 64 ff.; W. Schmid, Gesch. d. griech. Lit. II 16 (1920), S. 340 Anm. 2) auf Apollonios ó uakakóç. 2 Marx, Prolegom. S. 160.
90 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägier Briefsteller. Grammatische Studien auf Rhodus: der Grundsatz der Nachahmung und der schriftsprachlichen Richtigkeit. Der Auspruch: Die Lektüre ist die Nahrung des Ausdrucks', der Molon zugeschricben wird1 und wahrscheinlich aus seinem rhetorischen Lehrbuch stammt, im Verein mit seiner selbständigen grammatischen Arbeit, die er der Interpretation Homers zuwendete 2, weisen die Richtung, in der er und die rhodische Rhetorenschule über sein anfängliches Vor- bild, seinen asianischen Lehrer Menekles, hinausgekommen sind. Freilich bleibt es uns bei dem Verlust der originalen Quellen und den unbestimmten Angaben der antiken Berichterstatter verborgen, welche Folgerung Molon und seine Leute aus jener Empfehlung der Lektüre zogen. Schwerlich hat man aber ein Recht xu sagen: vielleicht empfahl er besonders gerade das Lesen asianischer Redner. Denn das Wesen des ersten asianischen Stils drängte durchaus auf eigene Erfindung geistreicher neuer Pointen. Jener Satz über die àváyvwoig hingegen schließt offenbar die Forderung ein, daß man durch Lektüre feststellen solle, was musterhaft sei. Und ebenso klar ist, daß hiermit das grammatische Studium, das den Sprachgebrauch der bedeutendsten älteren Schriftsteller ermittelt und er- klärt, Hand in Hand geht xum gleichen Ziel. Allerdings bleibt immer noch ein weiter Spielraum für die Art der Befolgung jenes Gebots der Lektüre. Aber nicht zu umgehen war, sobald man las, um den Aus- druck zu nähren, sobald man der Sprache der alten besten Dichter und Schriftsteller grammatisch nachforschte, daß man an Stelle der für den Asianismus des Hegesias und Menekles maßgebenden Tendenz xur Neuerung des Ausdrucks vielmehr den Grundsatz der Nachahmung (uiunois) verkündigte. Auch das Prinzip der Nachahmung erträgt verschiedene Anwendung. Wird es streng durchgeführt, so entsteht der Attixismus, allgemeiner aus- gedrückt der Klassizismus. Das Augusteische Zeitalter hat diesem Klassizismus xu einem allerdings nicht lange währenden und bald wieder scharf bekämpften Siege verholfen. Es ist behauptet worden, daß der eigentliche Ursprungsort dieses Attizismus mit dem grammatisch-rhetori- schen Prinzip der Nachahmung älterer Muster Rhodus gewesen sei und die beiden Apollonios sich, vom Asianismus ausgehend, zu mehr oder minder attisierenden Vorläufern des dann in Rom durchgesetzten Klassizismus 1 Aelius Theon Progymnasmata (Rhetores Graeci ed. L. Spengel II61. Z. 28 f.: ń bè àvárvwoig, úc rův upeoßurépuv ric ěon, 'AOMRúVIoc 8okei uoi ó Pódiog, трофi Xéžeug čoтi. Susemihl a. a. O. S. 492 Anm. 139 und v. Wilamow itz Hermes, Bd. 35, S. 30 Anm. 2 bexiehn das auf Apollonios Molon, andere (z. B. [Brzoska?] Realenzyklop. II1 S. 140, Z. 64 ff.; W. Schmid, Gesch. d. griech. Lit. II 16 (1920), S. 340 Anm. 2) auf Apollonios ó uakakóç. 2 Marx, Prolegom. S. 160.
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III. Die zweite Briefmustersammlung. 91 gewandelt hätten1. Dem hat v. Wilamowitz früher scharf widersprochen, aber später doch der rhodischen Schule einen Anteil bei dieser wichtigsten stilgeschichtlichen Reaktion zugestanden2. Wie dem auch sei, und un- beschadet des Umstands, daß erst neue glückliche Papyrusfunde rhodi- scher Rhetorik diese Frage entscheiden könntens, sicher und anerkannt ist die hohe Bedeutung, die Rhodus für die Entwicklung des rednerischen Stils errungen hat durch die hier zuerst wirksame enge Verbindung grammatischer und rhetorischer Lehre. Hier hatte um das Jahr 100 v. Chr. Dionysios Thrax, Aristarchs Schüler, den ältesten Leitfaden der griechischen Sprache geschrieben: einen Auszug aus dem grammatischen Ertrag der alexandrinischen Philologie, das Grundbuch aller Grammatik. Es wies der für die rhodische Schule charakteristischen Vereinigung grammatischer und rhetorischer Ubung und Theorie den Weg und kodifizierte, bis heute maßgebend, das System der acht Redeteile, insbesondere aber schuf es für die Rüickkehr zu alten Sprachmustern, au den Vorbildern aus der attischen Blüte wie für das erstarkende, unabsehbar durch die Jahrhunderte fortwirkende Prinzip der Nachahmung die sprachlich-stilistische Grundlage. In dem römi- schen Ritter L. Aelius Stilo, der als Begleiter des Q. Metellus Numi- dicus dessen freiwilliges Exil in Rhodus geteilt und sich dort wie dieser philosophischen und rhetorisch-grammatischen Studien gewidmet hatte, wurde des Dionysios Beispiel und Lehre fruchtbar für Rom. Aelius Stilo war der erste Römer, der Befrewndeten Unterweisung in lateinischer Redekunst erteilte und dabei erklärend und kritisch edierend auf die ältesten lateinischen Literaturdenkmäler zuriickgriff. An seinen Reden hat als Besucher seiner Ubungen sich der junge Cicero, wie er selbst hervorhebt (Brutus § 205—207), mit Eifer gebildet, und in der Alter- tumsforschung ward Varro sein Schüler. Auch in der Herennius-Rhetorik, deren Verfasser IV 12, 17 künftig noch eine ars grammatica xu schreiben verheißt — nebenbei bemerkt, das älteste Zeugnis für den Begriff und das Werk einer lateini- schen Grammatik! —, macht sich das aus der rhodischen Schule stammende grammatische Interesse mehrfach bemerklich durch phonetische Unterscheidungen der Vokale nach Länge und Kürze, monophthongischer oder diphthongischer Aussprache wie durch die genau einer griechischen 1 Susemihl a. a. O. S. 493 und Anm. 143b. 1430: W. Schmid, Griech. Renaissance in d. Römerxeit (1898), S. 11; Derselbe, Bursians Jahresb. über d. klass. Altertumswissensch. 108. Bd. (1901), S. 214f.; Derselbe, Gesch. d. griech. Lit. II 1° S. 340; 457 Anm. 11; 458; 462 und Anm. 6; 468 und Anm. 10. 2 Vgl. Hermes 35, S. 49f. und seine oben S. 76 Anm. 2 angeführte Dar- stellung. 3 Uber des Auctor ad Herennium Zwiespältigkeit in bexug auf den Wert der Nachahmung s. unten S. 97.
III. Die zweite Briefmustersammlung. 91 gewandelt hätten1. Dem hat v. Wilamowitz früher scharf widersprochen, aber später doch der rhodischen Schule einen Anteil bei dieser wichtigsten stilgeschichtlichen Reaktion zugestanden2. Wie dem auch sei, und un- beschadet des Umstands, daß erst neue glückliche Papyrusfunde rhodi- scher Rhetorik diese Frage entscheiden könntens, sicher und anerkannt ist die hohe Bedeutung, die Rhodus für die Entwicklung des rednerischen Stils errungen hat durch die hier zuerst wirksame enge Verbindung grammatischer und rhetorischer Lehre. Hier hatte um das Jahr 100 v. Chr. Dionysios Thrax, Aristarchs Schüler, den ältesten Leitfaden der griechischen Sprache geschrieben: einen Auszug aus dem grammatischen Ertrag der alexandrinischen Philologie, das Grundbuch aller Grammatik. Es wies der für die rhodische Schule charakteristischen Vereinigung grammatischer und rhetorischer Ubung und Theorie den Weg und kodifizierte, bis heute maßgebend, das System der acht Redeteile, insbesondere aber schuf es für die Rüickkehr zu alten Sprachmustern, au den Vorbildern aus der attischen Blüte wie für das erstarkende, unabsehbar durch die Jahrhunderte fortwirkende Prinzip der Nachahmung die sprachlich-stilistische Grundlage. In dem römi- schen Ritter L. Aelius Stilo, der als Begleiter des Q. Metellus Numi- dicus dessen freiwilliges Exil in Rhodus geteilt und sich dort wie dieser philosophischen und rhetorisch-grammatischen Studien gewidmet hatte, wurde des Dionysios Beispiel und Lehre fruchtbar für Rom. Aelius Stilo war der erste Römer, der Befrewndeten Unterweisung in lateinischer Redekunst erteilte und dabei erklärend und kritisch edierend auf die ältesten lateinischen Literaturdenkmäler zuriickgriff. An seinen Reden hat als Besucher seiner Ubungen sich der junge Cicero, wie er selbst hervorhebt (Brutus § 205—207), mit Eifer gebildet, und in der Alter- tumsforschung ward Varro sein Schüler. Auch in der Herennius-Rhetorik, deren Verfasser IV 12, 17 künftig noch eine ars grammatica xu schreiben verheißt — nebenbei bemerkt, das älteste Zeugnis für den Begriff und das Werk einer lateini- schen Grammatik! —, macht sich das aus der rhodischen Schule stammende grammatische Interesse mehrfach bemerklich durch phonetische Unterscheidungen der Vokale nach Länge und Kürze, monophthongischer oder diphthongischer Aussprache wie durch die genau einer griechischen 1 Susemihl a. a. O. S. 493 und Anm. 143b. 1430: W. Schmid, Griech. Renaissance in d. Römerxeit (1898), S. 11; Derselbe, Bursians Jahresb. über d. klass. Altertumswissensch. 108. Bd. (1901), S. 214f.; Derselbe, Gesch. d. griech. Lit. II 1° S. 340; 457 Anm. 11; 458; 462 und Anm. 6; 468 und Anm. 10. 2 Vgl. Hermes 35, S. 49f. und seine oben S. 76 Anm. 2 angeführte Dar- stellung. 3 Uber des Auctor ad Herennium Zwiespältigkeit in bexug auf den Wert der Nachahmung s. unten S. 97.
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92 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. Vorlage, obxwar teilweise unrichtig nachgebildete Terminologie der Rede- teile und der Kasuslehre 1. Für den rednerischen Stil eigentlich frucht- bar wird diese grammatische Richtung der rhodischen Schule in der Anwendung auf die Lehre von der Elocutio, wie sie uns das vierte Buch des Herennius-Kompendiums wiedergibt. Hier (IV 12, 17) erscheint als leitendes Ziel die elocutio commoda et perfecta, d. h. die Sprach- richtigkeit und Sprachgeschicklichkeit. Sie umfaßt drei Eigen- schaften: Eleganz, Ordnung, Schönheit (elegantiam, conpositionem, dignitatem). Die Eleganx teilt sich in Latinität und Deutlichkeit (Latini- tatem, explanationem). Die Latinität bedingt eine reine fehlerfreie Sprache (sermonem purum ab omni uitio remotum). Zwei Fehler hat dieser sermo purus xu vermeiden: den soloecismus und den barbarismus, d. h. die fehlerhafte (bäurisch-provinzielle) Ver- bindung mehrerer Worte und die falsche Lautform eines Worts. Uber beide will er sich näher aussprechen in dem geplanten grammatischen Lehrbuch. Mit diesen beiden Schlagworten ist für die gesamte Folgexeit dem schriftsprachlichen Gedanken die Bahn gewiesen2. Otfrids Vorrede an Erzbischof Liutbert knüpft das Programm einer korrekten, reinen, literatur- fähigen fränkischen Sprache unmittelbar an diese beiden Begriffe3. Die Deutlichkeit macht die Rede verständlich und klar (apertam et diluci- dam): sie verlangt die Anwendung gebräuchlicher, im täglichen Umgang üblicher und eigentlicher Worte (usitata et propria). Die Ordnung (con- positio) ist die gleichmäßig durchgefeilte Zusammenfügung der Worte: sie vermeidet den Vokalzusammenstoß (Hiatus), die zu häufige Wieder- holung des gleichen Anlauts, des gleichen Worts, des gleichen Auslauts, die Umstellung der Worte. Die Schönheit (dignitas) des Ausdrucks be- ruht in dem Schmuck der Rede, der ihr Abwechslung verleiht (reddit 1 Vgl. Marx, Proleg. S. 95—98. 2 Vom barbarismus handelt das erste Kapitel im stilistischen Anhang der Grammatik des Aelius Donatus, der im Mittelalter viel benutat und nach diesem ersten Kapitel häufiger auch barbarismus genannt, auch der Grammatik Pris- cians angefügt wurde: s. Charles Thurot, Notices et extraits des Manuscrits T. XXII, 2. partie (1868), S. 133, 463. Konrads von Mure Summa de arte prosandi um 1275, die das Herennius-Buch benutxt und u. a. daraus den wegen seiner Alliterationsspielerei getadelten Vers (IV, 13, 18) O Tite, tute, Tati, tibi tanta, tyanne, tulisti (den übrigens auch Ludolfs Summa dictaminum anführt übernimmt, behandelt in einem ausführlichen, bisher leider nicht gedruckten Ab- schnitt über die vicia in prosaico dictamine auch den barbarismus und soloe- cismus (s. Rockinger, Briefsteller und Formelbücher, Quellen und Erörterungen IX, S. 437 369). 3 Vgl. daxu meine Einführung in das Gesamtwerk (Vom Mittelalt. z. Ref. III, 2, S. XXXVIIff.) und Rich. Volkmann, Die Rhetorik d. Griechen u. Römer 2 S. 396 u. Anm.
92 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. Vorlage, obxwar teilweise unrichtig nachgebildete Terminologie der Rede- teile und der Kasuslehre 1. Für den rednerischen Stil eigentlich frucht- bar wird diese grammatische Richtung der rhodischen Schule in der Anwendung auf die Lehre von der Elocutio, wie sie uns das vierte Buch des Herennius-Kompendiums wiedergibt. Hier (IV 12, 17) erscheint als leitendes Ziel die elocutio commoda et perfecta, d. h. die Sprach- richtigkeit und Sprachgeschicklichkeit. Sie umfaßt drei Eigen- schaften: Eleganz, Ordnung, Schönheit (elegantiam, conpositionem, dignitatem). Die Eleganx teilt sich in Latinität und Deutlichkeit (Latini- tatem, explanationem). Die Latinität bedingt eine reine fehlerfreie Sprache (sermonem purum ab omni uitio remotum). Zwei Fehler hat dieser sermo purus xu vermeiden: den soloecismus und den barbarismus, d. h. die fehlerhafte (bäurisch-provinzielle) Ver- bindung mehrerer Worte und die falsche Lautform eines Worts. Uber beide will er sich näher aussprechen in dem geplanten grammatischen Lehrbuch. Mit diesen beiden Schlagworten ist für die gesamte Folgexeit dem schriftsprachlichen Gedanken die Bahn gewiesen2. Otfrids Vorrede an Erzbischof Liutbert knüpft das Programm einer korrekten, reinen, literatur- fähigen fränkischen Sprache unmittelbar an diese beiden Begriffe3. Die Deutlichkeit macht die Rede verständlich und klar (apertam et diluci- dam): sie verlangt die Anwendung gebräuchlicher, im täglichen Umgang üblicher und eigentlicher Worte (usitata et propria). Die Ordnung (con- positio) ist die gleichmäßig durchgefeilte Zusammenfügung der Worte: sie vermeidet den Vokalzusammenstoß (Hiatus), die zu häufige Wieder- holung des gleichen Anlauts, des gleichen Worts, des gleichen Auslauts, die Umstellung der Worte. Die Schönheit (dignitas) des Ausdrucks be- ruht in dem Schmuck der Rede, der ihr Abwechslung verleiht (reddit 1 Vgl. Marx, Proleg. S. 95—98. 2 Vom barbarismus handelt das erste Kapitel im stilistischen Anhang der Grammatik des Aelius Donatus, der im Mittelalter viel benutat und nach diesem ersten Kapitel häufiger auch barbarismus genannt, auch der Grammatik Pris- cians angefügt wurde: s. Charles Thurot, Notices et extraits des Manuscrits T. XXII, 2. partie (1868), S. 133, 463. Konrads von Mure Summa de arte prosandi um 1275, die das Herennius-Buch benutxt und u. a. daraus den wegen seiner Alliterationsspielerei getadelten Vers (IV, 13, 18) O Tite, tute, Tati, tibi tanta, tyanne, tulisti (den übrigens auch Ludolfs Summa dictaminum anführt übernimmt, behandelt in einem ausführlichen, bisher leider nicht gedruckten Ab- schnitt über die vicia in prosaico dictamine auch den barbarismus und soloe- cismus (s. Rockinger, Briefsteller und Formelbücher, Quellen und Erörterungen IX, S. 437 369). 3 Vgl. daxu meine Einführung in das Gesamtwerk (Vom Mittelalt. z. Ref. III, 2, S. XXXVIIff.) und Rich. Volkmann, Die Rhetorik d. Griechen u. Römer 2 S. 396 u. Anm.
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III. Die zweite Briefmustersammlung. 93 ornatam orationem uarietate distinguens). Der Schmuck des Ausdrucks ist ein doppelter: der Worte (verborum exornatio), der Sätze (senten- tiarum exornatio). Diese ganze grammatisch-stilistische Doktrin einer normalco Sprachform der Rede war natürlich nicht in Rhodus erfunden. Aber die Kodifixierung, in der sie der Anonymus ad Herennium überliefert und den Jahrhunderten des Mittelalters und der Renaissance xuführt, die verdankt allerdings einem rhodischen Rhetor ihr Dasein. In dem Zwillingspaar der Jugendschrift Ciceros und der Rhetorik an Herennius erkennen wir indessen nicht bloß xwei, sondern mehrere ver- schiedene Stufen rhodischer Redekunst-Theorie. Gegenüber dicser Haupt- sache scheint es mir gleichgültig, ob ihnen Reproduktionen zweier gegen- sätzlicher réxvai durch zwei römische Rhetoren, sei es unselbständige, sei es frei bearbeitende, zugrunde liegen oder beide ein in derselben römi- schen Rhetorenschule verarbeitetes verschiedenartiges rhodisches Lehrmaterial bieten oder in ihnen sich zwci verschiedene Lehrmethoden desselben latei- nischen Schulmeisters, der im Lauf der Jahre umgelernt hatte 1, kreuzen. Dahingestellt sei auch, ob etwa doch Cicero in seinem Erstling die Rhe- torik aus dem Plebejerkreise des Marius benutzt hat2, und ebenso, ob deren Verfasser L. Plotius Gallus3 gewesen ist, der Günstling des Kimbernbezwingers und, wenn man einer späten Nachricht trauen darf, erste gewerbsmäßige Lehrer der lateinischen Rhetorik zu Rom, der, wie Cicero erzählt, zu seiner Knabenxeit großen Zulauf hatte, auch von ihm selbst gern gehört worden wäre, hätten nicht seine Berater für ihn griechi- sche Lehrer tauglicher erachtet, oder ob der Verfasser ein uns nicht be- kannter anderer lateinischer Schulrhetor verwandter Richtung war. Jedes- falls besteht zwischen den beiden römischen Assimilationen rhodisch- hellenistischer Rhetorik neben unleugbar beträchtlichen Gemeinsamkeiten ein grundsätzlicher Unterschied, eine Verschiedenheit des ganzen geistigen Niveaus. Das hat Marx grell beleuchtet. Aber er hat dabei, wie mir dünkt, die sicherlich überlegene Bildung Ciceros allzu hoch gewertet und die Rhetorik für Herennius unbillig beurteilt. Seine geringschätzige Cha- 1 W. Kroll, Teuffels Gesch. d. röm. Lit.6 I § 162, 3 S. 308, Z. 3 ff. 2 Nach Marx, Proleg. S. 77 hat Cicero seine Schrift De inventione' ver- faßt (nicht herausgegeben!) schon vor dem Marsischen Krieg (91—88 v. Chr.), dagegen der Auctor ad Her. sein Buch erst nach diesem Kriege geschrieben. 3 Vgl. über ihn Schanx, Gesch. d röm. Lit. I 13 (1907), § 73a S. 294. 295f.; I 23 (1909), § 194 S. 450 f.; W. Kroll, Teuffels Gesch. d. röm. Lit. 6 I § 44, 9. 159, 2, S. 86 f. 300 f. — Unter dem doctor noster, auf den der Mari- anisch gesinnte Anonymus ad Herenn. sich I 11, 18 (Marx S. 198, Z. 24f.) beruft, hat man auch den Staberius Eros (s. Schanx a.a. O. I 23, § 195, 7 S. 455) verstehen wollen, der nach Sueton De gramm. 13 den Söhnen der von Sulla proskribierten Römer unentgeltlich rhetorischen Unterricht erteilte: Henri Bornecque, Mélanges Boissier, Paris 1903, S. 78.
III. Die zweite Briefmustersammlung. 93 ornatam orationem uarietate distinguens). Der Schmuck des Ausdrucks ist ein doppelter: der Worte (verborum exornatio), der Sätze (senten- tiarum exornatio). Diese ganze grammatisch-stilistische Doktrin einer normalco Sprachform der Rede war natürlich nicht in Rhodus erfunden. Aber die Kodifixierung, in der sie der Anonymus ad Herennium überliefert und den Jahrhunderten des Mittelalters und der Renaissance xuführt, die verdankt allerdings einem rhodischen Rhetor ihr Dasein. In dem Zwillingspaar der Jugendschrift Ciceros und der Rhetorik an Herennius erkennen wir indessen nicht bloß xwei, sondern mehrere ver- schiedene Stufen rhodischer Redekunst-Theorie. Gegenüber dicser Haupt- sache scheint es mir gleichgültig, ob ihnen Reproduktionen zweier gegen- sätzlicher réxvai durch zwei römische Rhetoren, sei es unselbständige, sei es frei bearbeitende, zugrunde liegen oder beide ein in derselben römi- schen Rhetorenschule verarbeitetes verschiedenartiges rhodisches Lehrmaterial bieten oder in ihnen sich zwci verschiedene Lehrmethoden desselben latei- nischen Schulmeisters, der im Lauf der Jahre umgelernt hatte 1, kreuzen. Dahingestellt sei auch, ob etwa doch Cicero in seinem Erstling die Rhe- torik aus dem Plebejerkreise des Marius benutzt hat2, und ebenso, ob deren Verfasser L. Plotius Gallus3 gewesen ist, der Günstling des Kimbernbezwingers und, wenn man einer späten Nachricht trauen darf, erste gewerbsmäßige Lehrer der lateinischen Rhetorik zu Rom, der, wie Cicero erzählt, zu seiner Knabenxeit großen Zulauf hatte, auch von ihm selbst gern gehört worden wäre, hätten nicht seine Berater für ihn griechi- sche Lehrer tauglicher erachtet, oder ob der Verfasser ein uns nicht be- kannter anderer lateinischer Schulrhetor verwandter Richtung war. Jedes- falls besteht zwischen den beiden römischen Assimilationen rhodisch- hellenistischer Rhetorik neben unleugbar beträchtlichen Gemeinsamkeiten ein grundsätzlicher Unterschied, eine Verschiedenheit des ganzen geistigen Niveaus. Das hat Marx grell beleuchtet. Aber er hat dabei, wie mir dünkt, die sicherlich überlegene Bildung Ciceros allzu hoch gewertet und die Rhetorik für Herennius unbillig beurteilt. Seine geringschätzige Cha- 1 W. Kroll, Teuffels Gesch. d. röm. Lit.6 I § 162, 3 S. 308, Z. 3 ff. 2 Nach Marx, Proleg. S. 77 hat Cicero seine Schrift De inventione' ver- faßt (nicht herausgegeben!) schon vor dem Marsischen Krieg (91—88 v. Chr.), dagegen der Auctor ad Her. sein Buch erst nach diesem Kriege geschrieben. 3 Vgl. über ihn Schanx, Gesch. d röm. Lit. I 13 (1907), § 73a S. 294. 295f.; I 23 (1909), § 194 S. 450 f.; W. Kroll, Teuffels Gesch. d. röm. Lit. 6 I § 44, 9. 159, 2, S. 86 f. 300 f. — Unter dem doctor noster, auf den der Mari- anisch gesinnte Anonymus ad Herenn. sich I 11, 18 (Marx S. 198, Z. 24f.) beruft, hat man auch den Staberius Eros (s. Schanx a.a. O. I 23, § 195, 7 S. 455) verstehen wollen, der nach Sueton De gramm. 13 den Söhnen der von Sulla proskribierten Römer unentgeltlich rhetorischen Unterricht erteilte: Henri Bornecque, Mélanges Boissier, Paris 1903, S. 78.
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94 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. rakteristik des anonymen Werks, in dem er nur die schülerhafte, ja pue- rile Nachschrift cines nach griechischen Vorlagen zusammengestoppelten rhetorischen Kollegheftes durch einen jungen, kaum dem Knabenalter ent- wachsenen Hörer sehen will, hat die vorbehaltlose Zustimmung hervor- ragender Kenner gefunden1, dennoch möchte ich den dagegen erhobenen Widerspruch2 nicht von der Hand weisen. Ich bezweifle, daß der unge- nannnte Verfasser in so jugendlichem Alter sich hätte zum Lehrer des Herennius aufwerfen dürfen. Auch darf man aus seiner Unselbständig- keit und daraus, daß er in ausführlicher Erörterung grundsätzlich die Anführung selbstgebildeter Beispiele verlangt, ja sich selbst der eigenen Erfindung rühmt, und dann doch fremde Beispiele, ohne ihren Verfasser zu nennen, wie eigene vorbringt, ihm keinen schweren sittlichen Vorwurf machen. Auch da von seinen Vorlagen ablängig, welche die längst brennende Frage, ob die Theorie der Rhetorik literarische Denkmäler als Muster heranziehen oder lieber eigens für die Verdeutlichung der Regel sich selbst Beispiele konstruieren solle, in widersprechendem Sinne be- antworteten, vermochte er das reiche, von ihm verwertete rhetorische Quellenmaterial nicht zu einem einheitlichen Ganzen zu verarbeiten, über- sah er Divergenzen oder nahm sie in den Kauf. Auch mochte ihm die Ubersetzung und Anpassung fremder griechischer Beispiele, z. B. aus Reden des Demosthenes, schon als eigene Leistung erscheinen. Schrieb er doch nach seinem wiederholten Bekenntnis ein Schulbuch für den praktischen Gebrauch. Als solches hat es dann auch in der Zeit Augustins, im frühen und späten Mittelalter seine Wirkung getan. War aber bei der Weglassung der griechischen Verfassernamen als Motiv auch ein national-römischer Patriotismus mit im Spiel, wie gerade Marx betont, dann ist vollends dadurch eine Entschuldigung seines Verfahrens gegeben, und man kann es unmöglich als einfache Unehrlichkeit und Heuchelei brandmarken. Kein Geringerer als Theodor Mommsen hatte die von Marx, Norden, Kroll verachtete Arbeit des Anonymus mit entschiedener Aner- kennung beurteilt. Er fand sie nicht bloß durch die knappe, klare und sichere Behandlung des Stoffes, sondern vor allem durch die verhältnis- mäßige Selbständigkeit den griechischen Mustern gegenüber bemerkenswert’. Und wenn der methodisch ganz von griechischen Mustern abhängige Ver- fasser gleichwohl mit römischem Selbstgefühl schroff alles abweist, was die Griechen an nutzlosem Kram zusammengetragen haben, um die Rhetorik (ars) schwerer lernbar erscheinen zu lassen, selbst aber nur, was 1 W. Kroll a. a. O. (oben S. 81 Anm. 1), § 162 S. 305 und Anm. 2, Ende S. 307; ferner Ed. Norden, Die antike Kunstprosa I, S. 175 (wie ein Schuljunge). 2 Von Schanz, Thiele, Ammon, Brxoska: vgl. die oben S. 87 Anm. 2 ge- nannten Schriften und die in ihnen gegebenen weiteren Literaturnachweise.
94 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. rakteristik des anonymen Werks, in dem er nur die schülerhafte, ja pue- rile Nachschrift cines nach griechischen Vorlagen zusammengestoppelten rhetorischen Kollegheftes durch einen jungen, kaum dem Knabenalter ent- wachsenen Hörer sehen will, hat die vorbehaltlose Zustimmung hervor- ragender Kenner gefunden1, dennoch möchte ich den dagegen erhobenen Widerspruch2 nicht von der Hand weisen. Ich bezweifle, daß der unge- nannnte Verfasser in so jugendlichem Alter sich hätte zum Lehrer des Herennius aufwerfen dürfen. Auch darf man aus seiner Unselbständig- keit und daraus, daß er in ausführlicher Erörterung grundsätzlich die Anführung selbstgebildeter Beispiele verlangt, ja sich selbst der eigenen Erfindung rühmt, und dann doch fremde Beispiele, ohne ihren Verfasser zu nennen, wie eigene vorbringt, ihm keinen schweren sittlichen Vorwurf machen. Auch da von seinen Vorlagen ablängig, welche die längst brennende Frage, ob die Theorie der Rhetorik literarische Denkmäler als Muster heranziehen oder lieber eigens für die Verdeutlichung der Regel sich selbst Beispiele konstruieren solle, in widersprechendem Sinne be- antworteten, vermochte er das reiche, von ihm verwertete rhetorische Quellenmaterial nicht zu einem einheitlichen Ganzen zu verarbeiten, über- sah er Divergenzen oder nahm sie in den Kauf. Auch mochte ihm die Ubersetzung und Anpassung fremder griechischer Beispiele, z. B. aus Reden des Demosthenes, schon als eigene Leistung erscheinen. Schrieb er doch nach seinem wiederholten Bekenntnis ein Schulbuch für den praktischen Gebrauch. Als solches hat es dann auch in der Zeit Augustins, im frühen und späten Mittelalter seine Wirkung getan. War aber bei der Weglassung der griechischen Verfassernamen als Motiv auch ein national-römischer Patriotismus mit im Spiel, wie gerade Marx betont, dann ist vollends dadurch eine Entschuldigung seines Verfahrens gegeben, und man kann es unmöglich als einfache Unehrlichkeit und Heuchelei brandmarken. Kein Geringerer als Theodor Mommsen hatte die von Marx, Norden, Kroll verachtete Arbeit des Anonymus mit entschiedener Aner- kennung beurteilt. Er fand sie nicht bloß durch die knappe, klare und sichere Behandlung des Stoffes, sondern vor allem durch die verhältnis- mäßige Selbständigkeit den griechischen Mustern gegenüber bemerkenswert’. Und wenn der methodisch ganz von griechischen Mustern abhängige Ver- fasser gleichwohl mit römischem Selbstgefühl schroff alles abweist, was die Griechen an nutzlosem Kram zusammengetragen haben, um die Rhetorik (ars) schwerer lernbar erscheinen zu lassen, selbst aber nur, was 1 W. Kroll a. a. O. (oben S. 81 Anm. 1), § 162 S. 305 und Anm. 2, Ende S. 307; ferner Ed. Norden, Die antike Kunstprosa I, S. 175 (wie ein Schuljunge). 2 Von Schanz, Thiele, Ammon, Brxoska: vgl. die oben S. 87 Anm. 2 ge- nannten Schriften und die in ihnen gegebenen weiteren Literaturnachweise.
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III. Die zweite Briefmustersammlung. 95 zum Wesen der Rede (ad rationem dicendi) gehöre, behandeln will (I 1, 1 S. 187, Z. 10—15), wenn er die haarspaltenden Dialektiker ver- höhnt, die griechische Schulterminologie durchgängig latinisiert, vor Viel- lehrerei warnt, die Anleitung zur Selbständigkeit des Schülers als Haupt- pflicht des Lehrers bexeichnet, über die Schule das Leben stellt, seine Beispiele selbständig wählt und in ihnen die bedeutendsten römischen Sachwalter des letzten Jahrzehnts verwertet, so erkannte Mommsen in alledem die Fortsetzung jener früheren Opposition gegen die Auswüchse des Hellenismus', gegen das Aufkommen eines gewerbsmäßigen lateinischen Rhetorenunterrichts, dic im Jahre 92 v. Chr. sich zu dem von dem Zensor L. Licinius Crassus, dem ersten Gerichtsredner seiner Zeit, er- lassenen Verbot der rhetorischen Jugendübungen verdichtet hatte (s. oben S. 77 Anm.), und meinte, daß damit der römischen Beredsamkeit im Ver- gleich mit der gleichzeitigen griechischen theoretisch und praktisch eine höhere Würde und größere Brauchbarkeit gesichert worden ser1. Anderseits brachte er dieses Lehrbuch für Herennius in Zusammenhang mit jener noch beträchtlich älteren literarischen Reaktion, die aus dem Kreise des Scipio Aemilianus, seines älteren Freundes C. Laelius und seines jüngeren Genossen Spurius Mummius, des Bruders des Korinth-Zerstörers, sowie des Komödiendichters Terenz, des Satirenschreibers Lucilius, des griechi- schen Geschichtschreibers Polybios und des griechischen Philosophen Pan- aitios sich gegen die älteren unzulänglichen römischen Nachbildungen und Ubersetzungen hellenischer Poesie, gegen Ennius und Pacurius kehrte. Ahnliche strenge, aber nicht ungerechte Kritiken all dieser Dichter, die cinen Freibrief zu haben scheinen, schwülstig zu reden und unlogisch zu schließen, begegnen bci dem feinen Verfasser I!7 der ... dem Heren- nius gewidmeten Rhetorik2." Manches in diesen Ausführungen Mommsens ist nach den Ergebnissen von Marx zu berichtigen. Mit dem Scipionenkreis hat das anonyme Kompendium keinerlei Zusammenhang, und was Mommsen ihm als Ver- dienst anrechnet, beruht großenteils auf fremden, älteren römischen, namentlich aber gricchischen Vorlagen. Wichtig jedoch und von Mommsen mit Recht hervorgehoben scheint mir die Tatsache, daß dieser seine national- römische Gesinnung und seine Griechenverachtung zur Schau stellende Anonymus, der die Autorennamen in seinen aus griechischer Literatur entlehnten, übersetzten Beispielen geflissentlich unterdrückt, doch auch an den der Namensnennung gewürdigten älteren römischen Dichtern sti- listische Kritik übt3, also doch keineswegs in einem so engen Patriotis- 1 Mommsen, Römische Geschichte, 2. Bd.7 (1881), 4. Buch, Kap. 13, Abs. 10, S. 457 f. 2 Mommsen a. a. O. (4. Buch, Kap. 13, Abs. 1), S. 430 im Hinblick auf Ad Her. II Kap. 22 Mitte (ed. Marx S. 237, Z. 11—13; 238, Z. 4f.). 3 Allerdings ist diese Kritik gerade an der von Mommsen frei zitierten
III. Die zweite Briefmustersammlung. 95 zum Wesen der Rede (ad rationem dicendi) gehöre, behandeln will (I 1, 1 S. 187, Z. 10—15), wenn er die haarspaltenden Dialektiker ver- höhnt, die griechische Schulterminologie durchgängig latinisiert, vor Viel- lehrerei warnt, die Anleitung zur Selbständigkeit des Schülers als Haupt- pflicht des Lehrers bexeichnet, über die Schule das Leben stellt, seine Beispiele selbständig wählt und in ihnen die bedeutendsten römischen Sachwalter des letzten Jahrzehnts verwertet, so erkannte Mommsen in alledem die Fortsetzung jener früheren Opposition gegen die Auswüchse des Hellenismus', gegen das Aufkommen eines gewerbsmäßigen lateinischen Rhetorenunterrichts, dic im Jahre 92 v. Chr. sich zu dem von dem Zensor L. Licinius Crassus, dem ersten Gerichtsredner seiner Zeit, er- lassenen Verbot der rhetorischen Jugendübungen verdichtet hatte (s. oben S. 77 Anm.), und meinte, daß damit der römischen Beredsamkeit im Ver- gleich mit der gleichzeitigen griechischen theoretisch und praktisch eine höhere Würde und größere Brauchbarkeit gesichert worden ser1. Anderseits brachte er dieses Lehrbuch für Herennius in Zusammenhang mit jener noch beträchtlich älteren literarischen Reaktion, die aus dem Kreise des Scipio Aemilianus, seines älteren Freundes C. Laelius und seines jüngeren Genossen Spurius Mummius, des Bruders des Korinth-Zerstörers, sowie des Komödiendichters Terenz, des Satirenschreibers Lucilius, des griechi- schen Geschichtschreibers Polybios und des griechischen Philosophen Pan- aitios sich gegen die älteren unzulänglichen römischen Nachbildungen und Ubersetzungen hellenischer Poesie, gegen Ennius und Pacurius kehrte. Ahnliche strenge, aber nicht ungerechte Kritiken all dieser Dichter, die cinen Freibrief zu haben scheinen, schwülstig zu reden und unlogisch zu schließen, begegnen bci dem feinen Verfasser I!7 der ... dem Heren- nius gewidmeten Rhetorik2." Manches in diesen Ausführungen Mommsens ist nach den Ergebnissen von Marx zu berichtigen. Mit dem Scipionenkreis hat das anonyme Kompendium keinerlei Zusammenhang, und was Mommsen ihm als Ver- dienst anrechnet, beruht großenteils auf fremden, älteren römischen, namentlich aber gricchischen Vorlagen. Wichtig jedoch und von Mommsen mit Recht hervorgehoben scheint mir die Tatsache, daß dieser seine national- römische Gesinnung und seine Griechenverachtung zur Schau stellende Anonymus, der die Autorennamen in seinen aus griechischer Literatur entlehnten, übersetzten Beispielen geflissentlich unterdrückt, doch auch an den der Namensnennung gewürdigten älteren römischen Dichtern sti- listische Kritik übt3, also doch keineswegs in einem so engen Patriotis- 1 Mommsen, Römische Geschichte, 2. Bd.7 (1881), 4. Buch, Kap. 13, Abs. 10, S. 457 f. 2 Mommsen a. a. O. (4. Buch, Kap. 13, Abs. 1), S. 430 im Hinblick auf Ad Her. II Kap. 22 Mitte (ed. Marx S. 237, Z. 11—13; 238, Z. 4f.). 3 Allerdings ist diese Kritik gerade an der von Mommsen frei zitierten
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96 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. mus befangen ist, als es nach Marx, der gerade die Verwandtschaft ge- wisser Eigenheiten seines Stils mit der älteren römischen Dichtersprache betont!, den Anschein haben muß. Zwiespältiges Verhältnis zum Asianismus. In dieser stilistischen Kritik, die der ungenannte Verfasser hier gegen einzelne Stellen aus älteren römischen Dichtern richtet, anderwärts auch an erfundenen Beispielen ausübt, zeigt sich nun aber das zwiespältige Wesen seines Lehrbuchs. Er eifert in seinen Lehrsätzen gegen den Asianismus, aber er ist selbst in seiner Darstellung auf weiten Strecken völlig asianisch. Er warnt vor der gravitas, die zum tumor ausartet. turget et inflata est (IV 10, 15). Er steht theoretisch auf dem Boden, den Aristoteles und Theophrast geschaffen hatten durch die weithin fort- wirkende, auch das ganze Mittelalter und die folgenden Jahrhunderte beherrschende stilistische Grundlehre von den drei richtigen Gat- tungen der Rede, der hohen (feierlichen), mittleren, schlichten, und ihren drei Ausartungen. Er gibt für jede dieser Gattungen, die er figurae nennt, ein selbstgemachtes (gutes) Beispiel und stellt ihnen zur Seite die benachbarten gefährlichen Ubertreibungen (finituma et propinqua uitia; griechisch entspricht dem avrixeiueva auapriuara): figura sufflata; genus dissolutum; genus exile (= griech. puoûdeg; biakeuuévov; cùrexég). Für die bietet er gleichfalls erfundene (wohlgelungene) Bei- spiele 2. Er schärft auch sehr gewichtig ein, daß die nach dem uns geläufigen Sprachgebrauch Figuren, von ihm aber exornationes genannten stilistischen Zierstücke, welche jede dieser drei Gatttungen der Rede mit Farbenschmuck (coloribus) verschönen, nur sparsam verwendet werden dürfen, daß man beim Sprechen mit den drei Gattungen mehrmals wechseln müsse, um Eintönigkeit zu vermeiden (IV 11, 16 Ende). Aber wo der Verfasser in xusammenhängender Darstellung zu Worte kommt, da verstößt er arg gegen diese Lehren des Maßhaltens und der künstlerischen Stufung. Er sicht nur den Splitter im fremden Auge. Er ist sich seiner Abweichung von der besonnenen Theorie Theophrasts gar nicht bewußt. Und er zicht auch aus den zur enthaltsamen Normalisierung der Sprache drängenden gram- Stelle (s. die vorige Anmerkung) möglicherweise in der vom Auctor ad Herenn. ausgeschriebenen Quelle (Vorlesung) nicht als direkter Tadel des Ennius und der übrigen Dichter gemeint gewesen, sondern mehr nur eine Feststellung, daß es eben in der Natur des Dichters liege, im Ausdruck sich nicht mit dem xu begnügen, was hinlänglich sein würde (quod satis esset). An mehreren Stellen werden dagegen Plautus, Pacuvius und Ennius bestimmt wegen rhetori- scher Fehler getadelt. 1 Marx, Rhein. Museum, 46. Bd. (1891), S. 423.; Derselbe, Prolegom. S. 92 f. 2 Vgl. v. Wilamowitx, Hermes 35, S. 27. 44.
96 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. mus befangen ist, als es nach Marx, der gerade die Verwandtschaft ge- wisser Eigenheiten seines Stils mit der älteren römischen Dichtersprache betont!, den Anschein haben muß. Zwiespältiges Verhältnis zum Asianismus. In dieser stilistischen Kritik, die der ungenannte Verfasser hier gegen einzelne Stellen aus älteren römischen Dichtern richtet, anderwärts auch an erfundenen Beispielen ausübt, zeigt sich nun aber das zwiespältige Wesen seines Lehrbuchs. Er eifert in seinen Lehrsätzen gegen den Asianismus, aber er ist selbst in seiner Darstellung auf weiten Strecken völlig asianisch. Er warnt vor der gravitas, die zum tumor ausartet. turget et inflata est (IV 10, 15). Er steht theoretisch auf dem Boden, den Aristoteles und Theophrast geschaffen hatten durch die weithin fort- wirkende, auch das ganze Mittelalter und die folgenden Jahrhunderte beherrschende stilistische Grundlehre von den drei richtigen Gat- tungen der Rede, der hohen (feierlichen), mittleren, schlichten, und ihren drei Ausartungen. Er gibt für jede dieser Gattungen, die er figurae nennt, ein selbstgemachtes (gutes) Beispiel und stellt ihnen zur Seite die benachbarten gefährlichen Ubertreibungen (finituma et propinqua uitia; griechisch entspricht dem avrixeiueva auapriuara): figura sufflata; genus dissolutum; genus exile (= griech. puoûdeg; biakeuuévov; cùrexég). Für die bietet er gleichfalls erfundene (wohlgelungene) Bei- spiele 2. Er schärft auch sehr gewichtig ein, daß die nach dem uns geläufigen Sprachgebrauch Figuren, von ihm aber exornationes genannten stilistischen Zierstücke, welche jede dieser drei Gatttungen der Rede mit Farbenschmuck (coloribus) verschönen, nur sparsam verwendet werden dürfen, daß man beim Sprechen mit den drei Gattungen mehrmals wechseln müsse, um Eintönigkeit zu vermeiden (IV 11, 16 Ende). Aber wo der Verfasser in xusammenhängender Darstellung zu Worte kommt, da verstößt er arg gegen diese Lehren des Maßhaltens und der künstlerischen Stufung. Er sicht nur den Splitter im fremden Auge. Er ist sich seiner Abweichung von der besonnenen Theorie Theophrasts gar nicht bewußt. Und er zicht auch aus den zur enthaltsamen Normalisierung der Sprache drängenden gram- Stelle (s. die vorige Anmerkung) möglicherweise in der vom Auctor ad Herenn. ausgeschriebenen Quelle (Vorlesung) nicht als direkter Tadel des Ennius und der übrigen Dichter gemeint gewesen, sondern mehr nur eine Feststellung, daß es eben in der Natur des Dichters liege, im Ausdruck sich nicht mit dem xu begnügen, was hinlänglich sein würde (quod satis esset). An mehreren Stellen werden dagegen Plautus, Pacuvius und Ennius bestimmt wegen rhetori- scher Fehler getadelt. 1 Marx, Rhein. Museum, 46. Bd. (1891), S. 423.; Derselbe, Prolegom. S. 92 f. 2 Vgl. v. Wilamowitx, Hermes 35, S. 27. 44.
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III. Die zweite Briefmustersammlung. 97 matisch-stilistischen Lehrsätzen, die er, wie sich oben (S. 91ff.) zeigte, seinem rhodischen Meister nachgeschrieben, nicht die naheliegende Folgerung, den eigenen Stil von Uberladung, Schwulst, Spielereien freizuhalten. So kann es denn auch nicht wundernehmen, daß er über die Bedeutung der Nach- ahmung sich nicht klar geworden ist und daher Unvereinbares vor- bringt: am Eingang seines Werks (I 2, 3) erscheint die Imitatio in einer Reihe mit der Theorie (Ars) und der Ubung (Exercitatio) als notwen- dige Grundlage der gesamten Kunst des Redners (Inventio, Dispositio, Elocutio, Memoria, Pronuntiatio), dagegen in der einleitenden Erörte- rung des letzten Buchs (IV 6, 9) wird eingeschärft, daß der Lehrer der Rhetorik keine Beispiele aus andern Schriftstellern als Muster zur Nach- ahmung entleihen, sondern aus eigener Kraft selbständig, schöpferisch wie der Feuerbringer Prometheus und der bildende Künstler Beispiele für seine Lehre erfinden solle 1. Gerade dieses zwiespältige Verhältnis zum Asianismus berührt sich mit dem Bilde, das wir uns von der rhodischen Rhetorik machen können. Für diese, für ihre Häupter, die beiden Karier Apollonios aus Alabanda, scheint sich, wie bereits (oben S. 86 ff.) gesagt, eine allmähliche Abkehr von der asianischen Art ihres Lehrers Menekles erschließen zu lassen. Noch einmal muß uns Ciceros schon oben herangezogene Kritik des Asianismus zu Hilfe kommen. Im Vortrag der phrygischen und mysischen Redner vermißt er den rechten Geschmack. Sie singen nach asiatischer Weise mit steigender und sinkender, heulender Stimme und wären in Athen unerträglich, wo sogar schon Demosthenes wegen seiner Meisterrede für den Kranzantrag des Ktesiphon von Aischines getadelt werden konnte als zu feurig und affektiert (putidus) und durck unerträgliche Wort- ungeheuer (portenta) anstößig (Orat. § 26. 27). Das zielt auf den rednerischen Epilog, für den schon nach alter Lehre starke rednerische Effekte zur Erregung der Hörer empfohlen wurden2, der aber von den karisch-phrygischen Rednern fast als Gesang (paene canticum) vorgetragen wurde, während in den attischen Reden eines Demosthenes und Aischines nur eine versteckte Melodie (quidam cantus obscurior) herrscht, über deren Charakter freilich beide sich gegenseitig Vorwürfe machten (Orat. § 57). Es handelt sich dabei um den Grad des musikalischen Elements der Rede: um das Maß der Annäherung an rexitatorischen Gesang. Der Auctor ad Herennium hat einen sehr ein- gehenden Abschnitt der Stimmbehandlung gewidmet: offenbar nicht frei von dem Einfluß jener von Cicero später getadelten asiatischen Manier empfiehlt er da (III 12, 21, S. 271 Z. 12— 15), am Ende der Rede vieles 1 Uber die Herkunft dieser Anschauung s. oben S. 79f. 94. — Vgl. übri- gens auch III 12, 20 imitationis exercitatio. 2 Vgl. Claus Peters, De rationibus inter artem rhetoricam quarti et primi saeculi intercedentibus, Kieler Dissert. 1907, S. 94—101.
III. Die zweite Briefmustersammlung. 97 matisch-stilistischen Lehrsätzen, die er, wie sich oben (S. 91ff.) zeigte, seinem rhodischen Meister nachgeschrieben, nicht die naheliegende Folgerung, den eigenen Stil von Uberladung, Schwulst, Spielereien freizuhalten. So kann es denn auch nicht wundernehmen, daß er über die Bedeutung der Nach- ahmung sich nicht klar geworden ist und daher Unvereinbares vor- bringt: am Eingang seines Werks (I 2, 3) erscheint die Imitatio in einer Reihe mit der Theorie (Ars) und der Ubung (Exercitatio) als notwen- dige Grundlage der gesamten Kunst des Redners (Inventio, Dispositio, Elocutio, Memoria, Pronuntiatio), dagegen in der einleitenden Erörte- rung des letzten Buchs (IV 6, 9) wird eingeschärft, daß der Lehrer der Rhetorik keine Beispiele aus andern Schriftstellern als Muster zur Nach- ahmung entleihen, sondern aus eigener Kraft selbständig, schöpferisch wie der Feuerbringer Prometheus und der bildende Künstler Beispiele für seine Lehre erfinden solle 1. Gerade dieses zwiespältige Verhältnis zum Asianismus berührt sich mit dem Bilde, das wir uns von der rhodischen Rhetorik machen können. Für diese, für ihre Häupter, die beiden Karier Apollonios aus Alabanda, scheint sich, wie bereits (oben S. 86 ff.) gesagt, eine allmähliche Abkehr von der asianischen Art ihres Lehrers Menekles erschließen zu lassen. Noch einmal muß uns Ciceros schon oben herangezogene Kritik des Asianismus zu Hilfe kommen. Im Vortrag der phrygischen und mysischen Redner vermißt er den rechten Geschmack. Sie singen nach asiatischer Weise mit steigender und sinkender, heulender Stimme und wären in Athen unerträglich, wo sogar schon Demosthenes wegen seiner Meisterrede für den Kranzantrag des Ktesiphon von Aischines getadelt werden konnte als zu feurig und affektiert (putidus) und durck unerträgliche Wort- ungeheuer (portenta) anstößig (Orat. § 26. 27). Das zielt auf den rednerischen Epilog, für den schon nach alter Lehre starke rednerische Effekte zur Erregung der Hörer empfohlen wurden2, der aber von den karisch-phrygischen Rednern fast als Gesang (paene canticum) vorgetragen wurde, während in den attischen Reden eines Demosthenes und Aischines nur eine versteckte Melodie (quidam cantus obscurior) herrscht, über deren Charakter freilich beide sich gegenseitig Vorwürfe machten (Orat. § 57). Es handelt sich dabei um den Grad des musikalischen Elements der Rede: um das Maß der Annäherung an rexitatorischen Gesang. Der Auctor ad Herennium hat einen sehr ein- gehenden Abschnitt der Stimmbehandlung gewidmet: offenbar nicht frei von dem Einfluß jener von Cicero später getadelten asiatischen Manier empfiehlt er da (III 12, 21, S. 271 Z. 12— 15), am Ende der Rede vieles 1 Uber die Herkunft dieser Anschauung s. oben S. 79f. 94. — Vgl. übri- gens auch III 12, 20 imitationis exercitatio. 2 Vgl. Claus Peters, De rationibus inter artem rhetoricam quarti et primi saeculi intercedentibus, Kieler Dissert. 1907, S. 94—101.
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98 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. in einem Atemzug anhaltend zu sprechen: uno spiritu continenter multa dicere in extrema convenit oratione; denn am Ende der Rede ist dieser singende Vortrag eine Erholung für die Stimme (in extrema oratione continens uox remedio est uoci); überdies (III 12, 22 S. 272 Z.8—16) ist er es, der am Schluß der ganzen Auseinandersetzung das Gemüt des Hörers am stärksten erwärmt (animum uehementissime calefacit audi- toris in totius conclusione causae)1. Der rhodische Meister, dessen Lehre hier wiederklingt, stand also auf dem Boden jener asiatischen Praxis, die in den Schlüssen der Reden gesangartigen Vortrag anwendete. Mit dieser Erörterung über die rührende Wirkung der musikalisch gestalteten Redeschlüsse hängt offenbar eng zusammen die Theorie der Epiloge (èrrikovoi, conclusiones), die das Herenniusbuch (II 30, 47; 31, 50) und De inventione’ (I 52, 98) in weitgehender Ubereinstimmung, sichtlich aus verwandten Quellen, vortragen. Beide unterscheiden drei Teile dieses Epilogs: die Aufzählung (enumeratio), d. h. die Zusammenfassung des früher Gesagten, die Vergrößerung oder Erregung des Unwillens (amplificatio; indignatio), die Erregung des Mitleids (conmiseratio; conquestio). Für die beiden letzten Teile bieten der Auctor ad Herennium und Cicero annähernd die gleichen Vorschriften und dieselben Gedanken- typen (rónoi, loci). Da ist es nun der Abschnitt über die Erregung des Mitleids, der uns wieder mit Sicherheit zurückweist auf die rhodische Rhetorik und ihre asianische Abstammung. Sowohl in dem Kompen- dium für Herennius als in Ciceros Erstlingsschrift schließt hier die Betrachtung mit dem Rat zur Kürze und der motivierenden Sentenz2. Nichts nämlich trocknet schneller als die Träne'. Cicero aber fügt hinzu: wie der Rhetor Apollonius sagt’. Da wir nun wissen, daß der ältere rhodische Apollonios, der den Beinamen ó uakakóg führte, berühmt war durch seine leidenschaftliche Stärke in den Epilogen3 und Cicero 1 Vgl. auch die nicht ganx klare Beschreibung der neben der distributio beim contendere (d. h. in leidenschaftlichen Stellen) anzuwendenden continuatio der Stimme (III 14, 25 S. 274, 17ff.): in continuatione, adaucto mediocriter sono uocis, uerbis continuandis uocem quoque augere oportebit et torquere sonum et celeriter cum clamore uerba conficere, ut uim uolubilem orationis uociferatio consequi possit. Hier bedeutet clamor soviel als gesangartiges Heben der Stimme. 2 Auct. ad. Her. II 31, 50 S. 253, Z. 12 ff.: Conmiserationem breuem esse oportet. Nihil enim lacrima citius arescit ; Cic. De inv. I 56: commotis autem animis, diutius in conquestione morari non oportebit; quemadmodum enim dixit rhetor Apollonius, lacrima nihil citius arescit. 3 Seneca der Rhetor Controvers. VII 4,3 (controv. 19) ed. Kießling S. 329: In epilogis uehemens fuit Apollonius. Ich möchte dabei besonderes Gewicht auch darauf legen, daß ebenso in der vom Auct. ad Her. III, 12, 22, S. 272, Z. 8—10 wiedergegebenen Lehre (s. oben auf dieser Seite) das Prädikat uehementissime für diese Schlüsse gebraucht wird; desgleichen von Cicero Part. orat. § 14 uchementius in perorando.
98 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. in einem Atemzug anhaltend zu sprechen: uno spiritu continenter multa dicere in extrema convenit oratione; denn am Ende der Rede ist dieser singende Vortrag eine Erholung für die Stimme (in extrema oratione continens uox remedio est uoci); überdies (III 12, 22 S. 272 Z.8—16) ist er es, der am Schluß der ganzen Auseinandersetzung das Gemüt des Hörers am stärksten erwärmt (animum uehementissime calefacit audi- toris in totius conclusione causae)1. Der rhodische Meister, dessen Lehre hier wiederklingt, stand also auf dem Boden jener asiatischen Praxis, die in den Schlüssen der Reden gesangartigen Vortrag anwendete. Mit dieser Erörterung über die rührende Wirkung der musikalisch gestalteten Redeschlüsse hängt offenbar eng zusammen die Theorie der Epiloge (èrrikovoi, conclusiones), die das Herenniusbuch (II 30, 47; 31, 50) und De inventione’ (I 52, 98) in weitgehender Ubereinstimmung, sichtlich aus verwandten Quellen, vortragen. Beide unterscheiden drei Teile dieses Epilogs: die Aufzählung (enumeratio), d. h. die Zusammenfassung des früher Gesagten, die Vergrößerung oder Erregung des Unwillens (amplificatio; indignatio), die Erregung des Mitleids (conmiseratio; conquestio). Für die beiden letzten Teile bieten der Auctor ad Herennium und Cicero annähernd die gleichen Vorschriften und dieselben Gedanken- typen (rónoi, loci). Da ist es nun der Abschnitt über die Erregung des Mitleids, der uns wieder mit Sicherheit zurückweist auf die rhodische Rhetorik und ihre asianische Abstammung. Sowohl in dem Kompen- dium für Herennius als in Ciceros Erstlingsschrift schließt hier die Betrachtung mit dem Rat zur Kürze und der motivierenden Sentenz2. Nichts nämlich trocknet schneller als die Träne'. Cicero aber fügt hinzu: wie der Rhetor Apollonius sagt’. Da wir nun wissen, daß der ältere rhodische Apollonios, der den Beinamen ó uakakóg führte, berühmt war durch seine leidenschaftliche Stärke in den Epilogen3 und Cicero 1 Vgl. auch die nicht ganx klare Beschreibung der neben der distributio beim contendere (d. h. in leidenschaftlichen Stellen) anzuwendenden continuatio der Stimme (III 14, 25 S. 274, 17ff.): in continuatione, adaucto mediocriter sono uocis, uerbis continuandis uocem quoque augere oportebit et torquere sonum et celeriter cum clamore uerba conficere, ut uim uolubilem orationis uociferatio consequi possit. Hier bedeutet clamor soviel als gesangartiges Heben der Stimme. 2 Auct. ad. Her. II 31, 50 S. 253, Z. 12 ff.: Conmiserationem breuem esse oportet. Nihil enim lacrima citius arescit ; Cic. De inv. I 56: commotis autem animis, diutius in conquestione morari non oportebit; quemadmodum enim dixit rhetor Apollonius, lacrima nihil citius arescit. 3 Seneca der Rhetor Controvers. VII 4,3 (controv. 19) ed. Kießling S. 329: In epilogis uehemens fuit Apollonius. Ich möchte dabei besonderes Gewicht auch darauf legen, daß ebenso in der vom Auct. ad Her. III, 12, 22, S. 272, Z. 8—10 wiedergegebenen Lehre (s. oben auf dieser Seite) das Prädikat uehementissime für diese Schlüsse gebraucht wird; desgleichen von Cicero Part. orat. § 14 uchementius in perorando.
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III. Die zweite Briefmustersammlung. 99 auch nur ihn so, hingegen seinen jüngeren Namensvetter Apollonios Molon einfach Molon nennt, muß jener hier gemeint sein. Er darf demnach als Urheber dieser ganzen hier von der Herennius-Rhetorik und "De in- ventione' wiedergegebenen Lehre über die Erregung des Mitleids gelten1, und ihm auch möchte ich daher die Erörterung des Herennius-Buchs über die gesangsartige Vortragsart der Redeausgänge xuschreiben. Ubrigens stattet der anonyme Verfasser auch den Epilog seines eigenen Werks reich mit asianischen Stilkünsten aus, worüber noch zu reden sein wird. Wir müssen somit annehmen, daß der ältere rhodische Apollonios noch von seinem Lehrer Menekles her an jener singenden Manier der Redeschlüsse festgehalten hat, die der von Molons Kritik geleitete Cicero später als geschmacklos verwarf. Allerdings könnte in dem Gebot, sich bei der conmiseratio (conquestio) kurx xu fassen, doch auch schon eine gewisse Einschränkung der asianischen Maßlosigkeit verborgen sein. Mit der Manier der gesangartig ausgehaltenen Redeschlüsse scheint doch auch eine andere von Cicero gerüigte Unart der asianischen Meister Hierokles und Menekles verwandt xu sein. In seiner abwägenden Würdi- gung ihrer Kunst (Orat. § 231) gesteht er ihnen zu, daß sie, obgleich sie dem rednerischen Ideal und der Regel der Attiker fernbleiben (a forma veritatis et ab Atticorum regula absunt), diesen Mangel mit ihrer Be- gabung (facultate) und ihrer Fülle (copia) doch aufwiegen. Er betrachtet also die Fülle’ hier, wie auch sonst so oft, schlechthin als einen Vorzug der Rede. Hat er doch selbst sie von den Asianern übernommen. Aber er wirft jenen beiden Häuptern der karischen Beredsamkeit, den Lehrern seines rhodischen Beraters Molon, vor, daß ihren Perioden die Abwechs- lung (varietas) fehle, weil sie fast alle denselben rhythmischen Satz- schluß haben (omnia fere concludebantur uno modo) und ihre Rede überhaupt ohne alle Veränderung sich immer derselben Rhythmen bediene (sine ulla commutatione in eodem semper versetur genere numerorum). Eine Illustration xu dieser Monotonie, die Cicero — ich zweifle nicht: im Sinne seines als Kritiker rednerischer Mängel besonders starken Lehrers Molon! — dem Menekles nachsagt, hat man mit Recht in dem oben (S. 86) erwähnten Erlaß des Antiochos von Kommagene gefunden2. Da- durch entsteht freilich cine gewisse Schwierigkeit, die bisher, soviel ich weiß, noch nicht beachtet worden ist. Cicero rechnet, wie oben (S. 83) zur Sprache kam, in seiner Charakteristik des Asianismus (Brutus § 325) zum ersten Typus neben Timaios und Hegesias auch Hierokles und Menckles, schreibt dicsen beiden also eine kommatische Rede zu voller Symmetrie 1 Aulitzky, Wiener Studien 39. Jahrg. (1917), S. 33. 39. 48 f. 2 v. Wilamowitz, Hermes, Bd. 35, S. 35. Aber ebd. S. 2 Anm. 2 erklärt er es als Eigentümlichkeit des Hegesias, dessen Art nach Cicero doch auch Mrnekles teilt, daß er kurxe rhythmische Glieder baut, daß die ganxe Rede aus Versteilchen besteht: 8. die nächste Anmerkung.
III. Die zweite Briefmustersammlung. 99 auch nur ihn so, hingegen seinen jüngeren Namensvetter Apollonios Molon einfach Molon nennt, muß jener hier gemeint sein. Er darf demnach als Urheber dieser ganzen hier von der Herennius-Rhetorik und "De in- ventione' wiedergegebenen Lehre über die Erregung des Mitleids gelten1, und ihm auch möchte ich daher die Erörterung des Herennius-Buchs über die gesangsartige Vortragsart der Redeausgänge xuschreiben. Ubrigens stattet der anonyme Verfasser auch den Epilog seines eigenen Werks reich mit asianischen Stilkünsten aus, worüber noch zu reden sein wird. Wir müssen somit annehmen, daß der ältere rhodische Apollonios noch von seinem Lehrer Menekles her an jener singenden Manier der Redeschlüsse festgehalten hat, die der von Molons Kritik geleitete Cicero später als geschmacklos verwarf. Allerdings könnte in dem Gebot, sich bei der conmiseratio (conquestio) kurx xu fassen, doch auch schon eine gewisse Einschränkung der asianischen Maßlosigkeit verborgen sein. Mit der Manier der gesangartig ausgehaltenen Redeschlüsse scheint doch auch eine andere von Cicero gerüigte Unart der asianischen Meister Hierokles und Menekles verwandt xu sein. In seiner abwägenden Würdi- gung ihrer Kunst (Orat. § 231) gesteht er ihnen zu, daß sie, obgleich sie dem rednerischen Ideal und der Regel der Attiker fernbleiben (a forma veritatis et ab Atticorum regula absunt), diesen Mangel mit ihrer Be- gabung (facultate) und ihrer Fülle (copia) doch aufwiegen. Er betrachtet also die Fülle’ hier, wie auch sonst so oft, schlechthin als einen Vorzug der Rede. Hat er doch selbst sie von den Asianern übernommen. Aber er wirft jenen beiden Häuptern der karischen Beredsamkeit, den Lehrern seines rhodischen Beraters Molon, vor, daß ihren Perioden die Abwechs- lung (varietas) fehle, weil sie fast alle denselben rhythmischen Satz- schluß haben (omnia fere concludebantur uno modo) und ihre Rede überhaupt ohne alle Veränderung sich immer derselben Rhythmen bediene (sine ulla commutatione in eodem semper versetur genere numerorum). Eine Illustration xu dieser Monotonie, die Cicero — ich zweifle nicht: im Sinne seines als Kritiker rednerischer Mängel besonders starken Lehrers Molon! — dem Menekles nachsagt, hat man mit Recht in dem oben (S. 86) erwähnten Erlaß des Antiochos von Kommagene gefunden2. Da- durch entsteht freilich cine gewisse Schwierigkeit, die bisher, soviel ich weiß, noch nicht beachtet worden ist. Cicero rechnet, wie oben (S. 83) zur Sprache kam, in seiner Charakteristik des Asianismus (Brutus § 325) zum ersten Typus neben Timaios und Hegesias auch Hierokles und Menckles, schreibt dicsen beiden also eine kommatische Rede zu voller Symmetrie 1 Aulitzky, Wiener Studien 39. Jahrg. (1917), S. 33. 39. 48 f. 2 v. Wilamowitz, Hermes, Bd. 35, S. 35. Aber ebd. S. 2 Anm. 2 erklärt er es als Eigentümlichkeit des Hegesias, dessen Art nach Cicero doch auch Mrnekles teilt, daß er kurxe rhythmische Glieder baut, daß die ganxe Rede aus Versteilchen besteht: 8. die nächste Anmerkung.
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100 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. in kurzen, parallelen Satzteilchen. In diesem Typus spielt aber die rhyth- mische Klausel nicht die entscheidende Rolle, wenngleich auch er, um kunstvoll zu sein, der Rhythmen nicht entraten konnte1. Man wird in- dessen annehmen dürfen, daß die Brüder aus Alabanda gleich dem römi- schen Asianer Hortensius beide Typen des Asianismus nebeneinander beherrschten und nur in dem sentenzenreich zugespitzten kommatischen Stil besondere Virtuosität entfalteten. Freier und gebundener Satzrhythmus. Dies wie so viele ähnliche wichtige Fragen mögen künftige Quellen- funde entscheiden. Sicher und klar erkennen wir aber auch heute schon: Cicero schwebte im Hinblick auf sein Muster Demosthenes als Ideal der Periode eine je nach Stoff, Stimmung, Gelegenheit mit den Rhythmen wechselnde, xuweilen durch kommatische Reihung unterbrochene, freie Satzarchitektonik vor. Der Asianismus aber neigte zu einer Periode 1 Nordens ausgexeichnetes Buch über die antike Kunstprosa berührt diese Frage nicht, hat überhaupt dem Bruderpaar Hierokles und Menekles keine und der rhodischen Rednerschule keine ausreichende Beachtung geschenkt. v. Wila- mowitz in seiner geistreich großzügigen, von mir bereits oft genannten Ab- handlung über Asianismus und Attixismus’ (Hermes Bd. 35) schweigt über die Schwierigkeit, daß Cicero im Brutus § 325 die beiden zu den Kommatikern zählt (ohne allerdings hier des Hauptvertreters des kommatischen Stils, Hegesias, xu er- wähnen), aber im Orator § 231 sie dem ebenda § 226. 230 und Brut. 286. 287 wegen seiner vertikelhaften kleinen Satxteilchen als Zerstückeler der Perioden (nu- meri) getadelten Hegesias gegenüberstellt und an ihnen nicht, wie man erwarten sollte, einen Fehler ihrer aufgelösten Perioden, sondern nur die Eintönigkeit dieser Perio- den (in eodem semper genere numerorum) mißbilligt. Einen Fingerxeig xur Behe- bung des Anstoßes ist der Hinweis (a. a. O. S. 36), daß auch die kunstvolle gereihte" Rede (cipouévn) der Rhythmen bedurftc. Aber das reicht nicht aus. — Ubrigens ent- hält diese vielseitig klärende, anregende und mir durch ihre von tiefer geschicht- licher Einsicht zeugende Beurteilung der Renaissance (S. 51 und Anm. 3: Die Renaissance war etwas Besseres als Imitation’) besonders wertvolle Abhandlung einzelnes, das mir unklar ist. S. 30 heißt es, Hegesias habe die periodisierte Stilisierung nur für die private Gerichtsrede verworfen (für epideiktische Rede ...galt das fdiese Verwerfung] natürlich nicht), dagegen S. 36 heißt es von demselben Hegesias: dessen Stil in der epideiktischen Rede rhythmische cipouévn ist’, also doch auch in ihr keine periodisierte Stilisierung! S. 23: Die So- phistik ist von Anbeginn attisch'. Gewiß, Gorgias und Thrasymachos schrieben beide attisch, aber sie stammten doch beide nicht aus Attika, sondern von der Peripherie der hellenischen Welt, aus dorischem Kolonialland, der eine aus Leontioi auf Sixilien, der andere aus Chalkedon am Bosporus; und ich meine, diese Tatsache verdient doch in Anschlag gebracht xu werden, wenn es gilt, den Sauerteig des sophistischen Stils, das naturalistische, eruptive, volks- tümliche, poetisierende, romantische Element seines Wesens geschichtlich zu begreifen.
100 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. in kurzen, parallelen Satzteilchen. In diesem Typus spielt aber die rhyth- mische Klausel nicht die entscheidende Rolle, wenngleich auch er, um kunstvoll zu sein, der Rhythmen nicht entraten konnte1. Man wird in- dessen annehmen dürfen, daß die Brüder aus Alabanda gleich dem römi- schen Asianer Hortensius beide Typen des Asianismus nebeneinander beherrschten und nur in dem sentenzenreich zugespitzten kommatischen Stil besondere Virtuosität entfalteten. Freier und gebundener Satzrhythmus. Dies wie so viele ähnliche wichtige Fragen mögen künftige Quellen- funde entscheiden. Sicher und klar erkennen wir aber auch heute schon: Cicero schwebte im Hinblick auf sein Muster Demosthenes als Ideal der Periode eine je nach Stoff, Stimmung, Gelegenheit mit den Rhythmen wechselnde, xuweilen durch kommatische Reihung unterbrochene, freie Satzarchitektonik vor. Der Asianismus aber neigte zu einer Periode 1 Nordens ausgexeichnetes Buch über die antike Kunstprosa berührt diese Frage nicht, hat überhaupt dem Bruderpaar Hierokles und Menekles keine und der rhodischen Rednerschule keine ausreichende Beachtung geschenkt. v. Wila- mowitz in seiner geistreich großzügigen, von mir bereits oft genannten Ab- handlung über Asianismus und Attixismus’ (Hermes Bd. 35) schweigt über die Schwierigkeit, daß Cicero im Brutus § 325 die beiden zu den Kommatikern zählt (ohne allerdings hier des Hauptvertreters des kommatischen Stils, Hegesias, xu er- wähnen), aber im Orator § 231 sie dem ebenda § 226. 230 und Brut. 286. 287 wegen seiner vertikelhaften kleinen Satxteilchen als Zerstückeler der Perioden (nu- meri) getadelten Hegesias gegenüberstellt und an ihnen nicht, wie man erwarten sollte, einen Fehler ihrer aufgelösten Perioden, sondern nur die Eintönigkeit dieser Perio- den (in eodem semper genere numerorum) mißbilligt. Einen Fingerxeig xur Behe- bung des Anstoßes ist der Hinweis (a. a. O. S. 36), daß auch die kunstvolle gereihte" Rede (cipouévn) der Rhythmen bedurftc. Aber das reicht nicht aus. — Ubrigens ent- hält diese vielseitig klärende, anregende und mir durch ihre von tiefer geschicht- licher Einsicht zeugende Beurteilung der Renaissance (S. 51 und Anm. 3: Die Renaissance war etwas Besseres als Imitation’) besonders wertvolle Abhandlung einzelnes, das mir unklar ist. S. 30 heißt es, Hegesias habe die periodisierte Stilisierung nur für die private Gerichtsrede verworfen (für epideiktische Rede ...galt das fdiese Verwerfung] natürlich nicht), dagegen S. 36 heißt es von demselben Hegesias: dessen Stil in der epideiktischen Rede rhythmische cipouévn ist’, also doch auch in ihr keine periodisierte Stilisierung! S. 23: Die So- phistik ist von Anbeginn attisch'. Gewiß, Gorgias und Thrasymachos schrieben beide attisch, aber sie stammten doch beide nicht aus Attika, sondern von der Peripherie der hellenischen Welt, aus dorischem Kolonialland, der eine aus Leontioi auf Sixilien, der andere aus Chalkedon am Bosporus; und ich meine, diese Tatsache verdient doch in Anschlag gebracht xu werden, wenn es gilt, den Sauerteig des sophistischen Stils, das naturalistische, eruptive, volks- tümliche, poetisierende, romantische Element seines Wesens geschichtlich zu begreifen.
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III. Die zweite Briefmustersammlung. 101 mit gebundener Rhythmik, mit festen Klauseln. Dabei handelt es sich nach den antiken Berichten und nach dem Befund des uns er- haltenen Quellenmaterials hauptsächlich um die starke Bevorzugung dreier Satzausgänge: von zwei Trochäen (Ditrochaeus, Dichoreus); von Kretiker und Trochaeus; von xwei Kretikern1. Diese stereotypen asianischen Klauseln hatte schon C. Gracchus in seinen Reden. Auch Cicero selber konnte sich der von ihm theoretisch mißbilligten asiatischen Monotonie in der Praxis nicht ganz entziehen: seine ins Ohr fallenden häufigen Ausgänge esse videatur zeigen Trochäus + Päon (LL)2 eine Klausel, die an sich nicht verpönt war, nach Quintilian Instit. orator. IX 4, 73 den erlaubten Eindruck des Anfangs eines achtfüßigen trochäischen Verses machte und von ihm, weil recht häufig' bei Cicero und anderen vorkommend (nam nimis frequens), ohne näheres Zitat an- geführt wurde 3. Von Tacitus (Dialog. de orat. 23) wurde sie als jeden dritten Satz Ciceros schließend verspottet. Den Ditrochäus, den er Di- choreus nennt, läßt Quintilian IX 4, 95 und 103 als Satzschluß zu, aber er betont mißbilligend, daß ihn die asiatische Rednerschule sehr oft anwende (quo Asiani sunt usi plurimum) und verweist auf das von 1 Cicero Orat. § 212 f.: insistit autem ambitus modis pluribus, e quibus unum est secuta Asia maxima, qui dichoreus [= ditrochaeus] voca- tur, cum duo extremi chorei [trochaei] sunt, id est e singulis longis et brevi- bus. dichoreus non est ille quidem sua sponte vitiosus in clausulis, sed in orationis numero nihil est tam vitiosum quam si semper est idem. cadit autem per se ipse ille praeclare, quo etiam satietas formidanda est magis. 2 Vgl. des sogenannten Litterator Rufinus (5. Jahrh.) Versus de compo- sitione et de metris oratorum' (Rhetores Latini minores ed. Halm S. 575): Tullius hunc [numerum] laudat, cui sit paenultima longa; Esse trochaeus adest, videatur tertius ille Quem paeana vocat Musis devota vetustas: Hic membris numerus melior, cui tertia longa. 3 Das nam begründete mir in diesem Sinn Dr. Walther Kranz, mit dem ich die ganze Stelle durchgesprochen, gegenüber der meines Erachtens ver- fehlten Konjektur iam von Peter Burmann überzeugend, und daran kann der Hinweis auf X 2, 18 nichts ändern. Dort hält sich Quintilian auf über die Cicero-Nachahmer, die ihren Meister schon erreicht xu haben glauben, wenn sie ihre Sätxe fleißig mit esse videatur schließen. Die metrische Deutung übrigens, die er IX 4, 73 jener Klausel gibt: octonarium fnämlich trochaicum] inchoat verlangt für den zweiten Trochäus Vertretung durch Spondeus und Auflösung von dessen erster Länge sowie Länge der auslautenden anceps-Silbe tur (über diese s. IX 4, 93): éssě vídě a túr. Norden, Ant. Kunstprosa S. 927 geht darüber hinweg und gibt eine davon abweichende Rhythmisierung : +DCLO, also Kretikus (mit Auflösung der xweiten Länge) + Trochäus. Aber auch die von Quintilian als analog beigebrachte Demosthenes-Stellen aus dem Anfang der Kranx-Rede näoi kaì ná odig führt auf das gleiche trochäische Schema, nur daß hier der Spondeus im xweiten Fuß unaufgelöst bleibt.
III. Die zweite Briefmustersammlung. 101 mit gebundener Rhythmik, mit festen Klauseln. Dabei handelt es sich nach den antiken Berichten und nach dem Befund des uns er- haltenen Quellenmaterials hauptsächlich um die starke Bevorzugung dreier Satzausgänge: von zwei Trochäen (Ditrochaeus, Dichoreus); von Kretiker und Trochaeus; von xwei Kretikern1. Diese stereotypen asianischen Klauseln hatte schon C. Gracchus in seinen Reden. Auch Cicero selber konnte sich der von ihm theoretisch mißbilligten asiatischen Monotonie in der Praxis nicht ganz entziehen: seine ins Ohr fallenden häufigen Ausgänge esse videatur zeigen Trochäus + Päon (LL)2 eine Klausel, die an sich nicht verpönt war, nach Quintilian Instit. orator. IX 4, 73 den erlaubten Eindruck des Anfangs eines achtfüßigen trochäischen Verses machte und von ihm, weil recht häufig' bei Cicero und anderen vorkommend (nam nimis frequens), ohne näheres Zitat an- geführt wurde 3. Von Tacitus (Dialog. de orat. 23) wurde sie als jeden dritten Satz Ciceros schließend verspottet. Den Ditrochäus, den er Di- choreus nennt, läßt Quintilian IX 4, 95 und 103 als Satzschluß zu, aber er betont mißbilligend, daß ihn die asiatische Rednerschule sehr oft anwende (quo Asiani sunt usi plurimum) und verweist auf das von 1 Cicero Orat. § 212 f.: insistit autem ambitus modis pluribus, e quibus unum est secuta Asia maxima, qui dichoreus [= ditrochaeus] voca- tur, cum duo extremi chorei [trochaei] sunt, id est e singulis longis et brevi- bus. dichoreus non est ille quidem sua sponte vitiosus in clausulis, sed in orationis numero nihil est tam vitiosum quam si semper est idem. cadit autem per se ipse ille praeclare, quo etiam satietas formidanda est magis. 2 Vgl. des sogenannten Litterator Rufinus (5. Jahrh.) Versus de compo- sitione et de metris oratorum' (Rhetores Latini minores ed. Halm S. 575): Tullius hunc [numerum] laudat, cui sit paenultima longa; Esse trochaeus adest, videatur tertius ille Quem paeana vocat Musis devota vetustas: Hic membris numerus melior, cui tertia longa. 3 Das nam begründete mir in diesem Sinn Dr. Walther Kranz, mit dem ich die ganze Stelle durchgesprochen, gegenüber der meines Erachtens ver- fehlten Konjektur iam von Peter Burmann überzeugend, und daran kann der Hinweis auf X 2, 18 nichts ändern. Dort hält sich Quintilian auf über die Cicero-Nachahmer, die ihren Meister schon erreicht xu haben glauben, wenn sie ihre Sätxe fleißig mit esse videatur schließen. Die metrische Deutung übrigens, die er IX 4, 73 jener Klausel gibt: octonarium fnämlich trochaicum] inchoat verlangt für den zweiten Trochäus Vertretung durch Spondeus und Auflösung von dessen erster Länge sowie Länge der auslautenden anceps-Silbe tur (über diese s. IX 4, 93): éssě vídě a túr. Norden, Ant. Kunstprosa S. 927 geht darüber hinweg und gibt eine davon abweichende Rhythmisierung : +DCLO, also Kretikus (mit Auflösung der xweiten Länge) + Trochäus. Aber auch die von Quintilian als analog beigebrachte Demosthenes-Stellen aus dem Anfang der Kranx-Rede näoi kaì ná odig führt auf das gleiche trochäische Schema, nur daß hier der Spondeus im xweiten Fuß unaufgelöst bleibt.
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Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. 102 Cicero als besonders wirkungsvoll (Orator § 213) angeführte Beispiel aus einer Rede des Volkstribuns C. Papirius Carbo, worin zwei parallele Saizglieder so schließen (poenas persolutas — filii comprobavit). Ganz im Banne dieser asianischen festen Satzklauseln, insbeson- dere der ditrochäischen, steht der Verfasser der Herennius-Rhetorik, worauf ich noch zurückkomme. Ob er dabei nur seinen rhodischen Quellen oder auch dem älteren römischen Beispiel z. B. des Gracchus, Carbo usw. folgt, bleibt ungewiß. Viel bedeutsamer aber ist die geschichtliche Tatsache: diese von Cicero getadelte asianische Manier bestimm- ter, stereotyper rhythmischer Klauseln, die er doch selbst nicht ganz vermeiden konnte 1, die Schrift für Herennius aber im vollen Umfang sich aneignet, die wir ebenso in der feierlichen Kanzleisprache syrisch- hellenistischer Könige finden, wird die Grundlage für den cursus Leoninus des 5. Jahrhunderts (s. oben S. 85) und für den mittel- alterlichen Cursus, wie er sich in dem Karolingischen Schullatein, in der Prosa etwa Otfrieds von Weißenburg (Präfatio an Liutbert von Mainz2) und seiner Zeitgenossen zeigt, dann nach längerer Verdunklung neubelebt und fester geregelt seit dem ausgehenden 11. Jahrhundert als leitendes Stilprinzip die Periodisierung und den Ausdruck der päpstlichen und kaiserlichen Kanzleisprache, mehr oder minder auch die sonstigen Kanzleisprachen beherrscht oder beeinflußt. Dem strengen Cursus der Kurie gibt sein eigentliches Gepräge die Beschränkung auf drei stereotype Schlüsse: den velox (xxX X), den planus (xXX), den tardus (xxxX), wobei indessen der velox auf Kosten der übrigen weitaus dominiert und nur noch in begrenztem Umfang den planus neben sich duldet, den tardus auf bestimmte wenige Fälle zurückdrängend. Im wesentlichen bleibt dieser kuriale Brauch im 13. und 14. Jahrhundert für die gesamte lateinische Kanzleisprache maß- gebend. Doch erhält sich außerhalb des päpstlichen und kaiserlichen 1 Man könnte sein Verhältnis xum Asianismus wohl überhaupt mit Blaß. Die Rhythmen der asianischen und römischen Kunstprosa S. 35 so formulieren: er vereinigte asianische Praxis mit alter attischer Theorie'. 2 Den lateinischen Stil der Vorrede an Liutbert hat Schönbach, Zeitschr. f. deutsches Altert. Bd. 39 (1895), S. 375 als vollkommen abhängig von alter Tradition erwiesen. Daß darin die Satzschlüsse nach den Regeln des Cursus rhythmisch gestaltet sind, bemerkte Gustav Ehrismann in seiner auch sonst für das uns hier beschäftigende Problem des Fortlebens antiker Rhetorik im Mittelalter außerordentlich aufklärenden Abhandlung Duxen und Ihrzen im Mittelalter', Zeitschr. f. deutsche Wortforschung 1. Bd. (1901), S. 139 Anm. Leider habe ich diesen wichtigen Hinweis seiner Zeit übersehen und daher in meiner Abhandlung über den Satzrhythmus der deutschen Prosa (Sitzb. d. Berlin. Akad. 1909, S. 520 ff.) nicht berücksichtigt. Ich wurde erst durch eine dankenswerte briefliche Mitteilung von Carl v. Kaus freundlichst über meine Unterlassung belehrt.
Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. 102 Cicero als besonders wirkungsvoll (Orator § 213) angeführte Beispiel aus einer Rede des Volkstribuns C. Papirius Carbo, worin zwei parallele Saizglieder so schließen (poenas persolutas — filii comprobavit). Ganz im Banne dieser asianischen festen Satzklauseln, insbeson- dere der ditrochäischen, steht der Verfasser der Herennius-Rhetorik, worauf ich noch zurückkomme. Ob er dabei nur seinen rhodischen Quellen oder auch dem älteren römischen Beispiel z. B. des Gracchus, Carbo usw. folgt, bleibt ungewiß. Viel bedeutsamer aber ist die geschichtliche Tatsache: diese von Cicero getadelte asianische Manier bestimm- ter, stereotyper rhythmischer Klauseln, die er doch selbst nicht ganz vermeiden konnte 1, die Schrift für Herennius aber im vollen Umfang sich aneignet, die wir ebenso in der feierlichen Kanzleisprache syrisch- hellenistischer Könige finden, wird die Grundlage für den cursus Leoninus des 5. Jahrhunderts (s. oben S. 85) und für den mittel- alterlichen Cursus, wie er sich in dem Karolingischen Schullatein, in der Prosa etwa Otfrieds von Weißenburg (Präfatio an Liutbert von Mainz2) und seiner Zeitgenossen zeigt, dann nach längerer Verdunklung neubelebt und fester geregelt seit dem ausgehenden 11. Jahrhundert als leitendes Stilprinzip die Periodisierung und den Ausdruck der päpstlichen und kaiserlichen Kanzleisprache, mehr oder minder auch die sonstigen Kanzleisprachen beherrscht oder beeinflußt. Dem strengen Cursus der Kurie gibt sein eigentliches Gepräge die Beschränkung auf drei stereotype Schlüsse: den velox (xxX X), den planus (xXX), den tardus (xxxX), wobei indessen der velox auf Kosten der übrigen weitaus dominiert und nur noch in begrenztem Umfang den planus neben sich duldet, den tardus auf bestimmte wenige Fälle zurückdrängend. Im wesentlichen bleibt dieser kuriale Brauch im 13. und 14. Jahrhundert für die gesamte lateinische Kanzleisprache maß- gebend. Doch erhält sich außerhalb des päpstlichen und kaiserlichen 1 Man könnte sein Verhältnis xum Asianismus wohl überhaupt mit Blaß. Die Rhythmen der asianischen und römischen Kunstprosa S. 35 so formulieren: er vereinigte asianische Praxis mit alter attischer Theorie'. 2 Den lateinischen Stil der Vorrede an Liutbert hat Schönbach, Zeitschr. f. deutsches Altert. Bd. 39 (1895), S. 375 als vollkommen abhängig von alter Tradition erwiesen. Daß darin die Satzschlüsse nach den Regeln des Cursus rhythmisch gestaltet sind, bemerkte Gustav Ehrismann in seiner auch sonst für das uns hier beschäftigende Problem des Fortlebens antiker Rhetorik im Mittelalter außerordentlich aufklärenden Abhandlung Duxen und Ihrzen im Mittelalter', Zeitschr. f. deutsche Wortforschung 1. Bd. (1901), S. 139 Anm. Leider habe ich diesen wichtigen Hinweis seiner Zeit übersehen und daher in meiner Abhandlung über den Satzrhythmus der deutschen Prosa (Sitzb. d. Berlin. Akad. 1909, S. 520 ff.) nicht berücksichtigt. Ich wurde erst durch eine dankenswerte briefliche Mitteilung von Carl v. Kaus freundlichst über meine Unterlassung belehrt.
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III. Die zweite Briefmustersammlung. 103 Kanzleistils auch der Satzschluß auf Ditrochäus, und zwar in der Form pénâs pèrsôlútâs, der nun, nachdem der rhythmische Satzschluß seinen metrischen Charakter völlig eingebüßt hatte und rein akxentuierend ge- worden war, mit esse videatur zusammenfällt. Es ist also ein rhyth- mischer Tritrochäus mit schwächer betonter (nebentoniger) zweiter Hebung: esse videatur = rhythmisch x XX. Er dauert fort in einem mittel- alterlichen Cursustypus, der zwar von Otfried und ebenso von der strengen, nach kurialem Muster geregelten Praxis des 13. Jahrhunderts gemieden wird, sonst aber verbreitet ist. Die von der antiken Stiltheorie schon frih und immer wieder, allerdings ohne durchgreifenden Erfolg, eingeschärfte Warnung vor diesem für die Prosarede unpassenden weichlichen’ Rhythmus der älteren Sophisten und der Asianer ist also von den Reformatoren der päpstlichen Kanzleisprache befolgt worden, und auch in der für Otfried maßgebenden Schule von Fulda hatte er keine Duldung genossen. Das heißt also: der Satzschluß des Carbo filii comprobavit (= velox) siegte über den respondierenden Satzschluß Carbos poenas persolutas und dem diesem jetzt gleichen esse videatur. Diesen von den klassizistischen Theoretikern des Prosarhythmus verbotenen Typus, worin — nach mittelalterlichem, akzentuierendem Gefühl (nicht auch nach mittelalterlicher Terminologie!) — dem schließenden Ditrochäus kein Daktylus, sondern ein Trochäus vorangeht, braucht der asianisch schreibende Verfasser der Herennius-Rhetorik mit Vorliebe. Und dieser Typus begegnet gerade in den Musterbriefen unseres schle- sisch-böhmischen Formularbuches häufig1. In diesem Falle ist also ein von Cicero, dem Kritiker des Asianis- mus, geteilter asianischer Schönheitsfehler, der den antiken klassixistischen Stilpriestern anstößig war, von der mittelalterlichen lateinischen Kunst- prosa, wenigstens soweit sie sich nach dem Muster der päpstlichen und der kaiserlichen Kanzlei richtete, aufgegeben worden. Aber einen viel tiefer greifenden wirklichen Mangel der asianischen Periodisierung, den Cicero mit Recht (Orat. § 230) rügte, hat sie vollständig übernommen: die Einflickung nichtssagender Worte zur Füllung des Rhyth- mus. Es ist klar: sobald der freie rhythmische Satzschluß der Periode erstarrt war zur festen Klausel weniger konstanter Typen, stellte sich die Notwendigkeit ein, durch allerlei leicht verfügbare Notbehelfe des Wortschatzes die unabänderlich vorgeschriebene Form des Ausgangs zu erzielen. Die mittelalterliche Kanzleisprache wird in weitem Umfang von dieser stilistischen Zwangslage beherrscht: Füllselworte, wie die Par- tikeln penitus, pariter, nichilominus, Verbalumschreibungen mit digne- mini und ähnliche begegnen auf Schritt und Tritt. 1 Vgl. Bebermeyers Nachweise des sogenannten Typus Meyer VI' (unten 4. Kap., IV, § 36. 37. 43. 48. 54. 69).
III. Die zweite Briefmustersammlung. 103 Kanzleistils auch der Satzschluß auf Ditrochäus, und zwar in der Form pénâs pèrsôlútâs, der nun, nachdem der rhythmische Satzschluß seinen metrischen Charakter völlig eingebüßt hatte und rein akxentuierend ge- worden war, mit esse videatur zusammenfällt. Es ist also ein rhyth- mischer Tritrochäus mit schwächer betonter (nebentoniger) zweiter Hebung: esse videatur = rhythmisch x XX. Er dauert fort in einem mittel- alterlichen Cursustypus, der zwar von Otfried und ebenso von der strengen, nach kurialem Muster geregelten Praxis des 13. Jahrhunderts gemieden wird, sonst aber verbreitet ist. Die von der antiken Stiltheorie schon frih und immer wieder, allerdings ohne durchgreifenden Erfolg, eingeschärfte Warnung vor diesem für die Prosarede unpassenden weichlichen’ Rhythmus der älteren Sophisten und der Asianer ist also von den Reformatoren der päpstlichen Kanzleisprache befolgt worden, und auch in der für Otfried maßgebenden Schule von Fulda hatte er keine Duldung genossen. Das heißt also: der Satzschluß des Carbo filii comprobavit (= velox) siegte über den respondierenden Satzschluß Carbos poenas persolutas und dem diesem jetzt gleichen esse videatur. Diesen von den klassizistischen Theoretikern des Prosarhythmus verbotenen Typus, worin — nach mittelalterlichem, akzentuierendem Gefühl (nicht auch nach mittelalterlicher Terminologie!) — dem schließenden Ditrochäus kein Daktylus, sondern ein Trochäus vorangeht, braucht der asianisch schreibende Verfasser der Herennius-Rhetorik mit Vorliebe. Und dieser Typus begegnet gerade in den Musterbriefen unseres schle- sisch-böhmischen Formularbuches häufig1. In diesem Falle ist also ein von Cicero, dem Kritiker des Asianis- mus, geteilter asianischer Schönheitsfehler, der den antiken klassixistischen Stilpriestern anstößig war, von der mittelalterlichen lateinischen Kunst- prosa, wenigstens soweit sie sich nach dem Muster der päpstlichen und der kaiserlichen Kanzlei richtete, aufgegeben worden. Aber einen viel tiefer greifenden wirklichen Mangel der asianischen Periodisierung, den Cicero mit Recht (Orat. § 230) rügte, hat sie vollständig übernommen: die Einflickung nichtssagender Worte zur Füllung des Rhyth- mus. Es ist klar: sobald der freie rhythmische Satzschluß der Periode erstarrt war zur festen Klausel weniger konstanter Typen, stellte sich die Notwendigkeit ein, durch allerlei leicht verfügbare Notbehelfe des Wortschatzes die unabänderlich vorgeschriebene Form des Ausgangs zu erzielen. Die mittelalterliche Kanzleisprache wird in weitem Umfang von dieser stilistischen Zwangslage beherrscht: Füllselworte, wie die Par- tikeln penitus, pariter, nichilominus, Verbalumschreibungen mit digne- mini und ähnliche begegnen auf Schritt und Tritt. 1 Vgl. Bebermeyers Nachweise des sogenannten Typus Meyer VI' (unten 4. Kap., IV, § 36. 37. 43. 48. 54. 69).
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104 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. Verschränkte Wortstellung. Noch einen anderen Stilfehler, der dem Rhythmus der Periode zu- lieb häufig begangen wurde, tadelte Cicero (Orat. § 230): die gegen den gewöhnlichen Sprachgebrauch der Prosa verstoßende gewaltsame Um- stellung der Worte (traiectio, urépßarov). Er nennt als Beispiel dafür den römischen Geschichtschreiber L. Caelius Antipater. Auch die Herennius-Rhetorik hatte (IV, 12, 18) an demselben Schriftsteller seine beständige Verletzung der regulüren Wortstellung gerügt. Aber sie hatte dann doch die verborum traiectionem nur mit einer bezeichnenden Einschränkung verboten: man solle sie meiden, es sei denn, daß sie der Koncinnität dient (nisi quae erit concinna). Ja die Rhetorik von Herennius kommt später in der Lehre von den exornationes (Figuren) darauf zu- rück und zeigt hier (IV 32, 44) an einem Beispiel, daß diese traiectio gerade nützlich sei, um die Perioden (continuationes), die man mit einem gewissen poetischen Rhythmus bauen müsse (ad poeticum quendam numerum), aufs vollkommenste ausxufeilen. Hier wird also die prosaische Periode mit Bewußtsein dadurch rhythmisch xu gestalten befohlen, daß man ihr die freie Wortstellung der Poesie gibt. Das ist, wie Blaß sehr richtig bemerkt hat, ein Stück asianischer Theorie'1. Asianisch ist aber in der Herennius-Rhetorik vor allem auch die Definition der Periode als einer dichten und in sich zusammen- hängenden Häufung von Worten mit abgeschlossenen Sätzen' (IV 19, 27): densa et continens frequentatio uerborum cum absolutione senten- tiarum, worauf dann ihre Einteilung folgt in Sentenz, Antithese, Schluß- folgerung (sententia; contrarium; conclusio) und alsbald das asianische Stil-Ideal sich enthüllt: in diesen drei Arten der Periode ist zu ihrer Wirkung unerläßlich die Häufung (frequentatio), weil die Fähigkeit des Redners schwach erscheinen würde, wenn er nicht Sentenz, Anti- these, Schluß mit Wortfülle (frequentibus uerbis) vorträgt’. Und damit nicht genug: auch sonst ist es nach des Verfassers Meinung zuweilen nicht unpassend, wenngleich nicht notwendig, einzelne Gegenstände in solchen wortreichen Perioden zu behandeln 2. 1 Blaß, Die Rhythmen der asianischen und römischen Kunstprosa S. 34. — Mit Recht hebt Blaß a. a. O. S. 11. 13 hervor, daß der Auct. ad Her. die helle- nistische (von Demetrios repì épunveiag S. 1—3. 8f. 16 überlieferte) Theorie der Periode übernimmt (d. h. in seinen Beispielen praktisch anwendet), wo- nach der repíodog (continuatio) nach Kola (membra) und Kommata (articuli) gemessen und in der Regel auf ein Höchstmaß von vier Satzgliedern (Kola) festgesetzt wird: IV 19,26f., und daß Cicero Orat. § 221. 222 dieselbe Lehre vorträgt und ausführlich begründet. 2 Es ist sehr charakteristisch für den Standpunkt des Anonymus, daß er diese Definition der Periode (continuatio) in der Lehre vom Ausdruck (elocutio) vorträgt und daß hier die periodische Schreibart (continuatio) nur als eine der exornationes (Figuren) erscheint, in einer Reihe mit Adnominatio, Gradatio, Transitio usw.
104 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. Verschränkte Wortstellung. Noch einen anderen Stilfehler, der dem Rhythmus der Periode zu- lieb häufig begangen wurde, tadelte Cicero (Orat. § 230): die gegen den gewöhnlichen Sprachgebrauch der Prosa verstoßende gewaltsame Um- stellung der Worte (traiectio, urépßarov). Er nennt als Beispiel dafür den römischen Geschichtschreiber L. Caelius Antipater. Auch die Herennius-Rhetorik hatte (IV, 12, 18) an demselben Schriftsteller seine beständige Verletzung der regulüren Wortstellung gerügt. Aber sie hatte dann doch die verborum traiectionem nur mit einer bezeichnenden Einschränkung verboten: man solle sie meiden, es sei denn, daß sie der Koncinnität dient (nisi quae erit concinna). Ja die Rhetorik von Herennius kommt später in der Lehre von den exornationes (Figuren) darauf zu- rück und zeigt hier (IV 32, 44) an einem Beispiel, daß diese traiectio gerade nützlich sei, um die Perioden (continuationes), die man mit einem gewissen poetischen Rhythmus bauen müsse (ad poeticum quendam numerum), aufs vollkommenste ausxufeilen. Hier wird also die prosaische Periode mit Bewußtsein dadurch rhythmisch xu gestalten befohlen, daß man ihr die freie Wortstellung der Poesie gibt. Das ist, wie Blaß sehr richtig bemerkt hat, ein Stück asianischer Theorie'1. Asianisch ist aber in der Herennius-Rhetorik vor allem auch die Definition der Periode als einer dichten und in sich zusammen- hängenden Häufung von Worten mit abgeschlossenen Sätzen' (IV 19, 27): densa et continens frequentatio uerborum cum absolutione senten- tiarum, worauf dann ihre Einteilung folgt in Sentenz, Antithese, Schluß- folgerung (sententia; contrarium; conclusio) und alsbald das asianische Stil-Ideal sich enthüllt: in diesen drei Arten der Periode ist zu ihrer Wirkung unerläßlich die Häufung (frequentatio), weil die Fähigkeit des Redners schwach erscheinen würde, wenn er nicht Sentenz, Anti- these, Schluß mit Wortfülle (frequentibus uerbis) vorträgt’. Und damit nicht genug: auch sonst ist es nach des Verfassers Meinung zuweilen nicht unpassend, wenngleich nicht notwendig, einzelne Gegenstände in solchen wortreichen Perioden zu behandeln 2. 1 Blaß, Die Rhythmen der asianischen und römischen Kunstprosa S. 34. — Mit Recht hebt Blaß a. a. O. S. 11. 13 hervor, daß der Auct. ad Her. die helle- nistische (von Demetrios repì épunveiag S. 1—3. 8f. 16 überlieferte) Theorie der Periode übernimmt (d. h. in seinen Beispielen praktisch anwendet), wo- nach der repíodog (continuatio) nach Kola (membra) und Kommata (articuli) gemessen und in der Regel auf ein Höchstmaß von vier Satzgliedern (Kola) festgesetzt wird: IV 19,26f., und daß Cicero Orat. § 221. 222 dieselbe Lehre vorträgt und ausführlich begründet. 2 Es ist sehr charakteristisch für den Standpunkt des Anonymus, daß er diese Definition der Periode (continuatio) in der Lehre vom Ausdruck (elocutio) vorträgt und daß hier die periodische Schreibart (continuatio) nur als eine der exornationes (Figuren) erscheint, in einer Reihe mit Adnominatio, Gradatio, Transitio usw.
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III. Die zweite Briefmustersammlung. 105 Da haben wir wieder die copia uerborum, die, wie oben (S. 85. 87) gesagt, von Cicero an dem zweiten Typus des Asianismus besonders hervorgehoben wurde, aber auch ihm selbst als wertvolle Eigenschaft der wahren Beredsamkeit galt: sie ist nah verbunden mit der namentlich für den Epilog (epilogus; peroratio) geforderten Steigerung (amplificatio = aUznoig) i, die das Gemüt der Hörer zur Leidenschaft (náeoc) ent- flammen oder auch xur Rührung (n0og) erweichen soll. Nachdem so Wesen und Herkunft des rhetorischen Lehrmaterials der Herennius-Schrift klargestellt ist, müssen wir uns die Stilkunst des Ver- fassers noch im einzelnen aus der Nähe ansehen. c) Die Theorie des Herenniusbuchs. Die drei Gattungen. Mit maßvoller Besonnenheit unterscheidet er (VI 8, 11—11, 16), wie oben (S. 96) gesagt, nach Theophrast die drei Redegattungen (oxńuara) als figurae, also figura grauis, mediocris, attenuata (VI 8, 11) ent- sprechend der griechischen Terminologie, rò oeuvòv, rò óunAòv oder deivóv; rò uéGov; rò loxvòv oder àpexég, die auch Cicero2 aner- kennt. Das ist dann ebenso in die mittelalterliche Schulpoetik einge- drungen. Es lebt fort z. B. in Walthers von der Vogelweide Versen über 1 Vgl. De invent. I 52, 98; 53, 100; Topica 26, 98; Partit. orat. § 96. De orat. II § 332; III § 104, 105; Orat. § 122. — Der Epilog heißt beim Auct. ad Her. I 3, 4; II 30, 47 u. ö. conclusio, aber dieses Wort bedeutet bei ihm daneben auch die logisch-rhetorische Schlußfolgerung (auch als Stilfigur). 2 De oratore III 199: Dixi de singulorum laude verborum, dixi de con- iunctione eorum, dixi de numero atque forma; sed si babitum orationis et quasi colorem aliquem requiritis, est et [1] plena quaedam, sed tamen teres, et [2] tenuis, non sine nervis ac viribus, et [3] ea quae particeps utriusque generis quadam mediocritate laudatur; his tribus figuris insidere quidem venustatis non fuco inlitus, sed sanguine diffusus debet color. In der Definition der ersten beiden Gattungen ist xugleich die Warnung vor ihrer Ausschreitung enthalten, vor dem àvrixeiuevov áuáprnua (s. oben S. 96). Dazu De orat. III § 212: nihil sane est quod praecipi posse videatur, nisi ut figu- ram orationis planioris et tenuioris et illius mediocr is ad id, quod agemus, adcommodatam deligamus. ornamentis eisdem uti fere licebit alias contentius, alias summissius. Ausführlicher, aber mit wenig faßbaren weiteren Distinctionen Orat. § 20. 21: [I/ grandiloqui... cum ampla et sententiarum grauitate et maiestate verborum usw. [2] tenues, acuti, omnia docentes et dilucidiora, non ampliora facientes, subtili quadam et pressa oratione limati; [3] medius et quasi temperatus nec acumine posteriorum nec fulmine utens superiorum usw.
III. Die zweite Briefmustersammlung. 105 Da haben wir wieder die copia uerborum, die, wie oben (S. 85. 87) gesagt, von Cicero an dem zweiten Typus des Asianismus besonders hervorgehoben wurde, aber auch ihm selbst als wertvolle Eigenschaft der wahren Beredsamkeit galt: sie ist nah verbunden mit der namentlich für den Epilog (epilogus; peroratio) geforderten Steigerung (amplificatio = aUznoig) i, die das Gemüt der Hörer zur Leidenschaft (náeoc) ent- flammen oder auch xur Rührung (n0og) erweichen soll. Nachdem so Wesen und Herkunft des rhetorischen Lehrmaterials der Herennius-Schrift klargestellt ist, müssen wir uns die Stilkunst des Ver- fassers noch im einzelnen aus der Nähe ansehen. c) Die Theorie des Herenniusbuchs. Die drei Gattungen. Mit maßvoller Besonnenheit unterscheidet er (VI 8, 11—11, 16), wie oben (S. 96) gesagt, nach Theophrast die drei Redegattungen (oxńuara) als figurae, also figura grauis, mediocris, attenuata (VI 8, 11) ent- sprechend der griechischen Terminologie, rò oeuvòv, rò óunAòv oder deivóv; rò uéGov; rò loxvòv oder àpexég, die auch Cicero2 aner- kennt. Das ist dann ebenso in die mittelalterliche Schulpoetik einge- drungen. Es lebt fort z. B. in Walthers von der Vogelweide Versen über 1 Vgl. De invent. I 52, 98; 53, 100; Topica 26, 98; Partit. orat. § 96. De orat. II § 332; III § 104, 105; Orat. § 122. — Der Epilog heißt beim Auct. ad Her. I 3, 4; II 30, 47 u. ö. conclusio, aber dieses Wort bedeutet bei ihm daneben auch die logisch-rhetorische Schlußfolgerung (auch als Stilfigur). 2 De oratore III 199: Dixi de singulorum laude verborum, dixi de con- iunctione eorum, dixi de numero atque forma; sed si babitum orationis et quasi colorem aliquem requiritis, est et [1] plena quaedam, sed tamen teres, et [2] tenuis, non sine nervis ac viribus, et [3] ea quae particeps utriusque generis quadam mediocritate laudatur; his tribus figuris insidere quidem venustatis non fuco inlitus, sed sanguine diffusus debet color. In der Definition der ersten beiden Gattungen ist xugleich die Warnung vor ihrer Ausschreitung enthalten, vor dem àvrixeiuevov áuáprnua (s. oben S. 96). Dazu De orat. III § 212: nihil sane est quod praecipi posse videatur, nisi ut figu- ram orationis planioris et tenuioris et illius mediocr is ad id, quod agemus, adcommodatam deligamus. ornamentis eisdem uti fere licebit alias contentius, alias summissius. Ausführlicher, aber mit wenig faßbaren weiteren Distinctionen Orat. § 20. 21: [I/ grandiloqui... cum ampla et sententiarum grauitate et maiestate verborum usw. [2] tenues, acuti, omnia docentes et dilucidiora, non ampliora facientes, subtili quadam et pressa oratione limati; [3] medius et quasi temperatus nec acumine posteriorum nec fulmine utens superiorum usw.
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106 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. drier slahte sanc (84, 22 Lachmann)1, die gewiß kein Bild aus der Fechtkunst entlehnen, auch sich nicht auf die drei Tönegruppen der Guidonischen Skala oder gar auf drei Maße der Saiten beziehen, son- dern die Ubertragung der Terminologie der antiken Rhetorik auf den musikalisch-metrischen Vortrag, aber auch auf die stilistischen und nicht minder die inhaltlichen Abstufungen der Poesie zur Voraussetzung haben. Für jede dieser drei Gattungen postuliert der Anonymus einen eigenen Stil (IV 8, 11). In der erhabenen (graui) schicken sich die schmuck- reichsten Worte (ornatissima uerba), sowohl eigentliche als übertragene, ferner erhabene Sätze (graues sententiae), die er früher bei Behandlung des Epilogs und der in ihm angemessenen amplificatio und commi- seratio besprochen hat (s. oben S. 98), endlich erhabene Figuren' der Sätze oder Worte (exornationes sententiarum aut uerborum, quae gra- uitatem habebunt). Die zweite, mittlere Gattung bedient sich einer niedrigeren Haltung der Worte, die dritte (attenuata) endlich ist unfeier- lich (demissa) und läßt sich herab zu dem gewöhnlichen Ausdruck der reinen, d. h. der gebildeten Sprache (usitatissimam puri con- suetudinem sermonis). Alle drei Gattungen, die er durch je ein Bei- spiel ihrer rechten und ihrer übertreibenden Form verdeutlicht (IV 8, 12—11, 16), bedürfen zu ihrer Haltung (dignitas) der Figuren' (exor- nationes), die indessen, wie gesagt, nach des Verfassers Meinung nur gleich Farben (coloribus) mit Vorsicht aufgetragen werden dürfen. Auch muß man beim Reden zwischen den einzelnen Gattungen wechseln. Die rhythmischen Satzschlüsse. Das Beispiel für die hobe Redegattung, eine flammende An- klagerede wider Vaterlandsverräter, wohl mit Bezug auf den Marsischen Krieg, lautet (IV 8, 12)2: 1 Außer Wackernagels Erklärung (Simrocks Ubersetzung, Berlin 1833. II S. 181) ist auch, was Wilmanns (2. Ausgabe S. 218) xur Deutung vor- schlägt, unhaltbar, bis auf die richtige Heranziehung der drei Vortragsarten der kirchlichen Liturgie, die eben auch mittelbar mit der Praxis und Theorie der antiken Rhetorik xusammenhängen. Daß Walther bei seiner Dreiteilung besonders auch an den Inhalt und Stil seiner Gedichte denkt, lehrt 84, 24 die Berufung auf die rederîchen. Dies Wort hat Wilmanns mit Recht, an Welsch. Gast 9033 f. erinnernd, als Wiedergabe des lateinischen Rhetoricus aufgefaßt: er hätte dieser Fährte nur weiter folgen sollen. 2 In dem nachstehenden Abdruck, der typographisch die Satzgliederung wieder- xugeben sucht (vgl. auch Marx Prolegom. S. 100f.), sind die Satzschlüsse ledig- lich nach mittelalterlicher rhythmischer Wertung durch Sperrdruck hervorgehoben.
106 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. drier slahte sanc (84, 22 Lachmann)1, die gewiß kein Bild aus der Fechtkunst entlehnen, auch sich nicht auf die drei Tönegruppen der Guidonischen Skala oder gar auf drei Maße der Saiten beziehen, son- dern die Ubertragung der Terminologie der antiken Rhetorik auf den musikalisch-metrischen Vortrag, aber auch auf die stilistischen und nicht minder die inhaltlichen Abstufungen der Poesie zur Voraussetzung haben. Für jede dieser drei Gattungen postuliert der Anonymus einen eigenen Stil (IV 8, 11). In der erhabenen (graui) schicken sich die schmuck- reichsten Worte (ornatissima uerba), sowohl eigentliche als übertragene, ferner erhabene Sätze (graues sententiae), die er früher bei Behandlung des Epilogs und der in ihm angemessenen amplificatio und commi- seratio besprochen hat (s. oben S. 98), endlich erhabene Figuren' der Sätze oder Worte (exornationes sententiarum aut uerborum, quae gra- uitatem habebunt). Die zweite, mittlere Gattung bedient sich einer niedrigeren Haltung der Worte, die dritte (attenuata) endlich ist unfeier- lich (demissa) und läßt sich herab zu dem gewöhnlichen Ausdruck der reinen, d. h. der gebildeten Sprache (usitatissimam puri con- suetudinem sermonis). Alle drei Gattungen, die er durch je ein Bei- spiel ihrer rechten und ihrer übertreibenden Form verdeutlicht (IV 8, 12—11, 16), bedürfen zu ihrer Haltung (dignitas) der Figuren' (exor- nationes), die indessen, wie gesagt, nach des Verfassers Meinung nur gleich Farben (coloribus) mit Vorsicht aufgetragen werden dürfen. Auch muß man beim Reden zwischen den einzelnen Gattungen wechseln. Die rhythmischen Satzschlüsse. Das Beispiel für die hobe Redegattung, eine flammende An- klagerede wider Vaterlandsverräter, wohl mit Bezug auf den Marsischen Krieg, lautet (IV 8, 12)2: 1 Außer Wackernagels Erklärung (Simrocks Ubersetzung, Berlin 1833. II S. 181) ist auch, was Wilmanns (2. Ausgabe S. 218) xur Deutung vor- schlägt, unhaltbar, bis auf die richtige Heranziehung der drei Vortragsarten der kirchlichen Liturgie, die eben auch mittelbar mit der Praxis und Theorie der antiken Rhetorik xusammenhängen. Daß Walther bei seiner Dreiteilung besonders auch an den Inhalt und Stil seiner Gedichte denkt, lehrt 84, 24 die Berufung auf die rederîchen. Dies Wort hat Wilmanns mit Recht, an Welsch. Gast 9033 f. erinnernd, als Wiedergabe des lateinischen Rhetoricus aufgefaßt: er hätte dieser Fährte nur weiter folgen sollen. 2 In dem nachstehenden Abdruck, der typographisch die Satzgliederung wieder- xugeben sucht (vgl. auch Marx Prolegom. S. 100f.), sind die Satzschlüsse ledig- lich nach mittelalterlicher rhythmischer Wertung durch Sperrdruck hervorgehoben.
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III. Die zweite Briefmustersammlung. 107 Auct. ad Her. IV 8, 12 S. 299. Nam quis est nestrum, iudices, qui satis idoneam possit in eum pénam cògitáre, qui prodere hostibus patriam cògitárit? Quod maleficium cum hoc scélere còmparári, quod huic maleficio dignum supplicium pótest inueniri? In iis, qui uiolássent ingénuum matrem familias cònstuprássent. uolnerassent aliquem aut postrémo necássent, maxima supplicia maióres cònsumpsérunt; huic truculentissimo ac nefario facinori singularem pónam non rèliquérunt. Atque in aliis maleficiis ad singulos aut ad paucos ex alieno peccato iniuria peruenit: huius sceleris qui sunt adfines, uno consilio uniuersis ciuibus atrocissimas calamitátes màchinántur. O feros animos! o crudeles cogitationes! o derelictos homines áb humànitáte. Quid agere ausi sunt aut cógitàre póssunt? Quo pacto hostis reuulsis maiorum sepulcris deiectis moenibus ouantes inruerent [inruérunt PC] in cluitátem; quo modo deum templis spoliatis optimatibus trucidatis, aliis abréptis in sèruitútem, matribus familias et ingenuis sub hostilem libidinem subiectis urbs acerbissimo concidat incéndio cònflagráta; qui se non putant id, quod uoluerint, ad éxitum pèrduxisse, nisi sanctissimae patriae miserandum scelerati uiderint cinerem. Nequeo uerbis consequi, iudices, indignitàtem réi;1 sed neglegentius id fero; quia uos méi nòn egétis. Vester enim uos animus amantissimus rei publicae facile edocet, ut eum, qui fortunas omnium uolúerit pròdere, praecípitem prò- turbétis ex ea ciuitate, quam iste hostium spurcissimorum dominatu nefario uólu(er)it obrúere. Dieses Beispiel bietet nun in der Tat eine Anzall sehr charakte- ristischer Eigenschaften des Rhythmus und des Stils, deren asianischer Ursprung unverkennbar ist. Ich versage mir, für die rhythmischen Schlüsse im einzelnen die Verbindungslinien nach rückwärts aufzusuchen, es überwiegen offenbar die sogenannten weichlichen' Klauseln der Di- trochäen. Um ihre Wirkung auf die mittelalterliche Stiltheorie und Sprache, die uns hier allein interessiert, zu ermessen, müssen wir sie ohne Rücksicht auf ihren ursprünglichen Quantitätswert rein mit dem mittelalterlichen, akzentuierend-rhythmischen Maßstab2 werten. 1 Doch ist auch denkbar indignitàtem réi, was ein allerdings übler Velox wäre. 2 Die mittelalterlichen Theoretiker des cursus arbeiten allerdings stets noch
III. Die zweite Briefmustersammlung. 107 Auct. ad Her. IV 8, 12 S. 299. Nam quis est nestrum, iudices, qui satis idoneam possit in eum pénam cògitáre, qui prodere hostibus patriam cògitárit? Quod maleficium cum hoc scélere còmparári, quod huic maleficio dignum supplicium pótest inueniri? In iis, qui uiolássent ingénuum matrem familias cònstuprássent. uolnerassent aliquem aut postrémo necássent, maxima supplicia maióres cònsumpsérunt; huic truculentissimo ac nefario facinori singularem pónam non rèliquérunt. Atque in aliis maleficiis ad singulos aut ad paucos ex alieno peccato iniuria peruenit: huius sceleris qui sunt adfines, uno consilio uniuersis ciuibus atrocissimas calamitátes màchinántur. O feros animos! o crudeles cogitationes! o derelictos homines áb humànitáte. Quid agere ausi sunt aut cógitàre póssunt? Quo pacto hostis reuulsis maiorum sepulcris deiectis moenibus ouantes inruerent [inruérunt PC] in cluitátem; quo modo deum templis spoliatis optimatibus trucidatis, aliis abréptis in sèruitútem, matribus familias et ingenuis sub hostilem libidinem subiectis urbs acerbissimo concidat incéndio cònflagráta; qui se non putant id, quod uoluerint, ad éxitum pèrduxisse, nisi sanctissimae patriae miserandum scelerati uiderint cinerem. Nequeo uerbis consequi, iudices, indignitàtem réi;1 sed neglegentius id fero; quia uos méi nòn egétis. Vester enim uos animus amantissimus rei publicae facile edocet, ut eum, qui fortunas omnium uolúerit pròdere, praecípitem prò- turbétis ex ea ciuitate, quam iste hostium spurcissimorum dominatu nefario uólu(er)it obrúere. Dieses Beispiel bietet nun in der Tat eine Anzall sehr charakte- ristischer Eigenschaften des Rhythmus und des Stils, deren asianischer Ursprung unverkennbar ist. Ich versage mir, für die rhythmischen Schlüsse im einzelnen die Verbindungslinien nach rückwärts aufzusuchen, es überwiegen offenbar die sogenannten weichlichen' Klauseln der Di- trochäen. Um ihre Wirkung auf die mittelalterliche Stiltheorie und Sprache, die uns hier allein interessiert, zu ermessen, müssen wir sie ohne Rücksicht auf ihren ursprünglichen Quantitätswert rein mit dem mittelalterlichen, akzentuierend-rhythmischen Maßstab2 werten. 1 Doch ist auch denkbar indignitàtem réi, was ein allerdings übler Velox wäre. 2 Die mittelalterlichen Theoretiker des cursus arbeiten allerdings stets noch
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108 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. An den fünfundzwanxig Satzeinschnitten des Beispiels erscheinen demgemäß folgende Typen: 1) Tritrochäus (Trochäus + Ditrochäus: poenas persolutas = esse videatur s. oben S. 103) x1éx x (Meyer VI): poénam cògitáre (mit den Codices mutili, sicher richtig, während das excogitare der Codices expleti gegen das unten zu besprechende rhyth- mische Gesetz der wachsenden Glieder' verstößt, wonach bei Wortspielen zwischen Simplex und Kompositum das Kompositum, hier also das excogitare nicht vorangehen, sondern folgen müßte!) pótest inveniri; maióres cònsumpsérunt; calamitátes màchinántur; cógitàtiónes; áb humànitáte; cógitàre póssunt (zweimal); indignitàtem réi; méi nòn egétis (zehnmal); 2) velox XXIXX (Daktylus + Ditrochäus: pá- triam cògitárit; scélere còmparári; familias cònstuprássent; incéndio conflagráta; éxitum pèrduxísse; praecípitem pròturbétis: daxu wohl auch péénam non rèliquérunt; abréptis in sèruitútem und nach dem alten Parisinus und dem Corbeiensis inruérunt in cluitátem; im ganzen also neunmal. 3) planus (xXX): postrémo necássent; injúrja zwei- mal; 4) tardus XXXX): uiderint cinerem; fácile édocet (doch auch möglich mit Elision fácile edócet als planus!); uolúerit pródere. Zweifel- haft ist der Schluß des letzten Satxes des Ganxen: die älteste Textredaktion (M = codices mutili) hat uoluit obruere. Wurde hier uoluit zweisilbig ge- sprochen? Oder ist es als Präsens von volvo zu verstehen, mit einem dem Verfasser xuxutrauenden Wortspiel gegenüber dem vorhergenden uolúerit. Im Ganxen wären das dann vier Fälle von tardus. Aber die Lesart der codices expleti (E: 12. Jahrhundert) ist uoluerit obruere. Das hält man zunächst für nachträgliche Angleichung an das erste uoluerit. Aber es könnte doch auch alt und echt sein. Dann läge hier genauere Respon- sion und eine siebensilbige Klausel vor, die sich der mittelalterlichen Auf- fassung nicht als tardus, sondern als freierer Satzschluß darstellen würde. Stilistisch zeichnet sich dies Muster der grauis figura aus durch rhetorische Wortwiederholungen cogitare — cogitarit; maleficium — maleficio — maleficiis; supplicium — supplicia; uno consilio uni- versis; derelictos homines ab humanitate; durch asyndetische Antithesen, die miteinander respondieren: huic . . . facinori — huius sceleris (S. 299, 11. 14); durch Anaphern mit dem Fragepronomen quod (qu. maleficium — qu. supplicium), mit der Interjektion O, mit quo pacto, quo modo; durch Parallelismus symmetrisch gebauter kurxer Sätze, deren Ausgang assoniert oder reimt (cogitare — cogitarit; conparari — inveniri; consumpserunt — reliquer unt) 1. mit der ererbten antiken Terminologie und reden vonSpondeen, halben Spondeen usw., aber die mittelalterliche Praxis verfährt ohne Beachtung der Silbenquan- titäten nur nach dem modernen Akxentprinxip. 1 Besonders kunstvoll ist das aus vier Kommata bestehende Kolon qui uiolassent ingenium, matrem familias constuprassent, uoluerassent aliquem
108 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. An den fünfundzwanxig Satzeinschnitten des Beispiels erscheinen demgemäß folgende Typen: 1) Tritrochäus (Trochäus + Ditrochäus: poenas persolutas = esse videatur s. oben S. 103) x1éx x (Meyer VI): poénam cògitáre (mit den Codices mutili, sicher richtig, während das excogitare der Codices expleti gegen das unten zu besprechende rhyth- mische Gesetz der wachsenden Glieder' verstößt, wonach bei Wortspielen zwischen Simplex und Kompositum das Kompositum, hier also das excogitare nicht vorangehen, sondern folgen müßte!) pótest inveniri; maióres cònsumpsérunt; calamitátes màchinántur; cógitàtiónes; áb humànitáte; cógitàre póssunt (zweimal); indignitàtem réi; méi nòn egétis (zehnmal); 2) velox XXIXX (Daktylus + Ditrochäus: pá- triam cògitárit; scélere còmparári; familias cònstuprássent; incéndio conflagráta; éxitum pèrduxísse; praecípitem pròturbétis: daxu wohl auch péénam non rèliquérunt; abréptis in sèruitútem und nach dem alten Parisinus und dem Corbeiensis inruérunt in cluitátem; im ganzen also neunmal. 3) planus (xXX): postrémo necássent; injúrja zwei- mal; 4) tardus XXXX): uiderint cinerem; fácile édocet (doch auch möglich mit Elision fácile edócet als planus!); uolúerit pródere. Zweifel- haft ist der Schluß des letzten Satxes des Ganxen: die älteste Textredaktion (M = codices mutili) hat uoluit obruere. Wurde hier uoluit zweisilbig ge- sprochen? Oder ist es als Präsens von volvo zu verstehen, mit einem dem Verfasser xuxutrauenden Wortspiel gegenüber dem vorhergenden uolúerit. Im Ganxen wären das dann vier Fälle von tardus. Aber die Lesart der codices expleti (E: 12. Jahrhundert) ist uoluerit obruere. Das hält man zunächst für nachträgliche Angleichung an das erste uoluerit. Aber es könnte doch auch alt und echt sein. Dann läge hier genauere Respon- sion und eine siebensilbige Klausel vor, die sich der mittelalterlichen Auf- fassung nicht als tardus, sondern als freierer Satzschluß darstellen würde. Stilistisch zeichnet sich dies Muster der grauis figura aus durch rhetorische Wortwiederholungen cogitare — cogitarit; maleficium — maleficio — maleficiis; supplicium — supplicia; uno consilio uni- versis; derelictos homines ab humanitate; durch asyndetische Antithesen, die miteinander respondieren: huic . . . facinori — huius sceleris (S. 299, 11. 14); durch Anaphern mit dem Fragepronomen quod (qu. maleficium — qu. supplicium), mit der Interjektion O, mit quo pacto, quo modo; durch Parallelismus symmetrisch gebauter kurxer Sätze, deren Ausgang assoniert oder reimt (cogitare — cogitarit; conparari — inveniri; consumpserunt — reliquer unt) 1. mit der ererbten antiken Terminologie und reden vonSpondeen, halben Spondeen usw., aber die mittelalterliche Praxis verfährt ohne Beachtung der Silbenquan- titäten nur nach dem modernen Akxentprinxip. 1 Besonders kunstvoll ist das aus vier Kommata bestehende Kolon qui uiolassent ingenium, matrem familias constuprassent, uoluerassent aliquem
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III. Die zweite Briefmustersammlung. 109 Dieses Beispiel bedient sich, wie man sieht, ziemlich weitgehend asiani- scher Klauseln und jener asianischen Zierstücke, die den Typus des Hegesias und Menekles charakterisieren, besonders aber auch gewisser rhetorischer Kunstmittel, die ihrem altsophistischen Ursprung nach am kürzesten und treffendsten als Figuren des Gorgias' oder Gorgianische Figuren' (oxuara Topvieia) bexeichnet werden!. Immerhin hält es sich frei von der Manier des Schwulstes, bringt keine überladenen Peri- oden und keine gesuchten Umschreibungen. Vor den letzteren warnt der Verfasser vielmehr ausdrücklich durch ein besonderes Beispiel der zu meidenden figura sufflata (IV 10, 15 S. 303, 4ff.): Nam qui perduelli- aut postremo necassent: neben dem alle vier Glieder bindenden Reim wirkt hier architektonisch der Wechsel in der Stellung des Verbs und die Anfang und Mitte heraushebende Alliteration. Außerdem beachte man das teilweise in die oben hervorgehobene antithetische Responsion hineinreichende rhetoriche Wortspiel mit der nachdrücklichen, refrainartigen Wiederholung desselben Begriffs, der anaphorisch jedesmal durch eine Form des gleichen Demonstra- tivums eingeleitet wird: hoc scelere — huic maleficio — huic ... facinori — huius sceleris. Hier drei Synonyma für denselben viermal gesetzten Begriff mit einander wechselnd: Anfang und Schluß der Reihe xusammengehalten durch die Wiederholung des eröffnenden. — Auch Konrad von Mure in in seiner Summa de arte prosandi, der in dem Abschnitt De finalitate clau- sularum seu distinctionum unterscheidet similes uel dissimiles, verlangt bei vier ähnlichen Satzgliedern eine gewisse architektonische Gruppierung, entweder nach dem Schema aa bb oder nach dem Schema ab ab (Rockinger, Quellen und Erörterungen IX 436): Si uero fuerint quatuor distinctiones, quasi fasti- dium esset, si omnes essent similes, quia ydemptitas est mater societatis: unde quibusdam placet, ut due precedentes sint sibi similes et similites due sequentes. aliis placet, ut prima cum tertia et secunda cum quarta conformentur et consimilentur. 1 Norden a. a. O. S. 138 hat unter Zustimmung v. Wilamowitx (Hermes 35, S. 21f.) den Zusammenhang des asianischen Stils mit dem altsophistischen, den schon Cicero bemerkte, stark hervorgehoben. Aber, namentlich bei unserem Mangel an Denkmälern asianischer Redekunst — die meisten Asianer sind ja für uns nur Namen —, ist es geraten, hier sehr vorsichtig au urteilen. Hegesias x. B. teilt woll mit Gorgias den kommatischen Stil, die antithetischen Wort- witxcleien, die künstliche Wortstellung (órépßarov, traiectio), Kühnheit und Gesuchtheit des in Metaphern und Umschreibungen poetisierenden Ausdrucks, durchgehende Rhythmisierung der hurxen Sätxe. Aber er hat, worauf Blaß, Die Rhythmen der asian. u. röm. Kunstprosa S. 18 hinwies, die Gorgianischen' Reime der Glieder nie und die Antithesen mit uèv—dé fast nur in kürxestem Umfange. Anderseits hat Isokrates von den Gorgianischen Figuren (Antitheton, Parisosis, Paromoiosis, Paronomasie) die letxte, das Spiel mit demselben Wort oder Wortstamm in gleichem oder verschiedenem Sinne, das Gorgias so sehr liebte, allerdings nur in recht beschränktem Maße, dagegen die andern reich- lich, wenn auch ohne Ubertreibung sich angeeignet (vgl. Blaß, Die attische Beredsamkeit 2 II, 176—181).
III. Die zweite Briefmustersammlung. 109 Dieses Beispiel bedient sich, wie man sieht, ziemlich weitgehend asiani- scher Klauseln und jener asianischen Zierstücke, die den Typus des Hegesias und Menekles charakterisieren, besonders aber auch gewisser rhetorischer Kunstmittel, die ihrem altsophistischen Ursprung nach am kürzesten und treffendsten als Figuren des Gorgias' oder Gorgianische Figuren' (oxuara Topvieia) bexeichnet werden!. Immerhin hält es sich frei von der Manier des Schwulstes, bringt keine überladenen Peri- oden und keine gesuchten Umschreibungen. Vor den letzteren warnt der Verfasser vielmehr ausdrücklich durch ein besonderes Beispiel der zu meidenden figura sufflata (IV 10, 15 S. 303, 4ff.): Nam qui perduelli- aut postremo necassent: neben dem alle vier Glieder bindenden Reim wirkt hier architektonisch der Wechsel in der Stellung des Verbs und die Anfang und Mitte heraushebende Alliteration. Außerdem beachte man das teilweise in die oben hervorgehobene antithetische Responsion hineinreichende rhetoriche Wortspiel mit der nachdrücklichen, refrainartigen Wiederholung desselben Begriffs, der anaphorisch jedesmal durch eine Form des gleichen Demonstra- tivums eingeleitet wird: hoc scelere — huic maleficio — huic ... facinori — huius sceleris. Hier drei Synonyma für denselben viermal gesetzten Begriff mit einander wechselnd: Anfang und Schluß der Reihe xusammengehalten durch die Wiederholung des eröffnenden. — Auch Konrad von Mure in in seiner Summa de arte prosandi, der in dem Abschnitt De finalitate clau- sularum seu distinctionum unterscheidet similes uel dissimiles, verlangt bei vier ähnlichen Satzgliedern eine gewisse architektonische Gruppierung, entweder nach dem Schema aa bb oder nach dem Schema ab ab (Rockinger, Quellen und Erörterungen IX 436): Si uero fuerint quatuor distinctiones, quasi fasti- dium esset, si omnes essent similes, quia ydemptitas est mater societatis: unde quibusdam placet, ut due precedentes sint sibi similes et similites due sequentes. aliis placet, ut prima cum tertia et secunda cum quarta conformentur et consimilentur. 1 Norden a. a. O. S. 138 hat unter Zustimmung v. Wilamowitx (Hermes 35, S. 21f.) den Zusammenhang des asianischen Stils mit dem altsophistischen, den schon Cicero bemerkte, stark hervorgehoben. Aber, namentlich bei unserem Mangel an Denkmälern asianischer Redekunst — die meisten Asianer sind ja für uns nur Namen —, ist es geraten, hier sehr vorsichtig au urteilen. Hegesias x. B. teilt woll mit Gorgias den kommatischen Stil, die antithetischen Wort- witxcleien, die künstliche Wortstellung (órépßarov, traiectio), Kühnheit und Gesuchtheit des in Metaphern und Umschreibungen poetisierenden Ausdrucks, durchgehende Rhythmisierung der hurxen Sätxe. Aber er hat, worauf Blaß, Die Rhythmen der asian. u. röm. Kunstprosa S. 18 hinwies, die Gorgianischen' Reime der Glieder nie und die Antithesen mit uèv—dé fast nur in kürxestem Umfange. Anderseits hat Isokrates von den Gorgianischen Figuren (Antitheton, Parisosis, Paromoiosis, Paronomasie) die letxte, das Spiel mit demselben Wort oder Wortstamm in gleichem oder verschiedenem Sinne, das Gorgias so sehr liebte, allerdings nur in recht beschränktem Maße, dagegen die andern reich- lich, wenn auch ohne Ubertreibung sich angeeignet (vgl. Blaß, Die attische Beredsamkeit 2 II, 176—181).
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110 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. onibus uenditat patriam [Gegenstück xu hostibus prodit im ersten Beispiel] non satis supplicii dederit, si praeceps in Neptunias depultus erit lacunas [= ins Meer'; vgl. praecipitem proturbetis ex ciuitate im erstenBeispiel]. Poenite igitur istum, qui montes belli fabricatus est, campos sustulit pacis. Gerade diese poetisierende Manier des Asianismus, die Sucht nach periphrastischem Ausdruck durch vielfach dichterische Metaphern, wo- durch jeder einfache Substantiv- oder Verbalbegriff in mehrere Worte aufgebläht wird, ist von der mittelalterlichen lateinischen Kunstprosa schr früh übernommen, in der Kanzleisprache der Kurie, der Wortfülle und strömende Periodik mit feierlich konstanten rhythmischen Ruhepunkten als Ideal gilt, namentlich dann aber in der Sprache des kaiserlichen Kanzlers Peter von Vigna sowie seiner Schüler, noch weiter gesteigert und ganz besonders auch in den Periodenlabyrinthen Rienzos und Johanns von Neumarkt mit höchster Virtuosität, oftmals geistreich und effektvoll, be- handelt worden. Auf den Pfaden dieser uns beim ersten Lesen un- geheuerlich und ganz unverständlich erscheinenden Stilkunst bestreben sich auch die unten abgedruckten Scholarenbriefe unseres schlesisch-böhmi- schen Formularbuchs zu wandeln. Verbindung synonymischer Worte. Die Variation des Ausdrucks, die eine Wiederholung desselben Worts vermeidet durch Setzen eines sinngleichen, zeigt sich in dem oben wieder- gegebenen Beispiel des hohen Stils. Sie kann ihren Grund haben in dem ästhetischen Bedürfnis nach Abwechslung und in der mehr oder minder berechtigten Scheu vor Eintönigkeit. Daneben aber steht in der Schreibart des Anonymus eine andere Verwendung synonymischen Aus- drucks: die Paarung von zwei sinngleichen oder von zwei sinn- verwandten Wörtern, um nur einen einzigen Begriff zu bezeichnen, den auch ein Wort allein hätte bezeichnen können. Für beide Arten des Synonymengebrauchs bringt der Epilog des Werks eine Musterkarte, als ob dem Empfänger Herennius wie überhaupt jedem Leser zum Abschied ein wichtigstes Stück der Stilkunst in komprimierter Form dargeboten werden sollte1: Auct. ad Her. IV 56, 69, S. 376—77: Demonstratum est enim, quomodo res in omnibus generibus causarum inuenire opórteat; dictum est, quo pacto eas disponere conueniat; traditum est, qua ratione esset pronuntiandum; praeceptum est, qua uia meminisse possemus; demonstratum est, quibus modis perfecta elocutio cónpararétur. 1 Im folgenden Abdruck sind die Satzeinschnitte durch Spatien und die Klau- seln nach mittelalterlicher, rhythmischer Auffassung durch Akxente und Sperrdruck bezeichnet, alle ohne Berücksichtigung der antiken, metrischen Wertung.
110 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. onibus uenditat patriam [Gegenstück xu hostibus prodit im ersten Beispiel] non satis supplicii dederit, si praeceps in Neptunias depultus erit lacunas [= ins Meer'; vgl. praecipitem proturbetis ex ciuitate im erstenBeispiel]. Poenite igitur istum, qui montes belli fabricatus est, campos sustulit pacis. Gerade diese poetisierende Manier des Asianismus, die Sucht nach periphrastischem Ausdruck durch vielfach dichterische Metaphern, wo- durch jeder einfache Substantiv- oder Verbalbegriff in mehrere Worte aufgebläht wird, ist von der mittelalterlichen lateinischen Kunstprosa schr früh übernommen, in der Kanzleisprache der Kurie, der Wortfülle und strömende Periodik mit feierlich konstanten rhythmischen Ruhepunkten als Ideal gilt, namentlich dann aber in der Sprache des kaiserlichen Kanzlers Peter von Vigna sowie seiner Schüler, noch weiter gesteigert und ganz besonders auch in den Periodenlabyrinthen Rienzos und Johanns von Neumarkt mit höchster Virtuosität, oftmals geistreich und effektvoll, be- handelt worden. Auf den Pfaden dieser uns beim ersten Lesen un- geheuerlich und ganz unverständlich erscheinenden Stilkunst bestreben sich auch die unten abgedruckten Scholarenbriefe unseres schlesisch-böhmi- schen Formularbuchs zu wandeln. Verbindung synonymischer Worte. Die Variation des Ausdrucks, die eine Wiederholung desselben Worts vermeidet durch Setzen eines sinngleichen, zeigt sich in dem oben wieder- gegebenen Beispiel des hohen Stils. Sie kann ihren Grund haben in dem ästhetischen Bedürfnis nach Abwechslung und in der mehr oder minder berechtigten Scheu vor Eintönigkeit. Daneben aber steht in der Schreibart des Anonymus eine andere Verwendung synonymischen Aus- drucks: die Paarung von zwei sinngleichen oder von zwei sinn- verwandten Wörtern, um nur einen einzigen Begriff zu bezeichnen, den auch ein Wort allein hätte bezeichnen können. Für beide Arten des Synonymengebrauchs bringt der Epilog des Werks eine Musterkarte, als ob dem Empfänger Herennius wie überhaupt jedem Leser zum Abschied ein wichtigstes Stück der Stilkunst in komprimierter Form dargeboten werden sollte1: Auct. ad Her. IV 56, 69, S. 376—77: Demonstratum est enim, quomodo res in omnibus generibus causarum inuenire opórteat; dictum est, quo pacto eas disponere conueniat; traditum est, qua ratione esset pronuntiandum; praeceptum est, qua uia meminisse possemus; demonstratum est, quibus modis perfecta elocutio cónpararétur. 1 Im folgenden Abdruck sind die Satzeinschnitte durch Spatien und die Klau- seln nach mittelalterlicher, rhythmischer Auffassung durch Akxente und Sperrdruck bezeichnet, alle ohne Berücksichtigung der antiken, metrischen Wertung.
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III. Die zweite Briefmustersammlung. 111 Quae si sequimur, acute et cito [S. 377] reperiemus, distincte et ordinate disponemus, grauiter et uenuste pronuntiabimus, firme et perpetue meminerimus, ornate et suáuiter èloquémur. Ergo amplius in arte rhetórica níhil est. Haec omnia adipiscemur, si rationes praeceptionis diligentia consequemur exercitationis. Der bloßen Abwechslung dienen im ersten Satz demonstratum est; traditum est; praeceptum est; demonstratum — quo modo; quo pacto; qua ratione; qua via, quibus modis: dabei darf das oben S. 103 zum Beispiel des hohen Stils festgestellte architektonische Prinzip der Umklammerung der viergliedrigen und der fünfgliedrigen Gruppe durch die Wiederkehr des ersten Worts am Schlusse nicht übersehen werden. Als stilistische Figur aber sollen wirken die Synonymenpaare acute et cito; distincte et ordinate; grauiter et venuste; firme et perpetue; ornate et suauiter. Eine andere Art der synonymen Abundanz und Paarung ist die Umschreibung eines Substantivbegriffs durch genitivische Unterordnung unter ein zweites, sinnverwandtes Substantiv. Sie tritt uns im Schluß- satz des Epilogs entgegen: rationes praeceptionis diligentia consequemur exercitationis (vgl. IV 2, 3 rationes praeceptionis; II 8, 12 ad hanc rationem praeceptionis adsiduitatem exercitationis adcommodaremus), und in metaphorischer Form, die besonders häufig ist, verwendete sie der Verfasser, wie wir eben (S. 109f.) sahen, als charakteristisches Kennxeichen der oratio inflata. Marx hat xuerst den Schluß des Epilogs, den seit Janus Gruterus alle Herausgeber wegen der Abundanz des Ausdrucks für einen unechten Zusatz erklärt hatten, dem Verfasser der Herennius-Schrift zurückgegeben durch den Nachweis, daß gerade die hier so grell hervorstechende doppelte Manier des Synonymen-Gebrauchs ihm auch in den übrigen Teilen seines Kompendiums eigen ist. Gleich am Anfang des Epilogs erscheinen (IV 56, 69 S. 375, Z. 17ff.) die Synonymen-Paare nuda atque inornata inuentio; frequenter et adsidue consequamur ... studio et ratione. Marx hat auch mit feiner Beobachtung diese ganze Synonymen-Sucht des Verfassers aufgedeckt und analysiert1. Aber ich glaube, man kann in der Sonderung der einzelnen Erscheinungen schärfer verfahren, sie psychologisch und stilistisch schärfer werten und je nach dieser ver- schiedenen Natur ihren Ursprung verschieden bestimmen. Zunächst einige Belege für den Wechsel zwischen sinngleichen Worten. III 19, 31: Das Hin- und Hergehen zahlreicher Menschen verwirrt und schwächt [in der Erinnerung an bestimmte Gegenden] die Merkmale der 1 Marx, Rhein. Mus. Bd. 46 (1891), S. 420—425. 610 Anm. und Prolegom. S. 88—93. 168f.
III. Die zweite Briefmustersammlung. 111 Quae si sequimur, acute et cito [S. 377] reperiemus, distincte et ordinate disponemus, grauiter et uenuste pronuntiabimus, firme et perpetue meminerimus, ornate et suáuiter èloquémur. Ergo amplius in arte rhetórica níhil est. Haec omnia adipiscemur, si rationes praeceptionis diligentia consequemur exercitationis. Der bloßen Abwechslung dienen im ersten Satz demonstratum est; traditum est; praeceptum est; demonstratum — quo modo; quo pacto; qua ratione; qua via, quibus modis: dabei darf das oben S. 103 zum Beispiel des hohen Stils festgestellte architektonische Prinzip der Umklammerung der viergliedrigen und der fünfgliedrigen Gruppe durch die Wiederkehr des ersten Worts am Schlusse nicht übersehen werden. Als stilistische Figur aber sollen wirken die Synonymenpaare acute et cito; distincte et ordinate; grauiter et venuste; firme et perpetue; ornate et suauiter. Eine andere Art der synonymen Abundanz und Paarung ist die Umschreibung eines Substantivbegriffs durch genitivische Unterordnung unter ein zweites, sinnverwandtes Substantiv. Sie tritt uns im Schluß- satz des Epilogs entgegen: rationes praeceptionis diligentia consequemur exercitationis (vgl. IV 2, 3 rationes praeceptionis; II 8, 12 ad hanc rationem praeceptionis adsiduitatem exercitationis adcommodaremus), und in metaphorischer Form, die besonders häufig ist, verwendete sie der Verfasser, wie wir eben (S. 109f.) sahen, als charakteristisches Kennxeichen der oratio inflata. Marx hat xuerst den Schluß des Epilogs, den seit Janus Gruterus alle Herausgeber wegen der Abundanz des Ausdrucks für einen unechten Zusatz erklärt hatten, dem Verfasser der Herennius-Schrift zurückgegeben durch den Nachweis, daß gerade die hier so grell hervorstechende doppelte Manier des Synonymen-Gebrauchs ihm auch in den übrigen Teilen seines Kompendiums eigen ist. Gleich am Anfang des Epilogs erscheinen (IV 56, 69 S. 375, Z. 17ff.) die Synonymen-Paare nuda atque inornata inuentio; frequenter et adsidue consequamur ... studio et ratione. Marx hat auch mit feiner Beobachtung diese ganze Synonymen-Sucht des Verfassers aufgedeckt und analysiert1. Aber ich glaube, man kann in der Sonderung der einzelnen Erscheinungen schärfer verfahren, sie psychologisch und stilistisch schärfer werten und je nach dieser ver- schiedenen Natur ihren Ursprung verschieden bestimmen. Zunächst einige Belege für den Wechsel zwischen sinngleichen Worten. III 19, 31: Das Hin- und Hergehen zahlreicher Menschen verwirrt und schwächt [in der Erinnerung an bestimmte Gegenden] die Merkmale der 1 Marx, Rhein. Mus. Bd. 46 (1891), S. 420—425. 610 Anm. und Prolegom. S. 88—93. 168f.
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112 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. Bilder, dagegen die Einsamkeit [dieser Gegenden] erhält die Bilder un- versehrt: frequentia et obambulatio hominum conturbat et infirmat ima- ginum notas, solitudo conseruat integras simulacrorum figuras. Anderwärts wechselt der Verfasser ebenso zwischen res und negotium, breui und breuiter, uideatur — putetur, dicerentur — pronuntiarentur, infirma — tenuis, comparatio — contentio, uideamus — intelligamus, uidebitur fuisse — demonstrabitur fuisse. Je nach Bedarf variiert er zwischen quia und quod (nisi oder propterea quia und nisi oder proptera quod), zwischen dicere, appellare, nominare, uocare: alle vier vertreten sich z. B. III 3, 6; IV 34, 46. Auch theoretisch hat er sich über diese Stileigentümlichkeit geäußert. Er nennt in der Lehre von der elocutio (IV 28, 38) unter den Figuren (exornationes) die Interpretatio1, welche den Begriff zweimal bringt, ohne dasselbe Wort zu wiederholen, vielmehr es durch ein anderes gleichbedeutendes ersetzt: quae non iterans idem redintegrat uerbum, sed id commutat, quod positum est alio uerbo, quod idem ualeat hoc modo: 'Rem publicam radicitus evertisti; ciui- tatem funditus deiecisti'. Item: Patrem nefarie uerberasti, parenti manus scelerate attulisti'. Die Verwendung dieses Ausdrucks legte man 1 Der Ausdruck interpretatio paßt für die beigebrachten Beispiele, die ja nur Abwechslung, nicht Verbindung sinngleicher oder sinnähnlicher Werte zeigen, gar nicht. Ich vermag ihn in der antiken lateinischen Figuren-Termi- nologie nicht nachzuweisen, auch keine griechische Entsprechung. Ich möchte vermuten, daß er aus dem grammatischen Schulbetrieb stammt, ron dem in das Herennius-Buch wie in seine Rhodischen Vorlagen so vieles über- geflossen ist (s. oben S. 91f.), und den rhetorischen Kunstgriff bildlich gleichseizt dem in der glossographischen Produktion und der Scholiasten- Exegese notwendigen Mittel der Technik. Im Mittelalter ist dann wirklich die Stilfigur der synonymischen Häufung durch die worterläuternde und wortum- schreibende Methode der Kommentare befordert worden; so stammt die auffallende Manier Chaucers in seiner Boethiusübersetxung, jedes lateinische Nomen oder Verb des Originals durch zwei sinnverwandte englische Worte wiederzugeben, aus dem Boethius-Kommentar von Trivet, und auch die Erxählung des Pfarrers in seinen Canterbury-Geschichten bietet dieselbe Erscheinung, teilweise im Einklang mit seinen mittelbaren Quellen (Raymund von Pennaforte, Summa poenitentium und des auch von Wiclef nach Loserths Nachweis benutxten Guilelmus Peral- dus Tractatus de viciis'). Vgl. Kate Oelzner-Petersen, Publications of the Modern Language Association of America Vol. 18 (1903), S. 178 ff.; Heinrich Spies, Chaucers religiöse Grundstimmung (Studien ~ur engl. Philologie Heft 50), Halle a. S. Niemeyer 1913, S. 23 [647]. 90 [714], die aber beide nicht erkannten, daß es sich hier nicht um eine individuelle stilistische Beson derheit, sondern um eine weitverbreitete internationale Manier der mittelalterlichen lateinischen Kunstsprache handelt. — In des Johannes Ang- licus in Paris nach der Mitte des 13. Jahrhunderts verfaßtem Kommentar xu einem älteren Lehrbuch der Rhetorik erscheint die interpretatio zweimal (Rockinger, Quellen u. Erörter. IX, S. 493): unter den VII colores quibus ador-
112 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. Bilder, dagegen die Einsamkeit [dieser Gegenden] erhält die Bilder un- versehrt: frequentia et obambulatio hominum conturbat et infirmat ima- ginum notas, solitudo conseruat integras simulacrorum figuras. Anderwärts wechselt der Verfasser ebenso zwischen res und negotium, breui und breuiter, uideatur — putetur, dicerentur — pronuntiarentur, infirma — tenuis, comparatio — contentio, uideamus — intelligamus, uidebitur fuisse — demonstrabitur fuisse. Je nach Bedarf variiert er zwischen quia und quod (nisi oder propterea quia und nisi oder proptera quod), zwischen dicere, appellare, nominare, uocare: alle vier vertreten sich z. B. III 3, 6; IV 34, 46. Auch theoretisch hat er sich über diese Stileigentümlichkeit geäußert. Er nennt in der Lehre von der elocutio (IV 28, 38) unter den Figuren (exornationes) die Interpretatio1, welche den Begriff zweimal bringt, ohne dasselbe Wort zu wiederholen, vielmehr es durch ein anderes gleichbedeutendes ersetzt: quae non iterans idem redintegrat uerbum, sed id commutat, quod positum est alio uerbo, quod idem ualeat hoc modo: 'Rem publicam radicitus evertisti; ciui- tatem funditus deiecisti'. Item: Patrem nefarie uerberasti, parenti manus scelerate attulisti'. Die Verwendung dieses Ausdrucks legte man 1 Der Ausdruck interpretatio paßt für die beigebrachten Beispiele, die ja nur Abwechslung, nicht Verbindung sinngleicher oder sinnähnlicher Werte zeigen, gar nicht. Ich vermag ihn in der antiken lateinischen Figuren-Termi- nologie nicht nachzuweisen, auch keine griechische Entsprechung. Ich möchte vermuten, daß er aus dem grammatischen Schulbetrieb stammt, ron dem in das Herennius-Buch wie in seine Rhodischen Vorlagen so vieles über- geflossen ist (s. oben S. 91f.), und den rhetorischen Kunstgriff bildlich gleichseizt dem in der glossographischen Produktion und der Scholiasten- Exegese notwendigen Mittel der Technik. Im Mittelalter ist dann wirklich die Stilfigur der synonymischen Häufung durch die worterläuternde und wortum- schreibende Methode der Kommentare befordert worden; so stammt die auffallende Manier Chaucers in seiner Boethiusübersetxung, jedes lateinische Nomen oder Verb des Originals durch zwei sinnverwandte englische Worte wiederzugeben, aus dem Boethius-Kommentar von Trivet, und auch die Erxählung des Pfarrers in seinen Canterbury-Geschichten bietet dieselbe Erscheinung, teilweise im Einklang mit seinen mittelbaren Quellen (Raymund von Pennaforte, Summa poenitentium und des auch von Wiclef nach Loserths Nachweis benutxten Guilelmus Peral- dus Tractatus de viciis'). Vgl. Kate Oelzner-Petersen, Publications of the Modern Language Association of America Vol. 18 (1903), S. 178 ff.; Heinrich Spies, Chaucers religiöse Grundstimmung (Studien ~ur engl. Philologie Heft 50), Halle a. S. Niemeyer 1913, S. 23 [647]. 90 [714], die aber beide nicht erkannten, daß es sich hier nicht um eine individuelle stilistische Beson derheit, sondern um eine weitverbreitete internationale Manier der mittelalterlichen lateinischen Kunstsprache handelt. — In des Johannes Ang- licus in Paris nach der Mitte des 13. Jahrhunderts verfaßtem Kommentar xu einem älteren Lehrbuch der Rhetorik erscheint die interpretatio zweimal (Rockinger, Quellen u. Erörter. IX, S. 493): unter den VII colores quibus ador-
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III. Die zweite Briefmustersammlung. 113 sich mit einer Art nicht übler psychologischer Erklärung so zurecht, daß man annahm, dem Sprechenden genüge das zuerst gebrauchte Wort noch nicht, er suche es daher zu verdeutlichen und in seiner Wirkung zu ver- stärken durch ein sinnähnliches zweites, das daher gleichsam interpretiere. Offenbar entspringt diese stilistische Gewohnheit teilweise auch dem Streben nach der Fülle des Ausdrucks, der von Cicero immer so hoch gestellten (s. oben’ S. 85. 87. 99) copia verborum, die auch gleich am Beginn der Widmung des anonymen Werks dessen Verfasser dem Herennius als das fruchtbringende Element der Rhetorik unter der Marke copia dicendi et commoditas orationis anpreist (I 1, 1). Direkt ausgesprochen hat er dieses Motiv freilich nicht. Wohl aber weiß er über die Wirkung jener Figur allerlei zu sagen: sie müsse das Gemüt des Hörers be- wegen, da die Wucht (grauitas) des vorhergehenden Ausdrucks durch die Erklärung des Wortes erneuert werde. Auch die Figur des Disiunctum (IV 27, 37, vgl. oben S. 108 f. Anm. am Ende), in der mehrere Sätze mit demselben Begriff schließen, enthält den gleichen Wechsel synonymer Worte : deleuit, disiecit, evertit; auxiliatae sunt, adiumento fuit, prae- sidii tulit, opitulata est. Quintilian (Inst. Orat. X 1, 7) im Kapitel über die copia verborum mißbilligt als knabenhaft und ungeschickt die Sitte, gleichbedeutende Wörter auswendig zu lernen, um sie leichter zur Hand zu haben, und wenn nach kurxem Zwischenraum wieder dasselbe anxuwenden ist, zur Ver- meidung der Wiederholung (effugiendae repetitionis gratia) ein anderes als Ersatz wählen zu können. Aber er verwirft doch keineswegs den Wechsel an sich, will nur die Auswahl mit Urteil treffen und alles Wort-Jonglieren marktschreierischer Rhetoren (circulatoriam volubilitatem) ausschließen. Der Verfasser des rhetorischen Schulbuches für Herennius steht mehr auf dem von Quintilian getadelten Standpunkt. Und man darf sagen: bis auf den heutigen Tag gilt, seiner Lehre und seinem Beispiel gemäß, in der landläufigen Stilistik der Grundsatz, im Aus- druck abzuwechseln und die Wiederholung desselben Worts (die óuoto- Aovía: s. Volkmann, Rhetor. d. Griech. u. Röm.2 S. 405) xu meiden. Das Schulbuch für Herennius hat hier wie in so vielem eine Regel ver- treien, die von der Schule der späteren Jahrhunderte festgehalten natus et ampliatur materia an fünfter Stelle (neben annominatio, traductio, repetitio, gradatio, diffinitio, sermocinatio, die alle, aber in anderer Reihen- folge, auch beim Auctor ad Her. vorkommen); dann nochmals im Abschnitt de abbreuiatione et ampliatione materie, wo nach Aufzählung der fünf abbrevie- renden Figuren (emphasis, disiunctum, uerbum conversum in participium, ab- latiui absolute positi, dictionum exprimencium materiam electio) auch fünf amplierende genannt werden (digressio, descriptio, circumlocutio, prosopo- peya ſso!], apostrophatio), schließlich wieder V colores rethorici aufmarschie- ren: conduplicatio, exclamatio, subiectio, dubitatio fauch diese alle, aber in anderer Reihenfolge, in der Herennius-Rhetorik], interpretatio (a. a. O. S. 497).
III. Die zweite Briefmustersammlung. 113 sich mit einer Art nicht übler psychologischer Erklärung so zurecht, daß man annahm, dem Sprechenden genüge das zuerst gebrauchte Wort noch nicht, er suche es daher zu verdeutlichen und in seiner Wirkung zu ver- stärken durch ein sinnähnliches zweites, das daher gleichsam interpretiere. Offenbar entspringt diese stilistische Gewohnheit teilweise auch dem Streben nach der Fülle des Ausdrucks, der von Cicero immer so hoch gestellten (s. oben’ S. 85. 87. 99) copia verborum, die auch gleich am Beginn der Widmung des anonymen Werks dessen Verfasser dem Herennius als das fruchtbringende Element der Rhetorik unter der Marke copia dicendi et commoditas orationis anpreist (I 1, 1). Direkt ausgesprochen hat er dieses Motiv freilich nicht. Wohl aber weiß er über die Wirkung jener Figur allerlei zu sagen: sie müsse das Gemüt des Hörers be- wegen, da die Wucht (grauitas) des vorhergehenden Ausdrucks durch die Erklärung des Wortes erneuert werde. Auch die Figur des Disiunctum (IV 27, 37, vgl. oben S. 108 f. Anm. am Ende), in der mehrere Sätze mit demselben Begriff schließen, enthält den gleichen Wechsel synonymer Worte : deleuit, disiecit, evertit; auxiliatae sunt, adiumento fuit, prae- sidii tulit, opitulata est. Quintilian (Inst. Orat. X 1, 7) im Kapitel über die copia verborum mißbilligt als knabenhaft und ungeschickt die Sitte, gleichbedeutende Wörter auswendig zu lernen, um sie leichter zur Hand zu haben, und wenn nach kurxem Zwischenraum wieder dasselbe anxuwenden ist, zur Ver- meidung der Wiederholung (effugiendae repetitionis gratia) ein anderes als Ersatz wählen zu können. Aber er verwirft doch keineswegs den Wechsel an sich, will nur die Auswahl mit Urteil treffen und alles Wort-Jonglieren marktschreierischer Rhetoren (circulatoriam volubilitatem) ausschließen. Der Verfasser des rhetorischen Schulbuches für Herennius steht mehr auf dem von Quintilian getadelten Standpunkt. Und man darf sagen: bis auf den heutigen Tag gilt, seiner Lehre und seinem Beispiel gemäß, in der landläufigen Stilistik der Grundsatz, im Aus- druck abzuwechseln und die Wiederholung desselben Worts (die óuoto- Aovía: s. Volkmann, Rhetor. d. Griech. u. Röm.2 S. 405) xu meiden. Das Schulbuch für Herennius hat hier wie in so vielem eine Regel ver- treien, die von der Schule der späteren Jahrhunderte festgehalten natus et ampliatur materia an fünfter Stelle (neben annominatio, traductio, repetitio, gradatio, diffinitio, sermocinatio, die alle, aber in anderer Reihen- folge, auch beim Auctor ad Her. vorkommen); dann nochmals im Abschnitt de abbreuiatione et ampliatione materie, wo nach Aufzählung der fünf abbrevie- renden Figuren (emphasis, disiunctum, uerbum conversum in participium, ab- latiui absolute positi, dictionum exprimencium materiam electio) auch fünf amplierende genannt werden (digressio, descriptio, circumlocutio, prosopo- peya ſso!], apostrophatio), schließlich wieder V colores rethorici aufmarschie- ren: conduplicatio, exclamatio, subiectio, dubitatio fauch diese alle, aber in anderer Reihenfolge, in der Herennius-Rhetorik], interpretatio (a. a. O. S. 497).
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114 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. worden ist. Wie weit in der Lateinsprache des Mittetalters und der Renaissance die verschiedenen literarischen Gattungen und Schriftsteller sich dieser Regel gefügt haben, das bleibt zu untersuchen. Rhetorische Wortwiederholung. Das notwendige Komplement dieses Verbots der Wiederholung des- selben Worts innerhalb kurzer Zwischenräume der Rede ist eine Reihe bestimmter Stilfiguren, in denen gerade die Wiederholung desselben Worts gefordert wird um besonderer rhetorischer Wirkung willen. Seine Besprechung der vier Figuren (exornationes) der rhetorischen Wiederholungd, mit der er seine Figurenlehre eröffnet, der Repetitio, Conversio (IV 13, 19), Complexio, Productio (IV 14, 20), schließt der Anonymus also: In diesen vier Arten des rednerischen Schmuckes kehrt man nicht aus Wortarmut (inopia uerborum) zu dem gleichen Wort zurück, vielmehr liegt darin gerade eine gewisse Festlichkeit (festiuitas quaedam), die man freilich leichter mit dem Gehör wahrnehmen als mit Worten nachweisen kann’. Festschmuck also und festliche Stimmung soll die kunstvolle Prosarede haben. Wie mußte dieses Stich- wort der festivitas, das auch bei Cicero2 öfter erklingt zur Beschreibung vollendeter Redekunst, die Bahnbrecher der Renaissance in Italien, die Führer des neuen Humanismus durchzucken und entflammen! Kam es doch so ganx ihrem innersten Drange nach festlicher Schönheit des Lebens, der Kunst, der Sprache entgegen! Diesen Festschmuck der Rede, diese Glanzpunkte des Ausdrucks nennt der Anonymus (IV 23, 32, S. 324, Z. 5f.) und übereinstimmend mit ihm Cicero lumina orationis oder lumina verborum3. Cicero leitet sie — mit vollkommen richtiger geschichtlicher Erkenntnis — ganz und gar aus sophistischer Quelle her : hoc totum e sophistarum fontibus defluxit. Den Rednern des schlichten Stils (subtilibus) unangemessen, habe diese zierlich mit Blumen und Farben geschmückte Redeweise ver- geblich sich über das Forum zu verbreiten gesucht, sei aber von den Rednern der erhabenen Gattung zurückgewiesen und habe mit Recht Platz 1 Zu ihnen gehören auch noch die erst später behandelten fünf Figuren: Adnominatio (пароvоцаGía oder napúxnoig: Wortspiel) IV 21, 29; Gradatio (xAîuaž oder èTITAOKń) IV 25, 34; Conduplicatio (àvadímkwoig; ènaváknwig; TaXiXRovía) IV 28, 38; Commutatio (àvriucraßokń) IV 26, 39; Distributio (diaſpeoic; uepiouóc) IV 35, 47. 2 Gerade auch schon in seiner dem Herenniusbuch so vielfach nahestehen- den Jugendschrift De invent. I 18, 25 splendoris et festivitatis et concinnitu- dinis minimum (im Eingang und in der Insinuatio) zur Bexeichnung der Gorgianischen Figuren; ferner ebenso und direkt mit Bexiehung auf Gorgias selbst Orat. § 176; vgl. außerdem De orat. I § 243, II § 219. 227; Famil. IX 15, 2, wo es überall eine unbedingt löbliche Eigenschaft der Rede bedeutet. 3 Cic. De Orat. II § 119; III § 201 u. 206; Orat. § 95 u. 134.
114 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. worden ist. Wie weit in der Lateinsprache des Mittetalters und der Renaissance die verschiedenen literarischen Gattungen und Schriftsteller sich dieser Regel gefügt haben, das bleibt zu untersuchen. Rhetorische Wortwiederholung. Das notwendige Komplement dieses Verbots der Wiederholung des- selben Worts innerhalb kurzer Zwischenräume der Rede ist eine Reihe bestimmter Stilfiguren, in denen gerade die Wiederholung desselben Worts gefordert wird um besonderer rhetorischer Wirkung willen. Seine Besprechung der vier Figuren (exornationes) der rhetorischen Wiederholungd, mit der er seine Figurenlehre eröffnet, der Repetitio, Conversio (IV 13, 19), Complexio, Productio (IV 14, 20), schließt der Anonymus also: In diesen vier Arten des rednerischen Schmuckes kehrt man nicht aus Wortarmut (inopia uerborum) zu dem gleichen Wort zurück, vielmehr liegt darin gerade eine gewisse Festlichkeit (festiuitas quaedam), die man freilich leichter mit dem Gehör wahrnehmen als mit Worten nachweisen kann’. Festschmuck also und festliche Stimmung soll die kunstvolle Prosarede haben. Wie mußte dieses Stich- wort der festivitas, das auch bei Cicero2 öfter erklingt zur Beschreibung vollendeter Redekunst, die Bahnbrecher der Renaissance in Italien, die Führer des neuen Humanismus durchzucken und entflammen! Kam es doch so ganx ihrem innersten Drange nach festlicher Schönheit des Lebens, der Kunst, der Sprache entgegen! Diesen Festschmuck der Rede, diese Glanzpunkte des Ausdrucks nennt der Anonymus (IV 23, 32, S. 324, Z. 5f.) und übereinstimmend mit ihm Cicero lumina orationis oder lumina verborum3. Cicero leitet sie — mit vollkommen richtiger geschichtlicher Erkenntnis — ganz und gar aus sophistischer Quelle her : hoc totum e sophistarum fontibus defluxit. Den Rednern des schlichten Stils (subtilibus) unangemessen, habe diese zierlich mit Blumen und Farben geschmückte Redeweise ver- geblich sich über das Forum zu verbreiten gesucht, sei aber von den Rednern der erhabenen Gattung zurückgewiesen und habe mit Recht Platz 1 Zu ihnen gehören auch noch die erst später behandelten fünf Figuren: Adnominatio (пароvоцаGía oder napúxnoig: Wortspiel) IV 21, 29; Gradatio (xAîuaž oder èTITAOKń) IV 25, 34; Conduplicatio (àvadímkwoig; ènaváknwig; TaXiXRovía) IV 28, 38; Commutatio (àvriucraßokń) IV 26, 39; Distributio (diaſpeoic; uepiouóc) IV 35, 47. 2 Gerade auch schon in seiner dem Herenniusbuch so vielfach nahestehen- den Jugendschrift De invent. I 18, 25 splendoris et festivitatis et concinnitu- dinis minimum (im Eingang und in der Insinuatio) zur Bexeichnung der Gorgianischen Figuren; ferner ebenso und direkt mit Bexiehung auf Gorgias selbst Orat. § 176; vgl. außerdem De orat. I § 243, II § 219. 227; Famil. IX 15, 2, wo es überall eine unbedingt löbliche Eigenschaft der Rede bedeutet. 3 Cic. De Orat. II § 119; III § 201 u. 206; Orat. § 95 u. 134.
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III. Die zweite Briefmustersammlung. 115 gefunden in der mittleren Gattung, der alle Ornamente der Rede wohl anstehen und in der am meisten die Anmut (plurimum suauitatis) walte. Der Anonymus an Herennius kennt diese Einschränkung der Gorgiani- schen Redefiguren auf den mittleren Stil noch nicht. Er warnt zwar vor ihrem allzureichlichen Gebrauch (IV 11, 16 und noch stärker IV 22, 32), aber er läßt sie ausdrücklich in allen Gattungen der Rede, auch in der attenuata zu. Und mit besonderem Behagen erörtert er sie durch zahlreiche Beispiele. In seinem eigenen Stil fällt am stärksten uns auf eine besondere Form des Wortspiels, der Adnominatio (napovouaoia), über das als Ganzes ich unten (S. 123f.) sprechen werde: der Wechsel zwischen ein- fachem und xusammengesetztem Verbum oder zwischen verschiedenen Zusammensetzungen desselben Verbums in den Satxeinschnitten. So be- bestimmt er den Unterschied von Kolon (membrum) und Komma (arti- culus) folgendermaßen (IV 19, 26) : illud tardius et varius uenit, hic crebrius et celerius peruenit. Ebenso stellt er gegenüber facit — efficit (IV 32, 43); faciet — conficiet (III 2, 2); quaesitus — ex- quisitus (I 17, 27); dicamus — praedicemus (III 8, 15); transferi- mus — conferimus (I 15, 25); auferemus — proferemus (II 8, 12). Die adnominatio selbst definiert er also (IV 21, 29): Adnominatio est, cum ad idem uerbum et nomen acceditur com mutatione uocum aut litterarum, ut ad res dissimiles similia uerba adcommodentur. Ea multis et uariis rationibus conficitur. Für die einzelnen Arten des Wortspiels gibt er dann Beispiele. Das kindlichste, später von der rhetorischen Theorie verspottete, ist: Hinc auium dulcedo ducit ad auium'. Für seine eigene Lieblingsfigur bringt er nur ein Bcispiel: Addendis litteris hoc pacto: Hic sibi posset temperare, nisi amori mallet obtemperare'. Alle diese Wortspiele stehen am Ende der Satzglieder, und wo Sim- plex mit Kompositum konfrontiert wird, erscheint das Kompositum als das mehrtaktige, wuchtigere zuletzt, den Abschluß markierend 1. Sie helfen, 1 Dem Kompositum gleich gilt ein Simplex mit eng verbundener mehr- taktiger adverbialer Bestimmung. So ist x. B. das von Quintilian IX 3, 72 getadelte raro evenit, sed vehementer venit zwar eine Abart, aber keine Aus- nahme. Es waltet hier ein Stilgesetx von tief einschneidender und weit- reichender allgemeiner sprachlicher Bedeutung. Auf engem Feld hat es Otto Behaghel beobachtet unter dem Titel" Bexiehungen xwischen Umfang und Reihen- folge von Satzgliedern’ (Indogerman. Forschungen, 1909, Bd. 25, S. 110—142). Er gibt aus altdeutschen und neuhochdeutschen Texten wie aus antiker Literatur reichlich Beispiele von Wortverbindungen, deren durch Konjunktionen verknüpfte Glieder einander gleichberechtigt sind (sogen. Erweiterungsgruppen') und in denen meistens das zweite Glied das umfangreichere, durch Adjektiv oder Pro- nomen oder Adverb oder einen Nebensatx erweiterte ist. Er nennt diese Nei- gung der Sprache das Gesetz der wachsenden Glieder' (S. 139) und
III. Die zweite Briefmustersammlung. 115 gefunden in der mittleren Gattung, der alle Ornamente der Rede wohl anstehen und in der am meisten die Anmut (plurimum suauitatis) walte. Der Anonymus an Herennius kennt diese Einschränkung der Gorgiani- schen Redefiguren auf den mittleren Stil noch nicht. Er warnt zwar vor ihrem allzureichlichen Gebrauch (IV 11, 16 und noch stärker IV 22, 32), aber er läßt sie ausdrücklich in allen Gattungen der Rede, auch in der attenuata zu. Und mit besonderem Behagen erörtert er sie durch zahlreiche Beispiele. In seinem eigenen Stil fällt am stärksten uns auf eine besondere Form des Wortspiels, der Adnominatio (napovouaoia), über das als Ganzes ich unten (S. 123f.) sprechen werde: der Wechsel zwischen ein- fachem und xusammengesetztem Verbum oder zwischen verschiedenen Zusammensetzungen desselben Verbums in den Satxeinschnitten. So be- bestimmt er den Unterschied von Kolon (membrum) und Komma (arti- culus) folgendermaßen (IV 19, 26) : illud tardius et varius uenit, hic crebrius et celerius peruenit. Ebenso stellt er gegenüber facit — efficit (IV 32, 43); faciet — conficiet (III 2, 2); quaesitus — ex- quisitus (I 17, 27); dicamus — praedicemus (III 8, 15); transferi- mus — conferimus (I 15, 25); auferemus — proferemus (II 8, 12). Die adnominatio selbst definiert er also (IV 21, 29): Adnominatio est, cum ad idem uerbum et nomen acceditur com mutatione uocum aut litterarum, ut ad res dissimiles similia uerba adcommodentur. Ea multis et uariis rationibus conficitur. Für die einzelnen Arten des Wortspiels gibt er dann Beispiele. Das kindlichste, später von der rhetorischen Theorie verspottete, ist: Hinc auium dulcedo ducit ad auium'. Für seine eigene Lieblingsfigur bringt er nur ein Bcispiel: Addendis litteris hoc pacto: Hic sibi posset temperare, nisi amori mallet obtemperare'. Alle diese Wortspiele stehen am Ende der Satzglieder, und wo Sim- plex mit Kompositum konfrontiert wird, erscheint das Kompositum als das mehrtaktige, wuchtigere zuletzt, den Abschluß markierend 1. Sie helfen, 1 Dem Kompositum gleich gilt ein Simplex mit eng verbundener mehr- taktiger adverbialer Bestimmung. So ist x. B. das von Quintilian IX 3, 72 getadelte raro evenit, sed vehementer venit zwar eine Abart, aber keine Aus- nahme. Es waltet hier ein Stilgesetx von tief einschneidender und weit- reichender allgemeiner sprachlicher Bedeutung. Auf engem Feld hat es Otto Behaghel beobachtet unter dem Titel" Bexiehungen xwischen Umfang und Reihen- folge von Satzgliedern’ (Indogerman. Forschungen, 1909, Bd. 25, S. 110—142). Er gibt aus altdeutschen und neuhochdeutschen Texten wie aus antiker Literatur reichlich Beispiele von Wortverbindungen, deren durch Konjunktionen verknüpfte Glieder einander gleichberechtigt sind (sogen. Erweiterungsgruppen') und in denen meistens das zweite Glied das umfangreichere, durch Adjektiv oder Pro- nomen oder Adverb oder einen Nebensatx erweiterte ist. Er nennt diese Nei- gung der Sprache das Gesetz der wachsenden Glieder' (S. 139) und
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116 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. den Parallelismus und xugleich die Antithese kommatisch gebauter Sätze zu Gehör xu bringen. Es ist der erste asianische Typus, die Manier des Hegesias mit den altsophistischen akustischen Druckern, der hier fortwirkt. Durchaus Gorgianisch mutet vollends an der Lehrsatz über die magnitudo und die firmitudo uocis (III 11, 20): altera natura paratus 1, altera cura comparatus, worin der antithetische Par- allelismus durch reimende Annominatio des letzten sowie durch Reim des vorletzten Wortes aufs stärkste hervorgehoben wird. Ich glaube nicht, daß Marx mit Recht in dieser wortspielenden Gegenüberstellung von Simplex und Kompositum die Ungeschicklichkeit des Schülers' erblickt, der für die Lehre von der rapiowoig der Kola' das Vorbild der vielzitierten Stelle aus der Helena-Rede des Isokrates übel nachahmte2. Schwerlich auch war hierfür Isokrates, der in jener Rede gerade seinen Lehrer Gorgias und dessen Helena-Enkomion ver- dunkeln wollte, die Quelle. Vermutlich geht diese eigentümlich gram- matische Abart des rhetorischen Wortspiels vielmehr direkt xurück auf sophistisch-asianische Technik und stammt wohl auch aus der Rhetoren-Schule von Rhodus, deren starke grammatische Neigungen bekannt sind (s. oben S. 82ff.). Jedesfalls haben diese Kolon-Schlüsse des Typus temperare — obtemperare Epoche gemacht. Sie sind im Mittelalter ein geschätztes Ornament erlesener Stilkunst. Wie weit diese Wirkung sich erstreckt, ob sie zu verschiedenen Zeiten und in den ver- schiedenen mittelalterlichen Stilschulen sich differenxiert, muß noch ermittelt werden. Rienzo jedesfalls, neben Petrarca der eigentliche Bahnbrecher des neuen humanistischen Gedankens der Renaissance, hat diese Finesse antiker Satzgliederung und Wortspielerei noch mit Behagen seine Hörer und Leser kosten lassen3. betont mit Recht, daß die antike Rhetorik es gekannt hat, wie das Gebot des Demetrios fallerdings nicht des berühmten Aristoteles- und Theophrastschülers Demetrios von Phaleron, wie Behaghel annimmnt, sondern eines späthellenistischen anderen Demetrios] lehrt (TTepì épunvelaç, § 18: èv ôè raîç ouveéroig rrepióboig Tò TeXeUTаIOV KÜROV uакрóTepOV xp� elvai; (§ 50): rádoe òè тà дvóuaтa xpi Tóv8e тоV тротоv прита pèv тiеévаI тà un náka èvapyn, deúrepa dè xaì ботата та еvаруéотера. Behaghel führt die Erscheinung auf psychologische Ursachen zurück. Sicher sind diese dabei wirksam, doch jedesfalls so, daß mehr und stärker als intellektuelle Momente ästhetische sich geltend machen. Denn die Wurxel des Gesetzes liegt gewiß im Musikalischen. Es handelt sich hier um ein musikalisch-rhythmisches Bedürfnis. 1 So schrieb Marx, Rhein. Mus. 46, S. 610 Anm.; in seiner Ausgabe gab er diese nur von einem (jüngeren) Teil der Uberlieferung beglaubigte Lesart auf und setxte mit andern Handschriften paritur. Dem mittelalterlichen Stil- gefühl sagte paratur mehr xu, weil dadurch der Reim vollständiger wird. 2 Isokrat. Helena p. 211b: T00 pèv čxíTovov Kaì OKIVdUvOv ròv Blov karéonoc, тic ôè repíßkenrov kdà nepiuáxnrov T�v púGw ènofnoev. 3 Die näheren Nachweise enthält der Kommentar und das Glossar zu der
116 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. den Parallelismus und xugleich die Antithese kommatisch gebauter Sätze zu Gehör xu bringen. Es ist der erste asianische Typus, die Manier des Hegesias mit den altsophistischen akustischen Druckern, der hier fortwirkt. Durchaus Gorgianisch mutet vollends an der Lehrsatz über die magnitudo und die firmitudo uocis (III 11, 20): altera natura paratus 1, altera cura comparatus, worin der antithetische Par- allelismus durch reimende Annominatio des letzten sowie durch Reim des vorletzten Wortes aufs stärkste hervorgehoben wird. Ich glaube nicht, daß Marx mit Recht in dieser wortspielenden Gegenüberstellung von Simplex und Kompositum die Ungeschicklichkeit des Schülers' erblickt, der für die Lehre von der rapiowoig der Kola' das Vorbild der vielzitierten Stelle aus der Helena-Rede des Isokrates übel nachahmte2. Schwerlich auch war hierfür Isokrates, der in jener Rede gerade seinen Lehrer Gorgias und dessen Helena-Enkomion ver- dunkeln wollte, die Quelle. Vermutlich geht diese eigentümlich gram- matische Abart des rhetorischen Wortspiels vielmehr direkt xurück auf sophistisch-asianische Technik und stammt wohl auch aus der Rhetoren-Schule von Rhodus, deren starke grammatische Neigungen bekannt sind (s. oben S. 82ff.). Jedesfalls haben diese Kolon-Schlüsse des Typus temperare — obtemperare Epoche gemacht. Sie sind im Mittelalter ein geschätztes Ornament erlesener Stilkunst. Wie weit diese Wirkung sich erstreckt, ob sie zu verschiedenen Zeiten und in den ver- schiedenen mittelalterlichen Stilschulen sich differenxiert, muß noch ermittelt werden. Rienzo jedesfalls, neben Petrarca der eigentliche Bahnbrecher des neuen humanistischen Gedankens der Renaissance, hat diese Finesse antiker Satzgliederung und Wortspielerei noch mit Behagen seine Hörer und Leser kosten lassen3. betont mit Recht, daß die antike Rhetorik es gekannt hat, wie das Gebot des Demetrios fallerdings nicht des berühmten Aristoteles- und Theophrastschülers Demetrios von Phaleron, wie Behaghel annimmnt, sondern eines späthellenistischen anderen Demetrios] lehrt (TTepì épunvelaç, § 18: èv ôè raîç ouveéroig rrepióboig Tò TeXeUTаIOV KÜROV uакрóTepOV xp� elvai; (§ 50): rádoe òè тà дvóuaтa xpi Tóv8e тоV тротоv прита pèv тiеévаI тà un náka èvapyn, deúrepa dè xaì ботата та еvаруéотера. Behaghel führt die Erscheinung auf psychologische Ursachen zurück. Sicher sind diese dabei wirksam, doch jedesfalls so, daß mehr und stärker als intellektuelle Momente ästhetische sich geltend machen. Denn die Wurxel des Gesetzes liegt gewiß im Musikalischen. Es handelt sich hier um ein musikalisch-rhythmisches Bedürfnis. 1 So schrieb Marx, Rhein. Mus. 46, S. 610 Anm.; in seiner Ausgabe gab er diese nur von einem (jüngeren) Teil der Uberlieferung beglaubigte Lesart auf und setxte mit andern Handschriften paritur. Dem mittelalterlichen Stil- gefühl sagte paratur mehr xu, weil dadurch der Reim vollständiger wird. 2 Isokrat. Helena p. 211b: T00 pèv čxíTovov Kaì OKIVdUvOv ròv Blov karéonoc, тic ôè repíßkenrov kdà nepiuáxnrov T�v púGw ènofnoev. 3 Die näheren Nachweise enthält der Kommentar und das Glossar zu der
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III. Die zweite Briefmustersammlung. 117 Asianisch und im Grunde altsophistisch ist auch die Figur der Traductio und der Contentio. Jene (IV 14, 20) ist eine Wiederholung desselben Worts mit rhetorischem Nachdruck, die den Satz wie durch Nieten verklammern, der Rede — nach dem Ausdruck des Anonymus — Concinnität’, d. h. Symmetrie, Parallelismus und Zusammenhalt geben soll, also das, was nach Ciceros Charakteristik (s. oben S. 83f.) der erste asianische Typus auf der Bahn der Gorgianischen Technik besonders erstrebte. Sie heißt deshalb sonst auch тAoKń oder OUуKpIGIG. Die Contentio (IV 15, 21) und das mit ihr ziemlich gleichbedeutende Con- trarium (IV 18, 25) ist die zur Satzgliederung und Satzverbindung dienende, gleichfalls Parallelismus der Kola bewirkende Antithese (àvrí- OcтOV oder avrieeoig), das Lieblingszierstück des Gorgianischen Stils und aller seiner Sprößlinge. Die Antithese hat aber auch selbst Aristo- teles (Rhet. III 9, 8 p. 1410 a, Z. 20—23) als angenehme Satzform' (ndeia Néžig), weil leicht verständlich durch den Parallelismus und dem Syllogismus ähnlich, anerkannt. Beide Figuren bespricht unter den ihnen in der Herennius-Rhetorik beigelegten Namen die Glosse unseres schlesisch-böhmischen Briefmusterbuchs und zeigt, daß die begleitenden Briefe mit diesen Stilblüten sich zu schmücken wissen (s. unten Texte Nr. 53, S. 84). Die Erläu- terung der beiden Figuren in der Rhetorik an Herennius, die an sich und durch die beigegebenen Beispiele Ciceros entsprechender Beschreibung! an Deutlicheit weit überlegen ist, lautet 2: Auctor ad Her. IV 14, 20—21, S. 309—10. Traductio est, quae facit, uti, cum idem uerbum crebrius ponatur, non modo non offendat animum, sed etiam concinniorem orationem reddat, hoc pacto: Qui nihil habet in uita iucundius uita, is cum uirtute uitam non potest colere'. — Item: Eum hominem appellas, qui si fuisset homo, numquam tam crudeliter hominis uitam petisset. At erat inimicus. Ergo inimicum sic ulcisci uoluit, ut ipse sibi reperiretur inimicus? — [S. 310] Item: Diuitias sine diuitis esse: (tu uero uirtutem praefer diuitiis); nam si uoles diuitias cum uirtute conparare, uix satis idoneae tibi uidebuntur diuitiae, quae uirtutis pedisequae sint'. — Ausgabe des Rienzo-Briefwechsels von mir und Piur. (Vom Mittelalter zur Reformation. II 2 [nach dem ursprünglichen Plan II 5]). 1 Cic. De orat. III § 206 eiusdem verbi crebrius positi quaedam distinctio et revocatio; Orat. § 135 continenter unum verbum non eadem sententia ponitur. Cicero schöpft seine kurxe Ubersicht der Figuren (De orat. III § 201—208; Orat. § 135—139) aus derselben Quelle wie der Verfasser der Herennius-Rhetorik und Rutilius Lupus, der Bearbeiter der Figurenlehre des jüngeren Gorgias, das ergibt sich aus der Ubereinstimmung im Bestand und in der Reihenfolge der Figuren: s. Münscher, Realenxykl. d. klass. Altertums- wissensch. VII 2 [14. Halbbd.J 1912, Sp. 1606, Z. 7. 19—27 und Sp. 1613 Z. 56 ff. 2 Die wiederholten Worte sind durch Sperrung hervorgehoben.
III. Die zweite Briefmustersammlung. 117 Asianisch und im Grunde altsophistisch ist auch die Figur der Traductio und der Contentio. Jene (IV 14, 20) ist eine Wiederholung desselben Worts mit rhetorischem Nachdruck, die den Satz wie durch Nieten verklammern, der Rede — nach dem Ausdruck des Anonymus — Concinnität’, d. h. Symmetrie, Parallelismus und Zusammenhalt geben soll, also das, was nach Ciceros Charakteristik (s. oben S. 83f.) der erste asianische Typus auf der Bahn der Gorgianischen Technik besonders erstrebte. Sie heißt deshalb sonst auch тAoKń oder OUуKpIGIG. Die Contentio (IV 15, 21) und das mit ihr ziemlich gleichbedeutende Con- trarium (IV 18, 25) ist die zur Satzgliederung und Satzverbindung dienende, gleichfalls Parallelismus der Kola bewirkende Antithese (àvrí- OcтOV oder avrieeoig), das Lieblingszierstück des Gorgianischen Stils und aller seiner Sprößlinge. Die Antithese hat aber auch selbst Aristo- teles (Rhet. III 9, 8 p. 1410 a, Z. 20—23) als angenehme Satzform' (ndeia Néžig), weil leicht verständlich durch den Parallelismus und dem Syllogismus ähnlich, anerkannt. Beide Figuren bespricht unter den ihnen in der Herennius-Rhetorik beigelegten Namen die Glosse unseres schlesisch-böhmischen Briefmusterbuchs und zeigt, daß die begleitenden Briefe mit diesen Stilblüten sich zu schmücken wissen (s. unten Texte Nr. 53, S. 84). Die Erläu- terung der beiden Figuren in der Rhetorik an Herennius, die an sich und durch die beigegebenen Beispiele Ciceros entsprechender Beschreibung! an Deutlicheit weit überlegen ist, lautet 2: Auctor ad Her. IV 14, 20—21, S. 309—10. Traductio est, quae facit, uti, cum idem uerbum crebrius ponatur, non modo non offendat animum, sed etiam concinniorem orationem reddat, hoc pacto: Qui nihil habet in uita iucundius uita, is cum uirtute uitam non potest colere'. — Item: Eum hominem appellas, qui si fuisset homo, numquam tam crudeliter hominis uitam petisset. At erat inimicus. Ergo inimicum sic ulcisci uoluit, ut ipse sibi reperiretur inimicus? — [S. 310] Item: Diuitias sine diuitis esse: (tu uero uirtutem praefer diuitiis); nam si uoles diuitias cum uirtute conparare, uix satis idoneae tibi uidebuntur diuitiae, quae uirtutis pedisequae sint'. — Ausgabe des Rienzo-Briefwechsels von mir und Piur. (Vom Mittelalter zur Reformation. II 2 [nach dem ursprünglichen Plan II 5]). 1 Cic. De orat. III § 206 eiusdem verbi crebrius positi quaedam distinctio et revocatio; Orat. § 135 continenter unum verbum non eadem sententia ponitur. Cicero schöpft seine kurxe Ubersicht der Figuren (De orat. III § 201—208; Orat. § 135—139) aus derselben Quelle wie der Verfasser der Herennius-Rhetorik und Rutilius Lupus, der Bearbeiter der Figurenlehre des jüngeren Gorgias, das ergibt sich aus der Ubereinstimmung im Bestand und in der Reihenfolge der Figuren: s. Münscher, Realenxykl. d. klass. Altertums- wissensch. VII 2 [14. Halbbd.J 1912, Sp. 1606, Z. 7. 19—27 und Sp. 1613 Z. 56 ff. 2 Die wiederholten Worte sind durch Sperrung hervorgehoben.
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118 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. [Kap. 21] Ex eodem genere est exornationis, cum idem uerbum ponitur modo in hac, modo in altera re, hoc modo: Cur eam rem tam studiose curas, quae tibi multas dabit curas?' — Item: Nam amarei iucundum sit, si curetur, ne quid insit amari'. — Item: Veniam ad uos, si mihi senatus det ueniam'. — [Kap. 15] Contentio est, cum ex contrariis rebus oratio conficitur, hoc pacto: Habet adsentatio iucunda principia, eadem exitus amarissimos adfert'. — Item: Inimicis te placabilem, amicis inexorábilem praébes'.— Item: In otio tumultuaris; in tumúltu òtiósus; in re [S. 311] frigidis- sima câles, in feruentissima friges; tacito cum opus est, clamas; ubi loqui cónuenit, òbmutéscis; ades, abesse uis; abes, reuérti cúpis; in pace bellum quaeritas, in bello pacem desíderas; in contione de uirtute loqueris, in proelio prae ignauia tubae sonitum perférre non pótes'. — Hoc genere sei distingemus orationem, et graues et ornati potérimus ésse. Drei weitere Figuren, die in der Glosse unseres Formu- larbuchs auf die Herennius-Lehrschrift zurückgehen (unten Texte Nr. 55, S. 87), sind allgemeiner Natur. Die Transitio ist die rhetorische Formel für den Abschluß eines Gedankens oder eines Redeteils und den Ubergang xu etwas Neuem. Die Definitio nicht eine Definition im streng wissenschaftlichen Sinne, sondern nur eine rhetorischen Zwecken dienende Erklärung eines Begriffs oder einer Sache, von der auch Cicero Topica 5, 25; De orat. I § 190 handelt1. Der Anonymus rechnet sie xu den Figuren, wie der mit ihm aus ver- wandter alter griechischer Quelle schöpfende Rutilius Lupus, der des jüngeren Gorgias, des Lehrers von Ciceros Sohn, Figurenlehre lateinisch bearbeitete. Dagegen ist eine echte Wortfigur die Correctio. Auct. ad Her. IV 26, 35—36, S. 328—29. Transitio uocatur, quae cum ostendit breuiter, quid dictum sit, pro- ponit item breui, quid consequatur, hoc pacto: Modo in patriam cuiusmodi fuerit, habetis: nunc in parentes qualis extiterit, considerate'. — Item: Mea in istum beneficia cognoscitis, nunc, quomodo iste mihi gratiam retulerit, accipite'. — Proficit haec aliquantu(lu)m exornatio ad duas res: nam et quid dixerit commonet et ad reliqum conparat auditorem. — 1 Ein gutes Beispiel dafür, das auch dem Auctor ad Her. vorgeschwebt haben kann, bietet Cato in einer seiner Reden (ed. Jordan XI 4, S. 44): Aliud est properare, aliud festinare, qui unum quicquid mature transiget, is pro- perat; qui multa simul incipit neque perficit, is festinat. ego unum quicquid quod adortus eram transigebam. Vgl. Norden I 97, 167: diese Figur des ópiouóc geht xurick auf die òpeóms ruy òvouáruw des Sophisten Prodikos, die Platon Protagoras S. 337 A B parodiert, und läßt sich in der Literatur von Thukydides an verfolgen.
118 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. [Kap. 21] Ex eodem genere est exornationis, cum idem uerbum ponitur modo in hac, modo in altera re, hoc modo: Cur eam rem tam studiose curas, quae tibi multas dabit curas?' — Item: Nam amarei iucundum sit, si curetur, ne quid insit amari'. — Item: Veniam ad uos, si mihi senatus det ueniam'. — [Kap. 15] Contentio est, cum ex contrariis rebus oratio conficitur, hoc pacto: Habet adsentatio iucunda principia, eadem exitus amarissimos adfert'. — Item: Inimicis te placabilem, amicis inexorábilem praébes'.— Item: In otio tumultuaris; in tumúltu òtiósus; in re [S. 311] frigidis- sima câles, in feruentissima friges; tacito cum opus est, clamas; ubi loqui cónuenit, òbmutéscis; ades, abesse uis; abes, reuérti cúpis; in pace bellum quaeritas, in bello pacem desíderas; in contione de uirtute loqueris, in proelio prae ignauia tubae sonitum perférre non pótes'. — Hoc genere sei distingemus orationem, et graues et ornati potérimus ésse. Drei weitere Figuren, die in der Glosse unseres Formu- larbuchs auf die Herennius-Lehrschrift zurückgehen (unten Texte Nr. 55, S. 87), sind allgemeiner Natur. Die Transitio ist die rhetorische Formel für den Abschluß eines Gedankens oder eines Redeteils und den Ubergang xu etwas Neuem. Die Definitio nicht eine Definition im streng wissenschaftlichen Sinne, sondern nur eine rhetorischen Zwecken dienende Erklärung eines Begriffs oder einer Sache, von der auch Cicero Topica 5, 25; De orat. I § 190 handelt1. Der Anonymus rechnet sie xu den Figuren, wie der mit ihm aus ver- wandter alter griechischer Quelle schöpfende Rutilius Lupus, der des jüngeren Gorgias, des Lehrers von Ciceros Sohn, Figurenlehre lateinisch bearbeitete. Dagegen ist eine echte Wortfigur die Correctio. Auct. ad Her. IV 26, 35—36, S. 328—29. Transitio uocatur, quae cum ostendit breuiter, quid dictum sit, pro- ponit item breui, quid consequatur, hoc pacto: Modo in patriam cuiusmodi fuerit, habetis: nunc in parentes qualis extiterit, considerate'. — Item: Mea in istum beneficia cognoscitis, nunc, quomodo iste mihi gratiam retulerit, accipite'. — Proficit haec aliquantu(lu)m exornatio ad duas res: nam et quid dixerit commonet et ad reliqum conparat auditorem. — 1 Ein gutes Beispiel dafür, das auch dem Auctor ad Her. vorgeschwebt haben kann, bietet Cato in einer seiner Reden (ed. Jordan XI 4, S. 44): Aliud est properare, aliud festinare, qui unum quicquid mature transiget, is pro- perat; qui multa simul incipit neque perficit, is festinat. ego unum quicquid quod adortus eram transigebam. Vgl. Norden I 97, 167: diese Figur des ópiouóc geht xurick auf die òpeóms ruy òvouáruw des Sophisten Prodikos, die Platon Protagoras S. 337 A B parodiert, und läßt sich in der Literatur von Thukydides an verfolgen.
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III. Die zweite Briefmustersammlung. 119 [S. 329] Correctio est, quae tollit id, quod dictum est, et pro f§ 36] eo id quod magis idoneum uidetur, reponit, hoc pacto: Quodsi iste suos hospites rogasset, immo innuisset modo, facile hoc perfici posset’. — Item : Nam postquam isti uicerunt atque adeo uicti sunt, eam quomodo uictoriam appellem, quae uictoribus plus calamitatis quam boni dederit?' Item: O uir- tutis comes inuidia, quae bonos sequeris plerumque atque adeo insectaris! Commouetur hoc genere animus auditoris. Res enim communi uerbo elata..* tantummodo dicta uidetur; ea post ipsius oratoris correctionem magis idonea fit pronuntiatione. Non igitur satius esset’, dicet aliquis, ab initio, praesertim cum scribas, ad optimum et lectissimum uerbum deuenire?' Est, cum non est satius, si commutatio uerbi id erit demonstratura, eiusmodi rem esse, ut, cum cam communi uerbo appellaris, leuius dixisse uidearis, cum ad electius uerbum accedas, insigniorem rem facias. Quodsi continuo uenisses ad id uerbum, nec rei nec uerbi gratia animaduersa esset. Auctor ad Her. IV 25, 35, S. 327—328. Definitio est, quae rei alicuius proprias amplectitur potestates breuiter et absolute, hoc modo: Maiestas rei publicae est, in qua continetur dignitas et amplitudo ciuitatis'. — [S. 328] Item: Iniuriae sunt, quae aut pulsatione corpus (aut) conuicio auris aut aliqua turpitudine uitam cuiuspiam uiolant'. — Item: Non est ista diligentia, sed auaritia, ideo quod diligentia est accurata conseruatio suorum, auaritia iniuriosa adpetitio ali(en)orum'. — Item: Non est ista fortitudo, sed temeritas, propterea quod fortitudo est contemptio laboris et periculi cum ratione utilitatis et conpensatione commodorum, teme- ritas est cum inconsiderata dolorum perpessione gladiatoria periculorum susceptio'. — Haec ideo commoda putatur exornatio, quod omnem rei cuiuspiam uim et potestatem ita dilucide proponit et (explicat) breuiter, ut neque pluribus uerbis oportuisse dici uideatur neque breuius potuisse dici putetur. Voll hinein in die kommatisch-rhythmische Satzbildung des Gorgias, die so weitgreifend ihre Wirkungen ausstrahlte, sichtbare Spuren in so verschiedenartigen Schriftstellern wie Herodot, Isokrates, Euripides hinterließ, dann aber mit neuer gesteigerter Virtuosität wieder auflebte bei den asianischen Nachfahren der Sophistik auf dem Wege des Hegesias, führen uns die folgenden vier vom Auctor ad Herennium mit sichtlichem Vergnügen behandelten Arten der rhetorischen Wieder- holung. Alle vier, die zu den ältesten Prunkstücken sophistischer Wort- kunst gehören und in der römischen Literatur, seitdem überhaupt eine lateinische Kunstprosa sich zu entfalten anfing, reich und raffiniert aus- gebildet waren, namentlich auch von Cicero meisterhaft verwendet worden sind, erscheinen in den Scholarenbriefen unseres schlesisch- böhmischen Formularienbuches und werden von der Glosse mit der Terminologie der Herennius-Rhetorik erläutert als Compar; Similiter cadens; Similiter desinens (s. Texte Nr. 54, S. 85f.) und als
III. Die zweite Briefmustersammlung. 119 [S. 329] Correctio est, quae tollit id, quod dictum est, et pro f§ 36] eo id quod magis idoneum uidetur, reponit, hoc pacto: Quodsi iste suos hospites rogasset, immo innuisset modo, facile hoc perfici posset’. — Item : Nam postquam isti uicerunt atque adeo uicti sunt, eam quomodo uictoriam appellem, quae uictoribus plus calamitatis quam boni dederit?' Item: O uir- tutis comes inuidia, quae bonos sequeris plerumque atque adeo insectaris! Commouetur hoc genere animus auditoris. Res enim communi uerbo elata..* tantummodo dicta uidetur; ea post ipsius oratoris correctionem magis idonea fit pronuntiatione. Non igitur satius esset’, dicet aliquis, ab initio, praesertim cum scribas, ad optimum et lectissimum uerbum deuenire?' Est, cum non est satius, si commutatio uerbi id erit demonstratura, eiusmodi rem esse, ut, cum cam communi uerbo appellaris, leuius dixisse uidearis, cum ad electius uerbum accedas, insigniorem rem facias. Quodsi continuo uenisses ad id uerbum, nec rei nec uerbi gratia animaduersa esset. Auctor ad Her. IV 25, 35, S. 327—328. Definitio est, quae rei alicuius proprias amplectitur potestates breuiter et absolute, hoc modo: Maiestas rei publicae est, in qua continetur dignitas et amplitudo ciuitatis'. — [S. 328] Item: Iniuriae sunt, quae aut pulsatione corpus (aut) conuicio auris aut aliqua turpitudine uitam cuiuspiam uiolant'. — Item: Non est ista diligentia, sed auaritia, ideo quod diligentia est accurata conseruatio suorum, auaritia iniuriosa adpetitio ali(en)orum'. — Item: Non est ista fortitudo, sed temeritas, propterea quod fortitudo est contemptio laboris et periculi cum ratione utilitatis et conpensatione commodorum, teme- ritas est cum inconsiderata dolorum perpessione gladiatoria periculorum susceptio'. — Haec ideo commoda putatur exornatio, quod omnem rei cuiuspiam uim et potestatem ita dilucide proponit et (explicat) breuiter, ut neque pluribus uerbis oportuisse dici uideatur neque breuius potuisse dici putetur. Voll hinein in die kommatisch-rhythmische Satzbildung des Gorgias, die so weitgreifend ihre Wirkungen ausstrahlte, sichtbare Spuren in so verschiedenartigen Schriftstellern wie Herodot, Isokrates, Euripides hinterließ, dann aber mit neuer gesteigerter Virtuosität wieder auflebte bei den asianischen Nachfahren der Sophistik auf dem Wege des Hegesias, führen uns die folgenden vier vom Auctor ad Herennium mit sichtlichem Vergnügen behandelten Arten der rhetorischen Wieder- holung. Alle vier, die zu den ältesten Prunkstücken sophistischer Wort- kunst gehören und in der römischen Literatur, seitdem überhaupt eine lateinische Kunstprosa sich zu entfalten anfing, reich und raffiniert aus- gebildet waren, namentlich auch von Cicero meisterhaft verwendet worden sind, erscheinen in den Scholarenbriefen unseres schlesisch- böhmischen Formularienbuches und werden von der Glosse mit der Terminologie der Herennius-Rhetorik erläutert als Compar; Similiter cadens; Similiter desinens (s. Texte Nr. 54, S. 85f.) und als
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120 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. Adnominatio (s. xu Nr. 71, Z. 7. 14, S. 103 f. und die dort nicht mit- geteilte, sondern hier S. 125 folgende Glosse). Auctor ad Her. IV 20, 27—28, S. 318—19: Conpar appellatur, quod habet in se membra orationis, de quibus ante diximus, quae constent ex pari fere número syllabárum. Hoc non de- numeratione nostra fiet — nam id quidem puerile est —, sed tantum adferet usus et exercitatio facultatis, ut animi quodam sensu par membrum superiori reférre possímus; hoc modo: [S. 319] In proelio mortem párens òbpe- tébat, domi filius núptias cònparábat; haec omnia grauis casus ád- ministrábant’. Item: Alii fortuna dedit felicitatem, huic industria uirtútem cònparáuit'. — [Kap. 28] In hoc genere saepe fieri pótest, ut non plane par numerus sit syllabarum et tamen ésse uldeátur, si una aut etiam altera syllaba est alterum breuius aut si, cum in altero plures sunt, in altero longior aut lon- giores, plenior aut pleniores syllabae erunt, ut longitudo aut plenitudo harum multitudinem alterius adsequátur èt exaé quet. — Similiter cadens exornátio àppellátur, cum in ea(dem) constructione uerborum duo aut plúra sunt uérba, quae similiter isdem cásibus èffe- rantur; hoc modo: Hominem laudem egentem uirtutis, abundantem feli- citatis?' — Item: Huic omnis in pecunia spes est, a sapientia est animus remotus: diligentia conparat diuitias, neglegentia corrumpit animum, et tamen, cum ita uiuit, neminem prae se ducit hominem'. — Similiter desinens est, cum, tametsi casus non insunt in uerbis, tamen similes exitus sunt, hoc pacto: Turpiter audes facere, nequiter studes dicere; uiuis invidiose, delinquis studiose, loqueris odiose'. Item: Au- daciter territas, humiliter placas'. [S. 320] Haec duo genera, quorum alterum in exitum, alterum in casus similitudine uersatur, inter se uehementer conueniunt; et ea re, qui his bene utuntur, plerumque simul ea conlocant in isdem partibus orationis. Id hoc modo facere oportet: Perditissima ratio est amorem petere, pudorem fugere, diligere formam, neglegere famam’. — Hic et ea uerba, quae casus habent ad casus similes, et illa, quae non habent, ad similes exitus ueniunt. Alle vier Figuren beziehen sich auf die Konformität und teilweise den Gleichklang ganzer Satzglieder (kůNa) oder Satzeinschnitte (kóuuara). Die erste umfaßt das ioóкURov, d. h. die Satzbildung aus Kolen von gleicher Silbenzahl. Der Verfasser der Herenniusrhetorik verlangt dabei nicht völlig gleiche Silbenzahl, sondern nur annähernd (fere). Ja er weist eine strenge Responsion unter Abzählung der Silben als kindisch (puerile) zurück. Er rückt also deutlich ab von der spielenden Manier jener Asianer, die des Gorgias Ubertreibungen noch ihrerseits überboten. Die zweite Figur (Similiter cadens) entspricht dem ôuoióTтwTOV, d. h. hier tritt zu der Gleichheit oder ungefähren Gleichheit der Silben-
120 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. Adnominatio (s. xu Nr. 71, Z. 7. 14, S. 103 f. und die dort nicht mit- geteilte, sondern hier S. 125 folgende Glosse). Auctor ad Her. IV 20, 27—28, S. 318—19: Conpar appellatur, quod habet in se membra orationis, de quibus ante diximus, quae constent ex pari fere número syllabárum. Hoc non de- numeratione nostra fiet — nam id quidem puerile est —, sed tantum adferet usus et exercitatio facultatis, ut animi quodam sensu par membrum superiori reférre possímus; hoc modo: [S. 319] In proelio mortem párens òbpe- tébat, domi filius núptias cònparábat; haec omnia grauis casus ád- ministrábant’. Item: Alii fortuna dedit felicitatem, huic industria uirtútem cònparáuit'. — [Kap. 28] In hoc genere saepe fieri pótest, ut non plane par numerus sit syllabarum et tamen ésse uldeátur, si una aut etiam altera syllaba est alterum breuius aut si, cum in altero plures sunt, in altero longior aut lon- giores, plenior aut pleniores syllabae erunt, ut longitudo aut plenitudo harum multitudinem alterius adsequátur èt exaé quet. — Similiter cadens exornátio àppellátur, cum in ea(dem) constructione uerborum duo aut plúra sunt uérba, quae similiter isdem cásibus èffe- rantur; hoc modo: Hominem laudem egentem uirtutis, abundantem feli- citatis?' — Item: Huic omnis in pecunia spes est, a sapientia est animus remotus: diligentia conparat diuitias, neglegentia corrumpit animum, et tamen, cum ita uiuit, neminem prae se ducit hominem'. — Similiter desinens est, cum, tametsi casus non insunt in uerbis, tamen similes exitus sunt, hoc pacto: Turpiter audes facere, nequiter studes dicere; uiuis invidiose, delinquis studiose, loqueris odiose'. Item: Au- daciter territas, humiliter placas'. [S. 320] Haec duo genera, quorum alterum in exitum, alterum in casus similitudine uersatur, inter se uehementer conueniunt; et ea re, qui his bene utuntur, plerumque simul ea conlocant in isdem partibus orationis. Id hoc modo facere oportet: Perditissima ratio est amorem petere, pudorem fugere, diligere formam, neglegere famam’. — Hic et ea uerba, quae casus habent ad casus similes, et illa, quae non habent, ad similes exitus ueniunt. Alle vier Figuren beziehen sich auf die Konformität und teilweise den Gleichklang ganzer Satzglieder (kůNa) oder Satzeinschnitte (kóuuara). Die erste umfaßt das ioóкURov, d. h. die Satzbildung aus Kolen von gleicher Silbenzahl. Der Verfasser der Herenniusrhetorik verlangt dabei nicht völlig gleiche Silbenzahl, sondern nur annähernd (fere). Ja er weist eine strenge Responsion unter Abzählung der Silben als kindisch (puerile) zurück. Er rückt also deutlich ab von der spielenden Manier jener Asianer, die des Gorgias Ubertreibungen noch ihrerseits überboten. Die zweite Figur (Similiter cadens) entspricht dem ôuoióTтwTOV, d. h. hier tritt zu der Gleichheit oder ungefähren Gleichheit der Silben-
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III. Die zweite Briefmustersammlung. 121 zahl der Kola ihr Gleichklang am Schluß durch gleiche Kasusendungen. Die dritte Figur (Similiter desinens), das ôuotoréAeUrov, steigert diesen Gleichklang zum Endreim, beschränkt diesen aber auf Verbalformen. Schließlich behandelt der Auctor ad Her. noch eine vierte Form, ohne dieser einen eigenen Namen zu geben: die Vereinigung der zweiten und dritten Figur, indem gleicher Kasusausgang mit verbalem Endreim sich mischt. Die Glosse des Scholarenbriefs unseres Formelbuchs verwendet hierfür den mir sonst nicht bekannten Terminus permixtio 1. Der Scholarenbrief aus der Feder eines in Prag gebildeten Verehrers der Rhetorik, dem der Name Laurencius Hotener beigelegt ist, und ent- sprechend die allerdings wie gewöhnlich sehr unklare und durch Text- verderbnis unserer Uberlieferung noch verdunkelte Glosse steigern die Figur des Compar bis xum Gebot völliger Silbenxahlgleichheit: beide Satzglieder (Nr. 54, Z. 10. 11) enthalten genau 13 Silben, wenn man iuniorum dreisilbig mißt als junjorum (oder juniorum mit Elision des -um vor Vokalanlaut!) und wirken daher völlig als Verse, sind, was die Gegner des Asianismus so streng verwarfen, éuuerpot und évpueuoi. Auch das Beispiel des Similiter cadens bietet völlig gleiche Silbenzahl: ad fontem virtutis et artis — et culmen salutis et artis, jedesmal 9 Silben. Dieses Beispiel soll nach der undeutlichen Meinung der Glosse sowohl die zweite als die dritte Figur illustrieren: einerseits ist der doppelte genetivische Kolon-Schluß artis — artis das Similiter cadens, anderseits ist der Komma-Schluß virtutis — salutis das Similiter desinens; denn ab- 1 Die antike Terminologie ist hinsichtlich der Abgrenxung der einxelnen Arten und Benennungen dieser Figuren nicht einhellig. Für das loókuRov gilt im allgemeinen das Gebot gleicher oder ungefähr gleicher Silbenxahl, wobei meist dem letxten Glied das Recht, an Gewicht und Länge überxuschießen, eingeräumt wird. Das loókuRov (Aquila Romanus: exaequatum membris) führt auch den Namen rapiowotg (Aristot. Rhet. III 9, 9 § 1410 a, Z. 24f.) oder rápioov; der letxtere wird aber anderseits auch als Bexeichnung einer bloß annähernden Kolongleichheit verstanden (= prope aequatum bei Aquila und Martianus Capella, Rhetores Lat. minores ed. C. Halm S. 30, § 23. 24, Z. 5 ff., S. 480, Kap. 40, Z. 16ff.). Daxu tritt der Ausdruck napouoíwoig und seine lateinischen Ubertragungen: bald als Name für die Steigerung der Gleich- heit der Silbenzahl aur Klangähnlichkeit einxelner Wörter (nicht bloß der Kasusformen wie beim Auct. ad Her.), bald umgekehrt als Abschwächung des vollkommenen Gleichmaßes zur bloßen Ahnlichkeit (z. B. Cicero, De orat. III § 206 quae sunt inter se similia gegenüber dem vorhergehenden quae paribus paria referuntur). — Daß Cicero für die Figurenlehre derselben Quelle folgt wie das Herenniusbuch, xeigen seine Definitionen De orat. III § 206 quae similiter desinunt aut quae cadunt similiter: Orat. § 138 cum similiter vel cadunt verba vel desinunt. Aquila Romanus nennt dicse beiden Figuren z. B. Simile casibus und Simile determinatione (Rhetor. Lat. min. ed. Halm S. 28, § 25. 26, Z. 22 ff.). Vgl. dazu Richard Volkmann, Die Rhetorik der Griechen und Römer 2, Leipxig 1885, S. 482 ff.; Münscher, a. a. O. Sp. 1614, Z. 6—25.
III. Die zweite Briefmustersammlung. 121 zahl der Kola ihr Gleichklang am Schluß durch gleiche Kasusendungen. Die dritte Figur (Similiter desinens), das ôuotoréAeUrov, steigert diesen Gleichklang zum Endreim, beschränkt diesen aber auf Verbalformen. Schließlich behandelt der Auctor ad Her. noch eine vierte Form, ohne dieser einen eigenen Namen zu geben: die Vereinigung der zweiten und dritten Figur, indem gleicher Kasusausgang mit verbalem Endreim sich mischt. Die Glosse des Scholarenbriefs unseres Formelbuchs verwendet hierfür den mir sonst nicht bekannten Terminus permixtio 1. Der Scholarenbrief aus der Feder eines in Prag gebildeten Verehrers der Rhetorik, dem der Name Laurencius Hotener beigelegt ist, und ent- sprechend die allerdings wie gewöhnlich sehr unklare und durch Text- verderbnis unserer Uberlieferung noch verdunkelte Glosse steigern die Figur des Compar bis xum Gebot völliger Silbenxahlgleichheit: beide Satzglieder (Nr. 54, Z. 10. 11) enthalten genau 13 Silben, wenn man iuniorum dreisilbig mißt als junjorum (oder juniorum mit Elision des -um vor Vokalanlaut!) und wirken daher völlig als Verse, sind, was die Gegner des Asianismus so streng verwarfen, éuuerpot und évpueuoi. Auch das Beispiel des Similiter cadens bietet völlig gleiche Silbenzahl: ad fontem virtutis et artis — et culmen salutis et artis, jedesmal 9 Silben. Dieses Beispiel soll nach der undeutlichen Meinung der Glosse sowohl die zweite als die dritte Figur illustrieren: einerseits ist der doppelte genetivische Kolon-Schluß artis — artis das Similiter cadens, anderseits ist der Komma-Schluß virtutis — salutis das Similiter desinens; denn ab- 1 Die antike Terminologie ist hinsichtlich der Abgrenxung der einxelnen Arten und Benennungen dieser Figuren nicht einhellig. Für das loókuRov gilt im allgemeinen das Gebot gleicher oder ungefähr gleicher Silbenxahl, wobei meist dem letxten Glied das Recht, an Gewicht und Länge überxuschießen, eingeräumt wird. Das loókuRov (Aquila Romanus: exaequatum membris) führt auch den Namen rapiowotg (Aristot. Rhet. III 9, 9 § 1410 a, Z. 24f.) oder rápioov; der letxtere wird aber anderseits auch als Bexeichnung einer bloß annähernden Kolongleichheit verstanden (= prope aequatum bei Aquila und Martianus Capella, Rhetores Lat. minores ed. C. Halm S. 30, § 23. 24, Z. 5 ff., S. 480, Kap. 40, Z. 16ff.). Daxu tritt der Ausdruck napouoíwoig und seine lateinischen Ubertragungen: bald als Name für die Steigerung der Gleich- heit der Silbenzahl aur Klangähnlichkeit einxelner Wörter (nicht bloß der Kasusformen wie beim Auct. ad Her.), bald umgekehrt als Abschwächung des vollkommenen Gleichmaßes zur bloßen Ahnlichkeit (z. B. Cicero, De orat. III § 206 quae sunt inter se similia gegenüber dem vorhergehenden quae paribus paria referuntur). — Daß Cicero für die Figurenlehre derselben Quelle folgt wie das Herenniusbuch, xeigen seine Definitionen De orat. III § 206 quae similiter desinunt aut quae cadunt similiter: Orat. § 138 cum similiter vel cadunt verba vel desinunt. Aquila Romanus nennt dicse beiden Figuren z. B. Simile casibus und Simile determinatione (Rhetor. Lat. min. ed. Halm S. 28, § 25. 26, Z. 22 ff.). Vgl. dazu Richard Volkmann, Die Rhetorik der Griechen und Römer 2, Leipxig 1885, S. 482 ff.; Münscher, a. a. O. Sp. 1614, Z. 6—25.
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Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. 122 weichend von der willkürlichen Einschränkung des Endreims auf Verbal- formen in der Herennius-Rhetorik und entsprechend dem Wortlaut der Glosse kann die consonantia überhaupt in den, d. h. in allen Klauseln der dicciones ohne nähere Sonderung stattfinden. Das Beispiel für Compar (Z. 10—11) ist aber zugleich ein höcht raffiniertes Ragout aller drei Figuren, also im wahrsten Sinne eine permixtio, ohne daß die Glosse dies hervorhebt: es bietet gleiche Silbenzahl (1), gleichen Kasus am Ausgang (2), ferner aber Endreime (3) und nicht nur das, sondern alle fünf Worte des ersten Satzgliedes reimen der Reihe nach mit den entsprechenden Worten des zweiten Satzgliedes. Diese Finesse, die an die Künsteleien des Apuleius und noch späterer antiker Prosaiker erinnert, bleibt in der Glosse eigentlich unerwähnt: ein Anzeichen dafür, daß Briefbeispiel und Glosse sich nicht immer decken, also kaum von Hause aus ein einheitliches Ganxes bilden. Man sieht: dieser Scholarenbrief ist ein Schulexerxitium in der kommatischen Manier, ohne Periodik, mit einem virtuosenhaft aufs äußerste getriebenen Parallelismus und Gleichklang der respondierenden Satzglieder. Daxu tritt, gleichfalls Gorgianischer Herkunft, die Spielerei mit der Alliteration: moneo monicione maiori . . . mulierum spec- tacula . . . morem . . . mundanorum mobilen ... amabilem und die massenhafte Umschreibung mit Genetivverbindungen: dulcia mulierum spectacula; venefica mulierum spectacula; morem munda- norum mobilem ; florem iuniorum amabilem ; tota ui cordis ; fontem vir- tutis et artis; culmen salutis et artis, salutis et auctor et dominus. So erhält der Ausdruck in der Salutatio Scolari quem literarum disciplina preconamine exornat einen rein schultechnischen Sinn: der Brief selbst ist eines dieser preconamina, womit das gewöhnliche praeexercitamenta, bekannt z. B. als Titel eines rhetorischen Schulbuchs des Prisciand, ge- wählter wiedergegeben wird, das seinerseits das griechische пpoyouváo- uara übersetzt. Damit werden die im rhetorischen Unterricht gebräuch- lichen Vorübungen bezeichnet, zu denen Abfassung einer (mythologischen) Erzählung, einer Chrie, der Gemeinplätze (тóToi, loci communes) einer Lob- und Scheltrede gehörten. Stücke progymnastischer Art sind auch in die Herennius-Rhetorik übergegangen2. Ein solches Progymnasma sind auch die Briefe des Prager Baccala- rianden Anselm von Frankenstein, der später in der Zeit seiner Reife die Brücke schlagen hilft zwischen Schlesien und Meißen und die Prager Bildung nach Leipzig überträgt. An seinem zweiten Brief erläutert die 1 Herausgegeben in: Rhetores Latini minores ed. C. Halm S. 551ff. 2 Vgl. die Nachweise von Marx, Prolegom. S. 110 f. — Schwieriger und schon Ubungen für Vorgerückte waren die Deklamationen beratenden und ge- richtlichen Inhalts (declamationes suasoriae, controversiae), von denen das Buch des Anonymus eine reiche Auswahl enthält (Marx, Prolegom. S. 102—110).
Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. 122 weichend von der willkürlichen Einschränkung des Endreims auf Verbal- formen in der Herennius-Rhetorik und entsprechend dem Wortlaut der Glosse kann die consonantia überhaupt in den, d. h. in allen Klauseln der dicciones ohne nähere Sonderung stattfinden. Das Beispiel für Compar (Z. 10—11) ist aber zugleich ein höcht raffiniertes Ragout aller drei Figuren, also im wahrsten Sinne eine permixtio, ohne daß die Glosse dies hervorhebt: es bietet gleiche Silbenzahl (1), gleichen Kasus am Ausgang (2), ferner aber Endreime (3) und nicht nur das, sondern alle fünf Worte des ersten Satzgliedes reimen der Reihe nach mit den entsprechenden Worten des zweiten Satzgliedes. Diese Finesse, die an die Künsteleien des Apuleius und noch späterer antiker Prosaiker erinnert, bleibt in der Glosse eigentlich unerwähnt: ein Anzeichen dafür, daß Briefbeispiel und Glosse sich nicht immer decken, also kaum von Hause aus ein einheitliches Ganxes bilden. Man sieht: dieser Scholarenbrief ist ein Schulexerxitium in der kommatischen Manier, ohne Periodik, mit einem virtuosenhaft aufs äußerste getriebenen Parallelismus und Gleichklang der respondierenden Satzglieder. Daxu tritt, gleichfalls Gorgianischer Herkunft, die Spielerei mit der Alliteration: moneo monicione maiori . . . mulierum spec- tacula . . . morem . . . mundanorum mobilen ... amabilem und die massenhafte Umschreibung mit Genetivverbindungen: dulcia mulierum spectacula; venefica mulierum spectacula; morem munda- norum mobilem ; florem iuniorum amabilem ; tota ui cordis ; fontem vir- tutis et artis; culmen salutis et artis, salutis et auctor et dominus. So erhält der Ausdruck in der Salutatio Scolari quem literarum disciplina preconamine exornat einen rein schultechnischen Sinn: der Brief selbst ist eines dieser preconamina, womit das gewöhnliche praeexercitamenta, bekannt z. B. als Titel eines rhetorischen Schulbuchs des Prisciand, ge- wählter wiedergegeben wird, das seinerseits das griechische пpoyouváo- uara übersetzt. Damit werden die im rhetorischen Unterricht gebräuch- lichen Vorübungen bezeichnet, zu denen Abfassung einer (mythologischen) Erzählung, einer Chrie, der Gemeinplätze (тóToi, loci communes) einer Lob- und Scheltrede gehörten. Stücke progymnastischer Art sind auch in die Herennius-Rhetorik übergegangen2. Ein solches Progymnasma sind auch die Briefe des Prager Baccala- rianden Anselm von Frankenstein, der später in der Zeit seiner Reife die Brücke schlagen hilft zwischen Schlesien und Meißen und die Prager Bildung nach Leipzig überträgt. An seinem zweiten Brief erläutert die 1 Herausgegeben in: Rhetores Latini minores ed. C. Halm S. 551ff. 2 Vgl. die Nachweise von Marx, Prolegom. S. 110 f. — Schwieriger und schon Ubungen für Vorgerückte waren die Deklamationen beratenden und ge- richtlichen Inhalts (declamationes suasoriae, controversiae), von denen das Buch des Anonymus eine reiche Auswahl enthält (Marx, Prolegom. S. 102—110).
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III. Die zweite Briefmustersammlung. 123 Glosse den Color der Conuersio (Epipher, s. zu Nr. 68, Z. 18) und der Conpleccio (zu Nr. 68, Z. 20) sowie der Repeticio (Anapher, s. zu Nr. 68, Z. 32 ff.). Uber sie lehrt die Herennius-Rhetorik das Folgende: Auct. ad Her. IV 13, 19—14, 20, S. 307—309: Repetitio est, cum continenter ab uno atque eodem uerbo in rebus similibus et diuersis principia sumuntur, hoc modo: Vobis istuc adtribuen- dum est, uobis gratia est habenda, uobis ista res erit honori'. — Item: Scipio Numantiam sustulit, Scipio ciuitatem seruauit’. — Item: Tu in forum pro- dire, tu lucem conspicere, tu in horum conspectum uenire conaris? audes uerbum facere?audes quicquam ab istis petere? audes supplicium deprecari? Quid est, quod possis defendere? quid est, quod audeas postulare? quid est, quod tibi concedi putes oportere? Non ius iurandum reliquisti? non amicos prodidisti? non parenti manus adtulisti? non denique in omni dedecore uolu- tatus es'? — Haec exornatio cum multum uenustatis habit tum grafS. 308Juitatis et acrimoniae plurimum. Quare uidetur esse adhibenda et ad ornandam et ad exaugendam orationem. — Conuersio est, per quam non, ut ante, primum repetimus uerbum, sed ad postremum continenter reuertimur, hoc modo: Poenos populus Romanus iustitia uicit, armis uicit, liberalitate uicit'. — Item: Ex quo tempore con- cordia de ciuitate sublata est, libertas sublata est, fides sublata est, amicitia sublata est, res publica sublata est'. — Item: C. Laelius homo nouus erat, ingeniosus erat, doctus erat, bonis uiris et studiis amicus erat: ergo in ciuitate primus erat’. — Item: Nam cum istos, ut absoluant te, rogas, ut peiurent, rogas, ut exeistimationem neglegant, rogas, ut leges populi Romani tuae libidini largiantur, rogas'. — f§ 20 Kap. 4] Conplexio est, quae utramque conplectitur exornationem, ** [ut et conversione et repetitione] utamur, quam ante exposuimus, et ut repetatur idem uerbum saepius et crebro ad idem postremum reuertamur, hoc modo: [S. 309] Qui sunt, qui foedera saepe ruperunt? Kartaginienses. Qui sunt, qui crudelissime bellum gesserunt? Kartaginienses. Qui sunt, qui Italiam deformauerunt? Kartaginienses. Qui sunt, qui sibi postulent ignosci? Kartaginienses. Videte ergo, quam conueniat eos inpetrare’. — Item: Quem senatus damnarit, quem populus Romanus damnarit, quem omnium exeisti- matio damnarit, eum uos sententiis uestris absoluatis? Mit den drei dem Parallelismus und der symmetrischen Responsion der Satzglieder dienenden Figuren Compar, Similiter cadens, Similiter desinens in einer Reihe steht die Adnominatio. Auch sie ist im eminenten Sinne eine Gorgianische Figur. Auch sie kann die parallele Satzgliederung markieren, aber sie fordert häufig nur kleine Satzein- schnitte und steht unter Umständen als bloßes Zierstück ohne architek- tonische Bedeutung. Die Herennius-Rhetorik, die, wie gesagt, einen besonderen Typus dieser Adnominatio in der eigenen Darstellung gern einfließen läßt (temperare-obtemperare), behandelt sie in allen ihren Formen mit liebevollem Eingehen. Ich gebe den betreffenden Abschnitt
III. Die zweite Briefmustersammlung. 123 Glosse den Color der Conuersio (Epipher, s. zu Nr. 68, Z. 18) und der Conpleccio (zu Nr. 68, Z. 20) sowie der Repeticio (Anapher, s. zu Nr. 68, Z. 32 ff.). Uber sie lehrt die Herennius-Rhetorik das Folgende: Auct. ad Her. IV 13, 19—14, 20, S. 307—309: Repetitio est, cum continenter ab uno atque eodem uerbo in rebus similibus et diuersis principia sumuntur, hoc modo: Vobis istuc adtribuen- dum est, uobis gratia est habenda, uobis ista res erit honori'. — Item: Scipio Numantiam sustulit, Scipio ciuitatem seruauit’. — Item: Tu in forum pro- dire, tu lucem conspicere, tu in horum conspectum uenire conaris? audes uerbum facere?audes quicquam ab istis petere? audes supplicium deprecari? Quid est, quod possis defendere? quid est, quod audeas postulare? quid est, quod tibi concedi putes oportere? Non ius iurandum reliquisti? non amicos prodidisti? non parenti manus adtulisti? non denique in omni dedecore uolu- tatus es'? — Haec exornatio cum multum uenustatis habit tum grafS. 308Juitatis et acrimoniae plurimum. Quare uidetur esse adhibenda et ad ornandam et ad exaugendam orationem. — Conuersio est, per quam non, ut ante, primum repetimus uerbum, sed ad postremum continenter reuertimur, hoc modo: Poenos populus Romanus iustitia uicit, armis uicit, liberalitate uicit'. — Item: Ex quo tempore con- cordia de ciuitate sublata est, libertas sublata est, fides sublata est, amicitia sublata est, res publica sublata est'. — Item: C. Laelius homo nouus erat, ingeniosus erat, doctus erat, bonis uiris et studiis amicus erat: ergo in ciuitate primus erat’. — Item: Nam cum istos, ut absoluant te, rogas, ut peiurent, rogas, ut exeistimationem neglegant, rogas, ut leges populi Romani tuae libidini largiantur, rogas'. — f§ 20 Kap. 4] Conplexio est, quae utramque conplectitur exornationem, ** [ut et conversione et repetitione] utamur, quam ante exposuimus, et ut repetatur idem uerbum saepius et crebro ad idem postremum reuertamur, hoc modo: [S. 309] Qui sunt, qui foedera saepe ruperunt? Kartaginienses. Qui sunt, qui crudelissime bellum gesserunt? Kartaginienses. Qui sunt, qui Italiam deformauerunt? Kartaginienses. Qui sunt, qui sibi postulent ignosci? Kartaginienses. Videte ergo, quam conueniat eos inpetrare’. — Item: Quem senatus damnarit, quem populus Romanus damnarit, quem omnium exeisti- matio damnarit, eum uos sententiis uestris absoluatis? Mit den drei dem Parallelismus und der symmetrischen Responsion der Satzglieder dienenden Figuren Compar, Similiter cadens, Similiter desinens in einer Reihe steht die Adnominatio. Auch sie ist im eminenten Sinne eine Gorgianische Figur. Auch sie kann die parallele Satzgliederung markieren, aber sie fordert häufig nur kleine Satzein- schnitte und steht unter Umständen als bloßes Zierstück ohne architek- tonische Bedeutung. Die Herennius-Rhetorik, die, wie gesagt, einen besonderen Typus dieser Adnominatio in der eigenen Darstellung gern einfließen läßt (temperare-obtemperare), behandelt sie in allen ihren Formen mit liebevollem Eingehen. Ich gebe den betreffenden Abschnitt
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124 hier im Wortlaut und schließe ihm an den darauf zurückweisenden Teil der Glosse unseres Briefmusterbuchs, der an den Brief Texte Nr. 71 an- knüpft und unten (S. 103f.) nicht abgedruckt ist. Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. Auct. ad Her. IV 21, 29—22, 31, S. 320—23. Adnominatio est, cum ad idem uerbum et nomen acceditur com mutatione uocum aut litterarum, ut ad res dissimiles similia uerba adcommodentur. Ea multis et uariis rationibus conficitur. — Adtenuatione aut conplexione eius- dem litterae sic: Hic, qui se magnifice iactat atque ostentat, uenit [war ver- kauft] ante, quam Romam uenit'. Et ex contrario: Hic, quos homines alea uincit [in Bande legt], eos ferro statim uincit’. — Productione eiusdem litterae hoc modo: Hinc auium dulcedo ducit ad auïum'. [S. 321] Breuitate eiusdem litterae: Hic, tametsi uidetur esse honoris cupidus, tantum tamen curiam diligit, quantum Curiam’? — Addendis litteris hoc pacto: Hic sibi posset temperare, nisi amorei mallet obtemperare’. — Demendis nunc litteris sic: Si lenones uitasset tamquam leones, uitae tradidisset se'. Transferendis litteris sic: Videte, iudices utrum hominei nauo an uano credere malitis’. — Commutandis hoc modo: Dilegere oportet, quem uelis diligere'. Hae sunt adnominationes, quae in litterarum breui commutatione aut productione aut transiectione aut aliquo huiusmodi genere uersantur. [Kap. 22] Sunt autem aliae, quae non habent tam propinquam in uerbis similitudinem et tamen dissimiles non sunt; quibus de generibus unum est huiusmodi: Quid ueniam, qui sim, quare ueniam, quem insimulem, cui prosim, quae postulem, breui cognoscetis'. Nam hic est in quibusdam uerbis quaedam similitudo [S. 322] non tam perfecta, quam illae superiores, sed tamen adhibenda nonnumquam. Alterum genus huiusmodi: Demus operam, Quirites, ne omnino patres conscripti circum- scripti putentur' [von Quintilian IX 3, 72 als pessimum gerigt]. Haec adnominatio magis accedit ad similitudinem quam superior, sed minus quam illae superiores, propterea quod non solum additae, sed uno tempore demptae quoque litterae sunt. Tertium genus est, quod uersatur iu casüm commutatione aut unius aut plurium nominum. Unius nominis hoc modo: Alexander Macedo summo labore animum ad uirtutem a pueritia confirmauit. Alexandri uirtutes per orbem terrae cum laude et gloria uulgatae sunt. Alexandrum omnes maxime metuerant, idem plurimum dilexerunt. Alexandro si uita data longior esset, trans Oceanum acies Macedonum transuolasset'. Variose hic unum nomen in commutatione casuum volutatum est. Plura nomina casibus conmutatis hoc modo facient (ad)nominationem: Tiberium Graccum rem publicam administrantem [S. 323] prohibuit indigna nex dintius in eo commorari. Gaio Gracco similis occis(i)o est oblata, quae uirum rei publicae amantissimum subito de sinu ciuitatis eripuit. Saturninum fide captum malorum perfidia (per) scelus uita priuauit. Tuus, o Druse, sanguis domesticos parietes et uultum parentis aspersit. Sulpicio, qui paulo ante omnia concedebant, eum breui spatio non modo uiuere, sed etiam sepelirei pro- hibuerunt’.
124 hier im Wortlaut und schließe ihm an den darauf zurückweisenden Teil der Glosse unseres Briefmusterbuchs, der an den Brief Texte Nr. 71 an- knüpft und unten (S. 103f.) nicht abgedruckt ist. Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. Auct. ad Her. IV 21, 29—22, 31, S. 320—23. Adnominatio est, cum ad idem uerbum et nomen acceditur com mutatione uocum aut litterarum, ut ad res dissimiles similia uerba adcommodentur. Ea multis et uariis rationibus conficitur. — Adtenuatione aut conplexione eius- dem litterae sic: Hic, qui se magnifice iactat atque ostentat, uenit [war ver- kauft] ante, quam Romam uenit'. Et ex contrario: Hic, quos homines alea uincit [in Bande legt], eos ferro statim uincit’. — Productione eiusdem litterae hoc modo: Hinc auium dulcedo ducit ad auïum'. [S. 321] Breuitate eiusdem litterae: Hic, tametsi uidetur esse honoris cupidus, tantum tamen curiam diligit, quantum Curiam’? — Addendis litteris hoc pacto: Hic sibi posset temperare, nisi amorei mallet obtemperare’. — Demendis nunc litteris sic: Si lenones uitasset tamquam leones, uitae tradidisset se'. Transferendis litteris sic: Videte, iudices utrum hominei nauo an uano credere malitis’. — Commutandis hoc modo: Dilegere oportet, quem uelis diligere'. Hae sunt adnominationes, quae in litterarum breui commutatione aut productione aut transiectione aut aliquo huiusmodi genere uersantur. [Kap. 22] Sunt autem aliae, quae non habent tam propinquam in uerbis similitudinem et tamen dissimiles non sunt; quibus de generibus unum est huiusmodi: Quid ueniam, qui sim, quare ueniam, quem insimulem, cui prosim, quae postulem, breui cognoscetis'. Nam hic est in quibusdam uerbis quaedam similitudo [S. 322] non tam perfecta, quam illae superiores, sed tamen adhibenda nonnumquam. Alterum genus huiusmodi: Demus operam, Quirites, ne omnino patres conscripti circum- scripti putentur' [von Quintilian IX 3, 72 als pessimum gerigt]. Haec adnominatio magis accedit ad similitudinem quam superior, sed minus quam illae superiores, propterea quod non solum additae, sed uno tempore demptae quoque litterae sunt. Tertium genus est, quod uersatur iu casüm commutatione aut unius aut plurium nominum. Unius nominis hoc modo: Alexander Macedo summo labore animum ad uirtutem a pueritia confirmauit. Alexandri uirtutes per orbem terrae cum laude et gloria uulgatae sunt. Alexandrum omnes maxime metuerant, idem plurimum dilexerunt. Alexandro si uita data longior esset, trans Oceanum acies Macedonum transuolasset'. Variose hic unum nomen in commutatione casuum volutatum est. Plura nomina casibus conmutatis hoc modo facient (ad)nominationem: Tiberium Graccum rem publicam administrantem [S. 323] prohibuit indigna nex dintius in eo commorari. Gaio Gracco similis occis(i)o est oblata, quae uirum rei publicae amantissimum subito de sinu ciuitatis eripuit. Saturninum fide captum malorum perfidia (per) scelus uita priuauit. Tuus, o Druse, sanguis domesticos parietes et uultum parentis aspersit. Sulpicio, qui paulo ante omnia concedebant, eum breui spatio non modo uiuere, sed etiam sepelirei pro- hibuerunt’.
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III. Die zweite Briefmustersammlung. 125 Glosse xu Texte Nr. 71 (unten S. 103f.), P. Bl. 122". Notandum primus color qui hic tangitur, vocatur Annominacio [igno- minacio Hs.] et fit quando in clausulis ponuntur dicciones que propter con- uenienciam litterarum et sillabarum faciliter adinficem [so!] possunt trans- mutari, ut ibi: Studenti quem cordis intimo curarum cura etc. decorose decore', que dicciones conueniunt in litteris c et d et in sillabis co et decor [co et do Hs.]. Secundus color vocatur Subieccio et fit quando prima interrogacio et eciam responsio interemitur, ut ibi : 'Cur etenim ſcurent enim Hs.] sociorum gratissime', etc. et respondetur: Forte siquidem mei moris et cetera et responsio distruitur ad mulierum quamquam consorcia'. Wir haben hier ein sicheres Anzeichen dafür, daß dem Verfasser dieses Scholarenbriefs eine rhetorische Anleitung vorlag, die auf das Herenniusbuch zurückgeht. Denn weil in diesem, an sich nicht will- kürlich, auf die Adnominatio unmittelbar die davon ganx verschiedene Figur der Subiectio folgt, verbindet der Scholar in seiner Ubungsepistel den color der Adnominatio und der Subjectio. Die Beschreibung dieser lautet in der anonymen Lehrschrift folgendermaßen: Auct. ad Her. IV 23, 33—24, S. 324—325. Subiectio est, cum interrogamus aduersarios aut quaerimus ipsi, quid ab illis aut quid contra nos dici possit, dein subicimus id, quod oportet dici aut non oportet aut nobis adiumento futurum sit aut offuturum sit contrario, hoc modo: Quaero igitur, unde iste tam pecuniosus factus sit. Amplum patrimonium relictum est? At patris bona uenierunt. Hereditas aliqua uenit? Non potest dici, sed etiam a necessariis omnibus exhereditatus est. Praemium aliquod ex lite aut iudicio cepit? Non modo id non fecit, sed etiam insuper ipse grandi sponsione uictus est. Ergo, si his rationibus locuple- tatus non est, sicut omnes uidetis, aut isti domi nascitur aurum aut, unde non est licitum, pecunias cepit'. [24. Kap.] Item.: Saepe, iudices, animum aduerti multos aliqua ex honesta re, quam ne inimici quidem criminari possint, [S. 325] sibi praesi- dium petere. Quorum nihil potest aduersarius facere. Nam utrum ad patris eius uirtutem confugiet? At eum uos iurati capite damnastis. An ad suam uitam reuertetur? Quam uitam aut ubi honeste tractatam? Nam hic quidem ante oculos uestros quomodo uixerit, scitis omnes. At cognatos suos enumerabit, quibus uos conueniat commoueri. At hi quidem nulli sunt. Amicos proferet. At nemo est, qui sibi non turpe putet istius amicum nominari'. Item: Credo, inimicum, quem nocentem putabas, in iudicium adduxisti? Non: nam indemnatum necasti. Leges quae id facere prohibent, ueritus? At ne scriptas quidem iudicasti. Cum ipse te ueteris amicitiae commone- faceret, commotus es? At nihilominus, sed etiam studiosius occidisti. Quid? cum tibi pueri ad pedes uolutarentur, misericordia motus es? At eorum patrem crudelissime sepultura quoque prohibuisti'.
III. Die zweite Briefmustersammlung. 125 Glosse xu Texte Nr. 71 (unten S. 103f.), P. Bl. 122". Notandum primus color qui hic tangitur, vocatur Annominacio [igno- minacio Hs.] et fit quando in clausulis ponuntur dicciones que propter con- uenienciam litterarum et sillabarum faciliter adinficem [so!] possunt trans- mutari, ut ibi: Studenti quem cordis intimo curarum cura etc. decorose decore', que dicciones conueniunt in litteris c et d et in sillabis co et decor [co et do Hs.]. Secundus color vocatur Subieccio et fit quando prima interrogacio et eciam responsio interemitur, ut ibi : 'Cur etenim ſcurent enim Hs.] sociorum gratissime', etc. et respondetur: Forte siquidem mei moris et cetera et responsio distruitur ad mulierum quamquam consorcia'. Wir haben hier ein sicheres Anzeichen dafür, daß dem Verfasser dieses Scholarenbriefs eine rhetorische Anleitung vorlag, die auf das Herenniusbuch zurückgeht. Denn weil in diesem, an sich nicht will- kürlich, auf die Adnominatio unmittelbar die davon ganx verschiedene Figur der Subiectio folgt, verbindet der Scholar in seiner Ubungsepistel den color der Adnominatio und der Subjectio. Die Beschreibung dieser lautet in der anonymen Lehrschrift folgendermaßen: Auct. ad Her. IV 23, 33—24, S. 324—325. Subiectio est, cum interrogamus aduersarios aut quaerimus ipsi, quid ab illis aut quid contra nos dici possit, dein subicimus id, quod oportet dici aut non oportet aut nobis adiumento futurum sit aut offuturum sit contrario, hoc modo: Quaero igitur, unde iste tam pecuniosus factus sit. Amplum patrimonium relictum est? At patris bona uenierunt. Hereditas aliqua uenit? Non potest dici, sed etiam a necessariis omnibus exhereditatus est. Praemium aliquod ex lite aut iudicio cepit? Non modo id non fecit, sed etiam insuper ipse grandi sponsione uictus est. Ergo, si his rationibus locuple- tatus non est, sicut omnes uidetis, aut isti domi nascitur aurum aut, unde non est licitum, pecunias cepit'. [24. Kap.] Item.: Saepe, iudices, animum aduerti multos aliqua ex honesta re, quam ne inimici quidem criminari possint, [S. 325] sibi praesi- dium petere. Quorum nihil potest aduersarius facere. Nam utrum ad patris eius uirtutem confugiet? At eum uos iurati capite damnastis. An ad suam uitam reuertetur? Quam uitam aut ubi honeste tractatam? Nam hic quidem ante oculos uestros quomodo uixerit, scitis omnes. At cognatos suos enumerabit, quibus uos conueniat commoueri. At hi quidem nulli sunt. Amicos proferet. At nemo est, qui sibi non turpe putet istius amicum nominari'. Item: Credo, inimicum, quem nocentem putabas, in iudicium adduxisti? Non: nam indemnatum necasti. Leges quae id facere prohibent, ueritus? At ne scriptas quidem iudicasti. Cum ipse te ueteris amicitiae commone- faceret, commotus es? At nihilominus, sed etiam studiosius occidisti. Quid? cum tibi pueri ad pedes uolutarentur, misericordia motus es? At eorum patrem crudelissime sepultura quoque prohibuisti'.
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126 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. Die Herennius-Rhetorik schärft allerdings mit Nachdruck ein, daß Similiter cadens und Similiter desinens, sowie die in ihrer Darstellung auf sie folgende Adnominatio, über deren eine Form (den Typus tem- perare-obtemperare) ich bereits (oben S. 115 f.) sprach, in ernsthafter und hoher Rede (cum in ueritate dicimus) nur sehr selten gebraucht werden darf, weil durch ihre Häufung der beabsichtigte Eindruck gemindert werde. Denn in diesen Figuren sei zwar Anmut und Festlichkeit, aber nicht Würde und Schönheit. Anmutige und symmetrische Stil- gebilde (lepida et concinna) brächten schnell Uberdruß hervor, dagegen könnten großartige und schöne (ampla atque pulcra) lange gefallen. Durch beständige Verwendung jener enstehe ein kindischer Stil (puerilis elocutio). Das ist das alte tadelnde Stichwort (uelpakióons Xéžig) gegen die Manier der Gorgias und Hegesias. Dagegen meint der Ver- fasser, wenn man diese Figuren selten und in der ganzen Rede verstreut anbringe, dann vertrügen sie sich auch mit der grauitas (der hohen Redegattung) und man empfinde sie wie mannigfaltige erhellende Lichter des Kolorits. Cicero ging theoretisch in der Verwarnung vor diesen Gorgianischen Figuren noch weiter, ohne in seiner Praxis sich selbst danach ganx zu richten: er wollte sie von der hohen Redegattung völlig ausschließen und nur in der mittleren dulden (s. oben S. 87f.). Der Verfasser des Herenniusbuchs verrät die bereits bemerkte (oben S. 96f.) Inkonsequenx am stärksten in bexug auf die Adnominatio, die er hier theoretisch ganx allgemein vom häufigen Gebrauch ausschließt und deren eine sehr auffallende und charakteristische Form (den Typus temperare- obtemperare) er selbst, wie ich oben (S. 123) xeigte, in seiner Darstellung mit Vorliebe anwendet. Die Vorschrift der Herennius-Rhetorik stehe wegen ihrer für sie besonders charakteristischen Stilisierung im Wort- laut hier: Auct. ad Her. IV 22—23, 32, S. 323—24. Haec tria proxima genera exornationum, quorum unum in similiter cadentibus, alterum in similiter desinentibus uerbis, tertium in ad- nominationibus positum est, perraro sumenda sunt, cum in ueritate dicimus, propterea quod non haec uidentur reperiri posse sine elaboratione et sumptione operae; eius modi autem studia ad delectationem quam ad [Kap. 23] ueritatem uidentur adcommodatiora. Quare fides et grauitas et seueritas oratoria minuitur his exornationibus frequenter conlocatis et non modo tollitur auctoritas dicendi, sed offenditur quoque in eiusmodi oratione. propterea quod est in his lepos et festiuitas, non dignitas neque pul- critudo. Quare, quae sunt ampla atque pulcra, diu placere possunt; fS. 324] quae lepida et concinna, cito satietate adficiunt aurium sensum fasti- diosissimum. Quomodo igitur, si crebro his generibus utemur, puerili uidemur elocutione delectari, item, si raro interseremus has exornationes et in causa tota uarie dispergemus, commode luminibus distinctis inlustra- bimus orationem.
126 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. Die Herennius-Rhetorik schärft allerdings mit Nachdruck ein, daß Similiter cadens und Similiter desinens, sowie die in ihrer Darstellung auf sie folgende Adnominatio, über deren eine Form (den Typus tem- perare-obtemperare) ich bereits (oben S. 115 f.) sprach, in ernsthafter und hoher Rede (cum in ueritate dicimus) nur sehr selten gebraucht werden darf, weil durch ihre Häufung der beabsichtigte Eindruck gemindert werde. Denn in diesen Figuren sei zwar Anmut und Festlichkeit, aber nicht Würde und Schönheit. Anmutige und symmetrische Stil- gebilde (lepida et concinna) brächten schnell Uberdruß hervor, dagegen könnten großartige und schöne (ampla atque pulcra) lange gefallen. Durch beständige Verwendung jener enstehe ein kindischer Stil (puerilis elocutio). Das ist das alte tadelnde Stichwort (uelpakióons Xéžig) gegen die Manier der Gorgias und Hegesias. Dagegen meint der Ver- fasser, wenn man diese Figuren selten und in der ganzen Rede verstreut anbringe, dann vertrügen sie sich auch mit der grauitas (der hohen Redegattung) und man empfinde sie wie mannigfaltige erhellende Lichter des Kolorits. Cicero ging theoretisch in der Verwarnung vor diesen Gorgianischen Figuren noch weiter, ohne in seiner Praxis sich selbst danach ganx zu richten: er wollte sie von der hohen Redegattung völlig ausschließen und nur in der mittleren dulden (s. oben S. 87f.). Der Verfasser des Herenniusbuchs verrät die bereits bemerkte (oben S. 96f.) Inkonsequenx am stärksten in bexug auf die Adnominatio, die er hier theoretisch ganx allgemein vom häufigen Gebrauch ausschließt und deren eine sehr auffallende und charakteristische Form (den Typus temperare- obtemperare) er selbst, wie ich oben (S. 123) xeigte, in seiner Darstellung mit Vorliebe anwendet. Die Vorschrift der Herennius-Rhetorik stehe wegen ihrer für sie besonders charakteristischen Stilisierung im Wort- laut hier: Auct. ad Her. IV 22—23, 32, S. 323—24. Haec tria proxima genera exornationum, quorum unum in similiter cadentibus, alterum in similiter desinentibus uerbis, tertium in ad- nominationibus positum est, perraro sumenda sunt, cum in ueritate dicimus, propterea quod non haec uidentur reperiri posse sine elaboratione et sumptione operae; eius modi autem studia ad delectationem quam ad [Kap. 23] ueritatem uidentur adcommodatiora. Quare fides et grauitas et seueritas oratoria minuitur his exornationibus frequenter conlocatis et non modo tollitur auctoritas dicendi, sed offenditur quoque in eiusmodi oratione. propterea quod est in his lepos et festiuitas, non dignitas neque pul- critudo. Quare, quae sunt ampla atque pulcra, diu placere possunt; fS. 324] quae lepida et concinna, cito satietate adficiunt aurium sensum fasti- diosissimum. Quomodo igitur, si crebro his generibus utemur, puerili uidemur elocutione delectari, item, si raro interseremus has exornationes et in causa tota uarie dispergemus, commode luminibus distinctis inlustra- bimus orationem.
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III. Die zweite Briefmustersammlung. 127 Die Scholarenbriefe unseres schlesisch-böhmischen Briefstellers gehören, wie sich zeigte, zu der altererbten Gattung der rhetorischen Progymnas- mata oder Praeexercitamenta. Der Inhalt dieser vorbereitenden schriftlichen Schulübungen hatte sich seit dem Altertum im Laufe der Jahrhunderte gewandelt, die Einrichtung selbst war nicht untergegangen, so wenig die Kontinuität der grammatisch- rhetorischen Schule und die Pflege der Lateinkenntnis jemals völlig erloschen ist. Nur der Grad und die Wärme des Eifers, das geistige Verhältnis dazu wechselt. Das Problem der Renaissance ist deshalb immer noch von einem Wall schiefer, unklarer, falscher Urteile umringt, weil man nicht begreifen will, daß cigentliche Brüche und Sprünge im geschicht- lichen Leben der menschlichen geistigen Kultur nicht vorkommen. Alles wird und wächst in fortwährender Weiterbildung, Umbildung, Rück- bildung, Neubildung, und die großen Persönlichkeiten, die uns als Ur- heber, Anheber, Schöpfer erscheinen, sind doch im Grunde nur genialisch vorahnende Säer und Gärtner, die — oft im Kampfe gegen ihre Zeit und die Masse der Mitlebenden — das Geheimnis kennen, welchen Pflanzen die Zukunft gehört, weil sie verborgenes Seelenbedürfnis stillen, und die darum diesen all ihre Liebe und Sorge zuwenden. Die alten Künste der Antithesen und Responsionen in parallelen, symmetrischen Satzgliedern mit allerlei Klingklang der Alliteration, der Assonanz, des Reims, die hier an der Südostecke Deutschlands vom Zeitgeist leise berührte Zöglinge der Prager Universität und Hofkanzlei für den kleinen Bedarf ihres schlesischen Lehr- und Schreibberufs sich zurecht schneiden, wurden im Jahrhundert der werdenden Renaissance von allen humanistischen Geistern in der vermeintlichen Rhetorik des göttlichen Tullius als ctwas Neucs, d. h. dem eigenen Seelendrange Heil- sames begrüßt, aufgegriffen und der eigencn Schriftstellerei angepaßt. Im Jahre 1356 läßt der Kanzler des Poetenkollegiums von Toulouse, Guilhem Molinier, in seinen Flors del gay saber estier dichas las leys d'amors (Blumen der fröhlichen Wissenschaft, anders genannt die Gesetze der Liebe"), worin eine Lautlehre, Verslehre und Poetik, Formenlehre, Rhetorik und Anweisung zum Dichten geboten wird, die Frau Rhetorica aus ihrem schönen Garten voller vielfarbiger Rosen jeder ihrer Töchter Blumen verschiedener Farbe geben, z. B. Anaphora, Paronomasia, Similiter cadens, Similiter desinens, Antitheton 1. Bekanntlich sind die beiden großen Führer der Renaissance und Erneuerer der italienischen Dichtung, Dante wie Petrarca, Schüler der provenzalischen Troubadourpocsie. Es hat daher nichts befremdliches, daß auch die gelehrte Theorie, die an die Trou- badourkunst sich anschloß, und jene sic pflegende, damals schon meist 1 Herausgegeben von M. Gatien-Arnoult, Monuments de la litterature romane, Toulouse 1843, Vol. III, S. 20ff. (angeführt von Norden, Antike Kunstprosa II 872 Anm. 871 Anm. 1 und 825 f. Anm. 2 Nr. 4); vgl. Suchier, Geschichte der französ. Literatur? I S. 87. 96).
III. Die zweite Briefmustersammlung. 127 Die Scholarenbriefe unseres schlesisch-böhmischen Briefstellers gehören, wie sich zeigte, zu der altererbten Gattung der rhetorischen Progymnas- mata oder Praeexercitamenta. Der Inhalt dieser vorbereitenden schriftlichen Schulübungen hatte sich seit dem Altertum im Laufe der Jahrhunderte gewandelt, die Einrichtung selbst war nicht untergegangen, so wenig die Kontinuität der grammatisch- rhetorischen Schule und die Pflege der Lateinkenntnis jemals völlig erloschen ist. Nur der Grad und die Wärme des Eifers, das geistige Verhältnis dazu wechselt. Das Problem der Renaissance ist deshalb immer noch von einem Wall schiefer, unklarer, falscher Urteile umringt, weil man nicht begreifen will, daß cigentliche Brüche und Sprünge im geschicht- lichen Leben der menschlichen geistigen Kultur nicht vorkommen. Alles wird und wächst in fortwährender Weiterbildung, Umbildung, Rück- bildung, Neubildung, und die großen Persönlichkeiten, die uns als Ur- heber, Anheber, Schöpfer erscheinen, sind doch im Grunde nur genialisch vorahnende Säer und Gärtner, die — oft im Kampfe gegen ihre Zeit und die Masse der Mitlebenden — das Geheimnis kennen, welchen Pflanzen die Zukunft gehört, weil sie verborgenes Seelenbedürfnis stillen, und die darum diesen all ihre Liebe und Sorge zuwenden. Die alten Künste der Antithesen und Responsionen in parallelen, symmetrischen Satzgliedern mit allerlei Klingklang der Alliteration, der Assonanz, des Reims, die hier an der Südostecke Deutschlands vom Zeitgeist leise berührte Zöglinge der Prager Universität und Hofkanzlei für den kleinen Bedarf ihres schlesischen Lehr- und Schreibberufs sich zurecht schneiden, wurden im Jahrhundert der werdenden Renaissance von allen humanistischen Geistern in der vermeintlichen Rhetorik des göttlichen Tullius als ctwas Neucs, d. h. dem eigenen Seelendrange Heil- sames begrüßt, aufgegriffen und der eigencn Schriftstellerei angepaßt. Im Jahre 1356 läßt der Kanzler des Poetenkollegiums von Toulouse, Guilhem Molinier, in seinen Flors del gay saber estier dichas las leys d'amors (Blumen der fröhlichen Wissenschaft, anders genannt die Gesetze der Liebe"), worin eine Lautlehre, Verslehre und Poetik, Formenlehre, Rhetorik und Anweisung zum Dichten geboten wird, die Frau Rhetorica aus ihrem schönen Garten voller vielfarbiger Rosen jeder ihrer Töchter Blumen verschiedener Farbe geben, z. B. Anaphora, Paronomasia, Similiter cadens, Similiter desinens, Antitheton 1. Bekanntlich sind die beiden großen Führer der Renaissance und Erneuerer der italienischen Dichtung, Dante wie Petrarca, Schüler der provenzalischen Troubadourpocsie. Es hat daher nichts befremdliches, daß auch die gelehrte Theorie, die an die Trou- badourkunst sich anschloß, und jene sic pflegende, damals schon meist 1 Herausgegeben von M. Gatien-Arnoult, Monuments de la litterature romane, Toulouse 1843, Vol. III, S. 20ff. (angeführt von Norden, Antike Kunstprosa II 872 Anm. 871 Anm. 1 und 825 f. Anm. 2 Nr. 4); vgl. Suchier, Geschichte der französ. Literatur? I S. 87. 96).
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128 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. aus studierten Männern, Juristen und Klerikern bestehende überaus heitere Gesellschaft' (la sobre gaya companhia) von Toulouse, der die Poesie eine frohe Wissenschaft war, begierig und voller Ehr- furcht nach dem rhetorischen Perlenkranz langte, den das anscheinend vom Meister Tullius verfaßte Lehrbuch an Herennius zur Schau stellte, und ihn allen Freunden edler und feierlichschöner Redekunst zeigen wollte. Humanistenstil und Renaissancestimmung sind auf demselben geistigen Boden gewachsen, aus den gleichen Quellen des Kunstempfindens ge- speist wie die uns meistersängerisch anmutenden Bemühungen jener gelehrten sieben Aufrechterhalter der fröhlichen Wissenschaft' und ihres Kanzlers in Toulouse. Aufgabe der geschichtlichen Erkenntnis ist es, diese Gemeinsamkeiten, diese Vorbereitung, dieses Empfänglichwerden des mittelalterlichen Erdreichs für neue Saat und neue Triebe festzu- stellen, dann aber auch xur Anschauung zu bringen, wann und wo und wie, durch welche großen Erwecker aus der allmählichen Wandlung ein neues Wachstum emporstieg, längst geahnt, ersehnt und doch fremdartig, an- gestaunt, bekämpft, über allem Streit der Generationen siegreich sich durchsetzend, aber dem Fernblick des Forschers meßbar nach seinen Vergangenheits- und Zukunfts-Elementen. Für die Sprache der Herennius-Rhetorik und den allgemeinen Kanon der Kunstsprache, den sie aufgestellt hat, ist indessen vielleicht charak- teristischer und folgenreicher als alles übrige jene oben (S. 110f.) bereits gestreifte Häufung von Synonymen: die zwei- oder dreigliedrige Verbindung sinnverwandter, bisweilen auch sinngleicher Worte zur Be- zeichnung eines Begriffs. Diese so überaus hervorstechende Eigentüm- lichkeit stammt aus der sophistisch-asianischen Concinnität' der Satz- bildung, dem kommatischen Stil mit symmetrischem, pointiertem, sen- tenzenhaftem Parallelismus und durchgehender Rhythmisierung. Aber sie war dann auch in den periodischen Stil eingedrungen und erscheint auch in jenem zweiten Typus des Asianismus, den strömende Periodik, feierliche Fülle des Ausdrucks und gebundener rhythmischer Satzschluß charakterisiert. Mit Recht hat schon Norden darauf hingewiesen, wie diese colores der gesamten Frührenaissance als das Triumphalzeichen der wahren Beredsamkeit und damit der newen erstrebten humanistischen Bildung erschienen1. Nicht etwa nur die eigentlichen Gelehrten dachten so. Gerade die Künstler und die Dichter kannten die altererbte Farben- palette der Rhetorik und machten ihr mehr oder minder ernsthaft und begeistert, selten nur mit leiser Ironie ihre Reverenz. Um die Mitte des 14. Jahrhunderts zeigte zu Florenx ein Fresko des Taddeo Gaddi die Rhetorik in Person und legte ihr eine Rolle in die Hand mit dem Spruch- 1 Norden, Antike Kunstprosa II 872 Anm., wo auch für das Folgende die Nachweise gegeben sind.
128 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. aus studierten Männern, Juristen und Klerikern bestehende überaus heitere Gesellschaft' (la sobre gaya companhia) von Toulouse, der die Poesie eine frohe Wissenschaft war, begierig und voller Ehr- furcht nach dem rhetorischen Perlenkranz langte, den das anscheinend vom Meister Tullius verfaßte Lehrbuch an Herennius zur Schau stellte, und ihn allen Freunden edler und feierlichschöner Redekunst zeigen wollte. Humanistenstil und Renaissancestimmung sind auf demselben geistigen Boden gewachsen, aus den gleichen Quellen des Kunstempfindens ge- speist wie die uns meistersängerisch anmutenden Bemühungen jener gelehrten sieben Aufrechterhalter der fröhlichen Wissenschaft' und ihres Kanzlers in Toulouse. Aufgabe der geschichtlichen Erkenntnis ist es, diese Gemeinsamkeiten, diese Vorbereitung, dieses Empfänglichwerden des mittelalterlichen Erdreichs für neue Saat und neue Triebe festzu- stellen, dann aber auch xur Anschauung zu bringen, wann und wo und wie, durch welche großen Erwecker aus der allmählichen Wandlung ein neues Wachstum emporstieg, längst geahnt, ersehnt und doch fremdartig, an- gestaunt, bekämpft, über allem Streit der Generationen siegreich sich durchsetzend, aber dem Fernblick des Forschers meßbar nach seinen Vergangenheits- und Zukunfts-Elementen. Für die Sprache der Herennius-Rhetorik und den allgemeinen Kanon der Kunstsprache, den sie aufgestellt hat, ist indessen vielleicht charak- teristischer und folgenreicher als alles übrige jene oben (S. 110f.) bereits gestreifte Häufung von Synonymen: die zwei- oder dreigliedrige Verbindung sinnverwandter, bisweilen auch sinngleicher Worte zur Be- zeichnung eines Begriffs. Diese so überaus hervorstechende Eigentüm- lichkeit stammt aus der sophistisch-asianischen Concinnität' der Satz- bildung, dem kommatischen Stil mit symmetrischem, pointiertem, sen- tenzenhaftem Parallelismus und durchgehender Rhythmisierung. Aber sie war dann auch in den periodischen Stil eingedrungen und erscheint auch in jenem zweiten Typus des Asianismus, den strömende Periodik, feierliche Fülle des Ausdrucks und gebundener rhythmischer Satzschluß charakterisiert. Mit Recht hat schon Norden darauf hingewiesen, wie diese colores der gesamten Frührenaissance als das Triumphalzeichen der wahren Beredsamkeit und damit der newen erstrebten humanistischen Bildung erschienen1. Nicht etwa nur die eigentlichen Gelehrten dachten so. Gerade die Künstler und die Dichter kannten die altererbte Farben- palette der Rhetorik und machten ihr mehr oder minder ernsthaft und begeistert, selten nur mit leiser Ironie ihre Reverenz. Um die Mitte des 14. Jahrhunderts zeigte zu Florenx ein Fresko des Taddeo Gaddi die Rhetorik in Person und legte ihr eine Rolle in die Hand mit dem Spruch- 1 Norden, Antike Kunstprosa II 872 Anm., wo auch für das Folgende die Nachweise gegeben sind.
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III. Die zweite Briefmustersammlung. 129 band: Mulceo dum loquor varios induta colores. Und im vorletzten Jahrzehnt des Jahrhunderts läßt Chaucer, der in Italien mit italieni- scher Sprache, mit den Dichtungen Dantes, Petrarcas, Boccaccios ver- traut gewordene Begründer der englischen Renaissancedichtung, unter den Erzählern seiner Canterbury Tales den Junker und den Freisassen ihre märchenhaften Novellen mit Entschuldigungen beginnen, jenen (V. 10348— 10355), daß ihm die Kunst, von erhabenen Dingen in einem durch die Farben der Rhetorik geadelten Englisch zu sprechen, fehle, diesen (V. 11028—11038), daß seine Rede schlicht sei, da er die Rhetorik nicht gelernt, auch niemals auf dem Parnaß im Schlafe die Dichterweihe empfangen und nie den Marcus Tullius Cithero gelesen habe, daher wohl die Farben der Wiese und auf der Wand, nicht aber die Farben (colours) der Rhetorik kenne. Auch die unter den Werken des Enea Silvio ge- druckten Artis rhetorice Precepta, die von Max Herrmann dem deut- schen Frühhumanisten Albrecht von Eyb xugeschrieben werden, brin- gen als letztes Kapitel die ersten fünfundxwanxig exornationes der Herennius-Rhetorik, aus deren ersten drei Büchern schon ein italieni- sches Zitatenbuch Exxerpte zusammengestellt hatte, in hexametrischer Form, also in der mittelalterlichen, oben S. 67 f. gekennzeichneten Weise, und versuchen mit Benutxung älterer humanistischer Synonymensamm- lungen des Gasparinus Barzixius (1370—1431) und des Stephanus Fliscus eine rhetorische Phraseologie xu liefern. Diese Precepta wurden dann von Albrecht von Eyb in xweiter Auflage seiner Margarita poetica einverleibt und dabei durch eine neue um zwei Drittel reichere Ladung an synonymen Redewendungen aus Stephanus Fliscus crweitert1. Auch in der Stilkunst des Heidelberger Humanisten Peter Luder spielen die colores rhetoricales nach der für Ciceronisch gehaltenen Herennius-Rethorik 1 Max Herrmann, Albrecht von Eyb. und die Frihxeit des deutschen Humanismus, Berlin, Weidmann, 1893, S. 179—186. 92. — Einen Irrtum, den der gelehrte Verfasser selber gewiß längst bemerkt und im Stillen berich- tigt hat. erwähne ich, um falsche Schlußfolgerungen anderer xu verhüten. Herrmann meinte, wenn der Autor der Precepta behaupte, daß die Herennius- Rhetorik über die andern Teile der elocutio (d. h. dignitas und elegantia) aus- reichend gehandelt habe, müsse ihm der wirkliche Inhalt jenes Kapitels unbe- kannt gewesen sein; denn es gibt nichts dürftigeres als die wenigen Worte, die jener alte Autor über dignitas und elegantia sagt’! Dabei ist überschen, daß IV 12, 18 der Verfasser seine Erörterung mit den Worten abschließt: relicum operae (operis Var.) consumendum est in dignitate, also den Rest seiner Arbeit der Darstellung der dignitas xu widmen verspricht, dann sogleich (IV 13, 18) erklärt, die dignitas sei die Quelle der uerborum et sententiarum exornatio und in dem ganzen Rest seines Werks (IV 13, 19—55, 69), nach der rulgären Einteilung also in dessen zwei letzten Büchern (in der Ausgabe von Marx auf 67 Seiten, das ist mehr als ein Drittel des Ganxen!), wirklich diese exornatio, nach unserem Sprachgebrauch die Figuren und Tropen bespricht.
III. Die zweite Briefmustersammlung. 129 band: Mulceo dum loquor varios induta colores. Und im vorletzten Jahrzehnt des Jahrhunderts läßt Chaucer, der in Italien mit italieni- scher Sprache, mit den Dichtungen Dantes, Petrarcas, Boccaccios ver- traut gewordene Begründer der englischen Renaissancedichtung, unter den Erzählern seiner Canterbury Tales den Junker und den Freisassen ihre märchenhaften Novellen mit Entschuldigungen beginnen, jenen (V. 10348— 10355), daß ihm die Kunst, von erhabenen Dingen in einem durch die Farben der Rhetorik geadelten Englisch zu sprechen, fehle, diesen (V. 11028—11038), daß seine Rede schlicht sei, da er die Rhetorik nicht gelernt, auch niemals auf dem Parnaß im Schlafe die Dichterweihe empfangen und nie den Marcus Tullius Cithero gelesen habe, daher wohl die Farben der Wiese und auf der Wand, nicht aber die Farben (colours) der Rhetorik kenne. Auch die unter den Werken des Enea Silvio ge- druckten Artis rhetorice Precepta, die von Max Herrmann dem deut- schen Frühhumanisten Albrecht von Eyb xugeschrieben werden, brin- gen als letztes Kapitel die ersten fünfundxwanxig exornationes der Herennius-Rhetorik, aus deren ersten drei Büchern schon ein italieni- sches Zitatenbuch Exxerpte zusammengestellt hatte, in hexametrischer Form, also in der mittelalterlichen, oben S. 67 f. gekennzeichneten Weise, und versuchen mit Benutxung älterer humanistischer Synonymensamm- lungen des Gasparinus Barzixius (1370—1431) und des Stephanus Fliscus eine rhetorische Phraseologie xu liefern. Diese Precepta wurden dann von Albrecht von Eyb in xweiter Auflage seiner Margarita poetica einverleibt und dabei durch eine neue um zwei Drittel reichere Ladung an synonymen Redewendungen aus Stephanus Fliscus crweitert1. Auch in der Stilkunst des Heidelberger Humanisten Peter Luder spielen die colores rhetoricales nach der für Ciceronisch gehaltenen Herennius-Rethorik 1 Max Herrmann, Albrecht von Eyb. und die Frihxeit des deutschen Humanismus, Berlin, Weidmann, 1893, S. 179—186. 92. — Einen Irrtum, den der gelehrte Verfasser selber gewiß längst bemerkt und im Stillen berich- tigt hat. erwähne ich, um falsche Schlußfolgerungen anderer xu verhüten. Herrmann meinte, wenn der Autor der Precepta behaupte, daß die Herennius- Rhetorik über die andern Teile der elocutio (d. h. dignitas und elegantia) aus- reichend gehandelt habe, müsse ihm der wirkliche Inhalt jenes Kapitels unbe- kannt gewesen sein; denn es gibt nichts dürftigeres als die wenigen Worte, die jener alte Autor über dignitas und elegantia sagt’! Dabei ist überschen, daß IV 12, 18 der Verfasser seine Erörterung mit den Worten abschließt: relicum operae (operis Var.) consumendum est in dignitate, also den Rest seiner Arbeit der Darstellung der dignitas xu widmen verspricht, dann sogleich (IV 13, 18) erklärt, die dignitas sei die Quelle der uerborum et sententiarum exornatio und in dem ganzen Rest seines Werks (IV 13, 19—55, 69), nach der rulgären Einteilung also in dessen zwei letzten Büchern (in der Ausgabe von Marx auf 67 Seiten, das ist mehr als ein Drittel des Ganxen!), wirklich diese exornatio, nach unserem Sprachgebrauch die Figuren und Tropen bespricht.
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130 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. und echten Ciceronischen Schriften eine wichtige Rolle. Und jene den Bedürfnissen der Kanzlei dienenden südwestdeutschen Formularbücher des ausgehenden 15. Jahrhunderts, die unter dem Titel: 'Formular und teutsch Rhetorica' einen popularisierten humanistischen deutschen Stil, freilich unter arger Vergewaltigung unserer Muttersprache, mit großem Erfolge zu verbreiten strebten, haben dann den colores rhetoricales des Meisters Tullius, vor allem dem gehäuften synonymischen zwei- und dreigliedrigen Ausdruck unberechenbar Vorschub geleistet. Der Widerspruch des Lorenzo Valla gegen diesen Kult der colores rhetoricales, dem Heinrich Bebel beipflichtete, kam dagegen nicht auf, zumal er sich auch nur gegen den Namen richtete, den Kern des Stilproblems aber übersah und die äußerliche und darum naturwidrige Herübernahme des virtuosen Flitterkrams, der einer erstarrten Tradition gehörte, unangefochten ließ. So eröffnen diese Stilkünste der Scholarenbriefe Anselms von Fran- kenstein, namentlich beispielsweise das gereimte Stück in Nr. 54 der unten abgedruckten Texte (S. 85) zusammen mit den daran geknüpften Erläuterungen der Glosse, einen weiten Ausblick rückwärts und vorwärts. Sie zeigen in ihrer Abhängigkeit von der hellenistischen Stiltheorie der Schule von Rhodus, die ihnen durch die Herenniusschrift übermittelt wurde, das nie ganz abgebrochene, aber mehrfach in frischen Anläufen sich erneuende Fortwirken der beiden Manieren asianischer Rhetoren-Virtuo- sität in der mittelalterlichen Lateinsprache : der kommatischen Manier, aus der, was meines Wissens bisher noch niemals klar ausgesprochen worden ist, die mittelalterliche Reimprosa hervorging, und der periodischen Manier, die dem Mittelalter den Cursus schenkte und die Grundlage schuf für die poetische Fülle, für die Abundanz des Aus- drucks in der mittelhochdeutschen Dichtersprache eines Gottfried von Straßburg, Konrad von Würzburg und Rudolf von Ems wie für die Um- und Neuprägung des antiken Erbguts im Prosastil der Kanzlei und in der neuhochdeutschen Schriftsprache 1. 1 Vgl. daxu meine weiteren Ausführungen in meiner Akademieabhandlung Zwei- und mehrgliedrige synonymische Ausdrücke der deutschen Prosa' (Referat Sitzb. d. Berliner Akad. d. Wissensch. 1923, 26. April, S. 84; erscheint voll- ständig in den Sitzungsberichten). Eine Erhellung der oben angedeuteten Zu- sammenhänge werden teilweise auch die demnächst erscheinenden umfassenden Untersuchungen über die mittelalterliche Reimprosa von Karl Polheim brin- gen, den ich vor mehr als zehn Jahren auf die vorbildliche Macht der Heren- nius-Rhetorik hinwies.
130 Einleitung. Erstes Kapitel. Die Schlägler Briefsteller. und echten Ciceronischen Schriften eine wichtige Rolle. Und jene den Bedürfnissen der Kanzlei dienenden südwestdeutschen Formularbücher des ausgehenden 15. Jahrhunderts, die unter dem Titel: 'Formular und teutsch Rhetorica' einen popularisierten humanistischen deutschen Stil, freilich unter arger Vergewaltigung unserer Muttersprache, mit großem Erfolge zu verbreiten strebten, haben dann den colores rhetoricales des Meisters Tullius, vor allem dem gehäuften synonymischen zwei- und dreigliedrigen Ausdruck unberechenbar Vorschub geleistet. Der Widerspruch des Lorenzo Valla gegen diesen Kult der colores rhetoricales, dem Heinrich Bebel beipflichtete, kam dagegen nicht auf, zumal er sich auch nur gegen den Namen richtete, den Kern des Stilproblems aber übersah und die äußerliche und darum naturwidrige Herübernahme des virtuosen Flitterkrams, der einer erstarrten Tradition gehörte, unangefochten ließ. So eröffnen diese Stilkünste der Scholarenbriefe Anselms von Fran- kenstein, namentlich beispielsweise das gereimte Stück in Nr. 54 der unten abgedruckten Texte (S. 85) zusammen mit den daran geknüpften Erläuterungen der Glosse, einen weiten Ausblick rückwärts und vorwärts. Sie zeigen in ihrer Abhängigkeit von der hellenistischen Stiltheorie der Schule von Rhodus, die ihnen durch die Herenniusschrift übermittelt wurde, das nie ganz abgebrochene, aber mehrfach in frischen Anläufen sich erneuende Fortwirken der beiden Manieren asianischer Rhetoren-Virtuo- sität in der mittelalterlichen Lateinsprache : der kommatischen Manier, aus der, was meines Wissens bisher noch niemals klar ausgesprochen worden ist, die mittelalterliche Reimprosa hervorging, und der periodischen Manier, die dem Mittelalter den Cursus schenkte und die Grundlage schuf für die poetische Fülle, für die Abundanz des Aus- drucks in der mittelhochdeutschen Dichtersprache eines Gottfried von Straßburg, Konrad von Würzburg und Rudolf von Ems wie für die Um- und Neuprägung des antiken Erbguts im Prosastil der Kanzlei und in der neuhochdeutschen Schriftsprache 1. 1 Vgl. daxu meine weiteren Ausführungen in meiner Akademieabhandlung Zwei- und mehrgliedrige synonymische Ausdrücke der deutschen Prosa' (Referat Sitzb. d. Berliner Akad. d. Wissensch. 1923, 26. April, S. 84; erscheint voll- ständig in den Sitzungsberichten). Eine Erhellung der oben angedeuteten Zu- sammenhänge werden teilweise auch die demnächst erscheinenden umfassenden Untersuchungen über die mittelalterliche Reimprosa von Karl Polheim brin- gen, den ich vor mehr als zehn Jahren auf die vorbildliche Macht der Heren- nius-Rhetorik hinwies.
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ZWEITES KAPITEL. DIE SCHNEEBERGER UND SCHWEIDNITZER BRIEFSTELLER UND IHR VERHALTNIS ZU DEN SCHLAGLER FORMULAREN. Von Gustav Bebermeyer. I. Die Schneeberger Briefmuster. 1. Die erste Sammlung. Die lateinisch-deutschen Texte des zweiten Schlägler Briefstellers (Ab- druck Nr. 1—30) standen bereits im Satz, als Dr. Fritz Schillmann in der Gymnasialbibliothek zu Schneeberg in Sachsen eine Handschrift auffand, die z. T. (auf Bl. 1r—12V) dieselben Muster wie der Schlägler Kodex überliefert. Es handelt sich um eine Sammelhandschrift von verschiedenen Händen aus der ersten Hälfte und der Mitte des 15. Jahr- hunderts. Uber ihren verschiedenartigen Inhalt wird das dritte Kapitel dieser Einleitung (Handschriftenbeschreibung) Aufschluß geben. Um die neue Quelle nach allen Richtungen gehörig ausschöpfen zu können, wurde die Herleihung der Handschrift nach Berlin an das Hand- schriftenarchiv der Akademie erwirkt. Hier ergab nähere Prüfung als- bald, daß der Schneeberger Text (S) an kritischem Wert im allgemeinen den Schlägler (P) übertrifft, wie unten S. 136 ff. im einzelnen nachgewiesen werden wird. Manche der früher gemachten Emendationen fanden in S glatte und glückliche Bestätigung. Andere Stellen gewannen erst jetzt rechten Sinn und Ausdruck. In der Anordnung befolgt dieser erste S-Briefsteller durchweg dieselben Grundsätze wie der Paralleltext in P; aber das dort eingeschobene Mittel- stück rein lateinischer Formeln wird in S nicht überliefert. Von den lateinischen Stücken hat S nur die einleitende theoretische Abhandlung sowie den Prolog De studente ad sanctam Katherinam (Abdruck Nr. 67) aufgenommen. Daran schließen sich dann in der gleichen Reihenfolge wie in P 19 doppelsprachige Briefmuster (Abdruck Nr. 1—19). Der Rest (Nr. 20—30) fehlt in S. Im ganzen zeigt der S-Briefsteller dieselbe Gliederung und Einteilung wie in P, nur sind in S nicht die ersten fünf Briefe zu der Abteilung Forme personarum ciuilium wie in P vereinigt, sondern nur vier. Der fünfte Brief bildet in S eine eigene Ab- teilung De mercatore.
ZWEITES KAPITEL. DIE SCHNEEBERGER UND SCHWEIDNITZER BRIEFSTELLER UND IHR VERHALTNIS ZU DEN SCHLAGLER FORMULAREN. Von Gustav Bebermeyer. I. Die Schneeberger Briefmuster. 1. Die erste Sammlung. Die lateinisch-deutschen Texte des zweiten Schlägler Briefstellers (Ab- druck Nr. 1—30) standen bereits im Satz, als Dr. Fritz Schillmann in der Gymnasialbibliothek zu Schneeberg in Sachsen eine Handschrift auffand, die z. T. (auf Bl. 1r—12V) dieselben Muster wie der Schlägler Kodex überliefert. Es handelt sich um eine Sammelhandschrift von verschiedenen Händen aus der ersten Hälfte und der Mitte des 15. Jahr- hunderts. Uber ihren verschiedenartigen Inhalt wird das dritte Kapitel dieser Einleitung (Handschriftenbeschreibung) Aufschluß geben. Um die neue Quelle nach allen Richtungen gehörig ausschöpfen zu können, wurde die Herleihung der Handschrift nach Berlin an das Hand- schriftenarchiv der Akademie erwirkt. Hier ergab nähere Prüfung als- bald, daß der Schneeberger Text (S) an kritischem Wert im allgemeinen den Schlägler (P) übertrifft, wie unten S. 136 ff. im einzelnen nachgewiesen werden wird. Manche der früher gemachten Emendationen fanden in S glatte und glückliche Bestätigung. Andere Stellen gewannen erst jetzt rechten Sinn und Ausdruck. In der Anordnung befolgt dieser erste S-Briefsteller durchweg dieselben Grundsätze wie der Paralleltext in P; aber das dort eingeschobene Mittel- stück rein lateinischer Formeln wird in S nicht überliefert. Von den lateinischen Stücken hat S nur die einleitende theoretische Abhandlung sowie den Prolog De studente ad sanctam Katherinam (Abdruck Nr. 67) aufgenommen. Daran schließen sich dann in der gleichen Reihenfolge wie in P 19 doppelsprachige Briefmuster (Abdruck Nr. 1—19). Der Rest (Nr. 20—30) fehlt in S. Im ganzen zeigt der S-Briefsteller dieselbe Gliederung und Einteilung wie in P, nur sind in S nicht die ersten fünf Briefe zu der Abteilung Forme personarum ciuilium wie in P vereinigt, sondern nur vier. Der fünfte Brief bildet in S eine eigene Ab- teilung De mercatore.
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132 Zweites Kapitel. Die Schneeberger u. Schweidnitzer Briefsteller usw. 2. Die zweite Sammlung. Außer dieser ersten, mit P übereinstimmenden enthält S (Bl. 23r— 46") noch eine neue Briefsammlung mit einer einleitenden lateinischen Lob- preisung der Rhetorik (Abdruck Nr. 52) und Anmerkungen. Eine An- xahl Formulare werden nur in lateinischer, andere nur in deutscher Fassung gebracht. Doch überwiegen die zweisprachigen Texte. Von ihnen ist eine Auswahl in Nr. 31—44 unten abgedruckt. Dieser zweite S-Briefsteller reiht Muster für die Korrespondenz mit städtischen Behörden, geistlichen und weltlichen Standesherren, Laien und Klerikern in buntem Wechsel aneinander, zusammen 38 Briefe und 2 Ur- kunden. Er ist nach ganz anderen Grundsätzen geordnet und gegliedert als die Schlägler Formulare und die erste S-Sammlung. Zwischen Welt- und Ordensklerus, Adel und Bürgertum wird keine Scheidung vorge- nommen; überhaupt wird das Material nicht wie dort nach dem Stande der Briefschreiber, sondern nach Inhalt und Zweck gesichtet und zu- sammengestellt. An der Spitze stehen Geleitsbriefe (conductus), ihnen folgen Beglaubigungs- (recogniciones) und Empfehlungsschreiben (presen- taciones) usw. (vgl. die Beschreibung unten S. 160). Die im Abdruck hier vorgelegte Auswahl wurde so getroffen, daß von sechs der ihrem Inhalt nach unterschiedenen acht Gruppen prägnante Proben geboten werden. Nur die letxten beiden Abteilungen mit rein lateinischen Brief- und Urkundenmustern blieben unberücksichtigt. Auch dies zweite Schneeberger Formelbuch hat seinen Wert nicht als Geschichtsquelle und Fundgrube von historisch wichtigen Daten und Er- eignissen. Nach Aktenstücken xur politischen Geschichte würde man vergeblich darin forschen. Ebensowenig stellt es, sieht man ab von der einleitenden Betrachtung über die Rhetorik, Texte zusammen, die etwa als hervorragende rednerische Muster zu Schulübungen fingiert wären. Es will vielmehr rein praktischen Kanzleizwecken dienen. Deshalb ist ähnlich wie in dem ersten Schlägler Briefsteller der Neigung zum Schema weitgehend nachgegeben. So sind die örtlichen, persönlichen und zeitlichen Angaben meist getilgt. Nur die Adressen sind da und hier vollständig ausgeschrieben, z. B. in den Briefen an König Wenzel und in dessen Antwort an König Siegmund (Abdruck Nr. 35—37); oder in dem Brief (Nr. 38) an den nicht nachweisbaren Erzbischof Heinrich von Prag oder an den Bischof Johann von Meißen (Nr. 39), mit dem Johann Hofemann, Bischof von Meißen seit 1427, gemeint sein könnte. Im übrigen sind auch in den Suprascriptiones die genauen Bezeich- nungen ausgemerzt oder doch zu farblosen Schemen verwandelt wie Offizial in Merseburg, Bischof von Merseburg, Dekan Heinrich in Merseburg, Pfarrer Heinrich und Johann in Bautzen, Kanoniker Heinrich in Mainz. Von Orten werden außerdem Meißen, Kottbus, Prag und Wien wiederholt genannt. Bald überliefert der lateinische Text
132 Zweites Kapitel. Die Schneeberger u. Schweidnitzer Briefsteller usw. 2. Die zweite Sammlung. Außer dieser ersten, mit P übereinstimmenden enthält S (Bl. 23r— 46") noch eine neue Briefsammlung mit einer einleitenden lateinischen Lob- preisung der Rhetorik (Abdruck Nr. 52) und Anmerkungen. Eine An- xahl Formulare werden nur in lateinischer, andere nur in deutscher Fassung gebracht. Doch überwiegen die zweisprachigen Texte. Von ihnen ist eine Auswahl in Nr. 31—44 unten abgedruckt. Dieser zweite S-Briefsteller reiht Muster für die Korrespondenz mit städtischen Behörden, geistlichen und weltlichen Standesherren, Laien und Klerikern in buntem Wechsel aneinander, zusammen 38 Briefe und 2 Ur- kunden. Er ist nach ganz anderen Grundsätzen geordnet und gegliedert als die Schlägler Formulare und die erste S-Sammlung. Zwischen Welt- und Ordensklerus, Adel und Bürgertum wird keine Scheidung vorge- nommen; überhaupt wird das Material nicht wie dort nach dem Stande der Briefschreiber, sondern nach Inhalt und Zweck gesichtet und zu- sammengestellt. An der Spitze stehen Geleitsbriefe (conductus), ihnen folgen Beglaubigungs- (recogniciones) und Empfehlungsschreiben (presen- taciones) usw. (vgl. die Beschreibung unten S. 160). Die im Abdruck hier vorgelegte Auswahl wurde so getroffen, daß von sechs der ihrem Inhalt nach unterschiedenen acht Gruppen prägnante Proben geboten werden. Nur die letxten beiden Abteilungen mit rein lateinischen Brief- und Urkundenmustern blieben unberücksichtigt. Auch dies zweite Schneeberger Formelbuch hat seinen Wert nicht als Geschichtsquelle und Fundgrube von historisch wichtigen Daten und Er- eignissen. Nach Aktenstücken xur politischen Geschichte würde man vergeblich darin forschen. Ebensowenig stellt es, sieht man ab von der einleitenden Betrachtung über die Rhetorik, Texte zusammen, die etwa als hervorragende rednerische Muster zu Schulübungen fingiert wären. Es will vielmehr rein praktischen Kanzleizwecken dienen. Deshalb ist ähnlich wie in dem ersten Schlägler Briefsteller der Neigung zum Schema weitgehend nachgegeben. So sind die örtlichen, persönlichen und zeitlichen Angaben meist getilgt. Nur die Adressen sind da und hier vollständig ausgeschrieben, z. B. in den Briefen an König Wenzel und in dessen Antwort an König Siegmund (Abdruck Nr. 35—37); oder in dem Brief (Nr. 38) an den nicht nachweisbaren Erzbischof Heinrich von Prag oder an den Bischof Johann von Meißen (Nr. 39), mit dem Johann Hofemann, Bischof von Meißen seit 1427, gemeint sein könnte. Im übrigen sind auch in den Suprascriptiones die genauen Bezeich- nungen ausgemerzt oder doch zu farblosen Schemen verwandelt wie Offizial in Merseburg, Bischof von Merseburg, Dekan Heinrich in Merseburg, Pfarrer Heinrich und Johann in Bautzen, Kanoniker Heinrich in Mainz. Von Orten werden außerdem Meißen, Kottbus, Prag und Wien wiederholt genannt. Bald überliefert der lateinische Text
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I. Die Schneeberger Briefmuster. 133 den vollen Namen, während der entsprechende deutsche ihn nur abgekürzt bringt, bald umgekehrt. Ein Absender zeichnet nur zweimal (Nr. 37 und 39). Und das Datum endlich wird niemals ausgeschrieben, und als Aufgabeort nur einmal Grimma (Nr. 34) genannt. Ob diese willkürliche Schematisierung das Werk des ersten Sammlers und Redaktors oder erst späterer Abschreiber ist, kann nicht mehr fest- gestellt werden. Doch deuten grobe Entgleisungen in der Namenbehand- lung darauf hin, daß solch arge Gedankenlosigkeit den Schreibern zur Last gelegt werden muß. So bittet (Nr. 41) ein Pfarrer in Bautzen einen am selben Ort ansässigen Amtsbruder, ihm aus Prag neue theo- logische Bücher zu senden, ohne daß etwa von einer Reise des Adressaten nach Prag die Rede ist. Ein andermal (Nr. 43) kehrt der Prager Domherr Heinrich in Wischergrad als Adressat im Briefe selbst als dritte Person wieder. Das erste Beispiel macht die Annahme wahr- scheinlich, daß die sinnlose Lokalisierung von einem Schreiber herrührt, der in Bautzen zu Hause war. Dadurch würden vielleicht auch die zahlreichen Auflösungen in lausitzische und sächsische Ortsnamen wie Bautzen, Meißen, Merseburg, Kottbus und Grimma ins rechte Licht gerückt. Damit aber ist ausgesprochen, daß auch der zweite Schneeberger Brief- steller als eine Abschrift ersten oder höheren Grades anzusehen ist. Er führt uns indessen nicht in den gleichen Kreis der Stoffe und Interessen hinein, wie die zweite Schlägler und die erste Schneeberger Sammlung. Die Angelegenheiten von Dienstboten und landplagendem Gesindel werden nicht behandelt. Vielmchr werden wir bekannt gemacht mit den Neigungen und Bedürfnissen der Kleriker und gehobenen Schichten des Bürgertums in den aufstrebenden deutschen Städten hinauf bis zu den höchsten weltlichen und geistlichen Standesherren und Würdenträgern. So bitten Bürgermeister, Ratsherren und Zunftmeister in Geleitbriefen die zuständigen Behörden und Korporationen einer anderen Stadt um wohlwollende Aufnahme eines reisenden Mitbürgers (Nr. 31 und 32 der abgedruckten Texte). Oder einem Kleriker wird von seinem Patron die Verleihung einer Pfarrstelle beglaubigt (Nr. 33), einem anderen die Be- lehnung mit einer Pfründe beim vorgesetxten Bischof zu erwirken gesucht, und ähnliche Regelungen und Vereinbarungen über Besetzung und Aus- tausch geistlicher Amter und Würden dienen als begehrte Muster (Nr. 38—40 und 43 und 44). Der Charakter dieser bürgerlichen und geistlichen Korrespondenz, die nur persönliche, keine allgemein gültigen Interessen vertritt, bereitet uns von vornherein darauf vor, daß wir in den anspruchslosen Briefen nicht nach Niederschlägen von historischen Ereignissen und Staatsaktionen forschen dürfen. Anders die mitgeteilten Muster eines Briefwechsels der königlichen Brüder Wenzel und Siegmund. In einem dieser Briefe (Nr. 36) führt Siegmund bewegte Klage über einen Einbruch mordbrennender Heiden in sein ungarisches Staatsgebiet
I. Die Schneeberger Briefmuster. 133 den vollen Namen, während der entsprechende deutsche ihn nur abgekürzt bringt, bald umgekehrt. Ein Absender zeichnet nur zweimal (Nr. 37 und 39). Und das Datum endlich wird niemals ausgeschrieben, und als Aufgabeort nur einmal Grimma (Nr. 34) genannt. Ob diese willkürliche Schematisierung das Werk des ersten Sammlers und Redaktors oder erst späterer Abschreiber ist, kann nicht mehr fest- gestellt werden. Doch deuten grobe Entgleisungen in der Namenbehand- lung darauf hin, daß solch arge Gedankenlosigkeit den Schreibern zur Last gelegt werden muß. So bittet (Nr. 41) ein Pfarrer in Bautzen einen am selben Ort ansässigen Amtsbruder, ihm aus Prag neue theo- logische Bücher zu senden, ohne daß etwa von einer Reise des Adressaten nach Prag die Rede ist. Ein andermal (Nr. 43) kehrt der Prager Domherr Heinrich in Wischergrad als Adressat im Briefe selbst als dritte Person wieder. Das erste Beispiel macht die Annahme wahr- scheinlich, daß die sinnlose Lokalisierung von einem Schreiber herrührt, der in Bautzen zu Hause war. Dadurch würden vielleicht auch die zahlreichen Auflösungen in lausitzische und sächsische Ortsnamen wie Bautzen, Meißen, Merseburg, Kottbus und Grimma ins rechte Licht gerückt. Damit aber ist ausgesprochen, daß auch der zweite Schneeberger Brief- steller als eine Abschrift ersten oder höheren Grades anzusehen ist. Er führt uns indessen nicht in den gleichen Kreis der Stoffe und Interessen hinein, wie die zweite Schlägler und die erste Schneeberger Sammlung. Die Angelegenheiten von Dienstboten und landplagendem Gesindel werden nicht behandelt. Vielmchr werden wir bekannt gemacht mit den Neigungen und Bedürfnissen der Kleriker und gehobenen Schichten des Bürgertums in den aufstrebenden deutschen Städten hinauf bis zu den höchsten weltlichen und geistlichen Standesherren und Würdenträgern. So bitten Bürgermeister, Ratsherren und Zunftmeister in Geleitbriefen die zuständigen Behörden und Korporationen einer anderen Stadt um wohlwollende Aufnahme eines reisenden Mitbürgers (Nr. 31 und 32 der abgedruckten Texte). Oder einem Kleriker wird von seinem Patron die Verleihung einer Pfarrstelle beglaubigt (Nr. 33), einem anderen die Be- lehnung mit einer Pfründe beim vorgesetxten Bischof zu erwirken gesucht, und ähnliche Regelungen und Vereinbarungen über Besetzung und Aus- tausch geistlicher Amter und Würden dienen als begehrte Muster (Nr. 38—40 und 43 und 44). Der Charakter dieser bürgerlichen und geistlichen Korrespondenz, die nur persönliche, keine allgemein gültigen Interessen vertritt, bereitet uns von vornherein darauf vor, daß wir in den anspruchslosen Briefen nicht nach Niederschlägen von historischen Ereignissen und Staatsaktionen forschen dürfen. Anders die mitgeteilten Muster eines Briefwechsels der königlichen Brüder Wenzel und Siegmund. In einem dieser Briefe (Nr. 36) führt Siegmund bewegte Klage über einen Einbruch mordbrennender Heiden in sein ungarisches Staatsgebiet
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134 Zweites Kapitel. Die Schneeberger u. Schweidnitzer Briefsteller usw. und bittet seinen Bruder Wenzel um Entsendung eines Hilfskorps, um mit dessen Hilfe die Lage in dem bedrohten Lande wiederherzustellen. Hier liegt zweifellos ein historischer Vorgang zugrunde. Um 1400 war Wenxel als deutscher König bereits abgesetzt. Wir müssen also weiter zurückgehen. 1387 zum König von Ungarn gekrönt, hatte Siegmund be- sonders seit 1392 gegen ständige Einfälle der Türken anzukämpfen1. 1396 holten beide Gegner zu einem entscheidenden Schlage aus. Es kam zu der großen Schlacht von Nikopoli, in der Siegmund geschlagen wurde. Und als sich im Anschluß daran die Ungarn gegen ihren König empörten, mußte er außer Landes flüchten. Die späteren Ereignisse nach Siegmunds Rückkehr scheiden hier aus, weil Wenzel inzwischen entthront war. Der Brief führt uns also in die Zeit der ersten Türken- kämpfe Siegmunds, etwa in die Jahre 1392—1395. Daraus ergibt sich, daß auch der zweite Schneeberger Briefsteller in derselben Zeit ungefähr wie der erste und die beiden Schlägler redigiert ist, d. h. etwa um die Wende des 14. Jahrhunderts. II. Die Schweidnitzer Sammlung. Nachdem die Varianten des ersten Schneeberger Briefstellers in den im Satz stehenden Schlägler hineingearbeitet waren, ergab sich eine neue Schwierigkeit. Herr Geheimrat Konrad Wutke in Breslau war beim Durchforschen des Quellenmaterials zu seiner Untersuchung Uber schlesi- sche Formelbücher des Mittelalters'2 auf eine Handschrift des Schweid- nitzer Stadtarchivs gestoßen, die sich in einigen Stücken eng mit den Schlägl-Schneeberger Sammlungen berührte. Zur genauen Feststellung der noch ungeklärten Beviehungen wurde die Uberweisung der Handschrift nach Berlin in die Akademie erwirkt. Eine summarische Beschreibung des Kodex bereits bei Wutke a. a. O. Einl. S. 31ff.; vgl. ferner unten S. 144f. Die Hs., von einer sauberen Hand des beginnenden 15. Jahr- hunderts geschrieben in schlesisch-böhmischer Mundart, enthält neun ver- schiedene Sammlungen von Mustern für Briefe und Urkunden, die zum großen Teil aus bekannten Sammlungen, wie z. B. der Summa Cancellarie des Johann von Neumarkt kompiliert sind. Nach einer mit praktischen Beispielen ausgestatteten Einleitung und Anleitung zum Briefschreiben folgt auf Bl. 13r—20" ein Briefsteller mit 52 Stücken, die sich teilweise mit den Schlägler und Schneeberger For- meln berühren. 20 Briefe haben keine deutsche Ubersetzung. Von den übrigen bringt der Abdruck mit Nr. 45—51 eine Auswahl. Die mit den Schlägl-Schneeberger Texten besonders nah verwandten Briefe sind 1 Vgl. G. Beckmann, Der Kampf Kaiser Sigmunds gegen die werdende Weltmacht der Osmanen 1392—1437. Gotha 1902. 2 Darstellungen und Quellen zur schlesischen Geschichte, hrg. vom Verein für Geschichte Schlesiens, 26. Bd., Breslau 1919 (vgl. darüber oben S. 52 und 151).
134 Zweites Kapitel. Die Schneeberger u. Schweidnitzer Briefsteller usw. und bittet seinen Bruder Wenzel um Entsendung eines Hilfskorps, um mit dessen Hilfe die Lage in dem bedrohten Lande wiederherzustellen. Hier liegt zweifellos ein historischer Vorgang zugrunde. Um 1400 war Wenxel als deutscher König bereits abgesetzt. Wir müssen also weiter zurückgehen. 1387 zum König von Ungarn gekrönt, hatte Siegmund be- sonders seit 1392 gegen ständige Einfälle der Türken anzukämpfen1. 1396 holten beide Gegner zu einem entscheidenden Schlage aus. Es kam zu der großen Schlacht von Nikopoli, in der Siegmund geschlagen wurde. Und als sich im Anschluß daran die Ungarn gegen ihren König empörten, mußte er außer Landes flüchten. Die späteren Ereignisse nach Siegmunds Rückkehr scheiden hier aus, weil Wenzel inzwischen entthront war. Der Brief führt uns also in die Zeit der ersten Türken- kämpfe Siegmunds, etwa in die Jahre 1392—1395. Daraus ergibt sich, daß auch der zweite Schneeberger Briefsteller in derselben Zeit ungefähr wie der erste und die beiden Schlägler redigiert ist, d. h. etwa um die Wende des 14. Jahrhunderts. II. Die Schweidnitzer Sammlung. Nachdem die Varianten des ersten Schneeberger Briefstellers in den im Satz stehenden Schlägler hineingearbeitet waren, ergab sich eine neue Schwierigkeit. Herr Geheimrat Konrad Wutke in Breslau war beim Durchforschen des Quellenmaterials zu seiner Untersuchung Uber schlesi- sche Formelbücher des Mittelalters'2 auf eine Handschrift des Schweid- nitzer Stadtarchivs gestoßen, die sich in einigen Stücken eng mit den Schlägl-Schneeberger Sammlungen berührte. Zur genauen Feststellung der noch ungeklärten Beviehungen wurde die Uberweisung der Handschrift nach Berlin in die Akademie erwirkt. Eine summarische Beschreibung des Kodex bereits bei Wutke a. a. O. Einl. S. 31ff.; vgl. ferner unten S. 144f. Die Hs., von einer sauberen Hand des beginnenden 15. Jahr- hunderts geschrieben in schlesisch-böhmischer Mundart, enthält neun ver- schiedene Sammlungen von Mustern für Briefe und Urkunden, die zum großen Teil aus bekannten Sammlungen, wie z. B. der Summa Cancellarie des Johann von Neumarkt kompiliert sind. Nach einer mit praktischen Beispielen ausgestatteten Einleitung und Anleitung zum Briefschreiben folgt auf Bl. 13r—20" ein Briefsteller mit 52 Stücken, die sich teilweise mit den Schlägler und Schneeberger For- meln berühren. 20 Briefe haben keine deutsche Ubersetzung. Von den übrigen bringt der Abdruck mit Nr. 45—51 eine Auswahl. Die mit den Schlägl-Schneeberger Texten besonders nah verwandten Briefe sind 1 Vgl. G. Beckmann, Der Kampf Kaiser Sigmunds gegen die werdende Weltmacht der Osmanen 1392—1437. Gotha 1902. 2 Darstellungen und Quellen zur schlesischen Geschichte, hrg. vom Verein für Geschichte Schlesiens, 26. Bd., Breslau 1919 (vgl. darüber oben S. 52 und 151).
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II. Die Schweidnitzer Sammlung. 135 bei der Darlegung der Abhängigkeitsverhältnisse der drei Handschriften (unten S. 145 ff.) abgedruckt. Dieser Schweidnitzer Briefsteller unterscheidet sich in mehr als einer Hinsicht von den Schlägler und Schneeberger Sammlungen. Zunächst fällt der vollständige Mangel einer Gliederung auf. In buntem Gemisch sind Briefe heterogensten Inhalts durcheinander gewürfelt: die Korrespon- denz von geistlichen und weltlichen Standesherren und Behörden, Klerikern und Laien wechselt regellos ab mit Briefen adliger Damen und bürger- licher Frauen und Mädchen. So ist der Inhalt außerordentlich vielseitig, ein treues Spiegelbild aller möglichen Lebensgewohnheiten, Interessen und Bedürfnisse der verschiedensten soxialen Schichten. Ein Fürst wendet sich (Bl. 14r", Abdr. Nr. 45) an einen Standes- genossen mit der Bitte, seine Werbung um die Hand der Tochter eines mäch- tigen Herren unterstützen zu wollen. Ein anderer vertraut seine Tochter einer Herzogin als Hofdame an und bittet um freundliche Aufnahme und Behandlung der Tochter (Bl. I9", Abdr. Nr. 49). Junge Mädchen laden einander ein zu einem Vergnügen und Tanx (Bl. 197, Abdr. Nr. 48), während würdige Matronen sich gegenseitig aushelfen in wirtschaftlichen Dingen wie Bleichen der Wäsche (Bl. 19r, Abdr. Nr. 48). Dazwischen wieder liest man Einladungen zu einem Ritterfest und Jagdvergnügen (Bl. 13r und 14rv, Abdr. unten Einl. S. 145f.), die Bitte um Besorgung von Büchern (Bl. 157, Abdr. Einl. S. 147, vgl. Texte Nr. 41 und 42), die Erkundi- gung eines Vaters über Höhe der Studienkosten seines Sohnes (Bl. 19", Abdr. Nr. 46). Oder eine Stadt entsendet einen Boten mit wichtigen Geheimberichten an eine Nachbargemeinde; eine andere bittet ihren Kanzlei- schreiber, die ausgesprochene Kündigung zurückzunchmen und seinen Posten weiter zu versehen. Ein geistlicher Herr endlich beklagt sich (Bl. 19", Abdr. Nr. 50) bei einer Stadt über unrechtmäßig erhobenen Zoll seines Schweidnitzer Biertransportes und so fort in bilderreichem Wechsel. Vgl. auch unten S. 144 die Aufzählung derjenigen Briefe, die sich inhalt- lich mit den Schlägler und Schneeberger Texten berühren. Dem Hang zum Schema ist durchgehend so stark nachgegeben, daß sämtliche persönliche, lokale und zeitliche Elemente ausgemerzt sind. Kein Name, kein Datum ist ausgeschrieben. Die Schrift selbst trägt die Züge des frühen 15. Jahrhunderts. Der Text ist sauber und gut überliefert. Um die Wende des 14. Jahrhunderts wird auch dieser Briefsteller redigiert sein. III. Abhängigkeitsverhältnis der drei Handschriften. 1. Cod. Plag. (P) und die Schneeberger Handschrift (S). In einem näheren Verhältnis zu einander stehen nur Cod. Plag. (P) und die Schneeberger IIs. (S), während der Schweidnitzer Codex (Sw) eigene Wege geht; er wird deshalb für sich behandelt.
II. Die Schweidnitzer Sammlung. 135 bei der Darlegung der Abhängigkeitsverhältnisse der drei Handschriften (unten S. 145 ff.) abgedruckt. Dieser Schweidnitzer Briefsteller unterscheidet sich in mehr als einer Hinsicht von den Schlägler und Schneeberger Sammlungen. Zunächst fällt der vollständige Mangel einer Gliederung auf. In buntem Gemisch sind Briefe heterogensten Inhalts durcheinander gewürfelt: die Korrespon- denz von geistlichen und weltlichen Standesherren und Behörden, Klerikern und Laien wechselt regellos ab mit Briefen adliger Damen und bürger- licher Frauen und Mädchen. So ist der Inhalt außerordentlich vielseitig, ein treues Spiegelbild aller möglichen Lebensgewohnheiten, Interessen und Bedürfnisse der verschiedensten soxialen Schichten. Ein Fürst wendet sich (Bl. 14r", Abdr. Nr. 45) an einen Standes- genossen mit der Bitte, seine Werbung um die Hand der Tochter eines mäch- tigen Herren unterstützen zu wollen. Ein anderer vertraut seine Tochter einer Herzogin als Hofdame an und bittet um freundliche Aufnahme und Behandlung der Tochter (Bl. I9", Abdr. Nr. 49). Junge Mädchen laden einander ein zu einem Vergnügen und Tanx (Bl. 197, Abdr. Nr. 48), während würdige Matronen sich gegenseitig aushelfen in wirtschaftlichen Dingen wie Bleichen der Wäsche (Bl. 19r, Abdr. Nr. 48). Dazwischen wieder liest man Einladungen zu einem Ritterfest und Jagdvergnügen (Bl. 13r und 14rv, Abdr. unten Einl. S. 145f.), die Bitte um Besorgung von Büchern (Bl. 157, Abdr. Einl. S. 147, vgl. Texte Nr. 41 und 42), die Erkundi- gung eines Vaters über Höhe der Studienkosten seines Sohnes (Bl. 19", Abdr. Nr. 46). Oder eine Stadt entsendet einen Boten mit wichtigen Geheimberichten an eine Nachbargemeinde; eine andere bittet ihren Kanzlei- schreiber, die ausgesprochene Kündigung zurückzunchmen und seinen Posten weiter zu versehen. Ein geistlicher Herr endlich beklagt sich (Bl. 19", Abdr. Nr. 50) bei einer Stadt über unrechtmäßig erhobenen Zoll seines Schweidnitzer Biertransportes und so fort in bilderreichem Wechsel. Vgl. auch unten S. 144 die Aufzählung derjenigen Briefe, die sich inhalt- lich mit den Schlägler und Schneeberger Texten berühren. Dem Hang zum Schema ist durchgehend so stark nachgegeben, daß sämtliche persönliche, lokale und zeitliche Elemente ausgemerzt sind. Kein Name, kein Datum ist ausgeschrieben. Die Schrift selbst trägt die Züge des frühen 15. Jahrhunderts. Der Text ist sauber und gut überliefert. Um die Wende des 14. Jahrhunderts wird auch dieser Briefsteller redigiert sein. III. Abhängigkeitsverhältnis der drei Handschriften. 1. Cod. Plag. (P) und die Schneeberger Handschrift (S). In einem näheren Verhältnis zu einander stehen nur Cod. Plag. (P) und die Schneeberger IIs. (S), während der Schweidnitzer Codex (Sw) eigene Wege geht; er wird deshalb für sich behandelt.
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136 Zweites Kapitel. Die Schneeberger u. Schweidnitzer Briefsteller usw. Aus der Sichtung des Variantenmaterials erhellt, daß S im ganzen und großen einen besseren Stand der Uberlieferung repräsentiert als P. Besonders heben sich einxelne Stücke ab, so die Nr. 5a und 8" wie 15b und 17b, denen P in gleicher Art nur 12° entgegensetzen kann. Bemerkenswert ist namentlich, daß P oft sinnwichtige Wörter und ganze Sätze unterschlägt; so 1°, 7f. precibus; 3°, 4 apostolorum; 5“, 8 reli- gare; 8°, 10f. accesserit — presentacionem; 8", 12 semota; die ganze lateinische Fassung zu 4; 10“, 10 post festum — rechenbach; 10", 11 esse und velitis; 13a, 11 licenciam; 16a, 7 proficisci; 16a, 10 erga; 1°, 1 getrawen; 12b, 1 weisen; 15b, 7 mit den — alle czeit; 15°, 12 das wir — sundirlichen; 17°, 5 clegelich; 17b, 8 f. mit wrefil — wedel hot; 17b 14 von sein’ — maiestat; 18b, 1 ganze Uberschrift; 18b, 7f. alzo her — schuldig ist. Dagegen sind die Lücken von S meist leichteren Gewrichts, während eine ganze Anzahl Lesarten dieser Hs. vor P den Vorzug verdienen, wie 16, 11 hoffte S, bethe P; 3a, 10 omnimoda S, homine da P; 5a, 6 significatione S, signatur P; 9", 5 ad annuale S, adamande P; 9a, 6 ac S, hac P; 10b, 10 richten S, cyhn adir reythen P; 10°, 13 besehen S, besten P; 15a, 3 generibus S, generalibus P; 17°, 6 irsamkeyt S, ersamkeyt P. Hierzu treten in P einzelne Verschreibungen, die S nicht mitmacht. Auch die Schlußformeln wie Datum, Roboratio und Sub- scripcio überliefert im allgemeinen S besser und vollständiger als P. So setzt S die in P oft fehlende Jahresxahl 1404 ein in 1°, 12; 2b, 8; 5b, 9; 7a, 13; 75, 12; 8a, 12; 8b, 10; 9a, 9; 9b, 9; 10a, 15; 15a, 15; 16", 14; 19", 9, im ganzen also 13 mal, während umgekehrt diese Jahres- zahl in S gegenüber P nur einmal (11“, 12) fehlt. Wo P größere Lücken in der Datierung aufweist wic in 2", 8; 9°, 9; 10b, 14 f.; 17", 17 f. und 18a, 12, bringt S den richtigen vollständigen Text. Mehrmals (15“, 15; 15b, 13; 16", 14 und 18b, 13) fügt S xu Cantate hinzu dominica bzw. suntag, welchen Zusatz S gegen P nur an einer Stelle (4b, 6) unter- drückt. Einmal (14b, 7) umschreibt S cantate mit den man nennit cantate. Auch die Ortsangabe 4b, 6 czu prage, die P überspringt, ver- zeichnet S richtig. Im übrigen gibt die hier (S. 136—141) folgende Unter- suchung von Dr. Max Voigt Aufschluß über die Datenbehandlung in P und S. „In P tragen alle Briefe, soweit es nicht verstümmelt ist, das Jahres- datum 1407, dem in S 1404 entspricht. Was die Tagesdaten angeht, so zeigt sich an einigen Stellen offenkundig eine chronologische Reihen- folge, z. B.
136 Zweites Kapitel. Die Schneeberger u. Schweidnitzer Briefsteller usw. Aus der Sichtung des Variantenmaterials erhellt, daß S im ganzen und großen einen besseren Stand der Uberlieferung repräsentiert als P. Besonders heben sich einxelne Stücke ab, so die Nr. 5a und 8" wie 15b und 17b, denen P in gleicher Art nur 12° entgegensetzen kann. Bemerkenswert ist namentlich, daß P oft sinnwichtige Wörter und ganze Sätze unterschlägt; so 1°, 7f. precibus; 3°, 4 apostolorum; 5“, 8 reli- gare; 8°, 10f. accesserit — presentacionem; 8", 12 semota; die ganze lateinische Fassung zu 4; 10“, 10 post festum — rechenbach; 10", 11 esse und velitis; 13a, 11 licenciam; 16a, 7 proficisci; 16a, 10 erga; 1°, 1 getrawen; 12b, 1 weisen; 15b, 7 mit den — alle czeit; 15°, 12 das wir — sundirlichen; 17°, 5 clegelich; 17b, 8 f. mit wrefil — wedel hot; 17b 14 von sein’ — maiestat; 18b, 1 ganze Uberschrift; 18b, 7f. alzo her — schuldig ist. Dagegen sind die Lücken von S meist leichteren Gewrichts, während eine ganze Anzahl Lesarten dieser Hs. vor P den Vorzug verdienen, wie 16, 11 hoffte S, bethe P; 3a, 10 omnimoda S, homine da P; 5a, 6 significatione S, signatur P; 9", 5 ad annuale S, adamande P; 9a, 6 ac S, hac P; 10b, 10 richten S, cyhn adir reythen P; 10°, 13 besehen S, besten P; 15a, 3 generibus S, generalibus P; 17°, 6 irsamkeyt S, ersamkeyt P. Hierzu treten in P einzelne Verschreibungen, die S nicht mitmacht. Auch die Schlußformeln wie Datum, Roboratio und Sub- scripcio überliefert im allgemeinen S besser und vollständiger als P. So setzt S die in P oft fehlende Jahresxahl 1404 ein in 1°, 12; 2b, 8; 5b, 9; 7a, 13; 75, 12; 8a, 12; 8b, 10; 9a, 9; 9b, 9; 10a, 15; 15a, 15; 16", 14; 19", 9, im ganzen also 13 mal, während umgekehrt diese Jahres- zahl in S gegenüber P nur einmal (11“, 12) fehlt. Wo P größere Lücken in der Datierung aufweist wic in 2", 8; 9°, 9; 10b, 14 f.; 17", 17 f. und 18a, 12, bringt S den richtigen vollständigen Text. Mehrmals (15“, 15; 15b, 13; 16", 14 und 18b, 13) fügt S xu Cantate hinzu dominica bzw. suntag, welchen Zusatz S gegen P nur an einer Stelle (4b, 6) unter- drückt. Einmal (14b, 7) umschreibt S cantate mit den man nennit cantate. Auch die Ortsangabe 4b, 6 czu prage, die P überspringt, ver- zeichnet S richtig. Im übrigen gibt die hier (S. 136—141) folgende Unter- suchung von Dr. Max Voigt Aufschluß über die Datenbehandlung in P und S. „In P tragen alle Briefe, soweit es nicht verstümmelt ist, das Jahres- datum 1407, dem in S 1404 entspricht. Was die Tagesdaten angeht, so zeigt sich an einigen Stellen offenkundig eine chronologische Reihen- folge, z. B.
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III. Abhängigkeitsverhältnis der drei Handschriften. 137 Brief Nr. Datum 4 Freitag vor Jubilate Sonnabend „ „ Sonntag 14 15 16 f. 18 19 Cantate Montag nach Cantate Dienstag „ „ Mittwoch „ Donnerstag vor Vocem Iocunditatis (= Rogate) 22 23f. 25 Dienstag nach Veit Mittwoch „ Donnerstag „ 26—28 29 30 Freitag vor Johannis Sonnabend „ Sonntag „ „ Es braucht kaum gesagt zu werden, daß eine solche Reihenfolge nicht auf echten Daten beruhen kann. Da die Briefe weder gleichen Absender noch Adressaten haben, können sie nicht aus einem Kopial- buch oder Register gehoben sein; in einem solchen würde sich zudem nicht gleichzeitig die Gruppierung nach dem Stande der Korrespondenten finden. Die Datierung ist also ein Kunstprodukt. Brief 2 und 4 enthalten Antworten auf Nr. 1 und 3. Diesem Ver- hältnisse ist in der fiktiven Datierung so Rechnung getragen, daß die Zuschriften vom Mittwoch, die Antworten vom Donnerstag (Nr. 2) und Freitag (Nr. 4) vor Jubilate datiert sind. Nr. 14 ist die Antwort auf Nr. 13. Dieser Brief trägt ein mit Hilfe eines unbeweglichen Festes fixiertes Datum: Sonnabend nach Marci, die Antwort ist vom Sonntag Cantate. Für das Jahr 1407 (P) würde sich nun ergeben, daß, im Widerspruch mit dem oben Beobachteten, die Zuschrift später angesetzt wäre als die Antwort: Nr. 13 Sonnabend nach Marci 30. April, Nr. 14 Cantate 24. April. Wird dagegen auf das Jahresdatum von S, 1404, bezogen, so stellt sich folgendes befriedigendes Resultat heraus: Nr. 13 Sonnabend nach Marci Nr. 14 Cantate 26. April, 27. April. Es ist also anxunehmen, daß s das ursprüngliche Datum dieser von dem Kompilator des Formelbuches gemachten Datierung bewahrt hat. (Die nächst umliegenden Jahre gleichen Festkalenders
III. Abhängigkeitsverhältnis der drei Handschriften. 137 Brief Nr. Datum 4 Freitag vor Jubilate Sonnabend „ „ Sonntag 14 15 16 f. 18 19 Cantate Montag nach Cantate Dienstag „ „ Mittwoch „ Donnerstag vor Vocem Iocunditatis (= Rogate) 22 23f. 25 Dienstag nach Veit Mittwoch „ Donnerstag „ 26—28 29 30 Freitag vor Johannis Sonnabend „ Sonntag „ „ Es braucht kaum gesagt zu werden, daß eine solche Reihenfolge nicht auf echten Daten beruhen kann. Da die Briefe weder gleichen Absender noch Adressaten haben, können sie nicht aus einem Kopial- buch oder Register gehoben sein; in einem solchen würde sich zudem nicht gleichzeitig die Gruppierung nach dem Stande der Korrespondenten finden. Die Datierung ist also ein Kunstprodukt. Brief 2 und 4 enthalten Antworten auf Nr. 1 und 3. Diesem Ver- hältnisse ist in der fiktiven Datierung so Rechnung getragen, daß die Zuschriften vom Mittwoch, die Antworten vom Donnerstag (Nr. 2) und Freitag (Nr. 4) vor Jubilate datiert sind. Nr. 14 ist die Antwort auf Nr. 13. Dieser Brief trägt ein mit Hilfe eines unbeweglichen Festes fixiertes Datum: Sonnabend nach Marci, die Antwort ist vom Sonntag Cantate. Für das Jahr 1407 (P) würde sich nun ergeben, daß, im Widerspruch mit dem oben Beobachteten, die Zuschrift später angesetzt wäre als die Antwort: Nr. 13 Sonnabend nach Marci 30. April, Nr. 14 Cantate 24. April. Wird dagegen auf das Jahresdatum von S, 1404, bezogen, so stellt sich folgendes befriedigendes Resultat heraus: Nr. 13 Sonnabend nach Marci Nr. 14 Cantate 26. April, 27. April. Es ist also anxunehmen, daß s das ursprüngliche Datum dieser von dem Kompilator des Formelbuches gemachten Datierung bewahrt hat. (Die nächst umliegenden Jahre gleichen Festkalenders
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138 Zweites Kapitel. Die Schneeberger u. Schweidnitzer Briefsteller usw. sind 1320, 1399, 1483). Die Annahme von 1404 mit dem Ostertermin 30. März liefert folgendes Gesamtbild: Brief Nr. Datum der Handschrift Monatsdatum 2 (Antwort) 3 4 (Antwort) 5 10 II 12 13 14 (Antwort) 15 16 17 18 19 20 21 Mittwoch vor Jubilate Donnerstag „ Mittwoch „ Freitag Sonnabend „ Jubilate Dienstag(?)i nach Jubilate Dienstag nach Jubilate 1 „ Georgii Donnerstag nach Georgii Marci Sonnabend nach Marci Cantate Montag nach Cantate Dienstag „ Mittwoch „ „ „ „ „ Donnerstag vor Voc. Iocund. (Rogate) Vocem Iocunditatis Montag nach Voc. Locund. 16. April 17. „ 16. „ 18. „ 19. „ 20. 22. 22. 22. 23. 24. 25. 26. 27. „ 28. „ 29. „ 30. „ „ 30. I. Mai 4. „ 5. „ 1 Ihre Probe besteht die gemachte Annahme bei der zweiten Reihe der Briefe, Nr. 22—30: Brief Nr. Datum der Handschrift Monatsdatum 22 23 und 24 25 26—28 29 30 Dienstag nach Veit „ Mittwoch „ Donnerstag „ „ Freitag vor Johannis Sonnabend „ Sonntag „ 17. Juni 18. " 19. „ 20. „ 21. „ 22. Es besteht also in beiden Reihen eine chronologische Folge dergestalt, daß jeder Brief oder (mit Rücksicht auf Nr. 1—4) jedes Paar von Zu- schrift und Antwort gewöhnlich einen Tag, selten einige Tage später datiert ist als der voranstehende, oder in einigen Fällen, daß er das Datum des voraufgehenden wiederholt. Niemals wird auf ein früheres Datum zurückgegriffen. Als Prinzip schlägt die Ab- 1 proxima 2a feria post Jubilate: am dinstage noch Jubilate S. 2 Von hier ab fehlt S.
138 Zweites Kapitel. Die Schneeberger u. Schweidnitzer Briefsteller usw. sind 1320, 1399, 1483). Die Annahme von 1404 mit dem Ostertermin 30. März liefert folgendes Gesamtbild: Brief Nr. Datum der Handschrift Monatsdatum 2 (Antwort) 3 4 (Antwort) 5 10 II 12 13 14 (Antwort) 15 16 17 18 19 20 21 Mittwoch vor Jubilate Donnerstag „ Mittwoch „ Freitag Sonnabend „ Jubilate Dienstag(?)i nach Jubilate Dienstag nach Jubilate 1 „ Georgii Donnerstag nach Georgii Marci Sonnabend nach Marci Cantate Montag nach Cantate Dienstag „ Mittwoch „ „ „ „ „ Donnerstag vor Voc. Iocund. (Rogate) Vocem Iocunditatis Montag nach Voc. Locund. 16. April 17. „ 16. „ 18. „ 19. „ 20. 22. 22. 22. 23. 24. 25. 26. 27. „ 28. „ 29. „ 30. „ „ 30. I. Mai 4. „ 5. „ 1 Ihre Probe besteht die gemachte Annahme bei der zweiten Reihe der Briefe, Nr. 22—30: Brief Nr. Datum der Handschrift Monatsdatum 22 23 und 24 25 26—28 29 30 Dienstag nach Veit „ Mittwoch „ Donnerstag „ „ Freitag vor Johannis Sonnabend „ Sonntag „ 17. Juni 18. " 19. „ 20. „ 21. „ 22. Es besteht also in beiden Reihen eine chronologische Folge dergestalt, daß jeder Brief oder (mit Rücksicht auf Nr. 1—4) jedes Paar von Zu- schrift und Antwort gewöhnlich einen Tag, selten einige Tage später datiert ist als der voranstehende, oder in einigen Fällen, daß er das Datum des voraufgehenden wiederholt. Niemals wird auf ein früheres Datum zurückgegriffen. Als Prinzip schlägt die Ab- 1 proxima 2a feria post Jubilate: am dinstage noch Jubilate S. 2 Von hier ab fehlt S.
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III. Abhängigkeitsverhältnis der drei Handschriften. 139 wandelung des Datums um immer einen Tag durch. Wenn dies Ver- fahren eine Ratio hat, ist sie wohl auf methodisch-didaktischem Gebiete zu suchen. In die Pause zwischen Abteilung III De prothoconsulibus usw., Nr. 21 vom 5. Mai und Abteilung XXIV De clientibus, Nr. 22 vom 17. Juni fügen sich die nur lateinisch abgefaßten Muster für den Brief- wechsel von Scholaren und Klerikern aufs beste ein, die in der Rhetorik in P zwischen jenen überliefert sind. Die in ihnen herrschende, damals auf die gelehrten Kreise beschränkte Zeitangabe nach Monatstagen mag infolge ihrer leichteren Entstellbarkeit es bewirkt haben, daß die Störung der Reihe um ein geringes größer ist als in den bereits gemusterten Gruppen. Die Briefe des Zwischenstücks mögen in sich fortlaufend numeriert werden, dann ergibt sich folgende Reihe der Daten, die nur, wo es angebracht ist, in der handschriftlichen Gestalt mitgeteilt werden sollen: Brief Nr. Datum Brief Nr. Datum I (An die Jung- frau Maria) 2 (Deren Ant- wort) 3 10 11 12 13 14 15 16 9. 7. Mai „ 10. „ 12. 3a die mensis maii 14. Mai 20. „ l. 13. „ f1] 17. „ 19. „ 20. „ 21. „ 24. „ 27. „ 28. „ XIXX 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 XII die iunii in die ... (abge- brochen) 3a die Julii [!] 5. Juni 5. 11 6. „ 7. „ 8. „ fehlt XI die ... (abge- brochen) die . . : mensis Junii XIII die... (abge- brochen) XIII die... fehlt XIII die junii 17 Werden die ersichtlichen Entstellungen am Schlusse dieser Partie rück- gängig gemacht, so ergibt sich genauer Anschluß an die Abteilung XXIV, und das oben dargestellte Prinzip der künstlichen Datierung zeigt sich gültig für die ganze in P und zum Teil in S überlieferte Rhetorik. Daß das nunmehr als sekundär erwiesene Jahr 1407 in der vollständigeren Handschrift P eine Anderung jüngster Schicht ist, die von dem Schreiber selbst vorgenommen ist, lehrt der graphische Befund. An mehreren Stellen ist die Jahreszahl vij offensichtlich durch Korrektur hergestellt. Der
III. Abhängigkeitsverhältnis der drei Handschriften. 139 wandelung des Datums um immer einen Tag durch. Wenn dies Ver- fahren eine Ratio hat, ist sie wohl auf methodisch-didaktischem Gebiete zu suchen. In die Pause zwischen Abteilung III De prothoconsulibus usw., Nr. 21 vom 5. Mai und Abteilung XXIV De clientibus, Nr. 22 vom 17. Juni fügen sich die nur lateinisch abgefaßten Muster für den Brief- wechsel von Scholaren und Klerikern aufs beste ein, die in der Rhetorik in P zwischen jenen überliefert sind. Die in ihnen herrschende, damals auf die gelehrten Kreise beschränkte Zeitangabe nach Monatstagen mag infolge ihrer leichteren Entstellbarkeit es bewirkt haben, daß die Störung der Reihe um ein geringes größer ist als in den bereits gemusterten Gruppen. Die Briefe des Zwischenstücks mögen in sich fortlaufend numeriert werden, dann ergibt sich folgende Reihe der Daten, die nur, wo es angebracht ist, in der handschriftlichen Gestalt mitgeteilt werden sollen: Brief Nr. Datum Brief Nr. Datum I (An die Jung- frau Maria) 2 (Deren Ant- wort) 3 10 11 12 13 14 15 16 9. 7. Mai „ 10. „ 12. 3a die mensis maii 14. Mai 20. „ l. 13. „ f1] 17. „ 19. „ 20. „ 21. „ 24. „ 27. „ 28. „ XIXX 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 XII die iunii in die ... (abge- brochen) 3a die Julii [!] 5. Juni 5. 11 6. „ 7. „ 8. „ fehlt XI die ... (abge- brochen) die . . : mensis Junii XIII die... (abge- brochen) XIII die... fehlt XIII die junii 17 Werden die ersichtlichen Entstellungen am Schlusse dieser Partie rück- gängig gemacht, so ergibt sich genauer Anschluß an die Abteilung XXIV, und das oben dargestellte Prinzip der künstlichen Datierung zeigt sich gültig für die ganze in P und zum Teil in S überlieferte Rhetorik. Daß das nunmehr als sekundär erwiesene Jahr 1407 in der vollständigeren Handschrift P eine Anderung jüngster Schicht ist, die von dem Schreiber selbst vorgenommen ist, lehrt der graphische Befund. An mehreren Stellen ist die Jahreszahl vij offensichtlich durch Korrektur hergestellt. Der
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140 Zweites Kapitel. Die Schneeberger u. Schweidnitzer Briefsteller usw. Verdacht, daß ursprünglich eine iiij vorlag, besteht besonders in der Antwort der Maria P 118", im Briefe des Joh. Kny an Nic. Ber P 123r, des Wenxel von Breslau an Johann von Gnesen P 132°. In unserm Briefe 21°, P 117", scheint die iiij ziemlich durch. Ganz evident ent- schlüpft ist sie dem Anderer aber P 122", im Briefe des Paul Stok an Nic. Hecht: t'decia die maij cccc iiij°. (Wo eine Korrektur von vj in vij sich xeigt, hat wohl eine einfache Verschreibung vorgelegen, und bloßes cece scheint ein Sonderfall der häufigen Verstümmelung des Briefschlusses, die mehr oder weniger vom Datum treffen kann.) Es erhebt sich nun noch die Frage, wie sich xu der fiktiven Datierung die im Kontext der Briefe gemachten Zeitangaben verhalten. In Abteilung I—III fallen die für Kontext-Daten in Betracht kom- menden Briefe zwischen den 16. und 30. April. Unter ihnen beziehen sich rückwärts Nr. 5 vom 19. April auf Mittfasten (3.—)9. Märx als Termin des Breslauer Jahrmarkts, Nr. 8 vom 30. April auf Georgen 23. April als Tag eines Ver- kaufsakts. Künftige Tage sind genannt in Nr. 1 vom 16. April, wo von einem xu Johannis erwarteten Dienst- wechsel die Rede ist, und in Nr. 9 vom 22. April, Vorbestellung von Meßquartier für den Münster- berger Jahrmarkt am Bartolomäustage, 24. August. Bei beiden handelt es sich wohl wie oben in Nr. 5 um feststehende Termine, bei denen aber nicht stringent zu beweisen ist, daß sie als zu den fingierten Daten passend aus den verarbeiteten echten Briefen übernommen sind. Bei Nr. 3, 6, 10, 16, wo es sich um ad hoc fixierbare Tage handelt (für Antritt einer Wallfahrt, Hochxeit, Beratungen zwischen Magistraten), ist durchweg eine Bexiehung auf den Walpurgistag, also den Ersten des folgenden Monats, vorgenommen. Hier ist die Annahme einer künstlichen Regelung naheliegend, doch soll darauf hingewiesen werden, daß das Datum von Nr. 19, der 1. Mai, nicht durch Walpurgis, sondern den Sonntag Vocem Iocunditatis bexeichnet ist. Analog beziehen sich in Abteilung XXIV—XXVII vorwärts Nr. 22 vom 17. Juni auf einen Besuch K. Wenzels am 29. Juni, am 27. Juni. Nr. 26 vom 20. Juni auf ein Turnier Auch für diese Daten besteht die Wahrscheinlichkeit künstlicher An- passung. Wenn aber der Zeitpunkt eines wirklichen Besuches Wenxels in Schweidnitz xu Nr. 22 verglichen werden soll, so kommt jedenfalls das Jahr 1404 nicht in Betracht, sondern nur ein früheres. — Das rein lateinische Mittelstück der Briefsammlung gewährt leider kein Material für die Behandlung der Datenfrage.
140 Zweites Kapitel. Die Schneeberger u. Schweidnitzer Briefsteller usw. Verdacht, daß ursprünglich eine iiij vorlag, besteht besonders in der Antwort der Maria P 118", im Briefe des Joh. Kny an Nic. Ber P 123r, des Wenxel von Breslau an Johann von Gnesen P 132°. In unserm Briefe 21°, P 117", scheint die iiij ziemlich durch. Ganz evident ent- schlüpft ist sie dem Anderer aber P 122", im Briefe des Paul Stok an Nic. Hecht: t'decia die maij cccc iiij°. (Wo eine Korrektur von vj in vij sich xeigt, hat wohl eine einfache Verschreibung vorgelegen, und bloßes cece scheint ein Sonderfall der häufigen Verstümmelung des Briefschlusses, die mehr oder weniger vom Datum treffen kann.) Es erhebt sich nun noch die Frage, wie sich xu der fiktiven Datierung die im Kontext der Briefe gemachten Zeitangaben verhalten. In Abteilung I—III fallen die für Kontext-Daten in Betracht kom- menden Briefe zwischen den 16. und 30. April. Unter ihnen beziehen sich rückwärts Nr. 5 vom 19. April auf Mittfasten (3.—)9. Märx als Termin des Breslauer Jahrmarkts, Nr. 8 vom 30. April auf Georgen 23. April als Tag eines Ver- kaufsakts. Künftige Tage sind genannt in Nr. 1 vom 16. April, wo von einem xu Johannis erwarteten Dienst- wechsel die Rede ist, und in Nr. 9 vom 22. April, Vorbestellung von Meßquartier für den Münster- berger Jahrmarkt am Bartolomäustage, 24. August. Bei beiden handelt es sich wohl wie oben in Nr. 5 um feststehende Termine, bei denen aber nicht stringent zu beweisen ist, daß sie als zu den fingierten Daten passend aus den verarbeiteten echten Briefen übernommen sind. Bei Nr. 3, 6, 10, 16, wo es sich um ad hoc fixierbare Tage handelt (für Antritt einer Wallfahrt, Hochxeit, Beratungen zwischen Magistraten), ist durchweg eine Bexiehung auf den Walpurgistag, also den Ersten des folgenden Monats, vorgenommen. Hier ist die Annahme einer künstlichen Regelung naheliegend, doch soll darauf hingewiesen werden, daß das Datum von Nr. 19, der 1. Mai, nicht durch Walpurgis, sondern den Sonntag Vocem Iocunditatis bexeichnet ist. Analog beziehen sich in Abteilung XXIV—XXVII vorwärts Nr. 22 vom 17. Juni auf einen Besuch K. Wenzels am 29. Juni, am 27. Juni. Nr. 26 vom 20. Juni auf ein Turnier Auch für diese Daten besteht die Wahrscheinlichkeit künstlicher An- passung. Wenn aber der Zeitpunkt eines wirklichen Besuches Wenxels in Schweidnitz xu Nr. 22 verglichen werden soll, so kommt jedenfalls das Jahr 1404 nicht in Betracht, sondern nur ein früheres. — Das rein lateinische Mittelstück der Briefsammlung gewährt leider kein Material für die Behandlung der Datenfrage.
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III. Abhängigkeitsverhältnis der drei Handschriften. 141 Einen sicheren unangetasteten Wirklichkeitsrest haben wir nur in der Einladung auf nächsten Freitag' in Nr. 25 vom 19. Juni. Der nächste ist in der Sprache der Briefe der unmittelbar nächste, dieser' Freitag. Der Brief ist gegeben vom Donnerstag nach S. Veit, Freitag müßte also der Tog darauf sein. Wären die beiden Zeitangaben in bewußter Be- ziehung aufeinander gewählt, sollte man den Ausdruck morne erwarten. So weit Max Voigt über den Charakter der Datierungen. Auch die Roboratio gibt S präxiser wieder als P. Da der Druck die Datierungsformeln in der Regel nach der Fassung von P bringt (vgl. Vorbemerkung zur I. Abteilung), weist er gegenüber S xahlreiche Lücken auf. So fehlt die in S überlieferte Form der Roboratio meo sub sigillo, nostro s. s., meo sub appresso s. etc. an folgenden Stellen in P und damit im Text: 3a, 11; 6", 11; 7", 13; 8a, 12; 10", 15; 11", 12; 13a, 15; 14a, 8; 15a, 15; 19a, 9; entsprechend im deutschen Text: 76, 12; 12b, 13; 13°, 10; 14b, 7; 15b, 13; 16b, 13 und 18°, 13, also nicht überall, wo die lat. Fassung sie fortläßt; anderseits an zwei neuen Stellen (16°, 13 und 18°, 13), die im lat. Text vollständig sind. Demgegenüber unter- schlägt S in P vorhandene Roboratio nur zweimal (4°, 7 und 18a, 13). Im einzelnen überliefert S angedrucken Ingesigil für einfaches Ing’ in P in richtiger Entsprechung des 6", 11 meo sub appresso sigillo. An andrer Stelle (3b, 11) bringt P richtig dies angedructen (S hier nur ge- drukten), damit die Formel meo sub appresso sigillo, die nur S wahrt, bestätigend. 5°, 9 setxt P fälschlich vndir meyme Ing’ statt meo sub sigillo in den lat. Text; umgekehrt 11b, 11 sigillo statt Ingesegil in das deutsche Formular, ähnlich S 10b, 15 secreto für Ing°. In P tritt im lat. Text die Roboratio überhaupt erst von 16", 14 ab auf, während sie in der deutschen Fassung bereits in 3b, 11 erscheint. Nur bei Wiedergabe der Subscripcio ist S nicht so genau wie P. Dreimal (2a, 9; 12b, 14 und 16b, 14) fehlt in S die Unterschrift ganz; zweimal (2b, 9 und 17b, 18) die Ortsbezeichnung, die überdies 10a, 16 und 10°, 16 fälschlich Bautzen statt Reichenbach lautet. 12a, 15 bringt S verkehrte Pluralform Prothoconsules für Prothoconsul. Nur zweimal ist S präxiser als P: 7b, 13 steht avunculus vester entsprechend richtig ewer ome und 17", 19 Caden für in P falsches Gauir. Uber die Unter- schrift 3b, 12 und 7b, 13 in P vgl. den Apparat. Doch auch sonst, im Text selbst, weist unterweilen P einen besseren Stand der Uberlieferung auf als S; so 1°, 6 certis a P, actis S; 2a, 5f. sed quia — obligatus iam P, fellt S; 10°, 7 banden P, landen S und 12°, 8 bandin P, lande S; 12", 9 petimus P, penitus S; 13a, 13 recu- sare P, recuperare S; 14°, 5 aus P, vns S; 16", 6 ad istas P, aditas S; 17a, 13 transviare P, transmicare oder transuicare S. In vielen Fällen sind die Varianten von P und S beiderseits möglich
III. Abhängigkeitsverhältnis der drei Handschriften. 141 Einen sicheren unangetasteten Wirklichkeitsrest haben wir nur in der Einladung auf nächsten Freitag' in Nr. 25 vom 19. Juni. Der nächste ist in der Sprache der Briefe der unmittelbar nächste, dieser' Freitag. Der Brief ist gegeben vom Donnerstag nach S. Veit, Freitag müßte also der Tog darauf sein. Wären die beiden Zeitangaben in bewußter Be- ziehung aufeinander gewählt, sollte man den Ausdruck morne erwarten. So weit Max Voigt über den Charakter der Datierungen. Auch die Roboratio gibt S präxiser wieder als P. Da der Druck die Datierungsformeln in der Regel nach der Fassung von P bringt (vgl. Vorbemerkung zur I. Abteilung), weist er gegenüber S xahlreiche Lücken auf. So fehlt die in S überlieferte Form der Roboratio meo sub sigillo, nostro s. s., meo sub appresso s. etc. an folgenden Stellen in P und damit im Text: 3a, 11; 6", 11; 7", 13; 8a, 12; 10", 15; 11", 12; 13a, 15; 14a, 8; 15a, 15; 19a, 9; entsprechend im deutschen Text: 76, 12; 12b, 13; 13°, 10; 14b, 7; 15b, 13; 16b, 13 und 18°, 13, also nicht überall, wo die lat. Fassung sie fortläßt; anderseits an zwei neuen Stellen (16°, 13 und 18°, 13), die im lat. Text vollständig sind. Demgegenüber unter- schlägt S in P vorhandene Roboratio nur zweimal (4°, 7 und 18a, 13). Im einzelnen überliefert S angedrucken Ingesigil für einfaches Ing’ in P in richtiger Entsprechung des 6", 11 meo sub appresso sigillo. An andrer Stelle (3b, 11) bringt P richtig dies angedructen (S hier nur ge- drukten), damit die Formel meo sub appresso sigillo, die nur S wahrt, bestätigend. 5°, 9 setxt P fälschlich vndir meyme Ing’ statt meo sub sigillo in den lat. Text; umgekehrt 11b, 11 sigillo statt Ingesegil in das deutsche Formular, ähnlich S 10b, 15 secreto für Ing°. In P tritt im lat. Text die Roboratio überhaupt erst von 16", 14 ab auf, während sie in der deutschen Fassung bereits in 3b, 11 erscheint. Nur bei Wiedergabe der Subscripcio ist S nicht so genau wie P. Dreimal (2a, 9; 12b, 14 und 16b, 14) fehlt in S die Unterschrift ganz; zweimal (2b, 9 und 17b, 18) die Ortsbezeichnung, die überdies 10a, 16 und 10°, 16 fälschlich Bautzen statt Reichenbach lautet. 12a, 15 bringt S verkehrte Pluralform Prothoconsules für Prothoconsul. Nur zweimal ist S präxiser als P: 7b, 13 steht avunculus vester entsprechend richtig ewer ome und 17", 19 Caden für in P falsches Gauir. Uber die Unter- schrift 3b, 12 und 7b, 13 in P vgl. den Apparat. Doch auch sonst, im Text selbst, weist unterweilen P einen besseren Stand der Uberlieferung auf als S; so 1°, 6 certis a P, actis S; 2a, 5f. sed quia — obligatus iam P, fellt S; 10°, 7 banden P, landen S und 12°, 8 bandin P, lande S; 12", 9 petimus P, penitus S; 13a, 13 recu- sare P, recuperare S; 14°, 5 aus P, vns S; 16", 6 ad istas P, aditas S; 17a, 13 transviare P, transmicare oder transuicare S. In vielen Fällen sind die Varianten von P und S beiderseits möglich
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142 Zweites Kapitel. Die Schneeberger u. Schweidnitzer Briefsteller usw. und richtig. So 1a, 2 und 2a, 2 debet P, fehlt S; 1a, 10 et enim P, et erga S; 1°, 8f. dir globe vnd getrawe P, in dich getrawe S; 1°, 10 wen sicherlich S, fehlt P; 3a, 2 amica P, amice S; 3a, 5 beate P, Iohannis S ; 3a, 10 transmittendo P, admittendo S; 4°, 2 Fruntschaft P, ffruntlichen S; 6a, 7 celebrandarum P, celebrandas S; 6b, 8 sczicken P, senden vnd schicken S; 6°, 9 lon P, furlon S; 7a, 9 ex nunc ex P, ex S; 7a, 11 domini P, diuinum S; 7b, 3 mit S, zu vor P; 7°, 5 von des P, von S; 8°, 2 rechtir P, stet‘ S; 8a, 3 carissime P, amantis- sime S; 8a, 4 quam P, quoniam S; 8, 7 alterh'rn P, altaristen S; 8°, 8 steteclich P, w’declichen S; 9a, 1 opidano P, ciui uel burgensi über opidano S; 10°, 12 dominum P, dictum S; 10°, 12 dem P, dem selben S; 11°, 9f. dohyn komen w’den P, do seyn vnd hyn w’den komen S; 12b, 9 euch vnd ewir P, ewir S; 12°, 11 vordintë werke P, vordythen vnd worgken S; 13a, 2 singularibus P, singularibus et amicis S; 13b, 6f. vnsir frunde fruntlichen P, euch, [vns' sund’- lichen frunden S; 13a, 12 ducendi P, ducenda S, vgl. 14a, 7 ducenda P, ducendi S; 14°, 1 weysen P, vorsichtign S; 15a, 2 fautoribus P, fautoribus sincerissime diligendis S; 15b, 2 libn P, allir libesten S; 15b, 9 allirlipsten P, vns' sunderlichen S; 17°, 14 siquidem auditu negociorum P, qui siquidem audito negocio S; 17a, 16 augmenta P, augmentum S; 17°, 13 reyten P, czyhin S; 19°, 7 hause der Rabin- steyn P, huse rubensteyn S. Anderseits ist der Text beider Hss. an denselben Stellen verderbt, so 1a, 7 fidelitatis] fidelitatem P, fedelicitatis S ; 5a, 1 Burg] bug P, berg S; 5a, 6 duci] duo P, dici S; 7b, 7 an] vnd P, vn S; 8a, 4 altare] re P S; 8a, 11 quauis] quamuis P S; 10°, 16 Reichenbachenses] Swedenecenses P, ciuitatis budissen S; 15a, 7 ymmo erga nos ac nostros] ymmo ergo vos ac vestris P, erga ac nostras S; 17a, 7 obliuiscens et immemor et oblitus est meorum P, obliviscus et immemor S; 19a, 4 fehlt Arenga P S; 19a, 5 circumquaque] circum quidem P, circum quoque S; 19a, 6 moram trahencium] morem trahencia P, mai trahencium S; 19a, 8 id ad PS. Also meist nicht in P und S die gleiche, sondern eine ab- weichende fehlerhafte Uberlieferung. In der Wortfolge gehen außerdem P und S an folgenden Stellen verschiedene Wege: 2a, I suo socio P, socio suo S; 2a, 6 f. meam ad melioracionem P, ad melioracionem meam S; 3a, 2 amica caritatis P, caritatis amice S; 3a, 6 intendo in Christi nomine S, in Christi in nomine tendo P; 3°, 8 goldin vngerich P, vngerische goldin S; 6", 6f. proxima tercia feria P, tercia feria proxima S; 6b, 7 sal begangin werdin P, begangen sal werdin S; 7a, 6 discreti viri per mortem P, per mortem discreti viri S; 7°, 9 filium meum P, meum filium S; 10", 8f. providencijs vestris P, vestris prouidencijs S; 10a, 9 proxima secunda P, secunda proxima S; 12°, 11f. durch vrede des landes P, durch des landes frede S; 13°, 5 och alzo das P, alzo auch daz S;
142 Zweites Kapitel. Die Schneeberger u. Schweidnitzer Briefsteller usw. und richtig. So 1a, 2 und 2a, 2 debet P, fehlt S; 1a, 10 et enim P, et erga S; 1°, 8f. dir globe vnd getrawe P, in dich getrawe S; 1°, 10 wen sicherlich S, fehlt P; 3a, 2 amica P, amice S; 3a, 5 beate P, Iohannis S ; 3a, 10 transmittendo P, admittendo S; 4°, 2 Fruntschaft P, ffruntlichen S; 6a, 7 celebrandarum P, celebrandas S; 6b, 8 sczicken P, senden vnd schicken S; 6°, 9 lon P, furlon S; 7a, 9 ex nunc ex P, ex S; 7a, 11 domini P, diuinum S; 7b, 3 mit S, zu vor P; 7°, 5 von des P, von S; 8°, 2 rechtir P, stet‘ S; 8a, 3 carissime P, amantis- sime S; 8a, 4 quam P, quoniam S; 8, 7 alterh'rn P, altaristen S; 8°, 8 steteclich P, w’declichen S; 9a, 1 opidano P, ciui uel burgensi über opidano S; 10°, 12 dominum P, dictum S; 10°, 12 dem P, dem selben S; 11°, 9f. dohyn komen w’den P, do seyn vnd hyn w’den komen S; 12b, 9 euch vnd ewir P, ewir S; 12°, 11 vordintë werke P, vordythen vnd worgken S; 13a, 2 singularibus P, singularibus et amicis S; 13b, 6f. vnsir frunde fruntlichen P, euch, [vns' sund’- lichen frunden S; 13a, 12 ducendi P, ducenda S, vgl. 14a, 7 ducenda P, ducendi S; 14°, 1 weysen P, vorsichtign S; 15a, 2 fautoribus P, fautoribus sincerissime diligendis S; 15b, 2 libn P, allir libesten S; 15b, 9 allirlipsten P, vns' sunderlichen S; 17°, 14 siquidem auditu negociorum P, qui siquidem audito negocio S; 17a, 16 augmenta P, augmentum S; 17°, 13 reyten P, czyhin S; 19°, 7 hause der Rabin- steyn P, huse rubensteyn S. Anderseits ist der Text beider Hss. an denselben Stellen verderbt, so 1a, 7 fidelitatis] fidelitatem P, fedelicitatis S ; 5a, 1 Burg] bug P, berg S; 5a, 6 duci] duo P, dici S; 7b, 7 an] vnd P, vn S; 8a, 4 altare] re P S; 8a, 11 quauis] quamuis P S; 10°, 16 Reichenbachenses] Swedenecenses P, ciuitatis budissen S; 15a, 7 ymmo erga nos ac nostros] ymmo ergo vos ac vestris P, erga ac nostras S; 17a, 7 obliuiscens et immemor et oblitus est meorum P, obliviscus et immemor S; 19a, 4 fehlt Arenga P S; 19a, 5 circumquaque] circum quidem P, circum quoque S; 19a, 6 moram trahencium] morem trahencia P, mai trahencium S; 19a, 8 id ad PS. Also meist nicht in P und S die gleiche, sondern eine ab- weichende fehlerhafte Uberlieferung. In der Wortfolge gehen außerdem P und S an folgenden Stellen verschiedene Wege: 2a, I suo socio P, socio suo S; 2a, 6 f. meam ad melioracionem P, ad melioracionem meam S; 3a, 2 amica caritatis P, caritatis amice S; 3a, 6 intendo in Christi nomine S, in Christi in nomine tendo P; 3°, 8 goldin vngerich P, vngerische goldin S; 6", 6f. proxima tercia feria P, tercia feria proxima S; 6b, 7 sal begangin werdin P, begangen sal werdin S; 7a, 6 discreti viri per mortem P, per mortem discreti viri S; 7°, 9 filium meum P, meum filium S; 10", 8f. providencijs vestris P, vestris prouidencijs S; 10a, 9 proxima secunda P, secunda proxima S; 12°, 11f. durch vrede des landes P, durch des landes frede S; 13°, 5 och alzo das P, alzo auch daz S;
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III. Abhängigkeitsverhältnis der drei Handschriften. 143 15b, 8 um [= nu?] sich P, sich nu S; 15a, 9 suam demorandi P, demorandi suam S; 16", 11 omnia ad sui P, ad omnia sui S; 16a, 13f. tercia feria P, feria 3a S; 16a, 14 sub nostro sigillo P, Sigillo sub nostro S; 18a, 7 quos eidem P, eidem quos S. Im ganxen 19 Fälle, davon 14 im lateinischen und nur 5 im deutschen Texte. Sämtliche Umstellungen sind an sich belanglos bis auf 6°, 7, wo die Wortfolge in P den Kursus planus xerstört, den S richtig wahrt. In der Kursus- frage beobachtet S überhaupt peinlicher die Tradition als P, wie ich unten S. 207ff. in einer besonderen Untersuchung noch zeigen werde. Die Varianten beider Hss. in den Noten (der Glosse) sind durch- gehend nicht bedeutsam. Häufig handelt es sich nur um einfache Ande- derung der Wortfolge oder um umschreibende Lesarten, die meist in P und S sinnvoll sind. Mitunter ist P ausführlicher als S. Für Sichtung des Abhängigkeitsverhältnisses der beiden Hss. unter sich und vom Arche- typus sind diese Varianten bedeutungslos. Sie geben späteren Schreibern willkommenen Anlaß und Raum zu Streichungen, Zusätzen und Ande- rungen aller Art. Wägt man die vorgebrachten Kriterien gegeneinander ab und bedenkt ferner, daß jede der beiden Hss. für sich allein Formularsammlungen überliefert, so ergibt sich zunächst als sicher, daß P und S in keinem direkten Abhängigkeitsverhältnis zu einander stehen, sondern von einer gemeinsamen ersten Vorlage aus getrennte Wege gegangen sind. Und zwar liegt für P die Originalredaktion mehrere Stationen zurick; aber auch S, die bessere Hs., bietet so zahlreiche und grobe Verschreibungen und Sinnfehler, daß bei ihr gleichfalls ein gewisser Abstand von der Vorlage vorausgesetzt werden muß. Wären die Fehler von S leichter, etwa bloße Verlesungen wie 1", 6 actis « a c'tis, so dürfte man die Hs. unmittelbar an den Archetypus heranrücken. Aber das oben zusammen- gestellte Fehlerbündel schließt das aus. Doch braucht man angesichts des im ganzen guten Uberlieferungsstandes dieser Hs. nicht mehr als eine oder zwei Zwischenstationen anzunchmen. Wenn trotzdem dem Abdruck der ersten Briefabteilung die Schlägler Hs. zugrunde gelegt wurde, so geschah das aus einer Zwangslage heraus: wie schon erwähnt, wurde der Schneeberger Kodex erst aufgefunden, als der Text nach P bereits gesetzt war. Deshalb konnten auch mehrere offen- kundige, aber belanglose Entstellungen von S im Apparat nicht mehr berücksichtigt werden. Ein Verzeichnis solcher nicht angegebenen Fehler von S möge hier folgen: 1", 4 socorum; 15, 5 fehlt ich ; 1°, 6 plures ; 3a, 7 rogato ; 5b, 1 fehlt burg; 8°, 4 wegin] wene; 9°, 7 fehlt bitthe; 10°, 1 prothoconsul ; 10°, 2 fchlt frundn; 10°, 3 fehlt czu vor; 10°, 5 von fehlt; 10°, 7 tene- mus] cautus ; 10°, 8 indictandum ; 10°, 13 dy lewte; 12°, 3 salucatione ; 123, 9 Nicolaum fehlt; 13a, 5 successoribus; 14", 6 vestros acquirescen- tes; 16", 1 zweites vnd fehlt; 16a, 5 nostri fehlt; 16a, 12 in] czur;
III. Abhängigkeitsverhältnis der drei Handschriften. 143 15b, 8 um [= nu?] sich P, sich nu S; 15a, 9 suam demorandi P, demorandi suam S; 16", 11 omnia ad sui P, ad omnia sui S; 16a, 13f. tercia feria P, feria 3a S; 16a, 14 sub nostro sigillo P, Sigillo sub nostro S; 18a, 7 quos eidem P, eidem quos S. Im ganxen 19 Fälle, davon 14 im lateinischen und nur 5 im deutschen Texte. Sämtliche Umstellungen sind an sich belanglos bis auf 6°, 7, wo die Wortfolge in P den Kursus planus xerstört, den S richtig wahrt. In der Kursus- frage beobachtet S überhaupt peinlicher die Tradition als P, wie ich unten S. 207ff. in einer besonderen Untersuchung noch zeigen werde. Die Varianten beider Hss. in den Noten (der Glosse) sind durch- gehend nicht bedeutsam. Häufig handelt es sich nur um einfache Ande- derung der Wortfolge oder um umschreibende Lesarten, die meist in P und S sinnvoll sind. Mitunter ist P ausführlicher als S. Für Sichtung des Abhängigkeitsverhältnisses der beiden Hss. unter sich und vom Arche- typus sind diese Varianten bedeutungslos. Sie geben späteren Schreibern willkommenen Anlaß und Raum zu Streichungen, Zusätzen und Ande- rungen aller Art. Wägt man die vorgebrachten Kriterien gegeneinander ab und bedenkt ferner, daß jede der beiden Hss. für sich allein Formularsammlungen überliefert, so ergibt sich zunächst als sicher, daß P und S in keinem direkten Abhängigkeitsverhältnis zu einander stehen, sondern von einer gemeinsamen ersten Vorlage aus getrennte Wege gegangen sind. Und zwar liegt für P die Originalredaktion mehrere Stationen zurick; aber auch S, die bessere Hs., bietet so zahlreiche und grobe Verschreibungen und Sinnfehler, daß bei ihr gleichfalls ein gewisser Abstand von der Vorlage vorausgesetzt werden muß. Wären die Fehler von S leichter, etwa bloße Verlesungen wie 1", 6 actis « a c'tis, so dürfte man die Hs. unmittelbar an den Archetypus heranrücken. Aber das oben zusammen- gestellte Fehlerbündel schließt das aus. Doch braucht man angesichts des im ganzen guten Uberlieferungsstandes dieser Hs. nicht mehr als eine oder zwei Zwischenstationen anzunchmen. Wenn trotzdem dem Abdruck der ersten Briefabteilung die Schlägler Hs. zugrunde gelegt wurde, so geschah das aus einer Zwangslage heraus: wie schon erwähnt, wurde der Schneeberger Kodex erst aufgefunden, als der Text nach P bereits gesetzt war. Deshalb konnten auch mehrere offen- kundige, aber belanglose Entstellungen von S im Apparat nicht mehr berücksichtigt werden. Ein Verzeichnis solcher nicht angegebenen Fehler von S möge hier folgen: 1", 4 socorum; 15, 5 fehlt ich ; 1°, 6 plures ; 3a, 7 rogato ; 5b, 1 fehlt burg; 8°, 4 wegin] wene; 9°, 7 fehlt bitthe; 10°, 1 prothoconsul ; 10°, 2 fchlt frundn; 10°, 3 fehlt czu vor; 10°, 5 von fehlt; 10°, 7 tene- mus] cautus ; 10°, 8 indictandum ; 10°, 13 dy lewte; 12°, 3 salucatione ; 123, 9 Nicolaum fehlt; 13a, 5 successoribus; 14", 6 vestros acquirescen- tes; 16", 1 zweites vnd fehlt; 16a, 5 nostri fehlt; 16a, 12 in] czur;
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144 Zweites Kapitel. Die Schneeberger u. Schweidnitzer Briefsteller usw. 17°, I xweites vnd fehlt; 17°, 6 eren fehlt; 17a, 10 captinatus ; 18a, 6 in] et; 19a, 7 vobis fehlt. Dazu treten die oben S. 141 bereits behan- delten Fälle 10°, 7; 12°, 8; 12a, 9; 13a, 13; 14°, 5; 16a, 6 und 17a, 13. 2. Die Schweidnitzer Handschrift (Sw). Diese Hs. gcht eigene Wege. Wohl sind bei den Formularen auf Bl. 13r—20" (vgl. oben S. 134) gewisse inhaltliche Berührungen, nament- mit P vorhanden, die sich aber nicht bis zur Identität der Sammlung verdichten. So handelt das erste Formular (Bl. 131) dieses Briefstellers über Erbschaftsregelung nachgelassener Güter ähnlich dem in P Bl. 141. (Abdruck Nr. 24); der zweite Brief (Bl. 131) enthält eine Einladung zu einem Ritter- und Turnierfest wie P Bl. 142" (Abdruck Nr. 26); der dritte (Bl. 131) bittet, einen| Häftling, der gegen Gelöbnis pünktlicher Rückkehr auf kurxe Zeit in Freiheit gesetzt, dann wortbrüchig geworden ist, anzuhalten und an sein Gelöbnis zu mahnen; vgl. dazu P Bl. 116" und 116" (Abdruck Nr. 20 und 21). Der vierte (Bl. 131) formuliert friedliche Abmachungen nach voraufgegangenen Händeln und Streitigkeiten mit gewissen Anklängen an P Bl. 144" (Abdruck Nr. 29). Der fünfte (Bl. 141) klagt über räuberischen Uberfall auf einen ritterlichen Abge- sandten und dessen gewaltsame Inhaftierung; vgl. dazu den unter Nr. 17 abgedruckten Text. Der sechste (Bl. 141) bringt eine Einladung zum Jagdvergnügen wie P Bl. 144r (Abdruck Nr. 28). Der achte (Bl. 14) bittet um Beistand gegen einen Einfall fremder Räuberscharen, ähnlich wie S Bl. 36" (Abdruck Nr. 36). Der nächste Antwortbrief (Bl. 151) sagt die erbetene Hilfe zu, ähnlich wie S Bl. 36" (Abdruck Nr. 37). Der zehnte (Bl. 151) enthält eine Bitte um Besorgung von Büchern wie S Bl. 40V (Abdruck Nr. 41), worauf der nächste (Bl. 15") zustimmend antwortet wie S Bl. 40" (Abdruck Nr. 42). Der 16. Brief (Bl. 167) klagt über einen Plünderungsxug der Untersassen eines adligen Herrn ähnlich wie P Bl. 143" (Abdruck Nr. 27). Der 26. (Bl. 177) bittet um Abtransport von Gütern (vgl. Abdruck Nr. 5), der 31. (Bl. 177) um In- haftierung eines Landstreichers (vgl. Abdruck Nr. 20 und 21). Der 32. (Bl. 171) klagt wiederum über Gewalttätigkeiten eines Ritters (vgl. Abdruck Nr. 17), während der nächste (Bl. 18r) ein Empfehlungsschreiben für einen Mitbürger überliefert ähnlich wie die unter Nr. 31 und 32 abge- druckten Formeln. Der 36. Brief (Bl. 187) enthält eine Praesentatio altaris und erinnert an Abdruck Nr. 3 und der 45. (Bl. 19", Abdruck Nr. 50) erwähnt einen Schweidnitzer Biertransport wie Abdruck Nr. 6. Der 46. endlich (Bl. 20r) bittet ähnlich wie der unter Nr. 13 abgedruckte, die Nutzung eines Waldes zum Holzschlagen gestatten zu wollen. Um die Berührungen, die zwischen Sw einerseits und P und S anderseits bestehen, zu veranschaulichen, seien hier noch einige Proben aus Sw, in denen die inhaltliche Ubereinstimmung besonders offenkundig
144 Zweites Kapitel. Die Schneeberger u. Schweidnitzer Briefsteller usw. 17°, I xweites vnd fehlt; 17°, 6 eren fehlt; 17a, 10 captinatus ; 18a, 6 in] et; 19a, 7 vobis fehlt. Dazu treten die oben S. 141 bereits behan- delten Fälle 10°, 7; 12°, 8; 12a, 9; 13a, 13; 14°, 5; 16a, 6 und 17a, 13. 2. Die Schweidnitzer Handschrift (Sw). Diese Hs. gcht eigene Wege. Wohl sind bei den Formularen auf Bl. 13r—20" (vgl. oben S. 134) gewisse inhaltliche Berührungen, nament- mit P vorhanden, die sich aber nicht bis zur Identität der Sammlung verdichten. So handelt das erste Formular (Bl. 131) dieses Briefstellers über Erbschaftsregelung nachgelassener Güter ähnlich dem in P Bl. 141. (Abdruck Nr. 24); der zweite Brief (Bl. 131) enthält eine Einladung zu einem Ritter- und Turnierfest wie P Bl. 142" (Abdruck Nr. 26); der dritte (Bl. 131) bittet, einen| Häftling, der gegen Gelöbnis pünktlicher Rückkehr auf kurxe Zeit in Freiheit gesetzt, dann wortbrüchig geworden ist, anzuhalten und an sein Gelöbnis zu mahnen; vgl. dazu P Bl. 116" und 116" (Abdruck Nr. 20 und 21). Der vierte (Bl. 131) formuliert friedliche Abmachungen nach voraufgegangenen Händeln und Streitigkeiten mit gewissen Anklängen an P Bl. 144" (Abdruck Nr. 29). Der fünfte (Bl. 141) klagt über räuberischen Uberfall auf einen ritterlichen Abge- sandten und dessen gewaltsame Inhaftierung; vgl. dazu den unter Nr. 17 abgedruckten Text. Der sechste (Bl. 141) bringt eine Einladung zum Jagdvergnügen wie P Bl. 144r (Abdruck Nr. 28). Der achte (Bl. 14) bittet um Beistand gegen einen Einfall fremder Räuberscharen, ähnlich wie S Bl. 36" (Abdruck Nr. 36). Der nächste Antwortbrief (Bl. 151) sagt die erbetene Hilfe zu, ähnlich wie S Bl. 36" (Abdruck Nr. 37). Der zehnte (Bl. 151) enthält eine Bitte um Besorgung von Büchern wie S Bl. 40V (Abdruck Nr. 41), worauf der nächste (Bl. 15") zustimmend antwortet wie S Bl. 40" (Abdruck Nr. 42). Der 16. Brief (Bl. 167) klagt über einen Plünderungsxug der Untersassen eines adligen Herrn ähnlich wie P Bl. 143" (Abdruck Nr. 27). Der 26. (Bl. 177) bittet um Abtransport von Gütern (vgl. Abdruck Nr. 5), der 31. (Bl. 177) um In- haftierung eines Landstreichers (vgl. Abdruck Nr. 20 und 21). Der 32. (Bl. 171) klagt wiederum über Gewalttätigkeiten eines Ritters (vgl. Abdruck Nr. 17), während der nächste (Bl. 18r) ein Empfehlungsschreiben für einen Mitbürger überliefert ähnlich wie die unter Nr. 31 und 32 abge- druckten Formeln. Der 36. Brief (Bl. 187) enthält eine Praesentatio altaris und erinnert an Abdruck Nr. 3 und der 45. (Bl. 19", Abdruck Nr. 50) erwähnt einen Schweidnitzer Biertransport wie Abdruck Nr. 6. Der 46. endlich (Bl. 20r) bittet ähnlich wie der unter Nr. 13 abgedruckte, die Nutzung eines Waldes zum Holzschlagen gestatten zu wollen. Um die Berührungen, die zwischen Sw einerseits und P und S anderseits bestehen, zu veranschaulichen, seien hier noch einige Proben aus Sw, in denen die inhaltliche Ubereinstimmung besonders offenkundig
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III. Abhängigkeitsverhältuis der drei Handschriften. 145 ist, abgedruckt. Zum ersten Brief (= Bl. 131), der eine Einladung zu einem Turnierfest vor König Wenzel in Prag formuliert, vgl. Abdruck Nr. 26 (= P Bl. 142"); xum nächsten (= Bl. 141), der zu einem Jagd- vergnügen einlädt, vgl. Abdruck Nr. 28 (= P Bl. 1441). Strennuo et honesto domino M., militi de I., heredi in F., specia- liter sibi dilecto etc. Seruicij et ad queuis beneplacita promptitudinem affec- tuosam. Quia illustres Principes et Barones necnon Comites et Nobiles, Milites et Clientes amictibus percandidis et clarissimis, balteis insi- gnibus ac armis et ceteris ad hec spectantibus perualidis ad proximam (dominicam) post finem instantis festi beate M. in ciuitate pragensi coram gloriosissimo principe et domino domino W., Regi nostro, pro 1o singulari solacio in laudem et honorem nobilium tornamentorum studia honorifice exercere proponunt, quare presenciam v(estram) . . . ., generoso cetui Nobilium loco et tempore prefixis in multe dileccionis studio affecto congregari. Nam ibi nos accincti robore militaris po- tencie ad implendum nostre fame tytulos conueniemus exercere mili- 15 ciam omni dilacione semota. Datum in etc. 5 Ib. Dem Irbarn starken Ritter, hern t. von k., Erbherrn czu p., mein sunderlichn liebn frund etc. Meynen stetin dinst mit behegelichkeit zuuor. Die allirdurchluchtigisten vnd Ediln Fursten, Grawen, Edele, Ritt" 5 vnd knechte mit yrem besten gewande, gurteln vnd mit yrem besten harnisch vnd mit andirn czugehorungen am nestn Suntag noch sente M. tag czu prage in der stat vor dem allirdurchluchtigesten fursten, konig w., durch sunderliche freude czu lobe vnd czu ere allen Ediln werden Torney vnd Ritterschaft thun mit fleysse. Dorumme ich mit 10 ganczer liebe ewir keginwartikeit in sulcher ediln samenunge begere czu komen vnd werben Ritterliche sterke, vnser lob an alle hinder- nisse wellen meren vnd breyten etc. Ia = Bl. 131 6 percandidi instans festr 11 .... Petitio fehlt 8 dominicam fehlt 7 perualidi 15 dilacione] occan
III. Abhängigkeitsverhältuis der drei Handschriften. 145 ist, abgedruckt. Zum ersten Brief (= Bl. 131), der eine Einladung zu einem Turnierfest vor König Wenzel in Prag formuliert, vgl. Abdruck Nr. 26 (= P Bl. 142"); xum nächsten (= Bl. 141), der zu einem Jagd- vergnügen einlädt, vgl. Abdruck Nr. 28 (= P Bl. 1441). Strennuo et honesto domino M., militi de I., heredi in F., specia- liter sibi dilecto etc. Seruicij et ad queuis beneplacita promptitudinem affec- tuosam. Quia illustres Principes et Barones necnon Comites et Nobiles, Milites et Clientes amictibus percandidis et clarissimis, balteis insi- gnibus ac armis et ceteris ad hec spectantibus perualidis ad proximam (dominicam) post finem instantis festi beate M. in ciuitate pragensi coram gloriosissimo principe et domino domino W., Regi nostro, pro 1o singulari solacio in laudem et honorem nobilium tornamentorum studia honorifice exercere proponunt, quare presenciam v(estram) . . . ., generoso cetui Nobilium loco et tempore prefixis in multe dileccionis studio affecto congregari. Nam ibi nos accincti robore militaris po- tencie ad implendum nostre fame tytulos conueniemus exercere mili- 15 ciam omni dilacione semota. Datum in etc. 5 Ib. Dem Irbarn starken Ritter, hern t. von k., Erbherrn czu p., mein sunderlichn liebn frund etc. Meynen stetin dinst mit behegelichkeit zuuor. Die allirdurchluchtigisten vnd Ediln Fursten, Grawen, Edele, Ritt" 5 vnd knechte mit yrem besten gewande, gurteln vnd mit yrem besten harnisch vnd mit andirn czugehorungen am nestn Suntag noch sente M. tag czu prage in der stat vor dem allirdurchluchtigesten fursten, konig w., durch sunderliche freude czu lobe vnd czu ere allen Ediln werden Torney vnd Ritterschaft thun mit fleysse. Dorumme ich mit 10 ganczer liebe ewir keginwartikeit in sulcher ediln samenunge begere czu komen vnd werben Ritterliche sterke, vnser lob an alle hinder- nisse wellen meren vnd breyten etc. Ia = Bl. 131 6 percandidi instans festr 11 .... Petitio fehlt 8 dominicam fehlt 7 perualidi 15 dilacione] occan
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146 Zweites Kapitel. Die Schneeberger u. Schweidnitzer Briefsteller usw. IIa (= Bl. 147). Excellenti necnon Generoso domino I. de 1., Comiti vicino nostro karissimo etc. Benevolencie exhibicione [exhibicionem Hs.] et amoris premissis. Generose domine, Exposicione veridica venatorum nostrorum audiuimus, quod in siluis quidem ad nostrum Comitatum spectantibus multa ferarum genera sunt interclusa et mediantibus canibus, rethibus et laqueis facilimum retrahenda. Vos igitur attente requirimus affectuose sincere petendo, quatinus pro singulari solacio et pro deduccione temporis ad vena- cionem quam hodie proponimus, personalitér ad nos equitando venire velitis et canes, laqueos et recia cum venatoribus vestris adduci per- mittatis, In quibus nobis specialem exhibebitis honorem etc. 10 II. Dem Ediln vnd wolgebornen h’ren h. von k., grofen czu p., vns'm allirliepsten nocborn vnd frunde etc. Gutten willen vnd alle irbitunge der eren. Edelr herre, Vnser Jeger haben vns gesagit, das manche tyr vnd wiltnisse sint 5 in vns’m walde, die liechtlich czu fohen sein, sich haben vnd vor- burgen. Bitt wir euch mit fleysse vnd lautir begir, das ir durch sunderlicher frewde wille czu vns gerucht czu komen vnd vns ewir hunde, netze vnd stricke mit ewirn Jeg’rn gerucht czusenden etc. Doran ir vns sunderliche liebe irczegit etc. 10 Bei dem nächsten, hierunter abgedruckten Brief (Bl. 151) verdichtet sich die inhaltliche Berührung fast bis zu wörtlicher Ubereinstimmung. Er enthält die Bitte eines Klerikers an einen Amtsbruder, ihm in Prag neu erschienene theologische Bücher zu besorgen (= S Bl. 40", Abdruck Nr. 41). Er muß also irgendwie aus der S-Sammlung oder deren Quelle hergeleitet sein. Daraus erhellt, daß die P und S zu- grunde liegende Originalredaktion weite Verbreitung ge- funden hat.
146 Zweites Kapitel. Die Schneeberger u. Schweidnitzer Briefsteller usw. IIa (= Bl. 147). Excellenti necnon Generoso domino I. de 1., Comiti vicino nostro karissimo etc. Benevolencie exhibicione [exhibicionem Hs.] et amoris premissis. Generose domine, Exposicione veridica venatorum nostrorum audiuimus, quod in siluis quidem ad nostrum Comitatum spectantibus multa ferarum genera sunt interclusa et mediantibus canibus, rethibus et laqueis facilimum retrahenda. Vos igitur attente requirimus affectuose sincere petendo, quatinus pro singulari solacio et pro deduccione temporis ad vena- cionem quam hodie proponimus, personalitér ad nos equitando venire velitis et canes, laqueos et recia cum venatoribus vestris adduci per- mittatis, In quibus nobis specialem exhibebitis honorem etc. 10 II. Dem Ediln vnd wolgebornen h’ren h. von k., grofen czu p., vns'm allirliepsten nocborn vnd frunde etc. Gutten willen vnd alle irbitunge der eren. Edelr herre, Vnser Jeger haben vns gesagit, das manche tyr vnd wiltnisse sint 5 in vns’m walde, die liechtlich czu fohen sein, sich haben vnd vor- burgen. Bitt wir euch mit fleysse vnd lautir begir, das ir durch sunderlicher frewde wille czu vns gerucht czu komen vnd vns ewir hunde, netze vnd stricke mit ewirn Jeg’rn gerucht czusenden etc. Doran ir vns sunderliche liebe irczegit etc. 10 Bei dem nächsten, hierunter abgedruckten Brief (Bl. 151) verdichtet sich die inhaltliche Berührung fast bis zu wörtlicher Ubereinstimmung. Er enthält die Bitte eines Klerikers an einen Amtsbruder, ihm in Prag neu erschienene theologische Bücher zu besorgen (= S Bl. 40", Abdruck Nr. 41). Er muß also irgendwie aus der S-Sammlung oder deren Quelle hergeleitet sein. Daraus erhellt, daß die P und S zu- grunde liegende Originalredaktion weite Verbreitung ge- funden hat.
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III. Abhängigkeitsverhältnis der drei Handschriften. 147 IIIa (= Bl. 151). Plebanus scribit pro libris emendis. Viro discrecionis radius quem decorat domino Io., plebano in kelez, amico suo speciali etc. Premissis singulis quibus deuote oraciones in domino cum sincera amicicia iugiter prenotantur. Discrete domine et amice mi veraciter predilecte, 10 Ex veridica siquidem hausi serie, quod in studio pragensi multi boni libri in Theologia venduntur tempore presenti. Idcirco supplico discrecioni v(estre) cordintime, michi quatinus v(estra) predilecta a(micicia) de eisdem reportatis benigniter pecunia pro conpetenti comparetis et michi eosdem quantocius poteritis transmittendo. Quod si feceritis apud v(estram) a miciciam) conabor beniuole deseruire in simili vel maiorj etc. III. Dem Ersamen domino Jo., pharer czu kelcz, meynem besundern lieben frunde etc. Meyn Inneges vnd andechtigs gebete im h’ren mit lauther fruntschaft czuuor. Wisset, libr ersamer herre vnd mein besunder frund, das ich = Bl. 15'] vor wore vornomen habe, das im pragischem studio vil guter bucher seyn [vil Hs.] in der heiligen schrift vnde geschreben in desen keginw’tigen czeitn. Dorumme bitte ich ewir fruntschaft mit gancem fleyß, das er mir derselben buchr, die nûlich geschrebin 10 sint, vmme eyn bequemlich geld gutlich kewffen wellet. Tut ir das, zo wisset, das ich euch in eym sulchen adir grossern wil nuhe vnd czu allen czeitn dynen etc. 5 Ahnlich schließt sich die nur lateinisch überlieferte Antwort (Bl. 15") eng an den Wortlaut von S an (Bl. 40", Abdruck Nr. 42a). Die weitgehende inhaltliche Berührung und Ubereinstimmung der Schweidnitzer Sammlung mit den Schlägl-Schneeberger Texten beweist einmal, daß die Briefsteller aller drei Handschriften, auf der einen Seite P und S, auf der andern Sw, aus derselben Quelle, aber unabhängig voneinander, geschöpft haben; zum andern, daß die Schlägl-Schneeberger
III. Abhängigkeitsverhältnis der drei Handschriften. 147 IIIa (= Bl. 151). Plebanus scribit pro libris emendis. Viro discrecionis radius quem decorat domino Io., plebano in kelez, amico suo speciali etc. Premissis singulis quibus deuote oraciones in domino cum sincera amicicia iugiter prenotantur. Discrete domine et amice mi veraciter predilecte, 10 Ex veridica siquidem hausi serie, quod in studio pragensi multi boni libri in Theologia venduntur tempore presenti. Idcirco supplico discrecioni v(estre) cordintime, michi quatinus v(estra) predilecta a(micicia) de eisdem reportatis benigniter pecunia pro conpetenti comparetis et michi eosdem quantocius poteritis transmittendo. Quod si feceritis apud v(estram) a miciciam) conabor beniuole deseruire in simili vel maiorj etc. III. Dem Ersamen domino Jo., pharer czu kelcz, meynem besundern lieben frunde etc. Meyn Inneges vnd andechtigs gebete im h’ren mit lauther fruntschaft czuuor. Wisset, libr ersamer herre vnd mein besunder frund, das ich = Bl. 15'] vor wore vornomen habe, das im pragischem studio vil guter bucher seyn [vil Hs.] in der heiligen schrift vnde geschreben in desen keginw’tigen czeitn. Dorumme bitte ich ewir fruntschaft mit gancem fleyß, das er mir derselben buchr, die nûlich geschrebin 10 sint, vmme eyn bequemlich geld gutlich kewffen wellet. Tut ir das, zo wisset, das ich euch in eym sulchen adir grossern wil nuhe vnd czu allen czeitn dynen etc. 5 Ahnlich schließt sich die nur lateinisch überlieferte Antwort (Bl. 15") eng an den Wortlaut von S an (Bl. 40", Abdruck Nr. 42a). Die weitgehende inhaltliche Berührung und Ubereinstimmung der Schweidnitzer Sammlung mit den Schlägl-Schneeberger Texten beweist einmal, daß die Briefsteller aller drei Handschriften, auf der einen Seite P und S, auf der andern Sw, aus derselben Quelle, aber unabhängig voneinander, geschöpft haben; zum andern, daß die Schlägl-Schneeberger
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148 Zweites Kapitel. Die Schneeberger u. Schweidnitzer Briefsteller usw. Muster nicht fingiert, sondern aus einer Originalsammlung redigiert und abgeleitet sind. Und diese Erstredaktion scheint mir ihrerseits nicht fiktiven Ursprungs xu sein: wirklich geschriebene Briefe dienten als Vorlage, indem sie meist ihres persönlichen und lokalen Gehalts entkleidet wurden. Die Willkür späterer Hände füllte dann solche Lücken wieder aus und stutzte, namentlich die örtlichen Angaben, nach Belieben zurecht. Daher sind die ursprünglichen Texte nur in mehrfacher Ververrung und z. T. krasser Entstellung auf uns gekommen. Dieser Erklärung von Herkunft und Echtheit der Briefsteller scheint der sprachliche Charakter der deutschen Texte zu widersprechen. Denn wären die Briefe, so sollte man meinen, nicht fingiert, sondern von Originalen abgeleitet, dann hätte die Abstufung der verschiedensten darin vertretenen sozialen Stände und Schichten auch auf die Sprache stärker abfärben und diese mehr differenzieren müssen. Dem ließe sich ent- gegnen: solche sprachlichen Unterscheidungen mögen ursprünglich vor- handen und ausgeprägt gewesen sein, haben aber im Verlauf der wieder- holten Redaktionen und Abschriften ihre Merkmale gänzlich abgeschliffen. Indessen geht diese ganxe Erwägung von modernen Voraussetzungen, von den modernen Begriffen des individuellen Stils aus, die für das Zeitalter der Anfänge unserer Prosa-Schriftsprache nicht oder nur sehr bedingt Anwendung dulden. Es fällt dabei vor allen Dingen die Tatsache ins Gewicht, daß, wie oben S. 6 betont worden ist, ja auch die echten Briefe ihrerseits nach traditionellen typischen Mustern geschrieben worden sind, und niemals mittelalterliche Durchschnittsmenschen danach gestrebt haben, ein anderes Deutsch zu schreiben als das in herkömmlichen Formen aus- geprägte. Trotzdem sind leise syntaktische und stilistische Verschieden- heiten doch wohl auch in den fraglichen Briefen unserer Sammlung zu spüren.
148 Zweites Kapitel. Die Schneeberger u. Schweidnitzer Briefsteller usw. Muster nicht fingiert, sondern aus einer Originalsammlung redigiert und abgeleitet sind. Und diese Erstredaktion scheint mir ihrerseits nicht fiktiven Ursprungs xu sein: wirklich geschriebene Briefe dienten als Vorlage, indem sie meist ihres persönlichen und lokalen Gehalts entkleidet wurden. Die Willkür späterer Hände füllte dann solche Lücken wieder aus und stutzte, namentlich die örtlichen Angaben, nach Belieben zurecht. Daher sind die ursprünglichen Texte nur in mehrfacher Ververrung und z. T. krasser Entstellung auf uns gekommen. Dieser Erklärung von Herkunft und Echtheit der Briefsteller scheint der sprachliche Charakter der deutschen Texte zu widersprechen. Denn wären die Briefe, so sollte man meinen, nicht fingiert, sondern von Originalen abgeleitet, dann hätte die Abstufung der verschiedensten darin vertretenen sozialen Stände und Schichten auch auf die Sprache stärker abfärben und diese mehr differenzieren müssen. Dem ließe sich ent- gegnen: solche sprachlichen Unterscheidungen mögen ursprünglich vor- handen und ausgeprägt gewesen sein, haben aber im Verlauf der wieder- holten Redaktionen und Abschriften ihre Merkmale gänzlich abgeschliffen. Indessen geht diese ganxe Erwägung von modernen Voraussetzungen, von den modernen Begriffen des individuellen Stils aus, die für das Zeitalter der Anfänge unserer Prosa-Schriftsprache nicht oder nur sehr bedingt Anwendung dulden. Es fällt dabei vor allen Dingen die Tatsache ins Gewicht, daß, wie oben S. 6 betont worden ist, ja auch die echten Briefe ihrerseits nach traditionellen typischen Mustern geschrieben worden sind, und niemals mittelalterliche Durchschnittsmenschen danach gestrebt haben, ein anderes Deutsch zu schreiben als das in herkömmlichen Formen aus- geprägte. Trotzdem sind leise syntaktische und stilistische Verschieden- heiten doch wohl auch in den fraglichen Briefen unserer Sammlung zu spüren.
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DRITTES KAPITEL. ZUR ÜBERLIEFERUNG. Von Konrad Burdach und Gustav Bebermeyer. I. Einteilung des Textabdrucks und Ubersicht der Überlieferung. Der unten vorgelegte Abdruck einer Auswahl von Texten der Formel- Sammlung gliedert sich in drei Abteilungen: die erste enthält lateinisch- deutsche Briefmuster für Laien (Nr. 1—30), die zweite lateinisch-deutsche Briefmuster für Laien und Kleriker (Nr. 31—51), die dritte rein latei- nische Briefmuster für Kleriker und Scholaren (Nr. 52—86). Die Uberlieferung ruht auf den im 1. und 2. Kapitel schon gewürdigten drei Handschriften, erstens dem Codex Plagensis 194, einer Sammel- handschrift der Bibliothek des Prämonstratenserstiftes Schlägl in Ober- österreich, xweitens dem Codex II 287 der Gymnasialbibliothek zu Schneeberg im sächsischen Erzgebirge, gleichfalls einer Sammelhandschrift, drittens dem Codex Sweidnitxensis I 243 des Stadtarchivs xu Schweidnitz in Mittelschlesien mit Brief- und Urkundenformularen. Von der ersten Abteilung werden die Briefmuster Nr. 1—19 durch Cod. Plag. (P) und die Schneeberger Hs. (S), Nr. 20—30 allein durch Cod. Plag. überliefert. Die Formulare der zweiten Abteilung sind von Nr. 31—44 dem Schneeberger Codex, von Nr. 45—51 dem Cod. Sweidn. entnommen. Innerhalb der letzten Abteilung endlich sind Nr. 52 aus dem Schneeberger Codex, Nr. 67 aus P und S, alle übrigen Briefe, also Nr. 53—66 und 68—86, aus P ausgewählt. II. Beschreibung der Handschriften und ihres Inhaltes. 1. Cod. Plag. (P). Bibliothek des Prämonstratenserstiftes Schlägl (Cod. Plag. 194). Sammelhandschrift von mehreren Händen. Im ganzen 264 Blätter und Pergamentvorsetzblatt, davon Bl. 1—36 Pergament, 37—264 Papier. Fast überall lesbar. Blattgröße und ebenso die Größe des beschriebenen Raumes verschieden. Abwechselnd ein- und zweispaltig, je nach Inhalt. Zu Beginn der verschiedenen Stücke große, bunt gemalte Initialen, aber nicht regelmäßig, an den Sinneseinschnitten häufig große rote Buchstaben1. 1 In den nachstehenden Beschreibungen sind die Spalten durch die Expo-
DRITTES KAPITEL. ZUR ÜBERLIEFERUNG. Von Konrad Burdach und Gustav Bebermeyer. I. Einteilung des Textabdrucks und Ubersicht der Überlieferung. Der unten vorgelegte Abdruck einer Auswahl von Texten der Formel- Sammlung gliedert sich in drei Abteilungen: die erste enthält lateinisch- deutsche Briefmuster für Laien (Nr. 1—30), die zweite lateinisch-deutsche Briefmuster für Laien und Kleriker (Nr. 31—51), die dritte rein latei- nische Briefmuster für Kleriker und Scholaren (Nr. 52—86). Die Uberlieferung ruht auf den im 1. und 2. Kapitel schon gewürdigten drei Handschriften, erstens dem Codex Plagensis 194, einer Sammel- handschrift der Bibliothek des Prämonstratenserstiftes Schlägl in Ober- österreich, xweitens dem Codex II 287 der Gymnasialbibliothek zu Schneeberg im sächsischen Erzgebirge, gleichfalls einer Sammelhandschrift, drittens dem Codex Sweidnitxensis I 243 des Stadtarchivs xu Schweidnitz in Mittelschlesien mit Brief- und Urkundenformularen. Von der ersten Abteilung werden die Briefmuster Nr. 1—19 durch Cod. Plag. (P) und die Schneeberger Hs. (S), Nr. 20—30 allein durch Cod. Plag. überliefert. Die Formulare der zweiten Abteilung sind von Nr. 31—44 dem Schneeberger Codex, von Nr. 45—51 dem Cod. Sweidn. entnommen. Innerhalb der letzten Abteilung endlich sind Nr. 52 aus dem Schneeberger Codex, Nr. 67 aus P und S, alle übrigen Briefe, also Nr. 53—66 und 68—86, aus P ausgewählt. II. Beschreibung der Handschriften und ihres Inhaltes. 1. Cod. Plag. (P). Bibliothek des Prämonstratenserstiftes Schlägl (Cod. Plag. 194). Sammelhandschrift von mehreren Händen. Im ganzen 264 Blätter und Pergamentvorsetzblatt, davon Bl. 1—36 Pergament, 37—264 Papier. Fast überall lesbar. Blattgröße und ebenso die Größe des beschriebenen Raumes verschieden. Abwechselnd ein- und zweispaltig, je nach Inhalt. Zu Beginn der verschiedenen Stücke große, bunt gemalte Initialen, aber nicht regelmäßig, an den Sinneseinschnitten häufig große rote Buchstaben1. 1 In den nachstehenden Beschreibungen sind die Spalten durch die Expo-
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150 Drittes Kapitel. Zur Überlieferung. Pergamentvorsatzblatt auf beiden Seiten zweispaltig: von Hand des 15. Jahrhunderts lat. Hexameter grammatischen Inhalts (über Synonyma und Deklination, Pluralbildung usw.). 1. Bl. 1r—36r " Pergament, Blattgröße 20,7—21,8 X 14 cm, be- schriebener Raum 17,5 X 11 cm, zweispaltig. Sermones aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts. Bl. 1r rote Uberschrift: Aurea lingwa de sanctis per totum annum primo de vigilia Natfivitatis domini abgerissen]. Anf. 1ra Cum esset desponsa [virgo beata? durch Fleck undeutlich] Maria Josepho Schl. 36ra sue matris perductam. amen. Dann das Explicit mit wiederholtem Titel Aurea lingwa de sanctis per circulum anni. Bl. 36rb von derselben Hand in kleinerer Schrift offenbar später nachgetragen in roter Uberschrift: De sancto Oswalto rege largissimo, Predigt. Anf. 36r b Cor regis in manu dei Schl. 36" " Ad omnem voluntatem et nominis sui qui est bene- dictus amen. Auf der rechten Spalte dieser Seite (Bl. 36" b) der Länge nach von andrer Hand des 15. Jahrhunderts: Anno domini 1405 ego rugerus kámrl emi istum librum pro 46 g [groschen] circa festum conuersionis sancti pauli [25. Jan.] (de sall durchstrichen) de satellitibus theodorici. Darüber von andrer, gleichzeitiger Hand gleichfalls der Länge nach Rechnungsnotixen: pro perchtoldo in truchtelfing iiij [s]cyphos warbarici vini vj 3 [denarios] viij & item dicto sawrzapf in Ekkemül iiij & vj & iij & ij & item dicto Lüstl in allchoue ij & — Allchouen be- legt Förstemann, Altd. Namenbuch II2, S. 61 westlich von Linz; süd- westlich von Landsberg unweit des Lech; bei Mallersdorf südöstlich von Regensburg. Das erste wohl hier gemeint. Bl. 37r—264" Papier, Blattgröße 20,8—21,2 X 14 cm. 2. Bl. 37r—45" Ordo der Messe, Hand des 15. Jahrhunderts, erste Hälfte. Rote Uberschrift: In nomine domini amen. Hic incipit accessus = xweite Spalte der Vorder- nenten a und b unterschieden. Also z. B. 36rb seite (Rectoseite) von Bl. 36, Bl. 36"a = erste Spalte der Rückseite (Verso- scite) von Bl. 36. Unsere Zählung der Blätter folgt der modernen Beziffe- rung der Blätter in der Handschrift, die auch die verstümmelten Blätter erfaßt, soweit sie Raum boten für Anbringung einer Zahl. Spuren noch mehr verstörter Blätter sind in unserer Beschreibung mit einem der Zahl beigesetzten a, b, c usw. bezeichnet. Also x. B. Bl. 40a = fehlendes (ausgerissenes) Blatt nach 40. — Für die Lagenbexeichnungen beachte man, daß darin die Doppelblätter gezählt werden. Es ist also: Binio = Lage von 2 Doppelblättern Ternio = „ „ „ „ 3 Quatern = „ „ 4 „ „ „ „ 5 Quintern = Sextern = Lage von 6 Doppelblättern Septenio = „ „ Octonio = „ „ 8 „ „
150 Drittes Kapitel. Zur Überlieferung. Pergamentvorsatzblatt auf beiden Seiten zweispaltig: von Hand des 15. Jahrhunderts lat. Hexameter grammatischen Inhalts (über Synonyma und Deklination, Pluralbildung usw.). 1. Bl. 1r—36r " Pergament, Blattgröße 20,7—21,8 X 14 cm, be- schriebener Raum 17,5 X 11 cm, zweispaltig. Sermones aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts. Bl. 1r rote Uberschrift: Aurea lingwa de sanctis per totum annum primo de vigilia Natfivitatis domini abgerissen]. Anf. 1ra Cum esset desponsa [virgo beata? durch Fleck undeutlich] Maria Josepho Schl. 36ra sue matris perductam. amen. Dann das Explicit mit wiederholtem Titel Aurea lingwa de sanctis per circulum anni. Bl. 36rb von derselben Hand in kleinerer Schrift offenbar später nachgetragen in roter Uberschrift: De sancto Oswalto rege largissimo, Predigt. Anf. 36r b Cor regis in manu dei Schl. 36" " Ad omnem voluntatem et nominis sui qui est bene- dictus amen. Auf der rechten Spalte dieser Seite (Bl. 36" b) der Länge nach von andrer Hand des 15. Jahrhunderts: Anno domini 1405 ego rugerus kámrl emi istum librum pro 46 g [groschen] circa festum conuersionis sancti pauli [25. Jan.] (de sall durchstrichen) de satellitibus theodorici. Darüber von andrer, gleichzeitiger Hand gleichfalls der Länge nach Rechnungsnotixen: pro perchtoldo in truchtelfing iiij [s]cyphos warbarici vini vj 3 [denarios] viij & item dicto sawrzapf in Ekkemül iiij & vj & iij & ij & item dicto Lüstl in allchoue ij & — Allchouen be- legt Förstemann, Altd. Namenbuch II2, S. 61 westlich von Linz; süd- westlich von Landsberg unweit des Lech; bei Mallersdorf südöstlich von Regensburg. Das erste wohl hier gemeint. Bl. 37r—264" Papier, Blattgröße 20,8—21,2 X 14 cm. 2. Bl. 37r—45" Ordo der Messe, Hand des 15. Jahrhunderts, erste Hälfte. Rote Uberschrift: In nomine domini amen. Hic incipit accessus = xweite Spalte der Vorder- nenten a und b unterschieden. Also z. B. 36rb seite (Rectoseite) von Bl. 36, Bl. 36"a = erste Spalte der Rückseite (Verso- scite) von Bl. 36. Unsere Zählung der Blätter folgt der modernen Beziffe- rung der Blätter in der Handschrift, die auch die verstümmelten Blätter erfaßt, soweit sie Raum boten für Anbringung einer Zahl. Spuren noch mehr verstörter Blätter sind in unserer Beschreibung mit einem der Zahl beigesetzten a, b, c usw. bezeichnet. Also x. B. Bl. 40a = fehlendes (ausgerissenes) Blatt nach 40. — Für die Lagenbexeichnungen beachte man, daß darin die Doppelblätter gezählt werden. Es ist also: Binio = Lage von 2 Doppelblättern Ternio = „ „ „ „ 3 Quatern = „ „ 4 „ „ „ „ 5 Quintern = Sextern = Lage von 6 Doppelblättern Septenio = „ „ Octonio = „ „ 8 „ „
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II. Beschreibung der Handschriften und ihres Inhaltes. 151 altaris et primo dicitur. Auf Bl. 41° Kanon der Messe, davor ein Blatt mit dem daxu gehörigen Bild herausgerissen (Bl. 40a). Bl. 45°—47" unbeschrieben. 3. Bl. 48r— 57" Mirakelgeschichten in Prosa von andrer Hand des beginnenden 15. Jahrhunderts. Anfang und Schluß fehlen. Uberschrift: De multiplici genere eorum qui intrant regnum celorum. 4. Bl. 58°—63" Sammlung lateinischer Briefmuster mit kurzer er- läuternder, notizenhafter Abhandlung (im Textabdruck unten als „Glosse“ oder „Note" bezeichnet) über die Colores (der Rhetorik), für welche die Briefe die Paradigmen bieten, von andrer Hand des frühen 15. Jahr- hunderts: erstes Formelbuch, aus dem die Nummern 54—66 der hier vorgelegten Texte ausgewählt sind. Auf Bl. 58r als Anfang und Prolog ein Brief der Jungfrau Maria an den Scholaren (Anf. Maria virgo, omnium mater creaturarum, s. den Textabdruck Nr. 53). Auf jeden Brief folgt die erläuternde Abhandlung: Anfang des ersten Notandum primo primus color qui hic fd. h. im vorhergehenden Brief) tangitur vocatur traduccio. Die Personen- und Ortsnamen sind teilweise durch N. und talis ersetxt; im übrigen vgl. das über die Eigennamen in der Einleitung S. 21 ff. Gesagte. Letxter Brief = Nr. 66 des gedruckten Textes. Bl. 64r—68" leer. 777 " Opusculum conpendiosum de obsessis hominibus 5. Bl. 691 a— (diesen Titel gibt das Explicit). Zweispaltig von neuer Hand um oder kurx nach 1400. Anf. 69ra Si vis coniurare tunc primo prouideas Schl. 77v a iubeas reuerti corporis sanitatem per dominum. Aus dieser Schrift hat Adolph Franx, Die kirchlichen Benediktionen im Mittelalter, Freiburg i. B., Herder, 1909 mehrfach Mitteilungen ge- macht: Exorcismus demonum Bl. 72"b (Bd. 1, S. 329 Anm. 4); Vor- schrift über die mit Weihwasser zu bereitenden Speisen für Besessene Bl. 72rb (Bd. 2, S. 565, Anm. 2); Forderung der Enthaltung von Un- zucht für den Exorxisten Bl. 69r a (ebd. S. 567 Anm. 4); Befragung des Dämons nach seinem Geschlecht Bl. 69r ab (ebd. S. 569 Anm. 1); Be- fragung nach seiner Gesellschaft und Austreibungsmöglichkeit Bl. 69ra (ebd. S. 570 Anm. 2); Befragung nach dem Körperteil, in dem er sich aufhalte, und Besprechung dieser Körperstelle durch Psalmverse Bl. 69v a (ebd. S. 570 Anm. 4); Exorzismusmesse Bl. 75" b (ebd. S. 571 Anm. I, mit falscher Angabe der Blattxahl); Gebet für Besessene Bl. 77r b, 77va (ebd. S. 571 Anm. 4); Umschlingung der Beine des Besessenen mit einer Stola Bl. 69r" (ebd. S. 572 Anm. 1); andächtiges Verhalten der bei der Exorxismusmesse anwesenden Gläubigen Bl. 7516 (ebd. S. 572 Anm. 2, mit falscher Angabe der Blattzahl); nach der Exorzismusmesse wird der Besessene, an Füßen und Lenden gebunden, mit einer Stola am Halse umwunden, mit einer andern festgehalten, auf dem Fußboden vor dem
II. Beschreibung der Handschriften und ihres Inhaltes. 151 altaris et primo dicitur. Auf Bl. 41° Kanon der Messe, davor ein Blatt mit dem daxu gehörigen Bild herausgerissen (Bl. 40a). Bl. 45°—47" unbeschrieben. 3. Bl. 48r— 57" Mirakelgeschichten in Prosa von andrer Hand des beginnenden 15. Jahrhunderts. Anfang und Schluß fehlen. Uberschrift: De multiplici genere eorum qui intrant regnum celorum. 4. Bl. 58°—63" Sammlung lateinischer Briefmuster mit kurzer er- läuternder, notizenhafter Abhandlung (im Textabdruck unten als „Glosse“ oder „Note" bezeichnet) über die Colores (der Rhetorik), für welche die Briefe die Paradigmen bieten, von andrer Hand des frühen 15. Jahr- hunderts: erstes Formelbuch, aus dem die Nummern 54—66 der hier vorgelegten Texte ausgewählt sind. Auf Bl. 58r als Anfang und Prolog ein Brief der Jungfrau Maria an den Scholaren (Anf. Maria virgo, omnium mater creaturarum, s. den Textabdruck Nr. 53). Auf jeden Brief folgt die erläuternde Abhandlung: Anfang des ersten Notandum primo primus color qui hic fd. h. im vorhergehenden Brief) tangitur vocatur traduccio. Die Personen- und Ortsnamen sind teilweise durch N. und talis ersetxt; im übrigen vgl. das über die Eigennamen in der Einleitung S. 21 ff. Gesagte. Letxter Brief = Nr. 66 des gedruckten Textes. Bl. 64r—68" leer. 777 " Opusculum conpendiosum de obsessis hominibus 5. Bl. 691 a— (diesen Titel gibt das Explicit). Zweispaltig von neuer Hand um oder kurx nach 1400. Anf. 69ra Si vis coniurare tunc primo prouideas Schl. 77v a iubeas reuerti corporis sanitatem per dominum. Aus dieser Schrift hat Adolph Franx, Die kirchlichen Benediktionen im Mittelalter, Freiburg i. B., Herder, 1909 mehrfach Mitteilungen ge- macht: Exorcismus demonum Bl. 72"b (Bd. 1, S. 329 Anm. 4); Vor- schrift über die mit Weihwasser zu bereitenden Speisen für Besessene Bl. 72rb (Bd. 2, S. 565, Anm. 2); Forderung der Enthaltung von Un- zucht für den Exorxisten Bl. 69r a (ebd. S. 567 Anm. 4); Befragung des Dämons nach seinem Geschlecht Bl. 69r ab (ebd. S. 569 Anm. 1); Be- fragung nach seiner Gesellschaft und Austreibungsmöglichkeit Bl. 69ra (ebd. S. 570 Anm. 2); Befragung nach dem Körperteil, in dem er sich aufhalte, und Besprechung dieser Körperstelle durch Psalmverse Bl. 69v a (ebd. S. 570 Anm. 4); Exorzismusmesse Bl. 75" b (ebd. S. 571 Anm. I, mit falscher Angabe der Blattxahl); Gebet für Besessene Bl. 77r b, 77va (ebd. S. 571 Anm. 4); Umschlingung der Beine des Besessenen mit einer Stola Bl. 69r" (ebd. S. 572 Anm. 1); andächtiges Verhalten der bei der Exorxismusmesse anwesenden Gläubigen Bl. 7516 (ebd. S. 572 Anm. 2, mit falscher Angabe der Blattzahl); nach der Exorzismusmesse wird der Besessene, an Füßen und Lenden gebunden, mit einer Stola am Halse umwunden, mit einer andern festgehalten, auf dem Fußboden vor dem
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152 Drittes Kapitel. Zur Uberlieferung. Altar in einem mit Kreide gezeichneten magischen Kreise hingelegt (ebd. S. 573 Anm. 2); Tröstung und Stärkung des Geheilten Bl. 69ra (ebd. S. 574 Anm. 1). Bl. 73va Nach Bl. 77 ein Blatt ausgerissen (Bl. 77a). 6. Bl. 78r a—84r " Benediccio sancti Blasii, salis et aque in die eiusdem. Zweispaltig von neuer, etwa gleichzeitiger Hand wie Nr. 5. Anf. 78ra Oracio. Deus cuius antiqua miracula. Schl. 84r" ad prosperitatem et recuperacionem per Christum do- minum nostrum. Dieses Zeugnis für die Anwendung der Wasserwethe zu Ehren des heiligen Blasius an dessen Fest erwähnt Franz a. a. O. Bd. 1, S. 204 Anm. 6 : die Oracio ist die Benedictio maior salis et aque (bei Franz Bd. 1, S. 163 ff.). 7. Bl. 84rb—85rb deutsche Segen- und Beschwörungsformeln von derselben Hand wie Nr. 6. Bl. 84rb und 84 " fast ganz abgerissen. Der erhaltene Text des Segens auf Bl. 84"b beginnt: verratet mich noch heint an diser nacht. Ihesus autem transiens per medium illorum ibat. Darüber am oberen Blattrand verum est, dem auf Bl. 85r° an gleichem Ort falsum est entspricht. Schl. Bl. 85r" als der wein und daz prot daz got seinen jungeren pot amen. Die folgende Beschwörung Contra febres auf Bl. 85rb ist ausge- strichen; sie beginnt: Aue virga yesse Maria ysayas expresse und schließt Aue Maria omni die nouem diebus et porta IX diebus in collo et postea conbure etc. 8. Bl. 85"—86" Anweisung für die Bußpraxis der Fastenzeit von andrer Hand um etwa 1420. Anf. Quando aliquis peccator wlt accipere karrenam Schl. proteccione redde securos per dominum nostrum Ihesum Christum. Bl. 86"—89" leer. 9. Bl. 90ra—105"a Predigten über Feste des Kirchenjahrs, zunächst Sermone de passione domini, xweispaltig von Hand des späten 14. Jahr- hunderts Von Bl. 90 fehlt die obere Hälfte, und so der Anfang dieses Stückes. Schl. Bl. 105"" Isti sunt due oliue et duo candelabra lucencia ante dominum etc. Rogamus ergo dominum, folgt unleserliches rotes Explicit. 10. Bl. 105va—b Deutsches Credo apostolicum von Hand der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts in bayrischer Mundart. Anf. Ich glaub in got vat’ almächttign scheph" Schl. ablaz d' sundn Di vrstent dez fleichz vn daz ebig lebn. 11. Bl. 106"—145" Rhetorik mit Musterbriefen von neuer Hand des beginnenden 15. Jahrhunderts: zweites Formelbuch (Briefmuster mit folgenden Noten: der Glosse). Es xerfällt in
152 Drittes Kapitel. Zur Uberlieferung. Altar in einem mit Kreide gezeichneten magischen Kreise hingelegt (ebd. S. 573 Anm. 2); Tröstung und Stärkung des Geheilten Bl. 69ra (ebd. S. 574 Anm. 1). Bl. 73va Nach Bl. 77 ein Blatt ausgerissen (Bl. 77a). 6. Bl. 78r a—84r " Benediccio sancti Blasii, salis et aque in die eiusdem. Zweispaltig von neuer, etwa gleichzeitiger Hand wie Nr. 5. Anf. 78ra Oracio. Deus cuius antiqua miracula. Schl. 84r" ad prosperitatem et recuperacionem per Christum do- minum nostrum. Dieses Zeugnis für die Anwendung der Wasserwethe zu Ehren des heiligen Blasius an dessen Fest erwähnt Franz a. a. O. Bd. 1, S. 204 Anm. 6 : die Oracio ist die Benedictio maior salis et aque (bei Franz Bd. 1, S. 163 ff.). 7. Bl. 84rb—85rb deutsche Segen- und Beschwörungsformeln von derselben Hand wie Nr. 6. Bl. 84rb und 84 " fast ganz abgerissen. Der erhaltene Text des Segens auf Bl. 84"b beginnt: verratet mich noch heint an diser nacht. Ihesus autem transiens per medium illorum ibat. Darüber am oberen Blattrand verum est, dem auf Bl. 85r° an gleichem Ort falsum est entspricht. Schl. Bl. 85r" als der wein und daz prot daz got seinen jungeren pot amen. Die folgende Beschwörung Contra febres auf Bl. 85rb ist ausge- strichen; sie beginnt: Aue virga yesse Maria ysayas expresse und schließt Aue Maria omni die nouem diebus et porta IX diebus in collo et postea conbure etc. 8. Bl. 85"—86" Anweisung für die Bußpraxis der Fastenzeit von andrer Hand um etwa 1420. Anf. Quando aliquis peccator wlt accipere karrenam Schl. proteccione redde securos per dominum nostrum Ihesum Christum. Bl. 86"—89" leer. 9. Bl. 90ra—105"a Predigten über Feste des Kirchenjahrs, zunächst Sermone de passione domini, xweispaltig von Hand des späten 14. Jahr- hunderts Von Bl. 90 fehlt die obere Hälfte, und so der Anfang dieses Stückes. Schl. Bl. 105"" Isti sunt due oliue et duo candelabra lucencia ante dominum etc. Rogamus ergo dominum, folgt unleserliches rotes Explicit. 10. Bl. 105va—b Deutsches Credo apostolicum von Hand der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts in bayrischer Mundart. Anf. Ich glaub in got vat’ almächttign scheph" Schl. ablaz d' sundn Di vrstent dez fleichz vn daz ebig lebn. 11. Bl. 106"—145" Rhetorik mit Musterbriefen von neuer Hand des beginnenden 15. Jahrhunderts: zweites Formelbuch (Briefmuster mit folgenden Noten: der Glosse). Es xerfällt in
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II. Beschreibung der Handschriften und ihres Inhaltes. 153 a) eine einleitende theoretische Abhandlung: Anf. 1061 Pro facili declaracione practice ipsius rethorice sciencie Schl. 106r conclusio est dictorum debitum conplementum a quibus omnibus sic forme littere missiles formantur. b) einen Prolog Bl. 106"—107r: Brief de studente ad sanctam Katherinam, der auch im Schneeberger Kodex Bl. 51 überliefert und in den Texten unter Nr. 67 abgedruckt ist. c) einen lat.-deutschen Briefsteller Bl. 107r—117r und 140v—145", der ganz in Nr. 1—30 der Texte abgedruckt ist und den zum größeren Teil (Nr. 1—19) auch der Schneeberger Kodex überliefert. In dieses Formelbuch ist eingeschoben d) ein rein lat. Mittelstück mit Briefformularen für Kleriker und Scholaren, Bl. 1177—140°. Es verrät z. T. weitgehende Ubereinstimmung mit dem ersten lat. Formelbuch und wird eingeleitet mit einem Briefe des Prager Studenten Anshelm von Frankenstein an die Jungfrau Maria (Texte Nr. 68, vgl. oben S. 29 und 46ff.), dem ein Antwortbrief der Maria folgt (Bl. 118" und 119r, Text Nr. 69). Von den übrigen Formeln bringt der Abdruck mit den Nr. 70—81 eine Auswahl. Im einzelnen gliedert sich das ganxe Formelbuch (a—d) in 28 ver- schiedene Abteilungen (I—III. XXIV—XXVII lateinisch-deutsch; IV— XXIII lateinisch). I. Forme personarum ciuilium, Bl. 107r—109r, Texte Nr. 1—5. II. De consagwineis ciuilibus, Bl. 109r—1111, Texte Nr. 6—9. III. De prothoconsulibus, Bl. 111r—117r, Nr. 10—21. IV. Forme litterarum missilium ipsorum studencium cum singulis verborum coloribus exornate [et ornate Hs.], Bl. 117r—124", davon eine Auswahl in den Texten Nr. 68—74. V. Forme ipsorum magistrorum pariter et doctorum, Bl. 124"—128", daraus die Texte Nr. 75—78. VI. Forme personarum simplicium spiritualium in infimo statu et primo de prespiteris simplicibus qui scolares vocantur, Bl. 128r—129r, daraus Nr. 79. VII. Forme litterarum missilium de decano ad decanum, Bl. 129ru. daraus Nr. 80 und 81. VIII. De prelatis, Bl. 129°—130", von hier bis zum Schluß des Formelbuchs finden sich keine bedeutsamen Stücke mehr bis auf eines in Abteilung X. Ortsbezeichnungen: Breslau, Leubus, Prag. Jahresdatum 1407. IX. Forma de capitulo ad capitulum, Bl. 130" und 1317. Namen: Ottmachau, Breslaw, Leubus; Nikolaus Forst, Nikolaus Frank, Johannes Ber. Datum 1407.
II. Beschreibung der Handschriften und ihres Inhaltes. 153 a) eine einleitende theoretische Abhandlung: Anf. 1061 Pro facili declaracione practice ipsius rethorice sciencie Schl. 106r conclusio est dictorum debitum conplementum a quibus omnibus sic forme littere missiles formantur. b) einen Prolog Bl. 106"—107r: Brief de studente ad sanctam Katherinam, der auch im Schneeberger Kodex Bl. 51 überliefert und in den Texten unter Nr. 67 abgedruckt ist. c) einen lat.-deutschen Briefsteller Bl. 107r—117r und 140v—145", der ganz in Nr. 1—30 der Texte abgedruckt ist und den zum größeren Teil (Nr. 1—19) auch der Schneeberger Kodex überliefert. In dieses Formelbuch ist eingeschoben d) ein rein lat. Mittelstück mit Briefformularen für Kleriker und Scholaren, Bl. 1177—140°. Es verrät z. T. weitgehende Ubereinstimmung mit dem ersten lat. Formelbuch und wird eingeleitet mit einem Briefe des Prager Studenten Anshelm von Frankenstein an die Jungfrau Maria (Texte Nr. 68, vgl. oben S. 29 und 46ff.), dem ein Antwortbrief der Maria folgt (Bl. 118" und 119r, Text Nr. 69). Von den übrigen Formeln bringt der Abdruck mit den Nr. 70—81 eine Auswahl. Im einzelnen gliedert sich das ganxe Formelbuch (a—d) in 28 ver- schiedene Abteilungen (I—III. XXIV—XXVII lateinisch-deutsch; IV— XXIII lateinisch). I. Forme personarum ciuilium, Bl. 107r—109r, Texte Nr. 1—5. II. De consagwineis ciuilibus, Bl. 109r—1111, Texte Nr. 6—9. III. De prothoconsulibus, Bl. 111r—117r, Nr. 10—21. IV. Forme litterarum missilium ipsorum studencium cum singulis verborum coloribus exornate [et ornate Hs.], Bl. 117r—124", davon eine Auswahl in den Texten Nr. 68—74. V. Forme ipsorum magistrorum pariter et doctorum, Bl. 124"—128", daraus die Texte Nr. 75—78. VI. Forme personarum simplicium spiritualium in infimo statu et primo de prespiteris simplicibus qui scolares vocantur, Bl. 128r—129r, daraus Nr. 79. VII. Forme litterarum missilium de decano ad decanum, Bl. 129ru. daraus Nr. 80 und 81. VIII. De prelatis, Bl. 129°—130", von hier bis zum Schluß des Formelbuchs finden sich keine bedeutsamen Stücke mehr bis auf eines in Abteilung X. Ortsbezeichnungen: Breslau, Leubus, Prag. Jahresdatum 1407. IX. Forma de capitulo ad capitulum, Bl. 130" und 1317. Namen: Ottmachau, Breslaw, Leubus; Nikolaus Forst, Nikolaus Frank, Johannes Ber. Datum 1407.
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154 Drittes Kapitel. Zur Uberlieferung. X. De episcopis, Bl. 131rv. Personen: als Adressat Nikolaus, Bischof v. Olmütz, das ist Nikolaus von Riesenburg, Bischof v. Olmütz 1390—1397, und Wenzel, Bischof v. Glatz; als Absender Wenzel, Bischof v. Breslau (1382—1417), vgl. oben S. 30 ff. und Exkurs am Schluß der Einleitung, Texte Nr. 82. Ortsnamen: Olmütz, Ottmachau, Glatz, Neiße; 1407. XI. Forme de archiepiscopis, Bl. 132rv Genannt: Iohannes, archiepiscopus Gnesnensis, das ist Johannes Kropidlo, Erzbischof v. Gnesen 1389—1394. König Wenzel. Ortsbezeichnungen: Prag und Gnesen. Datum 1407 (eingebessert aus 1408). XII. Forme de cardinalibus, Bl. 132"—133v. Genannt: Franciscus cardinalis tit. beati Sixti und Damianus car- dinalis tit. beati Sixti, beide nicht nachweisbar; Franciscus presbyter cardinalis tit. sancti Suzanne, das ist Franciscus Carbonus, Kardinal seit 1385 unter Urban VI., † 1405. Ortsnamen: Prag und Venedig ohne Jahreszahl. XIII. De patriarchis, Bl. 133°—134r. Personen: Wenczeslao patriarche Antiochensi, d. i. Wenzel Kralik aus Bouřenic, Propst von Wyssegrad, Bischof v. Olmütz, seit 1397 Patriarch von Antiochia (vgl. Lindner, Gesch. d. deutschen Reiches unter Wenzel II., 490 ff. und V. V. Tomek, Déjepis města Prahy, Vol. III, Prag 1893, Register s. v. Kralik); Silvester, Patriarch von Jerusalem, nicht nachweislich. Ortsbezeichnungen: Antiochia, Breslau, Jerusalem, Rom. Daten: Breslau 21. Juni 1407 und Rom 32. ſsic!] Juni 1407. XIV. Bl. 134r—". Ohne Uberschrift, für die aber der Initial des Sequitur vorgezeichnet ist. Brief des Rektors der Wiener Universität Petrus Gegerdorff, magister in artibus, an den Rektor der Prager Uni- versität, Magister Nikolaus Storch, und dessen Antwort an den Erst- genannten, der hier Jeg’sdorff heißt. Beide nicht nachweisbar (doch s. oben S. 45f.). Texte Nr. 83 und 84. XV. De monachis simplicibus seu conventualibus, Bl. 134"—135". Bexeichnungen: Augustiner-Eremiten zur heiligen Katharina in Prag und Hainau (Reg.-Bez. Liegnitz). XVI. Forma de prioribus, Bl. 135" und 136r. Genannt: Augustiner-Eremiten in Hainau und Reichenbach. Datum 1407. XVII. Forma de provincialibus claustrorum, Bl. 136r—v. Genannt: als Adressat Nikolaus, Provinzial der Augustiner-Eremiten der Provinz Mähren, Österreich, Kärnten; als Absender Paulus, provin- cialis ordinis fratrum predicatorum Francie, Anglie, Thuringie [!), datiert Nouenburg 1407. Mit Antwort, datiert Rom 8. Juli 1407.
154 Drittes Kapitel. Zur Uberlieferung. X. De episcopis, Bl. 131rv. Personen: als Adressat Nikolaus, Bischof v. Olmütz, das ist Nikolaus von Riesenburg, Bischof v. Olmütz 1390—1397, und Wenzel, Bischof v. Glatz; als Absender Wenzel, Bischof v. Breslau (1382—1417), vgl. oben S. 30 ff. und Exkurs am Schluß der Einleitung, Texte Nr. 82. Ortsnamen: Olmütz, Ottmachau, Glatz, Neiße; 1407. XI. Forme de archiepiscopis, Bl. 132rv Genannt: Iohannes, archiepiscopus Gnesnensis, das ist Johannes Kropidlo, Erzbischof v. Gnesen 1389—1394. König Wenzel. Ortsbezeichnungen: Prag und Gnesen. Datum 1407 (eingebessert aus 1408). XII. Forme de cardinalibus, Bl. 132"—133v. Genannt: Franciscus cardinalis tit. beati Sixti und Damianus car- dinalis tit. beati Sixti, beide nicht nachweisbar; Franciscus presbyter cardinalis tit. sancti Suzanne, das ist Franciscus Carbonus, Kardinal seit 1385 unter Urban VI., † 1405. Ortsnamen: Prag und Venedig ohne Jahreszahl. XIII. De patriarchis, Bl. 133°—134r. Personen: Wenczeslao patriarche Antiochensi, d. i. Wenzel Kralik aus Bouřenic, Propst von Wyssegrad, Bischof v. Olmütz, seit 1397 Patriarch von Antiochia (vgl. Lindner, Gesch. d. deutschen Reiches unter Wenzel II., 490 ff. und V. V. Tomek, Déjepis města Prahy, Vol. III, Prag 1893, Register s. v. Kralik); Silvester, Patriarch von Jerusalem, nicht nachweislich. Ortsbezeichnungen: Antiochia, Breslau, Jerusalem, Rom. Daten: Breslau 21. Juni 1407 und Rom 32. ſsic!] Juni 1407. XIV. Bl. 134r—". Ohne Uberschrift, für die aber der Initial des Sequitur vorgezeichnet ist. Brief des Rektors der Wiener Universität Petrus Gegerdorff, magister in artibus, an den Rektor der Prager Uni- versität, Magister Nikolaus Storch, und dessen Antwort an den Erst- genannten, der hier Jeg’sdorff heißt. Beide nicht nachweisbar (doch s. oben S. 45f.). Texte Nr. 83 und 84. XV. De monachis simplicibus seu conventualibus, Bl. 134"—135". Bexeichnungen: Augustiner-Eremiten zur heiligen Katharina in Prag und Hainau (Reg.-Bez. Liegnitz). XVI. Forma de prioribus, Bl. 135" und 136r. Genannt: Augustiner-Eremiten in Hainau und Reichenbach. Datum 1407. XVII. Forma de provincialibus claustrorum, Bl. 136r—v. Genannt: als Adressat Nikolaus, Provinzial der Augustiner-Eremiten der Provinz Mähren, Österreich, Kärnten; als Absender Paulus, provin- cialis ordinis fratrum predicatorum Francie, Anglie, Thuringie [!), datiert Nouenburg 1407. Mit Antwort, datiert Rom 8. Juli 1407.
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II. Beschreibung der Handschriften und ihres Inhaltes. 155 XVIII. Forma de abbatibus, Bl. 136" und 1377. Genannt: Johannes, Zisterxienserabt von Kamenz, d. i. Abt Johan- nes I. aus Breslau, Abt 1392—1421 (s. Cod. diplomat. Silesie Bd. X, Register; Heyne, Dokument. Gesch. d. Bistums Breslau Bd. II); Paulus, Abt des Zisterzienserklosters in Heinrichau (bei Münsterberg), nicht nach- weisbar. Jahresdatum 1407. XIX. De abbatibus solempnibus, Bl. 137r—138". Genannt: Nikolaus, Abt v. S. Vincenz in Breslau; Paulus, Abt eines Prager Klosters (beide nicht nachweisbar). Datum 1407. XX. De monialibus simplicibus, Bl. 138r—139r. Genannt: Schwester Katherina Walin ord. s. Francisci ad sanctam Annam in Prag; Katherina meisterynne s. augustini ad s. katherinam in Prag, 1407. Texte Nr. 85 und 86. XXI. De priorissis, Bl. 139r—v Genannt: Katherina Rasmun, Priorissin des [Klarissinnen-JKlosters in Strehlen; Katherina Swebyne, Priorin ad s. Katherinam in Prag; Katherina Walin, Priorin ad s. Claram in Prag, 1407. XXII. De abbatissis simplicibus, Bl. 139" Genannt: Katherina ad sanctam Katherinam in Wolin (in Böhmen, Kr. Pilsen); Katherina Abtissin in Cothn bzw. Cotin (d. i. Kuttenberg in Böhmen, in montibus Cutnis; Chotun x. B. bei Cosmas contin. Script. rer. Siles. IX, 149, 30). Datum 1407. XXIII. De abbatissis solempnibus, Bl. 140r. Genannt: Katherina ad sanctam Claram in Breslau; Katherina, Abtissin des Zisterzienserklosters xu Trebnitz, in Frage käme Katherina II., Herzogin v. Brieg 1372—1406. Jahresdatum 1407. XXIV. De clientibus, Bl. 140r—141°. Abdruck Nr. 22 und 23. XXV. De militibus, Bl. 141"—142". Abdruck Nr. 24 und 25. XXVI. De baronibus, Bl. 142"—144". Abdruck Nr. 26—28. XXVII. De comitibus, Bl. 1447—145" Abdruck Nr. 29 und 30. XXVIII. De comitibus solempnibus, Bl. 145"—? Nur zwei Zeilen einleitender Notiz vorhanden; das übrige mangelt; Spuren fehlender Blätter nicht sicher, vgl. unten die Lagenübersicht. 12. Bl. 146rv, von neuer, jüngerer Hand (etwa Mitte des 15. Jahr- hunderts), deutsche Urkunde über Ackerverkauf im Emchendorffer veld an hannsen den Tropel czu pankkouen vnd gesessen czw pladling, grob bayrischer Dialekt.
II. Beschreibung der Handschriften und ihres Inhaltes. 155 XVIII. Forma de abbatibus, Bl. 136" und 1377. Genannt: Johannes, Zisterxienserabt von Kamenz, d. i. Abt Johan- nes I. aus Breslau, Abt 1392—1421 (s. Cod. diplomat. Silesie Bd. X, Register; Heyne, Dokument. Gesch. d. Bistums Breslau Bd. II); Paulus, Abt des Zisterzienserklosters in Heinrichau (bei Münsterberg), nicht nach- weisbar. Jahresdatum 1407. XIX. De abbatibus solempnibus, Bl. 137r—138". Genannt: Nikolaus, Abt v. S. Vincenz in Breslau; Paulus, Abt eines Prager Klosters (beide nicht nachweisbar). Datum 1407. XX. De monialibus simplicibus, Bl. 138r—139r. Genannt: Schwester Katherina Walin ord. s. Francisci ad sanctam Annam in Prag; Katherina meisterynne s. augustini ad s. katherinam in Prag, 1407. Texte Nr. 85 und 86. XXI. De priorissis, Bl. 139r—v Genannt: Katherina Rasmun, Priorissin des [Klarissinnen-JKlosters in Strehlen; Katherina Swebyne, Priorin ad s. Katherinam in Prag; Katherina Walin, Priorin ad s. Claram in Prag, 1407. XXII. De abbatissis simplicibus, Bl. 139" Genannt: Katherina ad sanctam Katherinam in Wolin (in Böhmen, Kr. Pilsen); Katherina Abtissin in Cothn bzw. Cotin (d. i. Kuttenberg in Böhmen, in montibus Cutnis; Chotun x. B. bei Cosmas contin. Script. rer. Siles. IX, 149, 30). Datum 1407. XXIII. De abbatissis solempnibus, Bl. 140r. Genannt: Katherina ad sanctam Claram in Breslau; Katherina, Abtissin des Zisterzienserklosters xu Trebnitz, in Frage käme Katherina II., Herzogin v. Brieg 1372—1406. Jahresdatum 1407. XXIV. De clientibus, Bl. 140r—141°. Abdruck Nr. 22 und 23. XXV. De militibus, Bl. 141"—142". Abdruck Nr. 24 und 25. XXVI. De baronibus, Bl. 142"—144". Abdruck Nr. 26—28. XXVII. De comitibus, Bl. 1447—145" Abdruck Nr. 29 und 30. XXVIII. De comitibus solempnibus, Bl. 145"—? Nur zwei Zeilen einleitender Notiz vorhanden; das übrige mangelt; Spuren fehlender Blätter nicht sicher, vgl. unten die Lagenübersicht. 12. Bl. 146rv, von neuer, jüngerer Hand (etwa Mitte des 15. Jahr- hunderts), deutsche Urkunde über Ackerverkauf im Emchendorffer veld an hannsen den Tropel czu pankkouen vnd gesessen czw pladling, grob bayrischer Dialekt.
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156 Drittes Kapitel. Zur Überlieferung. Anf. [IJch elspet etc. allen den, dy den brieff lesend, sechend oder herend, das wir mit gueten willen Schl. vmb da sigel dy erbern vnd wschaiden [bescheiden] Grasm 13. Bl. 147r—152" Roßarvneibuch von derselben Hand wie 12. Anf. [Jer roß erczney lernen will, der les den brieff, den hat ge- macht Maister Hilbrant, cheyser fridreix Smid vnd marstaller von rapels Schl. sprich den heyligen V wunten V pater noster vnd V aue maria etc. Bl. 1527—155 leer. 14. Bl. 156"—160" von neuer Hand, Mitte des 15. Jahrhunderts. Bl. 156r beginnt mit Nota: in quadragessima ymago crucifixi abs- conditur. Bl. 156" rote Uberschrift: De confessione. Anf. Nota quod sex sunt que retrahunt hominem a confessione. Schl. Bl. 158" et sic miser ad celi gaudia non pervenit. Bl. 1587—159r ohne Uberschrift ein Stück, das die quinque vias Marie behandelt. Anf. Transite ad me omnes Schl. Iohannes dixit hodie mecum etc. ut nobis sic fiat amen. Bl. 159r—160" über das Abendmahl. Anf. Accepit ihesus panem et benedixit Schl. Hoc prestet nobis pater et filius et spiritus. Bl. 161—166 leer und bis auf Stümpfe ausgerissen; nach Bl. 165 fehlt ein Blatt (165a). 15. Bl. 167r—250" Predigten über die Evangelien und Episteln des Jahres, von neuer Hand um 1400. Anf. [Hlora est iam nos de sompno surgere paulus modo notare debetis Bricht ab magis ac magis mit der Epistel des 24. Sonntags nach Trinitatis Col. 1, 11. Dann fehlt eine Lage oder mehr. 16. Bl. 2511—260" Predigten über Stellen der Evangelien aus der Fasten- bis Pfingstxeit. Neue Hand des ausgehenden 14. oder beginnenden 15. Jahrhunderts; letxte Seite (260") von anderer Hand. Anfang fehlt. Bl. 251" beginnt: exeat de peccato quia dominus delebit Schl. cuius tu fetorem abhorruisti. Bl. 254" am untern Rand von Hand des 14. Jahrhunderts auf dem Kopfe Collectum ad fabricam in Grüpach 1/2 libre minus xij. 17. Bl. 2611—264" Predigten über einzelne Heiligenfeste. Neue Hand der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Anfang und Schluß fehlen. Bl. 261" beginnt domo hospitatus fuerat. Bl. 264" bricht ab ut sequamur vestigia eius.
156 Drittes Kapitel. Zur Überlieferung. Anf. [IJch elspet etc. allen den, dy den brieff lesend, sechend oder herend, das wir mit gueten willen Schl. vmb da sigel dy erbern vnd wschaiden [bescheiden] Grasm 13. Bl. 147r—152" Roßarvneibuch von derselben Hand wie 12. Anf. [Jer roß erczney lernen will, der les den brieff, den hat ge- macht Maister Hilbrant, cheyser fridreix Smid vnd marstaller von rapels Schl. sprich den heyligen V wunten V pater noster vnd V aue maria etc. Bl. 1527—155 leer. 14. Bl. 156"—160" von neuer Hand, Mitte des 15. Jahrhunderts. Bl. 156r beginnt mit Nota: in quadragessima ymago crucifixi abs- conditur. Bl. 156" rote Uberschrift: De confessione. Anf. Nota quod sex sunt que retrahunt hominem a confessione. Schl. Bl. 158" et sic miser ad celi gaudia non pervenit. Bl. 1587—159r ohne Uberschrift ein Stück, das die quinque vias Marie behandelt. Anf. Transite ad me omnes Schl. Iohannes dixit hodie mecum etc. ut nobis sic fiat amen. Bl. 159r—160" über das Abendmahl. Anf. Accepit ihesus panem et benedixit Schl. Hoc prestet nobis pater et filius et spiritus. Bl. 161—166 leer und bis auf Stümpfe ausgerissen; nach Bl. 165 fehlt ein Blatt (165a). 15. Bl. 167r—250" Predigten über die Evangelien und Episteln des Jahres, von neuer Hand um 1400. Anf. [Hlora est iam nos de sompno surgere paulus modo notare debetis Bricht ab magis ac magis mit der Epistel des 24. Sonntags nach Trinitatis Col. 1, 11. Dann fehlt eine Lage oder mehr. 16. Bl. 2511—260" Predigten über Stellen der Evangelien aus der Fasten- bis Pfingstxeit. Neue Hand des ausgehenden 14. oder beginnenden 15. Jahrhunderts; letxte Seite (260") von anderer Hand. Anfang fehlt. Bl. 251" beginnt: exeat de peccato quia dominus delebit Schl. cuius tu fetorem abhorruisti. Bl. 254" am untern Rand von Hand des 14. Jahrhunderts auf dem Kopfe Collectum ad fabricam in Grüpach 1/2 libre minus xij. 17. Bl. 2611—264" Predigten über einzelne Heiligenfeste. Neue Hand der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Anfang und Schluß fehlen. Bl. 261" beginnt domo hospitatus fuerat. Bl. 264" bricht ab ut sequamur vestigia eius.
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II Beschreibung der Handschriften und ihres Inhaltes. 157 Bl. 261r erstes vollständiges Stück, Anf. [Djirupisti vincula mea [Ps. 115, 16], daneben am Rande von anderer Hand In festo kathedre petri. Bl. 264" letxtes erhaltenes Stück, Anf. [Alrta est via que ducit ad vitam, daneben am Rande von anderer Hand als Vorschrift für den Rubrikator [De sancto bar tholomeo. Hinteres Pergament-Vorsatzblatt enthält von Hand des 12. Jahrhunderts Ps. 39, 5 ff. in uanitates et insanias falsas. Ubersicht der Lagen und ihres Verhältnisses zu den inhaltlichen Teilen der Handschrift. Material Blattziffer Lagenumfang Inhalt I. Perga- ment 1—8 9—16 17—24 25—32 33—36 4 Quaterne und 1 Binio Nr. 1: Lat. Sermone II. Papier 37—40. 40" 41—47 1 Sextern Nr. 2: Ordo der Messe „ 48—57 I Quintern Nr. 3: Lat. Mirakelge- schichten 7 58—67 67°. 68 1 Sextern Nr. 4: Erstes Formelbuch (latein.) „ 69—77. 77a 1 Quintern Nr. 5: Opusculum de ob- sessis hominibus 78—89 1 Sextern Nr. 6: Lat. Segen und Gebete; Nr. 7: Deutsche Segen- und Beschwörungsformeln; Nr. 8: Lat. Bußanwei- sung „ 90—105 1 Octonio (8 Doppelbl.) Nr. 9: Lat. Sermone; Nr. 10: Apostolicum deutsch „ 106—117 1 Sextern Bl. 117°: Lagensign. 1 Nr. 11a—c: 2. Formelbuch (lat.-dtsch.): Theoret. Abhandl. (a); Prolog (b); deutsch-lat. Briefsteller (c). „ 118—129 1 Sextern Bl. 129": Lagensign. 2 Nr. 11d: 2. Formelbuck: lat. Mittelstück (Kleriker- u. Scholarenbriefe), beginnt schon Bl. 117"
II Beschreibung der Handschriften und ihres Inhaltes. 157 Bl. 261r erstes vollständiges Stück, Anf. [Djirupisti vincula mea [Ps. 115, 16], daneben am Rande von anderer Hand In festo kathedre petri. Bl. 264" letxtes erhaltenes Stück, Anf. [Alrta est via que ducit ad vitam, daneben am Rande von anderer Hand als Vorschrift für den Rubrikator [De sancto bar tholomeo. Hinteres Pergament-Vorsatzblatt enthält von Hand des 12. Jahrhunderts Ps. 39, 5 ff. in uanitates et insanias falsas. Ubersicht der Lagen und ihres Verhältnisses zu den inhaltlichen Teilen der Handschrift. Material Blattziffer Lagenumfang Inhalt I. Perga- ment 1—8 9—16 17—24 25—32 33—36 4 Quaterne und 1 Binio Nr. 1: Lat. Sermone II. Papier 37—40. 40" 41—47 1 Sextern Nr. 2: Ordo der Messe „ 48—57 I Quintern Nr. 3: Lat. Mirakelge- schichten 7 58—67 67°. 68 1 Sextern Nr. 4: Erstes Formelbuch (latein.) „ 69—77. 77a 1 Quintern Nr. 5: Opusculum de ob- sessis hominibus 78—89 1 Sextern Nr. 6: Lat. Segen und Gebete; Nr. 7: Deutsche Segen- und Beschwörungsformeln; Nr. 8: Lat. Bußanwei- sung „ 90—105 1 Octonio (8 Doppelbl.) Nr. 9: Lat. Sermone; Nr. 10: Apostolicum deutsch „ 106—117 1 Sextern Bl. 117°: Lagensign. 1 Nr. 11a—c: 2. Formelbuch (lat.-dtsch.): Theoret. Abhandl. (a); Prolog (b); deutsch-lat. Briefsteller (c). „ 118—129 1 Sextern Bl. 129": Lagensign. 2 Nr. 11d: 2. Formelbuck: lat. Mittelstück (Kleriker- u. Scholarenbriefe), beginnt schon Bl. 117"
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158 Drittes Kapitel. Zur Uberlieferung Material Blattziffer Lagenumfang Inhalt „ 130—141 1 Sextern Bl. 141°: Unterrand viel- leicht noch Rest der Lagen- sign. 3; daneben auf dem Kopf stehende Federproben Nr. 11d Schluß, 11c Fort- setzung: 2. Formelbuch : lat. Mittelstück (Kleriker- und Scholarenbriefe) Schluß und ab 140r Fortsetzung des disch.-lat. Briefstellers. II. Papier 142—155 1) 1 Quatern: Bl.142—145 (teilweise jetat lose), 155a, 155b, 155c, 155d (Reste ausgeschnittener Blätter; vor ihnen, hinter 155, Heft- faden, der die Mitte be- stimmt. Nr. 11e Schluß: 2. Formel- buch: dtsch.-lat. Briefsteller, Schluß. 2) eingelegt Einxeldoppel- blatt von stärkerem Papier (Bl. 146,155, letxteres leer): Urkunde, deutsch. Nr. 12, 13. Deutsche Urkunde über Acker- verkauf. Rossarzneibuch 3) in dieses eingelegt ein Quatern (Bl. 147—154: das leere Bl. 153 ausgeris- sen, aber mitgezählt. „ 156—166 1 Sextern Nr 14: kurze geistliche Stücke (Liturgie, Beichte, Marienkult, Abendmahl). „ 167—178 179—190 191—202 203—214 215—226 227—238 239—250 7 Sexterne Nr. 15: Predigten über die Evangelien und Episteln des Jahres ohne Schluß. „ 251—260 1 Quintern Nr. 16 : Lat. Predigten über Evangelien der Fasten- bis Pfingstzeit ohne Anfang. „ 261—264 I Binio, vielleicht ein Frag- ment einer größeren Lage Nr. 17: Lat. Predigten über Heiligenfeste ohne Anfang und Schluß. I. Perga- ment Pergament- schutzblatt ohne Ziffer Das abgefalxte Stück (Reste alter deutscher Schrift) lugt nach Bl. 260 vor. Psalm 39, 5ff.
158 Drittes Kapitel. Zur Uberlieferung Material Blattziffer Lagenumfang Inhalt „ 130—141 1 Sextern Bl. 141°: Unterrand viel- leicht noch Rest der Lagen- sign. 3; daneben auf dem Kopf stehende Federproben Nr. 11d Schluß, 11c Fort- setzung: 2. Formelbuch : lat. Mittelstück (Kleriker- und Scholarenbriefe) Schluß und ab 140r Fortsetzung des disch.-lat. Briefstellers. II. Papier 142—155 1) 1 Quatern: Bl.142—145 (teilweise jetat lose), 155a, 155b, 155c, 155d (Reste ausgeschnittener Blätter; vor ihnen, hinter 155, Heft- faden, der die Mitte be- stimmt. Nr. 11e Schluß: 2. Formel- buch: dtsch.-lat. Briefsteller, Schluß. 2) eingelegt Einxeldoppel- blatt von stärkerem Papier (Bl. 146,155, letxteres leer): Urkunde, deutsch. Nr. 12, 13. Deutsche Urkunde über Acker- verkauf. Rossarzneibuch 3) in dieses eingelegt ein Quatern (Bl. 147—154: das leere Bl. 153 ausgeris- sen, aber mitgezählt. „ 156—166 1 Sextern Nr 14: kurze geistliche Stücke (Liturgie, Beichte, Marienkult, Abendmahl). „ 167—178 179—190 191—202 203—214 215—226 227—238 239—250 7 Sexterne Nr. 15: Predigten über die Evangelien und Episteln des Jahres ohne Schluß. „ 251—260 1 Quintern Nr. 16 : Lat. Predigten über Evangelien der Fasten- bis Pfingstzeit ohne Anfang. „ 261—264 I Binio, vielleicht ein Frag- ment einer größeren Lage Nr. 17: Lat. Predigten über Heiligenfeste ohne Anfang und Schluß. I. Perga- ment Pergament- schutzblatt ohne Ziffer Das abgefalxte Stück (Reste alter deutscher Schrift) lugt nach Bl. 260 vor. Psalm 39, 5ff.
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II. Beschreibung der Handschriften und ihres Inhaltes. 159 Aus dieser Ubersicht ergiebt sich der zusammengestoppelte und zer- stückelte Charakter der Handschrift, in der vielfach Fragmente und ab- geleitete Kopien nach Zufall verbunden sind. Die Vereinigung des uns vorliegenden Ganzen erfolgte wohl auf bayerisch-österreichischem Sprach- gebiet, genauer in der Grenzlandschaft zwischen Niederbayern und Oberöster- reich (von Deggendorf-Plattling bis Wels). Wenigstens weisen die Ortsnamen Truchtelfing, Ekkenmül, Allchouen, Pankkouen, Plattling (Plattling), Grumpach (oben S. 150. 155) nach den Angaben in den bekannten Wörterbüchern von Förstemann, Ritter, Neumann dorthin. Ebenso die Sprachform des deutschen Credo apostolicum und der eingelegten Verkaufs- urkunde der Elspet im Emchendorffer veld (oben S. 152. 156). 2. Die Schneeberger Handschrift (S). Gymnasialbibliothek in Schneeberg II, 287, früher Ratsarchiv. Sammelhandschrift von mehreren Händen. Alter Holxeinband mit Metall- ecken und Schließen, Metallbuckel auf Vorder- und Rückendecke sind abge- stoßen. Im ganzen mit 196 Bl. Papier und einem vorderen Pergament- und vorderen und hinteren Papiervorsatzblatt, alle drei unbeschrieben. Blatt- größe 21,6 X 14 cm; Größe des beschriebenen Raumes verschieden. Durchgehend einspaltig und lesbar. Keine Initialen. 1. Bl. 17—12V theoretische Abhandlung über die Rhetorik mit Muster- briefen von Hand aus der Mitte des 15. Jahrhunderts: erstes Schnee- berger Formelbuch (ein Sextern). Gliedert sich in a) eine einleitende theoretische Abhandlung, Bl. 17—57 = Cod. Plag. 106". Anf. 17 Pro facili declaracione pratice huius rethorice sciencie Schl. 5r conclusio est dictorum debitum conplementum, pro quibus omnibus sic forme littere missiles. Darin Definition von Salutacio (Bl. 27), Exordium (31), Colores exordii (3"—4"), Einteilung der gradus (21). (Diese Definitionen nicht im Cod. Plag.) b) einen Prolog, Bl. 5r de studente ad sanctam katherinam = Cod. Plag. 106", abgedruckt in Nr. 67. Mit übergeschriebenen Synonymen. c) lat.-deutsch. Briefsteller, Bl. 5r—12", = Cod. Plag. 1071—116", Abdruck Nr. 1—19, mit folgenden Unterabteilungen: I. Forme personarum civilium simplicium, Bl. 5°—6" = Cod. Plag. 1071—1091, Abdruck Nr. 1—4. II. De mercatore, Bl. 6" und 77, im Cod. Plag. keine besondere Abteilung, steht mit unter I, Abdruck Nr. 5. III. De consagwineis conciuilibus, Bl. 7r—8v, = Cod. Plag. 1090— 1117, Abdruck Nr. 6—9.
II. Beschreibung der Handschriften und ihres Inhaltes. 159 Aus dieser Ubersicht ergiebt sich der zusammengestoppelte und zer- stückelte Charakter der Handschrift, in der vielfach Fragmente und ab- geleitete Kopien nach Zufall verbunden sind. Die Vereinigung des uns vorliegenden Ganzen erfolgte wohl auf bayerisch-österreichischem Sprach- gebiet, genauer in der Grenzlandschaft zwischen Niederbayern und Oberöster- reich (von Deggendorf-Plattling bis Wels). Wenigstens weisen die Ortsnamen Truchtelfing, Ekkenmül, Allchouen, Pankkouen, Plattling (Plattling), Grumpach (oben S. 150. 155) nach den Angaben in den bekannten Wörterbüchern von Förstemann, Ritter, Neumann dorthin. Ebenso die Sprachform des deutschen Credo apostolicum und der eingelegten Verkaufs- urkunde der Elspet im Emchendorffer veld (oben S. 152. 156). 2. Die Schneeberger Handschrift (S). Gymnasialbibliothek in Schneeberg II, 287, früher Ratsarchiv. Sammelhandschrift von mehreren Händen. Alter Holxeinband mit Metall- ecken und Schließen, Metallbuckel auf Vorder- und Rückendecke sind abge- stoßen. Im ganzen mit 196 Bl. Papier und einem vorderen Pergament- und vorderen und hinteren Papiervorsatzblatt, alle drei unbeschrieben. Blatt- größe 21,6 X 14 cm; Größe des beschriebenen Raumes verschieden. Durchgehend einspaltig und lesbar. Keine Initialen. 1. Bl. 17—12V theoretische Abhandlung über die Rhetorik mit Muster- briefen von Hand aus der Mitte des 15. Jahrhunderts: erstes Schnee- berger Formelbuch (ein Sextern). Gliedert sich in a) eine einleitende theoretische Abhandlung, Bl. 17—57 = Cod. Plag. 106". Anf. 17 Pro facili declaracione pratice huius rethorice sciencie Schl. 5r conclusio est dictorum debitum conplementum, pro quibus omnibus sic forme littere missiles. Darin Definition von Salutacio (Bl. 27), Exordium (31), Colores exordii (3"—4"), Einteilung der gradus (21). (Diese Definitionen nicht im Cod. Plag.) b) einen Prolog, Bl. 5r de studente ad sanctam katherinam = Cod. Plag. 106", abgedruckt in Nr. 67. Mit übergeschriebenen Synonymen. c) lat.-deutsch. Briefsteller, Bl. 5r—12", = Cod. Plag. 1071—116", Abdruck Nr. 1—19, mit folgenden Unterabteilungen: I. Forme personarum civilium simplicium, Bl. 5°—6" = Cod. Plag. 1071—1091, Abdruck Nr. 1—4. II. De mercatore, Bl. 6" und 77, im Cod. Plag. keine besondere Abteilung, steht mit unter I, Abdruck Nr. 5. III. De consagwineis conciuilibus, Bl. 7r—8v, = Cod. Plag. 1090— 1117, Abdruck Nr. 6—9.
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160 Drittes Kapitel. Zur Überlieferung. IV. Forme de ciuibus, Bl. 8°—12", = Cod. Plag. 1117—116", Abdruck Nr. 10—19. Rest dieser Abteilung fehlt. 2. Bl. 12" Quittung über Bexahlung einer Schuld des Io. W. d. S., von anderer, etwa gleichzeitiger Hand. Anf. presencia constanti persone discretus vir Io. W. d. S. Schl. judicatum solui presentis etc. Genannt : Paulus, capellanus capelle in Grefensteyn ; Segismundus Steyner, oppidanus Zittauiensis ; Nicolaus, olim plebanus in Vlrichs- dorf; decanus Zittauiensis und Anna, uxor Kelners oppidani. Zwischen Blatt 6" und 77 ein Pergamentheftstreifen, Rest eines geist- lichen Notariatinstrumentes mit folgender Datierung: anno natiuitatis eiusdem M'CCCC XIX° Indiccione XII� die XXV mensis aprilis hora ves- porr Pontificatus Sanctissimi in Christo patris domini domini nostri domini Martini diuina prouidencia pape. 3. 131—22" Formeln für die Arenga, Salutatio etc. mit theoretischer Abhandlung, von neuer, gleichzeitiger Hand: ein Quintern. Anfang fehlt, beginnt mit sancte romane et vniuersalis ecclesie summo pontifici. Schl. dirigens malefacit et opera etc. 4. Bl. 23r—46" Rhetorik mit Musterbriefen und Anmerkungen, neue Hand: zweites Schneeberger Formelbuch, davon die lateinisch einleitende Rhetorik abgedruckt unter Nr. 52, von den lateinisch-deutschen Brieftexten eine Auswahl in Nr. 31—44. Eine Reihe Formulare ohne deutsche Ubersetzung, einige Briefe ohne lateinische Vorlage. Muster für Korrespondenzen mit städtischen Behörden, geistlichen und weltlichen Standesherren. Im ganzen 38 Briefe und 2 Urkunden, die sich ihrem Inhalt nach in folgende Abteilungen gliedern: I. Conductus, Bl. 25°—26", 3 Briefe, daraus Nr. 31 abgedruckt. II. Recogniciones, Bl. 271—291, 3 Briefe, daraus Nr. 32 abgedruckt. III. Presentaciones, Bl. 29'—32", 6 Briefe, daraus Nr. 33 abgedruckt. IV. Preuisiones [so!], Bl. 32"—34", 3 Briefe, daraus Nr. 34 ab- gedruckt. V. Credencie, Bl. 34r—39", 11 Briefe, daraus Nr. 35—39 abge- druckt. VI. Speciales littere missiles ad viros litteratos, Bl. 39°—43", 6 Briefe, vgl. Abdruck Nr. 40—44. VII. Forme que solent dari ab socijs et dirigi dominis abbatibus, principibus, nobilibus, Bl. 43r—44", vier lateinische Briefformulare. VIII. Priuilegia et obstagia, Bl. 44r—46" zwei Urkunden. Orts- und Personennamen sind meist abgekürxt, nur Merseburg, Bautzen, Meißen, Prag, Wien, Wischergrad, Kottbus werden genannt. Datierung nur einmal (Bl. 46") 1421. Am Schluß (von Bl. 43r an) Formulare für Urkunden. — Das Ganze zwei Sexterne.
160 Drittes Kapitel. Zur Überlieferung. IV. Forme de ciuibus, Bl. 8°—12", = Cod. Plag. 1117—116", Abdruck Nr. 10—19. Rest dieser Abteilung fehlt. 2. Bl. 12" Quittung über Bexahlung einer Schuld des Io. W. d. S., von anderer, etwa gleichzeitiger Hand. Anf. presencia constanti persone discretus vir Io. W. d. S. Schl. judicatum solui presentis etc. Genannt : Paulus, capellanus capelle in Grefensteyn ; Segismundus Steyner, oppidanus Zittauiensis ; Nicolaus, olim plebanus in Vlrichs- dorf; decanus Zittauiensis und Anna, uxor Kelners oppidani. Zwischen Blatt 6" und 77 ein Pergamentheftstreifen, Rest eines geist- lichen Notariatinstrumentes mit folgender Datierung: anno natiuitatis eiusdem M'CCCC XIX° Indiccione XII� die XXV mensis aprilis hora ves- porr Pontificatus Sanctissimi in Christo patris domini domini nostri domini Martini diuina prouidencia pape. 3. 131—22" Formeln für die Arenga, Salutatio etc. mit theoretischer Abhandlung, von neuer, gleichzeitiger Hand: ein Quintern. Anfang fehlt, beginnt mit sancte romane et vniuersalis ecclesie summo pontifici. Schl. dirigens malefacit et opera etc. 4. Bl. 23r—46" Rhetorik mit Musterbriefen und Anmerkungen, neue Hand: zweites Schneeberger Formelbuch, davon die lateinisch einleitende Rhetorik abgedruckt unter Nr. 52, von den lateinisch-deutschen Brieftexten eine Auswahl in Nr. 31—44. Eine Reihe Formulare ohne deutsche Ubersetzung, einige Briefe ohne lateinische Vorlage. Muster für Korrespondenzen mit städtischen Behörden, geistlichen und weltlichen Standesherren. Im ganzen 38 Briefe und 2 Urkunden, die sich ihrem Inhalt nach in folgende Abteilungen gliedern: I. Conductus, Bl. 25°—26", 3 Briefe, daraus Nr. 31 abgedruckt. II. Recogniciones, Bl. 271—291, 3 Briefe, daraus Nr. 32 abgedruckt. III. Presentaciones, Bl. 29'—32", 6 Briefe, daraus Nr. 33 abgedruckt. IV. Preuisiones [so!], Bl. 32"—34", 3 Briefe, daraus Nr. 34 ab- gedruckt. V. Credencie, Bl. 34r—39", 11 Briefe, daraus Nr. 35—39 abge- druckt. VI. Speciales littere missiles ad viros litteratos, Bl. 39°—43", 6 Briefe, vgl. Abdruck Nr. 40—44. VII. Forme que solent dari ab socijs et dirigi dominis abbatibus, principibus, nobilibus, Bl. 43r—44", vier lateinische Briefformulare. VIII. Priuilegia et obstagia, Bl. 44r—46" zwei Urkunden. Orts- und Personennamen sind meist abgekürxt, nur Merseburg, Bautzen, Meißen, Prag, Wien, Wischergrad, Kottbus werden genannt. Datierung nur einmal (Bl. 46") 1421. Am Schluß (von Bl. 43r an) Formulare für Urkunden. — Das Ganze zwei Sexterne.
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II. Beschreibung der Handschriften und ihres Inhaltes. 161 5. Bl. 471—49" Briefmuster, neue Hand, z. T. Wiederholungen aus Abteilung 4, vgl. Apparat zu Nr. 31 und 32. Anf. Incipiunt priuilegia perpetua cum temporalibus. Schl. De illo qui presens non erat magister Sed pro magisterio alibi laborat. Bl. 48 nachgeheftetes Konxeptblatt halber Größe von anderer Hand. 6. Bl. 50r—149V lateinische Urkunden, von mehreren Händen der Mitte des 15. Jahrhunderts, mit theoretischen Abhandlungen. Anf. Bl. 50" Summa in qua pro utraque parte testes sunt. Schl. Bl. 149" in fidem et testimonium omnium premissorum. Ortsbezeichnungen weisen nach Schlesien (Breslau, Glogau, Reichen- bach), der Lausitz (Bautzen) und Meißen; auch Leipxig, Erfurt, Halber- stadt werden genannt. Datierungen 1403, 1412, 1417—1420. Bl. 119" eine Urkunde Sigismunds mit Vorschriften für Notare. Bl. 105, 116, 126 und 134 kleinere Konxeptblätter, z. T. nur ein- seitig beschrieben. Bl. 149" verschiedene kurze Einträge wie Homo quidam fecit cenam magnam (Luc. 14, 16). 7. Bl. 150r—193r lateinische Urkunden für Notare mit theoretischen Anweisungen und zahlreichen Definitionen, sämtlich von einer Hand des ausgehenden 15. Jahrhunderts. Anf. Nota instrumentu et oracione notarij Schl. et administratores generales. 8. Bl. 193" Instrumentum recognicionis quorundam debitorum, von neuer Hand (Mitte 15. Jahrhunderts). Anf. In discretorum et circumspectorum virorum Schl. puplicum sollempniter reliqui solerter actis. 9. Bl. 194"—195" Tractatus de penitencia, von neuer Hand der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Anf. Vade ostende te sacerdotibus [Matth. 8, 4] Schl. ad quem nos producat deus in secula seculorum. 10. Bl. 195"—196" drei geistliche Offixialurkunden (Bautzener Rechts- entscheidungen von 1413 und 1418) von gleicher Hand wie 9. Anf. Christi nomine inuocato Schl. Ioh. Czakewicz opidi Budę testibus ad premissa vocatis. Dahinter copulacio coniugalis per sacerdotem (Trauformular), Anf. Dominus a iudeis requisitus. Bl. 47—59 ein Sextern, da Bl. 47 und 58 angeheftete Zettel sind und nach Bl. 56 ein unbexifferter Blattstumpf (56"); Bl. 60—71 ein Senio; Bl. 72—85 ein Septenio (Bl. 76 Zettel, dessen abgeknifftes Stück hinter Bl. 82 herausguckt, und nach Bl. 82 ist ein Bl. 82" bis auf ein Restchen entfernt); Bl. 86—96 ein Sextern (nach Bl. 96 ausgeschnittenes Bl. 96a das Gegenblatt zu dem lose gewordenen Bl. 86); Bl. 97—109 ein Senio,
II. Beschreibung der Handschriften und ihres Inhaltes. 161 5. Bl. 471—49" Briefmuster, neue Hand, z. T. Wiederholungen aus Abteilung 4, vgl. Apparat zu Nr. 31 und 32. Anf. Incipiunt priuilegia perpetua cum temporalibus. Schl. De illo qui presens non erat magister Sed pro magisterio alibi laborat. Bl. 48 nachgeheftetes Konxeptblatt halber Größe von anderer Hand. 6. Bl. 50r—149V lateinische Urkunden, von mehreren Händen der Mitte des 15. Jahrhunderts, mit theoretischen Abhandlungen. Anf. Bl. 50" Summa in qua pro utraque parte testes sunt. Schl. Bl. 149" in fidem et testimonium omnium premissorum. Ortsbezeichnungen weisen nach Schlesien (Breslau, Glogau, Reichen- bach), der Lausitz (Bautzen) und Meißen; auch Leipxig, Erfurt, Halber- stadt werden genannt. Datierungen 1403, 1412, 1417—1420. Bl. 119" eine Urkunde Sigismunds mit Vorschriften für Notare. Bl. 105, 116, 126 und 134 kleinere Konxeptblätter, z. T. nur ein- seitig beschrieben. Bl. 149" verschiedene kurze Einträge wie Homo quidam fecit cenam magnam (Luc. 14, 16). 7. Bl. 150r—193r lateinische Urkunden für Notare mit theoretischen Anweisungen und zahlreichen Definitionen, sämtlich von einer Hand des ausgehenden 15. Jahrhunderts. Anf. Nota instrumentu et oracione notarij Schl. et administratores generales. 8. Bl. 193" Instrumentum recognicionis quorundam debitorum, von neuer Hand (Mitte 15. Jahrhunderts). Anf. In discretorum et circumspectorum virorum Schl. puplicum sollempniter reliqui solerter actis. 9. Bl. 194"—195" Tractatus de penitencia, von neuer Hand der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Anf. Vade ostende te sacerdotibus [Matth. 8, 4] Schl. ad quem nos producat deus in secula seculorum. 10. Bl. 195"—196" drei geistliche Offixialurkunden (Bautzener Rechts- entscheidungen von 1413 und 1418) von gleicher Hand wie 9. Anf. Christi nomine inuocato Schl. Ioh. Czakewicz opidi Budę testibus ad premissa vocatis. Dahinter copulacio coniugalis per sacerdotem (Trauformular), Anf. Dominus a iudeis requisitus. Bl. 47—59 ein Sextern, da Bl. 47 und 58 angeheftete Zettel sind und nach Bl. 56 ein unbexifferter Blattstumpf (56"); Bl. 60—71 ein Senio; Bl. 72—85 ein Septenio (Bl. 76 Zettel, dessen abgeknifftes Stück hinter Bl. 82 herausguckt, und nach Bl. 82 ist ein Bl. 82" bis auf ein Restchen entfernt); Bl. 86—96 ein Sextern (nach Bl. 96 ausgeschnittenes Bl. 96a das Gegenblatt zu dem lose gewordenen Bl. 86); Bl. 97—109 ein Senio,
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162 Drittes Kapitel. Zur Überlieferung. da Bl. 105 nur ein Zettel; Bl. 110—123 ein Sextern (Bl. 116 Zettel, Bl. 122 fliegendes Blatt, dessen Falz vor Bl. 111); Bl. 124—136 Senio (126 und 134 Zettel, 132" Stumpf); Bl. 137—196 fünf Sexterne; Bl. 197 fliegendes Blatt, dessen Falz vor Bl. 186 liegt. 3. Die Schweidnitzer Handschrift (Sw). Stadtarchiv in Schweidnitz I, 243. Kurze, summarische Be- schreibung bei Wutke, Uber schles. Formelbücher des Mittelalters, Einl. S. 31ff. Papier, trotz Reagentien überall lesbar. Wahrscheinlich alles, nur die letzte Halbseite ausgenommen, von derselben Hand des beginnenden 15. Jahrhunderts. Im ganxen 187 Blätter, einspaltig mit 25—45 Zeilen. Blattgröße 31X 22 cm, beschriebener Raum 20,5 X 13,5 cm. Sinnes- abschnitte und Eigennamen durch rot gestrichelte Buchstaben hervor- gehoben. Mit Pergamentumschlag in einem mit Leder überzogenen und neun eisernen Buckeln versehenen Holzdeckel ohne Schließen. Auf der vorderen Seite des Pergamentumschlags von Hand des späten 15. Jahrhunderts die Eintragung: liber Stanislaui B'nwald plebani in Sweidenitcz comparatus pro iiijer florenis volo vt detur ad pretorium opidi Sweidenitcz ad per- petuam mei memoriam. Darunter in späterer, größerer Schrift ad pretorium Sweidenitczen. Darüber eine ältere, drei Zeilen lange Besitxangabe, scheinbar von dem späteren Eigentümer unleserlich gemacht; einige Worte sind zu entziffern wie liber nicolai . . . . plebani .. . conuentus . . . . emi pro 2 . . . pro anima mea. Mundart schlesisch-böhmisch. 1. Bl. 1°—12" Anleitung zum Briefschreiben mit praktischen Bei- spielen, nur lateinisch: ein Sextern. Anf. (mit großem, bunt verziertem Initial) Si quis cupiens litteras dictando conscribere Schl. ut spero bonum intendo edicere indilate. Datum etc. 2. Bl. 13r—20" Formelbuch mit lateinisch-deutschen Briefmustern für Kleriker und Laien, im ganxen 52 Briefe, davon 20 nur lateinisch. Teilweise inhaltlich übereinstimmend mit den Brieftexten des Cod. Plag. und Schneeberg (vgl. darüber oben S. 134. 144 ff.). Daraus eine Aus- wahl in Nr. 45—51 des Abdrucks. Anf. Incipit stilus breuis secundum modernum vsum et conmunem etc. [als rote Uberschrift]. Schl. Finis nunc illorum breuium Igleichfalls in roter Schrift]. 3. Bl. 211—24" lateinische und deutsche Urkundenformulare. Anf. frot) Priuilegium vendicionis ville cum consensu regis etc. Schl. Finis huius et illius. Finis illius materie frot]. Nr. 2. 3 (Bl. 13—24) ein Sextern.
162 Drittes Kapitel. Zur Überlieferung. da Bl. 105 nur ein Zettel; Bl. 110—123 ein Sextern (Bl. 116 Zettel, Bl. 122 fliegendes Blatt, dessen Falz vor Bl. 111); Bl. 124—136 Senio (126 und 134 Zettel, 132" Stumpf); Bl. 137—196 fünf Sexterne; Bl. 197 fliegendes Blatt, dessen Falz vor Bl. 186 liegt. 3. Die Schweidnitzer Handschrift (Sw). Stadtarchiv in Schweidnitz I, 243. Kurze, summarische Be- schreibung bei Wutke, Uber schles. Formelbücher des Mittelalters, Einl. S. 31ff. Papier, trotz Reagentien überall lesbar. Wahrscheinlich alles, nur die letzte Halbseite ausgenommen, von derselben Hand des beginnenden 15. Jahrhunderts. Im ganxen 187 Blätter, einspaltig mit 25—45 Zeilen. Blattgröße 31X 22 cm, beschriebener Raum 20,5 X 13,5 cm. Sinnes- abschnitte und Eigennamen durch rot gestrichelte Buchstaben hervor- gehoben. Mit Pergamentumschlag in einem mit Leder überzogenen und neun eisernen Buckeln versehenen Holzdeckel ohne Schließen. Auf der vorderen Seite des Pergamentumschlags von Hand des späten 15. Jahrhunderts die Eintragung: liber Stanislaui B'nwald plebani in Sweidenitcz comparatus pro iiijer florenis volo vt detur ad pretorium opidi Sweidenitcz ad per- petuam mei memoriam. Darunter in späterer, größerer Schrift ad pretorium Sweidenitczen. Darüber eine ältere, drei Zeilen lange Besitxangabe, scheinbar von dem späteren Eigentümer unleserlich gemacht; einige Worte sind zu entziffern wie liber nicolai . . . . plebani .. . conuentus . . . . emi pro 2 . . . pro anima mea. Mundart schlesisch-böhmisch. 1. Bl. 1°—12" Anleitung zum Briefschreiben mit praktischen Bei- spielen, nur lateinisch: ein Sextern. Anf. (mit großem, bunt verziertem Initial) Si quis cupiens litteras dictando conscribere Schl. ut spero bonum intendo edicere indilate. Datum etc. 2. Bl. 13r—20" Formelbuch mit lateinisch-deutschen Briefmustern für Kleriker und Laien, im ganxen 52 Briefe, davon 20 nur lateinisch. Teilweise inhaltlich übereinstimmend mit den Brieftexten des Cod. Plag. und Schneeberg (vgl. darüber oben S. 134. 144 ff.). Daraus eine Aus- wahl in Nr. 45—51 des Abdrucks. Anf. Incipit stilus breuis secundum modernum vsum et conmunem etc. [als rote Uberschrift]. Schl. Finis nunc illorum breuium Igleichfalls in roter Schrift]. 3. Bl. 211—24" lateinische und deutsche Urkundenformulare. Anf. frot) Priuilegium vendicionis ville cum consensu regis etc. Schl. Finis huius et illius. Finis illius materie frot]. Nr. 2. 3 (Bl. 13—24) ein Sextern.
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II. Beschreibung der Handschriften und ihres Inhaltes 163 4. Bl. 251—36" Lateinische Rhetoriken mit Musterbriefen: ein Sextern. Anf. Incipit stilus pulcerrimus de subtili et pulcra materia 1rot). Schl. Explicit hoc totum etc. Sich gar wol vor in allen dingen frot]. Dieselben Rethoriken wie in der Hs. der Prager Univ. Bibl. 14 G. 4, die Bl. 1r—53r einen Tractatus de Rhetorica und ein Formelbuch als Anleitung zu Geschäftsbriefen enthält. (Kurze Beschreibung dieser Hs. bei Jean Lulvès, Die Summa Cancellariae des Johann von Neumarkt, Eine Handschriftenuntersuchung über die Formularbücher aus der Kanzlei Kaiser Karls IV., Berlin 1891, S. 357. Vgl. daxu die Anxeige von K. Burdach im Lit. Zentralbl. 1892, 20. Febr., Sp. 240 f.). Auch der Briefsteller Nr. 7 = Bl. 68 ff. des Cod. Schweidn. stimmt z. T. mit dieser Prager Hs. überein, s. u. 5. Bl. 371—42" lateinischer Briefsteller. Anf. Stilus bonus Incipit frot]. Schl. de certa sciencia presentibus sit appensa etc. 6. Bl. 42"—68r lateinische und deutsche Muster für Urkunden und Briefe. Anf. Alius stilus Pragensis Ciuitatis frot]. Schl. Finis omnium premissorum frot]. 7. Bl. 68"—86" Inhalt wie 6. Anf. Stilus pulcer in omnibus ut patet Crakowiensis frotſ. Schl. Finis omnium predictorum frot). In teilweiser Ubereinstimmung mit der oben erwähnten Hs. der Prager Univ. Bibl. 14 G. 4, aber in anderer Anordnung. Nr. 5. 6. Bl. 37—42". 42"—68 xwei Sexterne (37—48. 49—60) und ein Octonio (8 Doppelblätter: Bl. 61—72 und vier Stümpfe 72", 2b 725, 72°, 72d). 8. Bl. 87r—140" Formelbuch mit Stücken aus der Summa Cancel- lariae des Johann von Neumarkt; von Tadra zu seiner Ausgabe (Prag 1895) nicht benutzt. Die Sammlung enthält eine große Anzahl neuer, bisher unbekannter Formulare und gliedert sich in zwei Hauptabteilungen: a) Bl. 87r—1177. Anf. Arenge etc. fals Uberschrift. Honor maiestatis Cesaree eiusque gloria in excelso solio collocata. Schl. finis illorum frot]. b) Bl. 1171—140". Anf. Incipit aliud ſrot). Rex vngare scribit Cardinalibus. Schl. a nobis non sunt presentiati exaudite etc. Finis per totum 9. Bl. 140"—187r lateinische Muster für Briefe und Urkunden. Anf. Hinko dei apostolice sedis gracia Episcopus Ecclesie niten Significamus tenore presencium
II. Beschreibung der Handschriften und ihres Inhaltes 163 4. Bl. 251—36" Lateinische Rhetoriken mit Musterbriefen: ein Sextern. Anf. Incipit stilus pulcerrimus de subtili et pulcra materia 1rot). Schl. Explicit hoc totum etc. Sich gar wol vor in allen dingen frot]. Dieselben Rethoriken wie in der Hs. der Prager Univ. Bibl. 14 G. 4, die Bl. 1r—53r einen Tractatus de Rhetorica und ein Formelbuch als Anleitung zu Geschäftsbriefen enthält. (Kurze Beschreibung dieser Hs. bei Jean Lulvès, Die Summa Cancellariae des Johann von Neumarkt, Eine Handschriftenuntersuchung über die Formularbücher aus der Kanzlei Kaiser Karls IV., Berlin 1891, S. 357. Vgl. daxu die Anxeige von K. Burdach im Lit. Zentralbl. 1892, 20. Febr., Sp. 240 f.). Auch der Briefsteller Nr. 7 = Bl. 68 ff. des Cod. Schweidn. stimmt z. T. mit dieser Prager Hs. überein, s. u. 5. Bl. 371—42" lateinischer Briefsteller. Anf. Stilus bonus Incipit frot]. Schl. de certa sciencia presentibus sit appensa etc. 6. Bl. 42"—68r lateinische und deutsche Muster für Urkunden und Briefe. Anf. Alius stilus Pragensis Ciuitatis frot]. Schl. Finis omnium premissorum frot]. 7. Bl. 68"—86" Inhalt wie 6. Anf. Stilus pulcer in omnibus ut patet Crakowiensis frotſ. Schl. Finis omnium predictorum frot). In teilweiser Ubereinstimmung mit der oben erwähnten Hs. der Prager Univ. Bibl. 14 G. 4, aber in anderer Anordnung. Nr. 5. 6. Bl. 37—42". 42"—68 xwei Sexterne (37—48. 49—60) und ein Octonio (8 Doppelblätter: Bl. 61—72 und vier Stümpfe 72", 2b 725, 72°, 72d). 8. Bl. 87r—140" Formelbuch mit Stücken aus der Summa Cancel- lariae des Johann von Neumarkt; von Tadra zu seiner Ausgabe (Prag 1895) nicht benutzt. Die Sammlung enthält eine große Anzahl neuer, bisher unbekannter Formulare und gliedert sich in zwei Hauptabteilungen: a) Bl. 87r—1177. Anf. Arenge etc. fals Uberschrift. Honor maiestatis Cesaree eiusque gloria in excelso solio collocata. Schl. finis illorum frot]. b) Bl. 1171—140". Anf. Incipit aliud ſrot). Rex vngare scribit Cardinalibus. Schl. a nobis non sunt presentiati exaudite etc. Finis per totum 9. Bl. 140"—187r lateinische Muster für Briefe und Urkunden. Anf. Hinko dei apostolice sedis gracia Episcopus Ecclesie niten Significamus tenore presencium
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164 Drittes Kapitel. Zur Uberlieferung. Schl. ne in salutem anime sue dispendium ac religionis iacturam cogatur hinc inde euagare. Der letxte Brief von einer anderen, späteren Hand. Bl. 73—86 ein Sextern, da die Zahlen 74, 75 bei der Bexifferung übersprungen sind; Bl. 87—100 ein Septenio; Bl. 101—172 sechs Sex- terne; Bl. 173—187 eine Lage von 9 Doppelblättern in einem Perga- mentdoppelblatt als Umschlag.
164 Drittes Kapitel. Zur Uberlieferung. Schl. ne in salutem anime sue dispendium ac religionis iacturam cogatur hinc inde euagare. Der letxte Brief von einer anderen, späteren Hand. Bl. 73—86 ein Sextern, da die Zahlen 74, 75 bei der Bexifferung übersprungen sind; Bl. 87—100 ein Septenio; Bl. 101—172 sechs Sex- terne; Bl. 173—187 eine Lage von 9 Doppelblättern in einem Perga- mentdoppelblatt als Umschlag.
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VIERTES KAPITEL. ZUR SPRACHE DER BRIEFSTELLER. Von Konrad Burdach und Gustav Bebermeyer. I. Grundzüge des deutschen Lautstandes. Von Konrad Burdach und Gustav Bebermeyer. Die nachstehende, auf das Wesentliche beschränkte Ubersicht berück- sichtigt allein für die Schlägler Handschrift (P) den ganzen deutschen Text ihrer Briefformulare (unten Nr. 1—30. 56. 73. 74), dagegen von den deutschen Bestandteilen der in der Schneeberger und in der Schweid- nitzer Handschrift (S und Sw) enthaltenen Formelbücher lediglich die unten (Nr. 30—44. 45—51) gegebene Auswahl. Demgemäß und weil die schrift- sprachgeschichtlichen Probleme auch an einer anderen Stelle des Gesamt- werks in größerem Zusammenhange behandelt werden sollen, wird hier nur ein knappes Verzeichnis der bedeutsameren lautlichen Tatsachen geboten und in diesem nur vom Lautstand der Handschrift P ein für die charak- teristischen Züge vollständiges Bild erstrebt1, während die Beispiele aus S und Sw mehr als Folie dienen. Aus praktischen, aber auch aus wissen- schaftlichen Gründen steht dabei nicht, wie es sonst vielfach geschieht, die als sprachgeschichtliche Grundlage anxusetzende gemeingermanische oder mittelhochdeutsche Lautgestalt, sondern das überlieferte Schrift- und Lautbild der drei Handschriften voran, und zwar wird der Kürze und Bequemlichkeit wegen statt jener Grundlage in der Regel der aus unsern normalisieren- den Ausgaben mittelhochdeutscher Literaturdenkmäler geläufige konventio- nelle Sprachtypus unter der Bexeichnung mittelhochdeutsch (mhd.) angeführt. Es besteht in der germanistischen Literatur die Gewohnheit, Sprach- denkmäler der älteren Zeit als gleichsam natürlich gewachsene Wesen systematisch zu analysieren und die einxelnen Lautentwicklungen an ihnen geschichtlich zu exemplifixieren. Aus methodischen und pädagogi- schen Gründen war und ist das geboten oder xu rechtfertigen. Aber das sollte man niemals vergessen: dieses Verfahren beruht auf der Fiktion, 1 Für die einxelnen sprachlichen Erscheinungen sind jedoch die Belege auch aus P nur dann vollständig gegeben, wenn das ausdrücklich bemerkt ist. Im allgemeinen wird also für die sprachlichen Tatsachen immer nur eine Aus- wahl bezeichnender Beispiele mitgeteilt, für häufig vorkommende nur eine Stelle oder einige Stellen angeführt mit dem Vermerk: u. ö. (= und öfter) oder u. a. = unter anderen) oder x. B. (= xum Beispiel).
VIERTES KAPITEL. ZUR SPRACHE DER BRIEFSTELLER. Von Konrad Burdach und Gustav Bebermeyer. I. Grundzüge des deutschen Lautstandes. Von Konrad Burdach und Gustav Bebermeyer. Die nachstehende, auf das Wesentliche beschränkte Ubersicht berück- sichtigt allein für die Schlägler Handschrift (P) den ganzen deutschen Text ihrer Briefformulare (unten Nr. 1—30. 56. 73. 74), dagegen von den deutschen Bestandteilen der in der Schneeberger und in der Schweid- nitzer Handschrift (S und Sw) enthaltenen Formelbücher lediglich die unten (Nr. 30—44. 45—51) gegebene Auswahl. Demgemäß und weil die schrift- sprachgeschichtlichen Probleme auch an einer anderen Stelle des Gesamt- werks in größerem Zusammenhange behandelt werden sollen, wird hier nur ein knappes Verzeichnis der bedeutsameren lautlichen Tatsachen geboten und in diesem nur vom Lautstand der Handschrift P ein für die charak- teristischen Züge vollständiges Bild erstrebt1, während die Beispiele aus S und Sw mehr als Folie dienen. Aus praktischen, aber auch aus wissen- schaftlichen Gründen steht dabei nicht, wie es sonst vielfach geschieht, die als sprachgeschichtliche Grundlage anxusetzende gemeingermanische oder mittelhochdeutsche Lautgestalt, sondern das überlieferte Schrift- und Lautbild der drei Handschriften voran, und zwar wird der Kürze und Bequemlichkeit wegen statt jener Grundlage in der Regel der aus unsern normalisieren- den Ausgaben mittelhochdeutscher Literaturdenkmäler geläufige konventio- nelle Sprachtypus unter der Bexeichnung mittelhochdeutsch (mhd.) angeführt. Es besteht in der germanistischen Literatur die Gewohnheit, Sprach- denkmäler der älteren Zeit als gleichsam natürlich gewachsene Wesen systematisch zu analysieren und die einxelnen Lautentwicklungen an ihnen geschichtlich zu exemplifixieren. Aus methodischen und pädagogi- schen Gründen war und ist das geboten oder xu rechtfertigen. Aber das sollte man niemals vergessen: dieses Verfahren beruht auf der Fiktion, 1 Für die einxelnen sprachlichen Erscheinungen sind jedoch die Belege auch aus P nur dann vollständig gegeben, wenn das ausdrücklich bemerkt ist. Im allgemeinen wird also für die sprachlichen Tatsachen immer nur eine Aus- wahl bezeichnender Beispiele mitgeteilt, für häufig vorkommende nur eine Stelle oder einige Stellen angeführt mit dem Vermerk: u. ö. (= und öfter) oder u. a. = unter anderen) oder x. B. (= xum Beispiel).
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166 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. daß unsere Sprach- und Literaturdenkmäler unmittelbare Reflexe der lebendigen Rede, ja der reinen Mundart seien und sie mit der Treue grammophonischer Apparate wiedergäben. Das ist selbstverständlich in Wirklichkeit niemals der Fall. Schon weil jede Aufzeichnung der Sprache von und durch sich selbst mitten hinein gezwungen wird in das wirre Flechtwerk von Uberlieferung, Konvention, grammatischer und gemein- sprachlicher Korrektheit. Vollends aber bei Denkmälern wie den vor- liegenden, die in der Sphäre der niedern und internen Kanzlei und der Schule auf einem langen verschlungenen Wege, nach unmittelbaren und mittelbaren Mustern und Vorlagen von schriftsprachlichem Charakter, selbst mit ausgesprochen lehrhafter Tendenx als Vorbilder und Probestücke durch wiederholte Umbildung und Umschrift unter Beteiligung mehrerer Ver- fasser und Nachahmer unsicherer Heimat zustande gekommen und uns in abgeleiteten, höchst fehlerhaften Niederschriften und Kopien aus verschiedenen Ursprungsorten erhalten sind, darf meines Erachtens die Betrachtung nur ausgehen von der wirklich faßbaren graphischen Er- scheinung, von der einzig erreichbaren letzten schriftlichen Fixierung. So muß die folgende Zusammenstellung nur einer ganz bescheidenen Aufgabe dienen und kann bloß eine erste, aber wenigstens zuverlässige Handhabe bieten, an die später umfassende Untersuchungen und Dar- stellungen verwandter Kanzleiprodukte, lehrhafter Art sich anknüpfen lassen. Denn nur wenn aus dieser bisher im allgemeinen recht vernach- lässigten, ungeheuer weit verzweigten, aber freilich bloß sporadisch erhaltenen und schwer übersehbaren Klasse der elementaren kanzleisprachlichen Leit- fäden und Musterbücher ein reicheres Material in kritisch gesicherter Textgestalt zusammengebracht ist, wird man in der Lage sein, daraus fruchtbare Aufschlüsse über die schriftsprachliche Bewegung zu gewinnen. Daneben bleibt allerdings immer bestehen auch das literarhistorische und biographische Problem der Person des ersten Verfassers der hier vorliegenden Sammlung, der Zeit und des Orts ihrer Herstellung sowie ihrer Quellen und ebenso auch ihrer Fortbildungen und Bearbeitungen. Für dieses vielmaschige Problem, das nur allmählich und durch etwaige weitere handschriftliche Funde xu klären sein wird, ist oben in der Einleitung das Notwendige gesagt, das künftiger Forschung den Weg erleichtern soll. Hier sei schließlich besonders darauf hingewiesen, daß im Nach- stehenden versucht ist, die auf mundartlicher Aussprache beruhenden Schreibungen der lateinischen Texte zur Beleuchtung der parallelen Laut- erscheinungen in den deutschen Stücken ausxunutzen. Ich glaube, dieses Verfahren könnte auch sonst häufiger und gründlicher, als bisher ge- schehen ist, der deutschen Sprachgeschichte gute Dienste leisten. Dem vorliegenden Werk erhoffe ich Beachtung auch außerhalb der sprachwissenschaftlich geschulten Germanistenxunft bei Lesern von all- gemein geschichtlichen sowie literar- und kulturgeschichtlichen Interessen. Um ihnen das Verständnis zu erleichtern, habe ich im nachstehenden
166 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. daß unsere Sprach- und Literaturdenkmäler unmittelbare Reflexe der lebendigen Rede, ja der reinen Mundart seien und sie mit der Treue grammophonischer Apparate wiedergäben. Das ist selbstverständlich in Wirklichkeit niemals der Fall. Schon weil jede Aufzeichnung der Sprache von und durch sich selbst mitten hinein gezwungen wird in das wirre Flechtwerk von Uberlieferung, Konvention, grammatischer und gemein- sprachlicher Korrektheit. Vollends aber bei Denkmälern wie den vor- liegenden, die in der Sphäre der niedern und internen Kanzlei und der Schule auf einem langen verschlungenen Wege, nach unmittelbaren und mittelbaren Mustern und Vorlagen von schriftsprachlichem Charakter, selbst mit ausgesprochen lehrhafter Tendenx als Vorbilder und Probestücke durch wiederholte Umbildung und Umschrift unter Beteiligung mehrerer Ver- fasser und Nachahmer unsicherer Heimat zustande gekommen und uns in abgeleiteten, höchst fehlerhaften Niederschriften und Kopien aus verschiedenen Ursprungsorten erhalten sind, darf meines Erachtens die Betrachtung nur ausgehen von der wirklich faßbaren graphischen Er- scheinung, von der einzig erreichbaren letzten schriftlichen Fixierung. So muß die folgende Zusammenstellung nur einer ganz bescheidenen Aufgabe dienen und kann bloß eine erste, aber wenigstens zuverlässige Handhabe bieten, an die später umfassende Untersuchungen und Dar- stellungen verwandter Kanzleiprodukte, lehrhafter Art sich anknüpfen lassen. Denn nur wenn aus dieser bisher im allgemeinen recht vernach- lässigten, ungeheuer weit verzweigten, aber freilich bloß sporadisch erhaltenen und schwer übersehbaren Klasse der elementaren kanzleisprachlichen Leit- fäden und Musterbücher ein reicheres Material in kritisch gesicherter Textgestalt zusammengebracht ist, wird man in der Lage sein, daraus fruchtbare Aufschlüsse über die schriftsprachliche Bewegung zu gewinnen. Daneben bleibt allerdings immer bestehen auch das literarhistorische und biographische Problem der Person des ersten Verfassers der hier vorliegenden Sammlung, der Zeit und des Orts ihrer Herstellung sowie ihrer Quellen und ebenso auch ihrer Fortbildungen und Bearbeitungen. Für dieses vielmaschige Problem, das nur allmählich und durch etwaige weitere handschriftliche Funde xu klären sein wird, ist oben in der Einleitung das Notwendige gesagt, das künftiger Forschung den Weg erleichtern soll. Hier sei schließlich besonders darauf hingewiesen, daß im Nach- stehenden versucht ist, die auf mundartlicher Aussprache beruhenden Schreibungen der lateinischen Texte zur Beleuchtung der parallelen Laut- erscheinungen in den deutschen Stücken ausxunutzen. Ich glaube, dieses Verfahren könnte auch sonst häufiger und gründlicher, als bisher ge- schehen ist, der deutschen Sprachgeschichte gute Dienste leisten. Dem vorliegenden Werk erhoffe ich Beachtung auch außerhalb der sprachwissenschaftlich geschulten Germanistenxunft bei Lesern von all- gemein geschichtlichen sowie literar- und kulturgeschichtlichen Interessen. Um ihnen das Verständnis zu erleichtern, habe ich im nachstehenden
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L Grundzüge des deutschen Lautstandes. 167 Abriß, soweit der zugemessene enge Raum es erlaubt, nach möglichster Deutlichkeit gestrebt und deshalb mehrfach sprachliche Tatsachen und Zusammenhänge, die dem Grammatiker von Fach geläufig sind, aus- drücklich hervorgehoben oder erläutert. Bch. Abgekürzte Titel der häufig angeführten Hilfsmittel. Behaghel = Otto Behaghel, Geschichte der deutschen Sprache. Vierte verbesserte und vermehrte Auflage. Straßburg 1916. Blatz, Nhd. Gr. 23 = Friedrich Blatz, Neuhochdeutsche Grammatik mit Berücksichtigung der historischen Entwicklung der deutschen Sprache. 2. Bd. Dritte völlig neu bearbeitete Auflage. Karlsruhe 1896. DWB. = Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch. Leipxig 1954 ff. Grimm = Jacob Grimm, Deutsche Grammatik. 2. Ausgabe. Neuer vermehrter Abdruck. Besorgt durch Wilhelm Scherer, Gustav Roethe und Edward Schröder. Teil I u. II. Berlin 1870. 1878. Teil III u. IV Gütersloh. 1890. 1898. Mhd. Wb. = Benecke, Müller, Zarncke, Mittelhochdeutsches Wörterbuch. Leipzig 1854—1861. Michels = Victor Michels, Mittelhochdeutsches Elementarbuch. 3. u. 4. stark veränderte Auflage. Heidelberg 1921. MSD. = Karl Müllenhoff und Wilhelm Scherer, Denkmäler deutscher Poesie und Prosa aus dem VIII.—XII. Jahrh. 3. Ausgabe von E. Steinmeyer. Bd. 1 u. 2. Berlin 1892. Paul Mhd. Gr. = Hermann Paul, Mittelhochdeutsche Grammatik. 8. Aufl. Halle a./S. 1911. Paul Deutsche Gr. = Hermann Paul, Deutsche Grammatik. Teil I—IV. Halle a./S. 1916. 1917. 1919. 1920. Rückert-Pietsch = Heinrich Rückert, Entwurf einer systematischen Darstellung der schlesischen Mundart im Mittelalter. Mit einem Anhange enthaltend Proben altschlesischer Sprache herausgegeb. von Paul Pietsch. Paderborn 1878. Unwerth = Wolf von Unwerth, Die Schlesische Mundart in ihren Laut- verhältnissen grammatisch und geographisch dargestellt. Breslau 1908. Weinhold = Karl Weinhold, Uber deutsche Dialektforschung. Die Laut- und Wortbildung und die Formen der schlesischen Mundart. Wien 1853. Weinhold Mhd. Gr. = Karl Weinhold, Mittelhochdeutsche Grammatik. 2. Ausgabe. Paderborn 1883. Wilmanns = Wilhelm Wilmanns, Deutsche Grammatik. Gotisch, Alt-, Mittel- und Neuhochdeutsch. I. Abt. 3. Aufl. Straßburg 1911. 2. Abt. Straßburg 1896. 3. Abt. 1. Hälfte. 1. und 2. Aufl. Straßburg 1906. 3. Abt. 2. Hälfte. 1. und 2. Aufl. Straßburg 1909.
L Grundzüge des deutschen Lautstandes. 167 Abriß, soweit der zugemessene enge Raum es erlaubt, nach möglichster Deutlichkeit gestrebt und deshalb mehrfach sprachliche Tatsachen und Zusammenhänge, die dem Grammatiker von Fach geläufig sind, aus- drücklich hervorgehoben oder erläutert. Bch. Abgekürzte Titel der häufig angeführten Hilfsmittel. Behaghel = Otto Behaghel, Geschichte der deutschen Sprache. Vierte verbesserte und vermehrte Auflage. Straßburg 1916. Blatz, Nhd. Gr. 23 = Friedrich Blatz, Neuhochdeutsche Grammatik mit Berücksichtigung der historischen Entwicklung der deutschen Sprache. 2. Bd. Dritte völlig neu bearbeitete Auflage. Karlsruhe 1896. DWB. = Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch. Leipxig 1954 ff. Grimm = Jacob Grimm, Deutsche Grammatik. 2. Ausgabe. Neuer vermehrter Abdruck. Besorgt durch Wilhelm Scherer, Gustav Roethe und Edward Schröder. Teil I u. II. Berlin 1870. 1878. Teil III u. IV Gütersloh. 1890. 1898. Mhd. Wb. = Benecke, Müller, Zarncke, Mittelhochdeutsches Wörterbuch. Leipzig 1854—1861. Michels = Victor Michels, Mittelhochdeutsches Elementarbuch. 3. u. 4. stark veränderte Auflage. Heidelberg 1921. MSD. = Karl Müllenhoff und Wilhelm Scherer, Denkmäler deutscher Poesie und Prosa aus dem VIII.—XII. Jahrh. 3. Ausgabe von E. Steinmeyer. Bd. 1 u. 2. Berlin 1892. Paul Mhd. Gr. = Hermann Paul, Mittelhochdeutsche Grammatik. 8. Aufl. Halle a./S. 1911. Paul Deutsche Gr. = Hermann Paul, Deutsche Grammatik. Teil I—IV. Halle a./S. 1916. 1917. 1919. 1920. Rückert-Pietsch = Heinrich Rückert, Entwurf einer systematischen Darstellung der schlesischen Mundart im Mittelalter. Mit einem Anhange enthaltend Proben altschlesischer Sprache herausgegeb. von Paul Pietsch. Paderborn 1878. Unwerth = Wolf von Unwerth, Die Schlesische Mundart in ihren Laut- verhältnissen grammatisch und geographisch dargestellt. Breslau 1908. Weinhold = Karl Weinhold, Uber deutsche Dialektforschung. Die Laut- und Wortbildung und die Formen der schlesischen Mundart. Wien 1853. Weinhold Mhd. Gr. = Karl Weinhold, Mittelhochdeutsche Grammatik. 2. Ausgabe. Paderborn 1883. Wilmanns = Wilhelm Wilmanns, Deutsche Grammatik. Gotisch, Alt-, Mittel- und Neuhochdeutsch. I. Abt. 3. Aufl. Straßburg 1911. 2. Abt. Straßburg 1896. 3. Abt. 1. Hälfte. 1. und 2. Aufl. Straßburg 1906. 3. Abt. 2. Hälfte. 1. und 2. Aufl. Straßburg 1909.
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168 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. Sonstige Abkürzungen. ahd. = althochdeutsch; anfr. = altniederfränkisch; as. = altsächsisch; md. = mitteldeutsch; mhd. mittelhochdeutch; mnd. = mittelniederdeutsch. A. Vokalismus. a. Die Monophthonge. § 1. a. 1. Die Schreibung a bezeichnet entweder kurzes a, in der Regel dem mhd. a entsprechend, das nur vereinzelt durch e (s. unter e) und o (s. unter o) verdrängt ist, oder langes a, das aus altem kurzem a (mhd. a) durch die neuhochdeutsche Vokaldehnung entstanden ist. Beispiele für a = mhd. a in P xahlreich, in offener wie in geschlossener Silbe: haupttonig habe ich 1, 5 u. ö.; ich habe 3, 5; namen (Subst.) 3, 6; beczalit 4, 6; beczalen 6, 9; schadin 13, 9; 21, 6; geclagit 17, 5; tragen 18, 12; besagit 25, 5; jagnde 28, 9; habiche 23, 5. 6; dirfarn 20, 7; — sache 1, 8; tag 1, 6 u. ö.; alz ich mag 1, 8; and wit 3, 5; achten 4,'4; gancz vnd gar 4, 5; kraft 8, 7; banden 10, 12; lantherren 22, 4; behabten 30, 4; daxu das alte Lehnwort alt' (Altar') 7, 5; nebentonig suntage 1, 12; so auch dunirstage, freytage usw. ; hirschaft 1, 6; 2, 7; fruntschaft 4, 2 u. ö.; geselschaft 21, 6. 9; methefaste 5, 5; furmanne 5, 6. 7; kosczaczcze 9, 5. 8; daxu der Name walpurgen 3, 6 (aber wolpurgin 10, 11!). — S: haupttonig vater 32, 7; klagen 36, 8; schaden 36, 10; erslagen 36, 11; behagen 37, 20; habn 32, 8; — stad 31, 1 u. ö.; gehalden 32, 9; manne 44, 2; schar 36, 9; neben- tonig (in verschiedener Abstufung) seleczagit 43, 11; manchfaldikeyt 36, I1f.; lobesamen 44, 2; erbarn 32, 3; erbarlich 32, 7; ersamkeyt 40, 10; fruntschaft 44, 5. — Sw haupt tonig beczalen 48, 10; manende 50, 7; — gar 46, 9; das 45, 10 u. ö.; sachen 45, 10; begangen 51, 6; nebentonig mitenander 47, 8; kunsthaftign 46, 1; leynwant 48, 7. Welcher Lautwert in jedem einzelnen Fall diesen a-Schreibungen zu- kommt, ob schon neue Dehnung oder noch alte Kürze vorliegt, bleibt unbestimmbar. Noch weniger läßt sich feststellen, wieweit über die gemeinneuhochdeutsche Bewegung hinaus der starke Dehnungsprozeß der modernen schlesischen Mundart (vgl. Wolf von Unwerth, Die Schlesische Mundart in ihren Lautverhältnissen, Breslau 1908, § 95—102) in unseren Texten bereits vorausxusetven ist. Nur ganz wenige Worte zeigen dagegen ein langes a, dem mhd. à zugrunde liegt. Besonders merkwürdig ist, daß in P an, ane (ohne), das ja gerade in der neuhochdeutschen Schriftsprache sein altes langes a in 5 gewandelt hat, stets ausnahmslos mit langem a und niemals mit
168 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. Sonstige Abkürzungen. ahd. = althochdeutsch; anfr. = altniederfränkisch; as. = altsächsisch; md. = mitteldeutsch; mhd. mittelhochdeutch; mnd. = mittelniederdeutsch. A. Vokalismus. a. Die Monophthonge. § 1. a. 1. Die Schreibung a bezeichnet entweder kurzes a, in der Regel dem mhd. a entsprechend, das nur vereinzelt durch e (s. unter e) und o (s. unter o) verdrängt ist, oder langes a, das aus altem kurzem a (mhd. a) durch die neuhochdeutsche Vokaldehnung entstanden ist. Beispiele für a = mhd. a in P xahlreich, in offener wie in geschlossener Silbe: haupttonig habe ich 1, 5 u. ö.; ich habe 3, 5; namen (Subst.) 3, 6; beczalit 4, 6; beczalen 6, 9; schadin 13, 9; 21, 6; geclagit 17, 5; tragen 18, 12; besagit 25, 5; jagnde 28, 9; habiche 23, 5. 6; dirfarn 20, 7; — sache 1, 8; tag 1, 6 u. ö.; alz ich mag 1, 8; and wit 3, 5; achten 4,'4; gancz vnd gar 4, 5; kraft 8, 7; banden 10, 12; lantherren 22, 4; behabten 30, 4; daxu das alte Lehnwort alt' (Altar') 7, 5; nebentonig suntage 1, 12; so auch dunirstage, freytage usw. ; hirschaft 1, 6; 2, 7; fruntschaft 4, 2 u. ö.; geselschaft 21, 6. 9; methefaste 5, 5; furmanne 5, 6. 7; kosczaczcze 9, 5. 8; daxu der Name walpurgen 3, 6 (aber wolpurgin 10, 11!). — S: haupttonig vater 32, 7; klagen 36, 8; schaden 36, 10; erslagen 36, 11; behagen 37, 20; habn 32, 8; — stad 31, 1 u. ö.; gehalden 32, 9; manne 44, 2; schar 36, 9; neben- tonig (in verschiedener Abstufung) seleczagit 43, 11; manchfaldikeyt 36, I1f.; lobesamen 44, 2; erbarn 32, 3; erbarlich 32, 7; ersamkeyt 40, 10; fruntschaft 44, 5. — Sw haupt tonig beczalen 48, 10; manende 50, 7; — gar 46, 9; das 45, 10 u. ö.; sachen 45, 10; begangen 51, 6; nebentonig mitenander 47, 8; kunsthaftign 46, 1; leynwant 48, 7. Welcher Lautwert in jedem einzelnen Fall diesen a-Schreibungen zu- kommt, ob schon neue Dehnung oder noch alte Kürze vorliegt, bleibt unbestimmbar. Noch weniger läßt sich feststellen, wieweit über die gemeinneuhochdeutsche Bewegung hinaus der starke Dehnungsprozeß der modernen schlesischen Mundart (vgl. Wolf von Unwerth, Die Schlesische Mundart in ihren Lautverhältnissen, Breslau 1908, § 95—102) in unseren Texten bereits vorausxusetven ist. Nur ganz wenige Worte zeigen dagegen ein langes a, dem mhd. à zugrunde liegt. Besonders merkwürdig ist, daß in P an, ane (ohne), das ja gerade in der neuhochdeutschen Schriftsprache sein altes langes a in 5 gewandelt hat, stets ausnahmslos mit langem a und niemals mit
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I. Grundzüge des deutschen Lautstandes. 169 der Verdumpfung geschrieben wird: an ofschob 3, 9; 5, 7; an alt’ h’re 7, 7; ane konig 12, 4; ane recht 12, 4; an ewrim schadin 13, 9; an seumnis 16, 9; 17, 11; an alle vordinte sachn 27, 5f. Hierdurch erhält Rückerts Beobachtung (S. 40), daß im Schlesischen sich das â von áne lange gegen die Vertauschung mit o sträubt und erst sehr spät und ver- einzelt zu o wird, ihre Bestätigung. — Dagegen ist in âme bereits die nhd. Form mit ô durchgedrungen: s. unter o. — Erhalten ist altes a (außer einmaligem von wol behabten rathen 30, 4 neben ständigem rotman, rotmannen und entsprechendem mit ewrm roten 10, 13) nur in folgenden Lehn- oder Fremdwörtern: clar 6, 5; capelan 7, 9; maiestat 17, 14; Jubilate 2, 8; 3, 11; 4, 6; 5, 8; 6, 10; 7, 12; 8, 10; cantate 14, 7; 15, 13; 16, 12; 18, 13. Anzureihen ist hier auch der Name Prag, der mehrfach als czu Prage erscheint (5, 8; 6, 10. 11; 7, 1; 17, 1; 19, 11), während er sonst das Schicksal der Verdumpfung teilt (czu proge 3, 1; 4, 8; 5, 10; 15, 1; kegin proge 5, 7). Alle übrigen alten â sind in P nach mitteldeutscher, insbesondere schlesischer Aussprache durch ô vertreten1: s. unter o. — Im Gegensatz zu P bietet S in den mitgeteilten Proben eine Anxahl von erhaltenen alten à: lasen (mhd. lâzen) 31, 10; 33, 8; had (mhd. hât) 33, 12; 34, 8; iar 31, 10; wapen 35, 17; nach gewonheyt 33, 14 (sonst aber regelmäßig noch wie in P!); dornach 35, 17; 37, 11; nachfolger 43, 17; gnaden 35, 18; 36, 8; clarste 36, 13; clarheyt 40, 5; warhaftig(-er) 40, 8; 43, 8; vormals 40, 13; sprache 43, 8; vſs vorsprache 38, 9; ich rate 44, 10 ; auch in dem Lehnwort altar 40, 8. 11, das in P wie im mhd. alter (altir) lautet 7, 9; 8, 7 (auch in S cinmal alter 33, 5), und in dem Fremdwort kumpan 32, 11. 13. — In andachtikeyt S 44, 5; bedachtem 33, 10; 39, 13 und woldachtem 34, 12 liegt nicht mehr altes langes a, sondern neuhochdeutsche Kürzung vor. 2. = mhd. o. Ein Ubergriff des a in das alte Gebiet des o begegnet nur selten in P, immer haupttonig in geschlossener Silbe. Es sind folgende Fälle: dach (= sed) 2, 5; tachtir 6, 6; aff eyner affin strosse 17, 8; rassern 1 Umgekehrt weisen die lat. Texte Schreibungen von a für o auf: vgl. consalantem st. consolanter 52, 6; gratuita st. gratuito 54, 15; vniuersa st. vniuerso 57, 1f.; famitibus st. fomitibus 73, 18; malestentur st. molestentur 78, 8; daxu in den nicht abgedruckten Stücken Beispiele wie patuerunt st. potuerunt Bl. 106"; arnatibus st. ornatibus Bl. 120°; rasarum st. rosarum Bl. 120r. Entsprungen sind sie wohl dem Bewußtsein, daß man in der Mund- art fälschlich o st. a spricht, und aus der Gewohnheit, in gelehrten schulmäßi- gen Worten, also in Lehn- und Fremdworten (s. oben) das korrekte a zu er- halten. Weil man capellan, maiestat schrieb, glaubte man auch famitibus für korrekter halten zu dürfen als fomitibus. Es sind also falsche, hyperkorrekte, hyperlateinische Restitutionen. Vgl. anderseits auch die o-Schreibungen § 4, 2 Anm. I und 4, 3 Anm. 2.
I. Grundzüge des deutschen Lautstandes. 169 der Verdumpfung geschrieben wird: an ofschob 3, 9; 5, 7; an alt’ h’re 7, 7; ane konig 12, 4; ane recht 12, 4; an ewrim schadin 13, 9; an seumnis 16, 9; 17, 11; an alle vordinte sachn 27, 5f. Hierdurch erhält Rückerts Beobachtung (S. 40), daß im Schlesischen sich das â von áne lange gegen die Vertauschung mit o sträubt und erst sehr spät und ver- einzelt zu o wird, ihre Bestätigung. — Dagegen ist in âme bereits die nhd. Form mit ô durchgedrungen: s. unter o. — Erhalten ist altes a (außer einmaligem von wol behabten rathen 30, 4 neben ständigem rotman, rotmannen und entsprechendem mit ewrm roten 10, 13) nur in folgenden Lehn- oder Fremdwörtern: clar 6, 5; capelan 7, 9; maiestat 17, 14; Jubilate 2, 8; 3, 11; 4, 6; 5, 8; 6, 10; 7, 12; 8, 10; cantate 14, 7; 15, 13; 16, 12; 18, 13. Anzureihen ist hier auch der Name Prag, der mehrfach als czu Prage erscheint (5, 8; 6, 10. 11; 7, 1; 17, 1; 19, 11), während er sonst das Schicksal der Verdumpfung teilt (czu proge 3, 1; 4, 8; 5, 10; 15, 1; kegin proge 5, 7). Alle übrigen alten â sind in P nach mitteldeutscher, insbesondere schlesischer Aussprache durch ô vertreten1: s. unter o. — Im Gegensatz zu P bietet S in den mitgeteilten Proben eine Anxahl von erhaltenen alten à: lasen (mhd. lâzen) 31, 10; 33, 8; had (mhd. hât) 33, 12; 34, 8; iar 31, 10; wapen 35, 17; nach gewonheyt 33, 14 (sonst aber regelmäßig noch wie in P!); dornach 35, 17; 37, 11; nachfolger 43, 17; gnaden 35, 18; 36, 8; clarste 36, 13; clarheyt 40, 5; warhaftig(-er) 40, 8; 43, 8; vormals 40, 13; sprache 43, 8; vſs vorsprache 38, 9; ich rate 44, 10 ; auch in dem Lehnwort altar 40, 8. 11, das in P wie im mhd. alter (altir) lautet 7, 9; 8, 7 (auch in S cinmal alter 33, 5), und in dem Fremdwort kumpan 32, 11. 13. — In andachtikeyt S 44, 5; bedachtem 33, 10; 39, 13 und woldachtem 34, 12 liegt nicht mehr altes langes a, sondern neuhochdeutsche Kürzung vor. 2. = mhd. o. Ein Ubergriff des a in das alte Gebiet des o begegnet nur selten in P, immer haupttonig in geschlossener Silbe. Es sind folgende Fälle: dach (= sed) 2, 5; tachtir 6, 6; aff eyner affin strosse 17, 8; rassern 1 Umgekehrt weisen die lat. Texte Schreibungen von a für o auf: vgl. consalantem st. consolanter 52, 6; gratuita st. gratuito 54, 15; vniuersa st. vniuerso 57, 1f.; famitibus st. fomitibus 73, 18; malestentur st. molestentur 78, 8; daxu in den nicht abgedruckten Stücken Beispiele wie patuerunt st. potuerunt Bl. 106"; arnatibus st. ornatibus Bl. 120°; rasarum st. rosarum Bl. 120r. Entsprungen sind sie wohl dem Bewußtsein, daß man in der Mund- art fälschlich o st. a spricht, und aus der Gewohnheit, in gelehrten schulmäßi- gen Worten, also in Lehn- und Fremdworten (s. oben) das korrekte a zu er- halten. Weil man capellan, maiestat schrieb, glaubte man auch famitibus für korrekter halten zu dürfen als fomitibus. Es sind also falsche, hyperkorrekte, hyperlateinische Restitutionen. Vgl. anderseits auch die o-Schreibungen § 4, 2 Anm. I und 4, 3 Anm. 2.
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170 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. (= caballis) 26, 6. — Ursprünglich jedoch und alte mitteldeutsche Eigen- tümlichkeit ist das a in sal 6, 7. — Häufiger erscheint dies a mhd. o in S: ab (= si) 39, 16. 18; 43, 15; 44, 10; ader (= uel) 31, 3. 7; 32, 3. 14; 39, 17; 40, 14; 41, 12; wal (= bene) 39, 13. 18; 42, 12; wir wallen (= volumus) 38, 16; 43, 19f. ; ir wallet 44, 11f. (aber wolle wir 34, 17; 36, 18; wol wir 35, 20); mit volbart (= consensu) 34, 12; drier schacke (Schock) 42, 9; antwart 40, 15; bischafliche 39, 17 (neben bischoflichen 38, 15). Bis auf ader also immer in ge- schlossener Silbe, haupt- wie nebentonig1. — Auch in Sw: Czalner (= Theloneator) 50, 6. 8 (neben czol 50, 6); adir (= alias) 50, 91. Vgl. Rückert S. 25 ff. (6) ( in den Sprachdenkmälern, die auch aus anderen Grün- den in die westlichen und nördlichen Gegenden Schlesiens gesetzt werden müssen’). Weinhold S. 24 f. (6) belegt dies a aus dem heutigen schlesi- schen Dialekt nur für ab ob' (Glogau, Beuthen), karn Korn', sarga sorgen’ (Mittelwalde); v. Unwerth S. 15 § 13 und § 15 II Anm. I S. 16 kennt es nur im Glatzischen vor r + Konsonant bei Tieftonigkeit (dart dort, marne morgen) und im Glogauer Kreis als eine jüngere Kürzung (halts Holz). 3. = den mhd. Umlauten e und æ. Nach mitteldeutscher Weise nicht umgelautete a erscheinen nur ver- einzelt in folgenden Fällen: P jagern 28, 5; behagelichkeyt 29, 3 (neben behegelichkeyt 16, 11; 26, 3; 27, 3). Dazu in S andachtigkeyt 44, 5 (neben gedechteniſs 44, 7; eintrechtikeyt 40, 12; andechtikeyt 35, 18; andechtichlichen 40, 11); babistliche 38, 14; 39, 13 (aber bobistlichn 39, 6 und mit Umlaut bebistlichn stules 38, 2 in der Adresse neben der Umlautsform pregischen kirchen!). 4. = mhd. ë. Eine ganz offene Aussprache des Brechungs-e wird ausnahmsweise in einem Fall von S durch die Schreibung labetage 32, 8 wiedergegeben (neben lebetage 34, 18). Vgl. Rückert S. 24 f. (4); aus v. Unwerth S. 11 § 8 Abs. 2 ergibt sich die Wahrscheinlichkeit, daß hier Dehnung des a vorausxusetzen ist. Außerdem erscheint noch einmal dieses grob mund- artliche a für mhd. ë in dem Briefverschen: har her (er’) 56, 8. 10. Nach Weinhold S. 27 (5) ist auch hier Länge anxusetzen (âr er aus Mittelwalde)2. 1 Diese Schreibungen und die ihnen zugrunde liegende mundartliche Aus- sprache des o in geschlossener Silbe als a spiegeln sich auch in gewissen Par- allelen der lateinischen Texte wider: vgl. ablactamenta st. oblectamenta 57, 7 Lesart; pandere st. pondere 67, 23; passum st. possum 70, 9; afficium st. offi- cium 72, 11; depasco st. deposco 73, 15. 2 Vgl. im lateinischen Text ablactamenta st. oblectamenta 57, 7 Lesart.
170 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. (= caballis) 26, 6. — Ursprünglich jedoch und alte mitteldeutsche Eigen- tümlichkeit ist das a in sal 6, 7. — Häufiger erscheint dies a mhd. o in S: ab (= si) 39, 16. 18; 43, 15; 44, 10; ader (= uel) 31, 3. 7; 32, 3. 14; 39, 17; 40, 14; 41, 12; wal (= bene) 39, 13. 18; 42, 12; wir wallen (= volumus) 38, 16; 43, 19f. ; ir wallet 44, 11f. (aber wolle wir 34, 17; 36, 18; wol wir 35, 20); mit volbart (= consensu) 34, 12; drier schacke (Schock) 42, 9; antwart 40, 15; bischafliche 39, 17 (neben bischoflichen 38, 15). Bis auf ader also immer in ge- schlossener Silbe, haupt- wie nebentonig1. — Auch in Sw: Czalner (= Theloneator) 50, 6. 8 (neben czol 50, 6); adir (= alias) 50, 91. Vgl. Rückert S. 25 ff. (6) ( in den Sprachdenkmälern, die auch aus anderen Grün- den in die westlichen und nördlichen Gegenden Schlesiens gesetzt werden müssen’). Weinhold S. 24 f. (6) belegt dies a aus dem heutigen schlesi- schen Dialekt nur für ab ob' (Glogau, Beuthen), karn Korn', sarga sorgen’ (Mittelwalde); v. Unwerth S. 15 § 13 und § 15 II Anm. I S. 16 kennt es nur im Glatzischen vor r + Konsonant bei Tieftonigkeit (dart dort, marne morgen) und im Glogauer Kreis als eine jüngere Kürzung (halts Holz). 3. = den mhd. Umlauten e und æ. Nach mitteldeutscher Weise nicht umgelautete a erscheinen nur ver- einzelt in folgenden Fällen: P jagern 28, 5; behagelichkeyt 29, 3 (neben behegelichkeyt 16, 11; 26, 3; 27, 3). Dazu in S andachtigkeyt 44, 5 (neben gedechteniſs 44, 7; eintrechtikeyt 40, 12; andechtikeyt 35, 18; andechtichlichen 40, 11); babistliche 38, 14; 39, 13 (aber bobistlichn 39, 6 und mit Umlaut bebistlichn stules 38, 2 in der Adresse neben der Umlautsform pregischen kirchen!). 4. = mhd. ë. Eine ganz offene Aussprache des Brechungs-e wird ausnahmsweise in einem Fall von S durch die Schreibung labetage 32, 8 wiedergegeben (neben lebetage 34, 18). Vgl. Rückert S. 24 f. (4); aus v. Unwerth S. 11 § 8 Abs. 2 ergibt sich die Wahrscheinlichkeit, daß hier Dehnung des a vorausxusetzen ist. Außerdem erscheint noch einmal dieses grob mund- artliche a für mhd. ë in dem Briefverschen: har her (er’) 56, 8. 10. Nach Weinhold S. 27 (5) ist auch hier Länge anxusetzen (âr er aus Mittelwalde)2. 1 Diese Schreibungen und die ihnen zugrunde liegende mundartliche Aus- sprache des o in geschlossener Silbe als a spiegeln sich auch in gewissen Par- allelen der lateinischen Texte wider: vgl. ablactamenta st. oblectamenta 57, 7 Lesart; pandere st. pondere 67, 23; passum st. possum 70, 9; afficium st. offi- cium 72, 11; depasco st. deposco 73, 15. 2 Vgl. im lateinischen Text ablactamenta st. oblectamenta 57, 7 Lesart.
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L. Grundzüge des deutschen Lautstandes. 171 § 2. e. 1. Die Schreibung e bezeichnet ohne Unterschied die alten qualitativ verschiedenen e-Laute (mhd. ë, e, also Brechung' und Umlaut; dann ê und æ). a) Belege für e = mhd. ë häufig 1. P: z. B. dem . . . knechte 1, 1 u. ö.; wechsiln 3, 9; begerunge 4, 3; geldis 4, 5 u. ö.; ledig 7, 7; nemen 7, 10; rechtir 8, 2; wege gebin 17, 14; stechn 26, 9. Bewahrt ist die mhd. (oberdeutsche) Lautform auch im Verbum wëllen: wellest 1, 9; wellin 20, 10; 28, 9; welln 27, 9; wellet 25, 8; 28, 8; wellit 21, 9; wel wir se 25, 8. — S: sehen 31, 3; gegeben 31, 10; ledeg 33,8; werde- keit (neben wirdikeyt 35, 4) 34, 17; lebens 44, 8. Von dem Verbum wellen erscheinen nicht die alten Formen mit hellem Vokal wie in P, sondern die unter dem Einfluß des w (oder aus Tonlosigkeit im Satz?) entstandenen altfränkischen, dann allgemein mitteldeutschen o-Formen (s. oben § 1, 2). — Sw: wegn 46, 5; geld 46, 6; rechter 47, 3; des 50, 10. b) Beispiele für Umlauts-e sind ebenso xahlreich. P: gesellin 1, 2 u. ö.; genczlichen 1, 8; besserunge 2, 6; 15, 8f.; sendin 3, 10 u. ö.; vettir 6, 1 u. ö.; mertirers 10, 15; czenckentin 12, 7; bekentnisse 21, 8; mechte 22, 6; gescheftnissen 25, 6; strengin 26, 4; welde 28, 4; schedelichen 10, 7 u. ö.; behegelichkeyt 16, 1; clegelich 17, 5. — S: eckern 33, 16; bekenntnisse 31, 8; mechtikeyt 35, 12; pherrer 38, 12; ein- trechtikeyt 40, 12; behegelich 35, 17; klegelichen 36, 8. — Sw: ge- slechtis 45, 6; senden 46, 8; gedenken 50, 10. c) Beispiele für e = mhd. ê sind in P u. a. peter 3, 1; merunge 6, 2 u. ö.; elichn 15, 6; eren 17, 6; len 7, 5; erb’lich 15, 7; erbirkeyt 16, 8. — S: egenant� 31, 5; elichi 32, 6; ere 33, 5; merer 35, 2; 36, 2; erbarn 32, 2; erbarlich 32, 7; ersamen 33, 1; lenschaft 33, 9. — Sw: eelichen 45, 8; ee 45, 11; merunge 47, 7; erwirdig 45, 6; geth 48, 9. d) Einige Beispiele u. a. für e = mhd. æ. P: stete 5, 2 u. ö.; selligis gedechtnis 7, 6 f.; bequeme 9, 7; genedigen 10, 5; 11, 5; iei'- lich 13, 4; wed czeme 14, 4. — S: gnediklichn 31,7; selekeyt 34, 10; gnedigestin 35, 3; seligen 44, 8; andechtegn 34, 2; ler (= vacuus) 34, 14; offenberlich 35, 8; bequemlichn 35, 17; gedechtenifs 44, 8. — Sw: stete 45, 10; bequemelichen 45, 12; ierlich 46, 6. e) Beachtenswert sind einige Umlaute von altem â (= mhd. æ): in P selligis gedechtnis 7, 6f. (mit auffallender Doppelschreibung des 1); ferner in S: bebistlichn stules 38, 2 (in der Adresse neben der gleich- falls bemerkenswerten Umlautform pregischen kirchen), während sonst babestlich 38, 14; 39, 13 oder bobistlich 39, 6 erscheinen. 1 Auf möglichst offene Aussprache dieses Brechungs-e deutet die Schreibung labetage 32, 8 (vgl. oben S. 170, Nr. 4).
L. Grundzüge des deutschen Lautstandes. 171 § 2. e. 1. Die Schreibung e bezeichnet ohne Unterschied die alten qualitativ verschiedenen e-Laute (mhd. ë, e, also Brechung' und Umlaut; dann ê und æ). a) Belege für e = mhd. ë häufig 1. P: z. B. dem . . . knechte 1, 1 u. ö.; wechsiln 3, 9; begerunge 4, 3; geldis 4, 5 u. ö.; ledig 7, 7; nemen 7, 10; rechtir 8, 2; wege gebin 17, 14; stechn 26, 9. Bewahrt ist die mhd. (oberdeutsche) Lautform auch im Verbum wëllen: wellest 1, 9; wellin 20, 10; 28, 9; welln 27, 9; wellet 25, 8; 28, 8; wellit 21, 9; wel wir se 25, 8. — S: sehen 31, 3; gegeben 31, 10; ledeg 33,8; werde- keit (neben wirdikeyt 35, 4) 34, 17; lebens 44, 8. Von dem Verbum wellen erscheinen nicht die alten Formen mit hellem Vokal wie in P, sondern die unter dem Einfluß des w (oder aus Tonlosigkeit im Satz?) entstandenen altfränkischen, dann allgemein mitteldeutschen o-Formen (s. oben § 1, 2). — Sw: wegn 46, 5; geld 46, 6; rechter 47, 3; des 50, 10. b) Beispiele für Umlauts-e sind ebenso xahlreich. P: gesellin 1, 2 u. ö.; genczlichen 1, 8; besserunge 2, 6; 15, 8f.; sendin 3, 10 u. ö.; vettir 6, 1 u. ö.; mertirers 10, 15; czenckentin 12, 7; bekentnisse 21, 8; mechte 22, 6; gescheftnissen 25, 6; strengin 26, 4; welde 28, 4; schedelichen 10, 7 u. ö.; behegelichkeyt 16, 1; clegelich 17, 5. — S: eckern 33, 16; bekenntnisse 31, 8; mechtikeyt 35, 12; pherrer 38, 12; ein- trechtikeyt 40, 12; behegelich 35, 17; klegelichen 36, 8. — Sw: ge- slechtis 45, 6; senden 46, 8; gedenken 50, 10. c) Beispiele für e = mhd. ê sind in P u. a. peter 3, 1; merunge 6, 2 u. ö.; elichn 15, 6; eren 17, 6; len 7, 5; erb’lich 15, 7; erbirkeyt 16, 8. — S: egenant� 31, 5; elichi 32, 6; ere 33, 5; merer 35, 2; 36, 2; erbarn 32, 2; erbarlich 32, 7; ersamen 33, 1; lenschaft 33, 9. — Sw: eelichen 45, 8; ee 45, 11; merunge 47, 7; erwirdig 45, 6; geth 48, 9. d) Einige Beispiele u. a. für e = mhd. æ. P: stete 5, 2 u. ö.; selligis gedechtnis 7, 6 f.; bequeme 9, 7; genedigen 10, 5; 11, 5; iei'- lich 13, 4; wed czeme 14, 4. — S: gnediklichn 31,7; selekeyt 34, 10; gnedigestin 35, 3; seligen 44, 8; andechtegn 34, 2; ler (= vacuus) 34, 14; offenberlich 35, 8; bequemlichn 35, 17; gedechtenifs 44, 8. — Sw: stete 45, 10; bequemelichen 45, 12; ierlich 46, 6. e) Beachtenswert sind einige Umlaute von altem â (= mhd. æ): in P selligis gedechtnis 7, 6f. (mit auffallender Doppelschreibung des 1); ferner in S: bebistlichn stules 38, 2 (in der Adresse neben der gleich- falls bemerkenswerten Umlautform pregischen kirchen), während sonst babestlich 38, 14; 39, 13 oder bobistlich 39, 6 erscheinen. 1 Auf möglichst offene Aussprache dieses Brechungs-e deutet die Schreibung labetage 32, 8 (vgl. oben S. 170, Nr. 4).
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172 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. f) Wieweit in Fällen wie begerunge 4, 3; ledig 7, 7; 33, 8; nemen 7, 10; wege gebin 17, 4; sehen 31, 3; lebens 44, 8 die neuhochdeutsche Vokaldehnung sich durchgesetzt hat, ob also neue Dehnung oder alte Kürze vorliegt, bleibt undeutlich ebenso wie beim a (vgl. hierzu das oben S. 168 Gesagte). 2. In weitem Umfang begegnet in allen drei Handschriften die Schrei- bung e für altes i sowohl einer im mhd. geschlossenen wie einer offenen Silbe. P: metewochin 1, 12 u. ö.; methefaste 5, 5; meteburger 9, 1 u.ö.; bethe wir 10, 10 (neben bit wir 11, 7 u. ö.); legin liegen 19, 7; der Ortsname legnicz 55, 23, polnisch Lignica (in den ältesten schlesischen Urkunden Legnic, Legnicz); brengen (« md. und nd. brengen, as. bren- gian) 74, 10; — desim 1, 7 u. ö.; eren ihren 10, 1 u. ö.; mete mit 10, 6; seten Sitten 16, 7; frede 12, 4; 21, 7; gestrebin 17, 9f. — Uberliefert ist in P auch in ersamkeyt vnd in vorgessunge seyner eren (= pacis emulus propriique honoris obliuiscens et immemor) 17, 6, wofür wir zur Erleichterung des Verständnisses in den Text irsam- keyt gesetzt haben: mit Unrecht; denn ersal (error) bei Rückert S. 30 unten aus einer schlesischen Urkunde und Opitzens Reim verwerren (verwirren’): Herren (bei Weinhold S. 31) schließen die Annahme eines bloßen Schreibfehlers aus. — In proklitischem Wert: hen wedir 2, 7. Dagegen hat das en in dem Satz: wen ich en czu gotis dinste... wol togelich irkenne 7, 10 f. dem Sinne nach einen Ton. Immerhin wird hier und für das er (ihr’) 12, 6. 9 und 21, 7 anzunehmen sein, daß die Pronomina im Satzgefüge zurücktreten und schwachen Akzent hatten. Ganz tonlos ist em (ihm’) 18, 7. 8. Die betonten Formen haben y (s. unten). Ebenso ist völlig proklitisch se (= eos) 25, 8. — Im Adjektiv- suffix -ic wechselt e mit i: steteclich 8, 8; vleyseclich 9, 8; fleysich- lich 3, 7. — S: ere (ihre’) 32, 8 (neben yren 32, 11); vel (viel) 36, Il; frede 36, 16; 37, 18; em (ihm') betont: em vor andern 39, 15; vor- brengen 39, 19; wederstatunge 43, 19; ferner schwachbetont in der Ab- leitungssilbe -ig: ledeg 33, 8. — Sw: erem (ihrem) 45, 5; eris (ihres’) 45, 6; seben 46, 1; en (ihn’): vnd en euch gancz vnd gar (wohl un- betont) 46, 9; (ihnen’) vorbasme von en in eyme sulchen (betont!) 51, 9; gespele 47, 2 (neben gespyle 47, 4)1. — Vgl. Rückert S. 29—31; v. Unwerth § 10—12 S. 12 ff. 3. Die in schlesischen Urkunden (Rückert S. 29, 3) und auch sonst im Mitteldeutschen übliche Schreibung e für mhd. nebentoniges a der proklitischen Wörter wan, wanne und für mhd. haupttoniges a der sekundärem Umlaut ausgesetzten Wörter arbeit, armuot und antwurt (vgl. Weinhold, Mhd. Gramm. § 28 S. 30; Edw. Schroeder, Anxeiger f. dtsch. 1 Für diese Schreibung und die ihnen xugrunde liegende mundartliche Aus- sprache bieten die lateinischen Stücke in schwachtoniger Silbe einige Parallelen wie secuti st. sicuti 59, 10; 63, 8 und mesticeam st. mesticiam 71, 5.
172 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. f) Wieweit in Fällen wie begerunge 4, 3; ledig 7, 7; 33, 8; nemen 7, 10; wege gebin 17, 4; sehen 31, 3; lebens 44, 8 die neuhochdeutsche Vokaldehnung sich durchgesetzt hat, ob also neue Dehnung oder alte Kürze vorliegt, bleibt undeutlich ebenso wie beim a (vgl. hierzu das oben S. 168 Gesagte). 2. In weitem Umfang begegnet in allen drei Handschriften die Schrei- bung e für altes i sowohl einer im mhd. geschlossenen wie einer offenen Silbe. P: metewochin 1, 12 u. ö.; methefaste 5, 5; meteburger 9, 1 u.ö.; bethe wir 10, 10 (neben bit wir 11, 7 u. ö.); legin liegen 19, 7; der Ortsname legnicz 55, 23, polnisch Lignica (in den ältesten schlesischen Urkunden Legnic, Legnicz); brengen (« md. und nd. brengen, as. bren- gian) 74, 10; — desim 1, 7 u. ö.; eren ihren 10, 1 u. ö.; mete mit 10, 6; seten Sitten 16, 7; frede 12, 4; 21, 7; gestrebin 17, 9f. — Uberliefert ist in P auch in ersamkeyt vnd in vorgessunge seyner eren (= pacis emulus propriique honoris obliuiscens et immemor) 17, 6, wofür wir zur Erleichterung des Verständnisses in den Text irsam- keyt gesetzt haben: mit Unrecht; denn ersal (error) bei Rückert S. 30 unten aus einer schlesischen Urkunde und Opitzens Reim verwerren (verwirren’): Herren (bei Weinhold S. 31) schließen die Annahme eines bloßen Schreibfehlers aus. — In proklitischem Wert: hen wedir 2, 7. Dagegen hat das en in dem Satz: wen ich en czu gotis dinste... wol togelich irkenne 7, 10 f. dem Sinne nach einen Ton. Immerhin wird hier und für das er (ihr’) 12, 6. 9 und 21, 7 anzunehmen sein, daß die Pronomina im Satzgefüge zurücktreten und schwachen Akzent hatten. Ganz tonlos ist em (ihm’) 18, 7. 8. Die betonten Formen haben y (s. unten). Ebenso ist völlig proklitisch se (= eos) 25, 8. — Im Adjektiv- suffix -ic wechselt e mit i: steteclich 8, 8; vleyseclich 9, 8; fleysich- lich 3, 7. — S: ere (ihre’) 32, 8 (neben yren 32, 11); vel (viel) 36, Il; frede 36, 16; 37, 18; em (ihm') betont: em vor andern 39, 15; vor- brengen 39, 19; wederstatunge 43, 19; ferner schwachbetont in der Ab- leitungssilbe -ig: ledeg 33, 8. — Sw: erem (ihrem) 45, 5; eris (ihres’) 45, 6; seben 46, 1; en (ihn’): vnd en euch gancz vnd gar (wohl un- betont) 46, 9; (ihnen’) vorbasme von en in eyme sulchen (betont!) 51, 9; gespele 47, 2 (neben gespyle 47, 4)1. — Vgl. Rückert S. 29—31; v. Unwerth § 10—12 S. 12 ff. 3. Die in schlesischen Urkunden (Rückert S. 29, 3) und auch sonst im Mitteldeutschen übliche Schreibung e für mhd. nebentoniges a der proklitischen Wörter wan, wanne und für mhd. haupttoniges a der sekundärem Umlaut ausgesetzten Wörter arbeit, armuot und antwurt (vgl. Weinhold, Mhd. Gramm. § 28 S. 30; Edw. Schroeder, Anxeiger f. dtsch. 1 Für diese Schreibung und die ihnen xugrunde liegende mundartliche Aus- sprache bieten die lateinischen Stücke in schwachtoniger Silbe einige Parallelen wie secuti st. sicuti 59, 10; 63, 8 und mesticeam st. mesticiam 71, 5.
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I. Grundzüge des deutschen Lautstandes. 173 Altertum 24 [1898], S. 29f.) » wen, wenne, erbeit, ermut und ent- wort findet sich nur vereinzelt in unseren Denkmälern: wen P 1, 10 u. ö.; erbeyt S 43, 19; entwort Sw 46, 1. Uber die seltsame, jedoch in schlesischen Urkunden häufige Form sonnebunde 5, 8; zunnebunde 29, 10 vgl. unten § 4, 4; 5, 5. 4. In geringem Umfang zeigen die abgedruckten Stücke die Schreibung e für altes ei. P: haupttonig menunge 11, 8; 19, 8 neben meynunge 22, 7 (vgl. menunge, czechen, beczegete bei Rückert S. 31); vm geret gelt (= pro pecuniis certis) 13, 8, daneben vor gereyte bemische groschen 3, 8; nebentonig oder schwachtonig in abgeschwächtem (?) Kompositions- teil briffczeg‘ 1, 9 u. ö. (wo freilich die Handschrift durch die Schreibung briff czeger die Selbständigkeit und Betonung des zweiten Gliedes gerade hervorzuheben scheint!) 13, 8; enand' 26, 8. — S nur czeg°. 32, 5. — Sw: becherynne 48, 8 (neben bleychen 48, 9) und in schwachtoniger Silbe mitenander 47, 8; 48, 10. Nach v. Unwerth § 35 S. 28, § 123, S. 84 hat in der heutigen schlesischen Volkssprache das Gebirgsschlesisch und Lausitzischschlesisch sowie das Mittelstück der schlesischen Diphthon- gierungs’mundarten (nach seiner leicht irreführenden Terminologie) für mhd. ei den Monophthong ê durchgeführt. 5. Außerdem findet sich in P vereinzelt die Schreibung e für altes i in fretage 27, 10, vgl. Rückert S. 32 Nr. 6; in dem Namen swedenicz 6, 1; und für schwachtoniges u in proklitischem em (um’): das eir em vnsir dinst wille 17, 11. Uber den heutigen Stand der schlesischen und lausitzisch-schlesischen Volkssprache s. v. Unwerth § 27 S. 23f., § 122 S. 83. 6. e an Stelle von mhd. a: in der merkwürdigen Schreibung sonne- bunde, zonnebunde (s. § 5, 5) für mhd. sunnâbent ist anscheinend die Stammsilbe des zweiten Kompositionsteils, der doch starker Nebenton zukommt, tonlos und geschwächt. Ob mit wirklicher Umlegung der Akxentuierung und völliger Verdunklung der Komposition? § 3. 1. 1. i geht in unseren Denkmälern auf mhd. i und i zurück und wird vielfach y geschrieben (s. daxu Rückert S. 33). a) Beispiele für i = mhd. i sehr zahlreich. P: gewissen 1, 5; ich vil = multum) 1, 5 ; bitte ich 1, 7 u. ö.; willen 2, 5 u. ö.; mit 3,9 u. ö.; sczicken 6, 8 u. ö.; spricht 10, 9; 21, 5; richten 10, 10; wille wil 15, 9; wisssenschaft 19, 5; berichtn 25, 9; wiltnis 28, 4. Die Schreibung y ist auf wenige Fülle beschränkt: annymt 10, 9; ferner cinsilbige Worte yn (Präposition) 22, 9; ym lande 22, 4; ym 10, 9 (= eundem); 16, 11; 18, 7 (= eidem); yn (ipsum) 12, 11; zcu yn (ad eos) 25, 7; do hyn 11, 9; myt mir 25, 7. — S: wir 31, 1u. ö.; ist 31, 3 u. ö; sicherheit 31, 9; willen 32, 11; milde 34, 11; bischoflichen 38, 15; warhaftiger 43, 8.
I. Grundzüge des deutschen Lautstandes. 173 Altertum 24 [1898], S. 29f.) » wen, wenne, erbeit, ermut und ent- wort findet sich nur vereinzelt in unseren Denkmälern: wen P 1, 10 u. ö.; erbeyt S 43, 19; entwort Sw 46, 1. Uber die seltsame, jedoch in schlesischen Urkunden häufige Form sonnebunde 5, 8; zunnebunde 29, 10 vgl. unten § 4, 4; 5, 5. 4. In geringem Umfang zeigen die abgedruckten Stücke die Schreibung e für altes ei. P: haupttonig menunge 11, 8; 19, 8 neben meynunge 22, 7 (vgl. menunge, czechen, beczegete bei Rückert S. 31); vm geret gelt (= pro pecuniis certis) 13, 8, daneben vor gereyte bemische groschen 3, 8; nebentonig oder schwachtonig in abgeschwächtem (?) Kompositions- teil briffczeg‘ 1, 9 u. ö. (wo freilich die Handschrift durch die Schreibung briff czeger die Selbständigkeit und Betonung des zweiten Gliedes gerade hervorzuheben scheint!) 13, 8; enand' 26, 8. — S nur czeg°. 32, 5. — Sw: becherynne 48, 8 (neben bleychen 48, 9) und in schwachtoniger Silbe mitenander 47, 8; 48, 10. Nach v. Unwerth § 35 S. 28, § 123, S. 84 hat in der heutigen schlesischen Volkssprache das Gebirgsschlesisch und Lausitzischschlesisch sowie das Mittelstück der schlesischen Diphthon- gierungs’mundarten (nach seiner leicht irreführenden Terminologie) für mhd. ei den Monophthong ê durchgeführt. 5. Außerdem findet sich in P vereinzelt die Schreibung e für altes i in fretage 27, 10, vgl. Rückert S. 32 Nr. 6; in dem Namen swedenicz 6, 1; und für schwachtoniges u in proklitischem em (um’): das eir em vnsir dinst wille 17, 11. Uber den heutigen Stand der schlesischen und lausitzisch-schlesischen Volkssprache s. v. Unwerth § 27 S. 23f., § 122 S. 83. 6. e an Stelle von mhd. a: in der merkwürdigen Schreibung sonne- bunde, zonnebunde (s. § 5, 5) für mhd. sunnâbent ist anscheinend die Stammsilbe des zweiten Kompositionsteils, der doch starker Nebenton zukommt, tonlos und geschwächt. Ob mit wirklicher Umlegung der Akxentuierung und völliger Verdunklung der Komposition? § 3. 1. 1. i geht in unseren Denkmälern auf mhd. i und i zurück und wird vielfach y geschrieben (s. daxu Rückert S. 33). a) Beispiele für i = mhd. i sehr zahlreich. P: gewissen 1, 5; ich vil = multum) 1, 5 ; bitte ich 1, 7 u. ö.; willen 2, 5 u. ö.; mit 3,9 u. ö.; sczicken 6, 8 u. ö.; spricht 10, 9; 21, 5; richten 10, 10; wille wil 15, 9; wisssenschaft 19, 5; berichtn 25, 9; wiltnis 28, 4. Die Schreibung y ist auf wenige Fülle beschränkt: annymt 10, 9; ferner cinsilbige Worte yn (Präposition) 22, 9; ym lande 22, 4; ym 10, 9 (= eundem); 16, 11; 18, 7 (= eidem); yn (ipsum) 12, 11; zcu yn (ad eos) 25, 7; do hyn 11, 9; myt mir 25, 7. — S: wir 31, 1u. ö.; ist 31, 3 u. ö; sicherheit 31, 9; willen 32, 11; milde 34, 11; bischoflichen 38, 15; warhaftiger 43, 8.
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174 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. Die Schreibung y ist häufiger: styftunge 33, 9; Bythe wir 33, 12; gesyndes 35, 9; thun wir zcu wyssen 37, 11; byn (ich bin’) 40, 15; synt (sind’) 41, 10; vgl. im lateinischen Text Datum Grymmis 34, 16. — Sw: bitt wir 45, 9; 50, 7; 51, 7; willen 45, 3; widder 50, 6. 9. Die Schreibung y xeigen unsere Proben nur in der Ableitungssilbe inne: Burgerynne, frundynne, dynerynne, czeigerynne, blecherynne, Mar- grawynne, Furstynne 48, 1. 2. 6. 8; 49, 3. 5. 8. b) Die Fälle von i = mhd. I dagegen sind im ganzen selten, da altes i in der Regel diphthongiert ist (s. unter ei). Die drei Handschriften weichen in diesem Punkt aber voneinander sehr beträchtlich ab. In P finden sich nur einige wenige Beispiele für i = mhd. i: haupttonig wisheyt 5, 4 (aber weisen 10, 1; 11, I; weysheyt 10, 10) und sinem 7, 1 (neben sonstigem ausnahmslosem seyme oder seynem); mit y-Schreibung czyt 21, 6; nebentonig and’wit und regelmäßig in der Adjektiv- und Adverbialbildung auf lich, lichen: z. B. iczlichen 4, 3; fleysichlich 3, 7; sunderlichen 3, 1; genczlichen 1, 8; elichn 15, 6; fruntlichn 25, 9, wo das alte i wahrscheinlich bereits Kürxung erfahren hat. Zu berichtigen ist unser Text 13, 6: dort muß es genau nach der Schreibung in P heißen am leybe vortirbit (S hat : am leybe syn vorterbit). In P wäre nur seyn oder sint möglich, vgl. 10, 6; 24, 5. 7. — S hin- gegen wahrt altes 1 öfter und verwendet dafür oft die Schreibung y: lidet 31, 4; synen 31, 6; synes 32, 12; synem 34, 7; syne 35, 9; snydermeist 31, 1f. 5. 11; by 32, 8 u. ö.; gewyet 33, 5; wyen 33, 8; vorlyen 34, 15; gezcyten 35, 2; 36, 2; riches 35, 5; 36, 2; flyse 35, 9 u. ö; biten warten 35, 16; getzwiget 38, 15; gliche 43, 18; anwysunge 35, 15; 43, 14; daxu Adverbia wie einfeldiglichen 38, 11; williglichen 38, 13. — In Sw endlich sind sämtliche alte i bereits diphthongiert. — Vgl. § 8, 2. 2. In gewissem Umfang erscheint i an Stelle der mhd. e-Lauted. Für diese i wird die Schreibung y vermieden. a) Für haupttoniges mhd. ë begegnet i einmal: das wir ... am leybe vortirbit (so, mit Auslassung des Hilfsverbs, ist zu lesen!); vgl. Rückert S. 34 b. Für haupttoniges mhd. e erscheint i in dem aus niederdeutschen Quellen bekannten sinde (mhd. sente = lat. sancti, franxös. saint, s. xu MSD. XVI, 3; LXXIIb, 1) : sinde Johannis tag 1, 6; 22, 5; 28, 10; sinde Walpurgen tag 3, 6; 6, 7; sinde Bartholomeus tag 9, 5; sinte Jorgen tage 10, 14; 18, 7; sinde marcustage 12, 13; sinde veicztag 22, 7; sinde Jacobi tag 26, 7. b) Mehrmals tritt auf allein in P das spexifisch schlesische lange i für mhd. ê und se vor r: hirschaft 1, 6; 2, 7; irbirn 4, 1 u. ö. Da- 1 Auch hier wieder stoßen wir in den latein. Stücken auf parallele Schrei- bungen wie dilectamentis 58, 9; illecibris 69, 9; disistere La. z. 79, 13 S. 112 Z 4 v. u.
174 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. Die Schreibung y ist häufiger: styftunge 33, 9; Bythe wir 33, 12; gesyndes 35, 9; thun wir zcu wyssen 37, 11; byn (ich bin’) 40, 15; synt (sind’) 41, 10; vgl. im lateinischen Text Datum Grymmis 34, 16. — Sw: bitt wir 45, 9; 50, 7; 51, 7; willen 45, 3; widder 50, 6. 9. Die Schreibung y xeigen unsere Proben nur in der Ableitungssilbe inne: Burgerynne, frundynne, dynerynne, czeigerynne, blecherynne, Mar- grawynne, Furstynne 48, 1. 2. 6. 8; 49, 3. 5. 8. b) Die Fälle von i = mhd. I dagegen sind im ganzen selten, da altes i in der Regel diphthongiert ist (s. unter ei). Die drei Handschriften weichen in diesem Punkt aber voneinander sehr beträchtlich ab. In P finden sich nur einige wenige Beispiele für i = mhd. i: haupttonig wisheyt 5, 4 (aber weisen 10, 1; 11, I; weysheyt 10, 10) und sinem 7, 1 (neben sonstigem ausnahmslosem seyme oder seynem); mit y-Schreibung czyt 21, 6; nebentonig and’wit und regelmäßig in der Adjektiv- und Adverbialbildung auf lich, lichen: z. B. iczlichen 4, 3; fleysichlich 3, 7; sunderlichen 3, 1; genczlichen 1, 8; elichn 15, 6; fruntlichn 25, 9, wo das alte i wahrscheinlich bereits Kürxung erfahren hat. Zu berichtigen ist unser Text 13, 6: dort muß es genau nach der Schreibung in P heißen am leybe vortirbit (S hat : am leybe syn vorterbit). In P wäre nur seyn oder sint möglich, vgl. 10, 6; 24, 5. 7. — S hin- gegen wahrt altes 1 öfter und verwendet dafür oft die Schreibung y: lidet 31, 4; synen 31, 6; synes 32, 12; synem 34, 7; syne 35, 9; snydermeist 31, 1f. 5. 11; by 32, 8 u. ö.; gewyet 33, 5; wyen 33, 8; vorlyen 34, 15; gezcyten 35, 2; 36, 2; riches 35, 5; 36, 2; flyse 35, 9 u. ö; biten warten 35, 16; getzwiget 38, 15; gliche 43, 18; anwysunge 35, 15; 43, 14; daxu Adverbia wie einfeldiglichen 38, 11; williglichen 38, 13. — In Sw endlich sind sämtliche alte i bereits diphthongiert. — Vgl. § 8, 2. 2. In gewissem Umfang erscheint i an Stelle der mhd. e-Lauted. Für diese i wird die Schreibung y vermieden. a) Für haupttoniges mhd. ë begegnet i einmal: das wir ... am leybe vortirbit (so, mit Auslassung des Hilfsverbs, ist zu lesen!); vgl. Rückert S. 34 b. Für haupttoniges mhd. e erscheint i in dem aus niederdeutschen Quellen bekannten sinde (mhd. sente = lat. sancti, franxös. saint, s. xu MSD. XVI, 3; LXXIIb, 1) : sinde Johannis tag 1, 6; 22, 5; 28, 10; sinde Walpurgen tag 3, 6; 6, 7; sinde Bartholomeus tag 9, 5; sinte Jorgen tage 10, 14; 18, 7; sinde marcustage 12, 13; sinde veicztag 22, 7; sinde Jacobi tag 26, 7. b) Mehrmals tritt auf allein in P das spexifisch schlesische lange i für mhd. ê und se vor r: hirschaft 1, 6; 2, 7; irbirn 4, 1 u. ö. Da- 1 Auch hier wieder stoßen wir in den latein. Stücken auf parallele Schrei- bungen wie dilectamentis 58, 9; illecibris 69, 9; disistere La. z. 79, 13 S. 112 Z 4 v. u.
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I. Grundzüge des deutschen Lautstandes. 175 gegen mit Dissimilation ewir erbirkeit 16, 18, vielleicht nach dem von Pietsch zu Rückert S. 35 Anm. für kurxe i vermuteten euphonischen Trieb. — Vgl. im übrigen Rückert S. 36 f.; v. Unwerth § 26 I S. 22 (un- deutlich), auch § 24 Schluß, S. 21. c) Sehr häufig hingegen begegnet das bekannte, spezifisch mitteldeutsche i für schwachtoniges e in Vor- und Ableitungssilben aller Art mit kon- sonantischem Schluß, namentlich aber in Flexionssilben. Daneben steht jedoch auch oft das gemeindeutsche e. P: irkenne 7, 11; dirkenne 8, 5; irlobe 14, 5; dirfarn 20, 7; xu beachten, daß hierfür in P niemals Schreibungen mit er- vorkommen. irwerbn 25, 8; irleuchtirsteyn 26, 4; wechsiln 3, 9; Ingesegil 11, I1; vogil 18, 5; selbist 19, 7; purgir 3, 1; 6, 1 (aber burger 4, I neben gunner, diner); wedir 2, 6; dunnirstage 2, 8; hundirt 3, 8; tachtir 6, 6; altirs 7, 9 (sonst alters Altars'); Petir Peter 4, 8; leuthirlich 7, 9 f. ; rittirlichn 26, 6; bebirsteyn 26, 13; tuchir (= pannos) 5, 4; desim 1, 7. 9; ewrim 4, 5; 13, 8. 9; unsrim 19, 9; allim 12, 9; tregin 4, 5; 5, 7; czuschin 10, 12; Rabinsteyn 19, 7; offintlich I, 9; gesellin 1, 2; nestin metewochin 1, 12; nestin dunnirs- tage 2, 8, aber auch nesten metewochen 3, 10; ganczin 5, 4; czencken- tin vnd schedelichin knecht . . . in ewirn bandin 12, 7f.; sendin 5, 8; lebin 73, 9; begangin werdin 6, 7; des vorgenantins ritters 17, 15; lofin 20, 8; turnyrin 26, 9; haldin 12, 10; vorscreybin 1, 9f.; geruchit, mogit 6, 7f.; habit 12, 8; beczalit 4, 6; vortirbit 13, 6 (so zu lesen!); hundis 1, 13; gotis 3, 6; 7, 10; ewirs geldis 4, 5; Anderis Andreas 5, 10. In allen diesen Fällen stets i, niemals y. Ein einziges Beispiel kommt vor mit y: mit ... leyplichyn eyde 30, 7f. Im verdunkelten zweiten Kompositionsteil: firtil 6, 5. — Sw: irkant 45, 5; irkennen 45, 11; wellit irczeigen 45, 10; irweren 50, 10; irlosen 51, 10; eris geslechtis 45, 6; allir irluchtigisten 49, 1; allir 47, 4; 48,2; 51, 3; allis 49, 3; eynir 45, 8; wonit 45, 7; geendit 45, 11; ediln 51, 1; edilkeyt 51, 7; vndirweysen 51, 8. In S nur in Flexions- und Ab- leitungssilben: kummit 31, 6; lesin 32, 3; selbist 32, 5; 36, 10; brifis 32, 6; 43, 14 (neben bryfes 33, 12; 37, 12; 38, 12); gotis 33, 7; 35, 2; 37, 5; gegossin 34, 3; habin 34, 13; pristerlichin 34, 17; allir 35, 4; ubin 35, 12; gebetis 39, 8; 44, 5; vorsegilte 39, 12; obir 39, 13; geldis 42, 11; innigis 43, 5; seletzagit 43, 11; bestetigit 43, 13. — Vgl. Rückert S. 34f. (c). 3. In weitem Umfang tritt i für mhd. ie auf, oft mit der Schrei- bung y. P: dinstharftigen 1, 1; dinste 1, 10 u. ö.; dinen 2, 6; dynir 1, 13; diner 2, 1 u. ö.; lipster 1, 4 u. ö.; liber 2, 4; libe 3, 3 u. ö.; czyhn 1, 7; 2, 5; 3, 6; aber czihn 18, 12; dy 2, 7 u. ö.; für Sing. Nom. Akk. des Feminins und Plural des Neutrums stets mit der Schreibung y; list (= iussistis) 5, 6; firtil 6, 5; birs 6, 5; dinstage 6, 6 u. ö.; schirste 8, 8; briffen 10, 5 u. ö.; ditterich 29, 1; 30, 10. — S: bryf 31, 9 u. ö.; bryfe 34, 13; libn 32, 10 u. ö. (neben liebn
I. Grundzüge des deutschen Lautstandes. 175 gegen mit Dissimilation ewir erbirkeit 16, 18, vielleicht nach dem von Pietsch zu Rückert S. 35 Anm. für kurxe i vermuteten euphonischen Trieb. — Vgl. im übrigen Rückert S. 36 f.; v. Unwerth § 26 I S. 22 (un- deutlich), auch § 24 Schluß, S. 21. c) Sehr häufig hingegen begegnet das bekannte, spezifisch mitteldeutsche i für schwachtoniges e in Vor- und Ableitungssilben aller Art mit kon- sonantischem Schluß, namentlich aber in Flexionssilben. Daneben steht jedoch auch oft das gemeindeutsche e. P: irkenne 7, 11; dirkenne 8, 5; irlobe 14, 5; dirfarn 20, 7; xu beachten, daß hierfür in P niemals Schreibungen mit er- vorkommen. irwerbn 25, 8; irleuchtirsteyn 26, 4; wechsiln 3, 9; Ingesegil 11, I1; vogil 18, 5; selbist 19, 7; purgir 3, 1; 6, 1 (aber burger 4, I neben gunner, diner); wedir 2, 6; dunnirstage 2, 8; hundirt 3, 8; tachtir 6, 6; altirs 7, 9 (sonst alters Altars'); Petir Peter 4, 8; leuthirlich 7, 9 f. ; rittirlichn 26, 6; bebirsteyn 26, 13; tuchir (= pannos) 5, 4; desim 1, 7. 9; ewrim 4, 5; 13, 8. 9; unsrim 19, 9; allim 12, 9; tregin 4, 5; 5, 7; czuschin 10, 12; Rabinsteyn 19, 7; offintlich I, 9; gesellin 1, 2; nestin metewochin 1, 12; nestin dunnirs- tage 2, 8, aber auch nesten metewochen 3, 10; ganczin 5, 4; czencken- tin vnd schedelichin knecht . . . in ewirn bandin 12, 7f.; sendin 5, 8; lebin 73, 9; begangin werdin 6, 7; des vorgenantins ritters 17, 15; lofin 20, 8; turnyrin 26, 9; haldin 12, 10; vorscreybin 1, 9f.; geruchit, mogit 6, 7f.; habit 12, 8; beczalit 4, 6; vortirbit 13, 6 (so zu lesen!); hundis 1, 13; gotis 3, 6; 7, 10; ewirs geldis 4, 5; Anderis Andreas 5, 10. In allen diesen Fällen stets i, niemals y. Ein einziges Beispiel kommt vor mit y: mit ... leyplichyn eyde 30, 7f. Im verdunkelten zweiten Kompositionsteil: firtil 6, 5. — Sw: irkant 45, 5; irkennen 45, 11; wellit irczeigen 45, 10; irweren 50, 10; irlosen 51, 10; eris geslechtis 45, 6; allir irluchtigisten 49, 1; allir 47, 4; 48,2; 51, 3; allis 49, 3; eynir 45, 8; wonit 45, 7; geendit 45, 11; ediln 51, 1; edilkeyt 51, 7; vndirweysen 51, 8. In S nur in Flexions- und Ab- leitungssilben: kummit 31, 6; lesin 32, 3; selbist 32, 5; 36, 10; brifis 32, 6; 43, 14 (neben bryfes 33, 12; 37, 12; 38, 12); gotis 33, 7; 35, 2; 37, 5; gegossin 34, 3; habin 34, 13; pristerlichin 34, 17; allir 35, 4; ubin 35, 12; gebetis 39, 8; 44, 5; vorsegilte 39, 12; obir 39, 13; geldis 42, 11; innigis 43, 5; seletzagit 43, 11; bestetigit 43, 13. — Vgl. Rückert S. 34f. (c). 3. In weitem Umfang tritt i für mhd. ie auf, oft mit der Schrei- bung y. P: dinstharftigen 1, 1; dinste 1, 10 u. ö.; dinen 2, 6; dynir 1, 13; diner 2, 1 u. ö.; lipster 1, 4 u. ö.; liber 2, 4; libe 3, 3 u. ö.; czyhn 1, 7; 2, 5; 3, 6; aber czihn 18, 12; dy 2, 7 u. ö.; für Sing. Nom. Akk. des Feminins und Plural des Neutrums stets mit der Schreibung y; list (= iussistis) 5, 6; firtil 6, 5; birs 6, 5; dinstage 6, 6 u. ö.; schirste 8, 8; briffen 10, 5 u. ö.; ditterich 29, 1; 30, 10. — S: bryf 31, 9 u. ö.; bryfe 34, 13; libn 32, 10 u. ö. (neben liebn
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176 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. 34, 2); dinst 33, 4; dinstlichen 36, 5; vordinen 33, 18, aber vordynen 34, 18; dynen 35, 21; gebyte 34, 9. 14; 36, 9. — Sw: dinst 46, 3; 51, 3; libe 47, 3; 48, 5 (neben liebn 46, 2; liebe 47, 8); allirlipste 47, 4; dynerynne 48, 6; 49, 8; czihn 49, 6; genisen 49, 10. — Vgl. § 10. — Rückert S. 37 (4); v. Unwerth S. 32 § 44. 4. i für mhd. ei begegnet einmal in dem Personennamen der Adresse: hinrich hecht 2, 1, wo es, obgleich im parallelen lateinischen Text gerade Heynrico Hecht steht, doch wohl nur aus dem Einfluß der lateinischen Form Hinricus zu erklären ist, und einmal in der sonst rein bewahrten (s. § 8, 1) Ableitungssilbe -keit in P stetekyt 20, 3: dies eine von Rückert und Pietsch S. 37f. (5) reichlich aus schlesischen Literatur- denkmälern und Urkunden des 14. und 15. Jahrhunderts belegte Schreibung (selekit, totlichkit, demutekit, barmherczekit, stetekit, gerechtekit, wor- hyt; czychin signum; erbit labor, geerbit gearbeitet', schultissen Schult- heißen’; zcylen seilen’). Offenbar liegt ihr ein lautlicher Vorgang zu- grunde, den Weinhold S. 40 (6) aus Reichenbach, Waldenburg, Obereich, Glogau, Primkenau nachweist; v. Unwerth S. 29 § 36 und § 37 II vermerkt ihn aus den sogenannten Diphthongierungs'mundarten nur für direkt auslautendes mhd. ei (ie Ei, kšrîe Geschrei) und bei Kürzung (kinr keiner). § 4. o. 1. o entspricht mhd. o und ô. a) Beispiele für o = o zahlreich. P: u. a. vor 1,3 u. ö.; von 1, 5 u. ö; ofte 1, 5 u. ö; hoffte 1, 11; geborn 15, 6 ; holcz 14, 5 ; genomen 1, 5. 10: gotis 3, 6 u. ö; groschen 4, 4; boten 4, 4; bekomen 15, 6; metewochin 1, 12 u. ö.; bischoffe 8, 9. — S: gesworne 31, 1; 32, 1; offen 31, 2; 32, 2; vor 31, 2 u. ö.; geborn 32, 6; god 34, 9; wollet 36, 14; 44. 11 (s. oben § 1, 2; § 2, 1); ofte 40, 13; fromen 32, 6; 44, 13; habin globet vnde globn (= promisimus et promittimus) 34, 13; gotes 34, I1; wochen 35, 15; vernomen 40, 8; komet 44, 12. — Sw: mochte 46, 7; wolt 48, 8: czol 50, 6; zuuor 47, 3 u. ö.; wolgebornen 51, 1: von 51, 9; herczog 45, 4. 8; lobe 45, 5; lobelich 45, 11; wonit 45, 7: komen 47, 7; houegesinde 49, 8; genomen 50, 6f. b) Belege für o = ô gleichfalls häufig. — P: z. B. hoch 1, 7; gros 1, 11 u. ö.; hochczeyt 6, 6; not 13, 7; bosheyt 17, 15; furlon 6, 9; todes 7, 6; stosin 29, 8; kleynoden 26, 7. — S: z. B. hochgebornkeyt 37, 19f.; do 31, 10; grosekeyt 35, 12; tode 43, 13. — Sw: z. B. hoch- gebornen 45, 1; hoen 46, 7; grose 51, 5. — Ob in Fällen wie vor, geborn, boten, gesworne, globet, lobe, wonit noch alte Kürze oder be- reits neue Dehnung vorliegt, ist nicht ersichtlich. — In Fällen, wo mhd. Umlaut herrscht oder möglich ist (mhd. ce): P horn 11, 8; bosen 12, 5; boser 13, 4; S gehort 33, 9; horen 31, 3; 32, 3; hochste 35, 14; Sw schone 45, 6.
176 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. 34, 2); dinst 33, 4; dinstlichen 36, 5; vordinen 33, 18, aber vordynen 34, 18; dynen 35, 21; gebyte 34, 9. 14; 36, 9. — Sw: dinst 46, 3; 51, 3; libe 47, 3; 48, 5 (neben liebn 46, 2; liebe 47, 8); allirlipste 47, 4; dynerynne 48, 6; 49, 8; czihn 49, 6; genisen 49, 10. — Vgl. § 10. — Rückert S. 37 (4); v. Unwerth S. 32 § 44. 4. i für mhd. ei begegnet einmal in dem Personennamen der Adresse: hinrich hecht 2, 1, wo es, obgleich im parallelen lateinischen Text gerade Heynrico Hecht steht, doch wohl nur aus dem Einfluß der lateinischen Form Hinricus zu erklären ist, und einmal in der sonst rein bewahrten (s. § 8, 1) Ableitungssilbe -keit in P stetekyt 20, 3: dies eine von Rückert und Pietsch S. 37f. (5) reichlich aus schlesischen Literatur- denkmälern und Urkunden des 14. und 15. Jahrhunderts belegte Schreibung (selekit, totlichkit, demutekit, barmherczekit, stetekit, gerechtekit, wor- hyt; czychin signum; erbit labor, geerbit gearbeitet', schultissen Schult- heißen’; zcylen seilen’). Offenbar liegt ihr ein lautlicher Vorgang zu- grunde, den Weinhold S. 40 (6) aus Reichenbach, Waldenburg, Obereich, Glogau, Primkenau nachweist; v. Unwerth S. 29 § 36 und § 37 II vermerkt ihn aus den sogenannten Diphthongierungs'mundarten nur für direkt auslautendes mhd. ei (ie Ei, kšrîe Geschrei) und bei Kürzung (kinr keiner). § 4. o. 1. o entspricht mhd. o und ô. a) Beispiele für o = o zahlreich. P: u. a. vor 1,3 u. ö.; von 1, 5 u. ö; ofte 1, 5 u. ö; hoffte 1, 11; geborn 15, 6 ; holcz 14, 5 ; genomen 1, 5. 10: gotis 3, 6 u. ö; groschen 4, 4; boten 4, 4; bekomen 15, 6; metewochin 1, 12 u. ö.; bischoffe 8, 9. — S: gesworne 31, 1; 32, 1; offen 31, 2; 32, 2; vor 31, 2 u. ö.; geborn 32, 6; god 34, 9; wollet 36, 14; 44. 11 (s. oben § 1, 2; § 2, 1); ofte 40, 13; fromen 32, 6; 44, 13; habin globet vnde globn (= promisimus et promittimus) 34, 13; gotes 34, I1; wochen 35, 15; vernomen 40, 8; komet 44, 12. — Sw: mochte 46, 7; wolt 48, 8: czol 50, 6; zuuor 47, 3 u. ö.; wolgebornen 51, 1: von 51, 9; herczog 45, 4. 8; lobe 45, 5; lobelich 45, 11; wonit 45, 7: komen 47, 7; houegesinde 49, 8; genomen 50, 6f. b) Belege für o = ô gleichfalls häufig. — P: z. B. hoch 1, 7; gros 1, 11 u. ö.; hochczeyt 6, 6; not 13, 7; bosheyt 17, 15; furlon 6, 9; todes 7, 6; stosin 29, 8; kleynoden 26, 7. — S: z. B. hochgebornkeyt 37, 19f.; do 31, 10; grosekeyt 35, 12; tode 43, 13. — Sw: z. B. hoch- gebornen 45, 1; hoen 46, 7; grose 51, 5. — Ob in Fällen wie vor, geborn, boten, gesworne, globet, lobe, wonit noch alte Kürze oder be- reits neue Dehnung vorliegt, ist nicht ersichtlich. — In Fällen, wo mhd. Umlaut herrscht oder möglich ist (mhd. ce): P horn 11, 8; bosen 12, 5; boser 13, 4; S gehort 33, 9; horen 31, 3; 32, 3; hochste 35, 14; Sw schone 45, 6.
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L. Grundzüge des deutschen Lautstandes 177 2. o für mhd. a, ein im Schlesischen vor Liquiden und vor Nasalen unter gewissen Umständen üblicher Lautwandel1 (s. Rückert S. 39, 2, dazu v. Unwerth S. 8f. § 1.2), ist in P einmal belegt in dem Namen wolpurgin 10, 11 (wo auch das vorangehende w gewirkt haben kann), während sonst das gemeinsprachliche walpurgn 16, 9 u. ö. gebraucht wird. Im übrigem könnte man noch die Zusammensetzungen mit den Orts- adverbien dar- und war- aus P und S heranziehen (dorvmme, dor vmb, worvmme, doran). Diese werden aber wohl richtiger durch Anknüpfung an die alte Länge (mhd. dâr, wâr) als durch Zurückführung auf die Verkürzung (mhd. dar, war) oder auf die Richtungsadverbien (ahd. dara, wara) und durch Annahme einer erst mundartlichen Dchnung be- urteilt, kommen daher unten im nächsten Absatz zur Sprache. — End- lich in der unbetonten Silbe der Kürzung des Namens Nicolaus: niclos 1, 1; 2, 9; 6, 1; 7, 1; 9, 1; 10, 6. 8 (« niclas; aber 22, 12 Nickil!), also wohl nicht als Monophthongierung des an (vgl. unten Abs. 5) zu betrachten. 3. Als die bis auf die oben (§ 1, 1) angegebenen Ausnahmen regel- mäßig durchgeführte Entsprechung für mhd. a2 erscheint o in P. Von den vielen Belegen seien nur einige herausgegriffen: mole 1, 7; 14, 6; entphoe 8, 7; 15, 11; lossen 10, 9; 74, 6; strosse 17, 8; wore 19, 5; geton 2, 7; 9, 8; hot 2, 7 u. ö.; host 9, 8; dorume 3, 6f. u. ö; noch (= iuxta; post) 4, 3; 6, 6 u. ö; nochkummelinge 7, 5; Jormargte 5, 5; 9, 6; ior 9, 8; 30, 6; rotman 10, 1 u. ö; swoger 25, 4; rochunge (= vlcionis) 27, 9; grophen (= comites) 26, 5; aplos 3, 5; für kontra- hiertes â in nederslon («slagen) 28, 9; begnot (aus begnadet) 10, 6. — S: noch nach' 31, 10; 33, 19; 35, 15; 43, 13; rothman 32, 4; dornach 35, 17; doran 36, 17; dorvmb 41, 9; worvmme 44, 9; do selbist 36, 10; 43, 10; bobistlichn 39, 6 (neben lasen 33, 8; wapen 35, 17; war- haftiger ... sprache 43, 8; nachfolger 43, 17; rate 44, 10). — Sw: rot 46, 5. 8; lossen 48, 8; doruff 48, 9; hot 50, 4; dovon 50, 5; entphoen 49, 9; strofen 51, 7; irlosen 51, 10; mittil mose 46, 6. 4. Ebenso steht in weiter Ausdehnung o an Stelle von altem u. P: z. B. worde ich 1, 10; sonnebunde 5, 8, aber zunnebunde 29, 10 (s. § 5, 5); mogit 6, 8; togelich 7, 11; holfe (ahd. hulfa, andfr. hulpa, mnd. hulpe) 9, 6; 13, 9; notdorft 14, 6; dorfte 18, 12; schoczczen (= balistario) 22, 9; fromelich 15, 8; dem o in off 1, 6 u. ö., auch in ofschob 3, 9; 5, 7 liegt nicht u zugrunde, sondern die Verkürzung uf 1 Vgl. hierzu die parallele Schreibung in den lateinischen Stücken: solutis st. salutis 68, 16; 70, 16 La; solubriter st. salubriter 75, 16 La. Vgl. auch § 1, I Anm. I 2 Vgl. die parallele Schreibung in den lateinischen Stücken: amoris st. amaris 57, 24 La.; in effecto st. infecta 68, 11 La.; dubitato st. dubitata 52, 38 La.; quo st. qua 78, 5 La.; molorum st. emularum 84, 7f. La.; der Reim mobilem: amabilem 54, 10. 11. Vgl. auch § 1, 1 Anm. 1.
L. Grundzüge des deutschen Lautstandes 177 2. o für mhd. a, ein im Schlesischen vor Liquiden und vor Nasalen unter gewissen Umständen üblicher Lautwandel1 (s. Rückert S. 39, 2, dazu v. Unwerth S. 8f. § 1.2), ist in P einmal belegt in dem Namen wolpurgin 10, 11 (wo auch das vorangehende w gewirkt haben kann), während sonst das gemeinsprachliche walpurgn 16, 9 u. ö. gebraucht wird. Im übrigem könnte man noch die Zusammensetzungen mit den Orts- adverbien dar- und war- aus P und S heranziehen (dorvmme, dor vmb, worvmme, doran). Diese werden aber wohl richtiger durch Anknüpfung an die alte Länge (mhd. dâr, wâr) als durch Zurückführung auf die Verkürzung (mhd. dar, war) oder auf die Richtungsadverbien (ahd. dara, wara) und durch Annahme einer erst mundartlichen Dchnung be- urteilt, kommen daher unten im nächsten Absatz zur Sprache. — End- lich in der unbetonten Silbe der Kürzung des Namens Nicolaus: niclos 1, 1; 2, 9; 6, 1; 7, 1; 9, 1; 10, 6. 8 (« niclas; aber 22, 12 Nickil!), also wohl nicht als Monophthongierung des an (vgl. unten Abs. 5) zu betrachten. 3. Als die bis auf die oben (§ 1, 1) angegebenen Ausnahmen regel- mäßig durchgeführte Entsprechung für mhd. a2 erscheint o in P. Von den vielen Belegen seien nur einige herausgegriffen: mole 1, 7; 14, 6; entphoe 8, 7; 15, 11; lossen 10, 9; 74, 6; strosse 17, 8; wore 19, 5; geton 2, 7; 9, 8; hot 2, 7 u. ö.; host 9, 8; dorume 3, 6f. u. ö; noch (= iuxta; post) 4, 3; 6, 6 u. ö; nochkummelinge 7, 5; Jormargte 5, 5; 9, 6; ior 9, 8; 30, 6; rotman 10, 1 u. ö; swoger 25, 4; rochunge (= vlcionis) 27, 9; grophen (= comites) 26, 5; aplos 3, 5; für kontra- hiertes â in nederslon («slagen) 28, 9; begnot (aus begnadet) 10, 6. — S: noch nach' 31, 10; 33, 19; 35, 15; 43, 13; rothman 32, 4; dornach 35, 17; doran 36, 17; dorvmb 41, 9; worvmme 44, 9; do selbist 36, 10; 43, 10; bobistlichn 39, 6 (neben lasen 33, 8; wapen 35, 17; war- haftiger ... sprache 43, 8; nachfolger 43, 17; rate 44, 10). — Sw: rot 46, 5. 8; lossen 48, 8; doruff 48, 9; hot 50, 4; dovon 50, 5; entphoen 49, 9; strofen 51, 7; irlosen 51, 10; mittil mose 46, 6. 4. Ebenso steht in weiter Ausdehnung o an Stelle von altem u. P: z. B. worde ich 1, 10; sonnebunde 5, 8, aber zunnebunde 29, 10 (s. § 5, 5); mogit 6, 8; togelich 7, 11; holfe (ahd. hulfa, andfr. hulpa, mnd. hulpe) 9, 6; 13, 9; notdorft 14, 6; dorfte 18, 12; schoczczen (= balistario) 22, 9; fromelich 15, 8; dem o in off 1, 6 u. ö., auch in ofschob 3, 9; 5, 7 liegt nicht u zugrunde, sondern die Verkürzung uf 1 Vgl. hierzu die parallele Schreibung in den lateinischen Stücken: solutis st. salutis 68, 16; 70, 16 La; solubriter st. salubriter 75, 16 La. Vgl. auch § 1, I Anm. I 2 Vgl. die parallele Schreibung in den lateinischen Stücken: amoris st. amaris 57, 24 La.; in effecto st. infecta 68, 11 La.; dubitato st. dubitata 52, 38 La.; quo st. qua 78, 5 La.; molorum st. emularum 84, 7f. La.; der Reim mobilem: amabilem 54, 10. 11. Vgl. auch § 1, 1 Anm. 1.
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178 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. (in Sw vff, s. unten § 5, 1), worauf schon die Schreibung ff hindeutet (s. Rückert S. 42). In goldin 3, 8 (neben guldin 4, 3) kann Angleichung an das Substantiv mit im Spiel sein. — S: gebort Geburt' 31, 10; 32, 17; togunt 34, 18; worde wir 37, 14; ir moget 40, 15; 44, 11; bedorfte 42, 12. — Sw: togntlichn 48, 1; moge 49, 10. — Vertreter eines umgelauteten mhd. u (u) oder wenigstens in umlautfähiger Silbe erscheint o: P konig 11, 5 u. ö.; tochtigen 22, 1; S gebort (= decet) 33, 14; forsten 35, 1 (neben furste 35, 6); konig 35, 2; Sw czoch- tigen 47, 1. 5. In gewissem Umfang erscheint, aber nur in P, o für mhd. ou (öu): globe (= confido) 1, 9; kosczaczcze 9, 5. 8; kofmanschaczcze 17, 7; och 13, 5; 73, 5; irlobn 13, 8; 14, 5 (in unserem Text ist daher die Ergänzung irlaubit 24, 8f. xu berichtigen und dafür ein- zusetzen irlobit); geglobit 18, 8; lofin, loffen 20, 8; 28, 5; rober 27, 8; breslo 5, 5 u. ö.; dagegen dürfte niclos 1, 1 u. ö. eher auf die Kurzform niclas zurückgehen (s. oben Absatz 3). Vgl. Rückert S. 43 (6); —v. Unwerth § 33 S. 29f. 6. Weit verbreitet endlich ist o für mhd. e in der Vorsilbe ver-, z. B. in P: vorscreybin 1, 9; vorbundin 2, 6; vorheysen 2, 7f.; vorsegelt 11, 6; vornomen 12, 6; vorbrant vnd vorturbin 13, 5; vordinen 15, 12; vorgangen 18, 7; vorsuchn 21, 9; unvordrussen 24, 3; vordinte 27, 5. — S: vordynen 31, 8 u. ö.; vorlyen 34, 15; vnvordrossen 38, 16; vor- wechseln 40, 10; vornomen 43, 8. — Sw: vorschrebn 46, 10. Ein bekanntes Merkmal mitteldeutscher Mundart, das auch dem Mittelnieder- deutschen eignet und ins Bayrische hineinreicht. Für das Schlesische vgl. Rückert S. 42. § 5. u. 1. u entspricht mhd. u und dessen Umlaut ü, seltener û und dessen Umlaut iu. a) Beispiele für u = u zahlreich. P: u. a. vnd 1, 2 u. ö.; du (mhd. du) 1, 5 u. ö.; vns = vnsir oft; vnder oft; suntage 1, 12; zunnebunde 29, 10 (neben sonnebunde 5, 8; s. diesen Paragraphen Absatz 5); vor- bundin 2, 6; gebunden 17, 9; durch 2, 7 u. ö.; sund'lichen 3, 1 u. ö.; hundirt 3, 8; schuldig 18, 8; dorvmme 23, 5 u. ö.; besserunge 2, 6; menunge 11, 8; begerunge 4, 3; im Namen czur. Newenburg (Datum!) neben zcu neuenburg (Unterschrift!) 2, 8. 9 (lateinischer Text: Neuen- borg, Nevenborg). In mhd. umgelauteten oder umlautfähigen Silben (mhd. ü): gunner 1, 2 u. ö., aber guner 28, 6; burgir 3, 1 u. ö. (auch meteburger 15, 11); tuchtigen fursten 26, 4 f.; czurucke 29, 8. — S: vns 31, 4 u. ö.; kummit 31, 6; drucken 31, 10; sundirlichn 32, 3; hulfe (ahd. hulfa, anfrk. hulpa, mnd. hulpe) 33, 7; durch 42, 8 u. ö.; anwy- sunge 33, 15; begerunge 35, 5; für mhd. ü: mitburg' 31, 3; mit fruchten Früchten' 33, 16; 40, 12; furste 35, 6 (aber forsten 35, 1). —
178 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. (in Sw vff, s. unten § 5, 1), worauf schon die Schreibung ff hindeutet (s. Rückert S. 42). In goldin 3, 8 (neben guldin 4, 3) kann Angleichung an das Substantiv mit im Spiel sein. — S: gebort Geburt' 31, 10; 32, 17; togunt 34, 18; worde wir 37, 14; ir moget 40, 15; 44, 11; bedorfte 42, 12. — Sw: togntlichn 48, 1; moge 49, 10. — Vertreter eines umgelauteten mhd. u (u) oder wenigstens in umlautfähiger Silbe erscheint o: P konig 11, 5 u. ö.; tochtigen 22, 1; S gebort (= decet) 33, 14; forsten 35, 1 (neben furste 35, 6); konig 35, 2; Sw czoch- tigen 47, 1. 5. In gewissem Umfang erscheint, aber nur in P, o für mhd. ou (öu): globe (= confido) 1, 9; kosczaczcze 9, 5. 8; kofmanschaczcze 17, 7; och 13, 5; 73, 5; irlobn 13, 8; 14, 5 (in unserem Text ist daher die Ergänzung irlaubit 24, 8f. xu berichtigen und dafür ein- zusetzen irlobit); geglobit 18, 8; lofin, loffen 20, 8; 28, 5; rober 27, 8; breslo 5, 5 u. ö.; dagegen dürfte niclos 1, 1 u. ö. eher auf die Kurzform niclas zurückgehen (s. oben Absatz 3). Vgl. Rückert S. 43 (6); —v. Unwerth § 33 S. 29f. 6. Weit verbreitet endlich ist o für mhd. e in der Vorsilbe ver-, z. B. in P: vorscreybin 1, 9; vorbundin 2, 6; vorheysen 2, 7f.; vorsegelt 11, 6; vornomen 12, 6; vorbrant vnd vorturbin 13, 5; vordinen 15, 12; vorgangen 18, 7; vorsuchn 21, 9; unvordrussen 24, 3; vordinte 27, 5. — S: vordynen 31, 8 u. ö.; vorlyen 34, 15; vnvordrossen 38, 16; vor- wechseln 40, 10; vornomen 43, 8. — Sw: vorschrebn 46, 10. Ein bekanntes Merkmal mitteldeutscher Mundart, das auch dem Mittelnieder- deutschen eignet und ins Bayrische hineinreicht. Für das Schlesische vgl. Rückert S. 42. § 5. u. 1. u entspricht mhd. u und dessen Umlaut ü, seltener û und dessen Umlaut iu. a) Beispiele für u = u zahlreich. P: u. a. vnd 1, 2 u. ö.; du (mhd. du) 1, 5 u. ö.; vns = vnsir oft; vnder oft; suntage 1, 12; zunnebunde 29, 10 (neben sonnebunde 5, 8; s. diesen Paragraphen Absatz 5); vor- bundin 2, 6; gebunden 17, 9; durch 2, 7 u. ö.; sund'lichen 3, 1 u. ö.; hundirt 3, 8; schuldig 18, 8; dorvmme 23, 5 u. ö.; besserunge 2, 6; menunge 11, 8; begerunge 4, 3; im Namen czur. Newenburg (Datum!) neben zcu neuenburg (Unterschrift!) 2, 8. 9 (lateinischer Text: Neuen- borg, Nevenborg). In mhd. umgelauteten oder umlautfähigen Silben (mhd. ü): gunner 1, 2 u. ö., aber guner 28, 6; burgir 3, 1 u. ö. (auch meteburger 15, 11); tuchtigen fursten 26, 4 f.; czurucke 29, 8. — S: vns 31, 4 u. ö.; kummit 31, 6; drucken 31, 10; sundirlichn 32, 3; hulfe (ahd. hulfa, anfrk. hulpa, mnd. hulpe) 33, 7; durch 42, 8 u. ö.; anwy- sunge 33, 15; begerunge 35, 5; für mhd. ü: mitburg' 31, 3; mit fruchten Früchten' 33, 16; 40, 12; furste 35, 6 (aber forsten 35, 1). —
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L. Grundzüge des deutschen Lautstandes. 179 Sw: hulffe 45, 10; suntag 47, 5; iuncfrawen 51, 5; czerunge 46, 6; in umlautfähiger Silbe: gunner 45, 2. — Vgl. v. Unwerth S. 17f. § 18. 19. b) u = mhd. u ist in P nur einmal belegt: huse 28, 8; sonst ist altes û in dieser Hs. stets diphthongiert. — S hingegen wahrt wie i so auch û: tusent 31, 10; luterlich 33, 10; 34, 9; lut’ me 34, 3; luter 38, 6 u. ö.; gelutbart 37, 16; vſ 38, 9; budissem 40, 2 u. ö.; uf 43, 12. — Sw endlich diphthongiert i und ů wie P, nur in vff 45, 7 und doruff 48, 9; 50, 10 ist infolge Kürxung des û die Diphthon- gierung unterblieben. Vgl. v. Unwerth S. 26 § 31. 2. u an Stelle von altem uo (üe), das durchweg nach mitteldeutscher Lautgestaltung und Schreibtradition als Monophthong auftritt. P: x. B. czu 1, 1 u. ö; grus 1, 3 u. ö.; clugen 3, 1 u. ö.; tuchir 5, 4; furmanne 5, 6; geruchet 5, 7 u. ö.; ruchit 7, 10; gut 6, 5 u. ö.; brudir 9, 10; muter 15, 6; thun wir 30, 4; furen 5, 6; gefurt 27, 7; vbin 26, 9. — S: gutn 32, 6. 8; muter 32, 7; gutlich 32, 13; 34, 14; stules 33, 2; muthe 33, 10; 34, 12; rufen 38, 11; thun wir 37, 11; 40, 8; guter bucher 41, 7f. — Sw: guten 45, 3; gutlich 45, 11; grus 46, 3 u. ö.; ich suche 46, 5; fuder 50, 5. Vgl. Rückert S. 45 (3); v. Unwerth S. 32 § 42. 3. u als Ersatz von altem iu. In P finden sich: fruntlichen 1, 3 u. ö.; fruntschaft 4, 2 u. ö.; frunt 5, 3 u. ö.; im übrigen aber hat P gemäß seiner Tendenx xum Diph- thongieren auch hier den nhd. Diphthong eu cingeführt (s. § 9, 1). — In S hingegen erscheint u, nicht eu als ständiger Vertrcter von altem in: uch 32, 3 u. ö.; luthn 32, 4; uw'n 32, 14 u. ö.; durchluchtigesten 35, 1 u. ö.; fruntschaft 36, 6 u. ö.; frunt 40, 7 u. ö.; getruwer 38, 6; 43, 17; nuwelich 41, 10; geczuge 42, 12; suchen Seuche'; lute 43, 8. — In Sw begegnet z. T. u, x. T. eu für altes iu. Vgl. frunschaft 45, 12; fruntlichn 46, 3 u. ö.; frundynne 48, 3; allirirluchtigsten 49, 2; getruwen 50, 4 gegen euch 45, 12 u. ö; ewir 45, 9 u. ö. — Rückert S. 45 f.; v. Unwerth S. 27 § 33. 4. In gewissem Umfang tritt u für mhd. o und ô1 in P und Sw auf, nicht in S. P: dunnirstage 2, 8 (neben donnirstage 11, 10; 19, 10); volkumme- lich 4, 5f.; 6, 9; sulde 18, 8; vnuordrussen 24, 3 (aber in S: vnuor- drossen 38, 16); gesturbin 24, 5. — u für ô (bzw. oe) nur einmal: 1 Vgl. auch hier wieder die parallelen Schreibungen im lateinischen Text: recurdacionis 7, 7; precunamine st. preconamine 54, 1; cuntagiis 69, 9; crea- turis 53, 13 La.; implurare 68, 13 La.; wie umgekehrt o für u eingetreten ist in fongitur 68, 19 La.; gorgii (= jurgii) 71, 6 La.; cor (= cur) 71, 7 La.; onoste 73, 6 La; solphureis 73, 17; parator 77, 13 La.; foriosa Bl. 125" (un- gedruckt).
L. Grundzüge des deutschen Lautstandes. 179 Sw: hulffe 45, 10; suntag 47, 5; iuncfrawen 51, 5; czerunge 46, 6; in umlautfähiger Silbe: gunner 45, 2. — Vgl. v. Unwerth S. 17f. § 18. 19. b) u = mhd. u ist in P nur einmal belegt: huse 28, 8; sonst ist altes û in dieser Hs. stets diphthongiert. — S hingegen wahrt wie i so auch û: tusent 31, 10; luterlich 33, 10; 34, 9; lut’ me 34, 3; luter 38, 6 u. ö.; gelutbart 37, 16; vſ 38, 9; budissem 40, 2 u. ö.; uf 43, 12. — Sw endlich diphthongiert i und ů wie P, nur in vff 45, 7 und doruff 48, 9; 50, 10 ist infolge Kürxung des û die Diphthon- gierung unterblieben. Vgl. v. Unwerth S. 26 § 31. 2. u an Stelle von altem uo (üe), das durchweg nach mitteldeutscher Lautgestaltung und Schreibtradition als Monophthong auftritt. P: x. B. czu 1, 1 u. ö; grus 1, 3 u. ö.; clugen 3, 1 u. ö.; tuchir 5, 4; furmanne 5, 6; geruchet 5, 7 u. ö.; ruchit 7, 10; gut 6, 5 u. ö.; brudir 9, 10; muter 15, 6; thun wir 30, 4; furen 5, 6; gefurt 27, 7; vbin 26, 9. — S: gutn 32, 6. 8; muter 32, 7; gutlich 32, 13; 34, 14; stules 33, 2; muthe 33, 10; 34, 12; rufen 38, 11; thun wir 37, 11; 40, 8; guter bucher 41, 7f. — Sw: guten 45, 3; gutlich 45, 11; grus 46, 3 u. ö.; ich suche 46, 5; fuder 50, 5. Vgl. Rückert S. 45 (3); v. Unwerth S. 32 § 42. 3. u als Ersatz von altem iu. In P finden sich: fruntlichen 1, 3 u. ö.; fruntschaft 4, 2 u. ö.; frunt 5, 3 u. ö.; im übrigen aber hat P gemäß seiner Tendenx xum Diph- thongieren auch hier den nhd. Diphthong eu cingeführt (s. § 9, 1). — In S hingegen erscheint u, nicht eu als ständiger Vertrcter von altem in: uch 32, 3 u. ö.; luthn 32, 4; uw'n 32, 14 u. ö.; durchluchtigesten 35, 1 u. ö.; fruntschaft 36, 6 u. ö.; frunt 40, 7 u. ö.; getruwer 38, 6; 43, 17; nuwelich 41, 10; geczuge 42, 12; suchen Seuche'; lute 43, 8. — In Sw begegnet z. T. u, x. T. eu für altes iu. Vgl. frunschaft 45, 12; fruntlichn 46, 3 u. ö.; frundynne 48, 3; allirirluchtigsten 49, 2; getruwen 50, 4 gegen euch 45, 12 u. ö; ewir 45, 9 u. ö. — Rückert S. 45 f.; v. Unwerth S. 27 § 33. 4. In gewissem Umfang tritt u für mhd. o und ô1 in P und Sw auf, nicht in S. P: dunnirstage 2, 8 (neben donnirstage 11, 10; 19, 10); volkumme- lich 4, 5f.; 6, 9; sulde 18, 8; vnuordrussen 24, 3 (aber in S: vnuor- drossen 38, 16); gesturbin 24, 5. — u für ô (bzw. oe) nur einmal: 1 Vgl. auch hier wieder die parallelen Schreibungen im lateinischen Text: recurdacionis 7, 7; precunamine st. preconamine 54, 1; cuntagiis 69, 9; crea- turis 53, 13 La.; implurare 68, 13 La.; wie umgekehrt o für u eingetreten ist in fongitur 68, 19 La.; gorgii (= jurgii) 71, 6 La.; cor (= cur) 71, 7 La.; onoste 73, 6 La; solphureis 73, 17; parator 77, 13 La.; foriosa Bl. 125" (un- gedruckt).
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180 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. grussrern 22, 9. — Sw: hochgeburne 45, 4. 7f. (neben hochgeborne 45, 1; 49, 1). 5. Außerdem ist bemerkenswert: nebentoniges und schwachtoniges u. a) P: die Schreibung sonnebunde 5, 8; 13, 10; zunnebunde 29, 10 scheint eine vollkommene Umlagerung der Akxente dieses Kompositums zu zeigen, so daß an Stelle des Zusammenstoßens von Hauptton und starkem Nebenton, dem dann noch als dritter Akzent ein schwächerer Nebenton auf der vorletzten Silbe folgen sollte, die bequemere Beschränkung auf nur zwei Starktöne und der in der Sprachentwicklung so oft erstrebte regelmäßige Wechsel von betonter und unbetonter Silbe eingetreten wäre. Gerade dieses Beispiel ist von Rückert, der S. 47f. (9) verwandte Fälle behandelt, und auch in den beigegebenen Nachträgen von Pietsch nicht erwähnt (auch nicht von Weinhold, Mhd. Gr.2 §. 84). Es entspricht aber einem in schlesischen Urkunden des 14. und 15. Jahrhunderts häufigen Gebrauch. Liegt ihm wirklich eine Aussprache zugrunde mit Tonver- setxung und Verdunklung des zweiten Kompositionsteils? b) Weniger auffallend ist dieses u mhd. e in Ableitungssilben. S: uwer Ewerdegn togund (= graciosam ac uirtuosam reuerenciam). Denn in Suffixen vor n ist dieses u nicht bloß schlesisch, sondern weit verbreitete mitteldeutsche Schreibung (s. Weinhold, Mhd. Gr.2 § 84 S. 79f.). Auf gleicher Stufe steht das P und S und Sw gemeinsame itzund: Piczczung 7,7 (mit ng «nd, worüber unten § 14, 5f., S. 188); S iczczunt 38, 10; 43, 11; Sw iczund 45, 7. Behaghel, Geschichte der deutschen Sprache4 S. 89 Mitte, S. 128 § 120 will darin eine falsche Verhochdeut- schung eines zugrunde liegenden icze (mhd. ieze) erkennen, dessen En- dungs-e man irrtümlich für ein abgeschwächtes e (nach Analogie von Käsebrot « Käs' und Brot) gehalten und falsch restituiert hat. Aber die Schreibung iczczung in P xeigt, daß man die fragliche Silbe ohne besondern Nachdruck sprach. Wie auch der Ursprung des nd in diesem Wort zu erklären sei, der Ubergang eines e zu u in dieser Stellung ist nicht auffallend. c) Verwandt ist der Lautwert des u in dem Personennamen hannus (= Iohannis im lateinischen Text) 1, 13; 2, 1; 26, 1, wo aber auch Einwirkung des éechischen Hannus, das in gleichzeitigen lateinischen Urkunden als Hannus oder Hanus erscheint, im Spiel sein könnte. Es erscheint als Hannos auch in schlesischen deutschen Urkunden oft, x. B. Breslauer Fürstentumsurkunde 1376 (Cod. dipl. Sil. IV 32), Reichen- bacher Urkunde 1399 aus der Schweidnitzer fürstlichen Kanzlei, ge- schrieben vom Schweidnitzer Pfarrer Johannes Kolmas (Cod. dipl. Sil. VIII 108). d) In der Stammsilbe eines proklitischen Wortes zeigt sich dieses irrationale u einmal: P czuschin 'zwischen' 10, 12 (neben czwissen 29, 5; 30, 7). Hier ist es wohl unter dem Einfluß des sich vokalisierenden w entstanden (vgl. unser Zuber aus vorauszusetzendem zwi-bar) und nicht
180 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. grussrern 22, 9. — Sw: hochgeburne 45, 4. 7f. (neben hochgeborne 45, 1; 49, 1). 5. Außerdem ist bemerkenswert: nebentoniges und schwachtoniges u. a) P: die Schreibung sonnebunde 5, 8; 13, 10; zunnebunde 29, 10 scheint eine vollkommene Umlagerung der Akxente dieses Kompositums zu zeigen, so daß an Stelle des Zusammenstoßens von Hauptton und starkem Nebenton, dem dann noch als dritter Akzent ein schwächerer Nebenton auf der vorletzten Silbe folgen sollte, die bequemere Beschränkung auf nur zwei Starktöne und der in der Sprachentwicklung so oft erstrebte regelmäßige Wechsel von betonter und unbetonter Silbe eingetreten wäre. Gerade dieses Beispiel ist von Rückert, der S. 47f. (9) verwandte Fälle behandelt, und auch in den beigegebenen Nachträgen von Pietsch nicht erwähnt (auch nicht von Weinhold, Mhd. Gr.2 §. 84). Es entspricht aber einem in schlesischen Urkunden des 14. und 15. Jahrhunderts häufigen Gebrauch. Liegt ihm wirklich eine Aussprache zugrunde mit Tonver- setxung und Verdunklung des zweiten Kompositionsteils? b) Weniger auffallend ist dieses u mhd. e in Ableitungssilben. S: uwer Ewerdegn togund (= graciosam ac uirtuosam reuerenciam). Denn in Suffixen vor n ist dieses u nicht bloß schlesisch, sondern weit verbreitete mitteldeutsche Schreibung (s. Weinhold, Mhd. Gr.2 § 84 S. 79f.). Auf gleicher Stufe steht das P und S und Sw gemeinsame itzund: Piczczung 7,7 (mit ng «nd, worüber unten § 14, 5f., S. 188); S iczczunt 38, 10; 43, 11; Sw iczund 45, 7. Behaghel, Geschichte der deutschen Sprache4 S. 89 Mitte, S. 128 § 120 will darin eine falsche Verhochdeut- schung eines zugrunde liegenden icze (mhd. ieze) erkennen, dessen En- dungs-e man irrtümlich für ein abgeschwächtes e (nach Analogie von Käsebrot « Käs' und Brot) gehalten und falsch restituiert hat. Aber die Schreibung iczczung in P xeigt, daß man die fragliche Silbe ohne besondern Nachdruck sprach. Wie auch der Ursprung des nd in diesem Wort zu erklären sei, der Ubergang eines e zu u in dieser Stellung ist nicht auffallend. c) Verwandt ist der Lautwert des u in dem Personennamen hannus (= Iohannis im lateinischen Text) 1, 13; 2, 1; 26, 1, wo aber auch Einwirkung des éechischen Hannus, das in gleichzeitigen lateinischen Urkunden als Hannus oder Hanus erscheint, im Spiel sein könnte. Es erscheint als Hannos auch in schlesischen deutschen Urkunden oft, x. B. Breslauer Fürstentumsurkunde 1376 (Cod. dipl. Sil. IV 32), Reichen- bacher Urkunde 1399 aus der Schweidnitzer fürstlichen Kanzlei, ge- schrieben vom Schweidnitzer Pfarrer Johannes Kolmas (Cod. dipl. Sil. VIII 108). d) In der Stammsilbe eines proklitischen Wortes zeigt sich dieses irrationale u einmal: P czuschin 'zwischen' 10, 12 (neben czwissen 29, 5; 30, 7). Hier ist es wohl unter dem Einfluß des sich vokalisierenden w entstanden (vgl. unser Zuber aus vorauszusetzendem zwi-bar) und nicht
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I. Grundzüge des deutschen Lautstandes. 181 bloß schlesisch (häufiger allerdings in der Lautgestaltung zwuschen), sondern mitteldeutsch und niederdeutsch (tuschen, tussen neben twischen, twuschen), s. Weinhold, Mhd. Gr. § 55 S. 55; § 57; § 305 S. 335. b. Die Diphthonge. § 6. ai. ai (ay), das auf verschiedene mhd. Laute (ei, i, Kontraktions-ai) xu- rückgeht, kommt in unseren Denkmälern nicht vor, weil dieser Diphthong durchweg als ei (ey) geschrieben ist. Nur einmal findet sich ai in dem Fremdwort maiestat 17, 14, aber hier mit dem Lautwert a + j. § 7. au (aw). Die doppelte Schreibung au und aw ist ohne Unterschied im Ge- brauch, indem das w rein vokalisch gelesen werden und nicht etwa altes auw bezeichnen soll. 1. au (aw) geht zurück auf mhd. u, jedoch nur in P und Sw, während S den alten Monophthong wahrt. In P finden sich folgende Belege : getrawe (= confido) 1, 9 ( mhd. getrûwe) ; laut’ 8, 5; lauthe 10, 5. 13; bawholcz 13, 8; aus 14, 5; haws, haus(e) 17, 9. 12; 19, 7. In Sw: lawt’ 45, 5; hausse 45, 7; 50, 5; durchlauchtekeit 45, 9 (von dem mit Rückumlaut gebildeten mhd. Partixip gelûht, durchlûht abge- leitet, vgl. Paul, Mhd. Gr. § 40 A. 4; § 169 A. 3; Deutsche Gr. II, 179 S. 252). Vgl. Rückert S. 88f. (1); v. Unwerth S. 26 § 31. 2. au (aw) mhd. ou (oder ön) in folgenden Fällen: P: wenczlaw 17, 12; frauwn Frauen’ 26, 10; frawn freuen’ (mhd. vrouwen und vröuwen) 28, 6, vgl. unten § 13. — S: Niclause 34, 1; glauben 37, 13. — Sw: frawn 45, 8; 48, 2. 5; 49, 2. 5; iuncfrawen 47, 1; 51, 5. Uber den Ersatz des mhd. ou durch o s. oben § 4, 5; über die Schreibung ou s. § 11. Vgl. Rückert S. 89 ff. (2); v. Unwerth § 38. 39 S. 29f. 3. aw « mhd. in in folgenden Belegen: P getrawen (= fideli) 1, 1; trawe (= fidelitatis) 1, 7; getrauen (= fideli) 2, 1. — Uber das in Sw stehende durchlauchtekeit 45, 9 s. den vorigen Absatz. — Vgl. Rückert S. 91; v. Unwerth S. 27f. § 33. 34. § 8. ei (ey). Die doppelte Schreibung ei und ey ist rein graphischer Natur, ohne lautliche Bedeutung. 1. ei (ey) entspricht mhd. ei. Beispiele in allen drei Hss. zahlreich. P: vorheysen 2, 8; gereyte(m) 3, 8; 6, 9; czeychen 7, 11; heyligen 10, 15; geleitet 12, 5; meistn 13, 4; bereiten 16, 12; meynunge (sonst menunge, s. §.2, 4) 22, 7; beyden teilen 25, 9; eyde 30, 8; leyt 14, 4; burg'meist’ 10, 1 u. ö.;
I. Grundzüge des deutschen Lautstandes. 181 bloß schlesisch (häufiger allerdings in der Lautgestaltung zwuschen), sondern mitteldeutsch und niederdeutsch (tuschen, tussen neben twischen, twuschen), s. Weinhold, Mhd. Gr. § 55 S. 55; § 57; § 305 S. 335. b. Die Diphthonge. § 6. ai. ai (ay), das auf verschiedene mhd. Laute (ei, i, Kontraktions-ai) xu- rückgeht, kommt in unseren Denkmälern nicht vor, weil dieser Diphthong durchweg als ei (ey) geschrieben ist. Nur einmal findet sich ai in dem Fremdwort maiestat 17, 14, aber hier mit dem Lautwert a + j. § 7. au (aw). Die doppelte Schreibung au und aw ist ohne Unterschied im Ge- brauch, indem das w rein vokalisch gelesen werden und nicht etwa altes auw bezeichnen soll. 1. au (aw) geht zurück auf mhd. u, jedoch nur in P und Sw, während S den alten Monophthong wahrt. In P finden sich folgende Belege : getrawe (= confido) 1, 9 ( mhd. getrûwe) ; laut’ 8, 5; lauthe 10, 5. 13; bawholcz 13, 8; aus 14, 5; haws, haus(e) 17, 9. 12; 19, 7. In Sw: lawt’ 45, 5; hausse 45, 7; 50, 5; durchlauchtekeit 45, 9 (von dem mit Rückumlaut gebildeten mhd. Partixip gelûht, durchlûht abge- leitet, vgl. Paul, Mhd. Gr. § 40 A. 4; § 169 A. 3; Deutsche Gr. II, 179 S. 252). Vgl. Rückert S. 88f. (1); v. Unwerth S. 26 § 31. 2. au (aw) mhd. ou (oder ön) in folgenden Fällen: P: wenczlaw 17, 12; frauwn Frauen’ 26, 10; frawn freuen’ (mhd. vrouwen und vröuwen) 28, 6, vgl. unten § 13. — S: Niclause 34, 1; glauben 37, 13. — Sw: frawn 45, 8; 48, 2. 5; 49, 2. 5; iuncfrawen 47, 1; 51, 5. Uber den Ersatz des mhd. ou durch o s. oben § 4, 5; über die Schreibung ou s. § 11. Vgl. Rückert S. 89 ff. (2); v. Unwerth § 38. 39 S. 29f. 3. aw « mhd. in in folgenden Belegen: P getrawen (= fideli) 1, 1; trawe (= fidelitatis) 1, 7; getrauen (= fideli) 2, 1. — Uber das in Sw stehende durchlauchtekeit 45, 9 s. den vorigen Absatz. — Vgl. Rückert S. 91; v. Unwerth S. 27f. § 33. 34. § 8. ei (ey). Die doppelte Schreibung ei und ey ist rein graphischer Natur, ohne lautliche Bedeutung. 1. ei (ey) entspricht mhd. ei. Beispiele in allen drei Hss. zahlreich. P: vorheysen 2, 8; gereyte(m) 3, 8; 6, 9; czeychen 7, 11; heyligen 10, 15; geleitet 12, 5; meistn 13, 4; bereiten 16, 12; meynunge (sonst menunge, s. §.2, 4) 22, 7; beyden teilen 25, 9; eyde 30, 8; leyt 14, 4; burg'meist’ 10, 1 u. ö.;
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182 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. alleyn 13, 5; manchirley 28, 4; stetekeyt 12, 3; erbirkeyt 16, 8; erbir- heyt 18, 9; behegelichkeyt 16, 11 u. ö.; irsamkeyt 17, 6; bosheyt 17, 15; bereytikeit 25, 2; eynekeyt 29, 5. 6; 30, 5. 6. Uber das einmalige stetekyt s. § 3, 4. — S: eyme 31, 7 u. ö.; derczeigen 32, 12; 42, 15; 43, 20; bereyten 33, 4; eygen 35, 9; meynunge 37, 12; burg’meist" 31, 1 u. ö.; gemeynschaft 32, 13; heylgn geystes 34, 6; alleyn 35, 19 u. ö.; sicherheit 31, 9. 15; achtbarkeit 33, 14; gnedikeyten 35, 20, hochgebornkeyt 37, 19f. ; eintrechtikeyt 40, 12. — Sw: reyne 45, 5; ich meyne 46, 8; bleychen (über blecherynne s. § 2, 4) 48, 9; heil 45, 3; 49, 4; 50, 2; edilkeyt 45, 5. 6; 51, 7. — Vgl. Rückert S. 94f.; v. Unwerth § 35. 36 S. 28 f. 2. ef (ey) = mhd. i, so durchgehend in P und Sw. P: deyne 1, 7 u. ö; meynes 1, 11 u. ö.; vorscreybin 1, 9f.; fleysichlich 3, 7 u. ö.; freytage 4, 6; 25, 7; bleybin 10, 14; weisn 10, 1 u. ö.; gleicher weis 12, 4; vnd’weisin 18, 11; veicz 22, 11; 23, 7; czeyt 15, 7; hochczeyt 6, 6. — Beachtenswert das Lehnwort peyn (= pena) 30, 6 « mhd. pîn. — Sw: fleysse 45, 9 u. ö.; meynem 46, 2; deynen 47, 6; freyheyt 50, 6. 9; vndirweysen 50, 8; 51, 8; leynwant 48, 7. 8; czeyt 50, 5; 51, 3. — S hingegen wahrt durchweg den alten Monophthong i mit Ausnahme von weysn 32, 4 und thummereye 43, 12. 17. Vgl. § 3, 1. — Rückert S. 95ff., v. Unwerth § 10—12 S. 12—14. 3. ei (ey) = mhd. -ege-. Dies Kontraktions-ei begegnet nur einige- mal in S: kein (= contra) 33, 17 (neben kegen 34, 18); keynwerti- keyt 35, 16; keynwertigen 35, 19 u. ö. — Vgl. Rückert S. 28. 99. 159f. — Uber das k für mhd. g s. unten § 17, 2. 4. el (ey) = mhd. i in der Pronominalform eir (ihr'), so durch- weg in P (z. B. 3, 7; 5, 4. 5; 7, 5. 8 u. ö.), nicht in S und Sw. Vgl. über diese dialektische Eigentümlichkeit das in der Einleitung (oben S. 52f.) Gesagte. 5. Vereinzelt in Flexionssilben: irleuchtirsteyn P 26, 4. 8. Hier beruht es wohl auf emphatischer Betonung und gibt einen gedehnten Vokal mit vokalischem Nachschlag. Vgl. die fruchtbare grundsätzliche Erörte- rung bei Behaghel, Gesch. d. deutsch. Sprache4 S. 128f. § 123. 124. § 9. eu (ew). 1. eu, auch in der Schreibung ew, vertritt mhd. in in folgenden Fällen: P leuten 1, 5; furleuten 6, 8; leuthe 10, 7; 19, 7; neuenburg 2, 8. 9; euch 3, 7 u. ö.; ewir 4, 3 u. ö.; Leutold 27, 12; allirdurch- leutirst’ 22, 3; 26, 8; irleuchtirsteyn 26, 4. — Sw: ewir 45, 9 u. ö.; ewirn 46, 5 u. ö.; ewirm 46, 8; euch 45, 12 u. ö.; lewte 50, 3. — Man beachte, daß auch hier wieder S keine Belege der Diphthongierung aufweist (s. oben § 5, 3). — Vgl. Rückert S. 103f. (1); v. Unwerth S. 27f.
182 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. alleyn 13, 5; manchirley 28, 4; stetekeyt 12, 3; erbirkeyt 16, 8; erbir- heyt 18, 9; behegelichkeyt 16, 11 u. ö.; irsamkeyt 17, 6; bosheyt 17, 15; bereytikeit 25, 2; eynekeyt 29, 5. 6; 30, 5. 6. Uber das einmalige stetekyt s. § 3, 4. — S: eyme 31, 7 u. ö.; derczeigen 32, 12; 42, 15; 43, 20; bereyten 33, 4; eygen 35, 9; meynunge 37, 12; burg’meist" 31, 1 u. ö.; gemeynschaft 32, 13; heylgn geystes 34, 6; alleyn 35, 19 u. ö.; sicherheit 31, 9. 15; achtbarkeit 33, 14; gnedikeyten 35, 20, hochgebornkeyt 37, 19f. ; eintrechtikeyt 40, 12. — Sw: reyne 45, 5; ich meyne 46, 8; bleychen (über blecherynne s. § 2, 4) 48, 9; heil 45, 3; 49, 4; 50, 2; edilkeyt 45, 5. 6; 51, 7. — Vgl. Rückert S. 94f.; v. Unwerth § 35. 36 S. 28 f. 2. ef (ey) = mhd. i, so durchgehend in P und Sw. P: deyne 1, 7 u. ö; meynes 1, 11 u. ö.; vorscreybin 1, 9f.; fleysichlich 3, 7 u. ö.; freytage 4, 6; 25, 7; bleybin 10, 14; weisn 10, 1 u. ö.; gleicher weis 12, 4; vnd’weisin 18, 11; veicz 22, 11; 23, 7; czeyt 15, 7; hochczeyt 6, 6. — Beachtenswert das Lehnwort peyn (= pena) 30, 6 « mhd. pîn. — Sw: fleysse 45, 9 u. ö.; meynem 46, 2; deynen 47, 6; freyheyt 50, 6. 9; vndirweysen 50, 8; 51, 8; leynwant 48, 7. 8; czeyt 50, 5; 51, 3. — S hingegen wahrt durchweg den alten Monophthong i mit Ausnahme von weysn 32, 4 und thummereye 43, 12. 17. Vgl. § 3, 1. — Rückert S. 95ff., v. Unwerth § 10—12 S. 12—14. 3. ei (ey) = mhd. -ege-. Dies Kontraktions-ei begegnet nur einige- mal in S: kein (= contra) 33, 17 (neben kegen 34, 18); keynwerti- keyt 35, 16; keynwertigen 35, 19 u. ö. — Vgl. Rückert S. 28. 99. 159f. — Uber das k für mhd. g s. unten § 17, 2. 4. el (ey) = mhd. i in der Pronominalform eir (ihr'), so durch- weg in P (z. B. 3, 7; 5, 4. 5; 7, 5. 8 u. ö.), nicht in S und Sw. Vgl. über diese dialektische Eigentümlichkeit das in der Einleitung (oben S. 52f.) Gesagte. 5. Vereinzelt in Flexionssilben: irleuchtirsteyn P 26, 4. 8. Hier beruht es wohl auf emphatischer Betonung und gibt einen gedehnten Vokal mit vokalischem Nachschlag. Vgl. die fruchtbare grundsätzliche Erörte- rung bei Behaghel, Gesch. d. deutsch. Sprache4 S. 128f. § 123. 124. § 9. eu (ew). 1. eu, auch in der Schreibung ew, vertritt mhd. in in folgenden Fällen: P leuten 1, 5; furleuten 6, 8; leuthe 10, 7; 19, 7; neuenburg 2, 8. 9; euch 3, 7 u. ö.; ewir 4, 3 u. ö.; Leutold 27, 12; allirdurch- leutirst’ 22, 3; 26, 8; irleuchtirsteyn 26, 4. — Sw: ewir 45, 9 u. ö.; ewirn 46, 5 u. ö.; ewirm 46, 8; euch 45, 12 u. ö.; lewte 50, 3. — Man beachte, daß auch hier wieder S keine Belege der Diphthongierung aufweist (s. oben § 5, 3). — Vgl. Rückert S. 103f. (1); v. Unwerth S. 27f.
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I. Grundzüge des deutschen Lautstandes. 183 2. eu (ew) für mhd. ou in folgenden Beispielen: P tewfers 1, 7 u. ö.; leuftn (= modis) 16, 11; freudin 27, 7; 28, 8. — Sw frewden 47, 7; — In S kein Beleg. — Vgl. Rückert S. 105 (2); v. Unwerth S. 30ff. § 40. 41. 3. en (ew) für mhd. û, das diphthongiert und umgelautet ist, in folgenden Belegen der Hs. P: sewmmisse 3, 10; seumnis 16, 9; seum- nisse 17, 11; leuthirlich 7, 9f. — Vgl. oben § 5, Ib. — Rückert S. 103. § 10. 1e. Der mhd. Diphthong ie ist fast durchweg xu i verwandelt und nur selten erhalten. In P findet sich nur liebin 26, 1. — In S vyer 31, 6; 35, 15 und liebn 34, 2. — Sw hingegen hat den alten Doppelvokal häufiger gewahrt, natürlich nur in der Schreibung: liebn 45, 2; 46, 2; liebe 47, 8 (neben libe 47, 3; 50, 7); dieselbe 45, 11 (neben dyselbe 48, 8; diselben 51, 8); 46, 8; brieffczeiger 46, 10; brieffs 48, 6; 50, 4; sie 49, 7. 8. 9 (neben sy 51, 6); die 45, 5. 6. 7 u. ö. (neben dy 48, 8). — Vgl. § 3, 3. Rückert S. 37 (4). 106 (1); v. Unwerth S. 32 § 44. § 11. ou. ou begegnet im ganzen in geringem Umfang, da es durch die Schrei- bung au (aw) eingeschränkt ist (s. § 7, 2). In P und Sw findet sich nur ouch 8, 6 (neben och 11, 9; 12, 6; 13, 5. 6) und 45, 6. 12. — S weist folgende Belege auf: ouch 32, 9; 33, 6; kouffet 41, I1; sowie in umlautsfähiger Silbe (= nhd. äu): gloubigen 36, 11; vngloubigen 36, 15. In diesen Fällen ist also altes ou erhalten. Außerdem schreibt P ou für mhd. û in lout' 7, 3; 8, 6. — Vgl. Rückert S. 114f. (1); v. Unwerth S. 29. § 12. oi (oy). Dieser Diphthong findet sich nur einmal geschrieben in dem Eigen- namen Pet’ foyt P 9, 10. — Vgl. Rückert S. 113 (2). c) Allgemeine Vorgänge. § 13. Umlaut. Quantität. Betonung. Nebensilben. Es handelt sich hier darum, wie unsere Texte jene Erscheinungen im Vokalismus widerspiegeln, die auf bestimmten Vorgängen gesetzlich geregelter allgemeiner Lautwandlungen beruhen: hauptsächtich also um die Wiedergabe der durch i oder j der folgenden Silbe hervorgerufenen Assimilation eines betonten Vokals, die wir Umlaut nennen, und ihr Unterbleiben infolge gewisser Hemmungen; ferner um die Dehnung und Kürrung von Vokalen; sodann um die Betonung der Silben, Worte
I. Grundzüge des deutschen Lautstandes. 183 2. eu (ew) für mhd. ou in folgenden Beispielen: P tewfers 1, 7 u. ö.; leuftn (= modis) 16, 11; freudin 27, 7; 28, 8. — Sw frewden 47, 7; — In S kein Beleg. — Vgl. Rückert S. 105 (2); v. Unwerth S. 30ff. § 40. 41. 3. en (ew) für mhd. û, das diphthongiert und umgelautet ist, in folgenden Belegen der Hs. P: sewmmisse 3, 10; seumnis 16, 9; seum- nisse 17, 11; leuthirlich 7, 9f. — Vgl. oben § 5, Ib. — Rückert S. 103. § 10. 1e. Der mhd. Diphthong ie ist fast durchweg xu i verwandelt und nur selten erhalten. In P findet sich nur liebin 26, 1. — In S vyer 31, 6; 35, 15 und liebn 34, 2. — Sw hingegen hat den alten Doppelvokal häufiger gewahrt, natürlich nur in der Schreibung: liebn 45, 2; 46, 2; liebe 47, 8 (neben libe 47, 3; 50, 7); dieselbe 45, 11 (neben dyselbe 48, 8; diselben 51, 8); 46, 8; brieffczeiger 46, 10; brieffs 48, 6; 50, 4; sie 49, 7. 8. 9 (neben sy 51, 6); die 45, 5. 6. 7 u. ö. (neben dy 48, 8). — Vgl. § 3, 3. Rückert S. 37 (4). 106 (1); v. Unwerth S. 32 § 44. § 11. ou. ou begegnet im ganzen in geringem Umfang, da es durch die Schrei- bung au (aw) eingeschränkt ist (s. § 7, 2). In P und Sw findet sich nur ouch 8, 6 (neben och 11, 9; 12, 6; 13, 5. 6) und 45, 6. 12. — S weist folgende Belege auf: ouch 32, 9; 33, 6; kouffet 41, I1; sowie in umlautsfähiger Silbe (= nhd. äu): gloubigen 36, 11; vngloubigen 36, 15. In diesen Fällen ist also altes ou erhalten. Außerdem schreibt P ou für mhd. û in lout' 7, 3; 8, 6. — Vgl. Rückert S. 114f. (1); v. Unwerth S. 29. § 12. oi (oy). Dieser Diphthong findet sich nur einmal geschrieben in dem Eigen- namen Pet’ foyt P 9, 10. — Vgl. Rückert S. 113 (2). c) Allgemeine Vorgänge. § 13. Umlaut. Quantität. Betonung. Nebensilben. Es handelt sich hier darum, wie unsere Texte jene Erscheinungen im Vokalismus widerspiegeln, die auf bestimmten Vorgängen gesetzlich geregelter allgemeiner Lautwandlungen beruhen: hauptsächtich also um die Wiedergabe der durch i oder j der folgenden Silbe hervorgerufenen Assimilation eines betonten Vokals, die wir Umlaut nennen, und ihr Unterbleiben infolge gewisser Hemmungen; ferner um die Dehnung und Kürrung von Vokalen; sodann um die Betonung der Silben, Worte
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184 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. und Sätze; endlich um die Lautgestaltung der Nebensilben. Diese Vor- gänge sind teilweise schon oben berührt worden bei Besprechung der ein- zelnen Vokale, sofern sie auf diese eingewirkt haben. Sie verlangen aber eine selbständige zusammenhängende Erörterung. Sie führen alle aus dem elementaren Naturleben der Sprache in die Sphäre des Sprachbewußt- seins und der Sprachrichtigkeit, der Sprachkonvention, des Strebens nach einer Gemeinsprache und Schriftsprache. Kein einziger von diesen Vor- gängen war im Mhd. gleichmäßig und folgerecht rein aus phonetischen Motiven durchgeführt. Unsere Texte vollends aber, die im Dienst stehen einer schulmäßigen Kodifixierung der deutschen Sprache und daher dem seit dem 14. Jahrhundert so mächtig erstarkenden gemein- und schrift- sprachlichen Trieb notwendig weiten Spielraum geben, zeigen in bexug auf diese allgemeinen Lautvorgänge das uneinheitliche, widerspruchsvolle Bild verschiedener Strömungen und künstlicher Regelungen. Es empfiehlt sich daher, und weil zwei dieser Lautvorgänge (Quantität, Betonung) auch tief in die Entwicklung des Konsonantismus und seine Schreibung ein- greifen, also dessen Darstellung voraussetzen, die bunten Reflexe dieser allgemeinen Lautwandlungen in der komplizierten vielfarbigen Sprach- stickerei unseres Briefmusterbuchs erst am Schluß dieser grammatisch- stilistischen Analyse im Zusammenhang mit deren Ergebnissen zu be- handeln und sie einzugliedern in die Skixze der allgemeinen Bexiehungen zur schriftsprachlichen Bewegung (unter Abschnitt V) und der zusammen- fassenden Charakteristik dieser Sprachdenkmäler. Bei dieser Gelegenheit werden dann auch die wenigen bemerkenswerten Züge aus der Formen- lehre (Deklination, Konjugation), die als Ganzes nicht genug Eigen- artiges zeigt, um einer zusammenhängenden systematischen Darstellung zu bedürfen, ausreichend hervortreten. B. Konsonantismus. § 14. Liquiden und Nasale (1, r, m, n) im allgemeinen dem mhd. Gebrauche (Michels § 113 A. 3 S. 108f., § 165 S. 131) entsprechend. 1. Hinter I und n erscheint unmittelbar folgendes t im Silbenanlaut erweicht. P: sinde (mhd. sente Sanct’) 1, 6 u.ö.; haldin 12,10; 15, 9u. ö.; eldern 15, 5; geldunge 18, 10; vnd’weisin 18,11; vndersessin 27, 6; anhald 29, 1 (neben Anhalt 30, 10). — S: gehalden 32, 9; 33, 12; 43, 17; eynveldeglichn 34, 8; 38, 11; eld’n 32, 6; vnd’thenikeyt 35, 15; 38, 6; 41, 5 ; manchfaldikeyt 36, I1f. ; mildekeyt 39, 16; wolde 40, 10; 42, 14; geldis 42, 11 (neben gelt 41, 11); werlde 44, 9. — Sw: eld'n 47, 6; wolden 51, 7. — Hierin gehen also alle drei Hss. zusammen. — Vgl. Rückert S. 193; v. Unwerth § 52 S. 39f., § 67 S. 48f. 2. Bis xum Schwund durchgeführte Reduktion des r begegnet nach
184 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. und Sätze; endlich um die Lautgestaltung der Nebensilben. Diese Vor- gänge sind teilweise schon oben berührt worden bei Besprechung der ein- zelnen Vokale, sofern sie auf diese eingewirkt haben. Sie verlangen aber eine selbständige zusammenhängende Erörterung. Sie führen alle aus dem elementaren Naturleben der Sprache in die Sphäre des Sprachbewußt- seins und der Sprachrichtigkeit, der Sprachkonvention, des Strebens nach einer Gemeinsprache und Schriftsprache. Kein einziger von diesen Vor- gängen war im Mhd. gleichmäßig und folgerecht rein aus phonetischen Motiven durchgeführt. Unsere Texte vollends aber, die im Dienst stehen einer schulmäßigen Kodifixierung der deutschen Sprache und daher dem seit dem 14. Jahrhundert so mächtig erstarkenden gemein- und schrift- sprachlichen Trieb notwendig weiten Spielraum geben, zeigen in bexug auf diese allgemeinen Lautvorgänge das uneinheitliche, widerspruchsvolle Bild verschiedener Strömungen und künstlicher Regelungen. Es empfiehlt sich daher, und weil zwei dieser Lautvorgänge (Quantität, Betonung) auch tief in die Entwicklung des Konsonantismus und seine Schreibung ein- greifen, also dessen Darstellung voraussetzen, die bunten Reflexe dieser allgemeinen Lautwandlungen in der komplizierten vielfarbigen Sprach- stickerei unseres Briefmusterbuchs erst am Schluß dieser grammatisch- stilistischen Analyse im Zusammenhang mit deren Ergebnissen zu be- handeln und sie einzugliedern in die Skixze der allgemeinen Bexiehungen zur schriftsprachlichen Bewegung (unter Abschnitt V) und der zusammen- fassenden Charakteristik dieser Sprachdenkmäler. Bei dieser Gelegenheit werden dann auch die wenigen bemerkenswerten Züge aus der Formen- lehre (Deklination, Konjugation), die als Ganzes nicht genug Eigen- artiges zeigt, um einer zusammenhängenden systematischen Darstellung zu bedürfen, ausreichend hervortreten. B. Konsonantismus. § 14. Liquiden und Nasale (1, r, m, n) im allgemeinen dem mhd. Gebrauche (Michels § 113 A. 3 S. 108f., § 165 S. 131) entsprechend. 1. Hinter I und n erscheint unmittelbar folgendes t im Silbenanlaut erweicht. P: sinde (mhd. sente Sanct’) 1, 6 u.ö.; haldin 12,10; 15, 9u. ö.; eldern 15, 5; geldunge 18, 10; vnd’weisin 18,11; vndersessin 27, 6; anhald 29, 1 (neben Anhalt 30, 10). — S: gehalden 32, 9; 33, 12; 43, 17; eynveldeglichn 34, 8; 38, 11; eld’n 32, 6; vnd’thenikeyt 35, 15; 38, 6; 41, 5 ; manchfaldikeyt 36, I1f. ; mildekeyt 39, 16; wolde 40, 10; 42, 14; geldis 42, 11 (neben gelt 41, 11); werlde 44, 9. — Sw: eld'n 47, 6; wolden 51, 7. — Hierin gehen also alle drei Hss. zusammen. — Vgl. Rückert S. 193; v. Unwerth § 52 S. 39f., § 67 S. 48f. 2. Bis xum Schwund durchgeführte Reduktion des r begegnet nach
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I Grundzüge des deutschen Lautstandes. 185 langem Vokal in S in folgenden Fällen: Ewerdegn 34, 18; ebarkeyten 40, 5; sonst aber herrscht die schriftsprachliche Schreibung erwerdeger, ersamer usw. — Vgl. v. Unwerth § 45, II S. 34. 3. Nicht lautgesetzliches r erscheint einmal in P: dinstharftig I, 1 (aber normal kunsthaftign 46, 1). 4. Gemination. Neben den aus dem Mhd. überkommenen Fällen wie P allirlipster 1, 4 u. ö.; wellest 1, 5. 9; willen 2, 5 u. ö.; gunner 1, 2 u. ö. (neben guner 28, 6); manne 4, 1 u. ö.; gevallin 24, 5f. stehen verschiedene jüngere Arten der Gemination: einmal durch Assimilation, dann zur Bezeichnung eines voraufgehenden kurzen haupttonigen Vokals, und nach derselben Richtung wirkte endlich die seit dem 15. Jahrhundert um sich greifende Manier der Schreiber, Doppelkonsonanten auch dort zu setzen, wo sie durchaus unberechtigt sind1. P: dorumme 3, 6 f. u. ö. (neben dorumb 25, 6; 28, 5; 29, 7; worumb wir 12, 11); aber pro- klitisch als Präposition in geschwächter Form: vm eyne bequeme stat 9, 7; sewmmisse 3, 10 (neben seumnis 16, 9); volkummelich 4, 5f.; 6, 9; nochkummelinge 7, 5; selligis 7, 6 (vgl. der sellegen liebe Reichenbacher Urkunde 1387 Cod. dipl. Sil. VIII, S. 82, Nr. 57, Z. 2); konniclechter 22, 6; iemmerlich 13, 4; dunnirstag 2, 8; donnirstage 19, 10; 11, 10 (neben einfacher Konsonanz mit Metathesis in dornstage 25, 10); czu- sammene 22, 7. — S: vmme 34, 9 (neben vmb 40, 9. 10. 11; 41, 9; 42, 9; 43, 10); allemm .. . allen (= allenn) 35, 20; kummit 31, 6; bischtummes 39, 12 (neben bischtumps 39, 13f.!); thummereye 43, 12. 17. — Sw: dorumme 49, 7. — Doch besteht daneben in allen drei Handschriften die Tradition der mittelhochdeutschen Schreibung fort (ein- facher Nasal, einfache Liquida im Inlaut haupttonige Silbe beschließend; Vereinfachung alter Nasalgeminata oder Liquidageminata im Inlaut vor folgendem Konsonanten und im Auslaut): vernomen, vornomen 1, 5; 40, 8; 41, 7; 43, 8; genomen 1, 11; fromen, fromelich, fromlich 1, 11; 15, 8; 32, 6. 7; 44, 13; komen 8, 8; 9, 6; 47, 7 u. ö.; annymt 10, 9; ferner suntage 1, 3 u. ö. in P (stets so!); 47, 5 (aber sonnebunde 13, 10; zunnebunde 29, 10); vorbrant 13, 5; vorgenantins 17, 15; egenanten 32, 9 u. ö.; bekentnisse 32, 15; ersamkeyt (error) 17, 6; geselschaft 21, 6. 9; czalner, czol 50, 6. — Vgl. Rückert S. 176f. 204. 209. — Eine Ausnahme macht S amecht 33, 14, wo altes mb zu einfachem m ge- worden ist2. — Vgl. Rückert S. 175—178. 1 Dazu die lateinischen Parallelschreibungen: collocari 53, 22; ammini- stratiua 55, 6; predillecto, predillecte 55, 2; 61, 1; 66, 5; dilleccionem 56, 5; connatos 64, 15; conmendabili 44, 1; immaginem 68, 12; exporrigat 59, 9; exporrigere 61, 12 gegen colocari 55, 17; solempnitates 6, 6; comodum 19, 8; consumavit 44, 10; comendando 46, 10; comensalem 49, 10; agilime 55, 13; sumula 59, 6; amonere 59, 8; amonebo 59, 10; humilime 53, 5; 68, 25; pori- gimus 66, 9. 2 In den lateinischen Texten ist der Lautwert des Nasals vor Labial
I Grundzüge des deutschen Lautstandes. 185 langem Vokal in S in folgenden Fällen: Ewerdegn 34, 18; ebarkeyten 40, 5; sonst aber herrscht die schriftsprachliche Schreibung erwerdeger, ersamer usw. — Vgl. v. Unwerth § 45, II S. 34. 3. Nicht lautgesetzliches r erscheint einmal in P: dinstharftig I, 1 (aber normal kunsthaftign 46, 1). 4. Gemination. Neben den aus dem Mhd. überkommenen Fällen wie P allirlipster 1, 4 u. ö.; wellest 1, 5. 9; willen 2, 5 u. ö.; gunner 1, 2 u. ö. (neben guner 28, 6); manne 4, 1 u. ö.; gevallin 24, 5f. stehen verschiedene jüngere Arten der Gemination: einmal durch Assimilation, dann zur Bezeichnung eines voraufgehenden kurzen haupttonigen Vokals, und nach derselben Richtung wirkte endlich die seit dem 15. Jahrhundert um sich greifende Manier der Schreiber, Doppelkonsonanten auch dort zu setzen, wo sie durchaus unberechtigt sind1. P: dorumme 3, 6 f. u. ö. (neben dorumb 25, 6; 28, 5; 29, 7; worumb wir 12, 11); aber pro- klitisch als Präposition in geschwächter Form: vm eyne bequeme stat 9, 7; sewmmisse 3, 10 (neben seumnis 16, 9); volkummelich 4, 5f.; 6, 9; nochkummelinge 7, 5; selligis 7, 6 (vgl. der sellegen liebe Reichenbacher Urkunde 1387 Cod. dipl. Sil. VIII, S. 82, Nr. 57, Z. 2); konniclechter 22, 6; iemmerlich 13, 4; dunnirstag 2, 8; donnirstage 19, 10; 11, 10 (neben einfacher Konsonanz mit Metathesis in dornstage 25, 10); czu- sammene 22, 7. — S: vmme 34, 9 (neben vmb 40, 9. 10. 11; 41, 9; 42, 9; 43, 10); allemm .. . allen (= allenn) 35, 20; kummit 31, 6; bischtummes 39, 12 (neben bischtumps 39, 13f.!); thummereye 43, 12. 17. — Sw: dorumme 49, 7. — Doch besteht daneben in allen drei Handschriften die Tradition der mittelhochdeutschen Schreibung fort (ein- facher Nasal, einfache Liquida im Inlaut haupttonige Silbe beschließend; Vereinfachung alter Nasalgeminata oder Liquidageminata im Inlaut vor folgendem Konsonanten und im Auslaut): vernomen, vornomen 1, 5; 40, 8; 41, 7; 43, 8; genomen 1, 11; fromen, fromelich, fromlich 1, 11; 15, 8; 32, 6. 7; 44, 13; komen 8, 8; 9, 6; 47, 7 u. ö.; annymt 10, 9; ferner suntage 1, 3 u. ö. in P (stets so!); 47, 5 (aber sonnebunde 13, 10; zunnebunde 29, 10); vorbrant 13, 5; vorgenantins 17, 15; egenanten 32, 9 u. ö.; bekentnisse 32, 15; ersamkeyt (error) 17, 6; geselschaft 21, 6. 9; czalner, czol 50, 6. — Vgl. Rückert S. 176f. 204. 209. — Eine Ausnahme macht S amecht 33, 14, wo altes mb zu einfachem m ge- worden ist2. — Vgl. Rückert S. 175—178. 1 Dazu die lateinischen Parallelschreibungen: collocari 53, 22; ammini- stratiua 55, 6; predillecto, predillecte 55, 2; 61, 1; 66, 5; dilleccionem 56, 5; connatos 64, 15; conmendabili 44, 1; immaginem 68, 12; exporrigat 59, 9; exporrigere 61, 12 gegen colocari 55, 17; solempnitates 6, 6; comodum 19, 8; consumavit 44, 10; comendando 46, 10; comensalem 49, 10; agilime 55, 13; sumula 59, 6; amonere 59, 8; amonebo 59, 10; humilime 53, 5; 68, 25; pori- gimus 66, 9. 2 In den lateinischen Texten ist der Lautwert des Nasals vor Labial
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186 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. 5. In mehreren Nebensilben spiegeln die Schreibungen unserer Texte gewisse Veränderungen wider, denen die Nasale in dieser Stellung je nach der Abstufung der Betonung ausgesetzt sind. a) Nach mhd. Weise schwindet in der 1. Person Plur. Ind. Präsentis das in vor nachgestelltem wir: P: habe wir 10, 6; bethe wir 10, 6; bitte wir 17, 10; 21, 7; bit wir 11, 7; 12, 8; 13, 6; 15, 9; 16, 7; 18, 9; Irlobe wir 14, 5 ; schreibe wir 19, 9. — S: Bethe wir 32, 10; 34, 15; Bythe wir 32, 12; Bitt wir 45, 9; wolle wir 32, 13; 34, 17; habe wir 32, 15. Ein einziges Mal erscheint bethn wir 31, 4. — Sw: bitt wir 50, 7; 51, 7. Die apokopierten Formen sind durch die völlige Akxententziehung hervorgerufen. b) In P erscheint neben der dem mhd. künec entsprechenden Form konig 11, 5; 12, 4 auch die ältere, auf ahd. kuning zurückweisende mitteldeutsche nasalierte nebentonige Suffixgestalt (vgl. über sie Edward Schroeder, Zeitschr. ƒ. dtsch. Alt. 1893 Bd. 37, S. 124f.): koninge 10, 6; 17, 12; koningis 16, 1. — In S dagegen nur die Formen mit Schwund des Nasals: konig 35, 2; 36, 2; 37, 5. 6; konge 37, 1. c) Die Endung -end des Partixips Präsentis (mhd. -ende) verliert in S den auslautenden Dental und wird so äußerlich dem Infinitiv gleich: volborten st. volbortend 36, 17; komen st. komend 39, 16; halden st. haldend 43, 16. Vgl. darüber Weinhold, Mhd. Gr.2 § 373 S. 397f. Der scheinbar entgegengesetzte Ubergang zeigt sich in P ein- mal: der Infinitiv jagende 28, 9 statt jagen. Dies ist aber eine ganz gewöhnliche mitteldeutsche und besonders auch schlesische Erscheinung (s. Rückert S. 193f.). Zugrunde liegt ihr die Einwirkung der flektierten, sogenannten Gerundivformen des Infinitivs (mhd. jagen, Genitiv jagennes, Dativ ze jagenne), in denen der geminierte Nasal euphonisch zu nd dissimiliert wurde (vgl. nhd. Niemand, neben mhd. nieman, Gen. nie- mannes, Dat. niemanne), aus ze jagenne also ein ze jagende entstand. Damit waren die Gerundivformen und die Partixipformen bis xu äußer- licher Identität zusammengerückt, und es konnte die weitverbreitete syn- taktische Vermischung von Infinitiv und Partixip eintreten, der die nhd. Futurumschreibung mit werden entsprang (vgl. Behaghel, Dtsch. Sprache“ § 223, 3 S. 208/ und für die in dem sonderbaren Früchtchen latini- nur in den wenigen Fällen erkennbar, wo er nicht durch den doppeldeutigen Abkürzungsstrich bexeichnet, sondern ausgeschrieben ist, und in diesen Fällen herrscht Schwanken; vgl. compar 54, Note Z. I neben inpediti 61, 8; inbutus 64, 6; 65, 5; reconpensam 43, 19. — Den Lautwert des gutturalen Nasals beleuchten Schreibungen wie dingne 56, 12 neben dignemini 3, 9 u. ö.; con- gnoscere 52, 46; congnoscit 52, 59; recongnicionibus 52, 64; congnoscitur 55, 6 neben cognouimus 45, 7; vor gw bleibt n umgekehrt gegen den korrekten orthographischen Brauch unbexeichnet : consagwineo 45, 8; 65, 1 ; consagwinitate 65, 3; lagworibus 43, 11; exstigwetur 73, 20.
186 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. 5. In mehreren Nebensilben spiegeln die Schreibungen unserer Texte gewisse Veränderungen wider, denen die Nasale in dieser Stellung je nach der Abstufung der Betonung ausgesetzt sind. a) Nach mhd. Weise schwindet in der 1. Person Plur. Ind. Präsentis das in vor nachgestelltem wir: P: habe wir 10, 6; bethe wir 10, 6; bitte wir 17, 10; 21, 7; bit wir 11, 7; 12, 8; 13, 6; 15, 9; 16, 7; 18, 9; Irlobe wir 14, 5 ; schreibe wir 19, 9. — S: Bethe wir 32, 10; 34, 15; Bythe wir 32, 12; Bitt wir 45, 9; wolle wir 32, 13; 34, 17; habe wir 32, 15. Ein einziges Mal erscheint bethn wir 31, 4. — Sw: bitt wir 50, 7; 51, 7. Die apokopierten Formen sind durch die völlige Akxententziehung hervorgerufen. b) In P erscheint neben der dem mhd. künec entsprechenden Form konig 11, 5; 12, 4 auch die ältere, auf ahd. kuning zurückweisende mitteldeutsche nasalierte nebentonige Suffixgestalt (vgl. über sie Edward Schroeder, Zeitschr. ƒ. dtsch. Alt. 1893 Bd. 37, S. 124f.): koninge 10, 6; 17, 12; koningis 16, 1. — In S dagegen nur die Formen mit Schwund des Nasals: konig 35, 2; 36, 2; 37, 5. 6; konge 37, 1. c) Die Endung -end des Partixips Präsentis (mhd. -ende) verliert in S den auslautenden Dental und wird so äußerlich dem Infinitiv gleich: volborten st. volbortend 36, 17; komen st. komend 39, 16; halden st. haldend 43, 16. Vgl. darüber Weinhold, Mhd. Gr.2 § 373 S. 397f. Der scheinbar entgegengesetzte Ubergang zeigt sich in P ein- mal: der Infinitiv jagende 28, 9 statt jagen. Dies ist aber eine ganz gewöhnliche mitteldeutsche und besonders auch schlesische Erscheinung (s. Rückert S. 193f.). Zugrunde liegt ihr die Einwirkung der flektierten, sogenannten Gerundivformen des Infinitivs (mhd. jagen, Genitiv jagennes, Dativ ze jagenne), in denen der geminierte Nasal euphonisch zu nd dissimiliert wurde (vgl. nhd. Niemand, neben mhd. nieman, Gen. nie- mannes, Dat. niemanne), aus ze jagenne also ein ze jagende entstand. Damit waren die Gerundivformen und die Partixipformen bis xu äußer- licher Identität zusammengerückt, und es konnte die weitverbreitete syn- taktische Vermischung von Infinitiv und Partixip eintreten, der die nhd. Futurumschreibung mit werden entsprang (vgl. Behaghel, Dtsch. Sprache“ § 223, 3 S. 208/ und für die in dem sonderbaren Früchtchen latini- nur in den wenigen Fällen erkennbar, wo er nicht durch den doppeldeutigen Abkürzungsstrich bexeichnet, sondern ausgeschrieben ist, und in diesen Fällen herrscht Schwanken; vgl. compar 54, Note Z. I neben inpediti 61, 8; inbutus 64, 6; 65, 5; reconpensam 43, 19. — Den Lautwert des gutturalen Nasals beleuchten Schreibungen wie dingne 56, 12 neben dignemini 3, 9 u. ö.; con- gnoscere 52, 46; congnoscit 52, 59; recongnicionibus 52, 64; congnoscitur 55, 6 neben cognouimus 45, 7; vor gw bleibt n umgekehrt gegen den korrekten orthographischen Brauch unbexeichnet : consagwineo 45, 8; 65, 1 ; consagwinitate 65, 3; lagworibus 43, 11; exstigwetur 73, 20.
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I. Grundzüge des deutschen Lautstandes. 187 sierender Syntax 40, 15f. das ich byn zou begerende ein Beispiel bietet (richtig ir syt begerende 43, 13f.). d) Verklingen des auslautenden labialen Nasals scheinen die lateini- schen Reime in dem deutsch-lateinischen Briefverschen vorauszusetzen labore : honorem (honore Handschrift); amorem : dolore 74 Lesarten. e) Schwanken zwischen labialem und dentalem Nasal verrät öfter der Wechsel der Schreibung m und n im Auslaut, womit gelegentlich völliger Schwund des Nasals Hand in Hand geht. Schreibfchler statt den (denne, mhd. danne) könnte zwar sein das dem für tunc in dem deutsch-lateinischen Briefgedicht 73, 7, wie wir es auch im Text durch den korrigiert haben. Aber möglicherweise hat es doch phonetischen Wert. Zwar kann man es nicht dem von Pietsch bei Rückert S. 177 Anm.** belegten und aus Angleichung an folgenden labialen Wortanlaut er- klärten auslautenden -m statt -n in den Dativformen des Zahlwort- Adjektivs (z. B. czu dem drittem male) gleichstellen. Aber diese haben ihre Analogie in dem wirklich auf Assimilation mit dem nächsten Wort- anlaut beruhenden von gancem herczem begeren P 26, 11 und auch in S: dem ganczem bisthum 38, 16 (vgl. daxu aus einer Hennebergischen Urkunde die Akkusativform desem brief bei Weinhold, Mhd. Gr.2 § 183 S. 179, Absatz 4). Und mit diesem xusammengehalten, ist jenes pro- blematische dem doch vielleicht ein Symptom der unsicheren Aus- sprache des auslautenden Nasals in unbetonten Silben und enklitischen oder proklitischen Worten. Eher dürfte reine Verschreibung sein das dem in der Adresse an die Ratmannen von Schweidnitx: Dem Irb'n vnd clugen rotmannen czur sweidenicz, eren sunderlichen gunnern vnd frunden 21, 1f., und es hätte das im kritischen Apparat S. 29 gesagt werden sollen. Die Dativendung der starken Adjektivflexion im Singular, der -m gebührt, schwankt in den Schreibungen von P zwischen -m und -n. Beispielsweise czu desim mole 1, 7; desem briffczeger 3, 9; mit ganczim fleisse 16, 8; mit allem vleisse 15, 10, aber auch mit ganczin fleysse 5, 4; mit grossen fleisse 13, 7; ebenso ewrim sone 4, 5; ewrim walde . .. ewrim schadin 13, 9, aber mit ewirn furmanne 5, 6; yn eyme (aus eyneme) sulche (statt sulchen!) ad gruss’n (= grussern, grossern statt grosserm) 22, 9, hier ist also der dentale Nasal n überhaupt geschwun- den, der labiale (m) xu n geschwächt. So ist denn wohl das wiederholt erscheinende dem wolgebornen manne ..., vnserin libin gunnern 28, 1f.; 29, 2 nicht bloßer Schreibfehler für vnserm, das in der ganz gleich geformten Adresse 26, I ja wirklich überliefert ist, wie nahe diese An- nahme auch liegen mag, sondern veranlaßt durch Unsicherheit der Aus- sprache des auslautenden m. Diese verrät sich deutlichst dadurch, daß in einer dritten, wieder ganz gleichförmigen Adresse neben Dem wol- gebornen manne mit vollem Schwund des Nasals vnsir frunthlichn gunner steht (27, 1). Sie beförderte dann freilich auch ein syntaktisches
I. Grundzüge des deutschen Lautstandes. 187 sierender Syntax 40, 15f. das ich byn zou begerende ein Beispiel bietet (richtig ir syt begerende 43, 13f.). d) Verklingen des auslautenden labialen Nasals scheinen die lateini- schen Reime in dem deutsch-lateinischen Briefverschen vorauszusetzen labore : honorem (honore Handschrift); amorem : dolore 74 Lesarten. e) Schwanken zwischen labialem und dentalem Nasal verrät öfter der Wechsel der Schreibung m und n im Auslaut, womit gelegentlich völliger Schwund des Nasals Hand in Hand geht. Schreibfchler statt den (denne, mhd. danne) könnte zwar sein das dem für tunc in dem deutsch-lateinischen Briefgedicht 73, 7, wie wir es auch im Text durch den korrigiert haben. Aber möglicherweise hat es doch phonetischen Wert. Zwar kann man es nicht dem von Pietsch bei Rückert S. 177 Anm.** belegten und aus Angleichung an folgenden labialen Wortanlaut er- klärten auslautenden -m statt -n in den Dativformen des Zahlwort- Adjektivs (z. B. czu dem drittem male) gleichstellen. Aber diese haben ihre Analogie in dem wirklich auf Assimilation mit dem nächsten Wort- anlaut beruhenden von gancem herczem begeren P 26, 11 und auch in S: dem ganczem bisthum 38, 16 (vgl. daxu aus einer Hennebergischen Urkunde die Akkusativform desem brief bei Weinhold, Mhd. Gr.2 § 183 S. 179, Absatz 4). Und mit diesem xusammengehalten, ist jenes pro- blematische dem doch vielleicht ein Symptom der unsicheren Aus- sprache des auslautenden Nasals in unbetonten Silben und enklitischen oder proklitischen Worten. Eher dürfte reine Verschreibung sein das dem in der Adresse an die Ratmannen von Schweidnitx: Dem Irb'n vnd clugen rotmannen czur sweidenicz, eren sunderlichen gunnern vnd frunden 21, 1f., und es hätte das im kritischen Apparat S. 29 gesagt werden sollen. Die Dativendung der starken Adjektivflexion im Singular, der -m gebührt, schwankt in den Schreibungen von P zwischen -m und -n. Beispielsweise czu desim mole 1, 7; desem briffczeger 3, 9; mit ganczim fleisse 16, 8; mit allem vleisse 15, 10, aber auch mit ganczin fleysse 5, 4; mit grossen fleisse 13, 7; ebenso ewrim sone 4, 5; ewrim walde . .. ewrim schadin 13, 9, aber mit ewirn furmanne 5, 6; yn eyme (aus eyneme) sulche (statt sulchen!) ad gruss’n (= grussern, grossern statt grosserm) 22, 9, hier ist also der dentale Nasal n überhaupt geschwun- den, der labiale (m) xu n geschwächt. So ist denn wohl das wiederholt erscheinende dem wolgebornen manne ..., vnserin libin gunnern 28, 1f.; 29, 2 nicht bloßer Schreibfehler für vnserm, das in der ganz gleich geformten Adresse 26, I ja wirklich überliefert ist, wie nahe diese An- nahme auch liegen mag, sondern veranlaßt durch Unsicherheit der Aus- sprache des auslautenden m. Diese verrät sich deutlichst dadurch, daß in einer dritten, wieder ganz gleichförmigen Adresse neben Dem wol- gebornen manne mit vollem Schwund des Nasals vnsir frunthlichn gunner steht (27, 1). Sie beförderte dann freilich auch ein syntaktisches
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188 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. Schwanken zwischen starker und schwacher Flexion. Vgl. vor sinde Johannis tag des teufers, den nestin czukomenden (= ante festum beati Johannis Baptiste proxime venturum) 16, 6, wo das den statt dem allerdings auch durch die assimilierende Kraft des folgenden Wort- anlauts mit n noch besonders gestützt ist. — In S findet sich: in desem vns'm offen brife 31, 3; 32, 2 u. ö.; by desem keynwertigen brifczeig" 42, 10; en eyne (statt eyme « eyneme, während 40, 14 in der sonst genau gleichen Formel eyme steht) sulchn ader gross’n 32, 14 = sulchen oder grossern st. grosserm; dagegen in vil groserm 37,19; 42, 14; vns� liebn andechtegn h’n (Dativ) 34, 2; in uns’m gebyte 34, 9. 14; mit woldachtem mute 34, 12; 39, 18; mit vns’m Innegen gebethe 34, 17f.; romischem konig 35, 2; vns'm all' gnedigestin h'n 35, 3; vnd' vns'm Ingesël 35, 21 u. ö.; vns’m all’ libesten h’n vnde sund’lichem frunde 36, 3; 37, 2; mit ganczem flise 36, 5. 13; 41, 9; mit sulchem uw’n forder- niſse 36, 15; mit grosem vorschrekeniſse 37, 13f.; nur ausnahmsweise n st. m: mit stetlichn vn rischlichen dinste 37, 9. — In Sw: mit ganczem fleysse 45, 9; mit allem fleys 48, 7. f) Wechsel zwischen auslautendem dentalem und gutturalem Nasal nebentoniger Endsilbe zeigt sich in dem mehrmals vorkommenden schlesi- schen (und überhaupt mitteldeutschen: Weinhold, Mhd. Gr.2 § 219 S. 218) itzund und der dafür einmal in P erscheinenden rein mundartlichen Form iczczung 7, 7 (s. darüber oben § 5, 5b). Der Nasal selbst wird hier euphonischen Ursprungs sein: mhd. iezuo, ieze, iez iezt, izt » iezet, itzet » iezent, itzent »itzund, s. M. Heyne, DWb. IV 2, Sp. 2322f. Das Auftreten des gutturalen Nasals an Stelle des dentalen (vgl. Pietsch bei Rückert 187 Anm. * und 198 Anm.) setzt doch wohl vollen Nebenton voraus, den auch die Schreibung yczunde in Liegnitzer Urkunden (Pietsch bei Rückert S. 219 Anm.) und die Betonung itzúnd in Versen schlesischer Dichter des 17. Jahrhunderts beweisen. 6. Metathesis des r. Das r hat eine doppelte Lautnatur: es kann sonantisch und silbisch sein, es kann auch als Konsonant fungieren. Die moderne Schrift- sprache und auch die mittelalterlichen Handschriften geben diese wech- selnde Rolle, die das r in der lebendigen Aussprache hat, nur unvoll- kommen und schwankend wieder. Die Verwendung des e als Begleitung ist nur ein mangelhafter Behelf. Die gemeindeutsche Schreibung mhd. donnerstac, dunerstac, nhd. donnerstag meint eigentlich gar nicht Vokal e + Konsonant r, sondern das sonantische, silbenbildende r, dem das e bloß als Symbol sozusagen seiner vokalischen Funktion vorgesetzt ist. Es könnte ihm aber ebenso gut auch nachstehen und würde dann dasselbe bedeuten. Die mhd., namentlich in oberdeutschen Handschriften häufige Schreibung donrestac und die analogen Schreibungen dunrestac (st. dunerstac), inrethalp (st. innerthalp), dâ restarp (st. dâ erstarp) zeigen scheinbar eine Verlegung des Silbenakzents und der Silbengrenze. Aber
188 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. Schwanken zwischen starker und schwacher Flexion. Vgl. vor sinde Johannis tag des teufers, den nestin czukomenden (= ante festum beati Johannis Baptiste proxime venturum) 16, 6, wo das den statt dem allerdings auch durch die assimilierende Kraft des folgenden Wort- anlauts mit n noch besonders gestützt ist. — In S findet sich: in desem vns'm offen brife 31, 3; 32, 2 u. ö.; by desem keynwertigen brifczeig" 42, 10; en eyne (statt eyme « eyneme, während 40, 14 in der sonst genau gleichen Formel eyme steht) sulchn ader gross’n 32, 14 = sulchen oder grossern st. grosserm; dagegen in vil groserm 37,19; 42, 14; vns� liebn andechtegn h’n (Dativ) 34, 2; in uns’m gebyte 34, 9. 14; mit woldachtem mute 34, 12; 39, 18; mit vns’m Innegen gebethe 34, 17f.; romischem konig 35, 2; vns'm all' gnedigestin h'n 35, 3; vnd' vns'm Ingesël 35, 21 u. ö.; vns’m all’ libesten h’n vnde sund’lichem frunde 36, 3; 37, 2; mit ganczem flise 36, 5. 13; 41, 9; mit sulchem uw’n forder- niſse 36, 15; mit grosem vorschrekeniſse 37, 13f.; nur ausnahmsweise n st. m: mit stetlichn vn rischlichen dinste 37, 9. — In Sw: mit ganczem fleysse 45, 9; mit allem fleys 48, 7. f) Wechsel zwischen auslautendem dentalem und gutturalem Nasal nebentoniger Endsilbe zeigt sich in dem mehrmals vorkommenden schlesi- schen (und überhaupt mitteldeutschen: Weinhold, Mhd. Gr.2 § 219 S. 218) itzund und der dafür einmal in P erscheinenden rein mundartlichen Form iczczung 7, 7 (s. darüber oben § 5, 5b). Der Nasal selbst wird hier euphonischen Ursprungs sein: mhd. iezuo, ieze, iez iezt, izt » iezet, itzet » iezent, itzent »itzund, s. M. Heyne, DWb. IV 2, Sp. 2322f. Das Auftreten des gutturalen Nasals an Stelle des dentalen (vgl. Pietsch bei Rückert 187 Anm. * und 198 Anm.) setzt doch wohl vollen Nebenton voraus, den auch die Schreibung yczunde in Liegnitzer Urkunden (Pietsch bei Rückert S. 219 Anm.) und die Betonung itzúnd in Versen schlesischer Dichter des 17. Jahrhunderts beweisen. 6. Metathesis des r. Das r hat eine doppelte Lautnatur: es kann sonantisch und silbisch sein, es kann auch als Konsonant fungieren. Die moderne Schrift- sprache und auch die mittelalterlichen Handschriften geben diese wech- selnde Rolle, die das r in der lebendigen Aussprache hat, nur unvoll- kommen und schwankend wieder. Die Verwendung des e als Begleitung ist nur ein mangelhafter Behelf. Die gemeindeutsche Schreibung mhd. donnerstac, dunerstac, nhd. donnerstag meint eigentlich gar nicht Vokal e + Konsonant r, sondern das sonantische, silbenbildende r, dem das e bloß als Symbol sozusagen seiner vokalischen Funktion vorgesetzt ist. Es könnte ihm aber ebenso gut auch nachstehen und würde dann dasselbe bedeuten. Die mhd., namentlich in oberdeutschen Handschriften häufige Schreibung donrestac und die analogen Schreibungen dunrestac (st. dunerstac), inrethalp (st. innerthalp), dâ restarp (st. dâ erstarp) zeigen scheinbar eine Verlegung des Silbenakzents und der Silbengrenze. Aber
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I. Grundzüge des deutschen Lautstandes. 189 es ist in jedem Falle erst zu ermitteln, ob solche Schreibung mehr be- deutet als einen andern Ausdruck der silbischen Lautnatur des r, ob sic wirklich eine konsonantische Aussprache des r voraussetzt und verlangt. Im 18. Jahrhundert befiehlt die vor-Gottschedische Schriftsprache und Orthographie die Schreibungen: die Bauren, trauren, Feuresflammen, sammlen usw. Aber schwerlich wollte und konnte sie damit die rein konsonantische Aussprache der Sonoren ausdrücken und herbeiführen. Anderseits besteht eine solche Aussprache doch tatsächlich in gewissen Gegenden, sei es rein mundartlich, sei es in der durch Schule und Kanzel beeinflußten Bildungssprache, z. B. im rheinfränkischen Gebiet und in Ostpreußen. Der junge Goethe schrieb wandlen, trauren, be- dauren usw. Wie dem auch sei, die in der mhd. Schreibtradition häufige Wortgestalt donrestag fehlt in P durchaus. Es herrscht hier das gram- matisch deutlichere dunnirstage 2, 8 und donnirstage 11, 10; 19, 10. Aber einmal taucht mit wirklicher Metathesis die mundartliche Form am dornstage 25, 10 auf. Sie ist spezifisch schlesisch (Rückert S. 185), aber wohl auch überhaupt ostmitteldeutsch (Weinhold, Mhd. Gr.2 § 214 S. 210b bringt freilich nur einen Beleg aus dem Codex diplomat. Saxo- niae reg.). Dazu tritt scheinbar mit gleichem Umspringen des r, in Wahrheit aber auf Grund anderer Wurzelstufe ew' burner 21, 5 (euer Brand- stifter', d. h. der von euch strafrechtlich verfolgte und abzuurteilende, über dieses Possessiv s. Kommentar xum Ackermann aus Böhmen S. 164, Z. 1—12 und Anm.). Endlich der Name Trepicz, im lateinischen Text Tripicz 23, 1 = Türpitz. § 15. Labiale Verschluß- und Reibelaute (b, p, f, pf, ph, v, w). I. b steht im allgemeinen wie im Mhd.; nur einigemal wird p statt b geschrieben, so purgir 3, 1 u. ö. (neben burg’ 3, 12; burgir 6, 1); in dem Namen sinde walpurgen tag 3, 16; 6, 7; 10, 11; 16, 9; ebenso in der lat. Form Walpurgis; ferner in dem Namen posch 12, 7. 9 (ent- sprechend der von Rückert aus schlesischen Urkunden von 1328—1430 belegten Schreibung des Appellativs pusch, posch); allirlipster 1, 4; allir- lipste(n) 47, 2. 4. — Es ist der Reflex eines gemeinschlesischen mund- artlichen Vorgangs, der im Anlaut eine Anzahl von Wörtern getroffen hat und diesen scheinbar ungesetzlich an Stelle des weichen den harten Verschlußlaut gibt: v. Unwerth S. 50 § 71, Absatz 2; Belege aus schlesi- sischen Literaturdenkmälern und Urkunden des 14. Jahrhunderts bei Rückert S. 125. 2. Dagegen sind von der freilich nicht streng und konsequent durch- geführten, aber doch im ganzen klar erkennbaren Regelung des Gebrauchs von v und f in der mhd. Schreibtradition nur geringe Spuren erhalten.
I. Grundzüge des deutschen Lautstandes. 189 es ist in jedem Falle erst zu ermitteln, ob solche Schreibung mehr be- deutet als einen andern Ausdruck der silbischen Lautnatur des r, ob sic wirklich eine konsonantische Aussprache des r voraussetzt und verlangt. Im 18. Jahrhundert befiehlt die vor-Gottschedische Schriftsprache und Orthographie die Schreibungen: die Bauren, trauren, Feuresflammen, sammlen usw. Aber schwerlich wollte und konnte sie damit die rein konsonantische Aussprache der Sonoren ausdrücken und herbeiführen. Anderseits besteht eine solche Aussprache doch tatsächlich in gewissen Gegenden, sei es rein mundartlich, sei es in der durch Schule und Kanzel beeinflußten Bildungssprache, z. B. im rheinfränkischen Gebiet und in Ostpreußen. Der junge Goethe schrieb wandlen, trauren, be- dauren usw. Wie dem auch sei, die in der mhd. Schreibtradition häufige Wortgestalt donrestag fehlt in P durchaus. Es herrscht hier das gram- matisch deutlichere dunnirstage 2, 8 und donnirstage 11, 10; 19, 10. Aber einmal taucht mit wirklicher Metathesis die mundartliche Form am dornstage 25, 10 auf. Sie ist spezifisch schlesisch (Rückert S. 185), aber wohl auch überhaupt ostmitteldeutsch (Weinhold, Mhd. Gr.2 § 214 S. 210b bringt freilich nur einen Beleg aus dem Codex diplomat. Saxo- niae reg.). Dazu tritt scheinbar mit gleichem Umspringen des r, in Wahrheit aber auf Grund anderer Wurzelstufe ew' burner 21, 5 (euer Brand- stifter', d. h. der von euch strafrechtlich verfolgte und abzuurteilende, über dieses Possessiv s. Kommentar xum Ackermann aus Böhmen S. 164, Z. 1—12 und Anm.). Endlich der Name Trepicz, im lateinischen Text Tripicz 23, 1 = Türpitz. § 15. Labiale Verschluß- und Reibelaute (b, p, f, pf, ph, v, w). I. b steht im allgemeinen wie im Mhd.; nur einigemal wird p statt b geschrieben, so purgir 3, 1 u. ö. (neben burg’ 3, 12; burgir 6, 1); in dem Namen sinde walpurgen tag 3, 16; 6, 7; 10, 11; 16, 9; ebenso in der lat. Form Walpurgis; ferner in dem Namen posch 12, 7. 9 (ent- sprechend der von Rückert aus schlesischen Urkunden von 1328—1430 belegten Schreibung des Appellativs pusch, posch); allirlipster 1, 4; allir- lipste(n) 47, 2. 4. — Es ist der Reflex eines gemeinschlesischen mund- artlichen Vorgangs, der im Anlaut eine Anzahl von Wörtern getroffen hat und diesen scheinbar ungesetzlich an Stelle des weichen den harten Verschlußlaut gibt: v. Unwerth S. 50 § 71, Absatz 2; Belege aus schlesi- sischen Literaturdenkmälern und Urkunden des 14. Jahrhunderts bei Rückert S. 125. 2. Dagegen sind von der freilich nicht streng und konsequent durch- geführten, aber doch im ganzen klar erkennbaren Regelung des Gebrauchs von v und f in der mhd. Schreibtradition nur geringe Spuren erhalten.
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190 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. Im Mhd. galt für das jüngere (d. h. erst durch die sogenannte hochdeutsche Lautverschiebung entstandene) f, also für die Entsprechung des nieder- deutschen p, ferner im Auslaut und in der Verbindung fs und ft nur die Schreibung f, für das alte f hingegen (d. h. für die Entsprechung von niederdeutsch. f) sowohl f als v, letzteres im Inlaut und vor a, o, e, i auch im Silbenanlaut überwiegend, während im Silbenanlaut vor r, 1, u (ü, iu, ou, uo, üe) auch f häufig erscheint, im Auslaut aber Regel ist (s. J. Grimm, D. Gr. 12 S. 134—137. 399—401 [N. Abdr. S. 110 ff. 335 ff.]; Weinhold, Mhd. Gr.2 § 172—177 S. 167—174; Paul, Mhd. Gr.8 § 6, 8 S. 10; Wilmanns, D. Gr.21 § 93 S. 118ff. ; Michels 3 § 108 S. 105). An Stelle dieser mhd. Regelung herrscht in unseren Texten schon fast ganz der nhd. Brauch, der nur in geringen Rudimenten, wie voll neben Fülle, vor neben für, Frevel, die alte Scheidung bewahrt. So ist insbesondere in allen drei Handschriften der lautlich begründete Wechsel hof hoves, brief brieves — nach v. Unwerth § 54, 4 und § 70 S. 41. 50 ist gemeinschlesisch hôwě, aber hôf — etymologisch zugunsten des f uniformiert und auch im Anlaut f auf Kosten von v ausgedehnt1. Unsere drei Texte, namentlich P und S, sind über den von Rückert für die schlesischen Literaturdenkmäler des 14. Jahrhunderts belegten altertüm- lichen Gebrauch, der dem v noch inlautend ziemlich Raum gönnt, weit hinausgeschritten. Eigentlich bietet allein P mit dem einmaligen grophen (= mhd. grâven) 26, 5 und Sw mit seinem houegesinde 49, 8 und briue 49, 9 Reste der mhd. Orthographie. Daxu gehört wohl auch die Schreibung w für inlautendes altes f: margrawen 45, 1; Margrawynne 49, 2; Grawen 51, 1. Eine Verschiebung der mhd., auch im Nhd. ausnahmsweise bewahrten Regel (altes f anlautend vor r f, inlautend dagegen v oder u) im Worte “Frevel' xeigt die einmal in P vorkommende Schreibung wrefil 17, 9. Rückert S. 133 f. und Anm. Pietsch S. 185 unten belegt die Schreibungen wrewil, wreuil; vorevil aus schlesischen Urkunden des 14. Jahrhunderts. Doppelschreibung des vorhochdeutschen wie des hochdeutschen f begegnet inlautend und auslautend, nach kurzem wie nach langem Vokal und nach 1 und r; s. unten Abschnitt 7. Uber die Schreibung pph für den Laut ff an Stelle von mhd. pf oder ff in schepphen (= scabinis) P 18, 1 s. Abschnitt 5 dieses Para- graphen. — Uber ph in den mit der Vorsilbe ent- zusammengesetzten 1 Dieselbe graphische Gleichsetzung von f und v und dasselbe Vordringen des f auch in den lat. Stücken (hier freilich mit Vermischung völlig verschiedener Lautwerte!): profidenciis 5, 4 (neben providencijs 10, 8); fectori 5, 7 (neben vectore); fectigal 6, 10 ; fagaci 20, 8; facillante 68, 29; fanis 71, 8; confer- sacionis 71, 11; fapores 72, 10; ferius 72, 17; referencia 75, 13; 77, 6f.; feni- ficus Bl. 119" (ungedruckt). Umgekehrt preuatum 8, 7; preuatorum 73,16 (neben prefatarum 10, 13).
190 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. Im Mhd. galt für das jüngere (d. h. erst durch die sogenannte hochdeutsche Lautverschiebung entstandene) f, also für die Entsprechung des nieder- deutschen p, ferner im Auslaut und in der Verbindung fs und ft nur die Schreibung f, für das alte f hingegen (d. h. für die Entsprechung von niederdeutsch. f) sowohl f als v, letzteres im Inlaut und vor a, o, e, i auch im Silbenanlaut überwiegend, während im Silbenanlaut vor r, 1, u (ü, iu, ou, uo, üe) auch f häufig erscheint, im Auslaut aber Regel ist (s. J. Grimm, D. Gr. 12 S. 134—137. 399—401 [N. Abdr. S. 110 ff. 335 ff.]; Weinhold, Mhd. Gr.2 § 172—177 S. 167—174; Paul, Mhd. Gr.8 § 6, 8 S. 10; Wilmanns, D. Gr.21 § 93 S. 118ff. ; Michels 3 § 108 S. 105). An Stelle dieser mhd. Regelung herrscht in unseren Texten schon fast ganz der nhd. Brauch, der nur in geringen Rudimenten, wie voll neben Fülle, vor neben für, Frevel, die alte Scheidung bewahrt. So ist insbesondere in allen drei Handschriften der lautlich begründete Wechsel hof hoves, brief brieves — nach v. Unwerth § 54, 4 und § 70 S. 41. 50 ist gemeinschlesisch hôwě, aber hôf — etymologisch zugunsten des f uniformiert und auch im Anlaut f auf Kosten von v ausgedehnt1. Unsere drei Texte, namentlich P und S, sind über den von Rückert für die schlesischen Literaturdenkmäler des 14. Jahrhunderts belegten altertüm- lichen Gebrauch, der dem v noch inlautend ziemlich Raum gönnt, weit hinausgeschritten. Eigentlich bietet allein P mit dem einmaligen grophen (= mhd. grâven) 26, 5 und Sw mit seinem houegesinde 49, 8 und briue 49, 9 Reste der mhd. Orthographie. Daxu gehört wohl auch die Schreibung w für inlautendes altes f: margrawen 45, 1; Margrawynne 49, 2; Grawen 51, 1. Eine Verschiebung der mhd., auch im Nhd. ausnahmsweise bewahrten Regel (altes f anlautend vor r f, inlautend dagegen v oder u) im Worte “Frevel' xeigt die einmal in P vorkommende Schreibung wrefil 17, 9. Rückert S. 133 f. und Anm. Pietsch S. 185 unten belegt die Schreibungen wrewil, wreuil; vorevil aus schlesischen Urkunden des 14. Jahrhunderts. Doppelschreibung des vorhochdeutschen wie des hochdeutschen f begegnet inlautend und auslautend, nach kurzem wie nach langem Vokal und nach 1 und r; s. unten Abschnitt 7. Uber die Schreibung pph für den Laut ff an Stelle von mhd. pf oder ff in schepphen (= scabinis) P 18, 1 s. Abschnitt 5 dieses Para- graphen. — Uber ph in den mit der Vorsilbe ent- zusammengesetzten 1 Dieselbe graphische Gleichsetzung von f und v und dasselbe Vordringen des f auch in den lat. Stücken (hier freilich mit Vermischung völlig verschiedener Lautwerte!): profidenciis 5, 4 (neben providencijs 10, 8); fectori 5, 7 (neben vectore); fectigal 6, 10 ; fagaci 20, 8; facillante 68, 29; fanis 71, 8; confer- sacionis 71, 11; fapores 72, 10; ferius 72, 17; referencia 75, 13; 77, 6f.; feni- ficus Bl. 119" (ungedruckt). Umgekehrt preuatum 8, 7; preuatorum 73,16 (neben prefatarum 10, 13).
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I Grundzüge des deutschen Lautstandes. 191 Verben an Stelle der mhd. Assimilation enph- 8. Abschnitt 5 dieses Para- graphen. — Uber die Verwendung von v als Schreibung für b s. den nächsten Abschnitt. 3. Vereinzelt v für b; so in P Czovtin 22a, 1 = czobtn 22b, 1; Veczaw 23a, 8 = beczaw 23b, 9; vesessin 24, 7 und in S vollen = bollen (bullen: lat. bulla) 38, 13. Kein Beleg bei Rückert. 4. p im allgemeinen wie im Mhd.; zuweilen für b (s. oben I), um- gekehrt b für p in ofschob 3, 9 (neben ofschop 5, 7). p als euphonischer Ubergangslaut! in Bysthumps, bischtumps 34, 5; 39, 13f. — Rückert S. 191. 5. Die Schreibung ph ist die durchgehende Vertretung von mhd. pf, ph durchgehend in P pherde 22, 8; S pherden 31, 6; 35, 16; phlichtig 35, 9; phrunde 38, 10. 13. — Ferner entspricht es in der Verbalkom- position mit dem Präfix ent- der mhd. Assimilation des Stammanlauts v oder f zu ph, pf, wobei aber anscheinend das assimilierte t der Vor- silbe ent- restituiert wird, sei es aus etymologischem Trieb, sei es aus euphonischem Bedürfnis: P entphoe 8, 7; 15, 11; S entphangn 32, 13; Sw entphoen 49, 9. Im Inlaut steht die spexifisch schlesische Schreibung pph an Stelle der im Oberdeutschen durch die sogenannte hochdeutsche Lautverschiebung für germanisch niederdeutsches ppj eingetretenen Affrikata pf, die in der gemeindeutschen Orthographië des Mhd. ph und ff geschrieben wird: P schepphen (= scabinis) 18, 1. — Vgl. Rückert S. 180. — Einmal ph auch für mhd. v in grophen 26, 5. 6. w in weitem Umfang für u2 in Diphthongen, z. B. P: tewfers 1, 7 (aber teufers 27, 10; 28, 10); getrawe 1, 9 (neben getrauen 2, 1), newenburg 2, 8 (neben neuenburg 2, 9); bowm 4, 1; ewrim 4, 5 u. ö.; frawn (= gaudere) 28, 6. — S: wenczlaw 36, 1; sonst u in S. — Sw : lawt’ 45, 5; frewden 47, 7; lewte 50, 3. 7. Neue Gemination3 des f in allen drei Handschriften: P: briffczeger 1, 9 u. ö.; bischoffe 8, 9; briffen 10, 5 u. .; off 6, 8 u. ö.; in vns'n dorfferen 27, 6; loffen 28, 5; groffen (= comiti) 29, 2 (neben grofen 30, 1). — S: lenschafft 34, 10; hoff 38, 14; bischoffe (= episcopo) 1 Vgl. die lat. Parallelschreibung solempnitates 6, 6; dampnum 66, 13, während anderseits organisches p fehlt in promtitudine 13, 3 und promcione 65, 2. 2 In den lat. Texten wird w xuweilen für v, vu und u geschrieben: wene- rabili 62, 1 (neben venerabilis 39, 11 u. ö.); wlt 65, 10; wltus 72, 16; pingwis- simas 72, 18; lagworibus 43, 11; exstigwetur 73, 20. 3 Labiale Assimilation in den lat. Stücken nur in supplico 42, 11 neben subplicantes 10, 9; apperientis 58, 17 gegen aparatis = adparatis 63, 8.
I Grundzüge des deutschen Lautstandes. 191 Verben an Stelle der mhd. Assimilation enph- 8. Abschnitt 5 dieses Para- graphen. — Uber die Verwendung von v als Schreibung für b s. den nächsten Abschnitt. 3. Vereinzelt v für b; so in P Czovtin 22a, 1 = czobtn 22b, 1; Veczaw 23a, 8 = beczaw 23b, 9; vesessin 24, 7 und in S vollen = bollen (bullen: lat. bulla) 38, 13. Kein Beleg bei Rückert. 4. p im allgemeinen wie im Mhd.; zuweilen für b (s. oben I), um- gekehrt b für p in ofschob 3, 9 (neben ofschop 5, 7). p als euphonischer Ubergangslaut! in Bysthumps, bischtumps 34, 5; 39, 13f. — Rückert S. 191. 5. Die Schreibung ph ist die durchgehende Vertretung von mhd. pf, ph durchgehend in P pherde 22, 8; S pherden 31, 6; 35, 16; phlichtig 35, 9; phrunde 38, 10. 13. — Ferner entspricht es in der Verbalkom- position mit dem Präfix ent- der mhd. Assimilation des Stammanlauts v oder f zu ph, pf, wobei aber anscheinend das assimilierte t der Vor- silbe ent- restituiert wird, sei es aus etymologischem Trieb, sei es aus euphonischem Bedürfnis: P entphoe 8, 7; 15, 11; S entphangn 32, 13; Sw entphoen 49, 9. Im Inlaut steht die spexifisch schlesische Schreibung pph an Stelle der im Oberdeutschen durch die sogenannte hochdeutsche Lautverschiebung für germanisch niederdeutsches ppj eingetretenen Affrikata pf, die in der gemeindeutschen Orthographië des Mhd. ph und ff geschrieben wird: P schepphen (= scabinis) 18, 1. — Vgl. Rückert S. 180. — Einmal ph auch für mhd. v in grophen 26, 5. 6. w in weitem Umfang für u2 in Diphthongen, z. B. P: tewfers 1, 7 (aber teufers 27, 10; 28, 10); getrawe 1, 9 (neben getrauen 2, 1), newenburg 2, 8 (neben neuenburg 2, 9); bowm 4, 1; ewrim 4, 5 u. ö.; frawn (= gaudere) 28, 6. — S: wenczlaw 36, 1; sonst u in S. — Sw : lawt’ 45, 5; frewden 47, 7; lewte 50, 3. 7. Neue Gemination3 des f in allen drei Handschriften: P: briffczeger 1, 9 u. ö.; bischoffe 8, 9; briffen 10, 5 u. .; off 6, 8 u. ö.; in vns'n dorfferen 27, 6; loffen 28, 5; groffen (= comiti) 29, 2 (neben grofen 30, 1). — S: lenschafft 34, 10; hoff 38, 14; bischoffe (= episcopo) 1 Vgl. die lat. Parallelschreibung solempnitates 6, 6; dampnum 66, 13, während anderseits organisches p fehlt in promtitudine 13, 3 und promcione 65, 2. 2 In den lat. Texten wird w xuweilen für v, vu und u geschrieben: wene- rabili 62, 1 (neben venerabilis 39, 11 u. ö.); wlt 65, 10; wltus 72, 16; pingwis- simas 72, 18; lagworibus 43, 11; exstigwetur 73, 20. 3 Labiale Assimilation in den lat. Stücken nur in supplico 42, 11 neben subplicantes 10, 9; apperientis 58, 17 gegen aparatis = adparatis 63, 8.
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192 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. 39, 1; erzbischoffe (= archiepiscopo) 38, 1; kouffet 41, 11. — Sw: vff 45, 7; hulffe 45, 10; brieffs 48, 6. — Rückert S. 179f. § 16. Dentale. (d, t, s, ss, B, sch, z, cz, czez, zc, scz, tz.) Es finden sich nur geringe Abweichungen von der gemein-mhd. Schrei- bung der Verschlußlaute. 1. In P zeigt sich anlautendes t statt mhd. d (= german. P, d. h. harter Spirans) in dem Wort 'verderben : vorturbin 13, 5; vorterbit 13, 6. Das ist eine von Rückert S. 140 reichlich aus schlesischen Quellen be- legte, aber, wie Weinhold, Mhd. Gr.2 § 198 S. 191 angibt, im Md. ver- breitete Schreibung, deren phonetische Ursache die Angaben v. Unwerths § 61. 66 S. 44. 48 nicht mit Sicherheit aufklären. Das Voraufgehen der Vorsilbe vor- und die dadurch bedingte Stimmlosigkeit der Media mag wohl im Spiel sein. Gleiches gilt von betruckit 29, 6 (mhd. be- drucket, md. bedrücket, von german. Prukkjan). Umgekehrt schreibt S im Auslaut häufig d statt mhd. t (german. d): rad-man 31, 1. 5 (neben rat-man 32, I); stad 32, 4; 43, 10 und stad- recht 31, 4. 5; god 34, 9; auch in nebentoniger Endsilbe: geoffenbard 35, 13; gelutbard 37, 16; had 42, 8. In togund 34, 18 gibt diese Schreibung stammhaftes mhd. d wieder und gleicht nur den Auslaut dem Inlaut an, folgt also einer allgemeinen, seit dem 13. Jahrhundert auch in den mhd. literarischen Handschriften verbreiteten Tendenz. Im übrigen vgl. die von Rückert S. 208 aus schlesischen Literaturdenkmälern und Urkunden des 14. Jahrhunderts beigebrachten Schreibungen stad, sed (= sehet), leytid, werded, had, sted (= steht). — Euphonisches d vor der Vorsatzsilbe er- in P: des alt’s wegin dirkenne 8, 5; habe wir dirfarn 20, 7 und S: synes werkes derczeigen 32, 121. 2. Uber das aus t erweichte d hinter 1 und n vgl. oben § 14, 1. — Uber th s. § 17, 5. 3. Schwund des stammauslautenden t oder d vor folgendem Dental. In der synkopierten Ableitungssilbe -ket vor folgendem mit t an- lautendem zweitem Kompositionsteil: P alle marktage 20, 7. Hier liegt eine assimilatorische Sprechform vor, die, wie Pictsch bei Rückert S. 216 1 Uber Wesen und Verbreilung dieses d vor er- s. Behaghel, Die deutsche Sprache‘ (1916) 233. Mag auch für den Ursprung dieses d vor silbischem r die Stellung nach einem -n der Endung wirksam gewesen sein (vgl. nhd. minder neben ahd. minniro, das mundartliche Dunder neben Donner), so ist doch zu beachten, daß unter den hier vorliegenden Beispielen nur das erste den Vor- schlag nach n-Ausgang xeigt, die beiden andern aber nach -ir und -es, d. h. in Fällen, wo das d als Ubergangslaut der Erleichterung der Aussprache dient, also nicht analogischer Ubertragung, sondern phonetischen Gründen sein Her- vortreten zu verdanken scheint. Die ganxe Frage bedürfte noch umfassender Untersuchung auf Grund reicherer Beobachtung.
192 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. 39, 1; erzbischoffe (= archiepiscopo) 38, 1; kouffet 41, 11. — Sw: vff 45, 7; hulffe 45, 10; brieffs 48, 6. — Rückert S. 179f. § 16. Dentale. (d, t, s, ss, B, sch, z, cz, czez, zc, scz, tz.) Es finden sich nur geringe Abweichungen von der gemein-mhd. Schrei- bung der Verschlußlaute. 1. In P zeigt sich anlautendes t statt mhd. d (= german. P, d. h. harter Spirans) in dem Wort 'verderben : vorturbin 13, 5; vorterbit 13, 6. Das ist eine von Rückert S. 140 reichlich aus schlesischen Quellen be- legte, aber, wie Weinhold, Mhd. Gr.2 § 198 S. 191 angibt, im Md. ver- breitete Schreibung, deren phonetische Ursache die Angaben v. Unwerths § 61. 66 S. 44. 48 nicht mit Sicherheit aufklären. Das Voraufgehen der Vorsilbe vor- und die dadurch bedingte Stimmlosigkeit der Media mag wohl im Spiel sein. Gleiches gilt von betruckit 29, 6 (mhd. be- drucket, md. bedrücket, von german. Prukkjan). Umgekehrt schreibt S im Auslaut häufig d statt mhd. t (german. d): rad-man 31, 1. 5 (neben rat-man 32, I); stad 32, 4; 43, 10 und stad- recht 31, 4. 5; god 34, 9; auch in nebentoniger Endsilbe: geoffenbard 35, 13; gelutbard 37, 16; had 42, 8. In togund 34, 18 gibt diese Schreibung stammhaftes mhd. d wieder und gleicht nur den Auslaut dem Inlaut an, folgt also einer allgemeinen, seit dem 13. Jahrhundert auch in den mhd. literarischen Handschriften verbreiteten Tendenz. Im übrigen vgl. die von Rückert S. 208 aus schlesischen Literaturdenkmälern und Urkunden des 14. Jahrhunderts beigebrachten Schreibungen stad, sed (= sehet), leytid, werded, had, sted (= steht). — Euphonisches d vor der Vorsatzsilbe er- in P: des alt’s wegin dirkenne 8, 5; habe wir dirfarn 20, 7 und S: synes werkes derczeigen 32, 121. 2. Uber das aus t erweichte d hinter 1 und n vgl. oben § 14, 1. — Uber th s. § 17, 5. 3. Schwund des stammauslautenden t oder d vor folgendem Dental. In der synkopierten Ableitungssilbe -ket vor folgendem mit t an- lautendem zweitem Kompositionsteil: P alle marktage 20, 7. Hier liegt eine assimilatorische Sprechform vor, die, wie Pictsch bei Rückert S. 216 1 Uber Wesen und Verbreilung dieses d vor er- s. Behaghel, Die deutsche Sprache‘ (1916) 233. Mag auch für den Ursprung dieses d vor silbischem r die Stellung nach einem -n der Endung wirksam gewesen sein (vgl. nhd. minder neben ahd. minniro, das mundartliche Dunder neben Donner), so ist doch zu beachten, daß unter den hier vorliegenden Beispielen nur das erste den Vor- schlag nach n-Ausgang xeigt, die beiden andern aber nach -ir und -es, d. h. in Fällen, wo das d als Ubergangslaut der Erleichterung der Aussprache dient, also nicht analogischer Ubertragung, sondern phonetischen Gründen sein Her- vortreten zu verdanken scheint. Die ganxe Frage bedürfte noch umfassender Untersuchung auf Grund reicherer Beobachtung.
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I. Grundzüge des deutschen Lautstandes. 193 Anm. richtig hervorhob, in den schlesischen Urkunden regelmäßig erscheint. Doch muß man auch dabei in Rechnung stellen, daß bereits für das Simplex markt (mhd. market) die assimilierte Lautgestalt und Schreibung mark früh und lange im Md. und Bayrischen verbreitet ist und z. B. noch vom jungen Goethe gebraucht wurde (s. Lexer, DWb. VI 1644, 2). — Auch im Partixip Präteriti des schwachen Verbs schwindet der stamm- auslautende Dental unter Synkope des e einmal in P: mete begnot seyn 10, 6 (= begnadet). Verwandte Fälle getrost (= getrostet), geret (= geredet), gestat (= gestatet), verphand (= verphandet) gibt Pietsch bei Rückert S. 195 aus schlesischen Literaturdenkmälern und Urkunden. Unser Beispiel lehrt, daß seine Annahme, bei d-Stämmen trete diese Kürzung nur nach n ein, nicht zutrifft. Es ist aber bemerkenswert, daß diese der natürlichen Sprechweise so geläufige und weit verbreitete Zusammenziehung in unseren drei Texten so überaus selten erscheint. 4. s erscheint in allen drei Handschriften für den mhd. harten Spiranten z in Inlaut und Auslaut. P: grus 1, 3 u. ö.; gros 1, 11; vorheysen 2,7f.; fleysichlich 3, 7; eir list 5, 6; fleyse 17, 10; losin 22, 10; stosin 29, 8. — S: habe wir lasen 31, 10; 33, 8; grosekeyt 35, 12. 14; grus 36, 5; flise 36, 5; grose 36, 9. 11. — Sw: grus 46, 3 u. ö; fleys(e) 46, 5; 47, 5; grose 51, 5; irlosen 51, 10. — Rückert S. 141 f.; Weinhold S. 80; v. Unwerth § 54, 2 S. 41: danach liegt hier eine in alten schlesischen Literaturdenkmälern und im modernen schlesi- schen Dialekt verbreitete Lautbildung und Lautbezeichnung vor. 5. Desgleichen ss für zz P: besserunge 2, 6; vorgessunge 17, 6; vesessin 24, 7; essen 28, 7; vnvordrossen 38, 161. Daneben aber ss auch für einfaches mhd. z, x. B. P: grosse 2, 7; fleysse 5, 4; lossen 10, 9; strosse 17, 8; S: grossern 31, 7; grôsser 31, 8; Sw: lossen 48, 8. — In Sw vertritt ss einmal auch inlautendes weiches mhd. s: hausse 45, 7. Ofter erscheint aber auch die alte mhd. Schreibung z, so P: fleize 28, 7; fleyzeclich 30, 5. — S: allez 32, 10; daz 32, 12 u. ö. Umgekehrt wird z für altes weiches, im Auslaute verhärtetes s geschrieben: P alz, alzo 1, 7. 8; zo 1, 11; 6, 7; 8, 8; 25, 8; zonnenberg 2 26, 11f. 13; zund’ (= sed) 27, 8; zunnenberg 28, 7; dezem diesem’ 29, 7; zunne- bunde 29, 10 (neben sonnebunde 5, 8). — S: dez des' 33, 15; 34, 6; zo 44, 11. — Kein Beleg bei Rückert. Die Unsicherheit in der Aus- sprache der verschiedenen s-Laute und das Zusammenfallen von hartem und weichem s inlautend zwischen Vokalen bekräftigt der Reim quasin : 1 Das dreifache s in wisssenschaft 19, 5 ist wohl nur Schreibfehler oder auch durch Versprechen beim Diktieren infolge antixipierender Assimilation an das folgende sch xu erklären. 2 Dagegen im lat. Formular: in Sunnenberg castro 26, 11, sonst aber auch in Zonnenburg 26, 13 und in Zunnenberg castro 28, 8. Vgl. auch sizaniam 71, 7.
I. Grundzüge des deutschen Lautstandes. 193 Anm. richtig hervorhob, in den schlesischen Urkunden regelmäßig erscheint. Doch muß man auch dabei in Rechnung stellen, daß bereits für das Simplex markt (mhd. market) die assimilierte Lautgestalt und Schreibung mark früh und lange im Md. und Bayrischen verbreitet ist und z. B. noch vom jungen Goethe gebraucht wurde (s. Lexer, DWb. VI 1644, 2). — Auch im Partixip Präteriti des schwachen Verbs schwindet der stamm- auslautende Dental unter Synkope des e einmal in P: mete begnot seyn 10, 6 (= begnadet). Verwandte Fälle getrost (= getrostet), geret (= geredet), gestat (= gestatet), verphand (= verphandet) gibt Pietsch bei Rückert S. 195 aus schlesischen Literaturdenkmälern und Urkunden. Unser Beispiel lehrt, daß seine Annahme, bei d-Stämmen trete diese Kürzung nur nach n ein, nicht zutrifft. Es ist aber bemerkenswert, daß diese der natürlichen Sprechweise so geläufige und weit verbreitete Zusammenziehung in unseren drei Texten so überaus selten erscheint. 4. s erscheint in allen drei Handschriften für den mhd. harten Spiranten z in Inlaut und Auslaut. P: grus 1, 3 u. ö.; gros 1, 11; vorheysen 2,7f.; fleysichlich 3, 7; eir list 5, 6; fleyse 17, 10; losin 22, 10; stosin 29, 8. — S: habe wir lasen 31, 10; 33, 8; grosekeyt 35, 12. 14; grus 36, 5; flise 36, 5; grose 36, 9. 11. — Sw: grus 46, 3 u. ö; fleys(e) 46, 5; 47, 5; grose 51, 5; irlosen 51, 10. — Rückert S. 141 f.; Weinhold S. 80; v. Unwerth § 54, 2 S. 41: danach liegt hier eine in alten schlesischen Literaturdenkmälern und im modernen schlesi- schen Dialekt verbreitete Lautbildung und Lautbezeichnung vor. 5. Desgleichen ss für zz P: besserunge 2, 6; vorgessunge 17, 6; vesessin 24, 7; essen 28, 7; vnvordrossen 38, 161. Daneben aber ss auch für einfaches mhd. z, x. B. P: grosse 2, 7; fleysse 5, 4; lossen 10, 9; strosse 17, 8; S: grossern 31, 7; grôsser 31, 8; Sw: lossen 48, 8. — In Sw vertritt ss einmal auch inlautendes weiches mhd. s: hausse 45, 7. Ofter erscheint aber auch die alte mhd. Schreibung z, so P: fleize 28, 7; fleyzeclich 30, 5. — S: allez 32, 10; daz 32, 12 u. ö. Umgekehrt wird z für altes weiches, im Auslaute verhärtetes s geschrieben: P alz, alzo 1, 7. 8; zo 1, 11; 6, 7; 8, 8; 25, 8; zonnenberg 2 26, 11f. 13; zund’ (= sed) 27, 8; zunnenberg 28, 7; dezem diesem’ 29, 7; zunne- bunde 29, 10 (neben sonnebunde 5, 8). — S: dez des' 33, 15; 34, 6; zo 44, 11. — Kein Beleg bei Rückert. Die Unsicherheit in der Aus- sprache der verschiedenen s-Laute und das Zusammenfallen von hartem und weichem s inlautend zwischen Vokalen bekräftigt der Reim quasin : 1 Das dreifache s in wisssenschaft 19, 5 ist wohl nur Schreibfehler oder auch durch Versprechen beim Diktieren infolge antixipierender Assimilation an das folgende sch xu erklären. 2 Dagegen im lat. Formular: in Sunnenberg castro 26, 11, sonst aber auch in Zonnenburg 26, 13 und in Zunnenberg castro 28, 8. Vgl. auch sizaniam 71, 7.
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194 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. lossin in dem Studentenbrieƒ 74, 4. 6. Dessen Verfasser sprach offenbar das inlautende weiche s scharf und das lange a als ô. S schreibt zu- weilen auch ß für z, z. B. großer 32, 15; laßen 32, 16; vß 42, 13. 6. Die Schreibung cz, inlautend in P auch ezez, gibt die mhd. Affrikata z wieder: P czyhen 1, 7; briffczeger 1, 9 u. ö.; iczlichen 4, 3; iczczung 7, 7; koschaczcze, kofmanschaczcze 10, 8; 17, 7; siczczen 10, 8; 12, 8; czuschin 10, 12; bawholcz 13, 8; schoczczen 22, 9; kunczil 24, 4. — S: důczer 32, 7; beczinßet 33, 7; geczyten 36, 2; erezbischoffe 38, 2. — Sw: brieffczeiger 46, 10; czihn 49, 6. — Rückert S. 149. 7. In P tritt xuweilen cz (scz) auch für sch auf: screybin 1, 10; sczicken 6, 8; kosczaczcze 9, 5; vorscreibn 19, 6. — Belege bei Rückert S. 154: szilde clipeos', szof oves' aus den Psalmen des Peter von Patschkau (1340). 8. Neben ez verwendet P in gleicher Funktion auch die Schreibung ze ; in demselben Brief kommen öfter beide Schreibungen nebeneinander vor: z. B zcu grecz 2, 1; zcu rome zcu czyhen 3, 6; zcu dinste 1, 10; zcu- nemunge 1, 11. Rückert S. 149, 2 Absatz 2 belegt diese Schreibung schon aus des Peter von Patschkau Psalmenübersetzung von 1340. 9. In S begegnet für das gemeinübliche cz in einigen Fällen ausnahms- weise auch die Schreibung tz: tzyt Zeit’ 41, 9; etzliche 41, 10 (mhd. eteslîche); kurtzlichen 41, 11; ertzeigen 43, 20; seletzagit 43, 11. — Nach Rückert S. 150 f. kommt diese Schreibung für altes z in älteren schlesischen Schriften namentlich in der Mitte der Wörter zuweilen vor. 10. sch für altes s im Anlaut und in Verbindung mit t erscheint mehrmals in Fällen, wo teilweise wieder Schreibfehler oder Sprechfehler beim Diktieren und antixipierende Assimilation im Spiele sein kann (s. oben die vorletzte Fußnote); für schirschte ist natürlich auch das der Lautgruppe st vorausgehende r wirksam und für bischtum, das Rückert auch aus schlesischen Urkunden und Literaturdenkmälern des 14. Jahr- hunderts belegt, wird man mit ihm einfach Angleichung an bischof an- zunchmen haben (s. Rückert S. 144). P: schirschte 6, 8 (neben schirste 8, 8); schichh heit 19, 6. — S: myschenischin 34, 5; bischtummes, bischtumps 39, 12. 13f. (neben bisthum 38, 16), während die alten sl-, sn-, sw-Verbindungen im allgemeinen erhalten sind, P: x. B. sweydenicz 6, 5 u. ö.; ned'sloen 28, 9. — S: gesworne 31, 1; 32, 1; snydermeist" 32, 1f.; erslagen 36, 11; swerlich(en) 37, 14; 43, 11. — Sw: ge- slechtis 45, 6. 11. Einmal wird in P ss für sch geschrieben: czwissen 29, 5 (neben czwischn 30, 7). 12. Gemination außer den oben unter 5 aufgeführten Fällen noch in P ritther 10, 8; 26, 5; ditterich 29, 1; 30, 101. 1 Vgl. die parallele Schreibung der lat. Texte: etterne 57, 21; 58, 11; cotti-
194 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. lossin in dem Studentenbrieƒ 74, 4. 6. Dessen Verfasser sprach offenbar das inlautende weiche s scharf und das lange a als ô. S schreibt zu- weilen auch ß für z, z. B. großer 32, 15; laßen 32, 16; vß 42, 13. 6. Die Schreibung cz, inlautend in P auch ezez, gibt die mhd. Affrikata z wieder: P czyhen 1, 7; briffczeger 1, 9 u. ö.; iczlichen 4, 3; iczczung 7, 7; koschaczcze, kofmanschaczcze 10, 8; 17, 7; siczczen 10, 8; 12, 8; czuschin 10, 12; bawholcz 13, 8; schoczczen 22, 9; kunczil 24, 4. — S: důczer 32, 7; beczinßet 33, 7; geczyten 36, 2; erezbischoffe 38, 2. — Sw: brieffczeiger 46, 10; czihn 49, 6. — Rückert S. 149. 7. In P tritt xuweilen cz (scz) auch für sch auf: screybin 1, 10; sczicken 6, 8; kosczaczcze 9, 5; vorscreibn 19, 6. — Belege bei Rückert S. 154: szilde clipeos', szof oves' aus den Psalmen des Peter von Patschkau (1340). 8. Neben ez verwendet P in gleicher Funktion auch die Schreibung ze ; in demselben Brief kommen öfter beide Schreibungen nebeneinander vor: z. B zcu grecz 2, 1; zcu rome zcu czyhen 3, 6; zcu dinste 1, 10; zcu- nemunge 1, 11. Rückert S. 149, 2 Absatz 2 belegt diese Schreibung schon aus des Peter von Patschkau Psalmenübersetzung von 1340. 9. In S begegnet für das gemeinübliche cz in einigen Fällen ausnahms- weise auch die Schreibung tz: tzyt Zeit’ 41, 9; etzliche 41, 10 (mhd. eteslîche); kurtzlichen 41, 11; ertzeigen 43, 20; seletzagit 43, 11. — Nach Rückert S. 150 f. kommt diese Schreibung für altes z in älteren schlesischen Schriften namentlich in der Mitte der Wörter zuweilen vor. 10. sch für altes s im Anlaut und in Verbindung mit t erscheint mehrmals in Fällen, wo teilweise wieder Schreibfehler oder Sprechfehler beim Diktieren und antixipierende Assimilation im Spiele sein kann (s. oben die vorletzte Fußnote); für schirschte ist natürlich auch das der Lautgruppe st vorausgehende r wirksam und für bischtum, das Rückert auch aus schlesischen Urkunden und Literaturdenkmälern des 14. Jahr- hunderts belegt, wird man mit ihm einfach Angleichung an bischof an- zunchmen haben (s. Rückert S. 144). P: schirschte 6, 8 (neben schirste 8, 8); schichh heit 19, 6. — S: myschenischin 34, 5; bischtummes, bischtumps 39, 12. 13f. (neben bisthum 38, 16), während die alten sl-, sn-, sw-Verbindungen im allgemeinen erhalten sind, P: x. B. sweydenicz 6, 5 u. ö.; ned'sloen 28, 9. — S: gesworne 31, 1; 32, 1; snydermeist" 32, 1f.; erslagen 36, 11; swerlich(en) 37, 14; 43, 11. — Sw: ge- slechtis 45, 6. 11. Einmal wird in P ss für sch geschrieben: czwissen 29, 5 (neben czwischn 30, 7). 12. Gemination außer den oben unter 5 aufgeführten Fällen noch in P ritther 10, 8; 26, 5; ditterich 29, 1; 30, 101. 1 Vgl. die parallele Schreibung der lat. Texte: etterne 57, 21; 58, 11; cotti-
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I. Grundzüge des deutschen Lautstandes. 195 § 17. Gutturale (g, k, ch, h). 1. g für mhd. k (c): selten im Inlaut in Konsonantenverbindungen wie Jormargte 5, 5 (neben Jormarkte 9, 6), dagegen häufig im Auslaut, z. B. berg 1, 1; tag 1, 6; mag 1, 8; 8, 8; schog 6, 4; marg 30, 7; werg 33, 13; ledeg 34, 14. Vgl. die echt schlesischen Formen und Schreibungen starg, werg opus', volg, marg aus literarischen und urkund- lichen Quellen des 14. Jahrhunderts bei Rückert S. 208. — Daneben in P wek 27, 7. — g für j in gegerdorff 83, 15 (neben iegersdorff 84, 1)1. — Als nur in Spuren aus der älteren Zeit nachweisbar und auch im heutigen Schlesisch wenig verbreitet belegt diesen Ubergang Rückert S. 156 in den Schreibungen gener, gehen für mhd. jehen, giht, gerlich quotannis': also stets vor e oder i. g für das durch Ver- bindung mit n zu d erweichte t (vgl. oben § 14, 1) in dem seltsamen iczczung 7, 7 (also nt nd » ng). 2. k für g im Anlaut durchweg bei kegin 4, 5 u. ö.; keginwertign 32, 6; kein (= contra) 33, 17; kegen 34, 18; 49, 9; keynwertikeyt 35, 16; 43, 18; keynw’tigen 35, 19 u. ö. Eine in schlesischen Quellen bis auf die neue Zeit sehr häufige Schreibung und Lautgestalt, aber auch im sonstigen Mitteldeutschen und auch im Oberdeutschen beliebt (Weinhold, Mhd. Gr.2 § 229 S. 229, Rückert S. 159f.). Rückert denkt an Einfluß des ebenso häufigen enkegen, das man irrig als entgegen verstand, schrieb, aussprach (als Assimilation von ent-gegen), während en-gegen zugrunde liegt. k und c wechseln in der Schreibung beliebig, vgl. z. B. knechte 1, 1; volkummelich 6, 9; kofmanschaczcze 17, 7 neben clugen 3, 1 u. ö.; clar 6, 5; steteclich 8, 8; conrad 24, 1; clegelich geclagit 17, 5; czum cadan (Stadt Kaaden) 17, 18. 3. Ausstoßung von ge in ciner Ableitungssilbe xeigt das einmal von P gebrauchte morne 28, 7 (mhd. morgene), eine durch Synkope verkürzte Dativform, sicherlich der familiären Alltagssprache entnommen. Belege für die Kürzung bei Lexer, DWb. VI 2588. 4. ch im allgemeinen wie im Mhd.; nur ist es in P durch Assi- milation in einigen Füllen geschwunden, so nesten (= nechsten) 1, 6 u.ö.; nogeborn 12, 2 (neben nocgeborn 12, 5 und nochgeborn 11, 5); durch- leutirster 22, 3; 26, 8. Einmal ch für mhd. c: fleysichlich 3, 7. Für mhd. w: geruchet P 5, 7; 17, 12; Sw 50, 8. 5. h im allgemeinen in der Funktion des mhd. h und noch nicht (wie seit dem 14. Jahrhundert) als Dehnungszeichen2 verwendet. Sehr dianis 80, 8; umgekehrt quatuor 18, 6; auch adicere = addicere 68, 7. 21. Ferner laudissonis 68, 8, aber indisolubilium 55, 3 La.; asumpta 73, 2 La. 1 Vgl. daxu im lat. Text gorgii (= jurgii) 71, 6. 2 Auch in Fällen wie ohme 7, 4; sehn 9, 8; czihn ist das h natürlich historisch.
I. Grundzüge des deutschen Lautstandes. 195 § 17. Gutturale (g, k, ch, h). 1. g für mhd. k (c): selten im Inlaut in Konsonantenverbindungen wie Jormargte 5, 5 (neben Jormarkte 9, 6), dagegen häufig im Auslaut, z. B. berg 1, 1; tag 1, 6; mag 1, 8; 8, 8; schog 6, 4; marg 30, 7; werg 33, 13; ledeg 34, 14. Vgl. die echt schlesischen Formen und Schreibungen starg, werg opus', volg, marg aus literarischen und urkund- lichen Quellen des 14. Jahrhunderts bei Rückert S. 208. — Daneben in P wek 27, 7. — g für j in gegerdorff 83, 15 (neben iegersdorff 84, 1)1. — Als nur in Spuren aus der älteren Zeit nachweisbar und auch im heutigen Schlesisch wenig verbreitet belegt diesen Ubergang Rückert S. 156 in den Schreibungen gener, gehen für mhd. jehen, giht, gerlich quotannis': also stets vor e oder i. g für das durch Ver- bindung mit n zu d erweichte t (vgl. oben § 14, 1) in dem seltsamen iczczung 7, 7 (also nt nd » ng). 2. k für g im Anlaut durchweg bei kegin 4, 5 u. ö.; keginwertign 32, 6; kein (= contra) 33, 17; kegen 34, 18; 49, 9; keynwertikeyt 35, 16; 43, 18; keynw’tigen 35, 19 u. ö. Eine in schlesischen Quellen bis auf die neue Zeit sehr häufige Schreibung und Lautgestalt, aber auch im sonstigen Mitteldeutschen und auch im Oberdeutschen beliebt (Weinhold, Mhd. Gr.2 § 229 S. 229, Rückert S. 159f.). Rückert denkt an Einfluß des ebenso häufigen enkegen, das man irrig als entgegen verstand, schrieb, aussprach (als Assimilation von ent-gegen), während en-gegen zugrunde liegt. k und c wechseln in der Schreibung beliebig, vgl. z. B. knechte 1, 1; volkummelich 6, 9; kofmanschaczcze 17, 7 neben clugen 3, 1 u. ö.; clar 6, 5; steteclich 8, 8; conrad 24, 1; clegelich geclagit 17, 5; czum cadan (Stadt Kaaden) 17, 18. 3. Ausstoßung von ge in ciner Ableitungssilbe xeigt das einmal von P gebrauchte morne 28, 7 (mhd. morgene), eine durch Synkope verkürzte Dativform, sicherlich der familiären Alltagssprache entnommen. Belege für die Kürzung bei Lexer, DWb. VI 2588. 4. ch im allgemeinen wie im Mhd.; nur ist es in P durch Assi- milation in einigen Füllen geschwunden, so nesten (= nechsten) 1, 6 u.ö.; nogeborn 12, 2 (neben nocgeborn 12, 5 und nochgeborn 11, 5); durch- leutirster 22, 3; 26, 8. Einmal ch für mhd. c: fleysichlich 3, 7. Für mhd. w: geruchet P 5, 7; 17, 12; Sw 50, 8. 5. h im allgemeinen in der Funktion des mhd. h und noch nicht (wie seit dem 14. Jahrhundert) als Dehnungszeichen2 verwendet. Sehr dianis 80, 8; umgekehrt quatuor 18, 6; auch adicere = addicere 68, 7. 21. Ferner laudissonis 68, 8, aber indisolubilium 55, 3 La.; asumpta 73, 2 La. 1 Vgl. daxu im lat. Text gorgii (= jurgii) 71, 6. 2 Auch in Fällen wie ohme 7, 4; sehn 9, 8; czihn ist das h natürlich historisch.
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196 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. gebräuchlich hingegen in der Schreibung th, vgl. P methefaste 5, 5; bethe 7, 8; leuthirlich 7, 9f.; bitthe 9, 7; lauthe 10, 5 (neben laute 10, 13) ; leuthe 10, 7 ; reythn 25, 6 (neben reytn 25, 8); rathen 30, 4. — S guth(en) 32, 8. 10. 11; bethn wir 31, 4; muthe 33, 10; bethe 34, 15; thun 36, 8; 37, 11; bisthum 38, 16; thumhern 43, 1. 9. — Sw: geth 48, 9. — Einmal steht h für w: geruhlichn 44, 10f (Rückert S. 166f.). Unorganisches h, das zuweilen vor den Anlaut vokalisch beginnen- der Worte tritt, begegnet in her (= er) 16, 5; 32, 12; herbh’re 24, 11; 25, 1. 11 (neben erbhern 24, 1), vgl. Rückert S. 166. Umgekehrt wird anlautendes h unterdrückt in her (= dominus), s0 S: Ern 33, 1; h'n, er(e)n 34, 1; 35, 1; 37, 1; 39, 1; er 40, 9. Da- neben die Formen mit h 1 (Rückert S. 166 Anm.). 6. Gutturale Gemination verhältnismäßig selten2: czenckentin 12, 7 (Rückert S. 184); schichherheit 19, 6; stocchunge 37, 13; schacke 42, 9. II. Uber Syntax und Stil. Von Gustav Bebermeyer. A. Allgemeines. § 18. Für die Erkenntnis des Ursprungs, Wandels und Wesens der neu- hochdeutschen Schriftsprache ist, wie zuerst Burdach wiederholt nach- drücklich ausgesprochen hat, das Studium der Syntax und Stilistik er- giebiger als die Betrachtung der rein lautlichen Proxesse. Denn erst nach Aufhellung der syntaktischen und stilistischen Geheimgänge vermag man vorzudringen bis zu der Zentrale, von der aus die gelehrte lateinische Bildung in mächtigem Antrieb ihre mannigfachen Einwirkungen aus- strahlte auf die werdende deutsche Gemeinsprache. Diese ist ein Kunst- produkt, geformt von berufsmäßig Schreibenden in den königlichen, fürst- lichen und städtischen Kanzleien des östlichen Mitteldeutschlands nach lateinischen Vorbildern, wie es neben dem Betrieb der Hochscholastik und 1 Vgl. daxu wieder folgende Parallelschreibungen des lateinischen Tertes: prohemii 53, 4; habundanter 29, 6; 54, 7; perhenniter 68,28 gegen ebdomi- darum 35, 17; ortulo 52, 7. 13; exibuit 65, 10; exibicionem 57, 4; exibere 78, 11; abilis 8, 5; inabilem 70, I1 (neben habilitatem 68, 19); exortor Bl. 119 (ungedruckt). 2 Man darf daxu aus dem lateinischen Text wohl einaelne graphische Parallelen, wenn auch von anderem Lautwerte, heranziehen: nunccio 4, 4; 35,20; 42, 11; 53, 18; umgekehrt dilecionem 50, 7 La. und die wohl auf Tonentzie- hung der ersten Silbe beruhende Schreibung agregare 15, 13.
196 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. gebräuchlich hingegen in der Schreibung th, vgl. P methefaste 5, 5; bethe 7, 8; leuthirlich 7, 9f.; bitthe 9, 7; lauthe 10, 5 (neben laute 10, 13) ; leuthe 10, 7 ; reythn 25, 6 (neben reytn 25, 8); rathen 30, 4. — S guth(en) 32, 8. 10. 11; bethn wir 31, 4; muthe 33, 10; bethe 34, 15; thun 36, 8; 37, 11; bisthum 38, 16; thumhern 43, 1. 9. — Sw: geth 48, 9. — Einmal steht h für w: geruhlichn 44, 10f (Rückert S. 166f.). Unorganisches h, das zuweilen vor den Anlaut vokalisch beginnen- der Worte tritt, begegnet in her (= er) 16, 5; 32, 12; herbh’re 24, 11; 25, 1. 11 (neben erbhern 24, 1), vgl. Rückert S. 166. Umgekehrt wird anlautendes h unterdrückt in her (= dominus), s0 S: Ern 33, 1; h'n, er(e)n 34, 1; 35, 1; 37, 1; 39, 1; er 40, 9. Da- neben die Formen mit h 1 (Rückert S. 166 Anm.). 6. Gutturale Gemination verhältnismäßig selten2: czenckentin 12, 7 (Rückert S. 184); schichherheit 19, 6; stocchunge 37, 13; schacke 42, 9. II. Uber Syntax und Stil. Von Gustav Bebermeyer. A. Allgemeines. § 18. Für die Erkenntnis des Ursprungs, Wandels und Wesens der neu- hochdeutschen Schriftsprache ist, wie zuerst Burdach wiederholt nach- drücklich ausgesprochen hat, das Studium der Syntax und Stilistik er- giebiger als die Betrachtung der rein lautlichen Proxesse. Denn erst nach Aufhellung der syntaktischen und stilistischen Geheimgänge vermag man vorzudringen bis zu der Zentrale, von der aus die gelehrte lateinische Bildung in mächtigem Antrieb ihre mannigfachen Einwirkungen aus- strahlte auf die werdende deutsche Gemeinsprache. Diese ist ein Kunst- produkt, geformt von berufsmäßig Schreibenden in den königlichen, fürst- lichen und städtischen Kanzleien des östlichen Mitteldeutschlands nach lateinischen Vorbildern, wie es neben dem Betrieb der Hochscholastik und 1 Vgl. daxu wieder folgende Parallelschreibungen des lateinischen Tertes: prohemii 53, 4; habundanter 29, 6; 54, 7; perhenniter 68,28 gegen ebdomi- darum 35, 17; ortulo 52, 7. 13; exibuit 65, 10; exibicionem 57, 4; exibere 78, 11; abilis 8, 5; inabilem 70, I1 (neben habilitatem 68, 19); exortor Bl. 119 (ungedruckt). 2 Man darf daxu aus dem lateinischen Text wohl einaelne graphische Parallelen, wenn auch von anderem Lautwerte, heranziehen: nunccio 4, 4; 35,20; 42, 11; 53, 18; umgekehrt dilecionem 50, 7 La. und die wohl auf Tonentzie- hung der ersten Silbe beruhende Schreibung agregare 15, 13.
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I. Grundzüge des deutschen Lautstandes. 197 Homiletik der aufstrebende junge Humanismus, die rhetorische und Epistolartechnik sowie die gesteigerte Anwendung des schriftlichen Ver- fahrens im Rechts- und Geschäftsverkehr in den neuen Beamtenstaaten ausgeprägt hatten. Mitten hinein in diesen Werdegang, der etwa die Spanne eines Jahr- hunderts von 1350 bis 1450 ausfüllt, führen die hier vorgelegten doppel- sprachigen Briefformulare. Das in ihnen so sichtbare eifrige Bestreben, den deutschen Text nach Inhalt und Form dem lateinischen Vorbilde peinlichst anzupassen, stempelt sie zu schätzbaren Zeugnissen einer verhängnisvollen Bewegung, in deren Verlauf das lateinische Stil- und Sprachideal für die deutsche Schriftsprache unbedingt Geltung gewinnt. Der frühe böhmische Humanismus, der sich an die deutschen Schriften des sprachgewandten Kanzlers Johann von Neumarkt und seiner weithin wirkenden Schule anschloß, bewahrt eine freie, selbständige Haltung in der Nachbildung lateinischer Vorlagen, kennt noch nicht das Dogma von der absoluten Norm der Antike und opfert nicht die heimische Wesens- und Denkart dem fremden Kunst- und Stilideal. Diesem Kreise ver- danken wir das einxige wirkliche Kunstwerk in deutscher Sprache, das das Zeitalter der Renaissance und Reformation hervorgebracht hat, den Prosadialog des Ackermann’. Wir erleben darin das Wunder, daß das Genie des schöpferischen Bildners die junge deutsche Prosa gleich auf einen Gipfel der künstlerischen Vollendung hebt, wie er auf länger als ein Jahrhundert nicht wieder erreicht wurde. Anders die xweite Welle des deutschen Humanismus, die ein halbes Jahrhundert später, etwa um 1450, im Südwesten mit den Ubersetzungen Heinrich Steinhövels, Albrechts von Eyb und des Niclas von Wyle ein- setzt. Auf diesem Boden gedeiht die Pflanze des heimatlichen, über- lieferten Kunst- und Sprachideals nicht mehr, das zur unbedingten Herr- schaft gelangte antike. Vorbild hat ihr Licht und Luft xum Leben geraubt 1. 1 Vgl. hierzu Burdach, Uber den Ursprung des Humanismus, Deutsche Rundschau, April 1914, S. 76 ff. 81f. (= Reformation, Renaissance, Humanismus, Berlin, Gebr. Paetel, 1918, S. 189ff., 198f.) und Deutsche Renaissance, Berlin, Mittler & Sohn, 1916, S. 40 ff. 47ff., 2. vermehrte Aufl. 1918, S. 34 ff. 39f., 3. Abdr. 1920, S. 34 ff. 39f. [Mit dieser hohen Bewertung des Ackermann- dialogs innerhalb der Geschichte der deutschen literarischen Schriftsprache soll natürlich nicht die Tatsache bestritten werden, daß es auch sonst vor Luther, im 15. Jahrhundert, neben dem toten Amtsstil noch immer eine lebendige, echte und wurzelstarke deutsche Prosa gegeben hat, die auch von den Gebildeten ge- pflegt wurde' (Karl Demeter, Studien zur Kurmainxer Kanzleisprache, Archiv f. hessische Geschichte, N. F. 12. Bd. (1919), S. 489. 540 ff.). Das Schreiben des Doktors und Ritters Olto Spiegel, Kanxlers, Vertrauensmanns und Prinzenbegleiters der Herxöge Ernst und Albrecht von Sachsen, aus dem Jahre
I. Grundzüge des deutschen Lautstandes. 197 Homiletik der aufstrebende junge Humanismus, die rhetorische und Epistolartechnik sowie die gesteigerte Anwendung des schriftlichen Ver- fahrens im Rechts- und Geschäftsverkehr in den neuen Beamtenstaaten ausgeprägt hatten. Mitten hinein in diesen Werdegang, der etwa die Spanne eines Jahr- hunderts von 1350 bis 1450 ausfüllt, führen die hier vorgelegten doppel- sprachigen Briefformulare. Das in ihnen so sichtbare eifrige Bestreben, den deutschen Text nach Inhalt und Form dem lateinischen Vorbilde peinlichst anzupassen, stempelt sie zu schätzbaren Zeugnissen einer verhängnisvollen Bewegung, in deren Verlauf das lateinische Stil- und Sprachideal für die deutsche Schriftsprache unbedingt Geltung gewinnt. Der frühe böhmische Humanismus, der sich an die deutschen Schriften des sprachgewandten Kanzlers Johann von Neumarkt und seiner weithin wirkenden Schule anschloß, bewahrt eine freie, selbständige Haltung in der Nachbildung lateinischer Vorlagen, kennt noch nicht das Dogma von der absoluten Norm der Antike und opfert nicht die heimische Wesens- und Denkart dem fremden Kunst- und Stilideal. Diesem Kreise ver- danken wir das einxige wirkliche Kunstwerk in deutscher Sprache, das das Zeitalter der Renaissance und Reformation hervorgebracht hat, den Prosadialog des Ackermann’. Wir erleben darin das Wunder, daß das Genie des schöpferischen Bildners die junge deutsche Prosa gleich auf einen Gipfel der künstlerischen Vollendung hebt, wie er auf länger als ein Jahrhundert nicht wieder erreicht wurde. Anders die xweite Welle des deutschen Humanismus, die ein halbes Jahrhundert später, etwa um 1450, im Südwesten mit den Ubersetzungen Heinrich Steinhövels, Albrechts von Eyb und des Niclas von Wyle ein- setzt. Auf diesem Boden gedeiht die Pflanze des heimatlichen, über- lieferten Kunst- und Sprachideals nicht mehr, das zur unbedingten Herr- schaft gelangte antike. Vorbild hat ihr Licht und Luft xum Leben geraubt 1. 1 Vgl. hierzu Burdach, Uber den Ursprung des Humanismus, Deutsche Rundschau, April 1914, S. 76 ff. 81f. (= Reformation, Renaissance, Humanismus, Berlin, Gebr. Paetel, 1918, S. 189ff., 198f.) und Deutsche Renaissance, Berlin, Mittler & Sohn, 1916, S. 40 ff. 47ff., 2. vermehrte Aufl. 1918, S. 34 ff. 39f., 3. Abdr. 1920, S. 34 ff. 39f. [Mit dieser hohen Bewertung des Ackermann- dialogs innerhalb der Geschichte der deutschen literarischen Schriftsprache soll natürlich nicht die Tatsache bestritten werden, daß es auch sonst vor Luther, im 15. Jahrhundert, neben dem toten Amtsstil noch immer eine lebendige, echte und wurzelstarke deutsche Prosa gegeben hat, die auch von den Gebildeten ge- pflegt wurde' (Karl Demeter, Studien zur Kurmainxer Kanzleisprache, Archiv f. hessische Geschichte, N. F. 12. Bd. (1919), S. 489. 540 ff.). Das Schreiben des Doktors und Ritters Olto Spiegel, Kanxlers, Vertrauensmanns und Prinzenbegleiters der Herxöge Ernst und Albrecht von Sachsen, aus dem Jahre
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198 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. In jenen Proxeß der sich vorbereitenden Vergewaltigung der deutschen Prosa in Syntax und Stil durch das lateinische Muster eröffnen die unten abgedruckten zweisprachigen Texte einen lehrreichen Einblick. Aus dem heißen Bemühn, nirgends gegen die lateinische Norm zu verstoßen, entstehn schwerfällige, unübersichtliche Perioden, unmögliche Partizipial- konstruktionen, undeutsche Nachbildungen des Accusativus cum infini- tivo u. ä. B. Zur Syntax. § 19. Namentlich im syntaktischen Satzgefüge verleitet die strenge Nach- ahmung des lateinischen Vorbildes zu undeutschen Bildungen. So werden überlange lateinische Perioden nachgebildet, die im Deut- schen unübersichtlich und schwerfällig sind: x. B. in Nr. 12. 26. 28. 33 1480, das Demeter als Stütze für seine Bewunderung der ungekünstelten Graxie und Leichtigkeit’ in den Briefen jenes Mannes abdruckt, wäre noch wirkungs- voller in moderner Interpunktion, und wenn ihm die abscheulichen orthographi- schen Unarten (Doppelschreibungen wie vnnde, synntt; wan, voel für von, wol) fehlen würden. Immerhin ist es bedeutsam, daß gerade ein der sächsischen Kanxlei angehöriger Hofbeamter so frei und gewandt deutsche Briefe zu schreiben verstand. Aber die hier sich bewährende Fähigkeit, Tatsachen und Vorgänge schlicht und lebhaft zu erzählen, ist wohl überhaupt niemals aus- gestorben. Von da bis xur künstlerischen Gestaltung der deutschen Prosa in einem Dichterwerk von der Höhe des Ackermanndialogs ist es jedoch ein weiter Weg. Als dann endlich in Luthers Neuem Testament’, vor allem aber in seinem Psalter' die deutsche Prosa aus derselben Wurzel, der an der böhmi- schen Kanzleisprache genährten ostmitteldeutschen Gemeinsprache, xu selb- wachsener Kraft und Größe, Beweglichkeit und Fülle wundervoll reifte, da geschah das nicht mehr im Bereich der literarisch-künstlerischen Freiheit, nicht im Umkreis jener menschlichen Wiedergeburt, die der Humanismus und die Renaissance erstrebten und die der Dichter des Ackermann' in seinem Klage- und Trostgespräch über den Tod mit glühender Seele ahnte. Es geschah vielmehr im Dienst der Reformation der Kirche. Fortan gab es in Deutsch- land eine neue, eine nationale Kirchensprache. Aber dieses Kirchendeutsch, das sich an die Stelle des alten Kirchenlateins setxte, galt der fortschreitenden literarischen sprachlichen Entwicklung auf die Dauer nicht als taugliches Ge- fäß. Sobald mit dem Ende des 16. Jahrhunderts, stärker und schärfer seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts der Humanismus in deutscher Sprache eine Literatur nach dem Muster der Renaissanceliteraturen Frankreichs und Hollands, Spaniens und Italiens xu schaffen anhub, trat die Lutherische Kirchensprache für das schriftsprachliche Bewußtsein langsam als rückständig in den Hinter- grund. Erst Bodmer und Breitinger, Klopstock und die Geniexeit führten eine Wiederentdeckung des Lutherischen Deutsch herbei und benutzten es nicht als Kanon der Sprachform, wohl aber als Quelle der sprachlichen Verjüngung (vgl. Einführung in das Gesamtwerk, V. Mittelalt. x. Reform. III, 2, S. IX ff.). Bch.]
198 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. In jenen Proxeß der sich vorbereitenden Vergewaltigung der deutschen Prosa in Syntax und Stil durch das lateinische Muster eröffnen die unten abgedruckten zweisprachigen Texte einen lehrreichen Einblick. Aus dem heißen Bemühn, nirgends gegen die lateinische Norm zu verstoßen, entstehn schwerfällige, unübersichtliche Perioden, unmögliche Partizipial- konstruktionen, undeutsche Nachbildungen des Accusativus cum infini- tivo u. ä. B. Zur Syntax. § 19. Namentlich im syntaktischen Satzgefüge verleitet die strenge Nach- ahmung des lateinischen Vorbildes zu undeutschen Bildungen. So werden überlange lateinische Perioden nachgebildet, die im Deut- schen unübersichtlich und schwerfällig sind: x. B. in Nr. 12. 26. 28. 33 1480, das Demeter als Stütze für seine Bewunderung der ungekünstelten Graxie und Leichtigkeit’ in den Briefen jenes Mannes abdruckt, wäre noch wirkungs- voller in moderner Interpunktion, und wenn ihm die abscheulichen orthographi- schen Unarten (Doppelschreibungen wie vnnde, synntt; wan, voel für von, wol) fehlen würden. Immerhin ist es bedeutsam, daß gerade ein der sächsischen Kanxlei angehöriger Hofbeamter so frei und gewandt deutsche Briefe zu schreiben verstand. Aber die hier sich bewährende Fähigkeit, Tatsachen und Vorgänge schlicht und lebhaft zu erzählen, ist wohl überhaupt niemals aus- gestorben. Von da bis xur künstlerischen Gestaltung der deutschen Prosa in einem Dichterwerk von der Höhe des Ackermanndialogs ist es jedoch ein weiter Weg. Als dann endlich in Luthers Neuem Testament’, vor allem aber in seinem Psalter' die deutsche Prosa aus derselben Wurzel, der an der böhmi- schen Kanzleisprache genährten ostmitteldeutschen Gemeinsprache, xu selb- wachsener Kraft und Größe, Beweglichkeit und Fülle wundervoll reifte, da geschah das nicht mehr im Bereich der literarisch-künstlerischen Freiheit, nicht im Umkreis jener menschlichen Wiedergeburt, die der Humanismus und die Renaissance erstrebten und die der Dichter des Ackermann' in seinem Klage- und Trostgespräch über den Tod mit glühender Seele ahnte. Es geschah vielmehr im Dienst der Reformation der Kirche. Fortan gab es in Deutsch- land eine neue, eine nationale Kirchensprache. Aber dieses Kirchendeutsch, das sich an die Stelle des alten Kirchenlateins setxte, galt der fortschreitenden literarischen sprachlichen Entwicklung auf die Dauer nicht als taugliches Ge- fäß. Sobald mit dem Ende des 16. Jahrhunderts, stärker und schärfer seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts der Humanismus in deutscher Sprache eine Literatur nach dem Muster der Renaissanceliteraturen Frankreichs und Hollands, Spaniens und Italiens xu schaffen anhub, trat die Lutherische Kirchensprache für das schriftsprachliche Bewußtsein langsam als rückständig in den Hinter- grund. Erst Bodmer und Breitinger, Klopstock und die Geniexeit führten eine Wiederentdeckung des Lutherischen Deutsch herbei und benutzten es nicht als Kanon der Sprachform, wohl aber als Quelle der sprachlichen Verjüngung (vgl. Einführung in das Gesamtwerk, V. Mittelalt. x. Reform. III, 2, S. IX ff.). Bch.]
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II. Uber Syntax und Stil. 199 und 34. Zuweilen werden sogar gegen den lateinischen Text solche Perioden neu eingeführt, so in Nr. 42b, indes wird umgekehrt manchmal doch die lateinische Periode in deutsche Hauptsätze aufgelöst, so in Nr. 14. 49 und 50. § 20. Ebenso werden lateinische Akkusativ m. Inf.-, Partizipial- und Gerundivkonstruktionen nachgeahmt. 1. Akkus. m. Inf.: 20°, 7f. den habe wir dirfarn alle marktage czu euch vmme lofin; 26b, 10f. wir euch dabey czu seyn von gancem herczen begeren; 31°, 4 ff. beth€ wir ... den selbn ... gnediklichn werden gefurdert. Daneben richtige Auflösung des lat. Acc. c. inf. in Nr. 15, 5 ff.; 19b, 5 ff.; 455, 4 ff. 2. Partizipialkonstruktionen: 11b, 6 brife gesant vnd' seyme Inge vorsegelt; 16°, 6 den nestin czukomenden (= proxime venturum); 39°, 12 ff. vorsegilte brife ... wal obir prebenden mynes bischtumps . . . besteteget; ähnlich 43b, 12 f. Meist jedoch wird die lat. Partixipial- konstruktion aufgelöst, so durch einen Hauptsatz: 4b, 5f.; 6b, 4f.; 15b, 5f.; 175, 8f.; 195, 7f.; 285, 9; 345, 10f.; 345, 15; 376, 17; 49b, 7. Oder durch einen Nebensatz: 10, 12 prefixo; 17, 8 pergentes; 17, 14 audito negocio; 21, 5 f. inclusum; 24, 4 defuncti; 41, 12 repor- tatis; 42, 9 satis faciens; 42, 12 traditam; 45, 9 gliscentes. Oder durch ein Substantiv mit Präposition: 11, 8 uisis presentibus noch angesichte dis briffes; 17, 11f. dilacione deposita an seumnisse; 20, 6 cicatricem habentem notabilem mit eyn’ merklich' narbe. 3. Gerundivkonstruktionen nachgebildet: 4, 3f. pro 22 grossis taxando vor czwe vnd zcweynczig groschen czu achten; 16, 6 f. ad istas ad videndum inter nos vivendi modum partes czu besehen seten des landes; 39, 17 beneficio ... subueniendo & mit de lehn zcu hulfe komen (= komend); 43, 17 eandem tenendo canonicam dy selben thummereye uf halden (= haldend); 50, 7f. seriose hortando ernstlich manende. Aufgelöst 3, 10; 35, 20; 41, 14 transmittendo; 6, 7 celebrandarum; 16, 10 ad deliberandum; 20, 11 vinciendo; 36, 17 consenciendo; 38, 16 acquiescendo; 46, 10 comendando. — Bemerkens- wert ist die Verwendung des Imperativs in der Funktion eines der lat. Gerundivkonstruktion entsprechenden Bedingungssatzes, woran sich der Hauptsatz anschließt in der Rolle des heutigen durch Inversion ge- kennzeichneten Nachsatzes, vgl. 36b, 17 mit Anm. und 385, 15. Diese inversive Nachsatzfolge ist sonst noch wenig in Brauch; 51, 5 ff. begegnet sie in Vertretung des lat. Relativsatzes: quos . . . corrigere nolebamus vnde wir sy . .. nicht wolden strofen. 4. Geschickt wird der lat. Ablativus absolutus aufgelöst, vgl. 9, 6 deo dante mit gotis holfe; 42, 13 deo teste € gote czu geczuge.
II. Uber Syntax und Stil. 199 und 34. Zuweilen werden sogar gegen den lateinischen Text solche Perioden neu eingeführt, so in Nr. 42b, indes wird umgekehrt manchmal doch die lateinische Periode in deutsche Hauptsätze aufgelöst, so in Nr. 14. 49 und 50. § 20. Ebenso werden lateinische Akkusativ m. Inf.-, Partizipial- und Gerundivkonstruktionen nachgeahmt. 1. Akkus. m. Inf.: 20°, 7f. den habe wir dirfarn alle marktage czu euch vmme lofin; 26b, 10f. wir euch dabey czu seyn von gancem herczen begeren; 31°, 4 ff. beth€ wir ... den selbn ... gnediklichn werden gefurdert. Daneben richtige Auflösung des lat. Acc. c. inf. in Nr. 15, 5 ff.; 19b, 5 ff.; 455, 4 ff. 2. Partizipialkonstruktionen: 11b, 6 brife gesant vnd' seyme Inge vorsegelt; 16°, 6 den nestin czukomenden (= proxime venturum); 39°, 12 ff. vorsegilte brife ... wal obir prebenden mynes bischtumps . . . besteteget; ähnlich 43b, 12 f. Meist jedoch wird die lat. Partixipial- konstruktion aufgelöst, so durch einen Hauptsatz: 4b, 5f.; 6b, 4f.; 15b, 5f.; 175, 8f.; 195, 7f.; 285, 9; 345, 10f.; 345, 15; 376, 17; 49b, 7. Oder durch einen Nebensatz: 10, 12 prefixo; 17, 8 pergentes; 17, 14 audito negocio; 21, 5 f. inclusum; 24, 4 defuncti; 41, 12 repor- tatis; 42, 9 satis faciens; 42, 12 traditam; 45, 9 gliscentes. Oder durch ein Substantiv mit Präposition: 11, 8 uisis presentibus noch angesichte dis briffes; 17, 11f. dilacione deposita an seumnisse; 20, 6 cicatricem habentem notabilem mit eyn’ merklich' narbe. 3. Gerundivkonstruktionen nachgebildet: 4, 3f. pro 22 grossis taxando vor czwe vnd zcweynczig groschen czu achten; 16, 6 f. ad istas ad videndum inter nos vivendi modum partes czu besehen seten des landes; 39, 17 beneficio ... subueniendo & mit de lehn zcu hulfe komen (= komend); 43, 17 eandem tenendo canonicam dy selben thummereye uf halden (= haldend); 50, 7f. seriose hortando ernstlich manende. Aufgelöst 3, 10; 35, 20; 41, 14 transmittendo; 6, 7 celebrandarum; 16, 10 ad deliberandum; 20, 11 vinciendo; 36, 17 consenciendo; 38, 16 acquiescendo; 46, 10 comendando. — Bemerkens- wert ist die Verwendung des Imperativs in der Funktion eines der lat. Gerundivkonstruktion entsprechenden Bedingungssatzes, woran sich der Hauptsatz anschließt in der Rolle des heutigen durch Inversion ge- kennzeichneten Nachsatzes, vgl. 36b, 17 mit Anm. und 385, 15. Diese inversive Nachsatzfolge ist sonst noch wenig in Brauch; 51, 5 ff. begegnet sie in Vertretung des lat. Relativsatzes: quos . . . corrigere nolebamus vnde wir sy . .. nicht wolden strofen. 4. Geschickt wird der lat. Ablativus absolutus aufgelöst, vgl. 9, 6 deo dante mit gotis holfe; 42, 13 deo teste € gote czu geczuge.
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200 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. § 21. Auch in der Wort- und Satxfolge ahmt der deutsche Text oft peinlich genau die lateinische Vorlage nach und vergewaltigt damit die freie deutsche Stellung, z. B. 7°, 5 ff.; 9, 5f. off sinde Bartholomeus tag den nestn; 11, 6 hyher brife gesant vnd' seyme Inge vorsegelt; 16b, 5 ff. der ganze Satz; 19, 8f. darvmb euch czu warnunge vnd czu gemache schreibe wir euch sulche sache ist Wort für Wort dem lat. Satz nachgebildet: quare in cautelam vobis nichilominus et comodum presentibus scribimus factum id ipsum; 22, 6f. czur sweydenicz yn dy stat czu horn seyne meynunge hot czusammene losin gebiten; 29, 5f. von eynekeyt, czwissen vns mit czemelichn globdn verteclichn betruckit, vnsir lant grun wurde entspricht in allem der lat. Folge ex vnione mutua inter nos pactis decentibus rite impressis terra nostra uigeret; 29, 8 das wir czurucke czu stosin al vnsir wedirsachn vn- frunden quatinus ad retrudendum singulorum nobis contradicentium prauitatem; 43, 12f. also verne also ir uw’n eygen fromen czu wirken in zcukunftign czyten syt begernde sicuti proprium vestrum pro- fectum cupitis retinere temporibus subsequendis. Auch die Wortstellung im Hauptsatz 1, 7 bitte ich (vgl. 16b, 7; 185, 9; 205, 8; 215, 7; 22b, 7; 32b, 10; 33b, 12 f.; 35b, 14; 51°, 7), die logisch als Anfang des Nach- satzes zu fassen ist, ist durch die lat. Vorlage beeinflußt, insofern als dort die logische Beziehung zum Vordersatz durch hinweisendes qua de re, quare, quapropter meist hergestellt ist. In der Regel bildet auch die deutsche Ubersetzung dies Verhältnis durch ein dorvmb oder hirvmb nach, so daß ein richtiger Hauptsatz mit der Wortfolge dorvmb bitte ich entsteht. § 22. In der Kasusrektion ist nichts Sonderliches anzumerken. Auch hier wird zuweilen die lateinische Konstruktion strikt ins Deutsche über- nommen. So der Genitivus partitivus 6, 8 tria quartalia vestre ceruisie Sweydeniczensis drey firtil sweydenicz birs oder 23, 5f. vnum .. . accipitrum talium der selbin haibchn eynen. Desgleichen modaler Genetiv 7, 7 felicis iam recurdacionis selligis gedechtnis (vgl. aus S 44b, 8). Ebenso in S der Genetiv des Wertes neben Substantiv bei- behalten, aber verdeutlicht durch Hinzufügung eines Adjektivs: 42, 9f. tres libros . . . trium sexagenarum bucher ... drier schacke wert. Dies alles im Einklang mit deutschem Brauch (Grimm IV 721f. 730. 738ff.; Paul, D. Gr. III, § 229 S. 294. 296; Mensing § 244; Blatz, D. Gr. S. 37ff.). Anderseits wird qualitativer Genetiv umschrieben: 6, 8 ceruisie .. . coloris boni et saporis birs das clar vnd gut ist. Die Wendung 10, 5f. pacis emulum hominum et terrarum ... predonem obnoxium wird deutsch in der gewagten Konstruktion wiedergegeben eyn.
200 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. § 21. Auch in der Wort- und Satxfolge ahmt der deutsche Text oft peinlich genau die lateinische Vorlage nach und vergewaltigt damit die freie deutsche Stellung, z. B. 7°, 5 ff.; 9, 5f. off sinde Bartholomeus tag den nestn; 11, 6 hyher brife gesant vnd' seyme Inge vorsegelt; 16b, 5 ff. der ganze Satz; 19, 8f. darvmb euch czu warnunge vnd czu gemache schreibe wir euch sulche sache ist Wort für Wort dem lat. Satz nachgebildet: quare in cautelam vobis nichilominus et comodum presentibus scribimus factum id ipsum; 22, 6f. czur sweydenicz yn dy stat czu horn seyne meynunge hot czusammene losin gebiten; 29, 5f. von eynekeyt, czwissen vns mit czemelichn globdn verteclichn betruckit, vnsir lant grun wurde entspricht in allem der lat. Folge ex vnione mutua inter nos pactis decentibus rite impressis terra nostra uigeret; 29, 8 das wir czurucke czu stosin al vnsir wedirsachn vn- frunden quatinus ad retrudendum singulorum nobis contradicentium prauitatem; 43, 12f. also verne also ir uw’n eygen fromen czu wirken in zcukunftign czyten syt begernde sicuti proprium vestrum pro- fectum cupitis retinere temporibus subsequendis. Auch die Wortstellung im Hauptsatz 1, 7 bitte ich (vgl. 16b, 7; 185, 9; 205, 8; 215, 7; 22b, 7; 32b, 10; 33b, 12 f.; 35b, 14; 51°, 7), die logisch als Anfang des Nach- satzes zu fassen ist, ist durch die lat. Vorlage beeinflußt, insofern als dort die logische Beziehung zum Vordersatz durch hinweisendes qua de re, quare, quapropter meist hergestellt ist. In der Regel bildet auch die deutsche Ubersetzung dies Verhältnis durch ein dorvmb oder hirvmb nach, so daß ein richtiger Hauptsatz mit der Wortfolge dorvmb bitte ich entsteht. § 22. In der Kasusrektion ist nichts Sonderliches anzumerken. Auch hier wird zuweilen die lateinische Konstruktion strikt ins Deutsche über- nommen. So der Genitivus partitivus 6, 8 tria quartalia vestre ceruisie Sweydeniczensis drey firtil sweydenicz birs oder 23, 5f. vnum .. . accipitrum talium der selbin haibchn eynen. Desgleichen modaler Genetiv 7, 7 felicis iam recurdacionis selligis gedechtnis (vgl. aus S 44b, 8). Ebenso in S der Genetiv des Wertes neben Substantiv bei- behalten, aber verdeutlicht durch Hinzufügung eines Adjektivs: 42, 9f. tres libros . . . trium sexagenarum bucher ... drier schacke wert. Dies alles im Einklang mit deutschem Brauch (Grimm IV 721f. 730. 738ff.; Paul, D. Gr. III, § 229 S. 294. 296; Mensing § 244; Blatz, D. Gr. S. 37ff.). Anderseits wird qualitativer Genetiv umschrieben: 6, 8 ceruisie .. . coloris boni et saporis birs das clar vnd gut ist. Die Wendung 10, 5f. pacis emulum hominum et terrarum ... predonem obnoxium wird deutsch in der gewagten Konstruktion wiedergegeben eyn.
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II. Uber Syntax und Stil. 201 schedelichen knecht lant vnd leuthe, die an anderer Stelle (12, 7f.) in die richtige Form gebracht ist vns vnd dem ganczen lande czenckentin vnd schedelichen knecht, vielleicht nur deshalb, weil die lat. Vorlage nobis et tocius terre hominem sediciosum ac nociuum schon diese für das Deutsche normale Wortfolge aufwies 1. § 23. Im Gebrauch der Konjunktionen ist der deutsche Text spröde und schwerfällig. Am häufigsten werden das und wen verwendet, und zwar das hauptsächlich zur Wiedergabe von quatinus und Acc. c. inf.- Konstruktionen2, während wen alle Arten der Begründung ausdrückt im Sinne von enim, etenim, nam, quoniam, quia und cum. Seltener be- gegnen als, zo und alzo = sicud, ut, quanto; also das = ut (consecut.) und also verne also = sicuti; häufiger ob, ab = si. Ofter wird ein Infinitiv oder konjunktionaler Nebensatz der lat. Vorlage in der deut- schen Ubersetzung konjunktivisch gewendet. 1 Die erste Stelle ist syntaktisch undeutlich und bleibt problematisch. An der zweiten Stelle zeigt der lateinische Text durch das für unser heutiges Sprach- gefühl befremdliche Nebeneinander von nobis und tocius terre, daß hier jenes Schweben zwischen Genetiv- und Dativrektion mitspielt, dem in der dem Genetiv abgeneigten Volkssprache die Umschreibungen nach Art des Typus meinem Vater sein Bruder' entspringen. Im dem lant vnd leuthe der ersten Stelle birgt sich doch wohl ein durch das Erlöschen des Genetivgefühls hervorgerufener endungsloser Genetiv (darüber s. Behaghel § 356, 4 S. 321f. 323), da schedelicher knecht geradeso wie mîn und des landes morder (s. meine An- merkung zum Ackermann' S. 161. 164 Anm.) neben sich ein Possessiv und einen Genetir haben kann als Bexeichnung des Geschädigten und zur Klage Berechtigten. Allerdings aber wirkt mit hinein der Umstand, daß auch die dativische Fügung dem lande schedelich geläufig war und daß das Adjektiv, das den Datir anxieht, hier das bedeutungsstärkere Element ist, daher über das den Genetir fordernde Substantiv knecht im Sprachgefühl das Ubergewicht bekommt. Fälle wie die vorliegenden wären xu sammeln als Zeugnisse xur Vorgeschichte des possessiven Dativs, dessen Werden soeben Behaghel, Beiträge 45. Band (1920), S. 134 ff. beleuchtet hat. Bch. 2 Vereinxelt und ungewöhnlich ist das kausale alleinstehende das im fol- genden Satz von S: 42, 9 Vestris satis faciens peticionibus vobis tres libros. ut vestra discrecio supplicauit, trium sexagenarum fideliter conparaui, easdem . .. dirigens supplico Das ich durch bite willen also uw' fruntschaft zcu mir had gescrp vmb bucher... drier schacke wert habe geschicket vnd ... geantwurt, bitte ich uch. Vgl. daxu Mhd. Wb. 1, 321b, Nr. 4; W. Grimm, DWb. 2, 817, 6 a; Blatz, Neuhochd. Gramm.3 2, S. 1137f. Bch.
II. Uber Syntax und Stil. 201 schedelichen knecht lant vnd leuthe, die an anderer Stelle (12, 7f.) in die richtige Form gebracht ist vns vnd dem ganczen lande czenckentin vnd schedelichen knecht, vielleicht nur deshalb, weil die lat. Vorlage nobis et tocius terre hominem sediciosum ac nociuum schon diese für das Deutsche normale Wortfolge aufwies 1. § 23. Im Gebrauch der Konjunktionen ist der deutsche Text spröde und schwerfällig. Am häufigsten werden das und wen verwendet, und zwar das hauptsächlich zur Wiedergabe von quatinus und Acc. c. inf.- Konstruktionen2, während wen alle Arten der Begründung ausdrückt im Sinne von enim, etenim, nam, quoniam, quia und cum. Seltener be- gegnen als, zo und alzo = sicud, ut, quanto; also das = ut (consecut.) und also verne also = sicuti; häufiger ob, ab = si. Ofter wird ein Infinitiv oder konjunktionaler Nebensatz der lat. Vorlage in der deut- schen Ubersetzung konjunktivisch gewendet. 1 Die erste Stelle ist syntaktisch undeutlich und bleibt problematisch. An der zweiten Stelle zeigt der lateinische Text durch das für unser heutiges Sprach- gefühl befremdliche Nebeneinander von nobis und tocius terre, daß hier jenes Schweben zwischen Genetiv- und Dativrektion mitspielt, dem in der dem Genetiv abgeneigten Volkssprache die Umschreibungen nach Art des Typus meinem Vater sein Bruder' entspringen. Im dem lant vnd leuthe der ersten Stelle birgt sich doch wohl ein durch das Erlöschen des Genetivgefühls hervorgerufener endungsloser Genetiv (darüber s. Behaghel § 356, 4 S. 321f. 323), da schedelicher knecht geradeso wie mîn und des landes morder (s. meine An- merkung zum Ackermann' S. 161. 164 Anm.) neben sich ein Possessiv und einen Genetir haben kann als Bexeichnung des Geschädigten und zur Klage Berechtigten. Allerdings aber wirkt mit hinein der Umstand, daß auch die dativische Fügung dem lande schedelich geläufig war und daß das Adjektiv, das den Datir anxieht, hier das bedeutungsstärkere Element ist, daher über das den Genetir fordernde Substantiv knecht im Sprachgefühl das Ubergewicht bekommt. Fälle wie die vorliegenden wären xu sammeln als Zeugnisse xur Vorgeschichte des possessiven Dativs, dessen Werden soeben Behaghel, Beiträge 45. Band (1920), S. 134 ff. beleuchtet hat. Bch. 2 Vereinxelt und ungewöhnlich ist das kausale alleinstehende das im fol- genden Satz von S: 42, 9 Vestris satis faciens peticionibus vobis tres libros. ut vestra discrecio supplicauit, trium sexagenarum fideliter conparaui, easdem . .. dirigens supplico Das ich durch bite willen also uw' fruntschaft zcu mir had gescrp vmb bucher... drier schacke wert habe geschicket vnd ... geantwurt, bitte ich uch. Vgl. daxu Mhd. Wb. 1, 321b, Nr. 4; W. Grimm, DWb. 2, 817, 6 a; Blatz, Neuhochd. Gramm.3 2, S. 1137f. Bch.
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202 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. C. Zum Stil. § 24. Im Gegensatz zur Syntax zeigt der deutsche Text im Stil im all- gemeinen größere Freiheit und Unabhängigkeit gegenüber der lateinischen Vorlage. So werden die Colores rhetoricales nicht voll nachgebildet. Uber- haupt ist der Zug zu einfacher, klarer Stilistik unverkennbar. Er be- dingt Vereinfachungen verschiedener Art. Die im lateinischen Text erscheinenden Umschreibungen einfacher Begriffe durch Verbindungen von Substantiv und abhängigem Genetiv, ein typischer Schmuck der lateinischen Kanzleisprache, den besonders Johann von Neumarkt mit höchster Virtuosität handhabt (s. Burdach, Zentralblatt f. Bibliotheks- wesen 1891, S. 464 = V. Ma. x. Reform. 1. Aufl. 1, S. 103)1, werden mehrfach in schlichterer Form wiedergegeben, x. B. abstrakte Doppel- umschreibung des Personalpronomens durch einfache Umschreibung ersetzt: 1, 7 tuam fidelitatis constanciam rogito bitte ich deyne trawe; oder einfache Abstraktumschreibung des Personalpronomens entfüllt ganz: 6, 4f. caritati sincerissime vestre transmitto ich sende euch (ebenso in Sw 46, 10 vestre reuerencie euch); oder die metaphorische Um- schreibung eines Ortsnamens weicht dem bloßen eigentlichen Namen: 3, 4 ad limina beatorum apostolorum Petri et Pauli zcu rome. Namentlich fällt auf, daß die Paarung von Synonymen, dieses alte Erbgut und charakteristische Wahrzeichen des Kanzleistils vom 11. bis ins 18. Jahrhundert (s. Burdach, V. Ma. z. Reform. I. Aufl. 1, S. 103 [= Zentralbl. f. Bibliothekswesen 1891, S. 464] und zum Ackermann’ S. 165 f.)2 in der deutschen Nachbildung zuweilen gemindert wird. Ganz fort bleibt sie z. B. 12, 5f. animo et sensu percepimus wir vor- nomen habin. Vereinfacht wird sie — und zwar die substantivische wie die verbale — in folgenden Füllen: 8, 7ff. ad ipsum altare . . . in capellanum meum et ipsius altaris ministrum czu eynem alterhr'n des alters; 12, 11f. iuxta sua merita, ymmo secundum hoc quod de- seruiuit ac opus suum disposuit noch seynë vordinte werke ; 13, 5 ex eventu malo et incidentibus sinistris von boser geschicht; 13, 8 lesi miserabiliter et quassati wir syn vorterbit; 14, 5f. tristamus et super omnem modum dolemus vns ist leyt; 15, 12f. in conciuem vestrum attollere, suscipere nec non numero vestre communitatis agre- gare czu ewerm meteburger entphoen vnd nemen; 16, I1f. cui obedire tenemur omnia ad sui complacencia o ym czu behegelichkeyt; 24, 8 quibus defunctus iste possedit ac habuit alzo zy vesessin sint; ebenso in S: 34, 3 diuinum cultum et sacerdocium dy pri- 1 Vgl. daxu oben Einleitung Kap. I S. 109f. Bch. 2 Vgl. daxu oben Einleitung Kap. I S. 85ff. 98f. 104f. 110ff. Bch.
202 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. C. Zum Stil. § 24. Im Gegensatz zur Syntax zeigt der deutsche Text im Stil im all- gemeinen größere Freiheit und Unabhängigkeit gegenüber der lateinischen Vorlage. So werden die Colores rhetoricales nicht voll nachgebildet. Uber- haupt ist der Zug zu einfacher, klarer Stilistik unverkennbar. Er be- dingt Vereinfachungen verschiedener Art. Die im lateinischen Text erscheinenden Umschreibungen einfacher Begriffe durch Verbindungen von Substantiv und abhängigem Genetiv, ein typischer Schmuck der lateinischen Kanzleisprache, den besonders Johann von Neumarkt mit höchster Virtuosität handhabt (s. Burdach, Zentralblatt f. Bibliotheks- wesen 1891, S. 464 = V. Ma. x. Reform. 1. Aufl. 1, S. 103)1, werden mehrfach in schlichterer Form wiedergegeben, x. B. abstrakte Doppel- umschreibung des Personalpronomens durch einfache Umschreibung ersetzt: 1, 7 tuam fidelitatis constanciam rogito bitte ich deyne trawe; oder einfache Abstraktumschreibung des Personalpronomens entfüllt ganz: 6, 4f. caritati sincerissime vestre transmitto ich sende euch (ebenso in Sw 46, 10 vestre reuerencie euch); oder die metaphorische Um- schreibung eines Ortsnamens weicht dem bloßen eigentlichen Namen: 3, 4 ad limina beatorum apostolorum Petri et Pauli zcu rome. Namentlich fällt auf, daß die Paarung von Synonymen, dieses alte Erbgut und charakteristische Wahrzeichen des Kanzleistils vom 11. bis ins 18. Jahrhundert (s. Burdach, V. Ma. z. Reform. I. Aufl. 1, S. 103 [= Zentralbl. f. Bibliothekswesen 1891, S. 464] und zum Ackermann’ S. 165 f.)2 in der deutschen Nachbildung zuweilen gemindert wird. Ganz fort bleibt sie z. B. 12, 5f. animo et sensu percepimus wir vor- nomen habin. Vereinfacht wird sie — und zwar die substantivische wie die verbale — in folgenden Füllen: 8, 7ff. ad ipsum altare . . . in capellanum meum et ipsius altaris ministrum czu eynem alterhr'n des alters; 12, 11f. iuxta sua merita, ymmo secundum hoc quod de- seruiuit ac opus suum disposuit noch seynë vordinte werke ; 13, 5 ex eventu malo et incidentibus sinistris von boser geschicht; 13, 8 lesi miserabiliter et quassati wir syn vorterbit; 14, 5f. tristamus et super omnem modum dolemus vns ist leyt; 15, 12f. in conciuem vestrum attollere, suscipere nec non numero vestre communitatis agre- gare czu ewerm meteburger entphoen vnd nemen; 16, I1f. cui obedire tenemur omnia ad sui complacencia o ym czu behegelichkeyt; 24, 8 quibus defunctus iste possedit ac habuit alzo zy vesessin sint; ebenso in S: 34, 3 diuinum cultum et sacerdocium dy pri- 1 Vgl. daxu oben Einleitung Kap. I S. 109f. Bch. 2 Vgl. daxu oben Einleitung Kap. I S. 85ff. 98f. 104f. 110ff. Bch.
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II. Uber Syntax und Stil. 203 sterliche werdekeit; 34, 12 f. ordinem tribuere subdiaconatus et ad gradum sacerdotalem promouere vorlyet den orden der pristerlichin werdekeit ; 34, 13 ff. attentis nostris precaminibus graciosam ac uirtuo- sam reuerenciam fieri cupimus inclinatam deprecantes daz wolle wir — vordynen. Namentlich auch die Petitionsformel wird durchweg im Deutschen kürzer gefaßt als im Lateinischen. Und da auch sonst der deutsche Ausdruck größere Einfachheit anstrebt als der lateinische, so erreicht in der Regel der deutsche Text nicht den Umfang des latei- nischen. § 25. Bereitet ein lateinischer nominaler Ausdruck der genauen Ubersetzung Schwierigkeiten, dann wird zum Hilfsmittel der Umschreibung durch einen Satz gegriffen. So 6, 8 coloris boni et saporis das clar vnd gut ist: 10, 4 gracialium do wir . . . mete begnot seyn; 12, 13 ad ipsius interitum o das her gerichtet werde; 14, 5 contrariis dy euch wed’czeme sind; 34, 2f. inflammacione der entczunt ist mit der flamme. § 26. Öfter wird jedoch auch, entgegen dem sonst bekundeten Streben nach Kürze, synonymische Häufung1 des Ausdrucks gewählt, ohne daß die lateinische Vorlage Anlaß daxu gegeben hätte. Und zwar wird die Form der synonymen Paarung bevorzugt, obgleich, wie sich zeigte, gerade umgekehrt die lateinischen zweigliedrigen Synonymen mehrmals im deut- schen Text getilgt wurden. So 1, 9 confido globe vnd getrawe; 2, 7 promissa gelobde, dy ... geton hot vnd vorheysen; 6, 9 ad- duci o her off czu senden vnd schicken S (her off czu sczicken P); 7, 12 iudico irkenne vnd geneme; 8, 4f. primum . .. petitorem den ersten bitt’ vnd werbs; 8, 9 suscipio neme vnd entphoe; 10, 8 dicit annymt vnd spricht; 24, 5 successerunt seyn ge- sturbin vnd gevallin; 34, 10f. vacaturum ledeg vnde ler wirt; 36, 8 diligenter conquerimur € thun wir kunt vnde klegelichen klagen; 51, 6 perpetrauerunt € haben getan vnd begangen. Bemerkenswert ist, daß es sich in allen diesen Fällen, wo der deutsche Text die ge- paarten Synonymen gegen das Lateinische einführt, um Verben handelt. Mitunter hat der lateinische Ausdruck die synonymische Wiedergabe im Deutschen beeinflußt, x. B. 1, 6 quam pluries vil vnd ofte oder 3, 10 dilacione quauis ac omnimoda pretermissa an ofschob vnd sewm- misse. 1 Vgl. daxu oben Einleitung S. 110 ff. Bch.
II. Uber Syntax und Stil. 203 sterliche werdekeit; 34, 12 f. ordinem tribuere subdiaconatus et ad gradum sacerdotalem promouere vorlyet den orden der pristerlichin werdekeit ; 34, 13 ff. attentis nostris precaminibus graciosam ac uirtuo- sam reuerenciam fieri cupimus inclinatam deprecantes daz wolle wir — vordynen. Namentlich auch die Petitionsformel wird durchweg im Deutschen kürzer gefaßt als im Lateinischen. Und da auch sonst der deutsche Ausdruck größere Einfachheit anstrebt als der lateinische, so erreicht in der Regel der deutsche Text nicht den Umfang des latei- nischen. § 25. Bereitet ein lateinischer nominaler Ausdruck der genauen Ubersetzung Schwierigkeiten, dann wird zum Hilfsmittel der Umschreibung durch einen Satz gegriffen. So 6, 8 coloris boni et saporis das clar vnd gut ist: 10, 4 gracialium do wir . . . mete begnot seyn; 12, 13 ad ipsius interitum o das her gerichtet werde; 14, 5 contrariis dy euch wed’czeme sind; 34, 2f. inflammacione der entczunt ist mit der flamme. § 26. Öfter wird jedoch auch, entgegen dem sonst bekundeten Streben nach Kürze, synonymische Häufung1 des Ausdrucks gewählt, ohne daß die lateinische Vorlage Anlaß daxu gegeben hätte. Und zwar wird die Form der synonymen Paarung bevorzugt, obgleich, wie sich zeigte, gerade umgekehrt die lateinischen zweigliedrigen Synonymen mehrmals im deut- schen Text getilgt wurden. So 1, 9 confido globe vnd getrawe; 2, 7 promissa gelobde, dy ... geton hot vnd vorheysen; 6, 9 ad- duci o her off czu senden vnd schicken S (her off czu sczicken P); 7, 12 iudico irkenne vnd geneme; 8, 4f. primum . .. petitorem den ersten bitt’ vnd werbs; 8, 9 suscipio neme vnd entphoe; 10, 8 dicit annymt vnd spricht; 24, 5 successerunt seyn ge- sturbin vnd gevallin; 34, 10f. vacaturum ledeg vnde ler wirt; 36, 8 diligenter conquerimur € thun wir kunt vnde klegelichen klagen; 51, 6 perpetrauerunt € haben getan vnd begangen. Bemerkenswert ist, daß es sich in allen diesen Fällen, wo der deutsche Text die ge- paarten Synonymen gegen das Lateinische einführt, um Verben handelt. Mitunter hat der lateinische Ausdruck die synonymische Wiedergabe im Deutschen beeinflußt, x. B. 1, 6 quam pluries vil vnd ofte oder 3, 10 dilacione quauis ac omnimoda pretermissa an ofschob vnd sewm- misse. 1 Vgl. daxu oben Einleitung S. 110 ff. Bch.
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204 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. III. Textkritisches über das gegenseitige Verhältnis der lateinischen und deutschen Fassungen. Von Gustav Bebermeyer. § 27. Aus der bisherigen Betrachtung erhellt, daß der deutsche Text der doppelsprachigen Briefmuster keine bis in alle Einxelheiten treue Kopie der lateinischen Vorlage, aber im ganzen und großen von dem Streben nach möglichster Entsprechung in Inhalt und Ausdrucksform beherrscht ist. Unbedingt trifft das wenigstens für den Schlägler Briefsteller zu. In der Schneeberger Sammlung ist die Entsprechung nicht so streng. Allgemein muß aber festgestellt werden, daß der deutsche Text sich größerer Knappheit und Einfachheit befleißigt als der lateinische. In erster Linie setxt sich diese Kürxung durch auf Kosten der Colores rhetoricales, wie oben (S. 202f.) schon ausgeführt wurde. Dieses Verfahren hat der Redaktor in der Note xum 1. und 21. Brief ausdrücklich be- gründet und gerechtfertigt. Daß eine derartige Kürzung und Verein- fachung also mit Bewußtsein erstrebt und ausgeführt wurde, steht da- durch fest. Allerdings wird diese Tendenz durchkreuxt durch die nicht selten hervortretende Neigung, die oben nachgewiesen wurde, doch auch den deutschen Text gegenüber dem lateinischen zu erweitern durch Ein- führung synonymischer Paarungen. Als Folge oder Begleiterscheinung jener Vereinfachung gewahrt man eine andere Kürxung. Indem nämlich gewisse Worte und Wendungen der lateinischen Vorlage vom Ubersetzer nicht berücksichtigt werden, ist im deutschen Text eine Reihe mehr oder weniger empfindlicher Lücken entstanden. Ob dabei Absicht oder Flüchtigkeit des Autors oder aber schlechte Uberlieferung im Spiel sind, kann nicht in Bausch und Bogen entschieden werden, ist vielmehr von Fall zu Fall abzuwägen. Freilich werden sich auch dann diese Möglichkeiten nicht immer scharf und sicher gegeneinander abgrenzen lassen, am wenigsten die beiden erst- genannten. 1. Den Eindruck flüchtiger Arbeitsweise erwecken verschiedene un- wichtige Lücken von der Art 1, 11 ibi; 2, 5 f. per hunc annum; 7, 6 discreti viri; 20, 5 medium; 28, 7 cum canibus. 2. Hingegen möchte ich als beabsichtigte Kürzung ansprechen etwa Fälle wie 1, 8f. mei boni amatorem ; 3, 8 pro certis pecuniis ; 8, 6f. peticioni congruenti assenciens; 15, 9 et successionis provicue; 33, 13 ac iure hereditario; 33, 14f. vna cum meis legitimis patruis; 33, 21 aliis quoque rebus und andere, xum Teil im Apparat angemerkte Lücken des deutschen Wortlautes, besonders der Schneeberger Briefmuster.
204 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. III. Textkritisches über das gegenseitige Verhältnis der lateinischen und deutschen Fassungen. Von Gustav Bebermeyer. § 27. Aus der bisherigen Betrachtung erhellt, daß der deutsche Text der doppelsprachigen Briefmuster keine bis in alle Einxelheiten treue Kopie der lateinischen Vorlage, aber im ganzen und großen von dem Streben nach möglichster Entsprechung in Inhalt und Ausdrucksform beherrscht ist. Unbedingt trifft das wenigstens für den Schlägler Briefsteller zu. In der Schneeberger Sammlung ist die Entsprechung nicht so streng. Allgemein muß aber festgestellt werden, daß der deutsche Text sich größerer Knappheit und Einfachheit befleißigt als der lateinische. In erster Linie setxt sich diese Kürxung durch auf Kosten der Colores rhetoricales, wie oben (S. 202f.) schon ausgeführt wurde. Dieses Verfahren hat der Redaktor in der Note xum 1. und 21. Brief ausdrücklich be- gründet und gerechtfertigt. Daß eine derartige Kürzung und Verein- fachung also mit Bewußtsein erstrebt und ausgeführt wurde, steht da- durch fest. Allerdings wird diese Tendenz durchkreuxt durch die nicht selten hervortretende Neigung, die oben nachgewiesen wurde, doch auch den deutschen Text gegenüber dem lateinischen zu erweitern durch Ein- führung synonymischer Paarungen. Als Folge oder Begleiterscheinung jener Vereinfachung gewahrt man eine andere Kürxung. Indem nämlich gewisse Worte und Wendungen der lateinischen Vorlage vom Ubersetzer nicht berücksichtigt werden, ist im deutschen Text eine Reihe mehr oder weniger empfindlicher Lücken entstanden. Ob dabei Absicht oder Flüchtigkeit des Autors oder aber schlechte Uberlieferung im Spiel sind, kann nicht in Bausch und Bogen entschieden werden, ist vielmehr von Fall zu Fall abzuwägen. Freilich werden sich auch dann diese Möglichkeiten nicht immer scharf und sicher gegeneinander abgrenzen lassen, am wenigsten die beiden erst- genannten. 1. Den Eindruck flüchtiger Arbeitsweise erwecken verschiedene un- wichtige Lücken von der Art 1, 11 ibi; 2, 5 f. per hunc annum; 7, 6 discreti viri; 20, 5 medium; 28, 7 cum canibus. 2. Hingegen möchte ich als beabsichtigte Kürzung ansprechen etwa Fälle wie 1, 8f. mei boni amatorem ; 3, 8 pro certis pecuniis ; 8, 6f. peticioni congruenti assenciens; 15, 9 et successionis provicue; 33, 13 ac iure hereditario; 33, 14f. vna cum meis legitimis patruis; 33, 21 aliis quoque rebus und andere, xum Teil im Apparat angemerkte Lücken des deutschen Wortlautes, besonders der Schneeberger Briefmuster.
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III. Textkritisches über d. Verhältnis d. lat. u. deut. Fassungen. 205 3. Lückenhaft durch Schuld der Uberlieferung ist offenbar die deutsche Fassung an Stellen wie 8, 4 ff. bene ad hoc grati — satis aptum persistere; 10, 13f. in ceteris — amorem; 29, 9 f. super quo — voluntatem. 4. Solche Lücken der Uberlieferung weist die lateinische Vorlage nicht auf, wenigstens nicht im Schlägler Briefsteller. Da und hier fehlt ein Wort wie 22, 4 dominus; 24, 6 amiciciam; 25, 8 feriam; 30, 6 rogamus. Nur 25a, 9 ist ein ganzer Satx ausgelassen, vgl. 25b, 8f. wen wir — berichtn. Anders die Schneeberger Texte. Ebenso wie die deutsche Fassung dieser Sammlung, verglichen mit der lateini- schen, an vielen Stellen unvollständig erscheint, so läßt sich ander- seits aus der deutschen Ubersetxung eine Anxahl Wendungen ausheben, die in der lateinischen Vorlage keine Entsprechung haben. So etwa 33, 16 eckern; 35, 15 noch vns' vnd'thenikeyt; 36, 15 von vns — triben; 37, 11 (vgl. 40b, 8) vw' fruntlichn — wyssen; 39, 18f. ab ich — mag; 41, 10 nuwelich; 42, 9 dy — weren; 44, 12 besteticlichen be- stetiget. Doch würde man einen methodischen Fehler machen, wollte man solche scheinbaren Lücken des lateinischen Textes durchweg auf das Schuldkonto der Uberlieferung setzen. Der Redaktor des Schneeberger Briefstellers verfährt in seiner Ubersetzung überhaupt freier, er hält sich nicht peinlich streng an die lateinische Vorlage. Er nimmt, wie oben erläutert, unbedenklich Kürxungen vor; ebenso wird er sich Zusätze ge- stattet haben nach Gutdünken. Aus Stellen wie 37b, 11 und 40°, 8, die ganz gleichen Charakter haben, ist klar ersichtlich, daß es sich um Erweiterungen auf seiten der deutschen Fassung, nicht um Verstümme- lung auf seiten des lateinischen Wortlauts handelt. § 28. Daß der lateinische Text wirklich die Vorlage für den deutschen Text abgegeben hat, beweisen zur Evidenz ungeschickte Ausdrucksformen, die nur als Versuch möglichst getreuer Ubersetzung verständlich sind. Hierher gehören die bereits oben (S. I99) erläuterten Nachbildungen der lateinischen Gerundiv-, Partixipial-und Acc. c. inf.-Konstruktionen. Dann Wendungen wie 29, 9 vnionis federe constringi alterutrum & mit eym gelobde der eynekeyt vns vnd'nandir czu bestricken; 34, 5 f. de bene� ficio ... prouidere vmme eyn lehen besehen; 35, 11 f. feruentibus conatibus tenetur insudare o ist phlichtig mit flyse in erbeten ym by zcu legen; 35, 13 causa vestre fortitudinis o durch sache uw st'ke; 41, 9 in studio Pragensi in dem pragischen flyse; 44, 9f. finem iam vite consumavit oo had diß leben d' werlde im kurczlichen vorczert mit Verwechslung von consumavit mit consumpsit.
III. Textkritisches über d. Verhältnis d. lat. u. deut. Fassungen. 205 3. Lückenhaft durch Schuld der Uberlieferung ist offenbar die deutsche Fassung an Stellen wie 8, 4 ff. bene ad hoc grati — satis aptum persistere; 10, 13f. in ceteris — amorem; 29, 9 f. super quo — voluntatem. 4. Solche Lücken der Uberlieferung weist die lateinische Vorlage nicht auf, wenigstens nicht im Schlägler Briefsteller. Da und hier fehlt ein Wort wie 22, 4 dominus; 24, 6 amiciciam; 25, 8 feriam; 30, 6 rogamus. Nur 25a, 9 ist ein ganzer Satx ausgelassen, vgl. 25b, 8f. wen wir — berichtn. Anders die Schneeberger Texte. Ebenso wie die deutsche Fassung dieser Sammlung, verglichen mit der lateini- schen, an vielen Stellen unvollständig erscheint, so läßt sich ander- seits aus der deutschen Ubersetxung eine Anxahl Wendungen ausheben, die in der lateinischen Vorlage keine Entsprechung haben. So etwa 33, 16 eckern; 35, 15 noch vns' vnd'thenikeyt; 36, 15 von vns — triben; 37, 11 (vgl. 40b, 8) vw' fruntlichn — wyssen; 39, 18f. ab ich — mag; 41, 10 nuwelich; 42, 9 dy — weren; 44, 12 besteticlichen be- stetiget. Doch würde man einen methodischen Fehler machen, wollte man solche scheinbaren Lücken des lateinischen Textes durchweg auf das Schuldkonto der Uberlieferung setzen. Der Redaktor des Schneeberger Briefstellers verfährt in seiner Ubersetzung überhaupt freier, er hält sich nicht peinlich streng an die lateinische Vorlage. Er nimmt, wie oben erläutert, unbedenklich Kürxungen vor; ebenso wird er sich Zusätze ge- stattet haben nach Gutdünken. Aus Stellen wie 37b, 11 und 40°, 8, die ganz gleichen Charakter haben, ist klar ersichtlich, daß es sich um Erweiterungen auf seiten der deutschen Fassung, nicht um Verstümme- lung auf seiten des lateinischen Wortlauts handelt. § 28. Daß der lateinische Text wirklich die Vorlage für den deutschen Text abgegeben hat, beweisen zur Evidenz ungeschickte Ausdrucksformen, die nur als Versuch möglichst getreuer Ubersetzung verständlich sind. Hierher gehören die bereits oben (S. I99) erläuterten Nachbildungen der lateinischen Gerundiv-, Partixipial-und Acc. c. inf.-Konstruktionen. Dann Wendungen wie 29, 9 vnionis federe constringi alterutrum & mit eym gelobde der eynekeyt vns vnd'nandir czu bestricken; 34, 5 f. de bene� ficio ... prouidere vmme eyn lehen besehen; 35, 11 f. feruentibus conatibus tenetur insudare o ist phlichtig mit flyse in erbeten ym by zcu legen; 35, 13 causa vestre fortitudinis o durch sache uw st'ke; 41, 9 in studio Pragensi in dem pragischen flyse; 44, 9f. finem iam vite consumavit oo had diß leben d' werlde im kurczlichen vorczert mit Verwechslung von consumavit mit consumpsit.
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206 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. § 29. Zum Schluß noch einige kritische Bemerkungen zu Einzel- heiten im Texte des ersten Briefstellers (Nr. 1—30). Da sich in dieser Sammlung der lateinische und deutsche Text bis auf die erläuterten Ab- weichungen genau entsprechen, so kann man auch von jenem Gesichts- winkel aus die Zuverlässigkeit der Uberlieferung nachprüfen. So scheint mir 4, 5 das einfache gancz vnd gar S (= dudum) die bessere Lesart gegenüber gancz vnd gar volkummelich P zu sein; vol- kummelich ist ein unnötiger Zusatz. Umgekehrt verdient die erweiterte Lesart 6, 8 senden vnd schicken S Beachtung gegen das einfache sczicken P (= adduci), weil gerade beim Verbum die synonyme Paarung eine Stileigentümlichkeit des deutschen Kanzleistils ist (vgl. die Beispiele oben S. 203). Dasselbe gilt für 11, 9f. dohyn komen w’den P gegen do seyn vnd hyn w’den komen S (= venient). — Das zweite per ignem 13, 7 ist überflüssig und vielleicht nur durch irrtümliches Zurückgleiten des Abschreibers auf die darüberstehende Zeile in den Text gekommen. Ebenso hat 13, 10 ad restauracionem domorum angesichts des gleich darauf folgenden ad structuram domorum das Aussehen eines xu Un- recht aufgenommenen Alternativausdruks. — 13, 6 ist vns' sund lichen frunden S stilgerechter als vnsir frunde fruntlichen P, wo fruntlichen möglicherweise aus sund lichen verlesen und dann nachgestellt ist. Dieser Brief ist überhaupt mangelhaft überliefert, besonders der Schluß scheint entstellt, ligna dat satis apta— grosse holfe beweysit. Eine so starke Abweichung nach Wortlaut und Sinn des lateinisch-deutschen Textes findet in diesem Briefsteller keine Parallele und ist deshalb verdächtig. Vielleicht hat die Verderbnis davon ihren Ausgang genommen, daß holcze = ligna in holfe verlesen wurde; beweysit müßte dann im Sinne von aufweisen' = dat gefaßt werden. — Endlich erscheint mir 8, 5 grati et abilis und satis aptum, das erste auf den Sohn, das zweite auf den Vater bezogen, bedenklich. Denn in der Ubersetxung steht nur dirkenne ohne jeden Zusatz, und überliefert ist, was von schwerem Ge- wicht, gratum et (ac S) abilem PS und satis aptum nur in P. Die zuverlässigere Hs. S dürfte auch hier die rechte Fährte weisen. Velud scribitis verlangt allerdings die Bexiehung des ersten Attributs auf den Sohn, also den Genetiv gegen den überlieferten Akkusativ, aber die ganze Stelle erweckt den Verdacht, daß hier ebenfalls spätere Zusätxe in Form von Glossen zu Unrecht in den Text geraten sind. Mit einer solchen Möglichkeit ist auf jeden Fall zu rechnen. Der ursprüngliche Wortlaut wäre dann einfach bene ad hoc gratum et (ac) abilem denosco per- sistere gewesen, also nur auf petitorem bezogen. Velud scribitis und satis aptum wären danach spätere Zusätze, indem satis aptum in nach- wirkender Reminiszenz von 7, 12 iudico satis aptum zuerst hinzugesetzt wurde. Die deutsche Ubersetzung weist jedesfalls auf eine einfachere
206 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. § 29. Zum Schluß noch einige kritische Bemerkungen zu Einzel- heiten im Texte des ersten Briefstellers (Nr. 1—30). Da sich in dieser Sammlung der lateinische und deutsche Text bis auf die erläuterten Ab- weichungen genau entsprechen, so kann man auch von jenem Gesichts- winkel aus die Zuverlässigkeit der Uberlieferung nachprüfen. So scheint mir 4, 5 das einfache gancz vnd gar S (= dudum) die bessere Lesart gegenüber gancz vnd gar volkummelich P zu sein; vol- kummelich ist ein unnötiger Zusatz. Umgekehrt verdient die erweiterte Lesart 6, 8 senden vnd schicken S Beachtung gegen das einfache sczicken P (= adduci), weil gerade beim Verbum die synonyme Paarung eine Stileigentümlichkeit des deutschen Kanzleistils ist (vgl. die Beispiele oben S. 203). Dasselbe gilt für 11, 9f. dohyn komen w’den P gegen do seyn vnd hyn w’den komen S (= venient). — Das zweite per ignem 13, 7 ist überflüssig und vielleicht nur durch irrtümliches Zurückgleiten des Abschreibers auf die darüberstehende Zeile in den Text gekommen. Ebenso hat 13, 10 ad restauracionem domorum angesichts des gleich darauf folgenden ad structuram domorum das Aussehen eines xu Un- recht aufgenommenen Alternativausdruks. — 13, 6 ist vns' sund lichen frunden S stilgerechter als vnsir frunde fruntlichen P, wo fruntlichen möglicherweise aus sund lichen verlesen und dann nachgestellt ist. Dieser Brief ist überhaupt mangelhaft überliefert, besonders der Schluß scheint entstellt, ligna dat satis apta— grosse holfe beweysit. Eine so starke Abweichung nach Wortlaut und Sinn des lateinisch-deutschen Textes findet in diesem Briefsteller keine Parallele und ist deshalb verdächtig. Vielleicht hat die Verderbnis davon ihren Ausgang genommen, daß holcze = ligna in holfe verlesen wurde; beweysit müßte dann im Sinne von aufweisen' = dat gefaßt werden. — Endlich erscheint mir 8, 5 grati et abilis und satis aptum, das erste auf den Sohn, das zweite auf den Vater bezogen, bedenklich. Denn in der Ubersetxung steht nur dirkenne ohne jeden Zusatz, und überliefert ist, was von schwerem Ge- wicht, gratum et (ac S) abilem PS und satis aptum nur in P. Die zuverlässigere Hs. S dürfte auch hier die rechte Fährte weisen. Velud scribitis verlangt allerdings die Bexiehung des ersten Attributs auf den Sohn, also den Genetiv gegen den überlieferten Akkusativ, aber die ganze Stelle erweckt den Verdacht, daß hier ebenfalls spätere Zusätxe in Form von Glossen zu Unrecht in den Text geraten sind. Mit einer solchen Möglichkeit ist auf jeden Fall zu rechnen. Der ursprüngliche Wortlaut wäre dann einfach bene ad hoc gratum et (ac) abilem denosco per- sistere gewesen, also nur auf petitorem bezogen. Velud scribitis und satis aptum wären danach spätere Zusätze, indem satis aptum in nach- wirkender Reminiszenz von 7, 12 iudico satis aptum zuerst hinzugesetzt wurde. Die deutsche Ubersetzung weist jedesfalls auf eine einfachere
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III. Textkritisches über d. Verhältnis d. lat. u. deut. Fassungen. 207 Fassung der lateinischen Vorlage. Im übrigen hat sich der Ubersetzer gerade in diesem Briefe seine Aufgabe recht leicht gemacht. Unbequeme Wendungen wie peticioni congruenti assenciens werden unterdrückt, ähnliche Konstruktionen und Ausdrücke auf gleiche Weise, ohne jeden Versuch einer Variation, wiedergegeben, so de altare und nomine filii vestri von des alt’s wegin und von ewirs sons wegin, und pure propter deum und pure ob amorem Christi beidemal laut' durch got. IV. Der rhythmische Satzschluß. Von Gustav Bebermeyer. A. Allgemeines. § 30. 1. Die Grundlage für die gegenwärtige Erkenntnis und Erforschung der mittelalterlichen Rhythmen und ihrer Entstehung bilden nach wie vor Wilhelm Meyers umfassende und tief bohrende Untersuchungen, wie sie in den beiden Bänden seiner Gesammelten Abhandlungen zur mittellateinischen Rhythmik’ (Berlin 1905) niedergelegt sind. Ausgehend von seiner Entdeckung, daß viele der griechischen Prosaschriftsteller aus der Zeit von 400 bis etwa 1500 n. Chr. bei Sinnes- und Satzpausen einen bestimmten Rhythmus beobachtet haben, indem sie zwischen die akzentuierten Silben der beiden letzten Wörter in der Regel zwei oder vier, selten drei schwach oder nicht betonte Silben einschoben1, erbrachte er den Nachweis, daß ein ähnliches Gesetz auch in der lateinischen Prosa des Mittelalters Geltung habe 2. 2. Schon früher hatten französische Diplomatiker und Metriker wie Thurot, Valois, Couture, Havet und Bouvy die Regeln der mittel- alterlichen Lehrer (Dictatores) des schönen Stils (Ars dictandi) nach Theorie und Praxis und daneben den Gebrauch der kurialen Briefe und Bullen seit dem späten 11. Jahrhundert untersucht und festgestellt, daß hauptsächlich folgende drei Schlüsse zu unterscheiden sind: 1. der Cursus planus mágna portábat, 2. der Cursus velox máxima portavérunt, und 3. der Cursus tardus mágna portáverat. Aber erst die tief grabenden Forschungen W. Meyers breiteten Licht über die bisher dunklen Zusam- menhänge zwischen der mittelalterlichen Satzrhythmik und der spätantiken Satzbetonung. 3. W. Meyer wies nach, wie im 2. Jahrhundert n. Chr. für alle Satzpausen ein bestimmter, nach den Regeln der Metrik gebildeter Tonfall erfunden wurde, indem die Formen eines metrischen Fußes, des Kre- 1 Der akzentuierte Satzschluß in der griechischen Prosa vom 4. bis 16. Jahr- hundert. 1891. Abgedruckt a. a. O. II 202 ff. 2 Die rhythmische lateinische Prosa. 1893. A. a. O. II 236 ff.
III. Textkritisches über d. Verhältnis d. lat. u. deut. Fassungen. 207 Fassung der lateinischen Vorlage. Im übrigen hat sich der Ubersetzer gerade in diesem Briefe seine Aufgabe recht leicht gemacht. Unbequeme Wendungen wie peticioni congruenti assenciens werden unterdrückt, ähnliche Konstruktionen und Ausdrücke auf gleiche Weise, ohne jeden Versuch einer Variation, wiedergegeben, so de altare und nomine filii vestri von des alt’s wegin und von ewirs sons wegin, und pure propter deum und pure ob amorem Christi beidemal laut' durch got. IV. Der rhythmische Satzschluß. Von Gustav Bebermeyer. A. Allgemeines. § 30. 1. Die Grundlage für die gegenwärtige Erkenntnis und Erforschung der mittelalterlichen Rhythmen und ihrer Entstehung bilden nach wie vor Wilhelm Meyers umfassende und tief bohrende Untersuchungen, wie sie in den beiden Bänden seiner Gesammelten Abhandlungen zur mittellateinischen Rhythmik’ (Berlin 1905) niedergelegt sind. Ausgehend von seiner Entdeckung, daß viele der griechischen Prosaschriftsteller aus der Zeit von 400 bis etwa 1500 n. Chr. bei Sinnes- und Satzpausen einen bestimmten Rhythmus beobachtet haben, indem sie zwischen die akzentuierten Silben der beiden letzten Wörter in der Regel zwei oder vier, selten drei schwach oder nicht betonte Silben einschoben1, erbrachte er den Nachweis, daß ein ähnliches Gesetz auch in der lateinischen Prosa des Mittelalters Geltung habe 2. 2. Schon früher hatten französische Diplomatiker und Metriker wie Thurot, Valois, Couture, Havet und Bouvy die Regeln der mittel- alterlichen Lehrer (Dictatores) des schönen Stils (Ars dictandi) nach Theorie und Praxis und daneben den Gebrauch der kurialen Briefe und Bullen seit dem späten 11. Jahrhundert untersucht und festgestellt, daß hauptsächlich folgende drei Schlüsse zu unterscheiden sind: 1. der Cursus planus mágna portábat, 2. der Cursus velox máxima portavérunt, und 3. der Cursus tardus mágna portáverat. Aber erst die tief grabenden Forschungen W. Meyers breiteten Licht über die bisher dunklen Zusam- menhänge zwischen der mittelalterlichen Satzrhythmik und der spätantiken Satzbetonung. 3. W. Meyer wies nach, wie im 2. Jahrhundert n. Chr. für alle Satzpausen ein bestimmter, nach den Regeln der Metrik gebildeter Tonfall erfunden wurde, indem die Formen eines metrischen Fußes, des Kre- 1 Der akzentuierte Satzschluß in der griechischen Prosa vom 4. bis 16. Jahr- hundert. 1891. Abgedruckt a. a. O. II 202 ff. 2 Die rhythmische lateinische Prosa. 1893. A. a. O. II 236 ff.
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208 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. tikers, mit langen und kurxen Silben ausgefüllt wurden unter Meidung des Hiatus und mit genauer Berechnung der Wortgrößen. Also ein streng quantitierendes Schema. In der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts verwandelt sich nun dieser quantitierende Schluß in einen akzentuieren- den. Indem nämlich in der Aussprache der Wortakzent je länger je stärker die strenge Quantität verdrängt, werden aus der bunten Reihe der quantitierenden Schlüsse ganz bestimmte eindrucksvolle Akxentfolgen fest- gehalten und im Zäsur- und Zeilenschluß angewendet. Aber mit dem Absterben der quantitierenden Umrankung verwildern die strengen Formen des Akzentschlusses mehr und mehr bis zur Unkenntlichkeit. Erst bei dem Aufschwung des schöpferischen Formensinns, wie ihn das 11. und 12. Jahrhundert hervorbringen, erleben auch die alten Formen des Akzent- schlusses eine neue Auferstehung, die sich nun in mannigfachster An- wendung auswirkt. Diese Entwicklung wird nach der Annahme Meyers im 15. Jahr- hundert durch die aufstrebende Macht des Humanismus erneut unterbrochen. Die führenden Geister der neuen Bewegung erblicken in den festgefügten Gesetzen des rhythmischen Satzschlusses den Ausdruck einer scholastischen Formkünstelei. Und da ihre Behandlung der Sprache darauf ausgeht, den individuellen Stil klassisch antiker Autoren zu kopieren, so nahmen sie, wie Novatis Nachweis für Salutati zeigt, teilweise an der vermeintlichen mittelalterlichen Spielerei Anstoß. Wilhelm Meyer glaubte daher, daß der Humanismus dem rhythmischen Satzschluß den Garaus bereitet habe. 4. Den rhythmischen Formen des Satzschlusses jener Ubergangszeit hat dann Konrad Burdach eindringende Untersuchungen gewidmet1. Indem er die kunstvolle Gesetzmäßigkeit, mit der im Prosadialog des Ackermann aus Böhmen die Sinnes- und Satzpausen rhythmisiert sind, von seinem unmittelbaren Muster, den lateinischen Briefen und deutschen Prosaübersetzungen des Prager Hofkanzlers Johann von Neumarkt, ab- leitete, deckte er darüber hinaus das Vorbild des Cursus auf, wie ihn die lateinische Urkundensprache der königlichen Kanzlei und die ältere Praxis der päpstlichen Kurie und der deutschen Reichskanzlei ausgeprägt hatten. Besonders erkannte Burdach, wie der rhythmische Satzbau durch die künstlerische Gestaltungskraft zweier Italiener des 14. Jahrhunderts, Dante und Cola di Rienxo, verfeinert und beseelt, durch Petrarca, der auf die antike Prosa zurückgriff und dadurch die ursprüngliche Tradition neu belebte, freier gestaltet2 worden ist, und wie dann diese neue Rhyth- 1 Vgl. das Referat Sitzungsberichte 1905, S. 455 über den am 27. 4. 1905 in der philos.-hist. Kl. der Berliner Akademie gelesenen Vortrag über den Prosa- dialog Der Ackermann aus Böhmen. Ferner Vom Mittelalter &. Reform. III, I Einl. S. 89, Vorwort S. Xf. und Uber den Satzrhythmus der deutschen Prosa', Sitzungsberichte der Berliner Akademie d. Wiss. 1909, S. 520 ff. 2 Die rhythmischen Satxschlüsse Petrarcas und ihre Einwirkung auf die Prosa des Humanismus werden an andrer Stelle im Zusammenhang erörtert
208 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. tikers, mit langen und kurxen Silben ausgefüllt wurden unter Meidung des Hiatus und mit genauer Berechnung der Wortgrößen. Also ein streng quantitierendes Schema. In der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts verwandelt sich nun dieser quantitierende Schluß in einen akzentuieren- den. Indem nämlich in der Aussprache der Wortakzent je länger je stärker die strenge Quantität verdrängt, werden aus der bunten Reihe der quantitierenden Schlüsse ganz bestimmte eindrucksvolle Akxentfolgen fest- gehalten und im Zäsur- und Zeilenschluß angewendet. Aber mit dem Absterben der quantitierenden Umrankung verwildern die strengen Formen des Akzentschlusses mehr und mehr bis zur Unkenntlichkeit. Erst bei dem Aufschwung des schöpferischen Formensinns, wie ihn das 11. und 12. Jahrhundert hervorbringen, erleben auch die alten Formen des Akzent- schlusses eine neue Auferstehung, die sich nun in mannigfachster An- wendung auswirkt. Diese Entwicklung wird nach der Annahme Meyers im 15. Jahr- hundert durch die aufstrebende Macht des Humanismus erneut unterbrochen. Die führenden Geister der neuen Bewegung erblicken in den festgefügten Gesetzen des rhythmischen Satzschlusses den Ausdruck einer scholastischen Formkünstelei. Und da ihre Behandlung der Sprache darauf ausgeht, den individuellen Stil klassisch antiker Autoren zu kopieren, so nahmen sie, wie Novatis Nachweis für Salutati zeigt, teilweise an der vermeintlichen mittelalterlichen Spielerei Anstoß. Wilhelm Meyer glaubte daher, daß der Humanismus dem rhythmischen Satzschluß den Garaus bereitet habe. 4. Den rhythmischen Formen des Satzschlusses jener Ubergangszeit hat dann Konrad Burdach eindringende Untersuchungen gewidmet1. Indem er die kunstvolle Gesetzmäßigkeit, mit der im Prosadialog des Ackermann aus Böhmen die Sinnes- und Satzpausen rhythmisiert sind, von seinem unmittelbaren Muster, den lateinischen Briefen und deutschen Prosaübersetzungen des Prager Hofkanzlers Johann von Neumarkt, ab- leitete, deckte er darüber hinaus das Vorbild des Cursus auf, wie ihn die lateinische Urkundensprache der königlichen Kanzlei und die ältere Praxis der päpstlichen Kurie und der deutschen Reichskanzlei ausgeprägt hatten. Besonders erkannte Burdach, wie der rhythmische Satzbau durch die künstlerische Gestaltungskraft zweier Italiener des 14. Jahrhunderts, Dante und Cola di Rienxo, verfeinert und beseelt, durch Petrarca, der auf die antike Prosa zurückgriff und dadurch die ursprüngliche Tradition neu belebte, freier gestaltet2 worden ist, und wie dann diese neue Rhyth- 1 Vgl. das Referat Sitzungsberichte 1905, S. 455 über den am 27. 4. 1905 in der philos.-hist. Kl. der Berliner Akademie gelesenen Vortrag über den Prosa- dialog Der Ackermann aus Böhmen. Ferner Vom Mittelalter &. Reform. III, I Einl. S. 89, Vorwort S. Xf. und Uber den Satzrhythmus der deutschen Prosa', Sitzungsberichte der Berliner Akademie d. Wiss. 1909, S. 520 ff. 2 Die rhythmischen Satxschlüsse Petrarcas und ihre Einwirkung auf die Prosa des Humanismus werden an andrer Stelle im Zusammenhang erörtert
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IV. Der rhythmische Satzschluß. 209 muskunst auf Stil und Sprache der lateinischen Publizistik auf deutschem Boden und endlich auch auf den Satzbau der deutschen Prosaschriften hinübergewirkt hat, ja in gewissen Reflexen bis auf den heutigen Tag fortlebt. Im besondern klärte Burdach die Frage auf, wann und wo der rhyth- mische Satzbau zum erstenmal in der deutschen Prosa begegnet, durch die Feststellung, daß das älteste deutsche Reichsgesetz, der Land- frieden von 1235, in der lateinischen und der deutschen Ausfertigung die Regeln des Cursus befolgt (a. a. O. S. 522). Und die deutsche Kanzleisprache der Folgezeit miht sich gleichfalls ab mit den Gesetzen der rhythmischen Satzschlußkunst; aber erst unter Karl IV. gelingt die volle Durchführung der Regeln. Schon vorher, im frühen Mittelalter, hatten deutsche Predigten und Katechismusstücke An- sätze gemacht zur Rhythmisierung der Satzschlüsse nach dem Vorbilde des lateinischen Cursus. Und dieses Streben bleibt lebendig und ist z. B. in den deutschen Predigten Bertholds von Regensburg ebenso wirksam wie in den lateinischen Traktaten Meister Eckharts (Burdach ebd.). Im Gegensatz zum lateinischen Cursus stellt sich der deutsche dar als eine freiere Form, die mehr Typen kennt und diese in ihrer syntak- tischen Verwendung weniger streng scheidet. In zwei Punkten weicht der deutsche Satzschluß von dem formfesten lateinischen, wie ihn der Stil der Kurie und der Reichskanzlei gesetzmäßig ausgebildet hat, wesent- lich ab: er bevorzugt einmal, indem er die alten Typen in eine katalek- tische Form bringt, Ausgänge auf eine akxentuierte Silbe, sodann hat er eine ausgesprochene Vorliebe für trochäischen Schlußrhythmus mit vorauf- gehendem Daktylus, indem der Cursus velox durch Vorsetzung einer Reihe von Trochäen erweitert wird (nach Burdachs, im folgenden auch von mir angenommener Terminologie erweiterter Velox'). In dieser freieren Form hat sich der rhythmische Satzschluß in der deutschen Prosa über das Zeitalter des Humanismus hinaus gehalten und bis heute eine gewisse Geltung bei der Wortwahl und Wortstellung wie beim Bau der Perioden-, Satx- und Sinneseinschnitte (Burdach a. a. O. S. 523f.). Um die Entstehung und Ausbildung des rhythmischen Satzschlusses in der deutschen Kunstprosa nach dem Vorbild des lateinischen Cursus werden. Einstweilen vergleiche über den Cursus bei Petrarca meine Nach- weise Rienzo u. die geist. Wandl. s. Zeit (V. Ma. z. Reform. II, I, Berlin 1913), S. 108 ff. Die antike Grundlage des mittelalterlichen Cursus, insbesondere seine Wurxeln in der hellenistischen Rhetorik des sogenannten asianischen Stils und ihrer römischen Ableger beleuchten meine Darlegungen oben S. 85—89, 99—104, 106—109. Uber das Nachklingen der Kunstlehre und rhetorischen Theorie des Poseidonios in dem Panegyrikus des Schneeberger Formelbuchs (Texte Nr. 52, Z. 48f.) s. oben Einleitung S. 80f. Bch.
IV. Der rhythmische Satzschluß. 209 muskunst auf Stil und Sprache der lateinischen Publizistik auf deutschem Boden und endlich auch auf den Satzbau der deutschen Prosaschriften hinübergewirkt hat, ja in gewissen Reflexen bis auf den heutigen Tag fortlebt. Im besondern klärte Burdach die Frage auf, wann und wo der rhyth- mische Satzbau zum erstenmal in der deutschen Prosa begegnet, durch die Feststellung, daß das älteste deutsche Reichsgesetz, der Land- frieden von 1235, in der lateinischen und der deutschen Ausfertigung die Regeln des Cursus befolgt (a. a. O. S. 522). Und die deutsche Kanzleisprache der Folgezeit miht sich gleichfalls ab mit den Gesetzen der rhythmischen Satzschlußkunst; aber erst unter Karl IV. gelingt die volle Durchführung der Regeln. Schon vorher, im frühen Mittelalter, hatten deutsche Predigten und Katechismusstücke An- sätze gemacht zur Rhythmisierung der Satzschlüsse nach dem Vorbilde des lateinischen Cursus. Und dieses Streben bleibt lebendig und ist z. B. in den deutschen Predigten Bertholds von Regensburg ebenso wirksam wie in den lateinischen Traktaten Meister Eckharts (Burdach ebd.). Im Gegensatz zum lateinischen Cursus stellt sich der deutsche dar als eine freiere Form, die mehr Typen kennt und diese in ihrer syntak- tischen Verwendung weniger streng scheidet. In zwei Punkten weicht der deutsche Satzschluß von dem formfesten lateinischen, wie ihn der Stil der Kurie und der Reichskanzlei gesetzmäßig ausgebildet hat, wesent- lich ab: er bevorzugt einmal, indem er die alten Typen in eine katalek- tische Form bringt, Ausgänge auf eine akxentuierte Silbe, sodann hat er eine ausgesprochene Vorliebe für trochäischen Schlußrhythmus mit vorauf- gehendem Daktylus, indem der Cursus velox durch Vorsetzung einer Reihe von Trochäen erweitert wird (nach Burdachs, im folgenden auch von mir angenommener Terminologie erweiterter Velox'). In dieser freieren Form hat sich der rhythmische Satzschluß in der deutschen Prosa über das Zeitalter des Humanismus hinaus gehalten und bis heute eine gewisse Geltung bei der Wortwahl und Wortstellung wie beim Bau der Perioden-, Satx- und Sinneseinschnitte (Burdach a. a. O. S. 523f.). Um die Entstehung und Ausbildung des rhythmischen Satzschlusses in der deutschen Kunstprosa nach dem Vorbild des lateinischen Cursus werden. Einstweilen vergleiche über den Cursus bei Petrarca meine Nach- weise Rienzo u. die geist. Wandl. s. Zeit (V. Ma. z. Reform. II, I, Berlin 1913), S. 108 ff. Die antike Grundlage des mittelalterlichen Cursus, insbesondere seine Wurxeln in der hellenistischen Rhetorik des sogenannten asianischen Stils und ihrer römischen Ableger beleuchten meine Darlegungen oben S. 85—89, 99—104, 106—109. Uber das Nachklingen der Kunstlehre und rhetorischen Theorie des Poseidonios in dem Panegyrikus des Schneeberger Formelbuchs (Texte Nr. 52, Z. 48f.) s. oben Einleitung S. 80f. Bch.
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210 in allen Wandlungen und Entwicklungsphasen aufzuzeigen, sind viele Spexialarbeiten erforderlich. Mit der folgenden Untersuchung über den Cursus der hier veröffentlichten doppelsprachigen Briefmuster möchte ich einen Beitrag liefern zur Geschichte der Rhythmuskunst der deutschen Sprache. Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. B. Der Cursus der vorliegenden Briefmustersammlungen. § 31. Es zeigte sich oben, wie stark die lateinisch-deutschen Doppeltexte der hier vorgelegten Musterbriefe ergriffen sind von jener stufenweise erfolgenden Umbildung der deutschen, insbesondere der ostmitteldeutschen Kanzleisprache, die durch die Nachahmung des lateinischen Satzbaus und Stils hervorgerufen wurde. Hierzu tritt als wertvolle Bestätigung und Ergänzung die Tatsache, daß auch die Regeln des rhythmischen Satzschlusses in der Form, wie sie seit dem ausgehenden 11. Jahrhundert in der kurialen und kaiserlichen Kanzleisprache beobachtet werden, in Theorie und Praxis der vorliegenden zweisprachigen Formulare sich durchgesetxt haben. Damit ist erwiesen, daß selbst die kleineren städti- schen Kanzleien des schlesisch-böhmischen und überhaupt des ganzen ostmitteldeutschen Gebietes um die Wende des 14. Jahrhunderts den Cursus der älteren lateinischen päpstlichen und kaiserlichen Kanzleisprache nach- gebildet haben, d. h. daß die werdende neue deutsche Schriftsprache in Wortwahl und Wort- und Satzstellung wie im ganzen stilistischen Ge- präge ein Abbild ist von ihrer älteren lateinischen Schwester. Syntax, Stilistik und Satzrhythmik sind der Hauptpfad, auf dem man, mag er auch oft verbaut und verschlungen sein, am sichersten ans Ziel gelangt, will man den Schleier ziehen von dem Geheimnis des Ursprungs der neuhochdeutschen Gemeinsprache. 1. Die Schlägler doppelsprachigen Texte (Nr. 1—30). § 32. Daß der Redaktor der zweiten Schlägler Sammlung der Rhythmus- kunst sein besonderes Interesse xugewendet hat (vgl. oben 1. Kap. III, 9, S. 54 ff.), ist eine bedeutungsvolle Erscheinung. Er leitet die praktische Anweisung über epistolare Rhetorik mit einer knappgefaßten Lehre über den Cursus ein, die freilich nur kurze Hinweise in ungeschickter For- mulierung bietet und bei der starrenden Textverderbnis fast lediglich durch die beigefügten Musterbeispiele verständlich wird. Immerhin ist soviel ersichtlich, daß die drei bekannten Satzschlüsse als Norm aufge- stellt werden, daxu der um einen Spondeus erweiterte Velox von der Form tribuas régni sui sédem.
210 in allen Wandlungen und Entwicklungsphasen aufzuzeigen, sind viele Spexialarbeiten erforderlich. Mit der folgenden Untersuchung über den Cursus der hier veröffentlichten doppelsprachigen Briefmuster möchte ich einen Beitrag liefern zur Geschichte der Rhythmuskunst der deutschen Sprache. Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. B. Der Cursus der vorliegenden Briefmustersammlungen. § 31. Es zeigte sich oben, wie stark die lateinisch-deutschen Doppeltexte der hier vorgelegten Musterbriefe ergriffen sind von jener stufenweise erfolgenden Umbildung der deutschen, insbesondere der ostmitteldeutschen Kanzleisprache, die durch die Nachahmung des lateinischen Satzbaus und Stils hervorgerufen wurde. Hierzu tritt als wertvolle Bestätigung und Ergänzung die Tatsache, daß auch die Regeln des rhythmischen Satzschlusses in der Form, wie sie seit dem ausgehenden 11. Jahrhundert in der kurialen und kaiserlichen Kanzleisprache beobachtet werden, in Theorie und Praxis der vorliegenden zweisprachigen Formulare sich durchgesetxt haben. Damit ist erwiesen, daß selbst die kleineren städti- schen Kanzleien des schlesisch-böhmischen und überhaupt des ganzen ostmitteldeutschen Gebietes um die Wende des 14. Jahrhunderts den Cursus der älteren lateinischen päpstlichen und kaiserlichen Kanzleisprache nach- gebildet haben, d. h. daß die werdende neue deutsche Schriftsprache in Wortwahl und Wort- und Satzstellung wie im ganzen stilistischen Ge- präge ein Abbild ist von ihrer älteren lateinischen Schwester. Syntax, Stilistik und Satzrhythmik sind der Hauptpfad, auf dem man, mag er auch oft verbaut und verschlungen sein, am sichersten ans Ziel gelangt, will man den Schleier ziehen von dem Geheimnis des Ursprungs der neuhochdeutschen Gemeinsprache. 1. Die Schlägler doppelsprachigen Texte (Nr. 1—30). § 32. Daß der Redaktor der zweiten Schlägler Sammlung der Rhythmus- kunst sein besonderes Interesse xugewendet hat (vgl. oben 1. Kap. III, 9, S. 54 ff.), ist eine bedeutungsvolle Erscheinung. Er leitet die praktische Anweisung über epistolare Rhetorik mit einer knappgefaßten Lehre über den Cursus ein, die freilich nur kurze Hinweise in ungeschickter For- mulierung bietet und bei der starrenden Textverderbnis fast lediglich durch die beigefügten Musterbeispiele verständlich wird. Immerhin ist soviel ersichtlich, daß die drei bekannten Satzschlüsse als Norm aufge- stellt werden, daxu der um einen Spondeus erweiterte Velox von der Form tribuas régni sui sédem.
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IV. Der rhythmische Satzschluß. 211 a) Die lateinischen Texte. § 33. Cursus planus. I. In der Grußformel (Salutatio) 20 mal, nämlich in Nr. 1—12. 16—22 und 27, und zwar stets in der Normalform XX xxx. 2. Am Schluß des Tatbestandes, also vor der Petitionsformel, 8 mal, nämlich 1, 6 f. persónis audíui; 6, 5 véstre transmítto; 7, 7f. ábsque ministro; 10, 7 tenémus et vinctum; 12, 8 ésse truncátum; 20, 8 fagári scrutámur; 23, 4 hábes audíui; 24, 5 térre statúta. 3. In der Petitions formel, also vor quatinus oder Infinitiv, 9 mal: 5, 4 maióri quo póssum; 7, 9 und 23, 5 córdis afféctu; 10, 9 und 17, 10 subplicántes atténti: 15, 11 obníxe precámur; 16, 8 requiréndo precá- mur; 20, 9 afféctu rogámus; 22, 8 requiro precátu. 4. Am Schluß der Petitio 6 mal: 1, 10 preséntem ad témpus; 6, 9 disponátis addúci; 10, 11 constitúti velítis; 11, 10 adésse velitis; 13, 13 recusáre velítis; 17, 13 transviáre velitis. 5. Vor Datum 12 mal: I, 11 adipísci sperárem; 4, 5 uóbis trans- mitto; 5, 8 religáre velítis; 8, 11f. quáuis semóta; 10, 14 speciális amórem; 16, 13 perveníre velítis; 17, 16 turgescéndo sic créscat; 19, 8 fáctum id ipsum; 20, 11 famulári stringámur; 21, 10 velítis ac pélli; 22, 10 nůllo dimíttam; 26, 10f. interésse cupísco. Bemerkenswert ist, daß sämtliche Planusausgänge nach dem nor- malen Schema gebildet sind und am häufigsten am Kopf und am Ende des Briefes, also in der Salutatio und vor Datum, am seltensten am Schluß der Petitio begegnen. § 34. Cursus velox. 1. In der Salutatio 6 mal: in Nr. 13. 14. 26. 28. 29 und 30. 2. Im Tatbestand 15mal: 2,5 hábui voluntátem; 3, 6 nómine proficísci; 8, 9 reáliter in efféctu; 9, 6 véniam dèo dánte; 11, 7 régio roborátas; 13, 6 f. exústa est et cremáta; 13, 8 miserabiliter et quassáti; 15, 8 réxerat cùm eisdem; 15, 9f. dispósuit voluntátem; 16, 7 propó- suit proficisci; 17, 9f. friuole captiuátos; 18, 8 expósuit obligári; 22, 7 precéperat maiestáte; 27, 7 abstúlerant subditórum; 30, 5 laudá- mus assenciéntes. 3. In der Petitionsformel 10 mal: 1, 7f. précibus quibus póssum; 3, 7 rógito studiósis; 6, 5 f. précibus et atténtis; 9, 7 intimo in afféctu; I1, 8 afficimus studióse; 12, 9 pétimus et atténtis; 18, 9 précibus stu- diósis; 21, 8 sédule deprecámur; 28, 7 atténcius rogitámus; 29, 7 dúximus requiréndum. 4. Am Schluß der Petitio 4 mal: 7, 11 und 15, 13f. dignémini fauoróse; 20, 10f. cautissimis vinciéndo; 30, 7 marcárum ratificáre.
IV. Der rhythmische Satzschluß. 211 a) Die lateinischen Texte. § 33. Cursus planus. I. In der Grußformel (Salutatio) 20 mal, nämlich in Nr. 1—12. 16—22 und 27, und zwar stets in der Normalform XX xxx. 2. Am Schluß des Tatbestandes, also vor der Petitionsformel, 8 mal, nämlich 1, 6 f. persónis audíui; 6, 5 véstre transmítto; 7, 7f. ábsque ministro; 10, 7 tenémus et vinctum; 12, 8 ésse truncátum; 20, 8 fagári scrutámur; 23, 4 hábes audíui; 24, 5 térre statúta. 3. In der Petitions formel, also vor quatinus oder Infinitiv, 9 mal: 5, 4 maióri quo póssum; 7, 9 und 23, 5 córdis afféctu; 10, 9 und 17, 10 subplicántes atténti: 15, 11 obníxe precámur; 16, 8 requiréndo precá- mur; 20, 9 afféctu rogámus; 22, 8 requiro precátu. 4. Am Schluß der Petitio 6 mal: 1, 10 preséntem ad témpus; 6, 9 disponátis addúci; 10, 11 constitúti velítis; 11, 10 adésse velitis; 13, 13 recusáre velítis; 17, 13 transviáre velitis. 5. Vor Datum 12 mal: I, 11 adipísci sperárem; 4, 5 uóbis trans- mitto; 5, 8 religáre velítis; 8, 11f. quáuis semóta; 10, 14 speciális amórem; 16, 13 perveníre velítis; 17, 16 turgescéndo sic créscat; 19, 8 fáctum id ipsum; 20, 11 famulári stringámur; 21, 10 velítis ac pélli; 22, 10 nůllo dimíttam; 26, 10f. interésse cupísco. Bemerkenswert ist, daß sämtliche Planusausgänge nach dem nor- malen Schema gebildet sind und am häufigsten am Kopf und am Ende des Briefes, also in der Salutatio und vor Datum, am seltensten am Schluß der Petitio begegnen. § 34. Cursus velox. 1. In der Salutatio 6 mal: in Nr. 13. 14. 26. 28. 29 und 30. 2. Im Tatbestand 15mal: 2,5 hábui voluntátem; 3, 6 nómine proficísci; 8, 9 reáliter in efféctu; 9, 6 véniam dèo dánte; 11, 7 régio roborátas; 13, 6 f. exústa est et cremáta; 13, 8 miserabiliter et quassáti; 15, 8 réxerat cùm eisdem; 15, 9f. dispósuit voluntátem; 16, 7 propó- suit proficisci; 17, 9f. friuole captiuátos; 18, 8 expósuit obligári; 22, 7 precéperat maiestáte; 27, 7 abstúlerant subditórum; 30, 5 laudá- mus assenciéntes. 3. In der Petitionsformel 10 mal: 1, 7f. précibus quibus póssum; 3, 7 rógito studiósis; 6, 5 f. précibus et atténtis; 9, 7 intimo in afféctu; I1, 8 afficimus studióse; 12, 9 pétimus et atténtis; 18, 9 précibus stu- diósis; 21, 8 sédule deprecámur; 28, 7 atténcius rogitámus; 29, 7 dúximus requiréndum. 4. Am Schluß der Petitio 4 mal: 7, 11 und 15, 13f. dignémini fauoróse; 20, 10f. cautissimis vinciéndo; 30, 7 marcárum ratificáre.
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212 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. 5. Vor Datum 17 mal: 3, 10 omnimoda pretermíssa; 6, 10 pecúniam preparátam; 7, 12 iúdico sàtis áptum; 9, 8 f. diligens prouidére; 11, II vénient ad eúndem; 12, 13 omnimode procedémus; 13, 14 ligna dàt sâtis ápta; 14, 8 liberam facultátem; 15, 14 f. vólumus permeréri; 18, 12 váleat et expénsis; 23, 6 tálium cùm latóre; 24, 9 pacífice permittátis; 25, 8f. dignémini equitáre; 27, 9 gládium vlciónis; 28, 10f. acquas- sábimus bestiárum; 29, 10 edisserat voluntátem; 30, 8 préstito iura- ménto. 6. Außerdem an andern Sinnes- und Satzpausen wie 8, 11 désuper ordináre; 10, 13 uidébimus permanére; 16, 5 lítteras audiuistis; 16, 12 ómnibus procedémus; 20, 5 hóminem circumpréssum. Also am häufigsten am Schluß des Tatbestandes und am Briefende vor Datum, am seltensten am Schluß der Salutatio und Petitio; und zwar meist in der Normalform, daneben einigemal (7, 12; 9, 6; 15, 8; 23, 6) mit schwebender (nebentoniger) Betonung, d. h. mit schließendem Dispondeus oder Ditrochäus. Diese xweite Form des Velox wurde bei der Neuschöpfung des antiken Satzrhythmus durch die päpstliche Kurie um das Jahr 1088 durch den Leiter der Kanzlei, Johannes Gaetanus, eingeführt, ohne indessen die gleiche Verbreitung wie die Normalform zu finden. W. Meyer hält1 den schwebenden Velox für das Produkt eines groben Fehlers der mittelalter- lichen Theoretiker, der Charakter und Tendenx des rhythmischen Schlusses entgegenwirke. Gleichwohl muß er zugeben, daß dieser Cursus auch in mittelalterlichen Stücken mit feinster rhythmischer Gliederung verwendet wird. Eduard Norden dagegen erblickt2 darin umgekehrt die Erweite- rung eines auf die griechische Kunstprosa xurückgehenden Ditrochäus, dem ein Kreticus vorangestellt sei. Sonst sind nur noch 14, 3 salutacióne cùm famulátu mit einsilbigem Wort in xweiter Daktylussilbe und 30, 5 laudámus assenciéntes mit verschobener Wortgrenxe bemerkenswert. Der in der einleitenden theoretischen Anweisung (oben S. 54 f.) ver- pönte Schluß instábit sic péllis túa ist wirklich in dieser Form (mit starkbetontem einsilbigem Wort in der zweiten Daktylussilbe) gemieden. Der eben erwähnte Typus salutacióne cùm famulátu und der Typus véniam dèo dánte erregten dagegen keinen Anstoß. § 35. Cursus tardus. Seiner traditionellen Rolle entsprechend begegnet dieser Schluß am vollen Satz- oder Periodenschluß nur ausnahmsweise; am Ende der Salutatio überhaupt nicht, am Schuß des Tatbestandes nur 2 mal: 21, 7 nephán- 1 Ges. Abh. II 267f. 2 Antike Kunstprosa II 951; Burdach a. a. O. S. 528 und oben Einleitung S. 107f.
212 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. 5. Vor Datum 17 mal: 3, 10 omnimoda pretermíssa; 6, 10 pecúniam preparátam; 7, 12 iúdico sàtis áptum; 9, 8 f. diligens prouidére; 11, II vénient ad eúndem; 12, 13 omnimode procedémus; 13, 14 ligna dàt sâtis ápta; 14, 8 liberam facultátem; 15, 14 f. vólumus permeréri; 18, 12 váleat et expénsis; 23, 6 tálium cùm latóre; 24, 9 pacífice permittátis; 25, 8f. dignémini equitáre; 27, 9 gládium vlciónis; 28, 10f. acquas- sábimus bestiárum; 29, 10 edisserat voluntátem; 30, 8 préstito iura- ménto. 6. Außerdem an andern Sinnes- und Satzpausen wie 8, 11 désuper ordináre; 10, 13 uidébimus permanére; 16, 5 lítteras audiuistis; 16, 12 ómnibus procedémus; 20, 5 hóminem circumpréssum. Also am häufigsten am Schluß des Tatbestandes und am Briefende vor Datum, am seltensten am Schluß der Salutatio und Petitio; und zwar meist in der Normalform, daneben einigemal (7, 12; 9, 6; 15, 8; 23, 6) mit schwebender (nebentoniger) Betonung, d. h. mit schließendem Dispondeus oder Ditrochäus. Diese xweite Form des Velox wurde bei der Neuschöpfung des antiken Satzrhythmus durch die päpstliche Kurie um das Jahr 1088 durch den Leiter der Kanzlei, Johannes Gaetanus, eingeführt, ohne indessen die gleiche Verbreitung wie die Normalform zu finden. W. Meyer hält1 den schwebenden Velox für das Produkt eines groben Fehlers der mittelalter- lichen Theoretiker, der Charakter und Tendenx des rhythmischen Schlusses entgegenwirke. Gleichwohl muß er zugeben, daß dieser Cursus auch in mittelalterlichen Stücken mit feinster rhythmischer Gliederung verwendet wird. Eduard Norden dagegen erblickt2 darin umgekehrt die Erweite- rung eines auf die griechische Kunstprosa xurückgehenden Ditrochäus, dem ein Kreticus vorangestellt sei. Sonst sind nur noch 14, 3 salutacióne cùm famulátu mit einsilbigem Wort in xweiter Daktylussilbe und 30, 5 laudámus assenciéntes mit verschobener Wortgrenxe bemerkenswert. Der in der einleitenden theoretischen Anweisung (oben S. 54 f.) ver- pönte Schluß instábit sic péllis túa ist wirklich in dieser Form (mit starkbetontem einsilbigem Wort in der zweiten Daktylussilbe) gemieden. Der eben erwähnte Typus salutacióne cùm famulátu und der Typus véniam dèo dánte erregten dagegen keinen Anstoß. § 35. Cursus tardus. Seiner traditionellen Rolle entsprechend begegnet dieser Schluß am vollen Satz- oder Periodenschluß nur ausnahmsweise; am Ende der Salutatio überhaupt nicht, am Schuß des Tatbestandes nur 2 mal: 21, 7 nephán- 1 Ges. Abh. II 267f. 2 Antike Kunstprosa II 951; Burdach a. a. O. S. 528 und oben Einleitung S. 107f.
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IV. Der rhythmische Satzschluß. 213 dam cognóuimus und 28, 5 nóstris audiuimus, in der Petitionsformel vor quatinus nur 1 mal: 13, 9f. maióri quo póssumus, am Schluß der Petitio I mal: 12, 10 reseruáre carcéribus, und am Briefende vor Datum überhaupt nicht. Der eine 25, 8f. überlieferte Fall equitáre digné- mini scheidet schon deshalb aus, weil der lateinische Text vor Datum eine Lücke aufweist. Dagegen im Satzinnern bei Sinnespausen findet sich der Tardus häufiger, so 1, 9 confído plenissime; 3, 9 dáre dignémini; 7, 5f. per- tinére dinóscitur; 10, 6 predónem obnóxium; 12, 5 différtur ignóbilem; 12, 6 ésse cognóuimus; 12, 12 súum dispósuit; 17, 5 querulóse nos dócuit; 17, 15 vidébit ubérrimo; 18, 10f. informáre dignémini; 20, 6 habéntem notábilem; 20, 7 inducébat incómmoda; 20, 10 habére digné- mini; 24, 8 possédit ac hábuit. Aber im ganxen tritt der Tardus an Bedeutung hinter dem Planus und mehr noch hinter dem Velox weit zurück. Vielleicht ist 12, 10 reseruáre carcéribus analog 25, 8f. equitáre dignémini zu behandeln und umzustellen zu regelrechtem Velox. Der Tardus erscheint stets in der Normalform XxIxXXX. § 36. Andere Typen. Eine Anzahl Schlüsse sind nicht nach dem Schema der drei im offixiellen Kanzleistil des ausgehenden Mittelalters gebräuchlichsten Cursus- formen gebaut. Unter ihnen ist besonders der Typus Xx I xXXX be- merkenswert, also mit drei Senkungen, in der Regel bei viersilbigem Schlußwort (bei Meyer Typus VI), daneben die Variante mit andrer Wortgrenze XxxI xXX. Dieser Cursus begegnet viermal in der Gruß- formel, nämlich in der Normalform 15, 3 und 23, 2 amica cum salúte; 24, 3 indeféssis cum salúte1 und variiert 25, 2 promptitúdine premíssis. Ebenso oft im Tatbestand 19, 7 cautélam et in tútum; 25, 7 in- troýre ciuitátem; 26, 9 exercébunt dominárum; 29, 6 turgéret habun- dánter. Und 2 mal: 28, 8 sítis constitúti und 29, 9 alterútrum arbi- trémur am Ende der Petitio. Niemals vor Datum am Briefschluß. Im ganzen erst in der zweiten Hälfte der Briefsammlung und dort hauptsächlich gegen den Schluß. Ahnlich verhält es sich mit dem Typus Meyer VII mit fünf Sen- kungen bei meist fünf- und mehrsilbigem Schlußwort. Auch dieser vor schwachen Pausen häufigere, vor starken seltene Cursus taucht erst gegen Ende des Briefstellers auf. Und zwar 3 mal in der Petitionsformel: 24, 6 précibus affectuósis; 25, 7 rógito vos studiósis; 30, 6 méntibus affectuósis, und I mal am Schluß der Petitio: 22, 9 concédere non dene- gétis. Doch kann man diesen Cursus auch als Abart des Planus auf- 1 Vgl. daxu oben Einleitung S. 107. 108 des Typus méi non egétis in dem Musterbeispiel der Herenniusrhetorik. Bch.
IV. Der rhythmische Satzschluß. 213 dam cognóuimus und 28, 5 nóstris audiuimus, in der Petitionsformel vor quatinus nur 1 mal: 13, 9f. maióri quo póssumus, am Schluß der Petitio I mal: 12, 10 reseruáre carcéribus, und am Briefende vor Datum überhaupt nicht. Der eine 25, 8f. überlieferte Fall equitáre digné- mini scheidet schon deshalb aus, weil der lateinische Text vor Datum eine Lücke aufweist. Dagegen im Satzinnern bei Sinnespausen findet sich der Tardus häufiger, so 1, 9 confído plenissime; 3, 9 dáre dignémini; 7, 5f. per- tinére dinóscitur; 10, 6 predónem obnóxium; 12, 5 différtur ignóbilem; 12, 6 ésse cognóuimus; 12, 12 súum dispósuit; 17, 5 querulóse nos dócuit; 17, 15 vidébit ubérrimo; 18, 10f. informáre dignémini; 20, 6 habéntem notábilem; 20, 7 inducébat incómmoda; 20, 10 habére digné- mini; 24, 8 possédit ac hábuit. Aber im ganxen tritt der Tardus an Bedeutung hinter dem Planus und mehr noch hinter dem Velox weit zurück. Vielleicht ist 12, 10 reseruáre carcéribus analog 25, 8f. equitáre dignémini zu behandeln und umzustellen zu regelrechtem Velox. Der Tardus erscheint stets in der Normalform XxIxXXX. § 36. Andere Typen. Eine Anzahl Schlüsse sind nicht nach dem Schema der drei im offixiellen Kanzleistil des ausgehenden Mittelalters gebräuchlichsten Cursus- formen gebaut. Unter ihnen ist besonders der Typus Xx I xXXX be- merkenswert, also mit drei Senkungen, in der Regel bei viersilbigem Schlußwort (bei Meyer Typus VI), daneben die Variante mit andrer Wortgrenze XxxI xXX. Dieser Cursus begegnet viermal in der Gruß- formel, nämlich in der Normalform 15, 3 und 23, 2 amica cum salúte; 24, 3 indeféssis cum salúte1 und variiert 25, 2 promptitúdine premíssis. Ebenso oft im Tatbestand 19, 7 cautélam et in tútum; 25, 7 in- troýre ciuitátem; 26, 9 exercébunt dominárum; 29, 6 turgéret habun- dánter. Und 2 mal: 28, 8 sítis constitúti und 29, 9 alterútrum arbi- trémur am Ende der Petitio. Niemals vor Datum am Briefschluß. Im ganzen erst in der zweiten Hälfte der Briefsammlung und dort hauptsächlich gegen den Schluß. Ahnlich verhält es sich mit dem Typus Meyer VII mit fünf Sen- kungen bei meist fünf- und mehrsilbigem Schlußwort. Auch dieser vor schwachen Pausen häufigere, vor starken seltene Cursus taucht erst gegen Ende des Briefstellers auf. Und zwar 3 mal in der Petitionsformel: 24, 6 précibus affectuósis; 25, 7 rógito vos studiósis; 30, 6 méntibus affectuósis, und I mal am Schluß der Petitio: 22, 9 concédere non dene- gétis. Doch kann man diesen Cursus auch als Abart des Planus auf- 1 Vgl. daxu oben Einleitung S. 107. 108 des Typus méi non egétis in dem Musterbeispiel der Herenniusrhetorik. Bch.
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214 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. fassen und dann lesen affectuósis, vós studiósis und nón denegétis. Vgl. die Beispiele bei Meyer V. Beachtenswert ist endlich, daß der in der theoretischen Anleitung unter den erlaubten Satzschlüssen aufgeführte erweiterte Velox von der Form tribuas régni sui sédem (vgl. oben S. 54f.) nirgend angewendet ist; offenbar ist er dem Verfasser zu kompliziert erschienen und deshalb von ihm gemieden. § 37. Rückblick. Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß weitaus am häufigsten Planus und Velox verwendet sind, beide etwa gleich oft. Sie stellen alle andern Schlüsse in den Schatten. Gleichwohl gestattet sich der Autor einigemal an Satxpausen den Tardus und die Typen Meyer VI und VII, wo man bei genau beobachteter Regelstrenge Planus oder Velox erwarten sollte. Aber er wahrt insofern die Tradition, als an der markantesten Stelle, dem Briefende vor Datum, nur Planus und Velox auftreten. Auch die Grußformel ist überwiegend nach dem Planus gebaut, nur in der Mitte und gegen Schluß der Sammlung erscheinen einigemal der Velox und der Typus Meyer VI, nie der Tardus. b) Die deutschen Texte der Schlägler Handschrift. § 38. Wegen der Akxentschwankungen kristallisieren sich die Rhythmus- typen im Deutschen nicht so scharf heraus und gegeneinander ab wie im Lateinischen, wo über die Betonung kein Zweifel aufkommen kann. Aber im wesentlichen baut auch der deutsche Text die Satzschlüsse nach den gleichen Regeln wie die lateinische Vorlage. Natürlich nicht in so sklavischer Abhängigkeit, daß etwa jeder deutsche Satzschluß dem ent- sprechenden lateinischen Silbe um Silbe nachgebildet wäre. Vielmehr wählt der deutsche Text unabhängig von der lateinischen Vorlage jeweilig den Cursus, der sich ungezwungen aus dem Wortlaut ergibt. Aus solcher Tendenx heraus ist in der Gruß- und Petitionsformel ganx auf Rhyth- misierung Verzicht geleistet, weil die Kürze dieser Stakkatosätze keine komplizierten Rhythmen duldet, wie sie die Cursusformen bedingen, die in der deutschen Sprache an eine bestimmte Periodenführung mit Ein- schnitten der Satz- und Sinnespausen gebunden sind. § 39. Planus. 1. Am Schluß des Tatbestandes 6 mal: 2, 5 dínste czu czýhen; 3, 6 róme zcu czýh(e)n; 10, 9f. lóssen czu richten; 11, 6 Ingeségil vorségelt; 12, 5 énde geleftet; 15, 9 wille wil háldin. 2. Am Schluß der Petitio 5 mal: 1, 9f. wéllest vorscreýbin; 7, 10
214 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. fassen und dann lesen affectuósis, vós studiósis und nón denegétis. Vgl. die Beispiele bei Meyer V. Beachtenswert ist endlich, daß der in der theoretischen Anleitung unter den erlaubten Satzschlüssen aufgeführte erweiterte Velox von der Form tribuas régni sui sédem (vgl. oben S. 54f.) nirgend angewendet ist; offenbar ist er dem Verfasser zu kompliziert erschienen und deshalb von ihm gemieden. § 37. Rückblick. Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß weitaus am häufigsten Planus und Velox verwendet sind, beide etwa gleich oft. Sie stellen alle andern Schlüsse in den Schatten. Gleichwohl gestattet sich der Autor einigemal an Satxpausen den Tardus und die Typen Meyer VI und VII, wo man bei genau beobachteter Regelstrenge Planus oder Velox erwarten sollte. Aber er wahrt insofern die Tradition, als an der markantesten Stelle, dem Briefende vor Datum, nur Planus und Velox auftreten. Auch die Grußformel ist überwiegend nach dem Planus gebaut, nur in der Mitte und gegen Schluß der Sammlung erscheinen einigemal der Velox und der Typus Meyer VI, nie der Tardus. b) Die deutschen Texte der Schlägler Handschrift. § 38. Wegen der Akxentschwankungen kristallisieren sich die Rhythmus- typen im Deutschen nicht so scharf heraus und gegeneinander ab wie im Lateinischen, wo über die Betonung kein Zweifel aufkommen kann. Aber im wesentlichen baut auch der deutsche Text die Satzschlüsse nach den gleichen Regeln wie die lateinische Vorlage. Natürlich nicht in so sklavischer Abhängigkeit, daß etwa jeder deutsche Satzschluß dem ent- sprechenden lateinischen Silbe um Silbe nachgebildet wäre. Vielmehr wählt der deutsche Text unabhängig von der lateinischen Vorlage jeweilig den Cursus, der sich ungezwungen aus dem Wortlaut ergibt. Aus solcher Tendenx heraus ist in der Gruß- und Petitionsformel ganx auf Rhyth- misierung Verzicht geleistet, weil die Kürze dieser Stakkatosätze keine komplizierten Rhythmen duldet, wie sie die Cursusformen bedingen, die in der deutschen Sprache an eine bestimmte Periodenführung mit Ein- schnitten der Satz- und Sinnespausen gebunden sind. § 39. Planus. 1. Am Schluß des Tatbestandes 6 mal: 2, 5 dínste czu czýhen; 3, 6 róme zcu czýh(e)n; 10, 9f. lóssen czu richten; 11, 6 Ingeségil vorségelt; 12, 5 énde geleftet; 15, 9 wille wil háldin. 2. Am Schluß der Petitio 5 mal: 1, 9f. wéllest vorscreýbin; 7, 10
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IV. Der rhythmische Satzschluß. 215 rúchit czu némen; 13, 8 báwholcz czu fúren; 17, 12f. gerúchet czu reýten; 22, 9 schóczczen czu leýen. 3. Am Briefende vor der Datierung 15 mal: 5, 8 gerúch(e)t zcu séndin; 8, 9 bischoffe, gébin; 13, 9 grósse hólfe beweýsit; 14, 6 désim móle czu fúren; 15, 12 súndirlichen vordínen; 16, I1f. behegelichkeýt, vns móchten bereîten; 18, 12 grósse czérunge trágen; 20, 10 wéllin vordýnen; 21, 9 geséllschaft wéllit lósen vorsúchn; 22, 10 gebórt, nicht wil lósin; 23, 6 briffczéger czu séndin; 24, 8 f. gerúlich kómen (ir- laúbit); 26, 11 eúch dabeý czu seýn von gáncem hérczem begér(e)n; 27, 9 gedénkin zcu fúren; 30, 8 czu vór czu bestrickn. 4. Außerdem häufig innerhalb der Periode bei Sinnes- und Satz- pausen wie 1, 5 vil vnd ófte vernómen, du wellest; 1, 10f. dinste genómen, zo hoffte ich; 2, 7 grósse gelóbte, dy mir; 4, 4 czwé vnd czweýnczig gróschen czu achten; 5, 5f. dy eir ... czur zittaw list fúren ; 10, 5f. laûthe d' briffen, do wir ... méte begnót seyn; 13, 5 vor- bránt vnd vortúbin, och alzo das; 15, 5f. gúten frunden bekómen, mit den; 17, 7 dy . . . reýten vnd váren; 25, 5 sáchň beságit; 25, 8 wen wir ... fréde irwérbn, zo wel mir; 29, 5f. vérteclichn betrúckit. Durchweg in der Normalform, nur 3 mal als Abart mit verschobe- ner Wortgrenze (8, 9 und 18, 12) oder mit Interpunktionstrennung (8, 9 und 22, 10). Bemerkenswert ist, daß der Planus oft in der langen oder potenxierten Form auftritt, indem ein oder mehrere Spondeen voran- gestellt werden, so daß zwei oder mehrere Spondeen vor anderthalb Spondeen stehen. § 40. Velox. I. Am Schluß des Tatbestandes 7 mal: 1, 7 czýh(e)n czu dèsim móle; 7, 7 lédig an àlter hérre; 9, 6 kómen mit gòtis hólfe; 16, 7 willen hot hèr czu kómen; 22, 7 czusámmene lòsin gebiten; 23, 5 hábiche, alz ich hóre; 27, 7 genomen vnd wèk gefúrt. 2. In der Petitio 3 mal: 11, 9 Swédenicz kòmen wéllet; 12, 10 vésticlich wèllit háldin; 20, 9 vésticlich czu beháldin. 3. Am Briefschluß 5 mal: 1, 11 zcunémunge meynes frómen; 6, 9 wil mit gereytem gélde; 11, 9 f. óch dohyn kòmen wérden; 12, 12 dás her gerichtet wérde; 28, 9 wéllin vnd nèd'sló(e)n. 4. Innerhalb der Satzperiode wie 15, 8 frómelich hôt geháldin nur selten. Also im ganzen keine 20 Beispiele. Der Velox ist mithin im deutschen Text nicht der Favorit wie im lateinischen. Während in der lateinischen Vorlage Velox und Planus sich etwa die Wage halten, erreicht der Velox in der deutschen Ubersetzung nicht einmal die Hälfte der Belegzahl des Planus. Das ist kein Zufall, sondern in der Verschieden- heit des Rhythmus beider Sprachen begründet. Das Deutsche hat eine ausgesprochene Vorliebe für iambischen oder trochäischen Tonfall. Das
IV. Der rhythmische Satzschluß. 215 rúchit czu némen; 13, 8 báwholcz czu fúren; 17, 12f. gerúchet czu reýten; 22, 9 schóczczen czu leýen. 3. Am Briefende vor der Datierung 15 mal: 5, 8 gerúch(e)t zcu séndin; 8, 9 bischoffe, gébin; 13, 9 grósse hólfe beweýsit; 14, 6 désim móle czu fúren; 15, 12 súndirlichen vordínen; 16, I1f. behegelichkeýt, vns móchten bereîten; 18, 12 grósse czérunge trágen; 20, 10 wéllin vordýnen; 21, 9 geséllschaft wéllit lósen vorsúchn; 22, 10 gebórt, nicht wil lósin; 23, 6 briffczéger czu séndin; 24, 8 f. gerúlich kómen (ir- laúbit); 26, 11 eúch dabeý czu seýn von gáncem hérczem begér(e)n; 27, 9 gedénkin zcu fúren; 30, 8 czu vór czu bestrickn. 4. Außerdem häufig innerhalb der Periode bei Sinnes- und Satz- pausen wie 1, 5 vil vnd ófte vernómen, du wellest; 1, 10f. dinste genómen, zo hoffte ich; 2, 7 grósse gelóbte, dy mir; 4, 4 czwé vnd czweýnczig gróschen czu achten; 5, 5f. dy eir ... czur zittaw list fúren ; 10, 5f. laûthe d' briffen, do wir ... méte begnót seyn; 13, 5 vor- bránt vnd vortúbin, och alzo das; 15, 5f. gúten frunden bekómen, mit den; 17, 7 dy . . . reýten vnd váren; 25, 5 sáchň beságit; 25, 8 wen wir ... fréde irwérbn, zo wel mir; 29, 5f. vérteclichn betrúckit. Durchweg in der Normalform, nur 3 mal als Abart mit verschobe- ner Wortgrenze (8, 9 und 18, 12) oder mit Interpunktionstrennung (8, 9 und 22, 10). Bemerkenswert ist, daß der Planus oft in der langen oder potenxierten Form auftritt, indem ein oder mehrere Spondeen voran- gestellt werden, so daß zwei oder mehrere Spondeen vor anderthalb Spondeen stehen. § 40. Velox. I. Am Schluß des Tatbestandes 7 mal: 1, 7 czýh(e)n czu dèsim móle; 7, 7 lédig an àlter hérre; 9, 6 kómen mit gòtis hólfe; 16, 7 willen hot hèr czu kómen; 22, 7 czusámmene lòsin gebiten; 23, 5 hábiche, alz ich hóre; 27, 7 genomen vnd wèk gefúrt. 2. In der Petitio 3 mal: 11, 9 Swédenicz kòmen wéllet; 12, 10 vésticlich wèllit háldin; 20, 9 vésticlich czu beháldin. 3. Am Briefschluß 5 mal: 1, 11 zcunémunge meynes frómen; 6, 9 wil mit gereytem gélde; 11, 9 f. óch dohyn kòmen wérden; 12, 12 dás her gerichtet wérde; 28, 9 wéllin vnd nèd'sló(e)n. 4. Innerhalb der Satzperiode wie 15, 8 frómelich hôt geháldin nur selten. Also im ganzen keine 20 Beispiele. Der Velox ist mithin im deutschen Text nicht der Favorit wie im lateinischen. Während in der lateinischen Vorlage Velox und Planus sich etwa die Wage halten, erreicht der Velox in der deutschen Ubersetzung nicht einmal die Hälfte der Belegzahl des Planus. Das ist kein Zufall, sondern in der Verschieden- heit des Rhythmus beider Sprachen begründet. Das Deutsche hat eine ausgesprochene Vorliebe für iambischen oder trochäischen Tonfall. Das
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216 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. bedingt von selbst eine Beschränkung von vier- und mehrsilbigen Sen- kungen. Daher kommt es auch, daß der Velox im Deutschen fast aus- nahmslos in der schwebenden Form auftritt mit starkem Nebenton auf der dritten Senkungssilbe. Eine weitere Abart von diesem schwebenden Velox ist der Rolandinus, der 6, 9 und 12, 12 begegnet. Ihn hat Ro- landinus, ein Schüler des in so vieler Hinsicht merkwürdigen Rede- künstlers Buoncompagni 1, um 1260 in Padua eingeführt, indem er die zweite Senkung des Daktylus abtrennte und zum nächsten Worte schlug2: also aus xxxIxxIxx (z. B. timida néscit ésse) machte er ein XxlxXxIXX (z. B. malórum vindícta érat). § 41. Tardus. Die Abneigung gegen diesen Satxschluß ist noch stärker. Sicher ist nur ein Beispiel am Schluß des Tatbestandes 18, 8 dý em noch schúldig ist überliefert. An sich ohne Anstoß in der Periodenstellung, nämlich am Ende des Vordersatzes, denn 18, 9 ist logisch Nachsatz mit Nachsatz- Anfangsstellung des Verbums Bit wir (vgl. oben S. 200), aber angesichts der ausgesprochenen Tendenz des Diktators gegen deutschen Tardus kann ein Zweifel an der Richtigkeit der Uberlieferung nicht unterdrückt werden. Vielleicht ist mit leichter Emendation und Umstellung etwa zu lesen dý (er) em nòch ist schúldig, also Velox wie in der lateinischen Vorlage. Auch im Satzinnern ist der Tardus so gut wie ganx gemieden. Denn die beiden Fälle 8, 7f. entphóe recht stéteclich und 24, 6 frúntschaft begérlichn beweisen nichts. Sie können xufällig sein, um so eher, als der zweite in der Bittformel steht, die sonst nicht rhythmisch gegliedert ist. Alle andern Beispiele sind zweifelhaft. Darüber später noch ein Wort. § 42. Typus Meyer VI. 1. Am Schluß des Tatbestandes 4 mal: 13, 6 leýbe syn vortérbit (doch s. unten S. 218, § 44); 17, 9f. wédel hot getrébin; 21, 6 landin ym geháldin; 24, 5f. gestúrbin vnd gevállin. 2. Am Schluß der Petitio 2mal: 16, 9f. seúmniss wèllit kómen; 25, 7f. zcú yn wèllet reýtn. 3. Am Briefende 4 mal: 2, 7f. getón hot vnd vorheýsen; 4, 5 f. volkúmmelich beczálit; 10, 14 briffen mògen bleýbin; 29, 9f. vnd'nándir czu bestricken. 4. Im Satinnern nur selten wie 17, 5 clégelich geclágit; 19, 6 schichherheit vorscreibn; 20, 7 vngemach getón hot. 1 Uber dessen Bexiehungen zu Bischof Wolfger von Passau, späterem Patri- archen von Aquileia, und Walther von der Vogelweide s. Burdach, Walther von der Vogelweide 1 (1900), S. 290ff. 2 Vgl. W. Meyer, Ges. Abh. II 269.
216 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. bedingt von selbst eine Beschränkung von vier- und mehrsilbigen Sen- kungen. Daher kommt es auch, daß der Velox im Deutschen fast aus- nahmslos in der schwebenden Form auftritt mit starkem Nebenton auf der dritten Senkungssilbe. Eine weitere Abart von diesem schwebenden Velox ist der Rolandinus, der 6, 9 und 12, 12 begegnet. Ihn hat Ro- landinus, ein Schüler des in so vieler Hinsicht merkwürdigen Rede- künstlers Buoncompagni 1, um 1260 in Padua eingeführt, indem er die zweite Senkung des Daktylus abtrennte und zum nächsten Worte schlug2: also aus xxxIxxIxx (z. B. timida néscit ésse) machte er ein XxlxXxIXX (z. B. malórum vindícta érat). § 41. Tardus. Die Abneigung gegen diesen Satxschluß ist noch stärker. Sicher ist nur ein Beispiel am Schluß des Tatbestandes 18, 8 dý em noch schúldig ist überliefert. An sich ohne Anstoß in der Periodenstellung, nämlich am Ende des Vordersatzes, denn 18, 9 ist logisch Nachsatz mit Nachsatz- Anfangsstellung des Verbums Bit wir (vgl. oben S. 200), aber angesichts der ausgesprochenen Tendenz des Diktators gegen deutschen Tardus kann ein Zweifel an der Richtigkeit der Uberlieferung nicht unterdrückt werden. Vielleicht ist mit leichter Emendation und Umstellung etwa zu lesen dý (er) em nòch ist schúldig, also Velox wie in der lateinischen Vorlage. Auch im Satzinnern ist der Tardus so gut wie ganx gemieden. Denn die beiden Fälle 8, 7f. entphóe recht stéteclich und 24, 6 frúntschaft begérlichn beweisen nichts. Sie können xufällig sein, um so eher, als der zweite in der Bittformel steht, die sonst nicht rhythmisch gegliedert ist. Alle andern Beispiele sind zweifelhaft. Darüber später noch ein Wort. § 42. Typus Meyer VI. 1. Am Schluß des Tatbestandes 4 mal: 13, 6 leýbe syn vortérbit (doch s. unten S. 218, § 44); 17, 9f. wédel hot getrébin; 21, 6 landin ym geháldin; 24, 5f. gestúrbin vnd gevállin. 2. Am Schluß der Petitio 2mal: 16, 9f. seúmniss wèllit kómen; 25, 7f. zcú yn wèllet reýtn. 3. Am Briefende 4 mal: 2, 7f. getón hot vnd vorheýsen; 4, 5 f. volkúmmelich beczálit; 10, 14 briffen mògen bleýbin; 29, 9f. vnd'nándir czu bestricken. 4. Im Satinnern nur selten wie 17, 5 clégelich geclágit; 19, 6 schichherheit vorscreibn; 20, 7 vngemach getón hot. 1 Uber dessen Bexiehungen zu Bischof Wolfger von Passau, späterem Patri- archen von Aquileia, und Walther von der Vogelweide s. Burdach, Walther von der Vogelweide 1 (1900), S. 290ff. 2 Vgl. W. Meyer, Ges. Abh. II 269.
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IV. Der rhythmische Satzschluß. 217 Also noch weniger beliebt als der Velox. Aber es geht nicht an, diesen Typus durch Emendation oder Umstellung beseitigen zu wollen. Schon deshalb nicht, weil er gleich häufig auch in der lateinischen Vor- lage vom Diktator verwendet wird. Man könnte höchstens schwanken, ob man nicht Fälle wie 2, 7 hirschaft getón hot vnd vorheýsen ; 21, 6f. schádn den lándin ym geháldin; 24, 6f. gewónheiten seýn gestúrbin vnd gevállin als erweiterten Velox ansetzen und lesen soll. Ebenso wie der Velox wird auch dieser Typus gern schwebend be- handelt mit Beschwerung der zweiten Senkung, so 10, 14; 16, 9f.; 25, 7f. Daneben die Abart mit verschobener Silbengrenze 4, 5f.; 17, 5; 19, 6 und 20, 7. Der Typus Meyer VII mit fünf- und mehrsilbiger Senkung ist aus denselben Gründen, die schon die Form des reinen Velox einschränken, im deutschen Text überhaupt nicht vertreten. § 43. Doppeldeutige Satzschlüsse. Eine Anxahl Satzausgänge kann nicht eindeutig einer bestimmten Form zugeteilt werden. So wäre 7, 11 irkénne vnd genéme in dieser Form Typus Meyer VI. Wahrscheinlich aber ist gerade am Briefende, mit Elision, Planus xu lesen irkénn vnd genéme, xumal die Elision durch Fabian Franck für die schlesische Kanzleisprache bezeugt ist1. Zweifelhaft dagegen ist, ob man 19, 9 schreib wir euch sùlche sáche als Velox mit Apokope lesen darf, die an sich, zumal in der Inklination, xulässig sein dürfte (vgl. 13, 6 Dorvmme bit wir vnser frunde), oder aber als schlechten Planus eúch sulche sáche. Ebenso wäre 14, 4 dy euch wederczéme sint in dieser Folge Tardus; vielleicht ist umzustellen dý euch sint wederczéme, also Velox. 20, 7f. könnte sein czu eúch vmme lófin, ein schlechter Planus, oder aber márktage czú euch vmme lófin, erweiterter Velox. Andere Fälle sind unsicher wegen schwankender Akzentlage. So verlangt zwar der Sinn zu lesen: 3, 10 sewmmisse czúsendin, also Tardus, oder 9, 8 vleýseclich czú sehn = Planus; 17, 16 vorbás nicht wirt czúnemen = Tardus, und 29, 6 f. óbirflùssig czúnemen ohne Cursus, aber die Möglichkeit ist nicht von der Hand zu weisen, daß der Verfasser unbekümmert um den Wortlaut der lateinischen Vorlage die Infinitive hier nicht als Kompositum, sondern als gewöhn- liche Infinitivkonstruktionen mit czu gefaßt und betont hat: 3, 10 séwmisse czu séndin (Planus); 17, 16 vórbas nicht wirt czu némen (schlechter Velox); 29, 6f. óbirflússig czu némen (Planus). Endlich würde heutige Betonung 19, 8 ménunge nicht wissen und 25, 9 frúnt- lichn berichtn den Typus Meyer VI ergeben, damals aber wird man Planus 1 Vgl. Burdachs Abhandlung, Zur Gesch. d. nhd. Schriftspr., in Forschungen z. deutschen Phil., Festgabe f. Hildebrand, Leipxig 1894, S. 321 (wieder ab- gedruckt in Vorspiel Bd. I, Halle a./S. Max Niemeyer 1925).
IV. Der rhythmische Satzschluß. 217 Also noch weniger beliebt als der Velox. Aber es geht nicht an, diesen Typus durch Emendation oder Umstellung beseitigen zu wollen. Schon deshalb nicht, weil er gleich häufig auch in der lateinischen Vor- lage vom Diktator verwendet wird. Man könnte höchstens schwanken, ob man nicht Fälle wie 2, 7 hirschaft getón hot vnd vorheýsen ; 21, 6f. schádn den lándin ym geháldin; 24, 6f. gewónheiten seýn gestúrbin vnd gevállin als erweiterten Velox ansetzen und lesen soll. Ebenso wie der Velox wird auch dieser Typus gern schwebend be- handelt mit Beschwerung der zweiten Senkung, so 10, 14; 16, 9f.; 25, 7f. Daneben die Abart mit verschobener Silbengrenze 4, 5f.; 17, 5; 19, 6 und 20, 7. Der Typus Meyer VII mit fünf- und mehrsilbiger Senkung ist aus denselben Gründen, die schon die Form des reinen Velox einschränken, im deutschen Text überhaupt nicht vertreten. § 43. Doppeldeutige Satzschlüsse. Eine Anxahl Satzausgänge kann nicht eindeutig einer bestimmten Form zugeteilt werden. So wäre 7, 11 irkénne vnd genéme in dieser Form Typus Meyer VI. Wahrscheinlich aber ist gerade am Briefende, mit Elision, Planus xu lesen irkénn vnd genéme, xumal die Elision durch Fabian Franck für die schlesische Kanzleisprache bezeugt ist1. Zweifelhaft dagegen ist, ob man 19, 9 schreib wir euch sùlche sáche als Velox mit Apokope lesen darf, die an sich, zumal in der Inklination, xulässig sein dürfte (vgl. 13, 6 Dorvmme bit wir vnser frunde), oder aber als schlechten Planus eúch sulche sáche. Ebenso wäre 14, 4 dy euch wederczéme sint in dieser Folge Tardus; vielleicht ist umzustellen dý euch sint wederczéme, also Velox. 20, 7f. könnte sein czu eúch vmme lófin, ein schlechter Planus, oder aber márktage czú euch vmme lófin, erweiterter Velox. Andere Fälle sind unsicher wegen schwankender Akzentlage. So verlangt zwar der Sinn zu lesen: 3, 10 sewmmisse czúsendin, also Tardus, oder 9, 8 vleýseclich czú sehn = Planus; 17, 16 vorbás nicht wirt czúnemen = Tardus, und 29, 6 f. óbirflùssig czúnemen ohne Cursus, aber die Möglichkeit ist nicht von der Hand zu weisen, daß der Verfasser unbekümmert um den Wortlaut der lateinischen Vorlage die Infinitive hier nicht als Kompositum, sondern als gewöhn- liche Infinitivkonstruktionen mit czu gefaßt und betont hat: 3, 10 séwmisse czu séndin (Planus); 17, 16 vórbas nicht wirt czu némen (schlechter Velox); 29, 6f. óbirflússig czu némen (Planus). Endlich würde heutige Betonung 19, 8 ménunge nicht wissen und 25, 9 frúnt- lichn berichtn den Typus Meyer VI ergeben, damals aber wird man Planus 1 Vgl. Burdachs Abhandlung, Zur Gesch. d. nhd. Schriftspr., in Forschungen z. deutschen Phil., Festgabe f. Hildebrand, Leipxig 1894, S. 321 (wieder ab- gedruckt in Vorspiel Bd. I, Halle a./S. Max Niemeyer 1925).
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218 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. gelesen haben mit Spondeus auf der Nebentonsilbe früntlichn berichtn und mênúnge nicht wissen. c) In P und S verschieden überlieferte Satzschlüsse. § 44. Folgende Satzschlüsse sind in den beiden Hss. abweichend überliefert: 2, 7 própter míssa P própter promíssa S; 3, 6 téndo proficísci P nómine proficisci S; 10, 11 nós constitúti P constitúti velítis S; 16, 7 pártes propósuit P propósuit proficísci S; 18, 8 obligátum obligári P expósuit obligári S. Und im deutschen Text: 1, 8f. glóbe vnd getráwe P genczlíchen in dich getráwe S; 4, 5 f. vol- kúmmelich beczálit P gáncz vnd gár beczált S; 6, 8 her óff czu sczícken P sénden vnd schícken S; 10, 9f. cýhn adir reýthen Prv lóssen czu ríchten S; 11, 9f. óch dohyn komen wérden P hýn werden kómen S; 13, 6 leýbe vortirbit P libe syn vortérbit S; 17, 8 ff. genómen hot getrébin P wédel hot getrébin S. Hiervon scheiden vier Stellen (2a, 7; 10", 11; 16a, 7 und 17b, 8ff.) wegen offensichtlicher Textverderbnis von P ohne weiteres von der Er- örterung aus. Im Abdruck ist in allen vier Fällen die Lesart von S mit regelrechtem Cursus substituiert. Aber darüber hinaus zerstört P durch falsche Stellung 3", 6 und durch überflüssigen Zusatz 18", 8 den glatten Velox, den S beidemal richtig bringt. Ebenso ist P in 10°, 9f. umständlich und sinnlos, wenn auch den Planus wahrend, während S die bündige Wendung richtig überliefert. Auch 6b, 8 hält sich S pein- licher an die Tradition mit glattem Planus, der in P verstümmelt ist. Zwei Abweichungen (15, 8 und 11b, 9f.) ergeben in P und S brauch- baren Cursus. In 13b, 6 überliefert P normalen Planus gegenüber S mit Typus Meyer VI (s. oben § 3, 1b S. 174); das in S stehende syn ist zu tilgen oder mit Umstellung zu lesen syn am leýbe vortérbit. Nur in einem Fall (4°, 5f.) ergibt die an sich bessere Lesart von S keinen richtigen Satzschluß im Gegensatz xu P. Aber bei den übrigen Cursusdifferenzen verdient die Uberlieferung von S den Vorzug vor P. Also auch die Cursusfrage bestätigt den allgemein konstatierten besseren kritischen Wert von S gegenüber P (s. oben S. 136ff.). 2. Der zweite (doppelsprachige) Schneeberger Briefsteller (Nr. 31—44). a) Die lateinischen Texte. § 45. Planus. Am vollen Periodenschluß nur 3 mal: 33, 23 gracióse prestándo und 40, 11f. cláre patéscunt am Ende der Petitio und 43, 14 adipisci prebéndam am Schluß des Tatbestandes. Dazu einmal in der Salutatio
218 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. gelesen haben mit Spondeus auf der Nebentonsilbe früntlichn berichtn und mênúnge nicht wissen. c) In P und S verschieden überlieferte Satzschlüsse. § 44. Folgende Satzschlüsse sind in den beiden Hss. abweichend überliefert: 2, 7 própter míssa P própter promíssa S; 3, 6 téndo proficísci P nómine proficisci S; 10, 11 nós constitúti P constitúti velítis S; 16, 7 pártes propósuit P propósuit proficísci S; 18, 8 obligátum obligári P expósuit obligári S. Und im deutschen Text: 1, 8f. glóbe vnd getráwe P genczlíchen in dich getráwe S; 4, 5 f. vol- kúmmelich beczálit P gáncz vnd gár beczált S; 6, 8 her óff czu sczícken P sénden vnd schícken S; 10, 9f. cýhn adir reýthen Prv lóssen czu ríchten S; 11, 9f. óch dohyn komen wérden P hýn werden kómen S; 13, 6 leýbe vortirbit P libe syn vortérbit S; 17, 8 ff. genómen hot getrébin P wédel hot getrébin S. Hiervon scheiden vier Stellen (2a, 7; 10", 11; 16a, 7 und 17b, 8ff.) wegen offensichtlicher Textverderbnis von P ohne weiteres von der Er- örterung aus. Im Abdruck ist in allen vier Fällen die Lesart von S mit regelrechtem Cursus substituiert. Aber darüber hinaus zerstört P durch falsche Stellung 3", 6 und durch überflüssigen Zusatz 18", 8 den glatten Velox, den S beidemal richtig bringt. Ebenso ist P in 10°, 9f. umständlich und sinnlos, wenn auch den Planus wahrend, während S die bündige Wendung richtig überliefert. Auch 6b, 8 hält sich S pein- licher an die Tradition mit glattem Planus, der in P verstümmelt ist. Zwei Abweichungen (15, 8 und 11b, 9f.) ergeben in P und S brauch- baren Cursus. In 13b, 6 überliefert P normalen Planus gegenüber S mit Typus Meyer VI (s. oben § 3, 1b S. 174); das in S stehende syn ist zu tilgen oder mit Umstellung zu lesen syn am leýbe vortérbit. Nur in einem Fall (4°, 5f.) ergibt die an sich bessere Lesart von S keinen richtigen Satzschluß im Gegensatz xu P. Aber bei den übrigen Cursusdifferenzen verdient die Uberlieferung von S den Vorzug vor P. Also auch die Cursusfrage bestätigt den allgemein konstatierten besseren kritischen Wert von S gegenüber P (s. oben S. 136ff.). 2. Der zweite (doppelsprachige) Schneeberger Briefsteller (Nr. 31—44). a) Die lateinischen Texte. § 45. Planus. Am vollen Periodenschluß nur 3 mal: 33, 23 gracióse prestándo und 40, 11f. cláre patéscunt am Ende der Petitio und 43, 14 adipisci prebéndam am Schluß des Tatbestandes. Dazu einmal in der Salutatio
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IV. Der rhythmische Satzschluß. 219 43, 7 sémper inténtis und in der Petitionsformel 32, 11 sartórum magistris. Sonst nur innerhalb der Periode am Satzschluß mit Sinnes- pause wie 35, 10 interésse vidétur; 37, 15 und 44, 9 canébant pagine; 40, 7 und 43, 9 percépi relátu; 41, 9 síquidem haúsi. Also im ganzen, namentlich im Vergleich zu den Schlägler Texten, auffallend selten. § 46. Velox. 1. In der Salutatio 4 mal: 39, 9f. obséquium caritátum; 41, 7 amicícia prenotántur; 42, 7 iúgiter actuántur; 44, 7 iúgiter preadmissa. 2. Im Tatbestand 10 mal: 31 (I), 3 fidéliter sustinére; 32, 9f. síbi regraciámur; 34, 10 f. próxime vacatúrum; 35, 15f. vólumus limitáre; 36, 12 resistere valeámus; 37, 14 intrinsecus condoléndo; 38, 11 und 41, 10f. témpore propresénti; 39, 17 pietátis subueniéndo; 42, 10 fidé- liter conparaui; 43, 11 gráuiter agonizans. 3. In der Petitionsformel 3mal: 34, 11 véstram paternitátem; 35, 16 cordintime supplicámus; 38, 12 humíliter implorámus. 4. Am Schluß der Petitio 5 mal: 32, 12 f. consórcio applicétur; 33, 21 dignémini prouidére; 36, 14f. benígniter sit missúra; 40, 10f. beníuole concordáre; 41, 13 áliquos conparábit. 5. Vor Datum 3 mal: 31 (II), 6 intúitum meritórum; 34, 16 ópere deprecantes; 40, 13f. fieri michi míssum. 6. In der Formel Zu Gegendiensten 10 mal: 31 (1), 6 vbilibet remeréri; 32, 14 cúpimus remeréri; 33, 24 cúpimus famulári; 34, 14 cúpimus inclinátam; 36, 18 und 38, 17 sédule seruitúri; 39, 19 be- níuole sùm secúrus; 42, 15 ubilibet conplacére; 43, 19 retribúere reconpénsam; 44, 13f. tempóribus subsequéndis. 7. In der Roboratio 3 mal: 31 (1), 7 preséntibus èst appénsum; 31(II), 8 nóstro sùnt roboráta; 33, 25 preséntibus èst affixum. 8. Vor der Roboratio: 31 (II), 7 preséncia non valébunt. 9. Im Satzinnern bei Sinnespausen häufiger an Stellen wie 33, 13 dinóscitur pertinére; 34, 4 humillime supplicáuit; 36, 10 intulit no- cuménta; 42, 10 discrécio supplicauit. Der Velox ist also an sämtlichen Stellen ausgesprochener Favorit, und zwar am meisten in der Normalform, selten schwebend und noch seltener mit verschobener Wortgrenze. Die erweiterte Form begegnet 5 mal: 31 /II), 3f. páriter málum sufferéntem; 33, 7f. génera béne placitórum; 41, 14 potéritis ipsos transmitténdo; 44, 9 f. finem iam víte consumávit und 42, 12 f. bréuiter michi relegáre. § 47. Tardus. Am Periodenschluß nur 1 mal: 43, 17 f. nóstram presénciam. Viel- leicht ist hier mit Umstellung presénciam nóstram Abart des Planus xu lesen.
IV. Der rhythmische Satzschluß. 219 43, 7 sémper inténtis und in der Petitionsformel 32, 11 sartórum magistris. Sonst nur innerhalb der Periode am Satzschluß mit Sinnes- pause wie 35, 10 interésse vidétur; 37, 15 und 44, 9 canébant pagine; 40, 7 und 43, 9 percépi relátu; 41, 9 síquidem haúsi. Also im ganzen, namentlich im Vergleich zu den Schlägler Texten, auffallend selten. § 46. Velox. 1. In der Salutatio 4 mal: 39, 9f. obséquium caritátum; 41, 7 amicícia prenotántur; 42, 7 iúgiter actuántur; 44, 7 iúgiter preadmissa. 2. Im Tatbestand 10 mal: 31 (I), 3 fidéliter sustinére; 32, 9f. síbi regraciámur; 34, 10 f. próxime vacatúrum; 35, 15f. vólumus limitáre; 36, 12 resistere valeámus; 37, 14 intrinsecus condoléndo; 38, 11 und 41, 10f. témpore propresénti; 39, 17 pietátis subueniéndo; 42, 10 fidé- liter conparaui; 43, 11 gráuiter agonizans. 3. In der Petitionsformel 3mal: 34, 11 véstram paternitátem; 35, 16 cordintime supplicámus; 38, 12 humíliter implorámus. 4. Am Schluß der Petitio 5 mal: 32, 12 f. consórcio applicétur; 33, 21 dignémini prouidére; 36, 14f. benígniter sit missúra; 40, 10f. beníuole concordáre; 41, 13 áliquos conparábit. 5. Vor Datum 3 mal: 31 (II), 6 intúitum meritórum; 34, 16 ópere deprecantes; 40, 13f. fieri michi míssum. 6. In der Formel Zu Gegendiensten 10 mal: 31 (1), 6 vbilibet remeréri; 32, 14 cúpimus remeréri; 33, 24 cúpimus famulári; 34, 14 cúpimus inclinátam; 36, 18 und 38, 17 sédule seruitúri; 39, 19 be- níuole sùm secúrus; 42, 15 ubilibet conplacére; 43, 19 retribúere reconpénsam; 44, 13f. tempóribus subsequéndis. 7. In der Roboratio 3 mal: 31 (1), 7 preséntibus èst appénsum; 31(II), 8 nóstro sùnt roboráta; 33, 25 preséntibus èst affixum. 8. Vor der Roboratio: 31 (II), 7 preséncia non valébunt. 9. Im Satzinnern bei Sinnespausen häufiger an Stellen wie 33, 13 dinóscitur pertinére; 34, 4 humillime supplicáuit; 36, 10 intulit no- cuménta; 42, 10 discrécio supplicauit. Der Velox ist also an sämtlichen Stellen ausgesprochener Favorit, und zwar am meisten in der Normalform, selten schwebend und noch seltener mit verschobener Wortgrenze. Die erweiterte Form begegnet 5 mal: 31 /II), 3f. páriter málum sufferéntem; 33, 7f. génera béne placitórum; 41, 14 potéritis ipsos transmitténdo; 44, 9 f. finem iam víte consumávit und 42, 12 f. bréuiter michi relegáre. § 47. Tardus. Am Periodenschluß nur 1 mal: 43, 17 f. nóstram presénciam. Viel- leicht ist hier mit Umstellung presénciam nóstram Abart des Planus xu lesen.
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220 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. Sonst nur einigemal im Satvinnern bei Sinnespause, so 33, 16 déum contulimus; 36, 8 diligénter conquérimur; 37, 16 f. desiderántes cordintime, quatinus; 41, 11 supplico discrecióni cordintime. § 48. Typus Meyer VI. 1. In der Salutatio 3 mal: 34, 1 sémper cum deuótis; 35, 6 appetitu prelibáto; 37, 10 sémper cum festinis. 2. Im Tatbestand 4 mal: 32, 8 probitáte viguérunt; 33, 19 solémp- nibus consuétis; 35, 12 tenétur insudáre; 40, 9 síbi conpeténti. 3. In der Petitionsformel 1 mal: 36, 13 sinceritáti predilécte. 4. Am Schluß der Petitio 4 mal: 31 (I), 5 nóstri famulátus; 35,17f. velitis expectáre; 36, 16 f. valeámus ordináre; 37, 18 ordináre dura- tiuam; 38, 16 principáliter Romána. 5. In der Formel Zu Gegendiensten 4 mal: 35, 22 gratánter famulári; 37,19 amice conplacére; 40, 12 maióri conplacére; 41, 15 beniuole conábor. 6. In der Roboratio 1 mal: 32, 16 sciénter roborári. 7. Innerhalb der Satzperiode häufiger, x. B. 33, 12 vacáre conpro- bátur; 34, 6f. prouidére dignarémur; 35, 20 attencióne transmitténdo; 43, 16 cárnis vniuérse. Dieser Typus ist also ungewöhnlich häufig vom Diktator verwendet, fast halb so oft wie der Velox und weit öfter als der Planus. Dabei ist bemerkenswert, daß dieser Cursus auch am vollen Periodenschluß verhältnismäßig häufig auftritt, meist in der Normalform mit viersilbigem Schlußwort, nur selten mit verschobener Wortgrenze. § 49. Typus Meyer VII und Anomala. Typus Meyer VII begegnet zweimal in der Salutatio: 36, 5f. amica salutaciónem; 40, 5 dómino oraciónum und einmal am Schluß der Petitio: 38, 14 benigniter introducátis. 38, 8 ist die Salutatio ohne regelrechten Cursus gebildet, ebenso einige Petitionsformeln, darunter xweimal (33, 20 und 40, 9f.) die Form XXIXXX vor quatinus. b) Die deutschen Texte. § 50. Schon bei flüchtiger Lektüre erkennt man, daß der Redaktor dieser Sammlung den Cursus nicht so geschickt anzuwenden versteht wie der Diktator der Schlägler Briefmuster. Mehrmals ist selbst am vollen Periodenende überhaupt kein rhythmischer Schluß hergestellt, während in andern Fällen zweifelhaft ist, ob ein Cursus vorliegt oder nicht. Gruß- und Bittformel sind auch hier im allgemeinen ohne rhythmischen Schluß abgefaßt.
220 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. Sonst nur einigemal im Satvinnern bei Sinnespause, so 33, 16 déum contulimus; 36, 8 diligénter conquérimur; 37, 16 f. desiderántes cordintime, quatinus; 41, 11 supplico discrecióni cordintime. § 48. Typus Meyer VI. 1. In der Salutatio 3 mal: 34, 1 sémper cum deuótis; 35, 6 appetitu prelibáto; 37, 10 sémper cum festinis. 2. Im Tatbestand 4 mal: 32, 8 probitáte viguérunt; 33, 19 solémp- nibus consuétis; 35, 12 tenétur insudáre; 40, 9 síbi conpeténti. 3. In der Petitionsformel 1 mal: 36, 13 sinceritáti predilécte. 4. Am Schluß der Petitio 4 mal: 31 (I), 5 nóstri famulátus; 35,17f. velitis expectáre; 36, 16 f. valeámus ordináre; 37, 18 ordináre dura- tiuam; 38, 16 principáliter Romána. 5. In der Formel Zu Gegendiensten 4 mal: 35, 22 gratánter famulári; 37,19 amice conplacére; 40, 12 maióri conplacére; 41, 15 beniuole conábor. 6. In der Roboratio 1 mal: 32, 16 sciénter roborári. 7. Innerhalb der Satzperiode häufiger, x. B. 33, 12 vacáre conpro- bátur; 34, 6f. prouidére dignarémur; 35, 20 attencióne transmitténdo; 43, 16 cárnis vniuérse. Dieser Typus ist also ungewöhnlich häufig vom Diktator verwendet, fast halb so oft wie der Velox und weit öfter als der Planus. Dabei ist bemerkenswert, daß dieser Cursus auch am vollen Periodenschluß verhältnismäßig häufig auftritt, meist in der Normalform mit viersilbigem Schlußwort, nur selten mit verschobener Wortgrenze. § 49. Typus Meyer VII und Anomala. Typus Meyer VII begegnet zweimal in der Salutatio: 36, 5f. amica salutaciónem; 40, 5 dómino oraciónum und einmal am Schluß der Petitio: 38, 14 benigniter introducátis. 38, 8 ist die Salutatio ohne regelrechten Cursus gebildet, ebenso einige Petitionsformeln, darunter xweimal (33, 20 und 40, 9f.) die Form XXIXXX vor quatinus. b) Die deutschen Texte. § 50. Schon bei flüchtiger Lektüre erkennt man, daß der Redaktor dieser Sammlung den Cursus nicht so geschickt anzuwenden versteht wie der Diktator der Schlägler Briefmuster. Mehrmals ist selbst am vollen Periodenende überhaupt kein rhythmischer Schluß hergestellt, während in andern Fällen zweifelhaft ist, ob ein Cursus vorliegt oder nicht. Gruß- und Bittformel sind auch hier im allgemeinen ohne rhythmischen Schluß abgefaßt.
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IV. Der rhythmische Satzschluß. 221 § 51. Planus. 1. Im Tatbestand 3 mal: 36, 12 wéder sten mógn; 37, 14 swerlichen betrúbet; 40, 10 wólde vorwéchseln. 2. In der Petitio 8 mal: 31, 7 wérden gefúrdert; 32, 12 wérkes derczeigen; 32, 13 gútlich entphángn; 33, 13 barmhérczekeit vbet; 35, 19 keynwértigen bóten; 36, 16 f. mógen geschicken; 41, 11 kovffet vnd séndet; 42, 13 wéder zcu sénden. 3. Am Briefende 7mal: 31, 8 denclichn vordýnen; 32, 14 und 41, 13 williclichn vordýnen; 34, 18 lébetáge vordýnen; 39, 19 williclichen vor- bréngen; 40, 16f. býn zcu begérnde; 43, 20 wállen ertzeigen. Also durchweg in der Normalform, nur zweimal (33, 13 und 35, 19) mit versetzter Wortgrenze. § 52. Velox. Velox ist aus den angegebenen sprachrhythmischen Gründen auch hier selten, fast noch seltener als in den Schlägler deutschen Mustern, ungeachtet dessen, daß er in der lateinischen Vorlage absolut dominiert. An vollem Periodenschluß begegnet er nur 33, 17 zcûbehorúnge des sèlbn álters; 35, 10 erbéten ym bý zcu légen; 39, 16 léhn zcu hulfe kómen und in erweiterter Form 44, 13f. zcúkunftign czýten syt begérnde. Auch innerhalb der Periode bei Sinnespause wie 33, 14 achtbarkeit vnde amecht wird der Velox so gut wie gemieden. § 53. Tardus. Gleichfalls selten, am Satzende nur einmal: 43, 18 vnser keynwérti- keyt. Auch im Satzinnern nur einigemal: 35, 17 kómen behégelich; 39, 13f. býschtumps bestéteget. § 54. Typus Meyer VI. Begegnet zwar häufiger als der Tardus, ohne aber im entfernten die Frequenz des Planus zu erreichen. Am Periodenschluß am Ende des Tatbestandes 33, 12 gerúchte had gehâlden; 35, 14 williclichen wòllen reýsen; 43, 14 anwisúnge mògen tréten. Am Briefende 33, 18 willec- líchen zcu vordínen; 38, 16 dýnen vnvordróssen. Nicht ganz sicher ist, ob man Schlüsse wie 34, 14 gutlichn czu vorlyen und 42, 15 gutlichen dinst erczcyen als Velox oder Meyer VI zu lesen hat. Ich glaube, daß man dem damaligen Betonungsgesetz gerechter wird, wenn man gútlichn, also Typus Meyer VI ansetzt. § 55. Satzschlüsse ohne Cursus. Im Gegensatz zum Schlägler Briefsteller sind eine Anxahl Satz- schlüsse der zweiten Schneeberger Sammlung nicht rhythmisch gegliedert, wenigstens nicht nach den üblichen Regeln. So 31, 4 willeglichn lidet; 32, 9f. wýssn wén allez gúth; 34, 17 pristerlichin wérdekeit;
IV. Der rhythmische Satzschluß. 221 § 51. Planus. 1. Im Tatbestand 3 mal: 36, 12 wéder sten mógn; 37, 14 swerlichen betrúbet; 40, 10 wólde vorwéchseln. 2. In der Petitio 8 mal: 31, 7 wérden gefúrdert; 32, 12 wérkes derczeigen; 32, 13 gútlich entphángn; 33, 13 barmhérczekeit vbet; 35, 19 keynwértigen bóten; 36, 16 f. mógen geschicken; 41, 11 kovffet vnd séndet; 42, 13 wéder zcu sénden. 3. Am Briefende 7mal: 31, 8 denclichn vordýnen; 32, 14 und 41, 13 williclichn vordýnen; 34, 18 lébetáge vordýnen; 39, 19 williclichen vor- bréngen; 40, 16f. býn zcu begérnde; 43, 20 wállen ertzeigen. Also durchweg in der Normalform, nur zweimal (33, 13 und 35, 19) mit versetzter Wortgrenze. § 52. Velox. Velox ist aus den angegebenen sprachrhythmischen Gründen auch hier selten, fast noch seltener als in den Schlägler deutschen Mustern, ungeachtet dessen, daß er in der lateinischen Vorlage absolut dominiert. An vollem Periodenschluß begegnet er nur 33, 17 zcûbehorúnge des sèlbn álters; 35, 10 erbéten ym bý zcu légen; 39, 16 léhn zcu hulfe kómen und in erweiterter Form 44, 13f. zcúkunftign czýten syt begérnde. Auch innerhalb der Periode bei Sinnespause wie 33, 14 achtbarkeit vnde amecht wird der Velox so gut wie gemieden. § 53. Tardus. Gleichfalls selten, am Satzende nur einmal: 43, 18 vnser keynwérti- keyt. Auch im Satzinnern nur einigemal: 35, 17 kómen behégelich; 39, 13f. býschtumps bestéteget. § 54. Typus Meyer VI. Begegnet zwar häufiger als der Tardus, ohne aber im entfernten die Frequenz des Planus zu erreichen. Am Periodenschluß am Ende des Tatbestandes 33, 12 gerúchte had gehâlden; 35, 14 williclichen wòllen reýsen; 43, 14 anwisúnge mògen tréten. Am Briefende 33, 18 willec- líchen zcu vordínen; 38, 16 dýnen vnvordróssen. Nicht ganz sicher ist, ob man Schlüsse wie 34, 14 gutlichn czu vorlyen und 42, 15 gutlichen dinst erczcyen als Velox oder Meyer VI zu lesen hat. Ich glaube, daß man dem damaligen Betonungsgesetz gerechter wird, wenn man gútlichn, also Typus Meyer VI ansetzt. § 55. Satzschlüsse ohne Cursus. Im Gegensatz zum Schlägler Briefsteller sind eine Anxahl Satz- schlüsse der zweiten Schneeberger Sammlung nicht rhythmisch gegliedert, wenigstens nicht nach den üblichen Regeln. So 31, 4 willeglichn lidet; 32, 9f. wýssn wén allez gúth; 34, 17 pristerlichin wérdekeit;
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222 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. 35, 21 genémelíchen dýnen; 36, 18 flissiclíchn dýnen; 38, 10 kirchen iczczunt lédig sy; 38, 14 besúnderlích bestétiget; 40, 13 ófte gehórt had réchen; 40, 14 behégelich zcu dýnen; 41,8f. keynwértigen tzýt; 43, II swérlich séletzágit; 44, 9 kürczlichen vorczért. Kann man auch durch leichten Eingriff die Mehrzahl dieser Beispiele den normalen rhythmischen Gesetzen anpassen, so bleibt doch zweifel- haft, ob man damit in jedem Fall den Intentionen des Diktators ent- sprechen würde. 3. Die doppelsprachigen Texte der Schweidnitzer Sammlung (Nr. 45—51). a) Die lateinischen Formulare. § 56. Planus. 1. In der Salutatio 4 mal: 47, 4 amóre sincéro; 48, 4 bonórum afféctu; 49, 4 sincérum afféctum; 51, 3 constánter premíssis. 2. Im Tatbestand 2 mal: 48, 6 honestáti transmitto; 50, 7 iniúste recépit. 3. In der Petitionsformel 4 mal: 45, 9 affectuóse rogámus; 49, 8 peratténte rogántes; 50, 7f. hortándo rogántes; 51, 9 supplicantes atténte. 4. In der Petitio 3 mal: 45, I1f. adhibére velitis und cédit efféc- tum; 50, 8 informáre velítis; 50, 9f. cessáre debéret. 5. Am Briefende 2 mal: 48, 9f. sufficiénti refúndam; 49, 11 ésse proféctam. Im ganzen also 15 mal, und zwar stets in der Normalform. § 57. Velox. 1. Im Tatbestand 4 mal: 45, 7 dicitur conmanére; 46, 8 presén- tibus diligénter; 46, 10 integráliter comendándo; 51, 7 corrigere nolebámus. 2. In der Petitionsformel 2 mal: 47, 6 précibus quibus póssum; 48, 7 précibus rogitándo. 3. Am Briefende 4 mal: 45, 13 crédimus parentélam; 46, 11 gérulo translegáre; 47, 10 procéssibus colletémur; 51, 11 fáciant nùllo módo. Also zusammen 10 Beispiele, davon 8 in der Normalform, 2 schwebend. § 58. Tardus. 1. In der Salutatio I mal: 50, 3 salútem in dómino. 2. Am vollen Satzschluß 2 mal: 47, 8 transmeáre desideras am Schluß der Petitio und 51, 8 pretereúndo dimisimus am Ende des Tatbestandes. Hiervon könnte der erste Fall durch einfache Umstellung leicht zum Velox gewandelt werden. 3. Innerhalb der Periode bei Satzpause 3 mal: 49, 6 abire desíderat
222 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. 35, 21 genémelíchen dýnen; 36, 18 flissiclíchn dýnen; 38, 10 kirchen iczczunt lédig sy; 38, 14 besúnderlích bestétiget; 40, 13 ófte gehórt had réchen; 40, 14 behégelich zcu dýnen; 41,8f. keynwértigen tzýt; 43, II swérlich séletzágit; 44, 9 kürczlichen vorczért. Kann man auch durch leichten Eingriff die Mehrzahl dieser Beispiele den normalen rhythmischen Gesetzen anpassen, so bleibt doch zweifel- haft, ob man damit in jedem Fall den Intentionen des Diktators ent- sprechen würde. 3. Die doppelsprachigen Texte der Schweidnitzer Sammlung (Nr. 45—51). a) Die lateinischen Formulare. § 56. Planus. 1. In der Salutatio 4 mal: 47, 4 amóre sincéro; 48, 4 bonórum afféctu; 49, 4 sincérum afféctum; 51, 3 constánter premíssis. 2. Im Tatbestand 2 mal: 48, 6 honestáti transmitto; 50, 7 iniúste recépit. 3. In der Petitionsformel 4 mal: 45, 9 affectuóse rogámus; 49, 8 peratténte rogántes; 50, 7f. hortándo rogántes; 51, 9 supplicantes atténte. 4. In der Petitio 3 mal: 45, I1f. adhibére velitis und cédit efféc- tum; 50, 8 informáre velítis; 50, 9f. cessáre debéret. 5. Am Briefende 2 mal: 48, 9f. sufficiénti refúndam; 49, 11 ésse proféctam. Im ganzen also 15 mal, und zwar stets in der Normalform. § 57. Velox. 1. Im Tatbestand 4 mal: 45, 7 dicitur conmanére; 46, 8 presén- tibus diligénter; 46, 10 integráliter comendándo; 51, 7 corrigere nolebámus. 2. In der Petitionsformel 2 mal: 47, 6 précibus quibus póssum; 48, 7 précibus rogitándo. 3. Am Briefende 4 mal: 45, 13 crédimus parentélam; 46, 11 gérulo translegáre; 47, 10 procéssibus colletémur; 51, 11 fáciant nùllo módo. Also zusammen 10 Beispiele, davon 8 in der Normalform, 2 schwebend. § 58. Tardus. 1. In der Salutatio I mal: 50, 3 salútem in dómino. 2. Am vollen Satzschluß 2 mal: 47, 8 transmeáre desideras am Schluß der Petitio und 51, 8 pretereúndo dimisimus am Ende des Tatbestandes. Hiervon könnte der erste Fall durch einfache Umstellung leicht zum Velox gewandelt werden. 3. Innerhalb der Periode bei Satzpause 3 mal: 49, 6 abire desíderat
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IV. Der rhythmische Satzschluß. 223 und 50, 5 rectitáte addúxerat im Tatbestand und 51, 10 velítis con- péscere in der Petitio. Mithin im ganzen 6 Fälle, sämtlich in der Normalform. § 59. Typus Meyer VI. Begegnet 4 mal, nämlich 2 mal in der Salutatio: 45, 3 bonórum voluntátem und 46, 4 constántibus premíssis. Und 2 mal in der Petitio, darunter einmal 48, 8 addúci permittátis am vollen Satzschluß, das anderemal 49, 10 assúmere velitis innerhalb der Periode bei Sinnespause. Zweimal in der Normalform und zweimal mit versetzter Wortgrenze. § 60. Typus Meyer VII. Am Briefende I mal: 50, 10 remédio precogitarémus. Am häufigsten also Planus; dann folgen in Abständen Velox, Tardus, Meyer VI und VII. b) Die deutschen Fassungen. § 61. Die Vorliebe für den Planus ist hier so ausgesprochen, daß andere Schlüsse fast überhaupt nicht verwendet sind. 1. Im Tatbestand 3 mal: 49, 6 lánde czu czíhn; 50, 6f. czól hat genómen; 51, 7 nicht wolden strófen. 2. In der Petitio 4 mal: 45, 10 wéllit irczeigen; 45, 11 wérde ge- éndit; 46, 7 móchte geháben; 49, 8f. wéllet entphóen. 3. Am Briefende 6 mal: 46, 10 vorschrébn zu sénden; 47, 8 fró- lichen máchen; 48, 10 mitenánder beczálen; 49, 10 móge genisen; 50, 10 das wir des irwéren; 51, 9f. wérden irlósen. Im ganxen 13 Beispiele, fast sämtlich in der Normalform, nur ein- mal (47, 8) mit verschobener Wortgrenze; ein Schluß (51, 7) von schlech- tem Rhythmus. § 62. Nur einmal begegnet der Velox in schwebender Form: 48, 9 bleýchen uff meyne czérung. § 63. Zwei Satzschlüsse sind ohne strengen Cursus einfach iambisch ge- bildet: 45, 12 bequémelichen wére am Briefende und 46, 9 vnd én euch gancz vnd gár befélen; ähnlich wie in den deutschen Texten der xweiten Schneeberger Sammlung. 4. Die einsprachig lateinischen Texte. § 64. Vorbemerkung. An letzter Stelle sollen hier die nur lateinischen Texte (Nr. 52—86) behandelt werden. Von ihnen sind Nr. 52 in S, Nr. 67 in Pund S, alle
IV. Der rhythmische Satzschluß. 223 und 50, 5 rectitáte addúxerat im Tatbestand und 51, 10 velítis con- péscere in der Petitio. Mithin im ganzen 6 Fälle, sämtlich in der Normalform. § 59. Typus Meyer VI. Begegnet 4 mal, nämlich 2 mal in der Salutatio: 45, 3 bonórum voluntátem und 46, 4 constántibus premíssis. Und 2 mal in der Petitio, darunter einmal 48, 8 addúci permittátis am vollen Satzschluß, das anderemal 49, 10 assúmere velitis innerhalb der Periode bei Sinnespause. Zweimal in der Normalform und zweimal mit versetzter Wortgrenze. § 60. Typus Meyer VII. Am Briefende I mal: 50, 10 remédio precogitarémus. Am häufigsten also Planus; dann folgen in Abständen Velox, Tardus, Meyer VI und VII. b) Die deutschen Fassungen. § 61. Die Vorliebe für den Planus ist hier so ausgesprochen, daß andere Schlüsse fast überhaupt nicht verwendet sind. 1. Im Tatbestand 3 mal: 49, 6 lánde czu czíhn; 50, 6f. czól hat genómen; 51, 7 nicht wolden strófen. 2. In der Petitio 4 mal: 45, 10 wéllit irczeigen; 45, 11 wérde ge- éndit; 46, 7 móchte geháben; 49, 8f. wéllet entphóen. 3. Am Briefende 6 mal: 46, 10 vorschrébn zu sénden; 47, 8 fró- lichen máchen; 48, 10 mitenánder beczálen; 49, 10 móge genisen; 50, 10 das wir des irwéren; 51, 9f. wérden irlósen. Im ganxen 13 Beispiele, fast sämtlich in der Normalform, nur ein- mal (47, 8) mit verschobener Wortgrenze; ein Schluß (51, 7) von schlech- tem Rhythmus. § 62. Nur einmal begegnet der Velox in schwebender Form: 48, 9 bleýchen uff meyne czérung. § 63. Zwei Satzschlüsse sind ohne strengen Cursus einfach iambisch ge- bildet: 45, 12 bequémelichen wére am Briefende und 46, 9 vnd én euch gancz vnd gár befélen; ähnlich wie in den deutschen Texten der xweiten Schneeberger Sammlung. 4. Die einsprachig lateinischen Texte. § 64. Vorbemerkung. An letzter Stelle sollen hier die nur lateinischen Texte (Nr. 52—86) behandelt werden. Von ihnen sind Nr. 52 in S, Nr. 67 in Pund S, alle
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224 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. andern allein in P enthalten. Zunächst die nur durch P überlieferten 33 Formulare. § 65. Cursus planus. 1. In der Salutatio 20mal: Nr. 54—56. 58. 64. 68. 69. 71—79. 81. 83. 84. 86. 2. Vor der Petitionsformel 9mal: 54, 7 habudánter indúcit; 55, 6f. proféctus indúcit; 58, 11 testánte (scriptúra); 60, 6 dirigéndo legámus; 64, 8 (presidére) valérem; 71, 7 semináre presúmpsit; 80, 6 uére di- cáuit; 81, 5 uóbis transmítto; 82, 8 addúci non pótest. 3. In der Petitionsformel (vor quatinus) 8 mal: 54, 8. 70, 9 maióri qua póssum; 57, 16. 73, 15. 75, 10 f. peticióne depósco; 72, 6 f. rogitátur non paúcis; 82, 9 sincéra rogámus; 83, 8 peratténte rogámus. 4. Am Schluß und innerhalb der Petitio 11 mal: 56,17 postergáre labóres ; 60, 9 fauoróse velítis; 62, 12 dáre velitis; 64, 12 f. promovére (velitis); 68, 28f. illustrári (dignéris); 72, 10 degustáre fapóres; 76, 11 dátur et sígnum; 77, 13 animábus etérna; 80, 11f. faciátis ad témpus; 81, 6 f. remittátis ministro; 82, 12 permittátis addúci. 5. Am Briefende vor Datum 4mal: 56, 21 tibi subiúncto; 80, 13 móra infúndam; 82, 13 amóris afféctum; 83, 11 cláre probábunt. Der cursus planus erscheint also am häufigsten in der Grußformel, am seltensten am Briefende und ist im übrigen ziemlich gleichmäßig über den Brieftext verteilt. Er tritt durchweg in der Normalform auf. § 66. Cursus velox. 1. In der Salutatio 6 mal: Nr. 59. 61. 63. 66. 70. 80. 2. Vor der Petitionsformel (im Tatbestand) 27mal: 53, 7 quarúm- libet dominári; 53, 9 detrahitur obvmbrándo; 53, 13 inhéreas frequen- tándo; 59, 6 pecuniárum (est) obligátus; 61, 6f. 65, 9 própria in per- sóna; 61, 9 póssumus nùllo módo; 62, 10f. enórmiter sepelire; 65, 6 pótens es presidére; 65, 11 beniuole susceptáre; 66, 8 nóuiter éstis con- secútus; 68, 15 firmissime confiténdo; 68, 22 princípio preferénda; 69, 10 retráhitur turpefácta; 69, 13 séruias premiánti; 70, 8 mórbidas et punctúras; 71, 12 assidue conspecsisse; 73, 14 vólo, sèd pretermítto; 74, 17 tálium excecándo; 75, 9 fórtiter rebellándo; 77, 6 diútine naui- gáui; 78, 8 atróciter molesténtur; 79, 7f. cónpetit conmessétur; 83, 7 scolárium aliórum; 84, 8f. nichilóminus consentimus; 85, 6f. póterit abusíva; 86, 6 vnice nominávit. 3. In der Petitionsformel vor quatinus oder quod 7mal: 58, 12f. précibus indeféssis; 63, 7 cordintime supplicátis; 68, 25 humilime côrde tóto; 74, 17f. rógito supplicátu; 76, 8 précibus et exhórtor; 77, 7 rógitans supplicátu; 78, 9 intime supplicándo. 4. In der Petitio 13mal: 54, 13 suspéndio retreúndo; 55, 15f. 72, 12 f. látuit in obscúro; 55, 17 principum colocári; 55, 21 feliciter
224 Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. andern allein in P enthalten. Zunächst die nur durch P überlieferten 33 Formulare. § 65. Cursus planus. 1. In der Salutatio 20mal: Nr. 54—56. 58. 64. 68. 69. 71—79. 81. 83. 84. 86. 2. Vor der Petitionsformel 9mal: 54, 7 habudánter indúcit; 55, 6f. proféctus indúcit; 58, 11 testánte (scriptúra); 60, 6 dirigéndo legámus; 64, 8 (presidére) valérem; 71, 7 semináre presúmpsit; 80, 6 uére di- cáuit; 81, 5 uóbis transmítto; 82, 8 addúci non pótest. 3. In der Petitionsformel (vor quatinus) 8 mal: 54, 8. 70, 9 maióri qua póssum; 57, 16. 73, 15. 75, 10 f. peticióne depósco; 72, 6 f. rogitátur non paúcis; 82, 9 sincéra rogámus; 83, 8 peratténte rogámus. 4. Am Schluß und innerhalb der Petitio 11 mal: 56,17 postergáre labóres ; 60, 9 fauoróse velítis; 62, 12 dáre velitis; 64, 12 f. promovére (velitis); 68, 28f. illustrári (dignéris); 72, 10 degustáre fapóres; 76, 11 dátur et sígnum; 77, 13 animábus etérna; 80, 11f. faciátis ad témpus; 81, 6 f. remittátis ministro; 82, 12 permittátis addúci. 5. Am Briefende vor Datum 4mal: 56, 21 tibi subiúncto; 80, 13 móra infúndam; 82, 13 amóris afféctum; 83, 11 cláre probábunt. Der cursus planus erscheint also am häufigsten in der Grußformel, am seltensten am Briefende und ist im übrigen ziemlich gleichmäßig über den Brieftext verteilt. Er tritt durchweg in der Normalform auf. § 66. Cursus velox. 1. In der Salutatio 6 mal: Nr. 59. 61. 63. 66. 70. 80. 2. Vor der Petitionsformel (im Tatbestand) 27mal: 53, 7 quarúm- libet dominári; 53, 9 detrahitur obvmbrándo; 53, 13 inhéreas frequen- tándo; 59, 6 pecuniárum (est) obligátus; 61, 6f. 65, 9 própria in per- sóna; 61, 9 póssumus nùllo módo; 62, 10f. enórmiter sepelire; 65, 6 pótens es presidére; 65, 11 beniuole susceptáre; 66, 8 nóuiter éstis con- secútus; 68, 15 firmissime confiténdo; 68, 22 princípio preferénda; 69, 10 retráhitur turpefácta; 69, 13 séruias premiánti; 70, 8 mórbidas et punctúras; 71, 12 assidue conspecsisse; 73, 14 vólo, sèd pretermítto; 74, 17 tálium excecándo; 75, 9 fórtiter rebellándo; 77, 6 diútine naui- gáui; 78, 8 atróciter molesténtur; 79, 7f. cónpetit conmessétur; 83, 7 scolárium aliórum; 84, 8f. nichilóminus consentimus; 85, 6f. póterit abusíva; 86, 6 vnice nominávit. 3. In der Petitionsformel vor quatinus oder quod 7mal: 58, 12f. précibus indeféssis; 63, 7 cordintime supplicátis; 68, 25 humilime côrde tóto; 74, 17f. rógito supplicátu; 76, 8 précibus et exhórtor; 77, 7 rógitans supplicátu; 78, 9 intime supplicándo. 4. In der Petitio 13mal: 54, 13 suspéndio retreúndo; 55, 15f. 72, 12 f. látuit in obscúro; 55, 17 principum colocári; 55, 21 feliciter
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IV. Der rhythmische Satzschluß. 225 possidébunt; 57, 21f. dignémini vestigáre; 59, 10 ácrius amonébo; 63, 8 restituat quem recépit; 70, 14f. dignémini pro presénti; 74, 19 páriter et cessáre; 76, 8f. ceruíciis depellátis; 76, 14f. moléstiam et labórem; 78, 11 (zugleich vor Datum) dignémini fauoróse. 5. Am Briefende vor Datum 23 mal: 53, 23. 68, 39. 69, 21. 81,7 sécula seculórum; 54, 16 témpora diutúrna; 57, 26f. fáciat iocundári: 58, 20f. subício voluntáti; 59, 11 gliscitis sémper promeréri; 60, 10 cúpimus remeréri; 61,13 iúgiter ostendétis; 62, 15 enórmiter concalcárer; 64, 15 fácere vos infórmat; 70, 17 sécula diutúrna; 71, 14 stúdio de- feréndo; 72, 18f. pléniter possidéndo; 73, 20 dúriter exstigwétur; 75, 16 salúbriter valeátis; 76, 19 poténcia dominátur; 77, 15 glória et honóre; 78, 11 (zugleich Schluß der Petitio) dignémini fauoróse; 79, 11 pervéniat sùe víte; 84, 11 pétimus vìce uérsa; 86, 7 corporális est mèus fráter. 6. Selten im Satzinnern bei Sinnespause in Fällen wie 66, 7 cúriam ad Románam; 68, 13 súfficit imploráre. Also im ganzen sehr beliebt, namentlich in den Eingang- und Schlußsätzen der Briefe, und zwar meist in der Normalform; schwebende Betonung (61, 9. 68, 25. 79, 11. 84, 10. 86, 7) ist gestattet, aber nicht häufig. Die erweiterte Form be- gegnet zweimal (59, 11 und 66, 8). Fälle mit verschobener Wortgrenze, etwa mit fünfsilbigem Schlußwort, kommen überhaupt nicht vor. Allein der Velox 73, 14 mit Satxpause im ersten Daktylus liest sich nicht so glatt. § 67. Cursus tardus. 1. Als Schluß der Salutatio 2mal: 57, 3f. honóris augéntibus und 62, 4 prenotántur beníuole, wo vielleicht mit Umstellung zu lesen ist amorem augentibus et exibiciónem honóris und beníuole prenotántur. 2. Vor der Petitionsformel und im Tatbestand 15mal: 56, 15 pro presénti pertránseo; 57, 15f. prepedítis labóribus; 58, 8 veritátis refúgio; 65, 5f. inbútus sciénciis; 66, 8 priuáre desíderat; 68, 18 irrigári desiderat; 68, 19f. transcúrrere váleat; 68, 24f. incessánter ebulliunt; 71, 8 f. prebuistis sermónibus; 72, 5f. ad lúcem expónitur; 75, 5 oblecta- ménta recípere; 75,7 incorporáre sciéncias; 77, 5f. érrans refúgio; 78, 6 f. exponébant pecúniam; 83, 7 studiórum diffúgiunt. 3. In der Petitionsformel vor quatinus und quod 8mal: 55, 7f. précatur rogátibus; 56, 16 rogátur afféctibus; 60, 7 supplicantes pre- cátibus; 61, 10 supplicámus cordíntime; 62, 11. 64, 11 venerabilitáti cordintime; 65, 11 monémus preséntibus; 85, 9 exaudiciónis fidúcia (vor Infinitiv). 4. In der Petitio 9mal: 55, 12 adipisci desíderes; 68, 30 mórtis naufrágium; 72, 8 disponátis in ésibus; 72, 14 collocári preórdinet; 73, 16 adire dignémini; 77, 10f. vócis sinphónie; 79, 9f. velítis in- dúcere: 83, 10 habére dignémini; 85, 9 cessáre collóquijs. 5. Am Briefende nie.
IV. Der rhythmische Satzschluß. 225 possidébunt; 57, 21f. dignémini vestigáre; 59, 10 ácrius amonébo; 63, 8 restituat quem recépit; 70, 14f. dignémini pro presénti; 74, 19 páriter et cessáre; 76, 8f. ceruíciis depellátis; 76, 14f. moléstiam et labórem; 78, 11 (zugleich vor Datum) dignémini fauoróse. 5. Am Briefende vor Datum 23 mal: 53, 23. 68, 39. 69, 21. 81,7 sécula seculórum; 54, 16 témpora diutúrna; 57, 26f. fáciat iocundári: 58, 20f. subício voluntáti; 59, 11 gliscitis sémper promeréri; 60, 10 cúpimus remeréri; 61,13 iúgiter ostendétis; 62, 15 enórmiter concalcárer; 64, 15 fácere vos infórmat; 70, 17 sécula diutúrna; 71, 14 stúdio de- feréndo; 72, 18f. pléniter possidéndo; 73, 20 dúriter exstigwétur; 75, 16 salúbriter valeátis; 76, 19 poténcia dominátur; 77, 15 glória et honóre; 78, 11 (zugleich Schluß der Petitio) dignémini fauoróse; 79, 11 pervéniat sùe víte; 84, 11 pétimus vìce uérsa; 86, 7 corporális est mèus fráter. 6. Selten im Satzinnern bei Sinnespause in Fällen wie 66, 7 cúriam ad Románam; 68, 13 súfficit imploráre. Also im ganzen sehr beliebt, namentlich in den Eingang- und Schlußsätzen der Briefe, und zwar meist in der Normalform; schwebende Betonung (61, 9. 68, 25. 79, 11. 84, 10. 86, 7) ist gestattet, aber nicht häufig. Die erweiterte Form be- gegnet zweimal (59, 11 und 66, 8). Fälle mit verschobener Wortgrenze, etwa mit fünfsilbigem Schlußwort, kommen überhaupt nicht vor. Allein der Velox 73, 14 mit Satxpause im ersten Daktylus liest sich nicht so glatt. § 67. Cursus tardus. 1. Als Schluß der Salutatio 2mal: 57, 3f. honóris augéntibus und 62, 4 prenotántur beníuole, wo vielleicht mit Umstellung zu lesen ist amorem augentibus et exibiciónem honóris und beníuole prenotántur. 2. Vor der Petitionsformel und im Tatbestand 15mal: 56, 15 pro presénti pertránseo; 57, 15f. prepedítis labóribus; 58, 8 veritátis refúgio; 65, 5f. inbútus sciénciis; 66, 8 priuáre desíderat; 68, 18 irrigári desiderat; 68, 19f. transcúrrere váleat; 68, 24f. incessánter ebulliunt; 71, 8 f. prebuistis sermónibus; 72, 5f. ad lúcem expónitur; 75, 5 oblecta- ménta recípere; 75,7 incorporáre sciéncias; 77, 5f. érrans refúgio; 78, 6 f. exponébant pecúniam; 83, 7 studiórum diffúgiunt. 3. In der Petitionsformel vor quatinus und quod 8mal: 55, 7f. précatur rogátibus; 56, 16 rogátur afféctibus; 60, 7 supplicantes pre- cátibus; 61, 10 supplicámus cordíntime; 62, 11. 64, 11 venerabilitáti cordintime; 65, 11 monémus preséntibus; 85, 9 exaudiciónis fidúcia (vor Infinitiv). 4. In der Petitio 9mal: 55, 12 adipisci desíderes; 68, 30 mórtis naufrágium; 72, 8 disponátis in ésibus; 72, 14 collocári preórdinet; 73, 16 adire dignémini; 77, 10f. vócis sinphónie; 79, 9f. velítis in- dúcere: 83, 10 habére dignémini; 85, 9 cessáre collóquijs. 5. Am Briefende nie.
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226 Einleitung. Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. 6. Dagegen sehr häufig im Satzinnern bei syntaktischen Pausen, x. B. 55, 8 depáscit infántulos; 56, 18 mutátur condício; 64, 8f. do- táuit munéribus; 68, 11f. infécta grossícies; 68, 16 pórtum desiderat; 73, I1f. reférta pernócuis; 74, 14 (potéstas) altissima; 79, 9 césset per ámplius; 80, 10 continéntem in bráchijs; 84, 5 f. interésse pertinuit; vgl. noch die folgenden 11 Fälle aus dem einen Briefe Nr. 57: Z. 6 oblectaménta concipere; Z. 7 exhamáre sciéncias; Z. 8 exhaústis fre- quéntibus; Z. 9 bellátor fortissimus und mundanórum corpóreos: Z. 11 confráter karissime; Z. 12 f. sémper indústria; Z. 15f. prepedítis la- bóribus; Z. 18 humáne constituunt; Z. 18 f. qualiacúnque prospiciunt; Z. 24 deinde suscípiens. Also am vollen Periodenschluß nur selten, dagegen häufig innerhalb der Satzperiode bei Sinnespausen. Diese Art der Verwendung des Tardus entspricht wieder durchaus der guten Tradition. Auch der Tardus er- scheint durchweg in der Normalform: nur 68, 19f. ist er unregelhaft gebaut. § 68. Andere Cadenzen. 1. Außer den drei gebräuchlichsten Schlüssen begegnet auch hier der Typus Meyer VI öfter. So a) 3mal in der Salutatio: 53, 3 prohémii premíssis; 60, 3 humí- liter assúmptis; 85, 3 nécnon cum amóre. b) Vor der Petitio 2mal: 64, 10 promouére ad maióra: 76, 6 válida ac túta. c) In der Petitio 8 mal: 57, 25 cláret sine fîne; 58, 18f. sufferátis supplantáre; 59, 8 velítis amonére; 61, 12 exporrigere velitis; 64, 13f. póssem acceptáre; 66, 12 concedénter obuiáre; 70, 13 desinátis affectáre: 75, 14 secúre porrigátis. d) Am Briefende Imal: 85, 10 fiat et honóris. Die Normalform XxI xxXx (drei Senkungen bei viersilbigem Schluß- wort) überwiegt, daneben die Variante mit verschobener Wortgrenze XxxlxXX. Für sich steht 65, 3 (Salutatio) cónsagwinitáte: viel- leicht ist auch hier umxustellen consagwinitáte et amóre. 2. Schlußrhythmus mit fünf Senkungen (Typus Meyer VII) tritt auch auf, aber nur 4mal: in der Salutatio 82, 3 in Dómino cùm caritáte; vor quatinus 79, 8 rógito discreciónem und in der Petitio 76, 13 poténcius nùnc possidére und 76, 18 effúgere nòn valuérunt. Dabei trägt die dritte Senkung jedesmal einen Nebenton. 74, 21 génerat de sua carne würde auch hierher gehören: der Text ist aber lückenhaft. 76, 13 ist vielleicht zum Velox umxustellen nunc poténcius possidére. Auch 76, 18 würde man lieber non effúgere valuérunt lesen, wenn nicht die Negation dieser Umstellung widerstrebte.
226 Einleitung. Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. 6. Dagegen sehr häufig im Satzinnern bei syntaktischen Pausen, x. B. 55, 8 depáscit infántulos; 56, 18 mutátur condício; 64, 8f. do- táuit munéribus; 68, 11f. infécta grossícies; 68, 16 pórtum desiderat; 73, I1f. reférta pernócuis; 74, 14 (potéstas) altissima; 79, 9 césset per ámplius; 80, 10 continéntem in bráchijs; 84, 5 f. interésse pertinuit; vgl. noch die folgenden 11 Fälle aus dem einen Briefe Nr. 57: Z. 6 oblectaménta concipere; Z. 7 exhamáre sciéncias; Z. 8 exhaústis fre- quéntibus; Z. 9 bellátor fortissimus und mundanórum corpóreos: Z. 11 confráter karissime; Z. 12 f. sémper indústria; Z. 15f. prepedítis la- bóribus; Z. 18 humáne constituunt; Z. 18 f. qualiacúnque prospiciunt; Z. 24 deinde suscípiens. Also am vollen Periodenschluß nur selten, dagegen häufig innerhalb der Satzperiode bei Sinnespausen. Diese Art der Verwendung des Tardus entspricht wieder durchaus der guten Tradition. Auch der Tardus er- scheint durchweg in der Normalform: nur 68, 19f. ist er unregelhaft gebaut. § 68. Andere Cadenzen. 1. Außer den drei gebräuchlichsten Schlüssen begegnet auch hier der Typus Meyer VI öfter. So a) 3mal in der Salutatio: 53, 3 prohémii premíssis; 60, 3 humí- liter assúmptis; 85, 3 nécnon cum amóre. b) Vor der Petitio 2mal: 64, 10 promouére ad maióra: 76, 6 válida ac túta. c) In der Petitio 8 mal: 57, 25 cláret sine fîne; 58, 18f. sufferátis supplantáre; 59, 8 velítis amonére; 61, 12 exporrigere velitis; 64, 13f. póssem acceptáre; 66, 12 concedénter obuiáre; 70, 13 desinátis affectáre: 75, 14 secúre porrigátis. d) Am Briefende Imal: 85, 10 fiat et honóris. Die Normalform XxI xxXx (drei Senkungen bei viersilbigem Schluß- wort) überwiegt, daneben die Variante mit verschobener Wortgrenze XxxlxXX. Für sich steht 65, 3 (Salutatio) cónsagwinitáte: viel- leicht ist auch hier umxustellen consagwinitáte et amóre. 2. Schlußrhythmus mit fünf Senkungen (Typus Meyer VII) tritt auch auf, aber nur 4mal: in der Salutatio 82, 3 in Dómino cùm caritáte; vor quatinus 79, 8 rógito discreciónem und in der Petitio 76, 13 poténcius nùnc possidére und 76, 18 effúgere nòn valuérunt. Dabei trägt die dritte Senkung jedesmal einen Nebenton. 74, 21 génerat de sua carne würde auch hierher gehören: der Text ist aber lückenhaft. 76, 13 ist vielleicht zum Velox umxustellen nunc poténcius possidére. Auch 76, 18 würde man lieber non effúgere valuérunt lesen, wenn nicht die Negation dieser Umstellung widerstrebte.
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IV. Der rhythmische Satzschluß. 227 § 69. Anomala. Einige wenige Sätze schließen ohne Cursus. Hieran ist zweifellos Verderbnis der Uberlieferung schuld. In 59, 7 amicície cordintime ist der vor quatinus beliebte Tardus durch andere Wortfolge leicht herzustellen amicicie véstre cordintime; 63, 9 diligénter (retinére) wäre Typus Meyer VI, die Stelle ist jedoch unvollständig überliefert; 65, 13 asseruisti, préstes ist entweder verstüm- melt oder prestes hinter quod zu stellen, so daß der Brief mit Velox endigte (literis asseruisti); dasselbe trifft zu für 66, 14, wo mit leichter Umstellung Planus (cunctis hóris explére) zu lesen ist; im gleichen Briefe Z. 9 ist porigimus consulatórias vor quatinus kein Cursus: es bleibt nur übrig, schlechten Tardus zu lesen cónsulatórias; in 78, 5 ist opertare válent nicht in Ordnung: auch hier wird man umstellen müssen válent opertáre (Meyer VI); nur bei 76, 16 nócet quam capácitas ist durch Umstellung kein rhythmischer Schluß zu erreichen. § 70. Cursusfreie Briefstellen. Adresse, Arenga und Roboratio unterliegen im allgemeinen nicht den Cursusregeln, weil ihre technische Struktur der Rhythmisierung wider- strebt. Weisen sie gleichwohl zuweilen richtige Cadenz auf, so ist das wohl mehr zufällig. Nur wenn die Adresse sehr ausführlich gehalten ist, findet sich auch der Cursus: so 68, 5 hóminum glorióse. § 71. Anshelms von Frankenstein Briefgebet. Das in P und S überlieferte Briefgebet des Prager Studenten Anshelm von Frankenstein an die heilige Katharina (Texte Nr. 67) ist ein Muster- stück feinster Rhythmuskunst, die sich auf alle Teile, Satz- und Sinnes- pausen, gleichmäßig erstreckt. Vgl. oben S. 122f. 29f. 46—51. 130. I. Planus steht 4 mal: Z. 3 (Salutatio) frequentacióne premissa; Z. 12 unumquémque secúntur; Z. 16 (in der Petitio) inpetráre dignéris; Z. 19 (vor Datum) sine fine regnáre. 2. Velox 5 mal: Z. 2 (Adresse) precípue conmensále; Z. 5 médicum animárum; Z. 7 sédulos exoráre: Z. 10 f. tristábilis ad casúram; Z. 14 (vor quatinus) rógito sitibúnde. 3. Tardus nur einmal bei Nebenpause Z. 5 gratulanter assúmere. § 72. Text Nr. 52. Ganz anders das nur in S überlieferte Lob der Rhetorik (Texte Nr. 52): hier erscheint I. Planus Z. 27 prelaciónem ditátum; Z. 29 módum loquéndi; Z. 31 peruenire exhórtor; Z. 67 módis formárum.
IV. Der rhythmische Satzschluß. 227 § 69. Anomala. Einige wenige Sätze schließen ohne Cursus. Hieran ist zweifellos Verderbnis der Uberlieferung schuld. In 59, 7 amicície cordintime ist der vor quatinus beliebte Tardus durch andere Wortfolge leicht herzustellen amicicie véstre cordintime; 63, 9 diligénter (retinére) wäre Typus Meyer VI, die Stelle ist jedoch unvollständig überliefert; 65, 13 asseruisti, préstes ist entweder verstüm- melt oder prestes hinter quod zu stellen, so daß der Brief mit Velox endigte (literis asseruisti); dasselbe trifft zu für 66, 14, wo mit leichter Umstellung Planus (cunctis hóris explére) zu lesen ist; im gleichen Briefe Z. 9 ist porigimus consulatórias vor quatinus kein Cursus: es bleibt nur übrig, schlechten Tardus zu lesen cónsulatórias; in 78, 5 ist opertare válent nicht in Ordnung: auch hier wird man umstellen müssen válent opertáre (Meyer VI); nur bei 76, 16 nócet quam capácitas ist durch Umstellung kein rhythmischer Schluß zu erreichen. § 70. Cursusfreie Briefstellen. Adresse, Arenga und Roboratio unterliegen im allgemeinen nicht den Cursusregeln, weil ihre technische Struktur der Rhythmisierung wider- strebt. Weisen sie gleichwohl zuweilen richtige Cadenz auf, so ist das wohl mehr zufällig. Nur wenn die Adresse sehr ausführlich gehalten ist, findet sich auch der Cursus: so 68, 5 hóminum glorióse. § 71. Anshelms von Frankenstein Briefgebet. Das in P und S überlieferte Briefgebet des Prager Studenten Anshelm von Frankenstein an die heilige Katharina (Texte Nr. 67) ist ein Muster- stück feinster Rhythmuskunst, die sich auf alle Teile, Satz- und Sinnes- pausen, gleichmäßig erstreckt. Vgl. oben S. 122f. 29f. 46—51. 130. I. Planus steht 4 mal: Z. 3 (Salutatio) frequentacióne premissa; Z. 12 unumquémque secúntur; Z. 16 (in der Petitio) inpetráre dignéris; Z. 19 (vor Datum) sine fine regnáre. 2. Velox 5 mal: Z. 2 (Adresse) precípue conmensále; Z. 5 médicum animárum; Z. 7 sédulos exoráre: Z. 10 f. tristábilis ad casúram; Z. 14 (vor quatinus) rógito sitibúnde. 3. Tardus nur einmal bei Nebenpause Z. 5 gratulanter assúmere. § 72. Text Nr. 52. Ganz anders das nur in S überlieferte Lob der Rhetorik (Texte Nr. 52): hier erscheint I. Planus Z. 27 prelaciónem ditátum; Z. 29 módum loquéndi; Z. 31 peruenire exhórtor; Z. 67 módis formárum.
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228 Einleitung. Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. 2. Velox nur Z. 68 (am Briefschluß) vidébitur in procéssu; inner- halb der Periode noch Z. 7f. órtulo elegánti und Z. 10f. intima pene- tráret. 3. Tardus am Satzschluß nicht. 4. Typus Meyer VI dagegen am häufigsten: Z. 2 ad ipsam in- vitáte; Z. 9 foméntum instillátur; Z. 12 auctoritáte Tuliána; Z. 13 letánter obuiáre; Z. 14 pósset conmendári; Z. 23 amóris inpressiva: Z. 38 dubitáta conticéscit; Z. 38 f. exémplar et ornátus; Z. 40 pudóris amatiua; Z. 43 presénciam condúcit; Z. 44 consília promóuet; Z. 46 possidéntibus honórem. 5. Mehrere Satzschlüsse sind überhaupt nicht rhythmisch; so Z. 50 sentenciárum excogitátio; Z. 60 omníno eruditus est; Z. 62 líbro prímo dicit; und ob Z. 49 ánimum proteruitátis als Typus Meyer VII beab- sichtigt ist, scheint mir höchst fraglich. Zugestanden, daß durch verderbte Uberlieferung die Reinheit mancher Cadenz getrübt sein mag: der Gesamteindruck ist, daß der Verfasser dieser Rhetorik im Vergleich zu allen übrigen Mustern die Regeln des rhythmischen Satzschlusses geradezu mit stümperhaftem Ungeschick handhabt. § 73. Rückblick. Sämtliche lateinischen Musterbriefe der Schlägler Handschrift befolgen die Regeln des rhythmischen Satzschlusses. Wo das nicht der Fall zu sein scheint, liegt Textverderbnis vor. Am häufigsten ist der Velox, der nur in der Salutatio durch den Planus verdrängt wird. Beide erscheinen mit wenigen Ausnahmen in der Normalform. Auch der Tardus wird verhältnismäßig oft verwendet: am vollen Periodenschluß zwar selten, am Briefende überhaupt nicht, aber im Satzinnern bei syntaktischen Pausen desto häufiger. In größerem Abstand folgt der Typus Meyer VI, wäh- rend der Typus Meyer VII nur einige Mal begegnet. Der nur durch die Schneeberger Handschrift überlieferte Text Nr. 52 ist dagegen rhythmisch mangelhaft gegliedert. C. Ergebnis. § 74. Die lateinischen Satzschlüsse sind durchweg rhythmisch gegliedert, und zwar bevorzugen die Schlägler Doppeltexte Planus und Velox in gleicher Weise, während die nur lateinischen Schlägler Kleriker- und Scholarenbriefe und die zweite Schneeberger Sammlung am meisten den Velox, die Schweidnitzer hingegen den Planus begünstigen. Hinter diesen beiden Schlüssen tritt in allen Briefstellern der Tardus an Bedeutung weit zurück, doch erscheint er unterweilen am Periodenschluß, wo nach strenger Tradition der Velox stehen sollte. Ofter wird auch der Typus
228 Einleitung. Viertes Kapitel. Zur Sprache der Briefsteller. 2. Velox nur Z. 68 (am Briefschluß) vidébitur in procéssu; inner- halb der Periode noch Z. 7f. órtulo elegánti und Z. 10f. intima pene- tráret. 3. Tardus am Satzschluß nicht. 4. Typus Meyer VI dagegen am häufigsten: Z. 2 ad ipsam in- vitáte; Z. 9 foméntum instillátur; Z. 12 auctoritáte Tuliána; Z. 13 letánter obuiáre; Z. 14 pósset conmendári; Z. 23 amóris inpressiva: Z. 38 dubitáta conticéscit; Z. 38 f. exémplar et ornátus; Z. 40 pudóris amatiua; Z. 43 presénciam condúcit; Z. 44 consília promóuet; Z. 46 possidéntibus honórem. 5. Mehrere Satzschlüsse sind überhaupt nicht rhythmisch; so Z. 50 sentenciárum excogitátio; Z. 60 omníno eruditus est; Z. 62 líbro prímo dicit; und ob Z. 49 ánimum proteruitátis als Typus Meyer VII beab- sichtigt ist, scheint mir höchst fraglich. Zugestanden, daß durch verderbte Uberlieferung die Reinheit mancher Cadenz getrübt sein mag: der Gesamteindruck ist, daß der Verfasser dieser Rhetorik im Vergleich zu allen übrigen Mustern die Regeln des rhythmischen Satzschlusses geradezu mit stümperhaftem Ungeschick handhabt. § 73. Rückblick. Sämtliche lateinischen Musterbriefe der Schlägler Handschrift befolgen die Regeln des rhythmischen Satzschlusses. Wo das nicht der Fall zu sein scheint, liegt Textverderbnis vor. Am häufigsten ist der Velox, der nur in der Salutatio durch den Planus verdrängt wird. Beide erscheinen mit wenigen Ausnahmen in der Normalform. Auch der Tardus wird verhältnismäßig oft verwendet: am vollen Periodenschluß zwar selten, am Briefende überhaupt nicht, aber im Satzinnern bei syntaktischen Pausen desto häufiger. In größerem Abstand folgt der Typus Meyer VI, wäh- rend der Typus Meyer VII nur einige Mal begegnet. Der nur durch die Schneeberger Handschrift überlieferte Text Nr. 52 ist dagegen rhythmisch mangelhaft gegliedert. C. Ergebnis. § 74. Die lateinischen Satzschlüsse sind durchweg rhythmisch gegliedert, und zwar bevorzugen die Schlägler Doppeltexte Planus und Velox in gleicher Weise, während die nur lateinischen Schlägler Kleriker- und Scholarenbriefe und die zweite Schneeberger Sammlung am meisten den Velox, die Schweidnitzer hingegen den Planus begünstigen. Hinter diesen beiden Schlüssen tritt in allen Briefstellern der Tardus an Bedeutung weit zurück, doch erscheint er unterweilen am Periodenschluß, wo nach strenger Tradition der Velox stehen sollte. Ofter wird auch der Typus
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IV. Der rhythmische Satzschluß. 229 Meyer VI verwendet, selten auch Meyer VII. Bei allen Schlüssen über- wiegt die Normalform, doch sind daneben Abarten mit versetzter Wort- grenze und — namentlich beim Velox — mit schwebender Betonung ge- stattet. Von den deutschen Texten legen die Schlägler und Schweidnitzer höheren Wert auf die Rhythmisierung der Satzschlüsse als die der zweiten Schneeberger Sammlung, die eine Anxahl Schlüsse passieren läßt, ohne sie den strengen Cursusregeln anzupassen. In gleicher Weise bevorzugen sämtliche Texte den Planus, ganz besonders die Schweidnitzer deutschen Formulare, die die andern Schlüsse so gut wie gänzlich aus- schließen. Nächst dem Planus steht an Frequenz der Velox, dann Typus Meyer VI und Tardus. Infolge schwankender Akxentlage ist die Ent- scheidung über die Form der Satzschlüsse nicht immer eindeutig. Häufiger als im Lateinischen werden neben den Normalformen die bezeichneten Abarten verwendet, besonders ist beim Velox schwebende Betonung beliebt. Vgl. dazu oben S. 104. Wo sich die Rhythmisierung der Schlüsse nicht zwanglos durch- führen läßt, greift der Diktator auch im Deutschen zu dem Hilfsmittel der Wortumstellung nach dem Vorbilde der lateinischen Vorlage. Dieser Einfluß des Cursus auf die Wortstellung der deutschen Texte ist an rielen Stellen erkennbar. So wird 1, 7; 6, 9; 9, 6 u. ö. eine adverbiale Bestimmung an den Schluß des Satzes gestellt, die man im Satzinnern erwarten sollte. In den meisten Füllen wird durch eine entsprechende Stellung des Verbums der Satzschluß rhythmisiert, z. B. 1, 9f.; 5, 7f.; 16, 7; 20, 10; 21, 9; 35, 10; 40, 10; 43, 20; 45, 11; 49, 10; 51, 9f. Vgl. dazu oben S. 104. Daß die Regeln des rhythmischen Satzschlusses innerhalb der einzelnen Briefsteller im ganzen gleichmäßig beachtet sind, darf nicht als Krite- rium gegen die Originalität der Muster ausgelegt werden. Denn die Rhythmisierung ist weniger das Werk der ursprünglichen Briefschreiber als des jeweiligen Redaktors und Diktators der Sammlung. Aber daß man überhaupt es unternahm, den Satzbau dieser für den täglichen an- spruchslosen Gebrauch selbst der untersten sozialen Schichten bestimmten Briefmuster zu rhythmisieren, verdient Beachtung und Würdigung als ein beredtes Zeugnis der starkwirkenden Ausstrahlungen des frühen böhmischen Humanismus.
IV. Der rhythmische Satzschluß. 229 Meyer VI verwendet, selten auch Meyer VII. Bei allen Schlüssen über- wiegt die Normalform, doch sind daneben Abarten mit versetzter Wort- grenze und — namentlich beim Velox — mit schwebender Betonung ge- stattet. Von den deutschen Texten legen die Schlägler und Schweidnitzer höheren Wert auf die Rhythmisierung der Satzschlüsse als die der zweiten Schneeberger Sammlung, die eine Anxahl Schlüsse passieren läßt, ohne sie den strengen Cursusregeln anzupassen. In gleicher Weise bevorzugen sämtliche Texte den Planus, ganz besonders die Schweidnitzer deutschen Formulare, die die andern Schlüsse so gut wie gänzlich aus- schließen. Nächst dem Planus steht an Frequenz der Velox, dann Typus Meyer VI und Tardus. Infolge schwankender Akxentlage ist die Ent- scheidung über die Form der Satzschlüsse nicht immer eindeutig. Häufiger als im Lateinischen werden neben den Normalformen die bezeichneten Abarten verwendet, besonders ist beim Velox schwebende Betonung beliebt. Vgl. dazu oben S. 104. Wo sich die Rhythmisierung der Schlüsse nicht zwanglos durch- führen läßt, greift der Diktator auch im Deutschen zu dem Hilfsmittel der Wortumstellung nach dem Vorbilde der lateinischen Vorlage. Dieser Einfluß des Cursus auf die Wortstellung der deutschen Texte ist an rielen Stellen erkennbar. So wird 1, 7; 6, 9; 9, 6 u. ö. eine adverbiale Bestimmung an den Schluß des Satzes gestellt, die man im Satzinnern erwarten sollte. In den meisten Füllen wird durch eine entsprechende Stellung des Verbums der Satzschluß rhythmisiert, z. B. 1, 9f.; 5, 7f.; 16, 7; 20, 10; 21, 9; 35, 10; 40, 10; 43, 20; 45, 11; 49, 10; 51, 9f. Vgl. dazu oben S. 104. Daß die Regeln des rhythmischen Satzschlusses innerhalb der einzelnen Briefsteller im ganzen gleichmäßig beachtet sind, darf nicht als Krite- rium gegen die Originalität der Muster ausgelegt werden. Denn die Rhythmisierung ist weniger das Werk der ursprünglichen Briefschreiber als des jeweiligen Redaktors und Diktators der Sammlung. Aber daß man überhaupt es unternahm, den Satzbau dieser für den täglichen an- spruchslosen Gebrauch selbst der untersten sozialen Schichten bestimmten Briefmuster zu rhythmisieren, verdient Beachtung und Würdigung als ein beredtes Zeugnis der starkwirkenden Ausstrahlungen des frühen böhmischen Humanismus.
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FÜNFTES KAPITEL. ZUSAMMENFASSENDE CHARAKTERISTIK DER SPRACHE DER DEUTSCHEN BRIEFMUSTER. Von Konrad Burdach. § 75. Natursprache und Sprachgestaltung. Jacob Grimms folgenreiche Befreiertat war es, daß er die Natur- seite der Sprache in ihrer geschichtlichen Entwicklung erkennen lehrte. Seitdem gibt es innerhalb des aus dem griechisch-römischen Altertum überkommenen Systems der Grammatik einen neuen Hauptteil von grund- legender Bedeutung: die Lehre von den Lauten. Und seit Jacob Grimms durch Rasmus Rask vorbereiteter Entdeckung der Lautverschiebung (Grimms Gesetz'), des Ablauts und Umlauts redet man, um das natürliche Werden der Sprachwandlungen zu bexeichnen, von Lautgesetzen. Die Vorrede zur ersten Ausgabe des ersten Bandes der Deutschen Grammatik (Göt- tingen 1819), die Jacob Grimms lebenslängliches wissenschaftliches Wollen so überaus charakteristisch ankündet, wehrte die Willkür und Gewalt- tätigkeit kritisch-praktischer Sprachregler ab durch ein großes Gesetz der Natur, das auch in der Sprache Anomalien und Mängel neben den uns erkennbaren Regeln bestehn lassen will’ (S. XIV) und fand der Sprache Gang langsam, aber unaufhaltbar, wie der der Natur' (S. XXXI). Wohl xitierte diese Vorrede auch lobend ein schönes Bild August Wilhelm Schlegels aus dem Bereich der Kunstfertigkeit des menschlichen Geistes. die Sprache gleiche einem Eisengerät, das auch zerbrochen nicht verloren geht, sondern aus den Stücken immer neu geschmiedet werden kann (S. XXXI). Aber Jacob Grimm verschiebt den Sinn dieses Bildes doch im Grunde, wenn er darin einen Ausdruck für die mütterliche Eigenschaft, die Unermüdlichkeit der Sprache erblickt. Seine eigene Sprachbetrachtung hatte er in derselben Vorrede kurz zuvor durch ein gleichbedeutendes Bild enthüllt, indem er die wahre, allein zuträgliche Ausgleichung der Sprache der Macht des unermüdlich schaffenden Sprachgeistes' an- heimstellte, der wie ein nistender Vogel wieder von neuem brütet, nach- dem ihm die Eier weggethan worden’ und dessen unsichtbares Walten Dichter und Schriftsteller in der Begeisterung und Bewegung durch ihr Gefühl vernehmen’ (S. XV). Hier ist das Sprachwerden zu einer mysti- schen Urkraft hypostasiert, die nach den natürlichen Gesetzen ani-
FÜNFTES KAPITEL. ZUSAMMENFASSENDE CHARAKTERISTIK DER SPRACHE DER DEUTSCHEN BRIEFMUSTER. Von Konrad Burdach. § 75. Natursprache und Sprachgestaltung. Jacob Grimms folgenreiche Befreiertat war es, daß er die Natur- seite der Sprache in ihrer geschichtlichen Entwicklung erkennen lehrte. Seitdem gibt es innerhalb des aus dem griechisch-römischen Altertum überkommenen Systems der Grammatik einen neuen Hauptteil von grund- legender Bedeutung: die Lehre von den Lauten. Und seit Jacob Grimms durch Rasmus Rask vorbereiteter Entdeckung der Lautverschiebung (Grimms Gesetz'), des Ablauts und Umlauts redet man, um das natürliche Werden der Sprachwandlungen zu bexeichnen, von Lautgesetzen. Die Vorrede zur ersten Ausgabe des ersten Bandes der Deutschen Grammatik (Göt- tingen 1819), die Jacob Grimms lebenslängliches wissenschaftliches Wollen so überaus charakteristisch ankündet, wehrte die Willkür und Gewalt- tätigkeit kritisch-praktischer Sprachregler ab durch ein großes Gesetz der Natur, das auch in der Sprache Anomalien und Mängel neben den uns erkennbaren Regeln bestehn lassen will’ (S. XIV) und fand der Sprache Gang langsam, aber unaufhaltbar, wie der der Natur' (S. XXXI). Wohl xitierte diese Vorrede auch lobend ein schönes Bild August Wilhelm Schlegels aus dem Bereich der Kunstfertigkeit des menschlichen Geistes. die Sprache gleiche einem Eisengerät, das auch zerbrochen nicht verloren geht, sondern aus den Stücken immer neu geschmiedet werden kann (S. XXXI). Aber Jacob Grimm verschiebt den Sinn dieses Bildes doch im Grunde, wenn er darin einen Ausdruck für die mütterliche Eigenschaft, die Unermüdlichkeit der Sprache erblickt. Seine eigene Sprachbetrachtung hatte er in derselben Vorrede kurz zuvor durch ein gleichbedeutendes Bild enthüllt, indem er die wahre, allein zuträgliche Ausgleichung der Sprache der Macht des unermüdlich schaffenden Sprachgeistes' an- heimstellte, der wie ein nistender Vogel wieder von neuem brütet, nach- dem ihm die Eier weggethan worden’ und dessen unsichtbares Walten Dichter und Schriftsteller in der Begeisterung und Bewegung durch ihr Gefühl vernehmen’ (S. XV). Hier ist das Sprachwerden zu einer mysti- schen Urkraft hypostasiert, die nach den natürlichen Gesetzen ani-
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Zusammenfassende Charakteristik. 231 malischer Zeugung wirkt und die von begeisterten Dichtern und Schrift- stellern als Trägern und Verkündern der Sprachwandlungen verstanden und zum Ausdruck gebracht wird. Aber noch gemäßer der Grundtendenz jener neuen Sprachauffassung, die Jacob Grimm begründete und der die Zukunft gehörte, war ein jüngst erklungener tiefgreifender Ausspruch Goethes, der seine an einen Aufsatz Karl Ruckstuhls1 anknüpfende Erörterung "Deutsche Sprache' beschließt und dem gewalttätigen Sprachmeistern deutschtümelnder Puristen sich widersetzend fordert, daß die Sprache lebendig wachsen soll', zugleich aber bekennt, daß Poesie und leidenschaftliche Rede die einzigen Quellen sind, aus denen dieses Leben hervordringt' und die Uberzeugung verficht: sollten sie in ihrer Heftigkeit etwas Bergschutt mitführen — er setzt sich zu Boden, und die reine Welle fließt darüber her (Kunst und Alterthum, 3. Heft 1817, S. 51; Jub.-Ausg. Bd. 37, S. 95). Dem geologischen Bilde dieser Worte Goethes, auf die Jacob Grimm in seiner Vorrede S. XV Anm. sich beruft, entspricht es, wenn er Spracherscheinungen, 1 Von der Ausbildung der Teutschen Sprache, in Beziehung auf neue, dafür angestellte Bemühungen' (Ludens Nemesis, Zeitschrift für Politik und Geschichte, 8. Band, 3. Stück, 1816, S. 336—386). Ruckstuhl hat, obgleich Schweizer, im Gegensatz zu seinem für Napoleon schwärmenden Vater, sich mit höchster Be- geisterung dem patriotischen Aufschwung der deutschen Befreiungskriege hin- gegeben und im April 1815 an dem Feldaug gegen Napoleon Teil genommen. In Briefen und in Aufsätzen (im Rheinischen Merkur von Görres 1815, im Schweixer Taschenbuch Alpenrosen 1821. 1823) bekannte dieser Freund des bayrischen Offi- xiers Joh. Andr. Schmeller sich gleich diesem xu einem heiligen Kultus der deutschen Muttersprache und des heimatlichen Altertums. Mit glühendem En- thusiasmus trat er ein für die deutsche Kultureinheit Deutschlands und der deut- schen Schweiz. Es verlangte ihn, in Deutschland und auf größerm Schauplatz au leben’. Er sah im Kampf gegen Frankreich die Rettung und Behauptung des deutschen Heils, die Verteidigung gegen fremden Frevel', für ihn wehte das preußische Panier als eine heilige Oriflamme'. Ihm galten die Franxosen als die Erbfeinde von Anbeginn, die Treulosen, die Verräter. Aber gleichwohl stellt er sich dem deutschtümelnden Nationalismus schroff entgegen. Er ward ein Ver- bündeter und Mitstreiter Goethes und Heinrich Meyers in dem Kampf des uni- versalen Weimarischen Humanitätsgedankens gegen die neudeutsche patriotisch- religiose Kunst', in der Ablehnung des Purismus und der gewaltsamen Sprach- regelung. Jener Aufsatz in der Nemesis', der durch Meyers Vermittlung xum Abdruck kam und schon im Manuskript den Beifall Goethes gefunden hatte, er- zählt unter anderem ein köstliches Erlebnis in der Pariser Akademie aus dem Jahre 1813 (S. 367 f.), wie dort eine gelehrte philologische Verhandlung über ein Problem der griechischen Archäologie unterbrochen ward durch den heftigen Streit über die Zulässigkeit eines vom Vortragenden gebrauchten französischen Worts und die empörten Fluten, die alle Aufmerksamkeit für die gelehrte Untersuchung begruben, erst durch das Vorlesen des Dictionnaire de l'Académie, das ein Diener aus der Bibliothek holen mußte, gestillt werden konnten.
Zusammenfassende Charakteristik. 231 malischer Zeugung wirkt und die von begeisterten Dichtern und Schrift- stellern als Trägern und Verkündern der Sprachwandlungen verstanden und zum Ausdruck gebracht wird. Aber noch gemäßer der Grundtendenz jener neuen Sprachauffassung, die Jacob Grimm begründete und der die Zukunft gehörte, war ein jüngst erklungener tiefgreifender Ausspruch Goethes, der seine an einen Aufsatz Karl Ruckstuhls1 anknüpfende Erörterung "Deutsche Sprache' beschließt und dem gewalttätigen Sprachmeistern deutschtümelnder Puristen sich widersetzend fordert, daß die Sprache lebendig wachsen soll', zugleich aber bekennt, daß Poesie und leidenschaftliche Rede die einzigen Quellen sind, aus denen dieses Leben hervordringt' und die Uberzeugung verficht: sollten sie in ihrer Heftigkeit etwas Bergschutt mitführen — er setzt sich zu Boden, und die reine Welle fließt darüber her (Kunst und Alterthum, 3. Heft 1817, S. 51; Jub.-Ausg. Bd. 37, S. 95). Dem geologischen Bilde dieser Worte Goethes, auf die Jacob Grimm in seiner Vorrede S. XV Anm. sich beruft, entspricht es, wenn er Spracherscheinungen, 1 Von der Ausbildung der Teutschen Sprache, in Beziehung auf neue, dafür angestellte Bemühungen' (Ludens Nemesis, Zeitschrift für Politik und Geschichte, 8. Band, 3. Stück, 1816, S. 336—386). Ruckstuhl hat, obgleich Schweizer, im Gegensatz zu seinem für Napoleon schwärmenden Vater, sich mit höchster Be- geisterung dem patriotischen Aufschwung der deutschen Befreiungskriege hin- gegeben und im April 1815 an dem Feldaug gegen Napoleon Teil genommen. In Briefen und in Aufsätzen (im Rheinischen Merkur von Görres 1815, im Schweixer Taschenbuch Alpenrosen 1821. 1823) bekannte dieser Freund des bayrischen Offi- xiers Joh. Andr. Schmeller sich gleich diesem xu einem heiligen Kultus der deutschen Muttersprache und des heimatlichen Altertums. Mit glühendem En- thusiasmus trat er ein für die deutsche Kultureinheit Deutschlands und der deut- schen Schweiz. Es verlangte ihn, in Deutschland und auf größerm Schauplatz au leben’. Er sah im Kampf gegen Frankreich die Rettung und Behauptung des deutschen Heils, die Verteidigung gegen fremden Frevel', für ihn wehte das preußische Panier als eine heilige Oriflamme'. Ihm galten die Franxosen als die Erbfeinde von Anbeginn, die Treulosen, die Verräter. Aber gleichwohl stellt er sich dem deutschtümelnden Nationalismus schroff entgegen. Er ward ein Ver- bündeter und Mitstreiter Goethes und Heinrich Meyers in dem Kampf des uni- versalen Weimarischen Humanitätsgedankens gegen die neudeutsche patriotisch- religiose Kunst', in der Ablehnung des Purismus und der gewaltsamen Sprach- regelung. Jener Aufsatz in der Nemesis', der durch Meyers Vermittlung xum Abdruck kam und schon im Manuskript den Beifall Goethes gefunden hatte, er- zählt unter anderem ein köstliches Erlebnis in der Pariser Akademie aus dem Jahre 1813 (S. 367 f.), wie dort eine gelehrte philologische Verhandlung über ein Problem der griechischen Archäologie unterbrochen ward durch den heftigen Streit über die Zulässigkeit eines vom Vortragenden gebrauchten französischen Worts und die empörten Fluten, die alle Aufmerksamkeit für die gelehrte Untersuchung begruben, erst durch das Vorlesen des Dictionnaire de l'Académie, das ein Diener aus der Bibliothek holen mußte, gestillt werden konnten.
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232 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. die wir heute Isolierung' nennen, z. B. die Erhaltung der sonst aus- gestorbenen Endung o im Plural des Feminins' im Zahlwort zwo als Versteinerungen' bezeichnet, welche die Nachwelt nicht mehr begreift und 'schont, bis sie endlich auch zerfallen (S. XXXI). Das mutet uns an wie ein Vorklang von Whitneys und Scherers Heranziehung der Lehre des Geologen Charles Lyell über die Beständigkeit der Erdveränderungen in Urzeit und Gegenwart. Bekanntlich hat dieser naturges etzliche Gesichtspunkt Jacob Grimms durch Schleicher, Scherer und die sogenannte junggrammatische Schule die indogermanische wie die allgemeine Sprachwissenschaft mächtig ge- fordert, ihr eine sichere Methode der Forschung und viele unantastbare Erkenntnisse erwirkt. Insbesondere die deutsche Sprachgeschichte ist auf diesem Wege zu hoher Blüte gelangt und nur, weil sie das natürliche Werden der Sprache im Sinne einer historischen Erhellung ihres mund- artlichen Lebens begriff, konnte das geschehen. Indessen längst hat man gemerkt: allein auf diesem Wege läßt sich das Geheimnis der Sprachentwicklung nicht ergründen. Er zeigt lediglich das Bild eines elementaren Sprachlebens, und er zeigt es in einer roman- tischen Abstraktion, in dem Schema eines primitiven Zustands, der jen- seits aller Erfahrung und Beobachtung liegt. Alle Sprache der Vergangen- heit, vollends des Altertums kennen wir nur durch schriftliche Aufzeich- nung. Alle schriftlich fixierte Sprache ist aber schon nicht mehr bloß Wiedergabe der natürlichen Rede, der Mundart, sondern bereits Ausdruck sprachlicher Reflexion, Normierung und Kunst. Weit allerdings entfernt sind unsere ältesten althochdeutschen Sprachniederschriften von einer Aus- gleichung der mundartlichen Sprachunterschiede und Sprachmannigfaltig- keiten, die wir mit dem vieldeutigen, jedoch unentbehrlichen Ausdruck Schriftsprache kennxeichnen. Aber ebenso wahr ist auch, was man lange Zeit nicht oder nicht genügend beachtet hat, daß sie den Unschuldsstand des bewußtlos elementaren Naturlebens der Sprache bereits längst hinter sich gelassen haben. Auch die frühesten althochdeutschen Glossen, die einerseits scheinbar so genau das mundartliche und individuelle Strahlen- bündel sprachlichen Sprießens auffangen, bieten doch anderseits zugleich schon bewußte Gestaltung der Sprache unter dem Zwange der Sprach- gemeinschaft und der Sprachüberlieferung, also gewissermaßen schon den Keim eines schriftsprachlichen Triebs. Mit Recht ist in den letzten Jahrzehnten die deutsche Sprachwissen- schaft immer stärker und tiefer eingedrungen auch in die Untersuchung der schriftsprachlichen Bewegung nach ihrem weitesten Umfang und mit allen ihren Abstufungen, Spielarten, Gliederungen. Den romantischen Standpunkt Jacob Grimms und nicht minder den naturalistischen und mechanistischen Standpunkt der Junggrammatiker mußte man verlassen. Schon vor zweiunddreißig Jahren habe ich im Vorwort
232 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. die wir heute Isolierung' nennen, z. B. die Erhaltung der sonst aus- gestorbenen Endung o im Plural des Feminins' im Zahlwort zwo als Versteinerungen' bezeichnet, welche die Nachwelt nicht mehr begreift und 'schont, bis sie endlich auch zerfallen (S. XXXI). Das mutet uns an wie ein Vorklang von Whitneys und Scherers Heranziehung der Lehre des Geologen Charles Lyell über die Beständigkeit der Erdveränderungen in Urzeit und Gegenwart. Bekanntlich hat dieser naturges etzliche Gesichtspunkt Jacob Grimms durch Schleicher, Scherer und die sogenannte junggrammatische Schule die indogermanische wie die allgemeine Sprachwissenschaft mächtig ge- fordert, ihr eine sichere Methode der Forschung und viele unantastbare Erkenntnisse erwirkt. Insbesondere die deutsche Sprachgeschichte ist auf diesem Wege zu hoher Blüte gelangt und nur, weil sie das natürliche Werden der Sprache im Sinne einer historischen Erhellung ihres mund- artlichen Lebens begriff, konnte das geschehen. Indessen längst hat man gemerkt: allein auf diesem Wege läßt sich das Geheimnis der Sprachentwicklung nicht ergründen. Er zeigt lediglich das Bild eines elementaren Sprachlebens, und er zeigt es in einer roman- tischen Abstraktion, in dem Schema eines primitiven Zustands, der jen- seits aller Erfahrung und Beobachtung liegt. Alle Sprache der Vergangen- heit, vollends des Altertums kennen wir nur durch schriftliche Aufzeich- nung. Alle schriftlich fixierte Sprache ist aber schon nicht mehr bloß Wiedergabe der natürlichen Rede, der Mundart, sondern bereits Ausdruck sprachlicher Reflexion, Normierung und Kunst. Weit allerdings entfernt sind unsere ältesten althochdeutschen Sprachniederschriften von einer Aus- gleichung der mundartlichen Sprachunterschiede und Sprachmannigfaltig- keiten, die wir mit dem vieldeutigen, jedoch unentbehrlichen Ausdruck Schriftsprache kennxeichnen. Aber ebenso wahr ist auch, was man lange Zeit nicht oder nicht genügend beachtet hat, daß sie den Unschuldsstand des bewußtlos elementaren Naturlebens der Sprache bereits längst hinter sich gelassen haben. Auch die frühesten althochdeutschen Glossen, die einerseits scheinbar so genau das mundartliche und individuelle Strahlen- bündel sprachlichen Sprießens auffangen, bieten doch anderseits zugleich schon bewußte Gestaltung der Sprache unter dem Zwange der Sprach- gemeinschaft und der Sprachüberlieferung, also gewissermaßen schon den Keim eines schriftsprachlichen Triebs. Mit Recht ist in den letzten Jahrzehnten die deutsche Sprachwissen- schaft immer stärker und tiefer eingedrungen auch in die Untersuchung der schriftsprachlichen Bewegung nach ihrem weitesten Umfang und mit allen ihren Abstufungen, Spielarten, Gliederungen. Den romantischen Standpunkt Jacob Grimms und nicht minder den naturalistischen und mechanistischen Standpunkt der Junggrammatiker mußte man verlassen. Schon vor zweiunddreißig Jahren habe ich im Vorwort
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Zusammenfassende Charakteristik. 233 zur ersten Bearbeitung gegenwärtigen Werkes1 die Uberzeugung wirksam zu machen gesucht, daß jede sprachliche Wandlung nicht einfacher Natur- vorgang, sondern der sprachliche Reflex einer Kulturströmung sei, ent- sprungen dem Ubergewicht, der überlegenen Lebenskraft einer Kultur, einer gesellschaftlichen Macht. Oder kurz gefaßt: Sprachgeschichte ist Bildungsgeschichte, was natürlich auch die ethnische Siedlungsgeschichte mit einschließt. Neben dem elementaren, scheinbar naturgesetzlichen Leben der Sprache besteht, wie man in immer zunchmenden Maße entdeckt, auch die unablässige Wirkung des Sprachbewußtseins. Aus ihm quillt die sichernde, ausgleichende, normierende, verdeutlichende oder künstlerisch verschönernde Gestaltung der Sprache. Für eine richtige Wertung dieser Seite des sprachlichen Lebens ist aber — was man freilich in der modernen Forschung bisher weder klar erkannt noch scharf aus- gesprochen hat — eins die unbedingt nötige Vorbedingung: man muß sich gegenwärtig halten, daß die Jacob Grimm und seinen Nachfolgern verdankte sprachgeschichtliche Terminologie und die durch sie gekenn- zeichneten wissenschaftlichen Begriffe der sprachschaffenden und sprach- wandelnden Kräfte dabei völlig ausscheiden. Jene unschätzbaren Fackeln eines neuen grundlegenden Einblicks in das Geheimnis des Sprachlebens, deren mühevolle Zubereitung und Ent- zündung durch die beispiellose Vereinigung von enthusiastischer Heimat- liebe, wissenschaftlichem Genie und gelehrtem Fleiß jetzt der Brief- wechsel Jacob Grimms und Karl Lachmanns, das leider allxu spät an die Öffentlichkeit tretende2 großartigste Denkmal des Werdekampfes der ger- manischen Philologie, Ehrfurcht und Staunen weckend, ja man darf sagen erschütternd vor Augen stellt, jene aus den Irrwegen des Ratens, Tastens, Träumens an das Tageslicht der Beobachtung, Untersuchung Erkenntnis führenden neuen Anschauungen, die seitdem sich dem alters- morschen Gerüst der Grammatik als lebensvollere Stützen einfügten, um daraus den Tempel einer jungen Wissenschaft der Sprachgeschichte zu erbauen, und die in dem Terminus Lautlehre' statt Buchstabenlehre', in den damals erst nur zagend gewagten(!) Ausdrücken Anlaut', Aus- laut, Umlaut’, Lautverschiebung', starke und schwache Flexion', or- ganisch' und unorganisch', bald auch Lautgesetz' sich aufrichteten, sie 1 Vom Mittelalter zur Reformation, I. Heft, Halle a. S., M. Niemeyer 1893, S. XIIf. (= Vorspiel I, 2 Halle a. S., M. Niemeyer 1925 S. 138 ff.); daxu Vom Mittelalter zur Reformation III, 2, Einführung in das Gesamtwerk', Berlin, Weid- mann 1926, S. XXIff und Sitzb. d. Berlin. Akad. d. Wissensch. 1920, S. 74 (= Vorspiel I, 2, S. 207f.); vgl. auch meinen Bericht in The Journal of English and Germanic Philology Vol. 24, 1925 January (S. 9f. des Sonderdrucks). 2 Briefwechsel der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm mit Karl Lachmann im Auftrage und mit Unterstütxung der Preußischen Akademie der Wissen- schaften hrsg. von Albert Leitxmann, Erste bis Fünfte Lieferung, Verlag der Frommannschen Buchhandlung, Jena, 1925, 1926.
Zusammenfassende Charakteristik. 233 zur ersten Bearbeitung gegenwärtigen Werkes1 die Uberzeugung wirksam zu machen gesucht, daß jede sprachliche Wandlung nicht einfacher Natur- vorgang, sondern der sprachliche Reflex einer Kulturströmung sei, ent- sprungen dem Ubergewicht, der überlegenen Lebenskraft einer Kultur, einer gesellschaftlichen Macht. Oder kurz gefaßt: Sprachgeschichte ist Bildungsgeschichte, was natürlich auch die ethnische Siedlungsgeschichte mit einschließt. Neben dem elementaren, scheinbar naturgesetzlichen Leben der Sprache besteht, wie man in immer zunchmenden Maße entdeckt, auch die unablässige Wirkung des Sprachbewußtseins. Aus ihm quillt die sichernde, ausgleichende, normierende, verdeutlichende oder künstlerisch verschönernde Gestaltung der Sprache. Für eine richtige Wertung dieser Seite des sprachlichen Lebens ist aber — was man freilich in der modernen Forschung bisher weder klar erkannt noch scharf aus- gesprochen hat — eins die unbedingt nötige Vorbedingung: man muß sich gegenwärtig halten, daß die Jacob Grimm und seinen Nachfolgern verdankte sprachgeschichtliche Terminologie und die durch sie gekenn- zeichneten wissenschaftlichen Begriffe der sprachschaffenden und sprach- wandelnden Kräfte dabei völlig ausscheiden. Jene unschätzbaren Fackeln eines neuen grundlegenden Einblicks in das Geheimnis des Sprachlebens, deren mühevolle Zubereitung und Ent- zündung durch die beispiellose Vereinigung von enthusiastischer Heimat- liebe, wissenschaftlichem Genie und gelehrtem Fleiß jetzt der Brief- wechsel Jacob Grimms und Karl Lachmanns, das leider allxu spät an die Öffentlichkeit tretende2 großartigste Denkmal des Werdekampfes der ger- manischen Philologie, Ehrfurcht und Staunen weckend, ja man darf sagen erschütternd vor Augen stellt, jene aus den Irrwegen des Ratens, Tastens, Träumens an das Tageslicht der Beobachtung, Untersuchung Erkenntnis führenden neuen Anschauungen, die seitdem sich dem alters- morschen Gerüst der Grammatik als lebensvollere Stützen einfügten, um daraus den Tempel einer jungen Wissenschaft der Sprachgeschichte zu erbauen, und die in dem Terminus Lautlehre' statt Buchstabenlehre', in den damals erst nur zagend gewagten(!) Ausdrücken Anlaut', Aus- laut, Umlaut’, Lautverschiebung', starke und schwache Flexion', or- ganisch' und unorganisch', bald auch Lautgesetz' sich aufrichteten, sie 1 Vom Mittelalter zur Reformation, I. Heft, Halle a. S., M. Niemeyer 1893, S. XIIf. (= Vorspiel I, 2 Halle a. S., M. Niemeyer 1925 S. 138 ff.); daxu Vom Mittelalter zur Reformation III, 2, Einführung in das Gesamtwerk', Berlin, Weid- mann 1926, S. XXIff und Sitzb. d. Berlin. Akad. d. Wissensch. 1920, S. 74 (= Vorspiel I, 2, S. 207f.); vgl. auch meinen Bericht in The Journal of English and Germanic Philology Vol. 24, 1925 January (S. 9f. des Sonderdrucks). 2 Briefwechsel der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm mit Karl Lachmann im Auftrage und mit Unterstütxung der Preußischen Akademie der Wissen- schaften hrsg. von Albert Leitxmann, Erste bis Fünfte Lieferung, Verlag der Frommannschen Buchhandlung, Jena, 1925, 1926.
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23./ Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. enthalten Gedanken und Begriffe, die dem Sprachbewwßtsein und der Sprachtheorie des gesamten Mittelalters und der Renaissance fremd waren. Wir, die wir die natürliche Entwicklung der Sprache mit lebendigem Geschichtssinn erforschen wollen, benutzen diese Errungenschaft Jacob Grimms und seiner Schüler als unentbehrliches Werkzeug. Aber dieses Werkzeug reicht nicht hin, ja es versagt, wo es gilt, die psychischen und soxialen Kräfte und Neigungen zu ermitteln, die in der Sphäre des be- wußten Sprachgestaltens, in der Sphäre der schriftsprachlichen Be- wegung sich regten. Das grammatische Bewußtsein des Mittelalters und der Renaissance kann man nur dann verstehn und sich selbst wieder lebendig machen, wenn man im Auge behält, daß es die Ketten vieler Jahrhunderte, die Last antiker Sprachgelehrsamkeit, Sprachschulung und Rhetorik trug. Schon allein Otfried von Weißenburg und Notker der Deutsche von St. Gallen bezeugen das. Weitere Beobachtung bestätigt es überall. § 76. Die Grundlegung der neuhochdeutschen Sprachgestaltung. Nachdem während des Mittelalters, im sogenannten alt- und mittel- hochdeutschen Zeitraum, vorwiegend gesellschaftliche und literarische Triebe die künstliche Schichtung der natürlichen Sprache herbeigeführt und das Wundergebilde einer harmonisch gefestigten formvollendeten Dichtersprache geschaffen hatten, bricht dieser Bau im vierzehnten Jahr- hundert zusammen. Es bereitet sich in der Sprache der deutschen Literatur die Rückkehr zum Chaos vor: die gezähmten und abgeschliffenen Mund- arten dringen mit alter Naturkraft wieder in die literarische Darstellung ein. Aber auf einer neuen Grundlage, aus einer andern geistigen Sphäre, in der Prosa der Schule, des Rechts, des Geschäfts, des Amts, der ge- lehrten Bildung oder — um es mit cinem Worte, das alle diese Bezirke umfaßt, auszudrücken —: in der Schriftsprache der Kanzlei ersteht ein neues Ideal sprachlicher Gemeinschaft und sprachlicher Kunst1. Und dieses neue Ideal wird lebendig und wirksam zuerst im östlichen Mittel- deutschland, im Siedlungsbezirk, der den Slawen abgewonnen ward, in der Urheimat der altgermanischen Volksstämme. Das deutsche Kolonialgebiet Schlesien, dessen Besiedler mittel- und niederdeutsche Mundarten in buntem Wechsel auf dies Neuland germa- nischer Kultur mitgebracht hatten, kann schwerlich jemals eine auch nur annähernd einheitliche deutsche Volkssprache besessen haben2. Ich hege 1 Vgl. hierzu meine mehrfachen früheren Erörterungen des Vorgangs an den oben S. 233 Anm. I genannten Orten. 2 Vgl. daxu jetzt auch Wrede, Teuthonista, Zeitschr. f. deutsche Dialekt- forschung und Sprachgeschichte, Jahrg. 2 (1925/26), Heft 1, S. 27: In Schlesien sind ober-, mittel-, niederdeutsche Spracheigentümlichkeiten mit Sicherheit nach- xuweisen. Mehrsprachigkeit steht also an der Schwelle der schlesischen Dialekt- geschichte'; ferner Siebs, Schlesische Volkskunde (Schlesische Landeskunde II), Leipzig, Veit u. Co. 1913, S. 37I ff.
23./ Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. enthalten Gedanken und Begriffe, die dem Sprachbewwßtsein und der Sprachtheorie des gesamten Mittelalters und der Renaissance fremd waren. Wir, die wir die natürliche Entwicklung der Sprache mit lebendigem Geschichtssinn erforschen wollen, benutzen diese Errungenschaft Jacob Grimms und seiner Schüler als unentbehrliches Werkzeug. Aber dieses Werkzeug reicht nicht hin, ja es versagt, wo es gilt, die psychischen und soxialen Kräfte und Neigungen zu ermitteln, die in der Sphäre des be- wußten Sprachgestaltens, in der Sphäre der schriftsprachlichen Be- wegung sich regten. Das grammatische Bewußtsein des Mittelalters und der Renaissance kann man nur dann verstehn und sich selbst wieder lebendig machen, wenn man im Auge behält, daß es die Ketten vieler Jahrhunderte, die Last antiker Sprachgelehrsamkeit, Sprachschulung und Rhetorik trug. Schon allein Otfried von Weißenburg und Notker der Deutsche von St. Gallen bezeugen das. Weitere Beobachtung bestätigt es überall. § 76. Die Grundlegung der neuhochdeutschen Sprachgestaltung. Nachdem während des Mittelalters, im sogenannten alt- und mittel- hochdeutschen Zeitraum, vorwiegend gesellschaftliche und literarische Triebe die künstliche Schichtung der natürlichen Sprache herbeigeführt und das Wundergebilde einer harmonisch gefestigten formvollendeten Dichtersprache geschaffen hatten, bricht dieser Bau im vierzehnten Jahr- hundert zusammen. Es bereitet sich in der Sprache der deutschen Literatur die Rückkehr zum Chaos vor: die gezähmten und abgeschliffenen Mund- arten dringen mit alter Naturkraft wieder in die literarische Darstellung ein. Aber auf einer neuen Grundlage, aus einer andern geistigen Sphäre, in der Prosa der Schule, des Rechts, des Geschäfts, des Amts, der ge- lehrten Bildung oder — um es mit cinem Worte, das alle diese Bezirke umfaßt, auszudrücken —: in der Schriftsprache der Kanzlei ersteht ein neues Ideal sprachlicher Gemeinschaft und sprachlicher Kunst1. Und dieses neue Ideal wird lebendig und wirksam zuerst im östlichen Mittel- deutschland, im Siedlungsbezirk, der den Slawen abgewonnen ward, in der Urheimat der altgermanischen Volksstämme. Das deutsche Kolonialgebiet Schlesien, dessen Besiedler mittel- und niederdeutsche Mundarten in buntem Wechsel auf dies Neuland germa- nischer Kultur mitgebracht hatten, kann schwerlich jemals eine auch nur annähernd einheitliche deutsche Volkssprache besessen haben2. Ich hege 1 Vgl. hierzu meine mehrfachen früheren Erörterungen des Vorgangs an den oben S. 233 Anm. I genannten Orten. 2 Vgl. daxu jetzt auch Wrede, Teuthonista, Zeitschr. f. deutsche Dialekt- forschung und Sprachgeschichte, Jahrg. 2 (1925/26), Heft 1, S. 27: In Schlesien sind ober-, mittel-, niederdeutsche Spracheigentümlichkeiten mit Sicherheit nach- xuweisen. Mehrsprachigkeit steht also an der Schwelle der schlesischen Dialekt- geschichte'; ferner Siebs, Schlesische Volkskunde (Schlesische Landeskunde II), Leipzig, Veit u. Co. 1913, S. 37I ff.
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Zusammenfassende Charakteristik. 235 deshalb stärkste Bedenken gegen die Annahme des verdienten Darstellers der lebenden schlesischen Mundart, des allzufrih der germanistischen Wissenschaft entrissenen Wolf v. Unwerth (a. a. O. S. 5): in dem großen Gebiet Preußisch-Schlesiens nebst der Grafschaft Glatz, Öster- reichisch-Schlesiens und Mährens bis zur čechischen Sprachgrenze, des Ost- und Nordrandes von Böhmen (mit Ausschluß des Egerlandes), der sächsischen Lausitz, der Niederlausitz, der Kreise Krossen und Schwiebus besteht eine durchaus einheitliche Mundart, alle Abweichungen der ein- zelnen Untermundarten(!) beruhen auf späterer Entwicklung aus gemein- samer Grundlage’ und es sind daher dialektische Verschiedenheiten inner- halb des schlesischen Gebietes im Allgemeinen nicht auf Stammesverschieden- heit der deutschen Besiedler zurückxuführen’. Der Begriff des Altschle- sischen oder Gemeinschlesischen, mit dem v. Unwerths Buch arbeitet und den wir allerdings um der Ubersicht willen und zur Vereinfachung verwirrter Entwicklungen kaum entbehren können, ist im Grunde nur eine nützliche Fiktion. Ganz vermeiden jedoch sollte man den Ausdruck und Begriff 'Untermundart'. Aber dieses Problem habe ich hier nicht zu erörtern. Welcher Art die natürliche deutsche Sprache Schlesiens auch gewesen sein mag, eine Ausgleichung ihrer Unterschiede im Bereich des schriftlichen Ausdrucks vollzog sich in zwei Phasen und durch zwei ihrem Wesen nach wie auch zeitlich und sozial verschiedene Mächte. Schlesien erlebte in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts an den piastischen Fürstenhöfen von Breslau und Jauer-Schweidnitz-Fürstenberg eine Nachblüte der ritterlichen Poesie in Minnesang und Epik, mit der zugleich eine Welle der mittelhochdeutschen Dichtersprache hinüberströmte. Es ist neuerdings von verschiedenen Gelehrten (Jantzen, Bacsecke, Hans Naumann) mit Glück dargetan, wie aus Thüringen, woher ein großer Teil der deutschen Einwanderer Schlesiens stammte, auch die literarische Tradition der Wartburg, vor allem die starke Stilkraft Wolframs von Eschenbach eindrang und gleichzeitig aus dem benachbarten, in mannig- facher Kulturgemeinschaft und verwandtschaftlichen Beziehungen der Fürstenhäuser verbundenen Böhmen der böhmische Zweig des Dichterkreises aus Wolframs Schule (Ulrich von dem Türlin und Ulrich von Eschen- bach) dieselbe epische Manier durch sein anregendes Vorbild begünstigte1. Aber diese an älteren literarischen Mustern höfischen Stils und höfischer Poesie geschulte schlesische Schriftsprache hatte keine lange Dauer. Mit dem zweiten Drittel des 14. Jahrhunderts beginnt in Schlesien langsam die neue Ausgleichung der mundartlichen Zerklüftung auf einer andern Grundlage, deren Halt nicht in dem ritterlich-höfischen Sprachstil ruhte, sondern in den Darstellungsbedürfnissen und Ausdrucksmitteln der her- vorbrechenden und sich ausbreitenden neuen Bildung. Auch diese neue Bildung und ihr neuer Stil der Prosa gingen von Böhmen aus, von dem 1 Vgl. darüber meine Exkurse Nr. 4, d, unten S. 340f.
Zusammenfassende Charakteristik. 235 deshalb stärkste Bedenken gegen die Annahme des verdienten Darstellers der lebenden schlesischen Mundart, des allzufrih der germanistischen Wissenschaft entrissenen Wolf v. Unwerth (a. a. O. S. 5): in dem großen Gebiet Preußisch-Schlesiens nebst der Grafschaft Glatz, Öster- reichisch-Schlesiens und Mährens bis zur čechischen Sprachgrenze, des Ost- und Nordrandes von Böhmen (mit Ausschluß des Egerlandes), der sächsischen Lausitz, der Niederlausitz, der Kreise Krossen und Schwiebus besteht eine durchaus einheitliche Mundart, alle Abweichungen der ein- zelnen Untermundarten(!) beruhen auf späterer Entwicklung aus gemein- samer Grundlage’ und es sind daher dialektische Verschiedenheiten inner- halb des schlesischen Gebietes im Allgemeinen nicht auf Stammesverschieden- heit der deutschen Besiedler zurückxuführen’. Der Begriff des Altschle- sischen oder Gemeinschlesischen, mit dem v. Unwerths Buch arbeitet und den wir allerdings um der Ubersicht willen und zur Vereinfachung verwirrter Entwicklungen kaum entbehren können, ist im Grunde nur eine nützliche Fiktion. Ganz vermeiden jedoch sollte man den Ausdruck und Begriff 'Untermundart'. Aber dieses Problem habe ich hier nicht zu erörtern. Welcher Art die natürliche deutsche Sprache Schlesiens auch gewesen sein mag, eine Ausgleichung ihrer Unterschiede im Bereich des schriftlichen Ausdrucks vollzog sich in zwei Phasen und durch zwei ihrem Wesen nach wie auch zeitlich und sozial verschiedene Mächte. Schlesien erlebte in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts an den piastischen Fürstenhöfen von Breslau und Jauer-Schweidnitz-Fürstenberg eine Nachblüte der ritterlichen Poesie in Minnesang und Epik, mit der zugleich eine Welle der mittelhochdeutschen Dichtersprache hinüberströmte. Es ist neuerdings von verschiedenen Gelehrten (Jantzen, Bacsecke, Hans Naumann) mit Glück dargetan, wie aus Thüringen, woher ein großer Teil der deutschen Einwanderer Schlesiens stammte, auch die literarische Tradition der Wartburg, vor allem die starke Stilkraft Wolframs von Eschenbach eindrang und gleichzeitig aus dem benachbarten, in mannig- facher Kulturgemeinschaft und verwandtschaftlichen Beziehungen der Fürstenhäuser verbundenen Böhmen der böhmische Zweig des Dichterkreises aus Wolframs Schule (Ulrich von dem Türlin und Ulrich von Eschen- bach) dieselbe epische Manier durch sein anregendes Vorbild begünstigte1. Aber diese an älteren literarischen Mustern höfischen Stils und höfischer Poesie geschulte schlesische Schriftsprache hatte keine lange Dauer. Mit dem zweiten Drittel des 14. Jahrhunderts beginnt in Schlesien langsam die neue Ausgleichung der mundartlichen Zerklüftung auf einer andern Grundlage, deren Halt nicht in dem ritterlich-höfischen Sprachstil ruhte, sondern in den Darstellungsbedürfnissen und Ausdrucksmitteln der her- vorbrechenden und sich ausbreitenden neuen Bildung. Auch diese neue Bildung und ihr neuer Stil der Prosa gingen von Böhmen aus, von dem 1 Vgl. darüber meine Exkurse Nr. 4, d, unten S. 340f.
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236 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. königlichen Hof in Prag, wenn auch der Einfluß des Magdeburger Rechts und seiner Rechtssprache noch lange fortwirkte und nur langsam zurück- wich 1. Die uns in der Schlägler und der Schneeberger Handschrift vor- liegenden Briefmuster sind ein geschichtlich höchst lehrreiches Denkmal dieser schlesisch-böhmischen Kulturwende und ihres schriftsprachlichen Reflexes. § 77. Methode der Analyse des schriftsprachlichen Elements. Das erste Kapitel der einleitenden Untersuchungen über diese schle- sisch-böhmischen Briefmuster hat versucht, den allgemeinen und persön- lichen, xeitgeschichtlichen Hintergrund jener großen Sprachumwandlung und Neuordnung der Sprache anschaulich zu machen, soweit er in den hier vereinigten Texten sich wahrnehmen läßt. Das vierte Kapitel bot (§ 1—29, S. 165—207) eine Ubersicht der einzelnen lautlichen und graphischen Erscheinungen in diesen Schriftstücken. Nunmehr soll diese Vielheit von Einxeltatsachen, wenigstens in ihren Hauptzügen und in aller Kürze, zusammenfassend charakterisiert werden nach den allgemeinen sprachgestaltenden und gemeinsprachlichen Trieben, die in ihnen zu Tag treten. Es wird dabei (s. oben § 13 S. 183f.) besonders auf gewisse all- gemeine Sprachvorgänge Rücksicht zu nehmen sein, die oben nicht be- handelt worden sind: Umlaut, Vokaldehnung und Vokalkürzung, Betonung, Lautgestalt der Nebensilben. Außerdem sollen auch hervorstechende Be- sonderheiten der Formenlehre (Deklination, Konjugation) erwähnt werden, die bisher übergangen wurden. Uberall aber muß auf erschöpfende Dar- stellung verzichtet werden. Andeutungen müssen genügen und werden wenn nicht alles täuscht, recht wohl geeignet sein, künftiger schriftsprach- geschichtlicher Untersuchung und Erkenntnis auf breiterer Grundlage ein methodisches Beispiel zu geben. Das dafür einzuschlagende Verfahren ist kein systematisches und kein allgemein gültiges. Es wird sich von Fall zu Fall den jeweiligen ört- lichen und xeitlichen Verhältnissen, der Beschaffenheit der Uberlieferung und der Natur der zu untersuchenden Texte anpassen und dementsprechend sich ändern. Ungefähr aber ist die rechte Richtung längst gewiesen, wie ich schon vor Jahren gegenüber einer fleißigen und für Einzelheiten auch mit Vorsicht benutzbaren Darstellung der Breslauer Kanzleisprache 2 dar- 1 Dieses Verschwinden niederdeutscher Zige aus der schlesischen Geschäfts- sprache xeigt x. B. recht aufklärend ein Vergleich der Originalausfertigung des Breslauer Zolltarifs von 1327 mit seiner Wiedergabe im sogenannten Breslauer Landbuch’ aus der Kanzlei Dietmars von Meckebach, der 1351—1359 oder 1360 Kanzler des Fürstentums Breslau war, und mit deren jüngerer Reinschrift- Kopie, die in der Zeit 1390—1420 geschrieben ist (s. meine Anzeige des Buchs von Arndt, D. Literaturxeit. 1899, Sp. 67. 65. 66, wiederabgedruckt Vorspiel I. 2, S. 251, 249, 250). 2 Bruno Arndt, Der Ubergang vom Mittelhochdeutschen ~um Neuhoch- deutschen in der Sprache der Breslauer Kanzlei. Breslau, Marcus 1898.
236 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. königlichen Hof in Prag, wenn auch der Einfluß des Magdeburger Rechts und seiner Rechtssprache noch lange fortwirkte und nur langsam zurück- wich 1. Die uns in der Schlägler und der Schneeberger Handschrift vor- liegenden Briefmuster sind ein geschichtlich höchst lehrreiches Denkmal dieser schlesisch-böhmischen Kulturwende und ihres schriftsprachlichen Reflexes. § 77. Methode der Analyse des schriftsprachlichen Elements. Das erste Kapitel der einleitenden Untersuchungen über diese schle- sisch-böhmischen Briefmuster hat versucht, den allgemeinen und persön- lichen, xeitgeschichtlichen Hintergrund jener großen Sprachumwandlung und Neuordnung der Sprache anschaulich zu machen, soweit er in den hier vereinigten Texten sich wahrnehmen läßt. Das vierte Kapitel bot (§ 1—29, S. 165—207) eine Ubersicht der einzelnen lautlichen und graphischen Erscheinungen in diesen Schriftstücken. Nunmehr soll diese Vielheit von Einxeltatsachen, wenigstens in ihren Hauptzügen und in aller Kürze, zusammenfassend charakterisiert werden nach den allgemeinen sprachgestaltenden und gemeinsprachlichen Trieben, die in ihnen zu Tag treten. Es wird dabei (s. oben § 13 S. 183f.) besonders auf gewisse all- gemeine Sprachvorgänge Rücksicht zu nehmen sein, die oben nicht be- handelt worden sind: Umlaut, Vokaldehnung und Vokalkürzung, Betonung, Lautgestalt der Nebensilben. Außerdem sollen auch hervorstechende Be- sonderheiten der Formenlehre (Deklination, Konjugation) erwähnt werden, die bisher übergangen wurden. Uberall aber muß auf erschöpfende Dar- stellung verzichtet werden. Andeutungen müssen genügen und werden wenn nicht alles täuscht, recht wohl geeignet sein, künftiger schriftsprach- geschichtlicher Untersuchung und Erkenntnis auf breiterer Grundlage ein methodisches Beispiel zu geben. Das dafür einzuschlagende Verfahren ist kein systematisches und kein allgemein gültiges. Es wird sich von Fall zu Fall den jeweiligen ört- lichen und xeitlichen Verhältnissen, der Beschaffenheit der Uberlieferung und der Natur der zu untersuchenden Texte anpassen und dementsprechend sich ändern. Ungefähr aber ist die rechte Richtung längst gewiesen, wie ich schon vor Jahren gegenüber einer fleißigen und für Einzelheiten auch mit Vorsicht benutzbaren Darstellung der Breslauer Kanzleisprache 2 dar- 1 Dieses Verschwinden niederdeutscher Zige aus der schlesischen Geschäfts- sprache xeigt x. B. recht aufklärend ein Vergleich der Originalausfertigung des Breslauer Zolltarifs von 1327 mit seiner Wiedergabe im sogenannten Breslauer Landbuch’ aus der Kanzlei Dietmars von Meckebach, der 1351—1359 oder 1360 Kanzler des Fürstentums Breslau war, und mit deren jüngerer Reinschrift- Kopie, die in der Zeit 1390—1420 geschrieben ist (s. meine Anzeige des Buchs von Arndt, D. Literaturxeit. 1899, Sp. 67. 65. 66, wiederabgedruckt Vorspiel I. 2, S. 251, 249, 250). 2 Bruno Arndt, Der Ubergang vom Mittelhochdeutschen ~um Neuhoch- deutschen in der Sprache der Breslauer Kanzlei. Breslau, Marcus 1898.
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Zusammenfassende Charakteristik. 237 gelegt habe 1, durch die Abhandlungen von Renward Brandstetter über die Luxerner Schriftsprache und von Willy Scheel über die Kölnische und Pommerische Kanzleisprache 2. Seitdem hat für die Beurteilung und Klarlegung des Verhältnisses von Mundart und Schriftsprache in den Texten der Kanzlei methodisch förderlich gewirkt das vortreffliche Buch von Agathe Lasch, einer Schülerin Wilhelm Braunes, über die Ber- liner Kanzleisprache, dessen Verfasserin, wie sie mir brieflich mitteilte, die von meinen Arbeiten empfangenen Anregungen hauptsächlich veran- laßt hatten, ein Gebiet aus der Geschichte der neuhochdeutschen Schrift- sprache zu behandeln3. Doch ist meines Wissens in keiner der bisherigen Darstellungen der spätmittelalterlichen und frühneuhochdeutschen Kanzleisprache die allein zum Ziel führende, methodisch grundlegende Erkenntnis ausgesprochen und verwertet, die ich in den vorstehenden Bemerkungen wohl als Erster grundsätzlich formuliert habe und in den folgenden Hinweisen noch ge- nauer erläutern und begründen will. Für die Darstellung eines einheitlichen naturwüchsigen, in sich kon- stanten Volksdialektes kann man mit dem System unserer modernen sprachgeschichtlichen Terminologie auskommen. Bei der Beleuchtung von Texten aus der Sphäre der Kanzleisprache handelt es sich hingegen um Erzeugnisse sehr wechselnder und vielschichtiger Mischungen von Schrift- sprache und Mundart, traditioneller Sprachformung oder Schreibung und persönlicher Sprechweise. Das Verhältnis dieser Mischung verändert sich nach Zeit und Ort, nach den soxialen Umständen der Aufzeichnung, die von Kanzleibeamten oder den beteiligten Parteien in schr verschiedener Weise bestimmt sein kann. Wo, wie im vorliegenden Fall, die sprach- lichen Quellen Briefmusterbücher sind (über deren textgeschichtliche Her- kunft und Uberlieferungsschicksale oben S. 7—10. 166 das Nötigste ge- sagt wurde), wo überdies die Heimat dieser Aufzeichnungen ein Kolonial- land ist mit buntgemischter deutscher Bevölkerung 4, steigern und verdichten 1 In meiner Besprechung des Buchs von Arndt, Deutsche Literaturxeitung 1899, 14. Januar, Sp. 62f; (= Vorspiel I, 2, S. 246 f.), dazu vgl. das wesentlich übereinstimmende Urteil in Willy Scheels Anxeige derselben Schrift, Zeit- schrift für deutsche Philologie Band 31 (1899), S. 514—516. 2 Renward Brandstetter, Prolegomena xu einer urkundlichen Geschichte der Luzerner Mundart, Geschichtsfreund, Einsiedeln-Waldshut 1890, Band 45, S. 201—284; Derselbe, die Rezeption der neuhochdeutschen Schriftsprache in Stadt und Landschaft Luzern 1600—1830, ebd. 1891, Bd. 46, S. 191—282; Der- selbe, Die Luxerner Kanzleisprache 1250—1600, ebd. 1892, Bd. 47, S. 225—318; Willy Scheel, Westdeutsche Zeitschr. 1893, Ergänzungsband 8, S. 1—75 und Niederdeutsches Jahrbuch 1895, Band 20, S. 57—77. 3 Dr. Agathe Lasch, Geschichte der Schriftsprache in Berlin bis xur Mitte des 16. Jahrhunderts, Dortmund, Ruhfus 1910. “ Mit Recht betont Baesecke, Der Wiener Oswald, Heidelberg 1912, S. XCIII
Zusammenfassende Charakteristik. 237 gelegt habe 1, durch die Abhandlungen von Renward Brandstetter über die Luxerner Schriftsprache und von Willy Scheel über die Kölnische und Pommerische Kanzleisprache 2. Seitdem hat für die Beurteilung und Klarlegung des Verhältnisses von Mundart und Schriftsprache in den Texten der Kanzlei methodisch förderlich gewirkt das vortreffliche Buch von Agathe Lasch, einer Schülerin Wilhelm Braunes, über die Ber- liner Kanzleisprache, dessen Verfasserin, wie sie mir brieflich mitteilte, die von meinen Arbeiten empfangenen Anregungen hauptsächlich veran- laßt hatten, ein Gebiet aus der Geschichte der neuhochdeutschen Schrift- sprache zu behandeln3. Doch ist meines Wissens in keiner der bisherigen Darstellungen der spätmittelalterlichen und frühneuhochdeutschen Kanzleisprache die allein zum Ziel führende, methodisch grundlegende Erkenntnis ausgesprochen und verwertet, die ich in den vorstehenden Bemerkungen wohl als Erster grundsätzlich formuliert habe und in den folgenden Hinweisen noch ge- nauer erläutern und begründen will. Für die Darstellung eines einheitlichen naturwüchsigen, in sich kon- stanten Volksdialektes kann man mit dem System unserer modernen sprachgeschichtlichen Terminologie auskommen. Bei der Beleuchtung von Texten aus der Sphäre der Kanzleisprache handelt es sich hingegen um Erzeugnisse sehr wechselnder und vielschichtiger Mischungen von Schrift- sprache und Mundart, traditioneller Sprachformung oder Schreibung und persönlicher Sprechweise. Das Verhältnis dieser Mischung verändert sich nach Zeit und Ort, nach den soxialen Umständen der Aufzeichnung, die von Kanzleibeamten oder den beteiligten Parteien in schr verschiedener Weise bestimmt sein kann. Wo, wie im vorliegenden Fall, die sprach- lichen Quellen Briefmusterbücher sind (über deren textgeschichtliche Her- kunft und Uberlieferungsschicksale oben S. 7—10. 166 das Nötigste ge- sagt wurde), wo überdies die Heimat dieser Aufzeichnungen ein Kolonial- land ist mit buntgemischter deutscher Bevölkerung 4, steigern und verdichten 1 In meiner Besprechung des Buchs von Arndt, Deutsche Literaturxeitung 1899, 14. Januar, Sp. 62f; (= Vorspiel I, 2, S. 246 f.), dazu vgl. das wesentlich übereinstimmende Urteil in Willy Scheels Anxeige derselben Schrift, Zeit- schrift für deutsche Philologie Band 31 (1899), S. 514—516. 2 Renward Brandstetter, Prolegomena xu einer urkundlichen Geschichte der Luzerner Mundart, Geschichtsfreund, Einsiedeln-Waldshut 1890, Band 45, S. 201—284; Derselbe, die Rezeption der neuhochdeutschen Schriftsprache in Stadt und Landschaft Luzern 1600—1830, ebd. 1891, Bd. 46, S. 191—282; Der- selbe, Die Luxerner Kanzleisprache 1250—1600, ebd. 1892, Bd. 47, S. 225—318; Willy Scheel, Westdeutsche Zeitschr. 1893, Ergänzungsband 8, S. 1—75 und Niederdeutsches Jahrbuch 1895, Band 20, S. 57—77. 3 Dr. Agathe Lasch, Geschichte der Schriftsprache in Berlin bis xur Mitte des 16. Jahrhunderts, Dortmund, Ruhfus 1910. “ Mit Recht betont Baesecke, Der Wiener Oswald, Heidelberg 1912, S. XCIII
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238 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. sich jene mannigfaltigen Kreuxungen divergenter mundartlicher Eigen- tümlichkeiten und schriftsprachlicher Triebe noch ganz besonders. Man muß überhaupt jedes Schriftstück der Kanzlei zunächst einmal als ein besonderes Phänomen sprachlicher Mischung für sich betrachten und werten, daneben aber gleichartige, die unter verwandten Bedingungen und Anlässen entstanden sind, zu Gruppen vereinigen und für diese Gruppen gemeinsame Merkmale ihres Verhältnisses zur schriftsprachlichen Bewegung ermitteln. Das aber muß man sich für die Untersuchung der hier vorliegenden Texte und für alle ähnlichen Fälle klar machen: die Sprache und Schreibweise der Originale, die ja ihrerseits, wie oben ge- sagt, nach Vorlagen gearbeitet sind und aus diesen nicht bloß Wendungen und Worte, sondern gelegentlich auch bestimmte Lautformen und Schrei- bungen übernommener Worte beibehalten, läßt sich aus der uns allein zugänglichen Uberlieferung, der mehrfache natürlich keineswegs sprachlich genau kopierende Abschriften zugrunde liegen, nimmermehr erschließen. Nicht einmal die Sprachform, die der hier wiedergegebenen Briefmuster- sammlung ihr Redaktor gegeben hat, können wir mit Sicherheit in allen Einzelheiten erkennen. Streng genommen steht deutlich vor uns nur die bunte Vielgestalt der Sprache, die den Schreibern der uns erhaltenen Ab- schriften verdankt wird. Allerdings darf man im großen und ganzen auf eine gewisse Be- harrlichkeit in der formalen Wiedergabe der Vorlagen rechnen, da ja in dieser Sphäre der kanzleihaften Schulübungen peinliches Einhalten der Regel und enge Nachahmung der Muster erstrebt wurde. Ein schlagendes Beispiel dafür von gewiß typischer Bedeutung liefert die Textgeschichte des schlesischen lateinisch-deutschen philosophischen Vokabulars aus dem frühen 14. Jahrhundert, das uns erhalten ist in einer Wiedergabe durch Konrad von Heinrichau von 1340, ferner in einer Weiterbildung durch eine von Birlinger benutzte schlesische Hand- schrift des 14/15. Jahrhunderts und in einer gleichfalls schlesischen Auf- zeichnung einer Handschrift des Stadtarchivs von Kaaden a. Eger, die etwas älter zu sein und noch dem 14. Jahrhundert anzugehören scheint. Wie Alois Bernt, Prager Deutsche Studien, 8. Heft (Kelle-Festschrift I), Prag 1908, S. 446 bemerkt hat, zeigen sich, obgleich an die 60 Jahre zwischen der Niederschrift von Heinrichau und Birlingers Handschrift liegen, nur in wenigen Punkten sprachliche Unterschiede und eine Art Weiterentwicklung schriftsprachlicher Art. Man sicht im allgemeinen nur ein genaues Kopieren auch der Sprachform. Die Kaadener Handschrift, die vielleicht in Komotau von einem Schlesier geschrieben ist, bietet dem- gegenüber dann eine gröbere mundartliche Färbung. Indessen was für die Uberlieferung eines Vokabulars, einer Sammlung und S. 65 (im Einklang mit einer Untersuchung Wolf von Unwerths) die Uneinheitlichkeit der Mundarten Schlesiens bis zum Anfang des 14. Jahrhunderts.
238 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. sich jene mannigfaltigen Kreuxungen divergenter mundartlicher Eigen- tümlichkeiten und schriftsprachlicher Triebe noch ganz besonders. Man muß überhaupt jedes Schriftstück der Kanzlei zunächst einmal als ein besonderes Phänomen sprachlicher Mischung für sich betrachten und werten, daneben aber gleichartige, die unter verwandten Bedingungen und Anlässen entstanden sind, zu Gruppen vereinigen und für diese Gruppen gemeinsame Merkmale ihres Verhältnisses zur schriftsprachlichen Bewegung ermitteln. Das aber muß man sich für die Untersuchung der hier vorliegenden Texte und für alle ähnlichen Fälle klar machen: die Sprache und Schreibweise der Originale, die ja ihrerseits, wie oben ge- sagt, nach Vorlagen gearbeitet sind und aus diesen nicht bloß Wendungen und Worte, sondern gelegentlich auch bestimmte Lautformen und Schrei- bungen übernommener Worte beibehalten, läßt sich aus der uns allein zugänglichen Uberlieferung, der mehrfache natürlich keineswegs sprachlich genau kopierende Abschriften zugrunde liegen, nimmermehr erschließen. Nicht einmal die Sprachform, die der hier wiedergegebenen Briefmuster- sammlung ihr Redaktor gegeben hat, können wir mit Sicherheit in allen Einzelheiten erkennen. Streng genommen steht deutlich vor uns nur die bunte Vielgestalt der Sprache, die den Schreibern der uns erhaltenen Ab- schriften verdankt wird. Allerdings darf man im großen und ganzen auf eine gewisse Be- harrlichkeit in der formalen Wiedergabe der Vorlagen rechnen, da ja in dieser Sphäre der kanzleihaften Schulübungen peinliches Einhalten der Regel und enge Nachahmung der Muster erstrebt wurde. Ein schlagendes Beispiel dafür von gewiß typischer Bedeutung liefert die Textgeschichte des schlesischen lateinisch-deutschen philosophischen Vokabulars aus dem frühen 14. Jahrhundert, das uns erhalten ist in einer Wiedergabe durch Konrad von Heinrichau von 1340, ferner in einer Weiterbildung durch eine von Birlinger benutzte schlesische Hand- schrift des 14/15. Jahrhunderts und in einer gleichfalls schlesischen Auf- zeichnung einer Handschrift des Stadtarchivs von Kaaden a. Eger, die etwas älter zu sein und noch dem 14. Jahrhundert anzugehören scheint. Wie Alois Bernt, Prager Deutsche Studien, 8. Heft (Kelle-Festschrift I), Prag 1908, S. 446 bemerkt hat, zeigen sich, obgleich an die 60 Jahre zwischen der Niederschrift von Heinrichau und Birlingers Handschrift liegen, nur in wenigen Punkten sprachliche Unterschiede und eine Art Weiterentwicklung schriftsprachlicher Art. Man sicht im allgemeinen nur ein genaues Kopieren auch der Sprachform. Die Kaadener Handschrift, die vielleicht in Komotau von einem Schlesier geschrieben ist, bietet dem- gegenüber dann eine gröbere mundartliche Färbung. Indessen was für die Uberlieferung eines Vokabulars, einer Sammlung und S. 65 (im Einklang mit einer Untersuchung Wolf von Unwerths) die Uneinheitlichkeit der Mundarten Schlesiens bis zum Anfang des 14. Jahrhunderts.
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Zusammenfassende Charakteristik. 239 cinzelner Worte, gilt, kann nicht auf die Behandlung einer Sammlung zusammenhängender Briefe und Urkunden uneingeschränkt Anwendung finden. Hier spielen sehr viele Möglichkeiten mit, durch die mannigfache Abstufungen sprachlicher Umgestaltung bedingt sind. Die Vergleichung der deutschen Sprachform in den Textredaktionen von P und S zeigt, wie ein gemeinsamer Bestand an Briefen in zwei zeitlich und räumlich voneinander nicht weit entfernten Textbearbeitungen je nach der Heimat des Redaktors ein sprachliches Gewand von ziemlich durchgehender Ver- schiedenheit trägt. Die Kopien allerdings dieser beiden Textredaktionen, die wir als Zwischenglieder und Vorlagen der uns in den Exemplaren P und S erhaltenen Fassungen voraussetzen müssen, können sprachlich konservativer gewesen sein. Aber wie weit trotz dem im allgemeinen gewiß anzuerkennenden sprachlichen Trägheitsgesetz dennoch Nachlässig- keit, Unfähigkeit und Eigensinn den Federn der einzelnen Schreiber Ab- weichungen eingab, dafür haben wir gar keinen Anhalt und keinerlei Maßstab. Wir werden noch am chesten zu fruchtbaren und wenigstens im großen und ganzen richtigen Ergebnissen gelangen, wenn wir uns damit begnügen, für die sprachliche Charakteristik hauptsächlich nur die- jenigen Erscheinungen zu benutzen, die durch ihr zahlenmäßiges Uber- wiegen eine gewisse Regelmäßigkeit bezeugen, dagegen die mehr vereinzelten Besonderheiten nur dann, wenn sie eine bestimmte erkennbare schrift- sprachliche Tendenz bekunden. § 78. Verhältnis zum grobmundartlichen Vokalismus als Mittel der Heimatbestimmung. Für die Lokalisierung der Handschrift P der hier vorliegenden deutschen Briefmuster ist oben S. 52 Nr. 8 und S. 182 (§ 8, 4) die Pronominalform eir (= ihr) benutxt worden, eine grob mundartliche mittelschlesische Eigentümlichkeit. Sie steht in unseren Texten aber doch vereinzelt und ist ein Sonderbesitz der Schlägler Handschrift, während sie in der Schweidnitzer Sammlung (Sw) und in S fehlt. Unsere Texte haben in allen drei Niederschriften allerdings manchen mundartlichen Zug, der dem gemeinsprachlichen Lauttypus des Prager Kanzleideutsch wider- strebt und ihm gegenüber einen mehr vulgären Charakter trägt. Aber nur der ungeschulte Beobachter kann übersehen, daß sie gleichwohl auch ihrer- seits weit entfernt sind, dem mundartlichen Zuge der heimatlichen Sprache sich frei zu überlassen, vielmehr offensichtlich nach einer Schreibform trachten, die sich darüber erhebt. Dem naiven Leser erscheint der Ab- stand zwischen unserer heutigen newhochdeutschen Schriftsprache und der Sprache dieser Texte ungeheuer. Aber würde der Abstand zwischen den Lauten dieser Texte und einer treu phonetischen Umschrift des reinen Schweidnitz-Frankensteiner Volksdialekts der Gegenwart nicht chenso ge- waltig sein? Man muß vor allem dics beachten: vielerlei mundartliche
Zusammenfassende Charakteristik. 239 cinzelner Worte, gilt, kann nicht auf die Behandlung einer Sammlung zusammenhängender Briefe und Urkunden uneingeschränkt Anwendung finden. Hier spielen sehr viele Möglichkeiten mit, durch die mannigfache Abstufungen sprachlicher Umgestaltung bedingt sind. Die Vergleichung der deutschen Sprachform in den Textredaktionen von P und S zeigt, wie ein gemeinsamer Bestand an Briefen in zwei zeitlich und räumlich voneinander nicht weit entfernten Textbearbeitungen je nach der Heimat des Redaktors ein sprachliches Gewand von ziemlich durchgehender Ver- schiedenheit trägt. Die Kopien allerdings dieser beiden Textredaktionen, die wir als Zwischenglieder und Vorlagen der uns in den Exemplaren P und S erhaltenen Fassungen voraussetzen müssen, können sprachlich konservativer gewesen sein. Aber wie weit trotz dem im allgemeinen gewiß anzuerkennenden sprachlichen Trägheitsgesetz dennoch Nachlässig- keit, Unfähigkeit und Eigensinn den Federn der einzelnen Schreiber Ab- weichungen eingab, dafür haben wir gar keinen Anhalt und keinerlei Maßstab. Wir werden noch am chesten zu fruchtbaren und wenigstens im großen und ganzen richtigen Ergebnissen gelangen, wenn wir uns damit begnügen, für die sprachliche Charakteristik hauptsächlich nur die- jenigen Erscheinungen zu benutzen, die durch ihr zahlenmäßiges Uber- wiegen eine gewisse Regelmäßigkeit bezeugen, dagegen die mehr vereinzelten Besonderheiten nur dann, wenn sie eine bestimmte erkennbare schrift- sprachliche Tendenz bekunden. § 78. Verhältnis zum grobmundartlichen Vokalismus als Mittel der Heimatbestimmung. Für die Lokalisierung der Handschrift P der hier vorliegenden deutschen Briefmuster ist oben S. 52 Nr. 8 und S. 182 (§ 8, 4) die Pronominalform eir (= ihr) benutxt worden, eine grob mundartliche mittelschlesische Eigentümlichkeit. Sie steht in unseren Texten aber doch vereinzelt und ist ein Sonderbesitz der Schlägler Handschrift, während sie in der Schweidnitzer Sammlung (Sw) und in S fehlt. Unsere Texte haben in allen drei Niederschriften allerdings manchen mundartlichen Zug, der dem gemeinsprachlichen Lauttypus des Prager Kanzleideutsch wider- strebt und ihm gegenüber einen mehr vulgären Charakter trägt. Aber nur der ungeschulte Beobachter kann übersehen, daß sie gleichwohl auch ihrer- seits weit entfernt sind, dem mundartlichen Zuge der heimatlichen Sprache sich frei zu überlassen, vielmehr offensichtlich nach einer Schreibform trachten, die sich darüber erhebt. Dem naiven Leser erscheint der Ab- stand zwischen unserer heutigen newhochdeutschen Schriftsprache und der Sprache dieser Texte ungeheuer. Aber würde der Abstand zwischen den Lauten dieser Texte und einer treu phonetischen Umschrift des reinen Schweidnitz-Frankensteiner Volksdialekts der Gegenwart nicht chenso ge- waltig sein? Man muß vor allem dics beachten: vielerlei mundartliche
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240 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. Erscheinungen, die unbedingt schon um 1400 der schlesischen Volkssprache eigneten, sind in den Niederschriften dieser Texte vermieden. 1. So fehlen die der gesamtschlesischen Mundart seit früher Zeit eigenen Entrundungen der Vokale und Diphthonge ö (mhd. ö [o], o), i (mhd. u, te), en (mhd. in und ön):1 wir finden hier also keine Fälle der von Rückert-Pietsch (S. 32f. Nr. 7, 8; S. 38f. Nr. 6; S. 98 Nr. 3) aus Urkunden des 14. und 15. Jahrhunderts belegten Typen derfern für dörfern, hefin für höven, sneden für snoeden, gresser für grosser; kein mincze für müncze; cichner für züchner (auch nicht mit der y-Schrei- bung des i, also kein orkynde statt urkünde, kein dorymme statt dorümbe) ; kein getreilich für getreulich, vreyde für vreude. Allerdings sind auch in den von Rückert-Pietsch gesammelten Belegen die Beispiele aus dem 14. Jahrhundert noch selten, aus dem 15. Jahrhundert noch nicht allzu zahlreich, während in der schlesischen Literatursprache des 16.—18. Jahr- hunderts die entrundete Aussprache in Schreibung und Reimbindung einen breiten Raum behauptet2. 2. Ebenso wenig als diese Entrundungen erscheinen in unseren Text- niederschriften einige in der groben schlesischen Volkssprache frih und noch heute vorkommende sekundäre Diphthongierungen: ou und au = mhd. o, ô; u; â; a. Es fehlen also Formen wie: houf = hof, lowben = loben, glouben = geloben; howlz = holz; houch = hôch; houlden = hulden, howldunge = huldunge. Desgleichen fehlen: slauffin = slafin, frouge = frâge, goube = gâbe, rowthe = râte. Und nicht minder fehlen: krauff, kraufft = kraft, betrauchte = betrachte, aucht (octo), auldin (antiquorum). Alle diese Formen belegen Rückert S. 115 (2) und S. 93 (5) aus schlesischen Urkunden und Handschriften, die mit 1 Vgl. darüber v. Unwerth, § 17 S. 16 f.; § 20. 21 S. 19; § 30 S. 25; § 40. 41 S. 30 f.; § 43 S. 32. — Für nicht germanistisch geschulte Leser sei der Be- achtung empfohlen, daß im folgenden bei Anführung mittelhochdeutscher (mhd.) Worte der einfache Vokal ohne Akxent (a eiou ö ü) kurxen Laut und nur der mit Zirkumflex versehene (â ê i ôû) die Länge des Lauts bedeutet. Auch mhd. oe und iu sind einfache und lange Vokale (= ö und ü) Bei Anführung schlesischer Dialektlaute der Gegenwart ist gelegentlich nach v. Unwerths Angaben die ge- schlossene oder offene Aussprache der langen Vokale unterschieden und dann ihm folgend jene durch einen Zirkumflex (ê ô usw.), diese durch einen Strich (é ö usw.) bezeichnet. Im Allgemeinen aber wird mit dem Sprachatlas die Länge der Vokale des gegenwärtigen Schlesisch durch Strich bexeichnet (aéiö ü). An Stelle des Zeichens & für die Herkunft einer Sprachform aus einer anderen (mein mhd. mîn soviel als mein xurückgehend auf mhd. mîn’, mhd. hûs nhd. haus soviel als mhd. hûs im nhd. übergehend in haus') ist im folgenden oft das einfache Gleichheitszeichen (=) verwendet. 2 Vgl. Weinhold S. 33, 12; S. 35, 6; S. 44, 7. 8. 3; S. 45, 4 und besonders die Nachweise und einschränkenden Bemerkungen bei Friedrich Neumann, Geschichte des neuhochdeutschen Reimes von Opitz bis Wieland, Berlin, Weid- mann 1920, S. 104—116; auch Siebs a. a. O. S. 274, II.
240 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. Erscheinungen, die unbedingt schon um 1400 der schlesischen Volkssprache eigneten, sind in den Niederschriften dieser Texte vermieden. 1. So fehlen die der gesamtschlesischen Mundart seit früher Zeit eigenen Entrundungen der Vokale und Diphthonge ö (mhd. ö [o], o), i (mhd. u, te), en (mhd. in und ön):1 wir finden hier also keine Fälle der von Rückert-Pietsch (S. 32f. Nr. 7, 8; S. 38f. Nr. 6; S. 98 Nr. 3) aus Urkunden des 14. und 15. Jahrhunderts belegten Typen derfern für dörfern, hefin für höven, sneden für snoeden, gresser für grosser; kein mincze für müncze; cichner für züchner (auch nicht mit der y-Schrei- bung des i, also kein orkynde statt urkünde, kein dorymme statt dorümbe) ; kein getreilich für getreulich, vreyde für vreude. Allerdings sind auch in den von Rückert-Pietsch gesammelten Belegen die Beispiele aus dem 14. Jahrhundert noch selten, aus dem 15. Jahrhundert noch nicht allzu zahlreich, während in der schlesischen Literatursprache des 16.—18. Jahr- hunderts die entrundete Aussprache in Schreibung und Reimbindung einen breiten Raum behauptet2. 2. Ebenso wenig als diese Entrundungen erscheinen in unseren Text- niederschriften einige in der groben schlesischen Volkssprache frih und noch heute vorkommende sekundäre Diphthongierungen: ou und au = mhd. o, ô; u; â; a. Es fehlen also Formen wie: houf = hof, lowben = loben, glouben = geloben; howlz = holz; houch = hôch; houlden = hulden, howldunge = huldunge. Desgleichen fehlen: slauffin = slafin, frouge = frâge, goube = gâbe, rowthe = râte. Und nicht minder fehlen: krauff, kraufft = kraft, betrauchte = betrachte, aucht (octo), auldin (antiquorum). Alle diese Formen belegen Rückert S. 115 (2) und S. 93 (5) aus schlesischen Urkunden und Handschriften, die mit 1 Vgl. darüber v. Unwerth, § 17 S. 16 f.; § 20. 21 S. 19; § 30 S. 25; § 40. 41 S. 30 f.; § 43 S. 32. — Für nicht germanistisch geschulte Leser sei der Be- achtung empfohlen, daß im folgenden bei Anführung mittelhochdeutscher (mhd.) Worte der einfache Vokal ohne Akxent (a eiou ö ü) kurxen Laut und nur der mit Zirkumflex versehene (â ê i ôû) die Länge des Lauts bedeutet. Auch mhd. oe und iu sind einfache und lange Vokale (= ö und ü) Bei Anführung schlesischer Dialektlaute der Gegenwart ist gelegentlich nach v. Unwerths Angaben die ge- schlossene oder offene Aussprache der langen Vokale unterschieden und dann ihm folgend jene durch einen Zirkumflex (ê ô usw.), diese durch einen Strich (é ö usw.) bezeichnet. Im Allgemeinen aber wird mit dem Sprachatlas die Länge der Vokale des gegenwärtigen Schlesisch durch Strich bexeichnet (aéiö ü). An Stelle des Zeichens & für die Herkunft einer Sprachform aus einer anderen (mein mhd. mîn soviel als mein xurückgehend auf mhd. mîn’, mhd. hûs nhd. haus soviel als mhd. hûs im nhd. übergehend in haus') ist im folgenden oft das einfache Gleichheitszeichen (=) verwendet. 2 Vgl. Weinhold S. 33, 12; S. 35, 6; S. 44, 7. 8. 3; S. 45, 4 und besonders die Nachweise und einschränkenden Bemerkungen bei Friedrich Neumann, Geschichte des neuhochdeutschen Reimes von Opitz bis Wieland, Berlin, Weid- mann 1920, S. 104—116; auch Siebs a. a. O. S. 274, II.
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Zusammenfassende Charakteristik. 241 unsern Brieftexten etwa gleichzeitig oder wenig jünger sind als sie, während Arndt a. a. O. S. 35 aus der Breslauer Kanzleisprache für ou. au = mhd. u, o Beispiele seit 1389 bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts beibringt. Wrede hat diese speziell schlesischen sekundären Diphthongierungen der whd. o, u sowie die ihr parallelen des mhd. e, i zu et, al (vgl. Wein- hold S. 60f., 3—8; S. 62, 2. 3 und Rückert S. 98 ff., 4) in seinen Be- richten über die Karten des Deutschen Sprachatlas beleuchtet und die beiden Diphthongierungsreihen im wesentlichen demselben Bezirk zu beiden Seiten der Oder von Breslau bis Grünberg zugewiesen, der anderseits das neuhochdeutsche aus mhd. û entstandene au schon wieder zu ô verengt hat (Anzeiger für deutsches Altertum 1893—1896, Bd. 19, S. 348; 20, S. 105. 211; 21, S. 160f. 272f.; 22, S. 326). Wolf v. Unwerth hat in seiner Darstellung der lebenden schlesischen Mundart unterschieden die Mundarten der Sudeten, des Gebirgsvorlandes und der Lausitz als Stammmundarten, die den im Schlesischen ent- wickelten Vokalismus im Ganzen bewahrt haben (S. 6. 76. 77), von den "Diphthongierungsmundarten'1, die den schlesischen Vokalismus durch Verbreiterung gewandelt haben und für die ihm das Glogauer und Grün- berger Schlesisch Repräsentanten sind. In den Diphthongierungsmund- arten' herrscht nach v. Unwerth (S. 16 § 15, § 19 II S. 18, S. 82f. VIII. und Karte I. 2) für mhd. o im Fall der Dehnung teils langes o (tôp = mhd. nhd. Topf), teils au (taup) und zwar so, daß letzteres in zwei Gebieten, einem östlichen und einem südlichen erscheint, die von dem (westlichen und nördlichen) Bereich der tôp-Form durch die Linie Arns- dorf, Langenwaldau, Thiergarten, Schönborn, Pohlschildern, Leschwitz, Alt-Läst, Leubus, Regnitz und von da durch den Lauf der Oder bis Dyhernfurth geschieden sind, ferner für mhd. u im Glogauischen und Grünbergischen au (óû, éû): Saun (mhd. sun), Nauss (mhd. nus), Pausch (mhd. busch). Das Gebiet der 'Diphthongierungsmundarten' Schlesiens gliedert sich nach v. Unwerth (§ 12 II, S. 14) in drei Stücke: im südöstlichen Flügel (Parchwitz, Neumarkt, Breslau, Oels) und im nordwestlichen Flügel (Grün- berg, Freystadt, Sprottau, Beuthen) wird schlesisches langes i (= mhd. kurzem i) zu ê oder êi : hê oder hêi (hin), nêdr oder nêidr (mhd. nider, nhd. nieder), im Mittelstück (Glogau, Winzig, Trachenberg) zu ai : hai, štraik (Strick). Hingegen vor r zeigt nach v. Unwerths Angabe das Gesamtgebiet der schlesischen Diphthongierungsmundarten' stets ê, nur im Militscher Kreise (Trachenberg) al : bair (wir), mair (mir). 1 Diese Bexeichnung ist deshalb wenig glücklich, ja geradexu verwirrend, weil es sich bei den für diese Mundarten Schlesiens charakteristischen Diphthongie- rungen nicht um die gemeinneuhochdeutschen Diphthongierungen, sondern um jüngere, partikuläre handelt, die überdies innerlich mit durchgeführten Mono- phthongierungen zusammenhängen und diese zur Seite haben.
Zusammenfassende Charakteristik. 241 unsern Brieftexten etwa gleichzeitig oder wenig jünger sind als sie, während Arndt a. a. O. S. 35 aus der Breslauer Kanzleisprache für ou. au = mhd. u, o Beispiele seit 1389 bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts beibringt. Wrede hat diese speziell schlesischen sekundären Diphthongierungen der whd. o, u sowie die ihr parallelen des mhd. e, i zu et, al (vgl. Wein- hold S. 60f., 3—8; S. 62, 2. 3 und Rückert S. 98 ff., 4) in seinen Be- richten über die Karten des Deutschen Sprachatlas beleuchtet und die beiden Diphthongierungsreihen im wesentlichen demselben Bezirk zu beiden Seiten der Oder von Breslau bis Grünberg zugewiesen, der anderseits das neuhochdeutsche aus mhd. û entstandene au schon wieder zu ô verengt hat (Anzeiger für deutsches Altertum 1893—1896, Bd. 19, S. 348; 20, S. 105. 211; 21, S. 160f. 272f.; 22, S. 326). Wolf v. Unwerth hat in seiner Darstellung der lebenden schlesischen Mundart unterschieden die Mundarten der Sudeten, des Gebirgsvorlandes und der Lausitz als Stammmundarten, die den im Schlesischen ent- wickelten Vokalismus im Ganzen bewahrt haben (S. 6. 76. 77), von den "Diphthongierungsmundarten'1, die den schlesischen Vokalismus durch Verbreiterung gewandelt haben und für die ihm das Glogauer und Grün- berger Schlesisch Repräsentanten sind. In den Diphthongierungsmund- arten' herrscht nach v. Unwerth (S. 16 § 15, § 19 II S. 18, S. 82f. VIII. und Karte I. 2) für mhd. o im Fall der Dehnung teils langes o (tôp = mhd. nhd. Topf), teils au (taup) und zwar so, daß letzteres in zwei Gebieten, einem östlichen und einem südlichen erscheint, die von dem (westlichen und nördlichen) Bereich der tôp-Form durch die Linie Arns- dorf, Langenwaldau, Thiergarten, Schönborn, Pohlschildern, Leschwitz, Alt-Läst, Leubus, Regnitz und von da durch den Lauf der Oder bis Dyhernfurth geschieden sind, ferner für mhd. u im Glogauischen und Grünbergischen au (óû, éû): Saun (mhd. sun), Nauss (mhd. nus), Pausch (mhd. busch). Das Gebiet der 'Diphthongierungsmundarten' Schlesiens gliedert sich nach v. Unwerth (§ 12 II, S. 14) in drei Stücke: im südöstlichen Flügel (Parchwitz, Neumarkt, Breslau, Oels) und im nordwestlichen Flügel (Grün- berg, Freystadt, Sprottau, Beuthen) wird schlesisches langes i (= mhd. kurzem i) zu ê oder êi : hê oder hêi (hin), nêdr oder nêidr (mhd. nider, nhd. nieder), im Mittelstück (Glogau, Winzig, Trachenberg) zu ai : hai, štraik (Strick). Hingegen vor r zeigt nach v. Unwerths Angabe das Gesamtgebiet der schlesischen Diphthongierungsmundarten' stets ê, nur im Militscher Kreise (Trachenberg) al : bair (wir), mair (mir). 1 Diese Bexeichnung ist deshalb wenig glücklich, ja geradexu verwirrend, weil es sich bei den für diese Mundarten Schlesiens charakteristischen Diphthongie- rungen nicht um die gemeinneuhochdeutschen Diphthongierungen, sondern um jüngere, partikuläre handelt, die überdies innerlich mit durchgeführten Mono- phthongierungen zusammenhängen und diese zur Seite haben.
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242 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. 3. Diese Angabe berücksichtigt aber nicht ausreichend das Vorkommen von el für das gemeinschlesische gedehnte i (aus mhd. kurzem i) in den betonten Pronominalformen ihr (mhd. ir) sowie wir, mir, das der Sprach- atlas des Deutschen Rewhes namentlich für das hier in Frage stehende ihr in viel weiterem Umfang, nämlich in dem oben S. 521 nur ungefähr skizxierten Verbreitungsgebiet belegt. Mit Sicherheit können wir aus diesem eir (= ihr) in P (s. oben S. 182, § 8, 4) nicht mehr schließen, als daß es eben der letzten Abschrift an- gehört und dem Schreiber aus seiner Mundart in die Feder floß. Für diese Annahme spricht auch der Umstand, wenn auch nicht entscheidend. daß in den 19 Briefen, die uns neben P auch die der Lausitz angehörige oder nahe Handschrift S überliefert, diese an Stelle des eir das hoch- sprachliche ir bietet (5, 4. 6 Bl. 7r, 7, 5. 8 Bl. 77; 11, 7 Bl. 9°; 13, 7 Bl. 10"; 15, 10 Bl. 10"; 16, 8 Bl. 117; 17, 11 Bl. 11°). Ebenso gibt S in folgenden Fällen, wo P ein pronominales ir in unbetonter Verwendung als er bringt, an Stelle dessen ir: 10, 11; 12, 6 (hier hat P, wohl nur als Verschreibung her). 9; 17, 8. Auch das seltsame vorscreibn 19, 6 erscheint in S hochsprachlich als vorschreben 2. Es ist aber der Versuch geboten, aus diesem charakteristischen eir genauer die Heimat des Schreibers zu bestimmen. Oben S. 52 habe ich nur auf Grund der im Jahre 1907 mir bekannten Karten des Sprachatlas im allgemeinen die Lokalisierungsmöglichkeiten bezeichnet, ohne eine Ent- scheidung zu treffen. Ich will das hier durch eine genauere Betrachtung ergänzen. Nach Karte Nr. 270 Nordost des Sprachatlas, die aus dem Beispiel- satz 28 Ihr dürft nicht solche Kindereien treiben' das ihr in betonter Anfangsstellung vorführt, liegt ein Hauptgebiet für eir im Norden von Breslau bis hinein nach Südposen. Es wird umschlossen etwa von fol- gender Linie: Breslau, Hundsfeld (bei Öls), Juliusburg (bei Ols), dann hinein ins ehemalige Posen nach Mixstadt (bei Schildberg), Ostrowo, Koschmin, Pogorzela, Jutroschin, Görchen, Rawitsch, nun wieder weiter in Schlesien nach Winzig (im schlesischen Kreis Wohlau), Steinau a. d. Oder, Lüben, Polkwitz, Parchwitz, Neumarkt, Canth. Innerhalb disses großen eir-Gebiets gibt es sporadisch auch die Aussprachformen ir, er, 1 Daselbst muß es Z. Il heißen Canth (statt Lauth). 2 Es liegt nahe, auch dies einmalige Partixip vorscreibn 19,6 (vorschreben S als spexifisch schlesische sekundäre Diphthongierung xu fassen, vgl. bei Rückert S. 99 beschreyben (descriptum) aus dem Menologium prosaicum (15. Jahrh.) und die Liste schlesischer ei für mhd. i : indreyngen, speilt (ludit), veil (multum), eyn- gezegil (sigillum), seind (sunt), vmmeleigen (umliegen'). Aber ebenso möglich ist es, daß hier kein reiner Lautwandel. sondern eine Analogiebildung nach dem Präsenz, Infinitiv und Indicativ des Präteritums (mhd. ich schreip-wir schriben) vorliegt.
242 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. 3. Diese Angabe berücksichtigt aber nicht ausreichend das Vorkommen von el für das gemeinschlesische gedehnte i (aus mhd. kurzem i) in den betonten Pronominalformen ihr (mhd. ir) sowie wir, mir, das der Sprach- atlas des Deutschen Rewhes namentlich für das hier in Frage stehende ihr in viel weiterem Umfang, nämlich in dem oben S. 521 nur ungefähr skizxierten Verbreitungsgebiet belegt. Mit Sicherheit können wir aus diesem eir (= ihr) in P (s. oben S. 182, § 8, 4) nicht mehr schließen, als daß es eben der letzten Abschrift an- gehört und dem Schreiber aus seiner Mundart in die Feder floß. Für diese Annahme spricht auch der Umstand, wenn auch nicht entscheidend. daß in den 19 Briefen, die uns neben P auch die der Lausitz angehörige oder nahe Handschrift S überliefert, diese an Stelle des eir das hoch- sprachliche ir bietet (5, 4. 6 Bl. 7r, 7, 5. 8 Bl. 77; 11, 7 Bl. 9°; 13, 7 Bl. 10"; 15, 10 Bl. 10"; 16, 8 Bl. 117; 17, 11 Bl. 11°). Ebenso gibt S in folgenden Fällen, wo P ein pronominales ir in unbetonter Verwendung als er bringt, an Stelle dessen ir: 10, 11; 12, 6 (hier hat P, wohl nur als Verschreibung her). 9; 17, 8. Auch das seltsame vorscreibn 19, 6 erscheint in S hochsprachlich als vorschreben 2. Es ist aber der Versuch geboten, aus diesem charakteristischen eir genauer die Heimat des Schreibers zu bestimmen. Oben S. 52 habe ich nur auf Grund der im Jahre 1907 mir bekannten Karten des Sprachatlas im allgemeinen die Lokalisierungsmöglichkeiten bezeichnet, ohne eine Ent- scheidung zu treffen. Ich will das hier durch eine genauere Betrachtung ergänzen. Nach Karte Nr. 270 Nordost des Sprachatlas, die aus dem Beispiel- satz 28 Ihr dürft nicht solche Kindereien treiben' das ihr in betonter Anfangsstellung vorführt, liegt ein Hauptgebiet für eir im Norden von Breslau bis hinein nach Südposen. Es wird umschlossen etwa von fol- gender Linie: Breslau, Hundsfeld (bei Öls), Juliusburg (bei Ols), dann hinein ins ehemalige Posen nach Mixstadt (bei Schildberg), Ostrowo, Koschmin, Pogorzela, Jutroschin, Görchen, Rawitsch, nun wieder weiter in Schlesien nach Winzig (im schlesischen Kreis Wohlau), Steinau a. d. Oder, Lüben, Polkwitz, Parchwitz, Neumarkt, Canth. Innerhalb disses großen eir-Gebiets gibt es sporadisch auch die Aussprachformen ir, er, 1 Daselbst muß es Z. Il heißen Canth (statt Lauth). 2 Es liegt nahe, auch dies einmalige Partixip vorscreibn 19,6 (vorschreben S als spexifisch schlesische sekundäre Diphthongierung xu fassen, vgl. bei Rückert S. 99 beschreyben (descriptum) aus dem Menologium prosaicum (15. Jahrh.) und die Liste schlesischer ei für mhd. i : indreyngen, speilt (ludit), veil (multum), eyn- gezegil (sigillum), seind (sunt), vmmeleigen (umliegen'). Aber ebenso möglich ist es, daß hier kein reiner Lautwandel. sondern eine Analogiebildung nach dem Präsenz, Infinitiv und Indicativ des Präteritums (mhd. ich schreip-wir schriben) vorliegt.
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Zusammenfassende Charakteristik. 243 eier, aier und außerdem cine geschloßne Enklave mit der Aussprache eire bei Trachenberg (Kreis Militsch). Südlich von dem so umgrenzten eir-Gebiet herrscht als schlesische Normalaussprache von ihr die Lautform mit einfachem langem i (Sprach- atlas ir). Es finden sich aber vereinzelt andere Aussprachen: zwischen Zobten und Ohlau kommt nebeneinander eir und eier vor, die Umgegend westlich von Reichenbach und südöstlich von Schweidnitz zeigt auch ’rr, im Nordosten von Frankenstein kommt ër vor; zwischen Strehlen, Zobten, Ohlau findet man er; Zobten selbst hat ir; Schweidnitz hat vokalloses ’r (d. h. völlige Enklise des ir mit Verklingen des Vokals). Nordwestlich vom großen eir-Gebiet liegt ein ebenso großes er-Ge- biet, das zunächst der Nordgrenze jenes eir-Gebiets folgt, weiterhin be- grenxt wird von einer Linie, die folgende Orte Schlesiens, der Nieder- lausitz, Südposens verbindet: Primkenau, Sprottau, Sagan, Christianstadt a. Bober (Provinz Brandenburg, dicht an Schlesiens Grenxe), Rothenburg a. Oder, Grünberg, Trebschen (Provinz Brandenburg, Kreis Züllichau im südöstlichen Zipfel der Neumark), Schlawa (im schlesischen Kreis Frei- stadt an der Grenze der ehemaligen Provinz Posen), Schmiegel (Kreisstadt in der ehemaligen Provinz Posen), Kosten (ebd., an der Obra), Czempin (ebd.), Schrimm a. d. Warthe (ebd.). Am Nordrand dieses er-Gebiets findet sich zwischen Trebschen, Wollstein (Kreisstadt im ehemaligen Posen), Schlawa eine kleine Enklave mit der Aussprache eir. Sporadisch taucht in dem großen ër-Gebiet auch die Aussprache eir und etwas häufiger är auf. Karte Nr. 271 Nordost des Sprachatlas zeichnet die Schicksale des ihr nach dem Satz Wieviel Pfund Wurst wollt ihr haben?", d. h. im Satzinnern mit unbetonter (enklitischer) Stellung. Danach herrscht hier für ihr im Gesamtgebiet Schlesien und nördlich bis xur Warthe als normale Form die Länge des i (Sprachatlas: ir). Innerhalb dieses Ge- biets erscheinen die Aussprachen eir, air sporadisch, gemischt mit ër und er und zwar die eir und air hauptsächlich in dem soeben beschriebenen eir-Gebiet des Satzes 28 (Karte Nr. 270), aber nach Süden nicht weiter als bis zu einer Linie etwa 10 Kilometer südlich von Breslau. In der für uns besonders wichtigen Gegend Schweidnitz, Frankenstein, Reichen- bach, Zobten erscheint die Form er vorherrschend und zwar häufig als err. Dagegen sind die Lautformen eir, air in diesem Satze für Schweid- nitz, Frankenstein, Reichenbach, Zobten gar nicht notiert, worauf ich noch zurückkommen muß bei Besprechung des Lautwertes des e in den Pronominalformen er, en, em, eren, erem (s. § 83 Enklise und Proklise', Abschnitt 2. 3. 4). Das Kartenblatt Nr. 272 des Sprachatlas gibt in dem Satx 31 Ich verstehe euch nicht, ihr müßt ein bischen lauter sprechen’, also für ihr im Satzinnern nach einer Pause schwach betont (proklitisch), fol- gendes Bild. Ein größeres zusammenhängendes eir-Gebiet, worin sich
Zusammenfassende Charakteristik. 243 eier, aier und außerdem cine geschloßne Enklave mit der Aussprache eire bei Trachenberg (Kreis Militsch). Südlich von dem so umgrenzten eir-Gebiet herrscht als schlesische Normalaussprache von ihr die Lautform mit einfachem langem i (Sprach- atlas ir). Es finden sich aber vereinzelt andere Aussprachen: zwischen Zobten und Ohlau kommt nebeneinander eir und eier vor, die Umgegend westlich von Reichenbach und südöstlich von Schweidnitz zeigt auch ’rr, im Nordosten von Frankenstein kommt ër vor; zwischen Strehlen, Zobten, Ohlau findet man er; Zobten selbst hat ir; Schweidnitz hat vokalloses ’r (d. h. völlige Enklise des ir mit Verklingen des Vokals). Nordwestlich vom großen eir-Gebiet liegt ein ebenso großes er-Ge- biet, das zunächst der Nordgrenze jenes eir-Gebiets folgt, weiterhin be- grenxt wird von einer Linie, die folgende Orte Schlesiens, der Nieder- lausitz, Südposens verbindet: Primkenau, Sprottau, Sagan, Christianstadt a. Bober (Provinz Brandenburg, dicht an Schlesiens Grenxe), Rothenburg a. Oder, Grünberg, Trebschen (Provinz Brandenburg, Kreis Züllichau im südöstlichen Zipfel der Neumark), Schlawa (im schlesischen Kreis Frei- stadt an der Grenze der ehemaligen Provinz Posen), Schmiegel (Kreisstadt in der ehemaligen Provinz Posen), Kosten (ebd., an der Obra), Czempin (ebd.), Schrimm a. d. Warthe (ebd.). Am Nordrand dieses er-Gebiets findet sich zwischen Trebschen, Wollstein (Kreisstadt im ehemaligen Posen), Schlawa eine kleine Enklave mit der Aussprache eir. Sporadisch taucht in dem großen ër-Gebiet auch die Aussprache eir und etwas häufiger är auf. Karte Nr. 271 Nordost des Sprachatlas zeichnet die Schicksale des ihr nach dem Satz Wieviel Pfund Wurst wollt ihr haben?", d. h. im Satzinnern mit unbetonter (enklitischer) Stellung. Danach herrscht hier für ihr im Gesamtgebiet Schlesien und nördlich bis xur Warthe als normale Form die Länge des i (Sprachatlas: ir). Innerhalb dieses Ge- biets erscheinen die Aussprachen eir, air sporadisch, gemischt mit ër und er und zwar die eir und air hauptsächlich in dem soeben beschriebenen eir-Gebiet des Satzes 28 (Karte Nr. 270), aber nach Süden nicht weiter als bis zu einer Linie etwa 10 Kilometer südlich von Breslau. In der für uns besonders wichtigen Gegend Schweidnitz, Frankenstein, Reichen- bach, Zobten erscheint die Form er vorherrschend und zwar häufig als err. Dagegen sind die Lautformen eir, air in diesem Satze für Schweid- nitz, Frankenstein, Reichenbach, Zobten gar nicht notiert, worauf ich noch zurückkommen muß bei Besprechung des Lautwertes des e in den Pronominalformen er, en, em, eren, erem (s. § 83 Enklise und Proklise', Abschnitt 2. 3. 4). Das Kartenblatt Nr. 272 des Sprachatlas gibt in dem Satx 31 Ich verstehe euch nicht, ihr müßt ein bischen lauter sprechen’, also für ihr im Satzinnern nach einer Pause schwach betont (proklitisch), fol- gendes Bild. Ein größeres zusammenhängendes eir-Gebiet, worin sich
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244 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. sporadisch auch die Varianten eier, air, aier zeigen, entspricht im wesent- lichen dem eir-Gebiet von Satz 28 (Karte 270). Nach Süden reicht es nicht über Breslau hinaus. Es ist südlich und östlich umrandet von einem schmalen Streifen mit der Aussprache ër (so, mit Längezeichen auf der Karte des Sprachatlas): darin liegen Neumarkt, Canth, Julius- burg. Nordöstlich schließt sich dem größeren eir-Gebiet ein ër-Gebiet an, das dem er-Bezirk in Satz 28 (Karte 270) entspricht, aber stark durchsetzt ist von sporadischen eir, eier, är. Am Nordrand dieses ër- Gebiets zwischen Trebschen, Schlawa, Wollstein eine Enklave mit eir wie in Satz 28 (Karte 270). Diese eir- und ër-Gebiete werden auf allen Seiten umschlossen von der Normalform ir. Doch erscheint bei Schweid- nitz er (südöstliche nähere Umgebung auch err), bei Reichenbach und Frankenstein notiert die Karte bloßes r (Vokalschwund), zwischen Schweid- nitz und Reichenbach auch err und rr, am Zobten ir und er: worüber noch unten zu reden ist bei Erörterung der Enklise und Proklise' (§ 83, 2). Die Angaben v. Unwerths (§ 12 S. 13 f., § 35 S. 28, § 123 S. 83 f.) über die Verbreitung diphthongischer und monophthongischer Vertretung des mhd. i, el im Schlesischen und die Berichte Wredes Anzeiger 20, 97f.; 21, 271 ff. 289 müssen durch die Darstellung im Sprachatlas, soweit sie vorliegt, ergänxt werden. Von den für ihr in Betracht kommenden fünf Sätzen (Nr. 27. 28. 30. 31. 32) konnte ich nur die oben genannten drei Karten benutzen, da die beiden andern noch nicht erschienen sind. Nach Wredes gefälliger brieflicher Mitteilung bieten sie nichts wesentlich Neues. Piur gibt nach dem Sprachatlas folgende Ubersicht: Hin (Satz 12, Karte 248 N O) als hei im eir-Gebiet, nördlich und sidlich davon hin, Schweidnitz und Frankenstein Landgebiet hi, Stadtgebiet von Schweidnitx hin, von Franken- stein hien. — Dir als deir in einem ungefähr dem eir-Gebiet entsprechenden Bezirk, aber nur stark sporadisch, sonst meist dir; in Schweidnitz-Frankenstein in Satx 12 (Karte 111 N O) der, in Satz 39 (Karte 112 N O) d'r. — Wir (Satz 23, Karte 514 N O: Anfangsstellung) mittelschlesisch normal ber (Varianten bar, bär, beer, b’r) südwestschlesisch mer ; als beir sporadisch und verhältmäßig häufig im alten eir (= ihr) Gebiet, aber nach Osten und Norden weiter greifend, schr selten als weir; in diesem mer-Gebiet begegnen auch die Aussprachen mir (halblang), m'r neben wir (halblang), wer (halblang) anscheinend gleich stark verbreitet, mir und wir besonders nach Westen hin (Linie Reichenbach, Schweidnitz, Görlitz]; Schweidnitz-Frankenstein liegen im mer-Gebiet, haben aber selbst mir, in der nähern Umgebung vereinxelt auch m'r und w’r. Mir (Satz 8 Karte 328 N O: Die Füße tun mir sehr weh'): Normaltyp in Südposen und ganx Schlesien mer (ohne Quantitätsangabe). Die Form meir findet sich im eir�Gebiet (Karte 270), auch in der Enklave bei Trebschen schr häufig neben merr (so), das nicht ganx so häufig begegnet, so daß in dem eir- Gebiet (Karte 270) die Aussprache meir die eigentlich charakteristische ist; ver- einzelt findet sich in diesem eir-Gebiet daneben mir(so) und (roter Halbkreis: in der Erklärungstabelle wiedergegeben als —'—); schließlich in diesem eir-Gebiet vereinaelt auch die Aussprache mër.
244 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. sporadisch auch die Varianten eier, air, aier zeigen, entspricht im wesent- lichen dem eir-Gebiet von Satz 28 (Karte 270). Nach Süden reicht es nicht über Breslau hinaus. Es ist südlich und östlich umrandet von einem schmalen Streifen mit der Aussprache ër (so, mit Längezeichen auf der Karte des Sprachatlas): darin liegen Neumarkt, Canth, Julius- burg. Nordöstlich schließt sich dem größeren eir-Gebiet ein ër-Gebiet an, das dem er-Bezirk in Satz 28 (Karte 270) entspricht, aber stark durchsetzt ist von sporadischen eir, eier, är. Am Nordrand dieses ër- Gebiets zwischen Trebschen, Schlawa, Wollstein eine Enklave mit eir wie in Satz 28 (Karte 270). Diese eir- und ër-Gebiete werden auf allen Seiten umschlossen von der Normalform ir. Doch erscheint bei Schweid- nitz er (südöstliche nähere Umgebung auch err), bei Reichenbach und Frankenstein notiert die Karte bloßes r (Vokalschwund), zwischen Schweid- nitz und Reichenbach auch err und rr, am Zobten ir und er: worüber noch unten zu reden ist bei Erörterung der Enklise und Proklise' (§ 83, 2). Die Angaben v. Unwerths (§ 12 S. 13 f., § 35 S. 28, § 123 S. 83 f.) über die Verbreitung diphthongischer und monophthongischer Vertretung des mhd. i, el im Schlesischen und die Berichte Wredes Anzeiger 20, 97f.; 21, 271 ff. 289 müssen durch die Darstellung im Sprachatlas, soweit sie vorliegt, ergänxt werden. Von den für ihr in Betracht kommenden fünf Sätzen (Nr. 27. 28. 30. 31. 32) konnte ich nur die oben genannten drei Karten benutzen, da die beiden andern noch nicht erschienen sind. Nach Wredes gefälliger brieflicher Mitteilung bieten sie nichts wesentlich Neues. Piur gibt nach dem Sprachatlas folgende Ubersicht: Hin (Satz 12, Karte 248 N O) als hei im eir-Gebiet, nördlich und sidlich davon hin, Schweidnitz und Frankenstein Landgebiet hi, Stadtgebiet von Schweidnitx hin, von Franken- stein hien. — Dir als deir in einem ungefähr dem eir-Gebiet entsprechenden Bezirk, aber nur stark sporadisch, sonst meist dir; in Schweidnitz-Frankenstein in Satx 12 (Karte 111 N O) der, in Satz 39 (Karte 112 N O) d'r. — Wir (Satz 23, Karte 514 N O: Anfangsstellung) mittelschlesisch normal ber (Varianten bar, bär, beer, b’r) südwestschlesisch mer ; als beir sporadisch und verhältmäßig häufig im alten eir (= ihr) Gebiet, aber nach Osten und Norden weiter greifend, schr selten als weir; in diesem mer-Gebiet begegnen auch die Aussprachen mir (halblang), m'r neben wir (halblang), wer (halblang) anscheinend gleich stark verbreitet, mir und wir besonders nach Westen hin (Linie Reichenbach, Schweidnitz, Görlitz]; Schweidnitz-Frankenstein liegen im mer-Gebiet, haben aber selbst mir, in der nähern Umgebung vereinxelt auch m'r und w’r. Mir (Satz 8 Karte 328 N O: Die Füße tun mir sehr weh'): Normaltyp in Südposen und ganx Schlesien mer (ohne Quantitätsangabe). Die Form meir findet sich im eir�Gebiet (Karte 270), auch in der Enklave bei Trebschen schr häufig neben merr (so), das nicht ganx so häufig begegnet, so daß in dem eir- Gebiet (Karte 270) die Aussprache meir die eigentlich charakteristische ist; ver- einzelt findet sich in diesem eir-Gebiet daneben mir(so) und (roter Halbkreis: in der Erklärungstabelle wiedergegeben als —'—); schließlich in diesem eir-Gebiet vereinaelt auch die Aussprache mër.
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Zusammenfassende Charakteristik. 245 Nordöstlich von dem meir-Gebiet, d. h. etwa in dem Gebiete, wo statt ihr' er vorherrschend ist, finden sich auch die Aussprachen: merr, mir (so), mirr- Diese merr, mir, mirr auch im ganxen übrigen Schlesien die vorherrschenden Formen. Schweidnitz hat merr, Schweidnitzer Umgegend daneben auch mir, ein- mal mier, und südlich von Schweidnitz auch mit Vokalschwund m’r, also mor, d. h. enklitisch reduxierter Vokal wie in den Endungen von Bruder, besser; die Reichenbacher Gegend hat merr, mirr, mir und gelegentlich auch m’r, d. h. mor ; Frankenstein hat merr, die Umgegend häufiger mir, seltener mirr, öfter m'r. d. h. mor; Zobten und Umgegend hat merr, mirr, mir. — Bin im eir-Gebiet als bei. im Landgebiet Schweidnitx-Frankenstein bien, aber im Stadtgebiet bin (Satz 9. 40, Karte 44 NO. 45 N O). — Groß (Satz 16, Karte 219 NO) lautet im eir- Gebiet, aber noch etwas nach Süden über Breslau hinausgreifend (Haynau, Liegnitz, Parchwitz, Canth) grauss, Schweidnitz-Frankenstein liegen im grüss- Gebiet, die beiden Städte selbst aber haben groß (vgl. dazu Wrede, Anz. 19, S. 348, Z. 2—6 v. u.). — Hoch (Satx 29, Karte 251 N O): das Gebiet der Lautform hauch entspricht ungefähr dem eir-Gebiet, ist aber größer, dabei stark durchsetxt von hoch und hüch. Grenxlinie für hauch (die Orte mit au kursiv): Breslau, Neumarkt, Parchwitz, Sprottau, Naumburg a. Bober, Czempin, Kosch- mir, Mixstadt. In diesem Gebiete die Aussprache hauch fast nur auf dem Lande, in den Städten höch, vereinzelt huch. Diese hauch-Enklave umgeben im Norden und Süden von hüch, im Westen von höch. Zwischen der hauch- Enklave und dem hüch-Gebiet im Siden ein ganx schmaler Streifen mit höch, bezeichnet durch die Orte: Oels—Breslau—Neumarkt—Parchwitz—Liegnitz— Haynau—Sprottau. Die Gegend Schweidnitx-Frankenstein liegt im hüch-Gebiet, Schweidnitz-Stadt hat aber hoch. — Bruder: nach Satz 33 (Karte 58 N O) im eir-Gebiet sporadisch brauder, aber erst nördlich von Breslau innerhalb der Grenzlinie Wohlau, Trebnitz, Rawitsch, Görchen, Bojanowo, Polkwüz, Lüben; also dies Brauder-Gebiet kleiner als das eir-Gebiet. Sonst Bruder. 4. Aus diesem Uberblick ergibt sich für die Lokalisierung der eir in P ein ziemlich weiter Spielraum. Nun weist aber, wie oben S. 38ff. 44. 51 dargelegt wurde, das Briefmaterial der zweiten Mustersammlung des Codex P überwiegend nach dem Gebiet von Schweidnitz-Frankenstein und auch in dem ersten (rein lateinischen) Formularbuch der Handschrift tritt uns bestimmte ortsgeschichtliche Bexichung auf Rogau am Zobten im Kreise Schweidnitz entgegen (s. oben S. 21 und Anm. 1, Texte Nr. 62. 63 Seite 93. 94). Daher wird man unbedenklich von den drei zur Wahl gestellten schlesischen eir-Gebieten das südlichste, nämlich das zwischen Zobten und Ohlau bevorzugen und als die Heimat der Schreiber1 der vereinigten beiden Briefsteller in P betrachten. Daß jetzt dort nach der Darstellung des Sprachatlas die diphthongierte Aussprache des gedehnten ir über eir hinaus zu der Zerdehnung eier (mit cinem silbischen Nach- 1 Beide Formelbücher sind nicht von derselben Hand geschrieben. Die Schrift des ersten (Bl. 58—63) läuft nach rechts, die des zweiten (Bl. 106—145) ist steil, fast senkrecht. Auch im Einzelnen bemerkt man Unterschiede der Buchstaben- form: so bei h, v, r, k, bei der Majuskel F S u. a., wenn auch der Schriftcha- rakter im Ganzen verwandt ist.
Zusammenfassende Charakteristik. 245 Nordöstlich von dem meir-Gebiet, d. h. etwa in dem Gebiete, wo statt ihr' er vorherrschend ist, finden sich auch die Aussprachen: merr, mir (so), mirr- Diese merr, mir, mirr auch im ganxen übrigen Schlesien die vorherrschenden Formen. Schweidnitz hat merr, Schweidnitzer Umgegend daneben auch mir, ein- mal mier, und südlich von Schweidnitz auch mit Vokalschwund m’r, also mor, d. h. enklitisch reduxierter Vokal wie in den Endungen von Bruder, besser; die Reichenbacher Gegend hat merr, mirr, mir und gelegentlich auch m’r, d. h. mor ; Frankenstein hat merr, die Umgegend häufiger mir, seltener mirr, öfter m'r. d. h. mor; Zobten und Umgegend hat merr, mirr, mir. — Bin im eir-Gebiet als bei. im Landgebiet Schweidnitx-Frankenstein bien, aber im Stadtgebiet bin (Satz 9. 40, Karte 44 NO. 45 N O). — Groß (Satz 16, Karte 219 NO) lautet im eir- Gebiet, aber noch etwas nach Süden über Breslau hinausgreifend (Haynau, Liegnitz, Parchwitz, Canth) grauss, Schweidnitz-Frankenstein liegen im grüss- Gebiet, die beiden Städte selbst aber haben groß (vgl. dazu Wrede, Anz. 19, S. 348, Z. 2—6 v. u.). — Hoch (Satx 29, Karte 251 N O): das Gebiet der Lautform hauch entspricht ungefähr dem eir-Gebiet, ist aber größer, dabei stark durchsetxt von hoch und hüch. Grenxlinie für hauch (die Orte mit au kursiv): Breslau, Neumarkt, Parchwitz, Sprottau, Naumburg a. Bober, Czempin, Kosch- mir, Mixstadt. In diesem Gebiete die Aussprache hauch fast nur auf dem Lande, in den Städten höch, vereinzelt huch. Diese hauch-Enklave umgeben im Norden und Süden von hüch, im Westen von höch. Zwischen der hauch- Enklave und dem hüch-Gebiet im Siden ein ganx schmaler Streifen mit höch, bezeichnet durch die Orte: Oels—Breslau—Neumarkt—Parchwitz—Liegnitz— Haynau—Sprottau. Die Gegend Schweidnitx-Frankenstein liegt im hüch-Gebiet, Schweidnitz-Stadt hat aber hoch. — Bruder: nach Satz 33 (Karte 58 N O) im eir-Gebiet sporadisch brauder, aber erst nördlich von Breslau innerhalb der Grenzlinie Wohlau, Trebnitz, Rawitsch, Görchen, Bojanowo, Polkwüz, Lüben; also dies Brauder-Gebiet kleiner als das eir-Gebiet. Sonst Bruder. 4. Aus diesem Uberblick ergibt sich für die Lokalisierung der eir in P ein ziemlich weiter Spielraum. Nun weist aber, wie oben S. 38ff. 44. 51 dargelegt wurde, das Briefmaterial der zweiten Mustersammlung des Codex P überwiegend nach dem Gebiet von Schweidnitz-Frankenstein und auch in dem ersten (rein lateinischen) Formularbuch der Handschrift tritt uns bestimmte ortsgeschichtliche Bexichung auf Rogau am Zobten im Kreise Schweidnitz entgegen (s. oben S. 21 und Anm. 1, Texte Nr. 62. 63 Seite 93. 94). Daher wird man unbedenklich von den drei zur Wahl gestellten schlesischen eir-Gebieten das südlichste, nämlich das zwischen Zobten und Ohlau bevorzugen und als die Heimat der Schreiber1 der vereinigten beiden Briefsteller in P betrachten. Daß jetzt dort nach der Darstellung des Sprachatlas die diphthongierte Aussprache des gedehnten ir über eir hinaus zu der Zerdehnung eier (mit cinem silbischen Nach- 1 Beide Formelbücher sind nicht von derselben Hand geschrieben. Die Schrift des ersten (Bl. 58—63) läuft nach rechts, die des zweiten (Bl. 106—145) ist steil, fast senkrecht. Auch im Einzelnen bemerkt man Unterschiede der Buchstaben- form: so bei h, v, r, k, bei der Majuskel F S u. a., wenn auch der Schriftcha- rakter im Ganzen verwandt ist.
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246 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. klang nach dem neuen Diphthong) sich gesteigert hat, braucht uns nicht xu beirren. Grundsätzlich muß man, wie Wrede mit Recht betont hat, daran festhalten, daß die Laute der heutigen Mundart nicht ohne weiteres um vier Jahrhunderte vordatiert werden dürfen. Zu Anfang des 15. Jahr- hunderts kann sehr wohl am Zobten eir gesprochen sein, wo in der Gegen- wart eier herrscht. 5. Es ist klar: der Schreiber von P verhält sich gegen die verschie- denen, aber innerlich zusammenhängenden Neuerungen im Vokalismus, der sekundären Diphthongierung des mhd. o, ô, no und der mit ihr Hand in Hand gehenden Monophthongierung des mhd. ei, ou, nicht gleich- mäßig. Die au in taup (mhd. nhd. topf), graus (mhd. grôz nhd. groß), hauch (mhd. hôch), brauder (mhd. bruoder, md. brûder) und die ei, ai in hai (mhd. hin), veil (mhd. vil), bei (mhd. bin), bair (mhd. wir), deir (mhd. dir) schließt er völlig aus. Einzig jenes eir (= mhd. ir) läßt er zu. Ebenso bleibt er anderseits gegenüber den aus mhd. ei monophthon- gierten langen e spröde (s. oben § 2, 4, S. 173). Haupttonig e nur zwei- mal in menunge, daneben jedoch einmal auch meynunge; einmal in vm geret gelt, neben schriftsprachlichem vor gereyte bemische groschen. Ferner mehrmals in dem Kompositum briffczeger, einmal aber auch im Simplex: czeger desis brifis 15, 5, was oben leider übersehen ist. Man wird also auch für jenes Kompositum nicht den e-Laut aus einer schwachen Betonung herleiten dürfen. Außer diesen 3 Fällen begegnet nur noch in schwachtoniger Silbe dies sekundäre e für ei: enander, worüber unten § 82, 2 noch geredet wird. Im allgemeinen herrscht also haupttoniges ey oder ei für mhd. ei unangefochten (s. § 8, 1, S. 181f.). Viel entgegenkommender zeigt sich der Schreiber von P der Mono- phthongierung des mhd. ou. Dieses wandelt er in nicht ganz wenigen Worten zu langem o (s. § 4, 5, S. 178): dreimal irloben, einmal globe, einmal (18, 8) geglobit (aus der Parallelüberlieferung des Briefs in S erschlossen), zweimal lofin, einmal rober; ferner viermal im schwach- tonigen och, das allerdings dem schon mhd. och entspricht, und mehr- mals nebentonig in breslo. Daneben stehen nur je einmal die schrift- sprachlichen Formen ouch und (25, 5) breczlaw (s. § 4, 5, S. 178: § 7, 2, S. 181; § 11, S. 183). Alles dies zusammengenommen führt auf eine Lokalisierung Schweid- nitz-Frankenstein-Zobten, allesfalls auch noch Breslau, und lehrt, daß der Schreiber oder auch schon seine Vorlage gestrebt hat, sich nicht all- zuweit von den literarisch-kanzleimäßig überlieferten Wortbildern zu ent- fernen. Doch bleibt immerhin zu beachten, daß auch noch heute in dem angegebenen Gebiet nur ihr ziemlich durchgehends zu eir diphthongiert wird, meir (für mir) allerdings auch sehr häufig neben etwas weniger häufigem mir und enklitisch ganz entkörpertem Murmellaut erscheint, da- gegen die Form deir (statt dir) in dem eir-Gebiet nur stark sporadisch neben der, d'r auftritt, weir (statt wir) aber ganz selten ist und sich
246 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. klang nach dem neuen Diphthong) sich gesteigert hat, braucht uns nicht xu beirren. Grundsätzlich muß man, wie Wrede mit Recht betont hat, daran festhalten, daß die Laute der heutigen Mundart nicht ohne weiteres um vier Jahrhunderte vordatiert werden dürfen. Zu Anfang des 15. Jahr- hunderts kann sehr wohl am Zobten eir gesprochen sein, wo in der Gegen- wart eier herrscht. 5. Es ist klar: der Schreiber von P verhält sich gegen die verschie- denen, aber innerlich zusammenhängenden Neuerungen im Vokalismus, der sekundären Diphthongierung des mhd. o, ô, no und der mit ihr Hand in Hand gehenden Monophthongierung des mhd. ei, ou, nicht gleich- mäßig. Die au in taup (mhd. nhd. topf), graus (mhd. grôz nhd. groß), hauch (mhd. hôch), brauder (mhd. bruoder, md. brûder) und die ei, ai in hai (mhd. hin), veil (mhd. vil), bei (mhd. bin), bair (mhd. wir), deir (mhd. dir) schließt er völlig aus. Einzig jenes eir (= mhd. ir) läßt er zu. Ebenso bleibt er anderseits gegenüber den aus mhd. ei monophthon- gierten langen e spröde (s. oben § 2, 4, S. 173). Haupttonig e nur zwei- mal in menunge, daneben jedoch einmal auch meynunge; einmal in vm geret gelt, neben schriftsprachlichem vor gereyte bemische groschen. Ferner mehrmals in dem Kompositum briffczeger, einmal aber auch im Simplex: czeger desis brifis 15, 5, was oben leider übersehen ist. Man wird also auch für jenes Kompositum nicht den e-Laut aus einer schwachen Betonung herleiten dürfen. Außer diesen 3 Fällen begegnet nur noch in schwachtoniger Silbe dies sekundäre e für ei: enander, worüber unten § 82, 2 noch geredet wird. Im allgemeinen herrscht also haupttoniges ey oder ei für mhd. ei unangefochten (s. § 8, 1, S. 181f.). Viel entgegenkommender zeigt sich der Schreiber von P der Mono- phthongierung des mhd. ou. Dieses wandelt er in nicht ganz wenigen Worten zu langem o (s. § 4, 5, S. 178): dreimal irloben, einmal globe, einmal (18, 8) geglobit (aus der Parallelüberlieferung des Briefs in S erschlossen), zweimal lofin, einmal rober; ferner viermal im schwach- tonigen och, das allerdings dem schon mhd. och entspricht, und mehr- mals nebentonig in breslo. Daneben stehen nur je einmal die schrift- sprachlichen Formen ouch und (25, 5) breczlaw (s. § 4, 5, S. 178: § 7, 2, S. 181; § 11, S. 183). Alles dies zusammengenommen führt auf eine Lokalisierung Schweid- nitz-Frankenstein-Zobten, allesfalls auch noch Breslau, und lehrt, daß der Schreiber oder auch schon seine Vorlage gestrebt hat, sich nicht all- zuweit von den literarisch-kanzleimäßig überlieferten Wortbildern zu ent- fernen. Doch bleibt immerhin zu beachten, daß auch noch heute in dem angegebenen Gebiet nur ihr ziemlich durchgehends zu eir diphthongiert wird, meir (für mir) allerdings auch sehr häufig neben etwas weniger häufigem mir und enklitisch ganz entkörpertem Murmellaut erscheint, da- gegen die Form deir (statt dir) in dem eir-Gebiet nur stark sporadisch neben der, d'r auftritt, weir (statt wir) aber ganz selten ist und sich
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Zusammenfassende Charakteristik. 247 auf Wohlau-Neumarkt-Umgegend von Breslau beschränkt (etwas häufiger ist beir). Und auch die Vertretung des nhd. ü (mhd. no) durch an (brauder st. bruder) erscheint heute häufiger erst im nördlichen Teil des eir-Gebietes (nördlich von Breslau beginnend). Allerdings neigt Wrede, wie ich einer brieflichen Mitteilung von ihm entnehme, jetzt zu der Auffassung, daß scharfe Lautgrenzen im Sprach- atlas in der Regel erst auf eine spätere Entstehungszeit zurückgehen. Er möchte geradezu den Lehrsatz aufstellen: je schärfer, ausnahmefreier eine solche Grenze ist, um so jünger ist sie. Und er möchte das auch für die irfer-Grenze nördlich von Schweidnitz behaupten. Er fragt weiter: Was aber war vorher, als die deutliche Grenze noch nicht bestand? Und antwortet: Nicht etwa eine andere Linie, die sich nachher verengt oder erweitert hätte, sondern überhaupt keine Linie, vielmehr Unsicherheit. Buntheit, Mehrsprachigkeit. Und aus dieser einstigen Verschiedenheit. dem Nebeneinander von ir + ër + eir, vielleicht auch nur von ir + eir — denn er könnte Kontamination zwischen jenen beiden sein! — hat sich nach Wredes Meinung allmählich der heutige Einheitszustand ab- geklärt. Daraus folgert er nun die Möglichkeit, daß auch südlich vom heutigen er- und eir-Gebiet diese Lautformen einmal vorhanden gewesen. nur jetzt nach der jungen Abklärung und Ausgleichung verschwunden sind. Im Einklang mit dieser Ansicht beurteilt Wrede gegenwärtig auch das sehr heikle und in seinen Verzweigungen noch nicht überall klare Problem der sekundären Diphthongierung in Schlesien und meint im Hinblick auf die darüber von ihm vor Jahren gegebenen Andeutungen (Anz. 21, 160f., vgl. Anz. 25, 394), er würde wahrscheinlich gar nicht mehr so schematisch zu scheiden wagen. Es liegt mir fern, zu diesen schwierigen Fragen hier im allgemeinen Stellung zu nchmen. Die Annahme eines Nebeneinanders von Doppel- formen, einer Mehrsprachigkeit’ ist mir auf Grund meiner eigenen Be- obachtungen über die Sprachgestaltung in den spätmittelalterlichen Hand- schriften und Urkunden sehr glaubhaft, ich selbst werde unten (§ 81—83) sie als Mittel der Erklärung benutzen, und sie wird durch die Nach- weise von Hans Naumann über die häufigen durch den Reim ge- sicherten Doppelformen in der Sprache des schlesischen Dichters der Kreuzfahrt Ludwigs des Frommen von Thüringen'1 bekräftigt. Allein mir scheint, für den hier vorliegenden Fall des schlesischen eir (vos) spricht gegen Wredes Hypothese meine oben vorgetragene Erwägung, daß des Schreibers von P oder seiner Vorlage ungleichmäßiges Verhalten in bezug auf die sekundären Diphthongierungen und die Monophthongierungen der schlesischen Mundart, scine alleinige Zulassung des ei statt mhd. i in den zahlreichen eir (vos), nicht aber in mir, dir, wir, sein Vermeiden 1 Monumenta Germaniae Hist. Script. vernac. ling. IV, pars 2, Einleit., S. 148f. Vgl. unten § 81, 2 S. 262.
Zusammenfassende Charakteristik. 247 auf Wohlau-Neumarkt-Umgegend von Breslau beschränkt (etwas häufiger ist beir). Und auch die Vertretung des nhd. ü (mhd. no) durch an (brauder st. bruder) erscheint heute häufiger erst im nördlichen Teil des eir-Gebietes (nördlich von Breslau beginnend). Allerdings neigt Wrede, wie ich einer brieflichen Mitteilung von ihm entnehme, jetzt zu der Auffassung, daß scharfe Lautgrenzen im Sprach- atlas in der Regel erst auf eine spätere Entstehungszeit zurückgehen. Er möchte geradezu den Lehrsatz aufstellen: je schärfer, ausnahmefreier eine solche Grenze ist, um so jünger ist sie. Und er möchte das auch für die irfer-Grenze nördlich von Schweidnitz behaupten. Er fragt weiter: Was aber war vorher, als die deutliche Grenze noch nicht bestand? Und antwortet: Nicht etwa eine andere Linie, die sich nachher verengt oder erweitert hätte, sondern überhaupt keine Linie, vielmehr Unsicherheit. Buntheit, Mehrsprachigkeit. Und aus dieser einstigen Verschiedenheit. dem Nebeneinander von ir + ër + eir, vielleicht auch nur von ir + eir — denn er könnte Kontamination zwischen jenen beiden sein! — hat sich nach Wredes Meinung allmählich der heutige Einheitszustand ab- geklärt. Daraus folgert er nun die Möglichkeit, daß auch südlich vom heutigen er- und eir-Gebiet diese Lautformen einmal vorhanden gewesen. nur jetzt nach der jungen Abklärung und Ausgleichung verschwunden sind. Im Einklang mit dieser Ansicht beurteilt Wrede gegenwärtig auch das sehr heikle und in seinen Verzweigungen noch nicht überall klare Problem der sekundären Diphthongierung in Schlesien und meint im Hinblick auf die darüber von ihm vor Jahren gegebenen Andeutungen (Anz. 21, 160f., vgl. Anz. 25, 394), er würde wahrscheinlich gar nicht mehr so schematisch zu scheiden wagen. Es liegt mir fern, zu diesen schwierigen Fragen hier im allgemeinen Stellung zu nchmen. Die Annahme eines Nebeneinanders von Doppel- formen, einer Mehrsprachigkeit’ ist mir auf Grund meiner eigenen Be- obachtungen über die Sprachgestaltung in den spätmittelalterlichen Hand- schriften und Urkunden sehr glaubhaft, ich selbst werde unten (§ 81—83) sie als Mittel der Erklärung benutzen, und sie wird durch die Nach- weise von Hans Naumann über die häufigen durch den Reim ge- sicherten Doppelformen in der Sprache des schlesischen Dichters der Kreuzfahrt Ludwigs des Frommen von Thüringen'1 bekräftigt. Allein mir scheint, für den hier vorliegenden Fall des schlesischen eir (vos) spricht gegen Wredes Hypothese meine oben vorgetragene Erwägung, daß des Schreibers von P oder seiner Vorlage ungleichmäßiges Verhalten in bezug auf die sekundären Diphthongierungen und die Monophthongierungen der schlesischen Mundart, scine alleinige Zulassung des ei statt mhd. i in den zahlreichen eir (vos), nicht aber in mir, dir, wir, sein Vermeiden 1 Monumenta Germaniae Hist. Script. vernac. ling. IV, pars 2, Einleit., S. 148f. Vgl. unten § 81, 2 S. 262.
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248 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. des au (hauf, taup, hauch, brauder) an Stelle des gemeinsprachlichen nhd. o, o, u (mhd. hof, topf, hôch, bruoder), seine seltene und schwan- kende Verwendung des Monophthongs e an Stelle des gemeinsprachlichen ei (ey), hingegen sein häufiger Gebrauch des langen Monophthongs o an Stelle des gemeinsprachlichen ou, au, aw (lofin statt loufin usw.) einiger- maßen zusammenstimmen mit den vom Sprachatlas aus der heutigen Mundart für diejenige Gegend Schlesiens (Schweidnitz-Frankenstein- Zobten) belegten Lautformen, der wir aus sachlichen Gründen die Ent- stehung der beiden Briefsteller von P und ihrer Kopie zuweisen mußten. § 79. Verhältnis zur gemeinsprachlichen nhd. Diphthongierung. 1. In der Diphthongierung des mhd. i gehn unsere drei Sammlungen verschiedene Wege: die Schweidnitzer Texte führen sie (in den unten ab- gedruckten Proben) ausnahmslos durch; die Schneeberger Handschrift, deren Sprachform Lausitzisch gefärbt ist, bewahrt in ihrem zweiten Formelbuch altes i fast immer (oft in der Schreibung y), man darf also sagen, der Redaktor dieser Sammlung folgte hierin seiner mundart- lichen Aussprache. Es begegnen aber vier Ausnahmen in drei Worten: 1) 32, 4 in der Formel vor uch erbarn vnd wol weysn luthen; 2) 3) 43, 12. 17 zweimal in dem seltenen Wort thummereye, der Ubersetzung von prelatura. In beiden Fällen muß man beachten, daß die diphthongier- ten Worte etwas Affektbetontes haben: jenes das aus unzähligen Briefen der diphthongierten Kanzleisprache geläufige, ständige Prädikat der Träger ciner amtlichen Stellung, dieses überhaupt ein feierliches Wort mit un- deutscher Betonung und entlehnter Ableitungssilbe (mhd. ie, ahd. îa), deren frühe Diphthongierung von der gemeinbayerischen und neuhochdeutschen Vokalverbreiterung zu trennen ist1. 4) Einmal erscheint neben sonst restlos durchgeführten myn völlig vereinzelt meyne pharre 40, 12, viel- leicht auch, weil das amtlicher, feierlicher klang und als vornehmer emp- funden ward. Mit vollstem Nachdruck das zu schließende Rechtsgeschäft (den Pfründentausch) betonend, bittet der Briefschreiber, mit dem selben vmb syne altar vnd vmb meyne pharre, ein eintrechtikeyt (einen Ver- trag) zcu machen. Daher hier und Z. 9 auch die vornehme lateinische Lautform altar, während das Geläufige die deutschbetonte Form alter ist (s. § 1, 1, S. 169). Aber im selben Brief heißt es gleich nachher in der schlichten heimischen Lautung myner pharren 40, 13, weil hier der Ton nicht mehr auf meiner Pfarre', sondern auf Früchten’ ruht: wenn in dy fruchte myner pharren vormals dicke vnd ofte gehort hat rechen 2. 1 Vgl. dazu Michels, Mittelhochd. Elementarbuch § 91, la Anm. I, S. 95 two aber die Zitate zu berichtigen sind: es muß heißen Wrede, ZfDA. 39 tnicht 33) und Lessiak AfDA. 36, 231 (nicht 229). 2 Vgl. dazu meine Darlegungen über die Einwirkung des Akxents (der Satz- phonetik) auf die Lautgestaltung unten § 80—83.
248 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. des au (hauf, taup, hauch, brauder) an Stelle des gemeinsprachlichen nhd. o, o, u (mhd. hof, topf, hôch, bruoder), seine seltene und schwan- kende Verwendung des Monophthongs e an Stelle des gemeinsprachlichen ei (ey), hingegen sein häufiger Gebrauch des langen Monophthongs o an Stelle des gemeinsprachlichen ou, au, aw (lofin statt loufin usw.) einiger- maßen zusammenstimmen mit den vom Sprachatlas aus der heutigen Mundart für diejenige Gegend Schlesiens (Schweidnitz-Frankenstein- Zobten) belegten Lautformen, der wir aus sachlichen Gründen die Ent- stehung der beiden Briefsteller von P und ihrer Kopie zuweisen mußten. § 79. Verhältnis zur gemeinsprachlichen nhd. Diphthongierung. 1. In der Diphthongierung des mhd. i gehn unsere drei Sammlungen verschiedene Wege: die Schweidnitzer Texte führen sie (in den unten ab- gedruckten Proben) ausnahmslos durch; die Schneeberger Handschrift, deren Sprachform Lausitzisch gefärbt ist, bewahrt in ihrem zweiten Formelbuch altes i fast immer (oft in der Schreibung y), man darf also sagen, der Redaktor dieser Sammlung folgte hierin seiner mundart- lichen Aussprache. Es begegnen aber vier Ausnahmen in drei Worten: 1) 32, 4 in der Formel vor uch erbarn vnd wol weysn luthen; 2) 3) 43, 12. 17 zweimal in dem seltenen Wort thummereye, der Ubersetzung von prelatura. In beiden Fällen muß man beachten, daß die diphthongier- ten Worte etwas Affektbetontes haben: jenes das aus unzähligen Briefen der diphthongierten Kanzleisprache geläufige, ständige Prädikat der Träger ciner amtlichen Stellung, dieses überhaupt ein feierliches Wort mit un- deutscher Betonung und entlehnter Ableitungssilbe (mhd. ie, ahd. îa), deren frühe Diphthongierung von der gemeinbayerischen und neuhochdeutschen Vokalverbreiterung zu trennen ist1. 4) Einmal erscheint neben sonst restlos durchgeführten myn völlig vereinzelt meyne pharre 40, 12, viel- leicht auch, weil das amtlicher, feierlicher klang und als vornehmer emp- funden ward. Mit vollstem Nachdruck das zu schließende Rechtsgeschäft (den Pfründentausch) betonend, bittet der Briefschreiber, mit dem selben vmb syne altar vnd vmb meyne pharre, ein eintrechtikeyt (einen Ver- trag) zcu machen. Daher hier und Z. 9 auch die vornehme lateinische Lautform altar, während das Geläufige die deutschbetonte Form alter ist (s. § 1, 1, S. 169). Aber im selben Brief heißt es gleich nachher in der schlichten heimischen Lautung myner pharren 40, 13, weil hier der Ton nicht mehr auf meiner Pfarre', sondern auf Früchten’ ruht: wenn in dy fruchte myner pharren vormals dicke vnd ofte gehort hat rechen 2. 1 Vgl. dazu Michels, Mittelhochd. Elementarbuch § 91, la Anm. I, S. 95 two aber die Zitate zu berichtigen sind: es muß heißen Wrede, ZfDA. 39 tnicht 33) und Lessiak AfDA. 36, 231 (nicht 229). 2 Vgl. dazu meine Darlegungen über die Einwirkung des Akxents (der Satz- phonetik) auf die Lautgestaltung unten § 80—83.
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Zusammenfassende Charakteristik. 249 Im übrigen aber herrschen im zweiten Schneeberger Formel- buch ausnahmslos die alten Vokale. Ich will diese Tatsache (rgl. oben § 3, 1, b, S. 174, § 5, 1, b und 3, S. 179) durch Vorlegung des gesamten Materials verdeutlichen. a) Altes i: mit flyse oder mit ganczem flyse (flise), flissiclichen (flissiglichen), flislicher 35, 9; 36, 5. 13. 18; 42, 11; 44, 10; tzyt, czyten und geczyten 41, 9; 44, 13; 36, 2. 5; 37, 5; riches 36, 2; 37, 6; gewyet (geweihet") 33, 5; wyen 33, 8: wyset 38, 13; anwysunge 33, 15 ; anwisunge 43, 14; gliche 43, 18; triben 36, 16; snydermeister 32, 1. 5. 11; lidet 31, 4; mine 41, 5; myn 41, 6; Min 42, 5; mynes 39, 13; synen 31, 6; 43, 13; syne 4.3, 12; syne 43, 13; syner 43, 13; synes 43, 11; getzwiget (mhd. gezwiget; latein. Text acquiescendo) 38, 15; vorlyet 34, 16. b) Altes €: lute (Leute') 38, 9: cristen luten 36, 16; lut' ( lauter') 38, 6; 39, 16: 41, 5; 42, 5; luterlich 33, 10; gelutbard 37, 16; uß 37, 16; 42, 8: tusent 31, 10. c) Mhd. in in md. Lautung u: frunt, fruntschaft, frunt- lichen oft: getruwer 38, 6; 43, 17; uch (vobis) 33, 17; 35, 13; 40, 14: 42, 9. 10. 11; uw’, uw’n 33, 14; 35, 11. 18. 20; 36, 8; 37, 12. 16. 19; 38, 10; 39, 11. 16; 40, 5. 8; 41, 9. 12; 42, 8. 14; 43, 14. 19 (zweimal); 44, 9. 11. 13; nülich 33, 8; nuwelich 41, 10: geczuge 42, 12: suchen (Seuchen’) 43, 10; durchluchtig, durchluchtigesten, durchluchtegest', allerdurchluchtigesten 35, 1. 6. 8. 10; 36, 1. 7; 37, 1. 10. 19; dûczer (mhd. tiuscher) art 32, 7; getruwer 38, 6; 43, 17. Ich stelle mir das Eindringen und den Sieg der Diphthongierung überhaupt so vor, daß die verbreiterten Laute nicht auf einmal von den haupttonigen Silben aller Wörter Besitz ergriffen. Eine solche Kon- sequenzmacherei, die uns seit Jacob Grimms großen Entdeckungen und ihren sprachgeschichtlichen Ausmünzungen fast wie eine Selbstverständ- lichkeit erscheint, lag dem Sprachbewußtsein jener Zeit beim Schreiben ganz fern, da ihm gerade umgekehrt der Wechsel in den Formen und Lauten gefiel und das Nebeneinander von Doppelformen im selben Schriftstück als eine besondere Zierde galt, sofern das Verständnis nicht dadurch unmöglich wurde. Ein sicheres Beispiel dafür, daß die Freude am Wechsel im aus- gehenden Mittelalter vielfach für das Sprachgefühl bestimmend war und das Auftreten verschiedener Lautfarben in einer und derselben Sprach- form hervorrief oder beforderte, ist der Wechsel der Schreibungen i und y sowie die schwankende Bezeichnung des Vokals schwach betonter Silben, namentlich der Endungen bald durch i bald durch e, worüber ich noch unten (§ 84, 13) sprechen werde. 2. In der Briefsammlung der Schlägler Handschrift wird um- gekehrt offenbar vom Redaktor Diphthongierung aller haupttonigen mhd. i crstrebt. Wenn neben sonstigen durchgeführten weisen, weysheyt cin cinziges Mal 5, 4 wisheyt, neben sonstigen herrschenden seyme, seynen
Zusammenfassende Charakteristik. 249 Im übrigen aber herrschen im zweiten Schneeberger Formel- buch ausnahmslos die alten Vokale. Ich will diese Tatsache (rgl. oben § 3, 1, b, S. 174, § 5, 1, b und 3, S. 179) durch Vorlegung des gesamten Materials verdeutlichen. a) Altes i: mit flyse oder mit ganczem flyse (flise), flissiclichen (flissiglichen), flislicher 35, 9; 36, 5. 13. 18; 42, 11; 44, 10; tzyt, czyten und geczyten 41, 9; 44, 13; 36, 2. 5; 37, 5; riches 36, 2; 37, 6; gewyet (geweihet") 33, 5; wyen 33, 8: wyset 38, 13; anwysunge 33, 15 ; anwisunge 43, 14; gliche 43, 18; triben 36, 16; snydermeister 32, 1. 5. 11; lidet 31, 4; mine 41, 5; myn 41, 6; Min 42, 5; mynes 39, 13; synen 31, 6; 43, 13; syne 4.3, 12; syne 43, 13; syner 43, 13; synes 43, 11; getzwiget (mhd. gezwiget; latein. Text acquiescendo) 38, 15; vorlyet 34, 16. b) Altes €: lute (Leute') 38, 9: cristen luten 36, 16; lut' ( lauter') 38, 6; 39, 16: 41, 5; 42, 5; luterlich 33, 10; gelutbard 37, 16; uß 37, 16; 42, 8: tusent 31, 10. c) Mhd. in in md. Lautung u: frunt, fruntschaft, frunt- lichen oft: getruwer 38, 6; 43, 17; uch (vobis) 33, 17; 35, 13; 40, 14: 42, 9. 10. 11; uw’, uw’n 33, 14; 35, 11. 18. 20; 36, 8; 37, 12. 16. 19; 38, 10; 39, 11. 16; 40, 5. 8; 41, 9. 12; 42, 8. 14; 43, 14. 19 (zweimal); 44, 9. 11. 13; nülich 33, 8; nuwelich 41, 10: geczuge 42, 12: suchen (Seuchen’) 43, 10; durchluchtig, durchluchtigesten, durchluchtegest', allerdurchluchtigesten 35, 1. 6. 8. 10; 36, 1. 7; 37, 1. 10. 19; dûczer (mhd. tiuscher) art 32, 7; getruwer 38, 6; 43, 17. Ich stelle mir das Eindringen und den Sieg der Diphthongierung überhaupt so vor, daß die verbreiterten Laute nicht auf einmal von den haupttonigen Silben aller Wörter Besitz ergriffen. Eine solche Kon- sequenzmacherei, die uns seit Jacob Grimms großen Entdeckungen und ihren sprachgeschichtlichen Ausmünzungen fast wie eine Selbstverständ- lichkeit erscheint, lag dem Sprachbewußtsein jener Zeit beim Schreiben ganz fern, da ihm gerade umgekehrt der Wechsel in den Formen und Lauten gefiel und das Nebeneinander von Doppelformen im selben Schriftstück als eine besondere Zierde galt, sofern das Verständnis nicht dadurch unmöglich wurde. Ein sicheres Beispiel dafür, daß die Freude am Wechsel im aus- gehenden Mittelalter vielfach für das Sprachgefühl bestimmend war und das Auftreten verschiedener Lautfarben in einer und derselben Sprach- form hervorrief oder beforderte, ist der Wechsel der Schreibungen i und y sowie die schwankende Bezeichnung des Vokals schwach betonter Silben, namentlich der Endungen bald durch i bald durch e, worüber ich noch unten (§ 84, 13) sprechen werde. 2. In der Briefsammlung der Schlägler Handschrift wird um- gekehrt offenbar vom Redaktor Diphthongierung aller haupttonigen mhd. i crstrebt. Wenn neben sonstigen durchgeführten weisen, weysheyt cin cinziges Mal 5, 4 wisheyt, neben sonstigen herrschenden seyme, seynen
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250 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. ein einziges Mal 7, 1 sinem und außerdem ein einziges Mal czyt 21, 6 auftaucht, so sind das zufällige Ausweichungen, die nur der Un- achtsamkeit des Schreibers xur Last fallen. Wir sind hier sogar in der glücklichen Lage, das beweisen zu können. An den beiden ersten Stellen hat die Parallelüberlieferung dieser Brief- sammlung in S (dem ersten Schneeberger Formelbuch’) Bl. 7r weysheyt, Bl. 7" seyme. Für die dritte Stelle liegt uns die Sammlung in S nicht mehr vor. Wir dürfen aber erschließen, daß in der gemeinsamen Vor- lage an allen drei Stellen, mindestens aber an den ersten beiden, die diphthongierte Form gestanden hat, und zwar besonders deshalb, weil S in seiner Wiedergabe der 19 Briefe sonst im allgemeinen häufiger als P nicht diphthongierte Formen zuläßt, wie ich unten genauer nachweisen werde. Auch bei dem Ortsnamen Schweidnitz zeigt hier die Schreibung von S gegenüber der von P gelegentlich sich als fortgeschrittener. Die urkund- liche älteste Form aus den Jahren 1249. 1250 lautet Swidnizl. Wir dürfen die Stammsilbe als lang werten. Die dem neuen Vokalismus Österreichs und Böhmens entsprechende Form ist also Sweidniz. In den lateinischen Urkunden und Briefen erscheint noch lange die alte Form mit langem Vokal. In den lateinischen Fassungen unserer Musterbrief- sammlung begegnet civitatis Swedenecensis 10, 1 gegenüber czur swey- denicz in der deutschen Ubersetzung (ebenso in Rechenbach 10, 10 gegen- über dem im deutschen Text stehenden Reychn 10, 12 und reichn 10, 16! . Der Schreiber von S gibt aber im lateinischen Text 10, 1 civitatis swey- deniczensis, also den moderneren Laut. Wir dürfen daher dem Original an dieser Stelle vielleicht diese Form zuschreiben und müßten den Text unseres Abdrucks hier vielleicht berichtigen. Ebenso verhült es sich zwei- mal im deutschen Text: 11, 8 f. kegen der Swedenicz. Auch hier wäre vielleicht, zumal gleich darauf 11. 10. 12 auch P Sweydenicz und Swei- denicz schreibt, dem Original die diphthongierte Form zuxutrauen und unser Text entsprechend zu ändern. Doch mahnt die oben schon be- tonte Wahrnehmung, daß den Kanzleischreibern des 14. und 15. Jahr- hunderts vielfach gerade der Lautwechsel als reizvoll gilt, zur Vorsicht. Auch kann hier wieder ein Unterschied im Satzton mitspielen, dem sich zugleich ein stilistischer Faktor gesellt: an der ersten Stelle (11, 8f.) er- scheint die vulgäre volkssprachliche Form Swedenicz, im Datum und in der Unterschrift die amtliche der böhmischen Kanzleisprache (vgl. dazu unten § 81 und besonders § 85, 7). Weniger kann man dieselbe Ungleich- heit in 6, 1 Niclos wint burgir czur swedenicz POsweydenicz S gegen- über der Petitio bit euch vm drey firtil sweydenicz birs 6, 4f. PS 1 Schlesische Regesten hrsg. von Grünhagen Codex diplomat. Silesiae VII, I (2. Aufl. 1884), Nr. 701. 709; Martin Treblin, Beiträge xur Siedlungskunde im chemaligen Fürstentum Schweidnitx (Darstellungen u. Quellen zur schles. Ge- schichte, 6. Bd.) Breslau 1908, S. 35f.
250 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. ein einziges Mal 7, 1 sinem und außerdem ein einziges Mal czyt 21, 6 auftaucht, so sind das zufällige Ausweichungen, die nur der Un- achtsamkeit des Schreibers xur Last fallen. Wir sind hier sogar in der glücklichen Lage, das beweisen zu können. An den beiden ersten Stellen hat die Parallelüberlieferung dieser Brief- sammlung in S (dem ersten Schneeberger Formelbuch’) Bl. 7r weysheyt, Bl. 7" seyme. Für die dritte Stelle liegt uns die Sammlung in S nicht mehr vor. Wir dürfen aber erschließen, daß in der gemeinsamen Vor- lage an allen drei Stellen, mindestens aber an den ersten beiden, die diphthongierte Form gestanden hat, und zwar besonders deshalb, weil S in seiner Wiedergabe der 19 Briefe sonst im allgemeinen häufiger als P nicht diphthongierte Formen zuläßt, wie ich unten genauer nachweisen werde. Auch bei dem Ortsnamen Schweidnitz zeigt hier die Schreibung von S gegenüber der von P gelegentlich sich als fortgeschrittener. Die urkund- liche älteste Form aus den Jahren 1249. 1250 lautet Swidnizl. Wir dürfen die Stammsilbe als lang werten. Die dem neuen Vokalismus Österreichs und Böhmens entsprechende Form ist also Sweidniz. In den lateinischen Urkunden und Briefen erscheint noch lange die alte Form mit langem Vokal. In den lateinischen Fassungen unserer Musterbrief- sammlung begegnet civitatis Swedenecensis 10, 1 gegenüber czur swey- denicz in der deutschen Ubersetzung (ebenso in Rechenbach 10, 10 gegen- über dem im deutschen Text stehenden Reychn 10, 12 und reichn 10, 16! . Der Schreiber von S gibt aber im lateinischen Text 10, 1 civitatis swey- deniczensis, also den moderneren Laut. Wir dürfen daher dem Original an dieser Stelle vielleicht diese Form zuschreiben und müßten den Text unseres Abdrucks hier vielleicht berichtigen. Ebenso verhült es sich zwei- mal im deutschen Text: 11, 8 f. kegen der Swedenicz. Auch hier wäre vielleicht, zumal gleich darauf 11. 10. 12 auch P Sweydenicz und Swei- denicz schreibt, dem Original die diphthongierte Form zuxutrauen und unser Text entsprechend zu ändern. Doch mahnt die oben schon be- tonte Wahrnehmung, daß den Kanzleischreibern des 14. und 15. Jahr- hunderts vielfach gerade der Lautwechsel als reizvoll gilt, zur Vorsicht. Auch kann hier wieder ein Unterschied im Satzton mitspielen, dem sich zugleich ein stilistischer Faktor gesellt: an der ersten Stelle (11, 8f.) er- scheint die vulgäre volkssprachliche Form Swedenicz, im Datum und in der Unterschrift die amtliche der böhmischen Kanzleisprache (vgl. dazu unten § 81 und besonders § 85, 7). Weniger kann man dieselbe Ungleich- heit in 6, 1 Niclos wint burgir czur swedenicz POsweydenicz S gegen- über der Petitio bit euch vm drey firtil sweydenicz birs 6, 4f. PS 1 Schlesische Regesten hrsg. von Grünhagen Codex diplomat. Silesiae VII, I (2. Aufl. 1884), Nr. 701. 709; Martin Treblin, Beiträge xur Siedlungskunde im chemaligen Fürstentum Schweidnitx (Darstellungen u. Quellen zur schles. Ge- schichte, 6. Bd.) Breslau 1908, S. 35f.
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Zusammenfassende Charakteristik. 251 motirieren. Oder sollte auch hier in der Adresse die vulgäre Namens- form, dagegen bei der wichtigen Bestellung der soxusagen offizielle Laut gewählt sein? Ahnlich steht es mit der für schlesische Schriftdenkmäler charakte- ristischen Substantivendung -kyt (-kit) statt des gemeinsprachlichen -keit (s. oben § 3, 4, S. 176 und § 8, 1, S. 182). Wenn diese spezifisch schlesische Schreibform nur ein einziges Mal (20, 3) dem schlesischen Schreiber von P in die Feder läuft (übrigens gerade in der Salutatio eines Briefs von Bürgermeister und Ratmannen aus dem böhmischen König- grätz!), sonst aber die diphthongische Schreibung herrscht, so kann man darin nur die Macht der literarischen Sprache und des Vorbilds der königlichen Kanzleisprache Böhmens erkennen. 3. Es ist überhaupt lehrreich, den günstigen Fall dieser Doppelüber- lieferung au benutzen für cine Untersuchung, wie in demselben Text von zwei fast gleichzeitigen, räumlich nicht allzuweit entfernten Niederschriften, welche dem Kanzleigebrauch dienen wollen, die für den nhd. Vokalismus grundlegende Wandlung behandelt wird. In S ist die auf Bl. 5r—12r enthaltene Niederschrift der 19 Briefe (s. oben S. 159, 1c) aus der auch in P überlieferten Mustersammlung nicht von derselben Hand, welche die Briefsammlung auf Bl. 23r—46" geschrieben hat (s. oben S. 160, 4), aus der unten die Texte Nr. 31—44 ausgehoben sind. Wir können also nicht erwarten, daß sich in jenen 19 Briefen das gleiche Verhalten zur neuhochdeutschen, aus Böhmen vor- dringenden Vokalverbreiterung zeige wie in dem zweiten Formelbuch, das oben (§ 1—17, S. 168 ff.) in unserer Darstellung der Lautverhältnisse herangezogen worden ist. Im allgemeinen teilt der Schneeberger Text der 19 Briefe ( das erste Schneeberger Formelbuch’) mit der Parallelüberlieferung in P die Neigung, die neuen kanzleisprachlichen Diphthongierungen durchzuführen. Wir dürfen demnach annehmen, daß die gemeinsame Vorlage (s. oben S. 147f.), die ursprüngliche Briefmustersammlung, um die wir uns bemühen, auch ihrerseits in dieser Hinsicht denselben Standpunkt eingenommen hat. Aber mag das erste Schneeberger Formelbuch den Text der Briefmuster im ganzen, ungeachtet einzelner Verschen, Mißverständnisse und Aus- lassungen getreuer, richtiger und vollständiger bewahrt haben als P (s. oben S. 131—144), mag es auch die rhythmischen Satzschlüsse besser wieder- geben (s. oben § 44, S. 218), in sprachlicher Beziehung bleibt P trotz einzelnen schlesischen Idiotismen (wie das oben § 78, 3 besprochne eii in eir) dem Original im ganzen näher. Haupttoniges altes mhd. i erscheint auch in der Schneeberger Wieder- gabe der 19 Briefe diphthongiert und zwar vorwiegend mit der Schrei- bung ey. Aber an sieben Stellen bietet sie in sechs Worten gegenüber der Diphthongierung in P noch die alte Länge: 1) 3, 7 fleysichlich P vlyseclichen S; mit vleissigen dinst czuvor 13, 2 P€mit vlisegin
Zusammenfassende Charakteristik. 251 motirieren. Oder sollte auch hier in der Adresse die vulgäre Namens- form, dagegen bei der wichtigen Bestellung der soxusagen offizielle Laut gewählt sein? Ahnlich steht es mit der für schlesische Schriftdenkmäler charakte- ristischen Substantivendung -kyt (-kit) statt des gemeinsprachlichen -keit (s. oben § 3, 4, S. 176 und § 8, 1, S. 182). Wenn diese spezifisch schlesische Schreibform nur ein einziges Mal (20, 3) dem schlesischen Schreiber von P in die Feder läuft (übrigens gerade in der Salutatio eines Briefs von Bürgermeister und Ratmannen aus dem böhmischen König- grätz!), sonst aber die diphthongische Schreibung herrscht, so kann man darin nur die Macht der literarischen Sprache und des Vorbilds der königlichen Kanzleisprache Böhmens erkennen. 3. Es ist überhaupt lehrreich, den günstigen Fall dieser Doppelüber- lieferung au benutzen für cine Untersuchung, wie in demselben Text von zwei fast gleichzeitigen, räumlich nicht allzuweit entfernten Niederschriften, welche dem Kanzleigebrauch dienen wollen, die für den nhd. Vokalismus grundlegende Wandlung behandelt wird. In S ist die auf Bl. 5r—12r enthaltene Niederschrift der 19 Briefe (s. oben S. 159, 1c) aus der auch in P überlieferten Mustersammlung nicht von derselben Hand, welche die Briefsammlung auf Bl. 23r—46" geschrieben hat (s. oben S. 160, 4), aus der unten die Texte Nr. 31—44 ausgehoben sind. Wir können also nicht erwarten, daß sich in jenen 19 Briefen das gleiche Verhalten zur neuhochdeutschen, aus Böhmen vor- dringenden Vokalverbreiterung zeige wie in dem zweiten Formelbuch, das oben (§ 1—17, S. 168 ff.) in unserer Darstellung der Lautverhältnisse herangezogen worden ist. Im allgemeinen teilt der Schneeberger Text der 19 Briefe ( das erste Schneeberger Formelbuch’) mit der Parallelüberlieferung in P die Neigung, die neuen kanzleisprachlichen Diphthongierungen durchzuführen. Wir dürfen demnach annehmen, daß die gemeinsame Vorlage (s. oben S. 147f.), die ursprüngliche Briefmustersammlung, um die wir uns bemühen, auch ihrerseits in dieser Hinsicht denselben Standpunkt eingenommen hat. Aber mag das erste Schneeberger Formelbuch den Text der Briefmuster im ganzen, ungeachtet einzelner Verschen, Mißverständnisse und Aus- lassungen getreuer, richtiger und vollständiger bewahrt haben als P (s. oben S. 131—144), mag es auch die rhythmischen Satzschlüsse besser wieder- geben (s. oben § 44, S. 218), in sprachlicher Beziehung bleibt P trotz einzelnen schlesischen Idiotismen (wie das oben § 78, 3 besprochne eii in eir) dem Original im ganzen näher. Haupttoniges altes mhd. i erscheint auch in der Schneeberger Wieder- gabe der 19 Briefe diphthongiert und zwar vorwiegend mit der Schrei- bung ey. Aber an sieben Stellen bietet sie in sechs Worten gegenüber der Diphthongierung in P noch die alte Länge: 1) 3, 7 fleysichlich P vlyseclichen S; mit vleissigen dinst czuvor 13, 2 P€mit vlisegin
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252 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. dinste czu uor S (sonst, nämlich siebenmal, erscheint dieser Wortstamm aber auch in S mit dem als ey geschriebenen Diphthong : mit ganczem fleyse 5, 4; 16, 8; fleyseclich 9, 7; fleyseclichen 10, 10: 11, 7; 18. 9; mit allem fleise 15, 10); 2) im Datum: 4, 6 am nestin freytage P am nesten fritage S; 3. 4) im Infinitiv sein’: 10, 6 mete begnot seyn Pmete gnad sin (anscheinend aus sim korrigiert) S; 12, 1If. wor- vmb wir wellin ... mit dem rechte seyn Pworvmme wir wellen ... mit dem rechten syn S (s. auch Nr. 8); 5. 6) in der 1. Pers. Plur. wir sind’ und dem Substantiv 'Leib’; nicht alleyne am gute, sund' och am leybe vortirbit 13, 6 P nicht alleyne am gute, sundir auch an libe syn vorterbit S (wobei das in P fehlende, dem Original wahr- scheinlich gleichfalls fremde Hilfsverb in der heimatlichen Lautung als syn erscheint, vgl. oben Nr. 4); 7) im Verbum reiten’: 17, 7f. hin vnd her reyten vnd varen Phen vnd her ryten S. Diese 7 Fälle sind aber nur Entgleisungen. Wie schon die 7 ey im Wortstamm Fleiß' gegenüber dem nur zweimaligen i zeigten, bemüht sich der Schreiber von S, der die mit P gemeinsame Vorlage der 19 Briefe kopierte, durchaus deren Diphthongierung zu übernehmen. Es sind von ihm demgemäß, seiner eigenen Schreibart zuwider, folgende Worte mit gemein- und kanzleisprachlichen Laut wiedergegeben im Einklang mit P: meyme, meynem, meyner, meynen 2, 5. 6; 3, 1. 2. 5. 7. 11; 5, 6. 7, 6, 6. 10; 7, 8. 9 usw.; seyně, seynem, seyme 1, 2; 2, 1; 3, 1; 6. 1; 7, 1 (s. oben); 8, 1; 9, 1 usw.; deyner 1, 6; hochczeyt 6, 6; weysheyt 5, 4 (s. oben); 10, 10; weisheit 12, 9 P weysheyt S; weisen 12, 1 Pweysen S; 14, 1; 15, 1 ; beweysit 13, 9; vnd’ weisin czeyt 15, 7; czeyten 15, 12; schreibe wir 19, 9 P, schreybe wir S; vorscreybin 1. 91. Die Diphthongierung des mhd. û teilt das erste Schneeberger Formel- buch mit der parallelen Uberlieferung in P nicht ganz so durchgehend. Es erscheinen zwar übereinstimmend: 10, 5 noch lauthe der briffen Plaute der briffe S ; 10, 13f. bey laute vnsir’n briffen P dy lewte vnß’ briffe S (s. oben); 7, 3 mit lout libe P mit lawt’ libe S ; 13, 8 bawholez P S; 17, 9 haws P S; 17, 12 haus P haws S. End- lich die Diphthongierungen der Stammsilbe des md. getrüwe (mhd. ge- triuwe); 1, 1 getrawen P S; 2, 1 getrauen P, getrawen S. — Anders aber verhält sich die zweimalige Formel ohne Säumniß": gegenüber dem an ofschob vnd sewmmisse in P 3, 9 lautet sie in S ane off schob vn sumenisse; 17, I1 an seumnisse P, an sumenis S (über die Beurteilung des Umlauts in dieser Form s. oben § 9, 3 und unten § 81, 3). Dem schließen sich an folgende Fälle, wo S abweichend von P an dem alten undiphthongierten langen u haftet. 8, 5 lauter durch got Pluter durch got S; 8, 6 lout’ durch got Plutir durch got S ; ferner 19, 7 off dem hause der Rabinsteyn PC vff dem huse rubensteyn S. Die mhd. in, die in P bereits in weitem Umfang als en erscheinen, wenn auch die allgemein mitteldeutschen Kanzleiformen frunt, frunt-
252 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. dinste czu uor S (sonst, nämlich siebenmal, erscheint dieser Wortstamm aber auch in S mit dem als ey geschriebenen Diphthong : mit ganczem fleyse 5, 4; 16, 8; fleyseclich 9, 7; fleyseclichen 10, 10: 11, 7; 18. 9; mit allem fleise 15, 10); 2) im Datum: 4, 6 am nestin freytage P am nesten fritage S; 3. 4) im Infinitiv sein’: 10, 6 mete begnot seyn Pmete gnad sin (anscheinend aus sim korrigiert) S; 12, 1If. wor- vmb wir wellin ... mit dem rechte seyn Pworvmme wir wellen ... mit dem rechten syn S (s. auch Nr. 8); 5. 6) in der 1. Pers. Plur. wir sind’ und dem Substantiv 'Leib’; nicht alleyne am gute, sund' och am leybe vortirbit 13, 6 P nicht alleyne am gute, sundir auch an libe syn vorterbit S (wobei das in P fehlende, dem Original wahr- scheinlich gleichfalls fremde Hilfsverb in der heimatlichen Lautung als syn erscheint, vgl. oben Nr. 4); 7) im Verbum reiten’: 17, 7f. hin vnd her reyten vnd varen Phen vnd her ryten S. Diese 7 Fälle sind aber nur Entgleisungen. Wie schon die 7 ey im Wortstamm Fleiß' gegenüber dem nur zweimaligen i zeigten, bemüht sich der Schreiber von S, der die mit P gemeinsame Vorlage der 19 Briefe kopierte, durchaus deren Diphthongierung zu übernehmen. Es sind von ihm demgemäß, seiner eigenen Schreibart zuwider, folgende Worte mit gemein- und kanzleisprachlichen Laut wiedergegeben im Einklang mit P: meyme, meynem, meyner, meynen 2, 5. 6; 3, 1. 2. 5. 7. 11; 5, 6. 7, 6, 6. 10; 7, 8. 9 usw.; seyně, seynem, seyme 1, 2; 2, 1; 3, 1; 6. 1; 7, 1 (s. oben); 8, 1; 9, 1 usw.; deyner 1, 6; hochczeyt 6, 6; weysheyt 5, 4 (s. oben); 10, 10; weisheit 12, 9 P weysheyt S; weisen 12, 1 Pweysen S; 14, 1; 15, 1 ; beweysit 13, 9; vnd’ weisin czeyt 15, 7; czeyten 15, 12; schreibe wir 19, 9 P, schreybe wir S; vorscreybin 1. 91. Die Diphthongierung des mhd. û teilt das erste Schneeberger Formel- buch mit der parallelen Uberlieferung in P nicht ganz so durchgehend. Es erscheinen zwar übereinstimmend: 10, 5 noch lauthe der briffen Plaute der briffe S ; 10, 13f. bey laute vnsir’n briffen P dy lewte vnß’ briffe S (s. oben); 7, 3 mit lout libe P mit lawt’ libe S ; 13, 8 bawholez P S; 17, 9 haws P S; 17, 12 haus P haws S. End- lich die Diphthongierungen der Stammsilbe des md. getrüwe (mhd. ge- triuwe); 1, 1 getrawen P S; 2, 1 getrauen P, getrawen S. — Anders aber verhält sich die zweimalige Formel ohne Säumniß": gegenüber dem an ofschob vnd sewmmisse in P 3, 9 lautet sie in S ane off schob vn sumenisse; 17, I1 an seumnisse P, an sumenis S (über die Beurteilung des Umlauts in dieser Form s. oben § 9, 3 und unten § 81, 3). Dem schließen sich an folgende Fälle, wo S abweichend von P an dem alten undiphthongierten langen u haftet. 8, 5 lauter durch got Pluter durch got S; 8, 6 lout’ durch got Plutir durch got S ; ferner 19, 7 off dem hause der Rabinsteyn PC vff dem huse rubensteyn S. Die mhd. in, die in P bereits in weitem Umfang als en erscheinen, wenn auch die allgemein mitteldeutschen Kanzleiformen frunt, frunt-
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Zusammenfassende Charakteristik. 253 schaft, fruntlich streng festgehalten werden, sind ebenfalls im ersten Schneeberger Formelbuch zahlreich. Ausnahmslos erscheinen sie in den verschiedenen Formen und Bildungen des Plurals von Personalpronomen der 2. Person und des zugehörigen Possessivs: es herrschen also durch- gehend euch 3, 7; 4, 3; 6, 4. 5 usw.; ewir, ewer; ewrim, ewirn, ewirs, ewers 4, 5; 5, 4. 6; 7, 5. 6 usw. Anderseits stehen mehrmals den eu- Formen von P in S die alten (mitteldeutschen) Formen mit û gegenüber. Der Ortsname Nimburg a. E. erscheint 1, I als neuenburg in P, als nuenburg in S; 2, 8 Newenburg Pnuenburg S. Das Wort 'Leute’ schwankt: 1, 5 leuten (personis) Pluten S; 6, 8 furleuten in P ffurluten S; dagegen in einer dem Schreiber geläufigen Rechtsformel, die für ihn etwas Vornehmes hatte, entschließt er sich zum modernen Laut: 10, 7 land vnd leuthe Plande vnd leute S; ferner auch aus ähn- lichem psychischen Grunde, offenbar mit emphatischer Betonung 19, 7 gros volk tuchtig’ leute P gros volk tochtig' lewte S. So sehen wir einen starken Gegensatz im Verhalten zur Diphthon- gierung das erste Schneeberger Formelbuch von dem zweiten trennen. Im zweiten ist mhd. i bis auf die oben (S. 248) bezeichneten vier Ausnahmen festgehalten, mhd. ů und md. f mhd. in völlig bewahrt. Dagegen in den 19 Briefen, die das erste Schneeberger Formelbuch aus einer auch von P benutzten Quelle überliefert, ist die Diphthongierung des i, wie oben (S. 251f.) dargelegt, mit den nachgewiesenen geringen Ausnahmen durchgeführt, die Diphthongierung des û und des mhd. in (md. û) wenig- stens in starken Spuren sichtbar. 4. Anschließend möchte ich hier die Behandlung der alten Diphthonge ei, ou im ersten und zweiten Schneeberger Formelbuch beleuchten. Das erste Schneeberger Formelbuch bietet für mhd. ei an zwei Stellen, wo es P in mundartlicher Monophthongierung als e schreibt, den di- phthongischen Laut : 13, 8 vm geret gelt irlobn wellit P vm gereyt gelt irlowben wellet S; 14, 5 Irlobe wir euch P dirlowbe wir euch S. Anders liegt das Verhältnis bei ouch, das unbetont in enkliti- scher oder proklitischer Stellung schon mhd. zu och verkürzt war. Es erscheint als ouch in P :8, 5f. dorvmme ich ouch den selben nicolaum uch S (enklitisch!); aber umgekehrt als och 11, 9: wen ander stete och dohyn komen werden P ouch do syn vnd hyn werden komen S. Hier ist das Wort fraglos stark betont, also die volle Form ouch be- rechtigt, und wahrscheinlich stand sie in der gemeinsamen Vorlage, wäre demnach mit S in den Text zu setxen. Ferner 13, 5. 6: och alzo das wir nicht alleyne am gute, sund’ och am leybe vorterbit P sundir auch an libe syn vorterbit S. Hier mag die von S beabsichtigte starke Betonung des ouch die Bewahrung des vollen Diphthongs hervorgerufen haben, die vielleicht auch der Vorlage zuzuweisen ist. Anderseits nimmt S an vnsirs hr'n menunge P 11, 8 keinen An- stoß, sondern behält es bei.
Zusammenfassende Charakteristik. 253 schaft, fruntlich streng festgehalten werden, sind ebenfalls im ersten Schneeberger Formelbuch zahlreich. Ausnahmslos erscheinen sie in den verschiedenen Formen und Bildungen des Plurals von Personalpronomen der 2. Person und des zugehörigen Possessivs: es herrschen also durch- gehend euch 3, 7; 4, 3; 6, 4. 5 usw.; ewir, ewer; ewrim, ewirn, ewirs, ewers 4, 5; 5, 4. 6; 7, 5. 6 usw. Anderseits stehen mehrmals den eu- Formen von P in S die alten (mitteldeutschen) Formen mit û gegenüber. Der Ortsname Nimburg a. E. erscheint 1, I als neuenburg in P, als nuenburg in S; 2, 8 Newenburg Pnuenburg S. Das Wort 'Leute’ schwankt: 1, 5 leuten (personis) Pluten S; 6, 8 furleuten in P ffurluten S; dagegen in einer dem Schreiber geläufigen Rechtsformel, die für ihn etwas Vornehmes hatte, entschließt er sich zum modernen Laut: 10, 7 land vnd leuthe Plande vnd leute S; ferner auch aus ähn- lichem psychischen Grunde, offenbar mit emphatischer Betonung 19, 7 gros volk tuchtig’ leute P gros volk tochtig' lewte S. So sehen wir einen starken Gegensatz im Verhalten zur Diphthon- gierung das erste Schneeberger Formelbuch von dem zweiten trennen. Im zweiten ist mhd. i bis auf die oben (S. 248) bezeichneten vier Ausnahmen festgehalten, mhd. ů und md. f mhd. in völlig bewahrt. Dagegen in den 19 Briefen, die das erste Schneeberger Formelbuch aus einer auch von P benutzten Quelle überliefert, ist die Diphthongierung des i, wie oben (S. 251f.) dargelegt, mit den nachgewiesenen geringen Ausnahmen durchgeführt, die Diphthongierung des û und des mhd. in (md. û) wenig- stens in starken Spuren sichtbar. 4. Anschließend möchte ich hier die Behandlung der alten Diphthonge ei, ou im ersten und zweiten Schneeberger Formelbuch beleuchten. Das erste Schneeberger Formelbuch bietet für mhd. ei an zwei Stellen, wo es P in mundartlicher Monophthongierung als e schreibt, den di- phthongischen Laut : 13, 8 vm geret gelt irlobn wellit P vm gereyt gelt irlowben wellet S; 14, 5 Irlobe wir euch P dirlowbe wir euch S. Anders liegt das Verhältnis bei ouch, das unbetont in enkliti- scher oder proklitischer Stellung schon mhd. zu och verkürzt war. Es erscheint als ouch in P :8, 5f. dorvmme ich ouch den selben nicolaum uch S (enklitisch!); aber umgekehrt als och 11, 9: wen ander stete och dohyn komen werden P ouch do syn vnd hyn werden komen S. Hier ist das Wort fraglos stark betont, also die volle Form ouch be- rechtigt, und wahrscheinlich stand sie in der gemeinsamen Vorlage, wäre demnach mit S in den Text zu setxen. Ferner 13, 5. 6: och alzo das wir nicht alleyne am gute, sund’ och am leybe vorterbit P sundir auch an libe syn vorterbit S. Hier mag die von S beabsichtigte starke Betonung des ouch die Bewahrung des vollen Diphthongs hervorgerufen haben, die vielleicht auch der Vorlage zuzuweisen ist. Anderseits nimmt S an vnsirs hr'n menunge P 11, 8 keinen An- stoß, sondern behält es bei.
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254 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. 5. Wir erkennen aus alledem: bei der Abschrift wurden damals in dem Grenzgebiet Schlesien-Lausitz deutsche Briefmuster nicht einfach in die Ortsmundart umgeschrieben, insbesondere die modernen kanzleisprachlichen Diphthonge nicht mehr durch die alten mitteldeutschen Längen ersetzt. Viel- mehr wurden sie in gewissen Worten und Wendungen, die durch ihren Charakter aus der Alltagssprache etwas hinausragten und darum dem Sprachgefühl den Eindruck des Ungewöhnlichen, Gehobenen gaben, übernommen und wirkten so als Schrittmacher für die weitere Anpassung an das gemein- und hochsprachliche Vorbild der böhmischen Kanzleisprache. Freilich wissen wir nicht sicher, aus welchem Orte der Schreiber des ersten Schneeberger Formelbuchs stammte, wo und für wen, für welche Kanzlei er seine Kopie herstellte. Darum behalten die Beobachtungen und Folgerungen, die ich daran knüpfe, etwas Un- gewisses. Aber so viel steht fest: aus dem Westgebiet Schlesiens, aus der Lausitz, allenfalls auch noch aus dem Meißnischen rührt diese Nieder- schrift her und in dieser Gegend wurde sie benutzt. Die sachlichen Be- ziehungen weisen den Gesamtinhalt der Schneeberger Sammelhandschrift in dieses eng umxirkte Gebiet (s. oben S. 159ff.). Die beiden in ihr vereinigten Formelbücher bringen uns die lebendigste Anschauung von dem Ringen der alten mitteldeutschen Schreibweise mit dem aus dem Prager Bildungszentrum andringenden neuen Vokalismus und von dessen all- mählicher Ausbreitung auf dem Wege der Umschrift und Aneignung solcher Mustersammlungen, die dem modernen Sprachtypus sich bereits angeschlossen hatten. § 80. Der Kampf zwischen Wortschrift und Satzschrift im Sprachbewußtsein. 1. Alle schriftliche Wiedergabe der Sprache bietet im Ausdruck der Laute nur Näherungswerte und hängt dabei ab von dem einmal herkömmlichen grammatischen System und orthographischen Schema, für das im Abend- land die aus dem römischen Altertum übernommene Sprachtheorie und Schreibgewohnheit der lateinischen Sprache maßgebend sind. Diese fußen wesentlich auf dem Grundsatz der Worteinheit. Ihre Versuche, zwi- schen dem gesprochnen und gehörten Sprachlaut einerseits und den ver- fügbaren Schriftzeichen anderseits einen Ausgleich zu schaffen, sind be- grenxt durch die ererbte Einstellung des Sprachbewußtseins auf Sonde- rung des Worts. Von der altindischen Grammatik und Schrift hingegen wird die Sprache aufgefaßt in Satzeinheiten: sie zieht daher auch diejenigen lautlichen Erscheinungen in ihre Darstellung ein, die nur im Zusammenhang der Rede, im Satz und in der Periode auftreten. In ihr spielt demgemäß eine Hauptrolle der Sandhi, die Verbindung der Worte und Wortgruppen und die dadurch veranlaßten Lautwandlungen. In den althochdeutschen und mittelhochdeutschen Handschriften herrscht
254 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. 5. Wir erkennen aus alledem: bei der Abschrift wurden damals in dem Grenzgebiet Schlesien-Lausitz deutsche Briefmuster nicht einfach in die Ortsmundart umgeschrieben, insbesondere die modernen kanzleisprachlichen Diphthonge nicht mehr durch die alten mitteldeutschen Längen ersetzt. Viel- mehr wurden sie in gewissen Worten und Wendungen, die durch ihren Charakter aus der Alltagssprache etwas hinausragten und darum dem Sprachgefühl den Eindruck des Ungewöhnlichen, Gehobenen gaben, übernommen und wirkten so als Schrittmacher für die weitere Anpassung an das gemein- und hochsprachliche Vorbild der böhmischen Kanzleisprache. Freilich wissen wir nicht sicher, aus welchem Orte der Schreiber des ersten Schneeberger Formelbuchs stammte, wo und für wen, für welche Kanzlei er seine Kopie herstellte. Darum behalten die Beobachtungen und Folgerungen, die ich daran knüpfe, etwas Un- gewisses. Aber so viel steht fest: aus dem Westgebiet Schlesiens, aus der Lausitz, allenfalls auch noch aus dem Meißnischen rührt diese Nieder- schrift her und in dieser Gegend wurde sie benutzt. Die sachlichen Be- ziehungen weisen den Gesamtinhalt der Schneeberger Sammelhandschrift in dieses eng umxirkte Gebiet (s. oben S. 159ff.). Die beiden in ihr vereinigten Formelbücher bringen uns die lebendigste Anschauung von dem Ringen der alten mitteldeutschen Schreibweise mit dem aus dem Prager Bildungszentrum andringenden neuen Vokalismus und von dessen all- mählicher Ausbreitung auf dem Wege der Umschrift und Aneignung solcher Mustersammlungen, die dem modernen Sprachtypus sich bereits angeschlossen hatten. § 80. Der Kampf zwischen Wortschrift und Satzschrift im Sprachbewußtsein. 1. Alle schriftliche Wiedergabe der Sprache bietet im Ausdruck der Laute nur Näherungswerte und hängt dabei ab von dem einmal herkömmlichen grammatischen System und orthographischen Schema, für das im Abend- land die aus dem römischen Altertum übernommene Sprachtheorie und Schreibgewohnheit der lateinischen Sprache maßgebend sind. Diese fußen wesentlich auf dem Grundsatz der Worteinheit. Ihre Versuche, zwi- schen dem gesprochnen und gehörten Sprachlaut einerseits und den ver- fügbaren Schriftzeichen anderseits einen Ausgleich zu schaffen, sind be- grenxt durch die ererbte Einstellung des Sprachbewußtseins auf Sonde- rung des Worts. Von der altindischen Grammatik und Schrift hingegen wird die Sprache aufgefaßt in Satzeinheiten: sie zieht daher auch diejenigen lautlichen Erscheinungen in ihre Darstellung ein, die nur im Zusammenhang der Rede, im Satz und in der Periode auftreten. In ihr spielt demgemäß eine Hauptrolle der Sandhi, die Verbindung der Worte und Wortgruppen und die dadurch veranlaßten Lautwandlungen. In den althochdeutschen und mittelhochdeutschen Handschriften herrscht
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Zusammenfassende Charakteristik. 255 im großen und ganzen dic lateinische, wortsondernde Orthographie. Durch die Grenzen, die ihr gesteckt sind, findet das Streben nach phonctischer Treue von vornherein seine Schranke. In den Handschriften der Evan- geliendichtung Otfrieds sind die Schreibungen1 megih (neben meg ih und mag ih) kann ich', nimegiz (neben ni meg iz) es kann nicht', geb iz (neben gab it) (gab es' nur ein vereinxeltes Hinausgreifen phonetischer Bezeichnung über die orthographische Konvenienx, nur tastende Vorstöße gegen die schriftsprachliche Norm und keineswegs etwa, wie man aus Braunes richtiger, aber allzu wortkarger Darstellung (Althochdeutsche Grammatik3 1911, § 26, Anm. 3) schließen könnte, eine regelmäßige Er- scheinung. In andern althochdeutschen Schriftdenkmälern begegnen diese Umlaute vor dem i-Anlaut enklitischer Pronomina nur verschwindend selten. In der lebendigen Sprache waren sie aber natürlich vollkommen üblich und herrschend, also viel xahlreicher. Der Damm der traditio- nellen Orthographie oder anders ausgedrückt der Kanon der schemati- sierten Schriftsprache ließ von diesen Sprachwellen, in denen Enklise und Vokalassimilation die grammatische Reingestalt des Worts ver- dunkeln, nur gelegentlich gleichsam einzelne Spritzer hinüberschießen. Anders verhält es sich mit jenen Typen der Enklise bei Otfried, wo das Verschmelzen zweier Worte sich vollzieht entweder (1) unter An- tastung des konsonantischen Anlauts des zweiten (enklitischen) Worts, z. B. (a) mit Veränderung der Qualität des Dentals: mahtu (neben maht thu) kannst du’, bistu (neben bist thu) bist du’, uueistu (neben uueist du) weißt du’, oder (2) unter Antastung des vokal ischen Auslauts des ersten Worts, z. B. (b) mit Ausstoßung seines Endvokals vor dem folgenden vo- kalischen Anlaut: mohtes (neben moht es « mohta es) konnte cs', mohter (neben moht er « mohta er) konnte er"; (c) mit Verdopplung (Dehnung) des Schlußkonsonanten des ersten Worts, d. h. mit Wiederherstellung der am Wortende in pausa vereinfachten (verkürzten) Geminata: biganner (gegen- über er bigan), gisazzer (gegenüber er gisaz), hiazziz (gegenüber hiaz iz) hieß es', kanninan (gegenüber er kan) er kann ihn’, mannes (gegen- über man es) man es'. In allen diesen Fällen ringt zweifellos in vollem Bewußtsein eine phonetische Schreibtendenz mit der grammatischen wort- schematischen. Aber es ist dabei zu bemerken, daß keine klare Ent- scheidung zwischen beiden Mächten gefallen ist und keine von beiden end- gültig gesiegt hat. Die Handschriften bieten mehrfach die Inlautsformen, die nur bei der Zusammenrückung der beiden Worte zu einer Worteinheit phonetisch echt und wirklich sind, lassen aber dabei dennoch durch einen Zwischenraum die Zweiheit der Worte bestehen. Oft bleibt es in der Schreibung überhaupt zweifelhaft, ob ein Zwischenraum beabsichtigt ist oder nicht, wie es ja auch sonst in den mittelalterlichen Handschriften 1 Vgl. die Liste bei Kelle, Otfrids von Weißenburg Evangelienbuch Bd. 2 (1869), S. 439, 3.
Zusammenfassende Charakteristik. 255 im großen und ganzen dic lateinische, wortsondernde Orthographie. Durch die Grenzen, die ihr gesteckt sind, findet das Streben nach phonctischer Treue von vornherein seine Schranke. In den Handschriften der Evan- geliendichtung Otfrieds sind die Schreibungen1 megih (neben meg ih und mag ih) kann ich', nimegiz (neben ni meg iz) es kann nicht', geb iz (neben gab it) (gab es' nur ein vereinxeltes Hinausgreifen phonetischer Bezeichnung über die orthographische Konvenienx, nur tastende Vorstöße gegen die schriftsprachliche Norm und keineswegs etwa, wie man aus Braunes richtiger, aber allzu wortkarger Darstellung (Althochdeutsche Grammatik3 1911, § 26, Anm. 3) schließen könnte, eine regelmäßige Er- scheinung. In andern althochdeutschen Schriftdenkmälern begegnen diese Umlaute vor dem i-Anlaut enklitischer Pronomina nur verschwindend selten. In der lebendigen Sprache waren sie aber natürlich vollkommen üblich und herrschend, also viel xahlreicher. Der Damm der traditio- nellen Orthographie oder anders ausgedrückt der Kanon der schemati- sierten Schriftsprache ließ von diesen Sprachwellen, in denen Enklise und Vokalassimilation die grammatische Reingestalt des Worts ver- dunkeln, nur gelegentlich gleichsam einzelne Spritzer hinüberschießen. Anders verhält es sich mit jenen Typen der Enklise bei Otfried, wo das Verschmelzen zweier Worte sich vollzieht entweder (1) unter An- tastung des konsonantischen Anlauts des zweiten (enklitischen) Worts, z. B. (a) mit Veränderung der Qualität des Dentals: mahtu (neben maht thu) kannst du’, bistu (neben bist thu) bist du’, uueistu (neben uueist du) weißt du’, oder (2) unter Antastung des vokal ischen Auslauts des ersten Worts, z. B. (b) mit Ausstoßung seines Endvokals vor dem folgenden vo- kalischen Anlaut: mohtes (neben moht es « mohta es) konnte cs', mohter (neben moht er « mohta er) konnte er"; (c) mit Verdopplung (Dehnung) des Schlußkonsonanten des ersten Worts, d. h. mit Wiederherstellung der am Wortende in pausa vereinfachten (verkürzten) Geminata: biganner (gegen- über er bigan), gisazzer (gegenüber er gisaz), hiazziz (gegenüber hiaz iz) hieß es', kanninan (gegenüber er kan) er kann ihn’, mannes (gegen- über man es) man es'. In allen diesen Fällen ringt zweifellos in vollem Bewußtsein eine phonetische Schreibtendenz mit der grammatischen wort- schematischen. Aber es ist dabei zu bemerken, daß keine klare Ent- scheidung zwischen beiden Mächten gefallen ist und keine von beiden end- gültig gesiegt hat. Die Handschriften bieten mehrfach die Inlautsformen, die nur bei der Zusammenrückung der beiden Worte zu einer Worteinheit phonetisch echt und wirklich sind, lassen aber dabei dennoch durch einen Zwischenraum die Zweiheit der Worte bestehen. Oft bleibt es in der Schreibung überhaupt zweifelhaft, ob ein Zwischenraum beabsichtigt ist oder nicht, wie es ja auch sonst in den mittelalterlichen Handschriften 1 Vgl. die Liste bei Kelle, Otfrids von Weißenburg Evangelienbuch Bd. 2 (1869), S. 439, 3.
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256 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. zu beobachten ist, daß die Wortabteilungen vielfach nicht deutlich sind1. Unsere modernen wissenschaftlichen Textabdrucke versagen in dieser Frage meistens. Der orthographische Zwiespalt zwischen wortsonderndem grammati- schem Schematismus und satzphonetischer Feinhörigkeit verquickt sich bekanntlich bei Otfried mit dem metrischen Problem, das er als Syn- aloepha zusammenfaßt. Auch die aus altenglischer Schreibkunst über- nommene althochdeutsche, besonders von Otfried und Notker dem Deutschen geregelte Verwendung von Akzenten, nicht weniger die in den althoch- deutschen und mittelhochdeutschen Handschriften weit verbreitete Gewohn- heit, die Konsonanten eines Wortstamms, sobald sie im Auslaut stehen, zu verändern, also weiche Verschlußlaute zu verhärten, gedehnte Kon- sonanten (Geminaten) zu vereinfachen, desgleichen das sogenannte Not- kersche Anlautsgesetz, das noch in mittelhochdeutschen Handschriften auch poetischer Werke nachklingt2, haben alle das gemein, daß sie eine Durch- brechung des traditionellen graphischen univerbalen Schematismus zeigen und versuchen, nicht den Laut des Einxelworts, sondern seine Erscheinung in der Wortverbindung des Satxes auszudrücken. Besäßen wir genügend zahlreiche und wirklich buchstabengetreue Ab- drucke mittelalterlicher, also lateinischer und alt- und mittelhochdeutscher sowie frühneuhochdeutscher Handschriften und Urkunden, so ließe sich durch genaue statistische Untersuchung verfolgen, wann und wo die satz- phonetischen Schreibregeln aufkommen, wie groß ihr Geltungsbereich ist und wie lange sie dauern. Es ist das eine dringend gebotene Aufgabe künftiger Schriftsprachforschung. Soviel aber ist klar: diese satzphonetischen Schreibsitten sind zwar eine gesunde, erfreuliche Auflehnung gegen die lateinische Ortho- graphie und Sprachauffassung, aber sie führen nicht zu einer Neugestal- tung der konventionellen Schriftweise auf der Grundlage des Sandhi- prinzips. Diese Auflehnung bleibt ein Bruchstück, das bald abstirbt und verschwindet, nur in einzelnen Spuren später nachwirkt. Das univerbal- Prinzip, das Hand in Hand geht mit dem etymologischen, behält du Ubermacht und diese steigert sich, als im hohen Mittelalter, mehr noch an seinem Ende die grammatischen Studien und der Einfluß des Lateins und der Kanzleisprache eine das lebendige Sprachgefühl und Sprachgehör einengende oder gar verdrängende, das Sprachbewußtsein immer mehr be- herrschende Autorität gewinnen, durch die einzig dem Wort in seiner 1 Vgl. darüber unten § 83, 1, S. 275 und oben § 43, S. 217 zu 3, 10; 9, 8; 17, 16; 29, 6f. Ferner die Beispiele in der aus Schlesien oder Nordböhmen stammenden Heidelberger Handschrift des 14. Jahrhunderts (cod. Palat. germ. 341) bei Rosenhagen, Deutsche Texte des Mittelalters, Bd. 17, Berlin 1909 S. XXVIf. 2 Vgl. Michels, § 178, S. 142f.
256 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. zu beobachten ist, daß die Wortabteilungen vielfach nicht deutlich sind1. Unsere modernen wissenschaftlichen Textabdrucke versagen in dieser Frage meistens. Der orthographische Zwiespalt zwischen wortsonderndem grammati- schem Schematismus und satzphonetischer Feinhörigkeit verquickt sich bekanntlich bei Otfried mit dem metrischen Problem, das er als Syn- aloepha zusammenfaßt. Auch die aus altenglischer Schreibkunst über- nommene althochdeutsche, besonders von Otfried und Notker dem Deutschen geregelte Verwendung von Akzenten, nicht weniger die in den althoch- deutschen und mittelhochdeutschen Handschriften weit verbreitete Gewohn- heit, die Konsonanten eines Wortstamms, sobald sie im Auslaut stehen, zu verändern, also weiche Verschlußlaute zu verhärten, gedehnte Kon- sonanten (Geminaten) zu vereinfachen, desgleichen das sogenannte Not- kersche Anlautsgesetz, das noch in mittelhochdeutschen Handschriften auch poetischer Werke nachklingt2, haben alle das gemein, daß sie eine Durch- brechung des traditionellen graphischen univerbalen Schematismus zeigen und versuchen, nicht den Laut des Einxelworts, sondern seine Erscheinung in der Wortverbindung des Satxes auszudrücken. Besäßen wir genügend zahlreiche und wirklich buchstabengetreue Ab- drucke mittelalterlicher, also lateinischer und alt- und mittelhochdeutscher sowie frühneuhochdeutscher Handschriften und Urkunden, so ließe sich durch genaue statistische Untersuchung verfolgen, wann und wo die satz- phonetischen Schreibregeln aufkommen, wie groß ihr Geltungsbereich ist und wie lange sie dauern. Es ist das eine dringend gebotene Aufgabe künftiger Schriftsprachforschung. Soviel aber ist klar: diese satzphonetischen Schreibsitten sind zwar eine gesunde, erfreuliche Auflehnung gegen die lateinische Ortho- graphie und Sprachauffassung, aber sie führen nicht zu einer Neugestal- tung der konventionellen Schriftweise auf der Grundlage des Sandhi- prinzips. Diese Auflehnung bleibt ein Bruchstück, das bald abstirbt und verschwindet, nur in einzelnen Spuren später nachwirkt. Das univerbal- Prinzip, das Hand in Hand geht mit dem etymologischen, behält du Ubermacht und diese steigert sich, als im hohen Mittelalter, mehr noch an seinem Ende die grammatischen Studien und der Einfluß des Lateins und der Kanzleisprache eine das lebendige Sprachgefühl und Sprachgehör einengende oder gar verdrängende, das Sprachbewußtsein immer mehr be- herrschende Autorität gewinnen, durch die einzig dem Wort in seiner 1 Vgl. darüber unten § 83, 1, S. 275 und oben § 43, S. 217 zu 3, 10; 9, 8; 17, 16; 29, 6f. Ferner die Beispiele in der aus Schlesien oder Nordböhmen stammenden Heidelberger Handschrift des 14. Jahrhunderts (cod. Palat. germ. 341) bei Rosenhagen, Deutsche Texte des Mittelalters, Bd. 17, Berlin 1909 S. XXVIf. 2 Vgl. Michels, § 178, S. 142f.
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Zusammenfassende Charakteristik. 257 Isolierung schriftsprachliche Existenzberechtigung zugeschrieben wird1. Trotzdem macht sich in der Schriftsprache des ausgehenden Mittelalters wie der folgenden Zeit auch jener frühere, naivere und zugleich hell- hörigere Trieb zu satxphonetischer Schreibweise vielfältig bemerkbar, die Schulnorm der Sprachwiedergabe durchkreuxend. Die genauc Untersuchung dieser divergenten Kräfte der deutschen Sprachentwicklung und Sprachaufzeichnung ist, wie mir scheint, äußerst wichtig. 2. Nachdem Jacob Grimm und Lachmann wie ihre unmittelbaren Schüler neben der Erkenntnis lautgesetzlicher Mächte im Sprachleben doch immer auch das Wirken einer Sprachnorm, einer künstlichen Sprach- ausgleichung angenommen und es sich unter dem wechselnden Begriff einer Hofsprache vorgestellt hatten, führte die Vertiefung und Verfeine- rung der althochdeutschen Sprachstudien auf dem Wege der Mundarten- forschung, der Phonetik, der Heranzichung der Orts- und Personennamen, der eindringlichen Durchleuchtung des Glossenmaterials, der zeitlichen und örtlichen Festlegung unserer sprachlichen und literarischen Denk- mäler zwangsläufig zu einer mehr und mehr naturalistischen Auf- fassung. Bekanntlich hat diese ihren radikalsten Ausdruck gefunden in Franz Pſeiffers und Hermann Pauls Lehre, es habe im Mittelalter keine deutsche Schriftsprache gegeben, d. h. es habe jeder Dichter, Schriftsteller und Schreiber damals im wesentlichen eben nur mundartliche Sprache geschrieben und sich niemals grundsätzlich bemüht, in der Schrift andere Laute und Formen anzuwenden als im gesprochnen und gehörten Dialekt. Diesen naturalistischen Standpunkt in der Beurteilung des kompli- zierten Problems hat die gegenwärtige germanistische Forschung wohl längst allgemein aufgegeben. Vom althochdeutschen Gebiet aus halfen dazu besonders die schrift- und schrcibungsgeschichtlichen Untersuchungen 1 Weit entfernt ist dieses wortisolierende Sprachbewußtsein von moderner phonetischer Auffassung. Wie wäre sonst die seit dem Ausgang des Mittel- alters sich durchsetzende, die nordische Kanzleiorthographie, die Bücherschrift und später auch noch den Bücherdruck bis ins 17. Jahrhundert beherrschende Regelung des Gebrauchs der Buchstaben v und u begreiflich, die den modernen Sprachsinn so überaus befremdet? Sie gehört zum charakteristischen Kostüm der Zeit und ist deshalb gegen den nicht au billigenden Brauch der meisten modernen Editionen spätmittelalterlicher Texte und Urkunden in der vorliegenden Ausgabe beibehalten. Diese spätmittelalterliche Schreibweise benutzt u und v nicht wie wir heute, um Lautwerte xu unterscheiden, also Vokal und Konsonant zu trennen. Vielmehr sind ihr die beiden Zeichen nur Marken für die Iso- lierung der Worteinheiten: das v steht am Wortansang für Vokal und Kon- sonant, das u im Wortinnern gleichfalls für Vokal und Konsonant. — Das all- gemeine sprachgeschichtliche Problem, um das es sich hier im Grunde handelt beleuchtet lehrreich auch für den Germanisten Ferdinand Sommer, Hand- buch der lateinischen Laut- und Formenlehre, 2. und 3. Aufl. Heidelberg 1914 § 160. S. 275 ff.; § 166. S. 287f.
Zusammenfassende Charakteristik. 257 Isolierung schriftsprachliche Existenzberechtigung zugeschrieben wird1. Trotzdem macht sich in der Schriftsprache des ausgehenden Mittelalters wie der folgenden Zeit auch jener frühere, naivere und zugleich hell- hörigere Trieb zu satxphonetischer Schreibweise vielfältig bemerkbar, die Schulnorm der Sprachwiedergabe durchkreuxend. Die genauc Untersuchung dieser divergenten Kräfte der deutschen Sprachentwicklung und Sprachaufzeichnung ist, wie mir scheint, äußerst wichtig. 2. Nachdem Jacob Grimm und Lachmann wie ihre unmittelbaren Schüler neben der Erkenntnis lautgesetzlicher Mächte im Sprachleben doch immer auch das Wirken einer Sprachnorm, einer künstlichen Sprach- ausgleichung angenommen und es sich unter dem wechselnden Begriff einer Hofsprache vorgestellt hatten, führte die Vertiefung und Verfeine- rung der althochdeutschen Sprachstudien auf dem Wege der Mundarten- forschung, der Phonetik, der Heranzichung der Orts- und Personennamen, der eindringlichen Durchleuchtung des Glossenmaterials, der zeitlichen und örtlichen Festlegung unserer sprachlichen und literarischen Denk- mäler zwangsläufig zu einer mehr und mehr naturalistischen Auf- fassung. Bekanntlich hat diese ihren radikalsten Ausdruck gefunden in Franz Pſeiffers und Hermann Pauls Lehre, es habe im Mittelalter keine deutsche Schriftsprache gegeben, d. h. es habe jeder Dichter, Schriftsteller und Schreiber damals im wesentlichen eben nur mundartliche Sprache geschrieben und sich niemals grundsätzlich bemüht, in der Schrift andere Laute und Formen anzuwenden als im gesprochnen und gehörten Dialekt. Diesen naturalistischen Standpunkt in der Beurteilung des kompli- zierten Problems hat die gegenwärtige germanistische Forschung wohl längst allgemein aufgegeben. Vom althochdeutschen Gebiet aus halfen dazu besonders die schrift- und schrcibungsgeschichtlichen Untersuchungen 1 Weit entfernt ist dieses wortisolierende Sprachbewußtsein von moderner phonetischer Auffassung. Wie wäre sonst die seit dem Ausgang des Mittel- alters sich durchsetzende, die nordische Kanzleiorthographie, die Bücherschrift und später auch noch den Bücherdruck bis ins 17. Jahrhundert beherrschende Regelung des Gebrauchs der Buchstaben v und u begreiflich, die den modernen Sprachsinn so überaus befremdet? Sie gehört zum charakteristischen Kostüm der Zeit und ist deshalb gegen den nicht au billigenden Brauch der meisten modernen Editionen spätmittelalterlicher Texte und Urkunden in der vorliegenden Ausgabe beibehalten. Diese spätmittelalterliche Schreibweise benutzt u und v nicht wie wir heute, um Lautwerte xu unterscheiden, also Vokal und Konsonant zu trennen. Vielmehr sind ihr die beiden Zeichen nur Marken für die Iso- lierung der Worteinheiten: das v steht am Wortansang für Vokal und Kon- sonant, das u im Wortinnern gleichfalls für Vokal und Konsonant. — Das all- gemeine sprachgeschichtliche Problem, um das es sich hier im Grunde handelt beleuchtet lehrreich auch für den Germanisten Ferdinand Sommer, Hand- buch der lateinischen Laut- und Formenlehre, 2. und 3. Aufl. Heidelberg 1914 § 160. S. 275 ff.; § 166. S. 287f.
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258 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. Müllenhoffs, Heinzels, Scherers, Braunes, Sievers', Kauffmanns, Jellineks und anderer, auf deren Fruchtbarkeit ich schon vor vielen Jahren nach- drücklich hinzuweisen Gelegenheit hatte 1. Ich habe später, nachdem nun auch aus dem Bereich der mittelhochdeutschen Dichter- und Literatur- sprache die scharfsinnigen und umfassenden Untersuchungen von Carl Kraus, Konrad Zwierzina, Gustav Roethe, die wichtigen Ergebnisse aus Wenkers Deutschem Sprachatlas und die sachlich wie methodologisch fördernden Berichte und Folgerungen Ferdinand Wredes das Verhältnis von Mundart und Schriftsprache in neue Beleuchtung gerückt hatten, in einer Akademieabhandlung 'Schrift und Sprachbewußtsein im Althoch- deutschen', die eine Vorarbeit war für meine Geschichte der deutschen Sprache, gestützt auf mannigfaltige Beobachtungen an althochdeutschem Sprachmaterial, dargelegt, daß die schriftliche Uberlieferung des Althoch- deutschen auf Grund der karolingischen Schriftreform und der gramma- tischen Tendenzen der christlich-literarischen Renaissance Karls des Großen mit den Mitteln der lateinischen Orthographie auszukommen sucht, daher nur ein Kompromiß zwischen den gesprochenen Lauten und einer fixier- baren Normalform gibt, während darüber hinausgehende Versuche, Quan- tität und Satxphonetik (Enklise, Wortkürzung, Anlautsassimilation) zu bezeichnen, nicht durchdringen. Ich hatte an diese Ausführungen die Forderung geknüpft, daß die althochdeutsche Sprachwissenschaft in engerer Fühlung mit Ergebnissen und Methode der mittelalterlichen lateinischen Paläographie und Diplomatik und in gesteigerter Beachtung der urkund- lichen Niederschriften unserer Sprachtexte die Bestimmung des graphischen oder lautlichen Wertes der mannigfach sich wandelnden Schreibungen einer Revision unterziehen muß2. In dieser Richtung sind denn auch seitdem zu meiner Freude die beträchtlichsten Fortschritte auf dem Felde der althochdeutschen Sprach- kunde gewonnen. Die grammatischen Darstellungen von Joseph Schatz und Johannes Franck, die Neubearbeitung, der Wilhelm Braune seine mustergültige Althochdeutsche Grammatik mit rühmlichem Weitblick unterzogen hat, Aufsätxe und Schriften Otto Behaghels3, Viktor 1 Vgl. meine Vorrede xu Scherers Kleinen Schriften, Band I, Berlin 1893, S. XIVf. 2 Vgl. das Referat Sitzb. der Berliner Akademie der Wissenschaften 1908. S. 433. Die bisher noch nicht gedruckte Ahbandlung wurde am 23. April 1908 vorgetragen: eine tragische Figung wollte, daß ich an jenem Nachmittag auf dem Wege zu der Akademiesitzung, in der ich über die Vertiefung und Stärkung der althochdeutschen Schrift- und Sprachstudien durch ihre Verknüpfung und ihr Zusammenwirken, auf Theodor Sickels grundlegenden Forschungen fußend redete, das Zeitungsblatt empfangen hatte, das den Tod des großen Diplomatikers meldete. 3 Hervorheben möchte ich namentlich Behaghels Darstellung des schrift- und gemeinsprachlichen Problems in seiner Geschichte der Deutschen Sprache4 Straßburg 1916.
258 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. Müllenhoffs, Heinzels, Scherers, Braunes, Sievers', Kauffmanns, Jellineks und anderer, auf deren Fruchtbarkeit ich schon vor vielen Jahren nach- drücklich hinzuweisen Gelegenheit hatte 1. Ich habe später, nachdem nun auch aus dem Bereich der mittelhochdeutschen Dichter- und Literatur- sprache die scharfsinnigen und umfassenden Untersuchungen von Carl Kraus, Konrad Zwierzina, Gustav Roethe, die wichtigen Ergebnisse aus Wenkers Deutschem Sprachatlas und die sachlich wie methodologisch fördernden Berichte und Folgerungen Ferdinand Wredes das Verhältnis von Mundart und Schriftsprache in neue Beleuchtung gerückt hatten, in einer Akademieabhandlung 'Schrift und Sprachbewußtsein im Althoch- deutschen', die eine Vorarbeit war für meine Geschichte der deutschen Sprache, gestützt auf mannigfaltige Beobachtungen an althochdeutschem Sprachmaterial, dargelegt, daß die schriftliche Uberlieferung des Althoch- deutschen auf Grund der karolingischen Schriftreform und der gramma- tischen Tendenzen der christlich-literarischen Renaissance Karls des Großen mit den Mitteln der lateinischen Orthographie auszukommen sucht, daher nur ein Kompromiß zwischen den gesprochenen Lauten und einer fixier- baren Normalform gibt, während darüber hinausgehende Versuche, Quan- tität und Satxphonetik (Enklise, Wortkürzung, Anlautsassimilation) zu bezeichnen, nicht durchdringen. Ich hatte an diese Ausführungen die Forderung geknüpft, daß die althochdeutsche Sprachwissenschaft in engerer Fühlung mit Ergebnissen und Methode der mittelalterlichen lateinischen Paläographie und Diplomatik und in gesteigerter Beachtung der urkund- lichen Niederschriften unserer Sprachtexte die Bestimmung des graphischen oder lautlichen Wertes der mannigfach sich wandelnden Schreibungen einer Revision unterziehen muß2. In dieser Richtung sind denn auch seitdem zu meiner Freude die beträchtlichsten Fortschritte auf dem Felde der althochdeutschen Sprach- kunde gewonnen. Die grammatischen Darstellungen von Joseph Schatz und Johannes Franck, die Neubearbeitung, der Wilhelm Braune seine mustergültige Althochdeutsche Grammatik mit rühmlichem Weitblick unterzogen hat, Aufsätxe und Schriften Otto Behaghels3, Viktor 1 Vgl. meine Vorrede xu Scherers Kleinen Schriften, Band I, Berlin 1893, S. XIVf. 2 Vgl. das Referat Sitzb. der Berliner Akademie der Wissenschaften 1908. S. 433. Die bisher noch nicht gedruckte Ahbandlung wurde am 23. April 1908 vorgetragen: eine tragische Figung wollte, daß ich an jenem Nachmittag auf dem Wege zu der Akademiesitzung, in der ich über die Vertiefung und Stärkung der althochdeutschen Schrift- und Sprachstudien durch ihre Verknüpfung und ihr Zusammenwirken, auf Theodor Sickels grundlegenden Forschungen fußend redete, das Zeitungsblatt empfangen hatte, das den Tod des großen Diplomatikers meldete. 3 Hervorheben möchte ich namentlich Behaghels Darstellung des schrift- und gemeinsprachlichen Problems in seiner Geschichte der Deutschen Sprache4 Straßburg 1916.
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Zusammenfassende Charakteristik. 259 Michels' und mancher jüngeren Germanisten (z. B. Lessiaks u. a.) be- zeugen, wie viel vorsichtiger und schärfer man heute die Grenzen zwischen Laut und Schriftzeichen zieht, welch erheblichen Spielraum man heute der graphischen Tradition gegenüber der natürlichen Sprachentwicklung einräumt. Parallel mit jenen schreibungsgeschichtlichen Forschungen, die der alt- deutschen Sprachwissenschaft neues Licht zuführen durch schärfere Beob- achtung einerseits der graphischen Tradition, anderseits der mittelalterlichen Versuche, über diese Tradition hinauszudringen und zu einer lebendigeren Schreibung zu gelangen, gehen seit geraumer Zeit von entgegengesetzter Seite kommende scharfsinnige Untersuchungen, die das Verständnis der angewendeten Schriftzeichen phonetisch mit verfeinerten Gesichtspunkten aus der Betonung und Melodie erschließen1. Neuerdings sind hier namentlich die Arbeiten von Eduard Sievers für unsere Erkenntnis fruchtbar2. Den bereits in der Sprachwissenschaft eingebürgerten Begriff Satzdubletten und die Lehre, daß eine einst einheitliche Wortform im Laufe ihrer Geschichte durch satzphonetische Einflüsse in Unterformen gespalten werden könne, deren Gebrauch sich dann zunächst nach der satzphonetischen Stellung richtete, während später auch wieder Gebrauchs- ausgleichungen oder -verschiebungen eintreten konnten, will Sievers er- 1 Vgl. die reiche und anregende Ubersicht der Wirkungen des Akxents, namentlich auch der satzphonetischen Betonung in Behaghels eben genanntem Buch § 89—131b, S. 103—134. — Daß der germanische Akxent in der psy- chischen Sphäre wurzelt, daß er dem Ausdruck und der Abstufung der Bedeu- tung von Worten und Sätzen dient, hat neuerdings für das Englische wie für das Deutsche Lorenz Morsbach, Grammatisches und psychologisches Ge- schlecht im Englischen, 2. Aufl., Berlin, Weidmann, 1926, S. 3 f. 5. 34. 36f. unter Berufung auf Scherer mit Recht betont, leider nur in Andeutungen und in Verweisen auf verwandte Untersuchungen jüngerer Gelehrter. Die heute herrschende wissenschaftliche Auffassung wertet wohl überhaupt die Betonungs- gesetze des Germanischen nicht mehr rein physiologisch als mechanischen Faktor. Anderseits darf man, scheint mir, das Wirken gewisser rhythmisch-musikalischer Eigenkräfte in der Betonung nicht leugnen. 2 Ed. Sievers, Steigton und Fallton im Althochdeutschen. Mit besonderer Berücksichtigung von Otfrids Evangelienbuch (Festschrift Braune, Dortmund, Ruhfus, 1920, S. 148—198; als Sonderdruck ebenda 1925); Derselbe, Zur Laut- lehre des ahd. Isidor. Wien, Österreich. Bundesverlag 1925 (Festschr. d. akadem. Germanistenvereins). — In der letztgenannten Abhandlung, die mir erst nach Niederschrift der obigen Darlegung zugeht, glaubt Sievers S. 5 beobachten zu- können, daß bei Otfried Umlaut und Nichtumlaut’ der starken Präterita [lies: und der Präteritopräsentia] vor folgenden enklitischen i sich nach Steig- und Fallton richten: also x. B. még ih I 4, 55, aber màg ih; uuàs iz I 15, 9, aber uués iz II I, 8: drénk ih II 8, 52, aber drànk ih II 9, 25; skél iz II 7, 16, aber scàl ih 117, 4. — Syntaktische Folgerungen zicht aus den satzphonetischen Verschiedenheiten jetzt Fritz Karg, Germanica, Sievers-Festschrift, Halle a. S. Max Niemeyer, 1925, S. 445—477.
Zusammenfassende Charakteristik. 259 Michels' und mancher jüngeren Germanisten (z. B. Lessiaks u. a.) be- zeugen, wie viel vorsichtiger und schärfer man heute die Grenzen zwischen Laut und Schriftzeichen zieht, welch erheblichen Spielraum man heute der graphischen Tradition gegenüber der natürlichen Sprachentwicklung einräumt. Parallel mit jenen schreibungsgeschichtlichen Forschungen, die der alt- deutschen Sprachwissenschaft neues Licht zuführen durch schärfere Beob- achtung einerseits der graphischen Tradition, anderseits der mittelalterlichen Versuche, über diese Tradition hinauszudringen und zu einer lebendigeren Schreibung zu gelangen, gehen seit geraumer Zeit von entgegengesetzter Seite kommende scharfsinnige Untersuchungen, die das Verständnis der angewendeten Schriftzeichen phonetisch mit verfeinerten Gesichtspunkten aus der Betonung und Melodie erschließen1. Neuerdings sind hier namentlich die Arbeiten von Eduard Sievers für unsere Erkenntnis fruchtbar2. Den bereits in der Sprachwissenschaft eingebürgerten Begriff Satzdubletten und die Lehre, daß eine einst einheitliche Wortform im Laufe ihrer Geschichte durch satzphonetische Einflüsse in Unterformen gespalten werden könne, deren Gebrauch sich dann zunächst nach der satzphonetischen Stellung richtete, während später auch wieder Gebrauchs- ausgleichungen oder -verschiebungen eintreten konnten, will Sievers er- 1 Vgl. die reiche und anregende Ubersicht der Wirkungen des Akxents, namentlich auch der satzphonetischen Betonung in Behaghels eben genanntem Buch § 89—131b, S. 103—134. — Daß der germanische Akxent in der psy- chischen Sphäre wurzelt, daß er dem Ausdruck und der Abstufung der Bedeu- tung von Worten und Sätzen dient, hat neuerdings für das Englische wie für das Deutsche Lorenz Morsbach, Grammatisches und psychologisches Ge- schlecht im Englischen, 2. Aufl., Berlin, Weidmann, 1926, S. 3 f. 5. 34. 36f. unter Berufung auf Scherer mit Recht betont, leider nur in Andeutungen und in Verweisen auf verwandte Untersuchungen jüngerer Gelehrter. Die heute herrschende wissenschaftliche Auffassung wertet wohl überhaupt die Betonungs- gesetze des Germanischen nicht mehr rein physiologisch als mechanischen Faktor. Anderseits darf man, scheint mir, das Wirken gewisser rhythmisch-musikalischer Eigenkräfte in der Betonung nicht leugnen. 2 Ed. Sievers, Steigton und Fallton im Althochdeutschen. Mit besonderer Berücksichtigung von Otfrids Evangelienbuch (Festschrift Braune, Dortmund, Ruhfus, 1920, S. 148—198; als Sonderdruck ebenda 1925); Derselbe, Zur Laut- lehre des ahd. Isidor. Wien, Österreich. Bundesverlag 1925 (Festschr. d. akadem. Germanistenvereins). — In der letztgenannten Abhandlung, die mir erst nach Niederschrift der obigen Darlegung zugeht, glaubt Sievers S. 5 beobachten zu- können, daß bei Otfried Umlaut und Nichtumlaut’ der starken Präterita [lies: und der Präteritopräsentia] vor folgenden enklitischen i sich nach Steig- und Fallton richten: also x. B. még ih I 4, 55, aber màg ih; uuàs iz I 15, 9, aber uués iz II I, 8: drénk ih II 8, 52, aber drànk ih II 9, 25; skél iz II 7, 16, aber scàl ih 117, 4. — Syntaktische Folgerungen zicht aus den satzphonetischen Verschiedenheiten jetzt Fritz Karg, Germanica, Sievers-Festschrift, Halle a. S. Max Niemeyer, 1925, S. 445—477.
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260 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. weitern, indem er für die Wechselschreibungen den satzphonetischen Schlüssel findet und die ihnen zugrunde liegende Klangregel in den satzmelodischen Verhältnissen entdeckt. Diesen Formulierungen gegenüber möchte ich ein Bedenken aussprechen: eine einheitliche Wortform, die sich spaltet’, ist doch nur eine wirklichkeitsferne abstrakte Konstruktion. Realität besitzen und besaßen von Anfang an, so lange es die uns geschichtlich überlieferte Sprache gibt, nicht einheitliche Wortformen, sondern durch satzphonetische Gründe bedingte Wortformvarietäten. 3. Diese Varietäten der Wortformen dürften allerdings schwerlich sich allein aus Tonrichtung (glattem oder schleifendem Steigton oder Fallton). Tonbindung (zwei Tönen entgegengesetzter Richtung in einer Silbe), Ton- lage ergeben. Sie sind meines Erachtens vielmehr hervorgerufen auch noch zweitens durch die Kreuxung, durch das Nebeneinander- und Gegen- einanderwirken des hoch- oder schriftsprachlichen und des mundartlichen Sprachtriebs, ferner drittens durch das unablässige Ringen verschiedener Mundarten und mundartlich basierter Kunstsprachen (Umgangssprache, Gesellschaftssprache, Dichtersprache, Predigtsprache, Rechtssprache, Kanzlei- sprache) um die Führung (Dialektmischung), und viertens, aber sicher- lich schon seit den frühesten Anfängen deutscher Schrift und in weitem Umfang durch den oben dargelegten Zwiespalt und Kampf zwischen der orthographischen univerbalen Konvenienz und dem naturalistischen Drange nach lauttreuer, also satzphonetischer Sprachaufzeichnung 1. Endlich tritt 1 Nach Niederschrift dieser Zeilen lese ich im neuesten Heft der Zeitschr. für deutsches Altertum (Bd. 63, 1926, Heft 1, S. 4f.) Zwierzinas wichtigen Aufsatz 'Schwankungen im Gebrauch der mhd. e-Laute' und seine auf einen, von mir bisher übersehenen Wink Ehrismanns (Zeitschrift für deutsche Philo- logie 1901, Bd. 33, S. 512f. Anmerkung und S. 513) xurückgreifende Ableitung der in der mhd. Dichtersprache neben tëte, wëste (mit offenem e verbreiteten tete weste (mit geschlossenem e) aus der Umlaut wirkenden Enklise tetich. tetiz, westich, westiz (nach Otfrieds Typus megih, skeliz). In diesem unab- hängigen Zusammentreffen meiner schreibungs- und sprachgeschichtlichen Wer- tung jener Otfriedischen Formen aus dem Jahr 1908 mit deren satxphonetischer Deutung durch Sievers und ihrer satxphonetischen wie literarisch-dichtersprach- lichen Beleuch ung durch Ehrismann-Zwierxina darf man wohl nach der von John Meier (Mitteilungen der Münchener Deutschen Akademie 4. Heft, April 1926, S. 129f.) empfolilenen Formel Und als die Zeit erfüllet war' ein gleich- sam gesetzmäßiges Hervortreten verwandter Gedanken und Tendenzen an ver- schiedenen Stellen aus gemeinsamem wissenschaftlichem Nährboden erblicken. Allerdings möchte ich entschieden warnen, diese Formel und diese Auffassung bei fast allen neuen geistigen Entdeckungen und Bewegungen' anzuwenden. Wer das im Ernst versucht, erstickt jede geschichtliche Erkenntnis, übrigens gerade auch die sprachgeschichtliche (man denke z. B. an Lautverschiebung. Umlaut, Diphthongierungen und an alle unsere sprachlichen Datierungen und Lokalisierungen altdeutscher Literaturdenkmäler!), von der literar- und kunst- historischen Wissenschaft xu geschweigen.
260 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. weitern, indem er für die Wechselschreibungen den satzphonetischen Schlüssel findet und die ihnen zugrunde liegende Klangregel in den satzmelodischen Verhältnissen entdeckt. Diesen Formulierungen gegenüber möchte ich ein Bedenken aussprechen: eine einheitliche Wortform, die sich spaltet’, ist doch nur eine wirklichkeitsferne abstrakte Konstruktion. Realität besitzen und besaßen von Anfang an, so lange es die uns geschichtlich überlieferte Sprache gibt, nicht einheitliche Wortformen, sondern durch satzphonetische Gründe bedingte Wortformvarietäten. 3. Diese Varietäten der Wortformen dürften allerdings schwerlich sich allein aus Tonrichtung (glattem oder schleifendem Steigton oder Fallton). Tonbindung (zwei Tönen entgegengesetzter Richtung in einer Silbe), Ton- lage ergeben. Sie sind meines Erachtens vielmehr hervorgerufen auch noch zweitens durch die Kreuxung, durch das Nebeneinander- und Gegen- einanderwirken des hoch- oder schriftsprachlichen und des mundartlichen Sprachtriebs, ferner drittens durch das unablässige Ringen verschiedener Mundarten und mundartlich basierter Kunstsprachen (Umgangssprache, Gesellschaftssprache, Dichtersprache, Predigtsprache, Rechtssprache, Kanzlei- sprache) um die Führung (Dialektmischung), und viertens, aber sicher- lich schon seit den frühesten Anfängen deutscher Schrift und in weitem Umfang durch den oben dargelegten Zwiespalt und Kampf zwischen der orthographischen univerbalen Konvenienz und dem naturalistischen Drange nach lauttreuer, also satzphonetischer Sprachaufzeichnung 1. Endlich tritt 1 Nach Niederschrift dieser Zeilen lese ich im neuesten Heft der Zeitschr. für deutsches Altertum (Bd. 63, 1926, Heft 1, S. 4f.) Zwierzinas wichtigen Aufsatz 'Schwankungen im Gebrauch der mhd. e-Laute' und seine auf einen, von mir bisher übersehenen Wink Ehrismanns (Zeitschrift für deutsche Philo- logie 1901, Bd. 33, S. 512f. Anmerkung und S. 513) xurückgreifende Ableitung der in der mhd. Dichtersprache neben tëte, wëste (mit offenem e verbreiteten tete weste (mit geschlossenem e) aus der Umlaut wirkenden Enklise tetich. tetiz, westich, westiz (nach Otfrieds Typus megih, skeliz). In diesem unab- hängigen Zusammentreffen meiner schreibungs- und sprachgeschichtlichen Wer- tung jener Otfriedischen Formen aus dem Jahr 1908 mit deren satxphonetischer Deutung durch Sievers und ihrer satxphonetischen wie literarisch-dichtersprach- lichen Beleuch ung durch Ehrismann-Zwierxina darf man wohl nach der von John Meier (Mitteilungen der Münchener Deutschen Akademie 4. Heft, April 1926, S. 129f.) empfolilenen Formel Und als die Zeit erfüllet war' ein gleich- sam gesetzmäßiges Hervortreten verwandter Gedanken und Tendenzen an ver- schiedenen Stellen aus gemeinsamem wissenschaftlichem Nährboden erblicken. Allerdings möchte ich entschieden warnen, diese Formel und diese Auffassung bei fast allen neuen geistigen Entdeckungen und Bewegungen' anzuwenden. Wer das im Ernst versucht, erstickt jede geschichtliche Erkenntnis, übrigens gerade auch die sprachgeschichtliche (man denke z. B. an Lautverschiebung. Umlaut, Diphthongierungen und an alle unsere sprachlichen Datierungen und Lokalisierungen altdeutscher Literaturdenkmäler!), von der literar- und kunst- historischen Wissenschaft xu geschweigen.
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Zusammenfassende Charakteristik. 261 dazu fünftens, in der Prosa mindestens seit dem dreizehnten Jahrhundert in stärkerem Maße, der bewußt oder gefühlsmäßig empfangene Einfluß der aus der Rhetorik des Altertums ererbten, in der Geheimtradition van Lehre und Praxis, aber auch in schriftlicher Theorie fortgepflanzten lateinischen Rhythmuskunst, insbesondere des für die Satzschlüsse (und Satzanfänge) festgelegten Cursus (s. oben S. 54—57, 85, 99—104, 106—111, 207—229). Alle bisherigen Untersuchungen über die Satz- phonetik und Satzmelodik der altdeutschen Sprache haben diese mittel- alterliche, auf antiker Tradition und Terminologie fußende, aber zugleich vom Rhythmus der modernen Sprache geleitete künstliche Regelung des Satztons außer acht gelassen. Wir dürfen aber nicht mittelalterliche Prosa mit dem Maßstab der natürlichen Betonung gegenwärtiger Mundart oder Umgangssprache oder Hochsprache (Schrift- und Bühnensprache) beurteilen. Das ist cin Anachronismus, der unvermeidlich zu schweren Fehlschlüssen führt. Doch hat die Forschung auf diesem schwierigen Gebiet erst zu beginnen. Aber genug der methodologischen Betrachtung. 4. Jedesfalls bleibt noch viel zu tun, um für die Geschichte der mittel- hochdeutschen und vollends der newhochdeutschen Schriftsprache, obgleich auch ihr nach langer Vernachlässigung das wissenschatliche Interesse seit geraumer Zeit sich lebhaft in förderlichen Arbeiten zugewendet hat, auf den beschriebenen newen Bahnen dem Ziel nahezukommen. Und vielleicht wird sich nichts fruchtbarer erweisen als die endliche entschlos- senste Durchführung und praktische Anwendung des Grundsatzes, den unsere vertiefte Erkenntnis des Geltungsbereiches lautlicher Gesetze der sprachgeschichtlichen Forschung eingeschärft hat, einschärft und immer nachdrücklicher einschärfen wird: die sogenannten Lautgesetze wirken in den Sprechenden niemals an einzelnen Lauten, sondern immer nur am cinzelnen Wort oder an Wortgruppen oder an Sätzen; in der geschriebenen Sprache aber kennt das Sprachbewußtsein des ausgehenden Mittelalters nicht den Zwang der Konsequenz und einheitlichen Lautbehandlung, die wir, an modernes sprachgeschichtliches Denken gewöhnt, als natürlich, ja selbstverständlich sehr mit Unrecht voraussetzen, sondern es waltet in weitem Umfang die Freiheit der Zwei- oder Mehrformigkeit, ja in ge- wissen Fällen gilt offenbar, wie ich oben S. 249 bemerkte, diese Zwei- oder Mehrformigkeit den Schreibenden als Vorzug, als Schmuck der Sprache. § 81. Umlaut. 1. Für unsere schlesischen Briefmuster ist der eben dargelegte Gesichts- punkt nicht ohne Bedeutung, wenn auch natürlich ihr an Umfang schr begrenztes, durch die Art der Uberlieferung stark bedingtes Sprachmaterial der Beobachtung und Folgerung sehr enge Schranken setzt. Wir sehen aber deutlich, wie gewisse Schwankungen der Laute und Formen in diesen Niederschriften überlieferte, ererbte oder unmittelbare, momentane Wir- kungen sind des orthographischen Konflikts, der aus der Unzulänglichkeit
Zusammenfassende Charakteristik. 261 dazu fünftens, in der Prosa mindestens seit dem dreizehnten Jahrhundert in stärkerem Maße, der bewußt oder gefühlsmäßig empfangene Einfluß der aus der Rhetorik des Altertums ererbten, in der Geheimtradition van Lehre und Praxis, aber auch in schriftlicher Theorie fortgepflanzten lateinischen Rhythmuskunst, insbesondere des für die Satzschlüsse (und Satzanfänge) festgelegten Cursus (s. oben S. 54—57, 85, 99—104, 106—111, 207—229). Alle bisherigen Untersuchungen über die Satz- phonetik und Satzmelodik der altdeutschen Sprache haben diese mittel- alterliche, auf antiker Tradition und Terminologie fußende, aber zugleich vom Rhythmus der modernen Sprache geleitete künstliche Regelung des Satztons außer acht gelassen. Wir dürfen aber nicht mittelalterliche Prosa mit dem Maßstab der natürlichen Betonung gegenwärtiger Mundart oder Umgangssprache oder Hochsprache (Schrift- und Bühnensprache) beurteilen. Das ist cin Anachronismus, der unvermeidlich zu schweren Fehlschlüssen führt. Doch hat die Forschung auf diesem schwierigen Gebiet erst zu beginnen. Aber genug der methodologischen Betrachtung. 4. Jedesfalls bleibt noch viel zu tun, um für die Geschichte der mittel- hochdeutschen und vollends der newhochdeutschen Schriftsprache, obgleich auch ihr nach langer Vernachlässigung das wissenschatliche Interesse seit geraumer Zeit sich lebhaft in förderlichen Arbeiten zugewendet hat, auf den beschriebenen newen Bahnen dem Ziel nahezukommen. Und vielleicht wird sich nichts fruchtbarer erweisen als die endliche entschlos- senste Durchführung und praktische Anwendung des Grundsatzes, den unsere vertiefte Erkenntnis des Geltungsbereiches lautlicher Gesetze der sprachgeschichtlichen Forschung eingeschärft hat, einschärft und immer nachdrücklicher einschärfen wird: die sogenannten Lautgesetze wirken in den Sprechenden niemals an einzelnen Lauten, sondern immer nur am cinzelnen Wort oder an Wortgruppen oder an Sätzen; in der geschriebenen Sprache aber kennt das Sprachbewußtsein des ausgehenden Mittelalters nicht den Zwang der Konsequenz und einheitlichen Lautbehandlung, die wir, an modernes sprachgeschichtliches Denken gewöhnt, als natürlich, ja selbstverständlich sehr mit Unrecht voraussetzen, sondern es waltet in weitem Umfang die Freiheit der Zwei- oder Mehrformigkeit, ja in ge- wissen Fällen gilt offenbar, wie ich oben S. 249 bemerkte, diese Zwei- oder Mehrformigkeit den Schreibenden als Vorzug, als Schmuck der Sprache. § 81. Umlaut. 1. Für unsere schlesischen Briefmuster ist der eben dargelegte Gesichts- punkt nicht ohne Bedeutung, wenn auch natürlich ihr an Umfang schr begrenztes, durch die Art der Uberlieferung stark bedingtes Sprachmaterial der Beobachtung und Folgerung sehr enge Schranken setzt. Wir sehen aber deutlich, wie gewisse Schwankungen der Laute und Formen in diesen Niederschriften überlieferte, ererbte oder unmittelbare, momentane Wir- kungen sind des orthographischen Konflikts, der aus der Unzulänglichkeit
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262 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. der rexipierten lateinischen Schrift und Schreibtradition für die deutsche Sprache entstanden war und sich immer wieder erneute oder wenigstens abspiegelte. Umlaut und Umlautshemmung, Quantität (Dehnung und Kürzung), Betonung, Lautgestaltung der Nebensilben — diese, oben von uns nicht oder nicht eingehend behandelten Gebiete sind es, wo die beiden Dar- stellungsweisen der Schriftsprache am sichtbarsten sich in Streit zeigen. Aber auch bei mancher Schwankung, die unsere Texte in bezug auf laut- gesetzliche Norm von Einzelerscheinungen bekunden, wird man zur Er- klärung das Gegeneinanderwirken des Wort- und des Satzbildes im Sprach- bewußtsein berücksichtigen müssen. Unsere Texte liegen uns in mehrfach abgeleiteter Uberlieferung vor. Mit Umschrift des Originals, mehrmaliger Umschrift sogar haben wir zu rechnen (s. oben S. 143). Und dazu tritt die, wie oben (S. 9f., 166) ausgeführt ist, allen derartigen Brief- und Urkundenmustern für den Kanzleibedarf gemeinsame Eigenschaft, daß sie sich ihrerseits nicht bloß stilistisch und sachlich, sondern auch, freilich ohne Konsequenz und fern von moderner orthographischer und grammatischer Strenge, nach Mustern richten. Endlich aber gesellt sich als dritte Quelle sprachlicher, ins- besondere lautlicher Vielgestalt die vorauszusetzende Beschaffenheit der zu- grunde liegenden schlesischen Mundart, die auf kolonialem Boden viel- fach den Charakter der Mischsprache trägt (s. oben S. 237f.). 2. Bei dieser Lage der Sache kommen wir hier nirgends zu festen Entscheidungen. Fehlt uns doch jedes Mittel, um den originalen Wort- laut und die originale Schreibweise von den Anderungen der Trans- skriptionen zu scheiden. Um so mehr aber müssen wir das schrift- sprachgeschichtlich so ungemein bedeutsame Ergebnis beachten, das eine genaue Analyse der Sprachform eines hundert Jahre älteren poetischen Denkmals schlesischer Herkunft bietet. In dem Gedicht über Ludwigs des Landgrafen von Thüringen Kreuxfahrt, das im Jahre 1301 für den Hof und wohl auch am Hofe Herxog Bolkos I. von Schweidnitz- Jauer von einem Geistlichen, wahrscheinlich seinem Hofkaplan, verfaßt wurde und das zweifellos von persönlichen wie literarischen Beziehungen xum böhmischen Königshof, zu Ottokar II. und Wenzel II., zur epischen Dichtersprache des an Wolframs Kunst gebildeten Deutschböhmen Ulrich von Eschenbach angeregt und befruchtet ist (s. unten Exkurse Nr. 4, d, S. 340f.), finden sich in großer Menge durch den Reim und metrische Erwägungen gesicherte Fälle sprachlicher, namentlich lautlicher Doppel- formen oder auch von Mehrformigkeiti. Es begegnen da im Reime: 1 Vgl. H. Naumanns Ausgabe (Mon. Germ. Scr. vernac. l. IV, 2), S. 185— 190, 193—199. So leitet auch in der schlesischen oder nordböhmischen Hand- schrift cod. Palat. german. 341 Rosenhagen a. a. O. S. XXIII. XXIVf. die Schwankungen zwischen ht und cht, sch. und s, k und c, ck und ch, iz und ez, was und waz (auch im Reim!) nicht aus Bewahrung der Orthographie ver-
262 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. der rexipierten lateinischen Schrift und Schreibtradition für die deutsche Sprache entstanden war und sich immer wieder erneute oder wenigstens abspiegelte. Umlaut und Umlautshemmung, Quantität (Dehnung und Kürzung), Betonung, Lautgestaltung der Nebensilben — diese, oben von uns nicht oder nicht eingehend behandelten Gebiete sind es, wo die beiden Dar- stellungsweisen der Schriftsprache am sichtbarsten sich in Streit zeigen. Aber auch bei mancher Schwankung, die unsere Texte in bezug auf laut- gesetzliche Norm von Einzelerscheinungen bekunden, wird man zur Er- klärung das Gegeneinanderwirken des Wort- und des Satzbildes im Sprach- bewußtsein berücksichtigen müssen. Unsere Texte liegen uns in mehrfach abgeleiteter Uberlieferung vor. Mit Umschrift des Originals, mehrmaliger Umschrift sogar haben wir zu rechnen (s. oben S. 143). Und dazu tritt die, wie oben (S. 9f., 166) ausgeführt ist, allen derartigen Brief- und Urkundenmustern für den Kanzleibedarf gemeinsame Eigenschaft, daß sie sich ihrerseits nicht bloß stilistisch und sachlich, sondern auch, freilich ohne Konsequenz und fern von moderner orthographischer und grammatischer Strenge, nach Mustern richten. Endlich aber gesellt sich als dritte Quelle sprachlicher, ins- besondere lautlicher Vielgestalt die vorauszusetzende Beschaffenheit der zu- grunde liegenden schlesischen Mundart, die auf kolonialem Boden viel- fach den Charakter der Mischsprache trägt (s. oben S. 237f.). 2. Bei dieser Lage der Sache kommen wir hier nirgends zu festen Entscheidungen. Fehlt uns doch jedes Mittel, um den originalen Wort- laut und die originale Schreibweise von den Anderungen der Trans- skriptionen zu scheiden. Um so mehr aber müssen wir das schrift- sprachgeschichtlich so ungemein bedeutsame Ergebnis beachten, das eine genaue Analyse der Sprachform eines hundert Jahre älteren poetischen Denkmals schlesischer Herkunft bietet. In dem Gedicht über Ludwigs des Landgrafen von Thüringen Kreuxfahrt, das im Jahre 1301 für den Hof und wohl auch am Hofe Herxog Bolkos I. von Schweidnitz- Jauer von einem Geistlichen, wahrscheinlich seinem Hofkaplan, verfaßt wurde und das zweifellos von persönlichen wie literarischen Beziehungen xum böhmischen Königshof, zu Ottokar II. und Wenzel II., zur epischen Dichtersprache des an Wolframs Kunst gebildeten Deutschböhmen Ulrich von Eschenbach angeregt und befruchtet ist (s. unten Exkurse Nr. 4, d, S. 340f.), finden sich in großer Menge durch den Reim und metrische Erwägungen gesicherte Fälle sprachlicher, namentlich lautlicher Doppel- formen oder auch von Mehrformigkeiti. Es begegnen da im Reime: 1 Vgl. H. Naumanns Ausgabe (Mon. Germ. Scr. vernac. l. IV, 2), S. 185— 190, 193—199. So leitet auch in der schlesischen oder nordböhmischen Hand- schrift cod. Palat. german. 341 Rosenhagen a. a. O. S. XXIII. XXIVf. die Schwankungen zwischen ht und cht, sch. und s, k und c, ck und ch, iz und ez, was und waz (auch im Reim!) nicht aus Bewahrung der Orthographie ver-
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Zusammenfassende Charakteristik. 263 a) Schwankungen hinsichtlich des Umlauts und Rückumlauts, wie die Dative vart neben verte, hant neben hende; die Partizipien geschant, verhart (von verherten) neben unverschert, ungezalt neben gezelt; bei langem a (mhd. â) das Präteritum kârten (von kêren) mit Rückumlaut neben unervêrt (Partizip von mhd. erværen) ohne Rück- umlaut; der Dativ Plur. gebâren (von gebâre) neben gebêren. b) Schwankungen in bezug auf Erhaltung oder Ausstoßung des schwachtonigen oder unbetonten e a) der Endung, z. B. die Adverbien starke neben starc, vaste neben vast, rîche und rîch, die Dative gebot und gebote, tal und tale, sun und sune, sige und sic, von gewalt und bi gewalde B) im Wortinnern, z. B. die Partixipien gefrit neben gefridet, versmit und versmidet, wobei die Proklitiken mite und mit, ane und an, darane und daran eine Sonderstellung einnehmen, weil ihre Doppel- formen noch teilweise sichtbar und fest nach dem Gewicht ihrer Betonung und ihrer syntaktischen Geltung geschieden sind1. c) Schwankungen in bezug auf den Schwund des auslautenden ch, n, r, wie hô neben hôch; gâ (jäh') neben gâch; na neben nâch; sâ neben sân, mê neben mêr, ê neben êr. d) Andere sprachliche, ursprünglich dialektisch verschiedene Doppel- formen, wie stân und stên, gân und gên, er gienc und er gie, vienc und vie, liez und lie, das starke Präteritum schrei und schrê neben dem schwachen schrîte und dem zu diesem gehörigen Partixip geschrit2. Offenbar spielt bei der Wahl der einzelnen Sprachformen das Reim- bedürfnis des mäßig begabten Dichters mit. Aber es ist doch ebenso sicher zugleich auch literarische Tradition in der Zulassung dieser Doppelformen wirksam. Wäre nicht auch von anderer Seite bereits früher das Beispiel dieses Eklektizismus gegeben worden, würde der Verfasser des Gedichts ihn nicht gewagt haben. Und daneben muß man auch rein sprachliche Motive anerkennen. Es ist gewiß nicht zufällig, daß dieser Dichter, nachdem er in Böhmen gelebt und am dortigen Hofe Eindrücke empfangen hat, die er begeistert rühmt, seine poetische Kreuz- zugserzählung am Hof des Herzogs von Schweidnitz-Jauer verfertigt. Böhmen war die Brücke, auf der von Thüringen und Bayern her Sprach- gut bayrischen, fränkischen und thüringischen Ursprungs, also Ober- deutsches und Mitteldeutsches, sich vereinigte. Die Handschrift des Ge- dichts, die von der Sprache des Originals ziemlich weit entfernt ist, wie auch schiedener Vorlagen her (z. B. ch für k im Wortanfang nicht nach einer bayrisch-österreichischen Vorlage), sondern aus der Freude an der Abwechslung des Schreibens. 1 Vgl. H. Jantzens (Zeitschr. f. deutsche Phil. Bd. 36, S. 19) Beobachtung für mit, das meist als Adverb zweisilbig, als Präposition einsilbig erscheint. 2 Vgl. darüber Michels, § 283, Anm. 2. 4, S. 229f.; § 284, S. 230f.; § 257, S. 208f.
Zusammenfassende Charakteristik. 263 a) Schwankungen hinsichtlich des Umlauts und Rückumlauts, wie die Dative vart neben verte, hant neben hende; die Partizipien geschant, verhart (von verherten) neben unverschert, ungezalt neben gezelt; bei langem a (mhd. â) das Präteritum kârten (von kêren) mit Rückumlaut neben unervêrt (Partizip von mhd. erværen) ohne Rück- umlaut; der Dativ Plur. gebâren (von gebâre) neben gebêren. b) Schwankungen in bezug auf Erhaltung oder Ausstoßung des schwachtonigen oder unbetonten e a) der Endung, z. B. die Adverbien starke neben starc, vaste neben vast, rîche und rîch, die Dative gebot und gebote, tal und tale, sun und sune, sige und sic, von gewalt und bi gewalde B) im Wortinnern, z. B. die Partixipien gefrit neben gefridet, versmit und versmidet, wobei die Proklitiken mite und mit, ane und an, darane und daran eine Sonderstellung einnehmen, weil ihre Doppel- formen noch teilweise sichtbar und fest nach dem Gewicht ihrer Betonung und ihrer syntaktischen Geltung geschieden sind1. c) Schwankungen in bezug auf den Schwund des auslautenden ch, n, r, wie hô neben hôch; gâ (jäh') neben gâch; na neben nâch; sâ neben sân, mê neben mêr, ê neben êr. d) Andere sprachliche, ursprünglich dialektisch verschiedene Doppel- formen, wie stân und stên, gân und gên, er gienc und er gie, vienc und vie, liez und lie, das starke Präteritum schrei und schrê neben dem schwachen schrîte und dem zu diesem gehörigen Partixip geschrit2. Offenbar spielt bei der Wahl der einzelnen Sprachformen das Reim- bedürfnis des mäßig begabten Dichters mit. Aber es ist doch ebenso sicher zugleich auch literarische Tradition in der Zulassung dieser Doppelformen wirksam. Wäre nicht auch von anderer Seite bereits früher das Beispiel dieses Eklektizismus gegeben worden, würde der Verfasser des Gedichts ihn nicht gewagt haben. Und daneben muß man auch rein sprachliche Motive anerkennen. Es ist gewiß nicht zufällig, daß dieser Dichter, nachdem er in Böhmen gelebt und am dortigen Hofe Eindrücke empfangen hat, die er begeistert rühmt, seine poetische Kreuz- zugserzählung am Hof des Herzogs von Schweidnitz-Jauer verfertigt. Böhmen war die Brücke, auf der von Thüringen und Bayern her Sprach- gut bayrischen, fränkischen und thüringischen Ursprungs, also Ober- deutsches und Mitteldeutsches, sich vereinigte. Die Handschrift des Ge- dichts, die von der Sprache des Originals ziemlich weit entfernt ist, wie auch schiedener Vorlagen her (z. B. ch für k im Wortanfang nicht nach einer bayrisch-österreichischen Vorlage), sondern aus der Freude an der Abwechslung des Schreibens. 1 Vgl. H. Jantzens (Zeitschr. f. deutsche Phil. Bd. 36, S. 19) Beobachtung für mit, das meist als Adverb zweisilbig, als Präposition einsilbig erscheint. 2 Vgl. darüber Michels, § 283, Anm. 2. 4, S. 229f.; § 284, S. 230f.; § 257, S. 208f.
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264 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. die Sprache des Originals gewiß nicht wenig von der natürlichen Sprache, sowohl von seinem Heimatsdialekt als von seiner im Hofleben angenom- menen Redeweise abstand, zeigt einen stärker schlesisch-mitteldeutsch ge- färbten Charakter. Sie ist in ihrer Mischung und Vielgestaltigkeit ein unschätzbares Hilfsmittel für die richtige Wertung der in unsern Brief- mustern erscheinenden Sprache, die gleichfalls kein Naturprodukt ist, sondern sich anschließt an eine schriftsprachliche Tradition teils auf lite- rarischer teils auf kanzleimäßiger Grundlage. Und auch für die Aus- bildung der Sprache der königlichen und der Reichskanzlei in Böhmen zu einem Werkzeug sprachlicher, administrativer und wirtschaftlicher Zu- sammenfassung und Einigung unter und durch Karl IV. war diese stark mitteldeutsch gefärbte Dichtersprache der böhmischen und schlesischen Höfe ein Vorbild der Schreibtradition, stützte und förderte die Annäherung der böhmischen Kanzleisprache an den mitteldeutschen Sprach- typus und die Abstoßung oder Milderung der bayrisch-österreichischen Bestandteile. Denn Karls IV. vielbesprochene großzügige Politik und Ver- waltungskunst hatte zum eigentlichen Ziel die enge Verbindung mit dem östlichen und nordöstlichen Deutschland. Wie er die Gebiete der Elbe, Oder, Moldau wirtschaftlich und staatlich verklammerte zu einer Ge- meinschaft, wie sich darin ein Gravitieren zum Mitteldeutschen bekundet, so vollzieht sich auch in der Entwicklung der Kanzleisprache des Reiches unter seiner Regierung und deren Tendenzen entsprechend ein Heran- rücken an die mitteldeutsche Mundart oder richtiger: an die mitteldeutsche, von heimatlicher Mundart noch stark gefärbte Schriftsprache Schlesiens und der Lausitz wie Nordböhmens. Vgl. darüber unten § 85, 5 S. 301ff. Mag aber auch Reimbedarf und Abhängigkeit von literarischen Vor- bildern, mag der Aufenthalt in dem Grenzgebiet zwischen Bayern-Öster- reich und Ostmitteldeutschland die Lautmischung und Formenmischung dieser Kunstsprache bedingt haben, ohne Frage ist die Möglichkeit der oben angeführten Doppelformen letzten Grundes hervorgerufen gewesen dadurch, daß es sich bei ihnen handelt um Wirkungen der Betonung, die in der mittelalterlichen Schrift- und Sprachnorm nicht ausgedrückt werden konnten, mithin auch im Sprachbewußtsein der Schriftsteller und Urkundenschreiber schwankend blieben, weil sich hier Unterschiede ein- mischten, die auf der wechselnden Stellung und Betonung im Satz- zusammenhang, auf der stilistischen Verbindung mit andern Worten, auf dem Einfluß bestimmter Redensarten, also nicht auf dem Laut des Einzelworts, sondern auf der Satzphonetik und dem syntaktischen Ge- brauch beruhten und sicher teilweise auch abhingen von der mehr oder minder strengen und geschickten Durchführung des Cursus. 3. Die Umlautsbezeichnung in den schlesisch-böhmischen Briefmustern unserer beiden Handschriften, namentlich in P, steht noch ziemlich auf derselben Stufe wie in der schlesischen Handschrift des böhmisch-schle- sischen Gedichts von der Kreuzfahrt des Landgrafen Ludwig. Bei dem
264 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. die Sprache des Originals gewiß nicht wenig von der natürlichen Sprache, sowohl von seinem Heimatsdialekt als von seiner im Hofleben angenom- menen Redeweise abstand, zeigt einen stärker schlesisch-mitteldeutsch ge- färbten Charakter. Sie ist in ihrer Mischung und Vielgestaltigkeit ein unschätzbares Hilfsmittel für die richtige Wertung der in unsern Brief- mustern erscheinenden Sprache, die gleichfalls kein Naturprodukt ist, sondern sich anschließt an eine schriftsprachliche Tradition teils auf lite- rarischer teils auf kanzleimäßiger Grundlage. Und auch für die Aus- bildung der Sprache der königlichen und der Reichskanzlei in Böhmen zu einem Werkzeug sprachlicher, administrativer und wirtschaftlicher Zu- sammenfassung und Einigung unter und durch Karl IV. war diese stark mitteldeutsch gefärbte Dichtersprache der böhmischen und schlesischen Höfe ein Vorbild der Schreibtradition, stützte und förderte die Annäherung der böhmischen Kanzleisprache an den mitteldeutschen Sprach- typus und die Abstoßung oder Milderung der bayrisch-österreichischen Bestandteile. Denn Karls IV. vielbesprochene großzügige Politik und Ver- waltungskunst hatte zum eigentlichen Ziel die enge Verbindung mit dem östlichen und nordöstlichen Deutschland. Wie er die Gebiete der Elbe, Oder, Moldau wirtschaftlich und staatlich verklammerte zu einer Ge- meinschaft, wie sich darin ein Gravitieren zum Mitteldeutschen bekundet, so vollzieht sich auch in der Entwicklung der Kanzleisprache des Reiches unter seiner Regierung und deren Tendenzen entsprechend ein Heran- rücken an die mitteldeutsche Mundart oder richtiger: an die mitteldeutsche, von heimatlicher Mundart noch stark gefärbte Schriftsprache Schlesiens und der Lausitz wie Nordböhmens. Vgl. darüber unten § 85, 5 S. 301ff. Mag aber auch Reimbedarf und Abhängigkeit von literarischen Vor- bildern, mag der Aufenthalt in dem Grenzgebiet zwischen Bayern-Öster- reich und Ostmitteldeutschland die Lautmischung und Formenmischung dieser Kunstsprache bedingt haben, ohne Frage ist die Möglichkeit der oben angeführten Doppelformen letzten Grundes hervorgerufen gewesen dadurch, daß es sich bei ihnen handelt um Wirkungen der Betonung, die in der mittelalterlichen Schrift- und Sprachnorm nicht ausgedrückt werden konnten, mithin auch im Sprachbewußtsein der Schriftsteller und Urkundenschreiber schwankend blieben, weil sich hier Unterschiede ein- mischten, die auf der wechselnden Stellung und Betonung im Satz- zusammenhang, auf der stilistischen Verbindung mit andern Worten, auf dem Einfluß bestimmter Redensarten, also nicht auf dem Laut des Einzelworts, sondern auf der Satzphonetik und dem syntaktischen Ge- brauch beruhten und sicher teilweise auch abhingen von der mehr oder minder strengen und geschickten Durchführung des Cursus. 3. Die Umlautsbezeichnung in den schlesisch-böhmischen Briefmustern unserer beiden Handschriften, namentlich in P, steht noch ziemlich auf derselben Stufe wie in der schlesischen Handschrift des böhmisch-schle- sischen Gedichts von der Kreuzfahrt des Landgrafen Ludwig. Bei dem
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Zusammenfassende Charakteristik. 265 kurzen und langen u ist Umlaut gar nicht, bei kurzem und langem o nur selten, bei den Diphthongen ou und uo nur in einzelnen Worten erkennbar gemacht. Dagegen ist, wie zu erwarten, die älteste Umlaut- schicht, die von kurzem a, die bis ins frühe Althochdeutsche zurückreicht, so reichlich in der Schreibung wiedergegeben, daß hier der Umlaut auch im Original der Sammlung als Regel zu gelten scheint. Zu den oben § 2 b), d), e), S. 171 angeführten Beispielen seien hier aus P noch hinzugefügt für Umlaut des kurxen a mechte (Dativ Sing., i-Stamm) 22, 6; für Umlaut des langen a nesten (proximum) 1, 6. 12; 2, 8; vnd' sessin (sub- ditorum, mhd. undersâze, undersæze, undersezze) 27, 6; vereinxelt ist das um- lautlose jagern 48, 5 — vorher Z. 4 aber welde (silvarum) — in einem Brief eines Barons, der auch sonst sprachliche Sonderzüge trägt. — Aus S für &-Um- laut denclichn 31, 8; einveldeglichn 34. 8; 38, 11; behegelichkeyt 42, 12; keyn- wertigkeyt 35, 16; amecht (mhd. ambehte, ahd. ambahti) 33, 14; für a-Umlaut gnediklichen 35, 15f.: gnedikeyten 35,20; vndertenikeit 34, 3; bequemliche 41. 11: bequeme 42, 9: genemelichen (gratanter) 35.21; steter 36, 6; steten 36, 16; stetlichen 37, 9; steticlichen 36, 18; wepener 27, 16; andechtikeyt 35, 18. Neben diesen umgelauteten Formen stehen vereinzelt behagelichkeyt 29, 3 (aber behegelichkeyt 16, 11; 27, 3!); andachtikeyt 44, 5, manch- faldikeyt 36, 11f.: die so vorliegende Doppelformigkeit müssen wir nach Analogie der oben S. 262 f. beschriebenen Lautverhältnisse in Lud- wigs Kreuzfahrt’ beurteilen. Bemerkenswert ist das in S mehrfach erscheinende pferrer 38, 12; 41,2; 42, 2. In west- und ostmitteldeutschen Mundarten, namentlich aber auch in der schlesischen Urkundensprache (Rückert, S. 29, 3) ver- breitet, beruht es auf der früh Umlaut wirkenden Kraft der (aus dem lateinischen -arius entlehnten!) Ableitungssilbe der Denominatival auf ahd. -âri, -ari, -eri. Die umlautfreie Form, die in der nld. Schrift- sprache sich durchsetzte, war einerseits gestützt durch die oberdeutsche Lautneigung, vor rr den Umlaut zu meiden (vgl. mhd. pferrich Pferch’, ahd. pharrich, pherrich, aber noch bei Fischart pharrich; karren Mask., kärrner neben karre Femin., karrer schweizerisch-bayrisch), anderseits woll auch durch Einwirkung der in der Hochsprache der Kirche ge- gebenen Anlehnung an die lateinischen Worte parrochus, parrochia. Während die Schriftsprache in Karren—Kärrner, Garten— Gärtner, Warte —Wärter den alten Gegensatz zwischen Stammwort und Denominativ bewahrt, hat sie in diesem Falle, doch wohl unter Einfluß der kirch- lichen Beziehung auf die genannten beiden offiziellen Ausdrücke, die umlautlose Form allein gelten lassen. Dic Handschrift S hält an dem Wechsel fest und hat neben pferrer daher pharrekirchen 40, 10 ; pharre 1 Wohl mit Recht betrachtet Kluge, Etymolog. Wörterbuch s. v. als Grund- wort einen germanischen Stamm parr- Bexirk', der in span. parra Spalier', mittelengl. parren cinsperren' sowie in Pferch' (angelsächs. pearroc Gehege', mittellatcin. parricum, französ. parc, ital. parco) uns vorliegt.
Zusammenfassende Charakteristik. 265 kurzen und langen u ist Umlaut gar nicht, bei kurzem und langem o nur selten, bei den Diphthongen ou und uo nur in einzelnen Worten erkennbar gemacht. Dagegen ist, wie zu erwarten, die älteste Umlaut- schicht, die von kurzem a, die bis ins frühe Althochdeutsche zurückreicht, so reichlich in der Schreibung wiedergegeben, daß hier der Umlaut auch im Original der Sammlung als Regel zu gelten scheint. Zu den oben § 2 b), d), e), S. 171 angeführten Beispielen seien hier aus P noch hinzugefügt für Umlaut des kurxen a mechte (Dativ Sing., i-Stamm) 22, 6; für Umlaut des langen a nesten (proximum) 1, 6. 12; 2, 8; vnd' sessin (sub- ditorum, mhd. undersâze, undersæze, undersezze) 27, 6; vereinxelt ist das um- lautlose jagern 48, 5 — vorher Z. 4 aber welde (silvarum) — in einem Brief eines Barons, der auch sonst sprachliche Sonderzüge trägt. — Aus S für &-Um- laut denclichn 31, 8; einveldeglichn 34. 8; 38, 11; behegelichkeyt 42, 12; keyn- wertigkeyt 35, 16; amecht (mhd. ambehte, ahd. ambahti) 33, 14; für a-Umlaut gnediklichen 35, 15f.: gnedikeyten 35,20; vndertenikeit 34, 3; bequemliche 41. 11: bequeme 42, 9: genemelichen (gratanter) 35.21; steter 36, 6; steten 36, 16; stetlichen 37, 9; steticlichen 36, 18; wepener 27, 16; andechtikeyt 35, 18. Neben diesen umgelauteten Formen stehen vereinzelt behagelichkeyt 29, 3 (aber behegelichkeyt 16, 11; 27, 3!); andachtikeyt 44, 5, manch- faldikeyt 36, 11f.: die so vorliegende Doppelformigkeit müssen wir nach Analogie der oben S. 262 f. beschriebenen Lautverhältnisse in Lud- wigs Kreuzfahrt’ beurteilen. Bemerkenswert ist das in S mehrfach erscheinende pferrer 38, 12; 41,2; 42, 2. In west- und ostmitteldeutschen Mundarten, namentlich aber auch in der schlesischen Urkundensprache (Rückert, S. 29, 3) ver- breitet, beruht es auf der früh Umlaut wirkenden Kraft der (aus dem lateinischen -arius entlehnten!) Ableitungssilbe der Denominatival auf ahd. -âri, -ari, -eri. Die umlautfreie Form, die in der nld. Schrift- sprache sich durchsetzte, war einerseits gestützt durch die oberdeutsche Lautneigung, vor rr den Umlaut zu meiden (vgl. mhd. pferrich Pferch’, ahd. pharrich, pherrich, aber noch bei Fischart pharrich; karren Mask., kärrner neben karre Femin., karrer schweizerisch-bayrisch), anderseits woll auch durch Einwirkung der in der Hochsprache der Kirche ge- gebenen Anlehnung an die lateinischen Worte parrochus, parrochia. Während die Schriftsprache in Karren—Kärrner, Garten— Gärtner, Warte —Wärter den alten Gegensatz zwischen Stammwort und Denominativ bewahrt, hat sie in diesem Falle, doch wohl unter Einfluß der kirch- lichen Beziehung auf die genannten beiden offiziellen Ausdrücke, die umlautlose Form allein gelten lassen. Dic Handschrift S hält an dem Wechsel fest und hat neben pferrer daher pharrekirchen 40, 10 ; pharre 1 Wohl mit Recht betrachtet Kluge, Etymolog. Wörterbuch s. v. als Grund- wort einen germanischen Stamm parr- Bexirk', der in span. parra Spalier', mittelengl. parren cinsperren' sowie in Pferch' (angelsächs. pearroc Gehege', mittellatcin. parricum, französ. parc, ital. parco) uns vorliegt.
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266 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. 40, 12. 13. In dem vorliegenden Briefe eines Dechanten, der Umtausch einer Pfründe erbittet, hätte man ebenso wie in den andern verwandten Briefen von Geistlichen die Form pfarrer in Anlehnung an das latei- nische parrochus erwarten sollen. Daß dafür dennoch die volkssprach- liche Lautform erscheint, ist für die sprachliche Höhenlage dieser Muster charakteristisch. Gerade dieser Brief lehrt, wie die Umlautregelung schon bei dem langen a schwankt. Wir sehen eine Häufung umgelauteter Formen: d' heyligen pregischen kirchen, des bebistlichn stules (apostolicae sedis). gnedigesten, vnd’thenikeyt, stetlichs, andechtikeyt, bestetiget. Aber doch auch babestliche brife (litteras confirmatorias). Darf man hier die Wahl des etymologischen Grundlautes psychologisch und satzphonetisch aus dem feierlichen Nachdruck erklären, mit dem auf die besiegelten Urkunden des Papstes hingewiesen werden soll? In einem andern ähnlichen Briefe der Handschrift S (Texte Nr. 39) finden wir die umlautlose Form in doppelter Lautgebung: der Titel der Unterschrift hat des bobistlichn stuls (apostolicae sedis), dagegen im Text brife von dem babistlichë stule, vielleicht weil hier die lateinische Vorlage litteras papales bot. Außer- dem finden wir in demselben Brief auch Ern Jon, bischoffe zcu Missen Z. 1 (Adresse) neben vnd ab uw' bischafliche wirdekeyt. Dieser Brief zeigt mehrfach sonst gerade allerlei ausgeprägte mundartliche Besonder- heiten, die der hochdeutschen Gemeinsprache fremd sind: ern für hern Z. 11, das proklitische em (ihm') 15, die altertümliche, auf das alte sk (« episcopus) zurückgehende (vielleicht aber auch nur aus Angleichung an bischof zu erklärende) Schreibung bischtummes, bischtumps Z. 12. 13 (vgl. Michels § 161 Anm. 2; Rückert S. 144), ferner gehäuft ao: wal (bene), zweimal ab (si); ader (uel); wal bedachtem. Wahrscheinlich stammt also das schriftsprachliche o in dem bischoffe der Adresse gegen- über dem bischafliche des Textes nicht aus Zufall oder Schreiberwillkür, sondern aus dem psychischen Grunde, daß nur in der Aufschrift die hochsprachliche, dem Grundwort episcopo nähere und in der kaiserlichen Kanzleisprache herrschende Lautform bevorzugt wurde vor der mundart- lichen oder umgangssprachlichen, die für den Brieftext ausreichte. Wenn wir in Ludwigs Kreuzfahrt' aus den Reimen Fehlen des Umlauts von u, no, ô erschließen1, so entspricht dem im großen und ganzen das Verhalten der Briefmuster in P. Wir finden hier o und u als Ersatz für mhd. oder nhd. umlautfähiges oder umgelautete o, ô, u, uo, on (au) : dorfferen 27, 6; offintlich 1, 9; obirflussig 29, 6f.; mogit (mhd. muget, müget) 6, 8; konig (mhd. künic) 11, 5; 12, 4: konniclecht‘ 22, 6; czu horn (ad audiendum) 11, 8; wurt horn 17, 13; gehort 16, 5; 33, 9; frolichen 26, 10; bosen 12, 5; hochste 35, 14; 36, 18; grussern 22, 9; ferner purgir 3, 1 u. ö.; tuchir 5, 4; 18, 6; gunner 3, 2 u. ö.; gunstic- lich 15, 11; sunde 3, 5; angedructen 3, 11; gedrukter 20, 5; betrucket 29, 6; 1 Naumann a. a. O. S. 187f.
266 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. 40, 12. 13. In dem vorliegenden Briefe eines Dechanten, der Umtausch einer Pfründe erbittet, hätte man ebenso wie in den andern verwandten Briefen von Geistlichen die Form pfarrer in Anlehnung an das latei- nische parrochus erwarten sollen. Daß dafür dennoch die volkssprach- liche Lautform erscheint, ist für die sprachliche Höhenlage dieser Muster charakteristisch. Gerade dieser Brief lehrt, wie die Umlautregelung schon bei dem langen a schwankt. Wir sehen eine Häufung umgelauteter Formen: d' heyligen pregischen kirchen, des bebistlichn stules (apostolicae sedis). gnedigesten, vnd’thenikeyt, stetlichs, andechtikeyt, bestetiget. Aber doch auch babestliche brife (litteras confirmatorias). Darf man hier die Wahl des etymologischen Grundlautes psychologisch und satzphonetisch aus dem feierlichen Nachdruck erklären, mit dem auf die besiegelten Urkunden des Papstes hingewiesen werden soll? In einem andern ähnlichen Briefe der Handschrift S (Texte Nr. 39) finden wir die umlautlose Form in doppelter Lautgebung: der Titel der Unterschrift hat des bobistlichn stuls (apostolicae sedis), dagegen im Text brife von dem babistlichë stule, vielleicht weil hier die lateinische Vorlage litteras papales bot. Außer- dem finden wir in demselben Brief auch Ern Jon, bischoffe zcu Missen Z. 1 (Adresse) neben vnd ab uw' bischafliche wirdekeyt. Dieser Brief zeigt mehrfach sonst gerade allerlei ausgeprägte mundartliche Besonder- heiten, die der hochdeutschen Gemeinsprache fremd sind: ern für hern Z. 11, das proklitische em (ihm') 15, die altertümliche, auf das alte sk (« episcopus) zurückgehende (vielleicht aber auch nur aus Angleichung an bischof zu erklärende) Schreibung bischtummes, bischtumps Z. 12. 13 (vgl. Michels § 161 Anm. 2; Rückert S. 144), ferner gehäuft ao: wal (bene), zweimal ab (si); ader (uel); wal bedachtem. Wahrscheinlich stammt also das schriftsprachliche o in dem bischoffe der Adresse gegen- über dem bischafliche des Textes nicht aus Zufall oder Schreiberwillkür, sondern aus dem psychischen Grunde, daß nur in der Aufschrift die hochsprachliche, dem Grundwort episcopo nähere und in der kaiserlichen Kanzleisprache herrschende Lautform bevorzugt wurde vor der mundart- lichen oder umgangssprachlichen, die für den Brieftext ausreichte. Wenn wir in Ludwigs Kreuzfahrt' aus den Reimen Fehlen des Umlauts von u, no, ô erschließen1, so entspricht dem im großen und ganzen das Verhalten der Briefmuster in P. Wir finden hier o und u als Ersatz für mhd. oder nhd. umlautfähiges oder umgelautete o, ô, u, uo, on (au) : dorfferen 27, 6; offintlich 1, 9; obirflussig 29, 6f.; mogit (mhd. muget, müget) 6, 8; konig (mhd. künic) 11, 5; 12, 4: konniclecht‘ 22, 6; czu horn (ad audiendum) 11, 8; wurt horn 17, 13; gehort 16, 5; 33, 9; frolichen 26, 10; bosen 12, 5; hochste 35, 14; 36, 18; grussern 22, 9; ferner purgir 3, 1 u. ö.; tuchir 5, 4; 18, 6; gunner 3, 2 u. ö.; gunstic- lich 15, 11; sunde 3, 5; angedructen 3, 11; gedrukter 20, 5; betrucket 29, 6; 1 Naumann a. a. O. S. 187f.
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Zusammenfassende Charakteristik. 267 czurucke 29, 8; fruchten 29, 6; tuchtigen 19, 6; goldin, guldin 3, 8; 4, 3: fursten 26, 9; wen is sich gebort (oportunis temporibus — mhd. gebürt) 22, 10; gelobde (mhd. gelübde) 2, 7; 29, 9; globdn 29, 5; furen 5, 6; gefurt 27, 7; vbin werdn (exercebunt) 26, 9; grun 29, 6. Auch die Muster in S bieten umlautfreie o und u: offentlichen 31, 2; lobelich 32, 8: 33, 12: fromlich 32, 7; vorderniß 32, 11f.; romischem konig 35, 2; 36, If.: forsten (principi) 35, 1; furste 35, 6. 8. 10; furstlichn 35, 20: 36, 8: kurtzlichen 31, 11; 32, 13; gebort (decet, mhd. gebürt) 33, 14; drucken 31, 10: 32, 16; geruchte (fama) 32, 8; 33, 12; fruchten 33, 16; gloubigen 36, 11; vngloubigen 36, 15. Aber es fehlt in P nicht an Schwankungen: dem freudin 23, 8; 27, 7; 28, 8 steht gegenüber frawn (gaudere) 28, 6 (vgl. Michels § 67, S. 70, d und Anm. 4), dem rober (raptores) 27, 8 in welchin bequeme- lichen leuftn (quibus modis gratuitis: mhd. louft 16, 11). Und gleichen Wechsel zeigt S in der Behandlung des umlautfähigen mhd. ô no. hochste 35, 14; 36, 18; großer (maiori) 32, 15; grosern 37, 19; 42, 14; grossern 41, 12 gegenüber grôsser 31, 8; ferner gutlichen 32, 13; 34, 14; 36, 14: 42, 15: demutigen 35, 4; betrubet 32, 14; schuler 34, 5; rurte 37, 12; phrunde 43, 13; vbet (exercendo, mhd. üebet) 33, 13; bucher 41, 7; gegenüber gûthe 34, 11; gemůte 34, 7; müe 43, 19. — In den wenigen Belegen aus Sw begegnet ierlich 46, 6; frewden 47, 7, aber fursten 45, 1 u. ö.; gunstigen 51, 2; gutlich 45, 11. Besonderer Beurteilung unterliegen in P die Umlaute von mhd. ou und ů in der Datierungsformel Johannis tag des tewfers (teufers) 1, 6f.; 16, 6; 22, 6 und in der Mandatsformel an sewmmisse (seumnis, seum- nisse). Letztere wird wohl richtiger als oben § 9, 3, S. 183 einfach aus diphthongiertem u vielmehr abgeleitet aus Anknüpfung an die im Mhd. belegte Form siumic, wie auch bei leuthirlich 7, 9f. (mhd. luterlich) Einwirkung des Verbums liutern und der mhd. Nebenformen des Ad- jektivs und Substantivs liuter mit im Spiel sind. Nach von Bahders Ubersicht (Grundlagen des neuhochdeutschen Lautsystems, Straßburg 1890, S. 216f.) gehört der Umlaut des ou dem mitteldeutschen Sprachgebiet an. Aber die Schreibung ew oder eu braucht darum keineswegs phonetisch der mundartlichen Aussprache genau zu entsprechen. Von den heutigen ostmitteldeutschen Dialekten haben das Lausitzische 1 teyfm, das Schle- 1 Die Schneeberger Handschrift S gibt in den auch von ihr überlieferten Brieftexten von P 1, 6 an Stelle von tewfers die Schreibung toffers oder týffers, 16, 6 statt teufers die Schreibung tewffers. Das älteste Böhmisch-Kamnitzer Stadtbuch (aus dem Nachlaß A. Horčickas herausgegeben vom Verein für Ge- schichte der Deutschen in Böhmen. Mit zwei Abhandlungen über die Sprache des Stadtbuches von Alois Bernt und über die rechtsgeschichtliche Bedeutung von O. Peterka. Prag 1915), dessen Sprache nach Bernt (a. a. O. S. 167) die nächste Verwandtschaft mit der Lausitz' xeigt, bevorzugt für mhd. ou umlaut- lose Schreibungen: gekouft, kouffin, kaufen, lawb, daneben erscheinen seltener vorkewfen, vorkeufft, häufiger neben haubitman, hauptman, haupman aber hâuppman, hoipman, hoiptman, heuptman, heupman. Die Breslauer Kanzlei-
Zusammenfassende Charakteristik. 267 czurucke 29, 8; fruchten 29, 6; tuchtigen 19, 6; goldin, guldin 3, 8; 4, 3: fursten 26, 9; wen is sich gebort (oportunis temporibus — mhd. gebürt) 22, 10; gelobde (mhd. gelübde) 2, 7; 29, 9; globdn 29, 5; furen 5, 6; gefurt 27, 7; vbin werdn (exercebunt) 26, 9; grun 29, 6. Auch die Muster in S bieten umlautfreie o und u: offentlichen 31, 2; lobelich 32, 8: 33, 12: fromlich 32, 7; vorderniß 32, 11f.; romischem konig 35, 2; 36, If.: forsten (principi) 35, 1; furste 35, 6. 8. 10; furstlichn 35, 20: 36, 8: kurtzlichen 31, 11; 32, 13; gebort (decet, mhd. gebürt) 33, 14; drucken 31, 10: 32, 16; geruchte (fama) 32, 8; 33, 12; fruchten 33, 16; gloubigen 36, 11; vngloubigen 36, 15. Aber es fehlt in P nicht an Schwankungen: dem freudin 23, 8; 27, 7; 28, 8 steht gegenüber frawn (gaudere) 28, 6 (vgl. Michels § 67, S. 70, d und Anm. 4), dem rober (raptores) 27, 8 in welchin bequeme- lichen leuftn (quibus modis gratuitis: mhd. louft 16, 11). Und gleichen Wechsel zeigt S in der Behandlung des umlautfähigen mhd. ô no. hochste 35, 14; 36, 18; großer (maiori) 32, 15; grosern 37, 19; 42, 14; grossern 41, 12 gegenüber grôsser 31, 8; ferner gutlichen 32, 13; 34, 14; 36, 14: 42, 15: demutigen 35, 4; betrubet 32, 14; schuler 34, 5; rurte 37, 12; phrunde 43, 13; vbet (exercendo, mhd. üebet) 33, 13; bucher 41, 7; gegenüber gûthe 34, 11; gemůte 34, 7; müe 43, 19. — In den wenigen Belegen aus Sw begegnet ierlich 46, 6; frewden 47, 7, aber fursten 45, 1 u. ö.; gunstigen 51, 2; gutlich 45, 11. Besonderer Beurteilung unterliegen in P die Umlaute von mhd. ou und ů in der Datierungsformel Johannis tag des tewfers (teufers) 1, 6f.; 16, 6; 22, 6 und in der Mandatsformel an sewmmisse (seumnis, seum- nisse). Letztere wird wohl richtiger als oben § 9, 3, S. 183 einfach aus diphthongiertem u vielmehr abgeleitet aus Anknüpfung an die im Mhd. belegte Form siumic, wie auch bei leuthirlich 7, 9f. (mhd. luterlich) Einwirkung des Verbums liutern und der mhd. Nebenformen des Ad- jektivs und Substantivs liuter mit im Spiel sind. Nach von Bahders Ubersicht (Grundlagen des neuhochdeutschen Lautsystems, Straßburg 1890, S. 216f.) gehört der Umlaut des ou dem mitteldeutschen Sprachgebiet an. Aber die Schreibung ew oder eu braucht darum keineswegs phonetisch der mundartlichen Aussprache genau zu entsprechen. Von den heutigen ostmitteldeutschen Dialekten haben das Lausitzische 1 teyfm, das Schle- 1 Die Schneeberger Handschrift S gibt in den auch von ihr überlieferten Brieftexten von P 1, 6 an Stelle von tewfers die Schreibung toffers oder týffers, 16, 6 statt teufers die Schreibung tewffers. Das älteste Böhmisch-Kamnitzer Stadtbuch (aus dem Nachlaß A. Horčickas herausgegeben vom Verein für Ge- schichte der Deutschen in Böhmen. Mit zwei Abhandlungen über die Sprache des Stadtbuches von Alois Bernt und über die rechtsgeschichtliche Bedeutung von O. Peterka. Prag 1915), dessen Sprache nach Bernt (a. a. O. S. 167) die nächste Verwandtschaft mit der Lausitz' xeigt, bevorzugt für mhd. ou umlaut- lose Schreibungen: gekouft, kouffin, kaufen, lawb, daneben erscheinen seltener vorkewfen, vorkeufft, häufiger neben haubitman, hauptman, haupman aber hâuppman, hoipman, hoiptman, heuptman, heupman. Die Breslauer Kanzlei-
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268 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. sische tefen und da die Entrundung der Vokale und Diphthonge ein schon scit dem 12. Jahrhundert im Thüringisch-Obersächsischen bemerk- barer Vorgang ist (s. Michels § 86, S. 90), dürfte auch im Schlesischen um 1400 die Schreibung teufer nicht genaue Wiedergabe des volkssprach- lichen Lautes, sondern ein hoch- oder schriftsprachliches Kunst- produkt gewesen sein. § 82. Betonung und Quantität. 1. Die Betonung gehört xu dem Teil des Sprachlebens, der nur im Satz sich auswirkt. Die aus dem Lateinischen übernommene Orthographie. die im wesentlichen Wortschrift ist, läßt den Haupt- (oder Stark-), Neben- ton, Schwachton, ebenso den (musikalischen) Hoch- und Tiefton, den Steig- und Fallton ohne besonderes Zeichen. Dennoch verraten uns laut- liche Vorgänge und Wandlungen, die von der Wortschrift wiedergegeben werden, mehr oder minder deutlich manches aus der Entwicklung der Betonung und ihrem sprachbildenden, sprachumgestaltenden Einfluß. Die Quantität der Silben hängt eng mit der Betonung zusammen. Unsere Briefmuster geben uns indessen darüber, wie weit sie die große Umwälzung der Quantität haupttoniger Silben, die für die neuhochdeutsche Schriftsprache und die modernen deutschen Mundarten charakteristisch ist. voraussetzen, keinen irgendwie deutlichen Aufschluß. Die deutsche Schrei- bung und Schriftsprache versagt ja überhaupt an diesem Punkte. Es wurde im Mhd. geschrieben tac tages und das bedeutete dieselbe Quantität und annähernd denselben oder nur wenig gestuften schwach geschnittenen Akzent. Es wird auch im Neuhochdeutschen immer noch tag, tages geschrieben. Aber das bedeutet jetzt jedesfalls, obgleich da a nicht anders bezeichnet wird als im Mhd., cinen ganz andern Laut, cine andere Ak- zentuierung, und nicht einmal eine einheitliche. Vielmehr stehen der in der norddeutschen Hochsprache herrschenden Scheidung eines kurzen a im Nom. Akkus. tach und eines langen a in den obliquen Kasus (tâges, tâge, tâgen) gegenüber die süddeutsche Durchführung des langen a in allen Kasus und die ihr folgende Bühnensprache. sprache hat (Arndt S. 38) vorkeufen, teufers, teuffers, kewfen; heubtmanne. heuptman. In der heutigen nordwestböhmischen Mundart steht dem über- wiegenden ai mhd. ön gegenüber a mhd. ou: raiwer (mhd. röuber, fraid (mhd. vröude), hai (mhd. höu) neben sdra (mhd. ströu; ströuwen, strouwen: s. Adolf Hausenblas, Grammatik der nordwestböhmischen Mundart, Prag 1914, S. 34 § 108; ebenso in der Mundart der südlichen Oberlausitz überwiegend têfm taufen’, trêm träumen' (Fritz Wenxel, Studien zur Dialektgeographie d. südlichen Oberlausitz u. Nordböhmens, Marburg 1920, S. 24 § 72 Anm. 1). — Im ersten Schneeberger Formelbuch hat S das in P richtig überlieferte bey laute vnsir‘n briffen 10, 13 mißverstanden (durch Hörfehler doch wohl) und sinn- los wiedergegeben als: dy lewte vnſs' briffe. Das könnte vielleicht auf (mund- artlichen?) unorganischen Umlaut des aus û entstandenen neuen ou und auf ein vom Diktierenden statt bey gesprochenes by deuten.
268 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. sische tefen und da die Entrundung der Vokale und Diphthonge ein schon scit dem 12. Jahrhundert im Thüringisch-Obersächsischen bemerk- barer Vorgang ist (s. Michels § 86, S. 90), dürfte auch im Schlesischen um 1400 die Schreibung teufer nicht genaue Wiedergabe des volkssprach- lichen Lautes, sondern ein hoch- oder schriftsprachliches Kunst- produkt gewesen sein. § 82. Betonung und Quantität. 1. Die Betonung gehört xu dem Teil des Sprachlebens, der nur im Satz sich auswirkt. Die aus dem Lateinischen übernommene Orthographie. die im wesentlichen Wortschrift ist, läßt den Haupt- (oder Stark-), Neben- ton, Schwachton, ebenso den (musikalischen) Hoch- und Tiefton, den Steig- und Fallton ohne besonderes Zeichen. Dennoch verraten uns laut- liche Vorgänge und Wandlungen, die von der Wortschrift wiedergegeben werden, mehr oder minder deutlich manches aus der Entwicklung der Betonung und ihrem sprachbildenden, sprachumgestaltenden Einfluß. Die Quantität der Silben hängt eng mit der Betonung zusammen. Unsere Briefmuster geben uns indessen darüber, wie weit sie die große Umwälzung der Quantität haupttoniger Silben, die für die neuhochdeutsche Schriftsprache und die modernen deutschen Mundarten charakteristisch ist. voraussetzen, keinen irgendwie deutlichen Aufschluß. Die deutsche Schrei- bung und Schriftsprache versagt ja überhaupt an diesem Punkte. Es wurde im Mhd. geschrieben tac tages und das bedeutete dieselbe Quantität und annähernd denselben oder nur wenig gestuften schwach geschnittenen Akzent. Es wird auch im Neuhochdeutschen immer noch tag, tages geschrieben. Aber das bedeutet jetzt jedesfalls, obgleich da a nicht anders bezeichnet wird als im Mhd., cinen ganz andern Laut, cine andere Ak- zentuierung, und nicht einmal eine einheitliche. Vielmehr stehen der in der norddeutschen Hochsprache herrschenden Scheidung eines kurzen a im Nom. Akkus. tach und eines langen a in den obliquen Kasus (tâges, tâge, tâgen) gegenüber die süddeutsche Durchführung des langen a in allen Kasus und die ihr folgende Bühnensprache. sprache hat (Arndt S. 38) vorkeufen, teufers, teuffers, kewfen; heubtmanne. heuptman. In der heutigen nordwestböhmischen Mundart steht dem über- wiegenden ai mhd. ön gegenüber a mhd. ou: raiwer (mhd. röuber, fraid (mhd. vröude), hai (mhd. höu) neben sdra (mhd. ströu; ströuwen, strouwen: s. Adolf Hausenblas, Grammatik der nordwestböhmischen Mundart, Prag 1914, S. 34 § 108; ebenso in der Mundart der südlichen Oberlausitz überwiegend têfm taufen’, trêm träumen' (Fritz Wenxel, Studien zur Dialektgeographie d. südlichen Oberlausitz u. Nordböhmens, Marburg 1920, S. 24 § 72 Anm. 1). — Im ersten Schneeberger Formelbuch hat S das in P richtig überlieferte bey laute vnsir‘n briffen 10, 13 mißverstanden (durch Hörfehler doch wohl) und sinn- los wiedergegeben als: dy lewte vnſs' briffe. Das könnte vielleicht auf (mund- artlichen?) unorganischen Umlaut des aus û entstandenen neuen ou und auf ein vom Diktierenden statt bey gesprochenes by deuten.
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Zusammenfassende Charakteristik. 269 2. Von den der schlesischen Volkssprache in ihren verschiedenen Mundarten eigenen Dehnungen und Verkürzungen hält sich die Schreibung unserer Briefmuster im ganzen fern (vgl. oben § 1, 1 S. 168, § 2, 1/., S. 172). Sie gewährt ihnen ebensowenig Einlaß wie den sekun- dären schlesischen Diphthongierungen (s. oben § 78, 2 S. 240f.). Eigent- lich ist es nur der Name ditterich von Anhald 29, 1 und allenfalls das Wort 'Brief mhd. brief, in dem die auch in der heutigen schlesischen Volksmundart (lautgesetzlich allerdings heute nur im Inlaut vor harten Reibe- und Verschlußlauten) herrschende (s. Unwerth § 104 S. 66 f.)1 Verkürzung stärker durchbricht: briff 1, 9; briffczeger 3, 9; 6, 4; briffes 11, 8; 10, 14; briffe (Dativ) 29, 7; briffe (Akk. Plur.) 16, 5; briffen (Genit. Plur.) 10, 5; briffen (Dat. Plur.) 30, 6. Aber auch hier begegnet daneben die der mitteldeutschen Schriftsprache geläufige Schreibung brifes S. 7: brifis 15, 5; brife (Akkus. Plur.) 11, 6, während die Handschrift S überall, auch an den letxtgenannten drei Stellen die für moderne Augen auf Vokalkürzung deutende Doppelschreibung zeigt. In der kaiserlichen Kanzleisprache des 14. Jahrhunderts überwiegt die Schreibung brieve, brieves, brieue, brieues, aber es kommt auch häufig brieffe, brieffes vor, ebenso auch brifes, brife. Mundartlichen Ursprungs könnte sein und ursprünglich phonetische Bedeutung gehabt haben die Doppelschreibung selligis gedechtniß 7, 6 (s. oben § 2, 1, e, S. 171). Aber auf schlesisch- böhmischem Sprachgebiet kann ich sic nicht nachweisen, und so möchte ich sie auch für ein schriftsprachliches Kunstprodukt halten, das em- phatischer Betonung der Stammsilbe durch Doppelschreibung des Konso- nanten Ausdruck geben soll. 3. Der allgemeinen mitteldeutschen Schriftsprache älterer Zeit eigen- tümlich ist die in P durchgeführte Verkürzung des mhid. üf zu off (vgl. oben § 4, 4 S. 177f.). Ihren Ursprung hat sie natürlich in der Satz- phonetik: im proklitischen Gebrauch des Worts als Prüposition. Aber sie greift dann hinüber auch auf die betonte Stellung in der Funktion eines Ortsadverbs. Demgemäß erscheinen in P nicht bloß off den nesten sinde Johannis tag 1, 6; off sinde Bartholomeustag 9, 5; off dem hause 1 Siebs. Schlesische Volkskunde (in: Schlesische Landeskunde II S. 374, III und S. 384, 4), wo als mundartlich gefärbte Aussprache des heutigen gebil- deten Schlesiers nur Briewe angegeben wird. Es könnte aber in der Doppel- schreibung des ff auch die phonctische Tatsache sich ausdrücken, daß die mittel- deutschen Dichter des 13. Jahrhunderts, die mhd. ie monothongieren, es nicht au/ mld. 1, sondern nur auf mhd. kurzes i reimen (ebenso ihr u § mhd. uo nicht auf ü, sondern auf u), ihre Aussprache ihres mhd. ie vertretenden 1 (und ihres ù mhd. uo) qualitativ der Aussprache des kurxen i (bxw. u) sehr nahestand (s. Zwierzina, Zeitschr. f. d. Altert. 1901, Bd. 45, S. 68 f.). Freilich hilft diese Erwägung auch nicht weit, da ja auch das gelängte mhd. i im Mitteldeutschen die Qualität des kurxen mhd. i behalten haben kann im Gegensalx xur xwei- gipfligen Betonung der dem mhd. i entsprechenden langen i.
Zusammenfassende Charakteristik. 269 2. Von den der schlesischen Volkssprache in ihren verschiedenen Mundarten eigenen Dehnungen und Verkürzungen hält sich die Schreibung unserer Briefmuster im ganzen fern (vgl. oben § 1, 1 S. 168, § 2, 1/., S. 172). Sie gewährt ihnen ebensowenig Einlaß wie den sekun- dären schlesischen Diphthongierungen (s. oben § 78, 2 S. 240f.). Eigent- lich ist es nur der Name ditterich von Anhald 29, 1 und allenfalls das Wort 'Brief mhd. brief, in dem die auch in der heutigen schlesischen Volksmundart (lautgesetzlich allerdings heute nur im Inlaut vor harten Reibe- und Verschlußlauten) herrschende (s. Unwerth § 104 S. 66 f.)1 Verkürzung stärker durchbricht: briff 1, 9; briffczeger 3, 9; 6, 4; briffes 11, 8; 10, 14; briffe (Dativ) 29, 7; briffe (Akk. Plur.) 16, 5; briffen (Genit. Plur.) 10, 5; briffen (Dat. Plur.) 30, 6. Aber auch hier begegnet daneben die der mitteldeutschen Schriftsprache geläufige Schreibung brifes S. 7: brifis 15, 5; brife (Akkus. Plur.) 11, 6, während die Handschrift S überall, auch an den letxtgenannten drei Stellen die für moderne Augen auf Vokalkürzung deutende Doppelschreibung zeigt. In der kaiserlichen Kanzleisprache des 14. Jahrhunderts überwiegt die Schreibung brieve, brieves, brieue, brieues, aber es kommt auch häufig brieffe, brieffes vor, ebenso auch brifes, brife. Mundartlichen Ursprungs könnte sein und ursprünglich phonetische Bedeutung gehabt haben die Doppelschreibung selligis gedechtniß 7, 6 (s. oben § 2, 1, e, S. 171). Aber auf schlesisch- böhmischem Sprachgebiet kann ich sic nicht nachweisen, und so möchte ich sie auch für ein schriftsprachliches Kunstprodukt halten, das em- phatischer Betonung der Stammsilbe durch Doppelschreibung des Konso- nanten Ausdruck geben soll. 3. Der allgemeinen mitteldeutschen Schriftsprache älterer Zeit eigen- tümlich ist die in P durchgeführte Verkürzung des mhid. üf zu off (vgl. oben § 4, 4 S. 177f.). Ihren Ursprung hat sie natürlich in der Satz- phonetik: im proklitischen Gebrauch des Worts als Prüposition. Aber sie greift dann hinüber auch auf die betonte Stellung in der Funktion eines Ortsadverbs. Demgemäß erscheinen in P nicht bloß off den nesten sinde Johannis tag 1, 6; off sinde Bartholomeustag 9, 5; off dem hause 1 Siebs. Schlesische Volkskunde (in: Schlesische Landeskunde II S. 374, III und S. 384, 4), wo als mundartlich gefärbte Aussprache des heutigen gebil- deten Schlesiers nur Briewe angegeben wird. Es könnte aber in der Doppel- schreibung des ff auch die phonctische Tatsache sich ausdrücken, daß die mittel- deutschen Dichter des 13. Jahrhunderts, die mhd. ie monothongieren, es nicht au/ mld. 1, sondern nur auf mhd. kurzes i reimen (ebenso ihr u § mhd. uo nicht auf ü, sondern auf u), ihre Aussprache ihres mhd. ie vertretenden 1 (und ihres ù mhd. uo) qualitativ der Aussprache des kurxen i (bxw. u) sehr nahestand (s. Zwierzina, Zeitschr. f. d. Altert. 1901, Bd. 45, S. 68 f.). Freilich hilft diese Erwägung auch nicht weit, da ja auch das gelängte mhd. i im Mitteldeutschen die Qualität des kurxen mhd. i behalten haben kann im Gegensalx xur xwei- gipfligen Betonung der dem mhd. i entsprechenden langen i.
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270 Einleitung. Fünites Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. der Rabinsteyn 19, 7; off den nesten suntag 26, 7, sondern her off czu sczicken 6, 8. Nur an der letzten Stelle hat S dafür die der mhd. Ge- meinsprache nähere Schreibung uff, das schon in der mitteldeutschen Dichtersprache, insbesondere in der schlesisch-böhmischen durch den Reim als Kürze gesichert ist1. Auch in der Nominalkomposition als Träger des Haupttons herrscht das off: an ofschob 3, 9; 5, 7 (off schob S). In der Reichskanzleisprache überwiegt wohl uff (neben off und uf). 4. Alte Kürze wird bewahrt und abweichend vom modernen Neuhoch- deutsch durch Konsonantenverdopplung bezeichnet in bischoffe: 8, 9 czu vnsrim hr'n, dem bischoffe, gébin (cursus planus, s. oben § 39, 3, S. 215: in S fehlerhaft byschaff!). Dieselbe Schreibung, die übrigens in der kai- serlichen Kanzleisprache die offizielle war, wird, wie ich schon oben § 81, 3, S. 266 bemerkte, an der für grammatisch korrekte volle Formen und starke Betonung des Titels besonders disponierten Stelle, in der Adresse von 39, 1 geboten, während dann das schwächer betonte Adjektiv im gleichmütigeren Zusammenhang des Brieftextes uw' bischaf- liche wirdekeyt lautet (mit mundartlichem Vokal und einfacher Konso- nanz, also umgangssprachlicher Lautgebung). Dasselbe Verhältnis kehrt wieder 38, 1 (Adresse) h'n heine erzbischoffe der heyligen pregischen hirten, aber gleich nachher im Brieftext uw' bischoflichen wirdikeyt. Vgl. aber auch 34, 1 Ern Niclause, Bischofe zu Mersr und dann im Text Z. 15 f. uwer vet liche werdekeit. An der Richtigkeit der Beob- achtung, daß Adresse und Text wegen ihrer Betonung ungleiche Laut- formen erhalten, ist aber nicht zu zweifeln, wie sich unten § 85, 7 zeigen wird. 5. Sonst schwankt in P die Schreibung der erhaltenen mhd. Kürzen zwischen mhd. und nhd. Brauch (s. oben § 14, 4, S. 185): komen 11,9: bekomen 15, 6; genomen 27, 6f.; vernomen 1, 5; fromen 1, 11; aber volkummelich 6, 9 (volkomelich S, obwohl das zweite Schneeberger Formel- buch sonst Doppelschreibungen liebt); nochkummeling 7, 5 steten (ciui- tatibus) 11, 5; suntage 3, 11; 4, 6 u. ö. stets. Auch für mhd. Gemi- nata steht mehrmals einfache Konsonanz: einmal guner 28, 6 neben dem häufigen gunner; dem in P regelmäßigen metewochin 1, 12; 3, 10: 17, 1. steht an denselben Briefstellen im ersten Schneeberger Formelbuch gegen- über mittewochin; ferner in P methefaste 5, 5 (auch S methevaste). Für mhd. nhd. bitten erscheint meist Schreibung mit einfachem t oder th: oft im Eingang der Petitionsformel bit wir euch 11, 7; 15, 9; 16, 7: 1 Zwierzina, Zeitschr. f. d. Altert. 1901, Bd. 45, S. 70 u. Anm. 1: Nau- mann a. a. O. S. 188. — Für das in diesem Zusammenhang mit angeführte nu bezeugt freilich der ausgesprochen schlesische Briefsteller in Sw durch die Schreibung nuhe Längung des u: das ich euch in eym sulchen adir grossern wil nuhe vnd czu allen czeitn dynen (Einleit. S. 147, IIIb, Z. 11b), wobei die emphatische Betonung des Worts im Satzausammenhang, die hier besonders deutlich ist, nicht unbeachtet bleiben möge.
270 Einleitung. Fünites Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. der Rabinsteyn 19, 7; off den nesten suntag 26, 7, sondern her off czu sczicken 6, 8. Nur an der letzten Stelle hat S dafür die der mhd. Ge- meinsprache nähere Schreibung uff, das schon in der mitteldeutschen Dichtersprache, insbesondere in der schlesisch-böhmischen durch den Reim als Kürze gesichert ist1. Auch in der Nominalkomposition als Träger des Haupttons herrscht das off: an ofschob 3, 9; 5, 7 (off schob S). In der Reichskanzleisprache überwiegt wohl uff (neben off und uf). 4. Alte Kürze wird bewahrt und abweichend vom modernen Neuhoch- deutsch durch Konsonantenverdopplung bezeichnet in bischoffe: 8, 9 czu vnsrim hr'n, dem bischoffe, gébin (cursus planus, s. oben § 39, 3, S. 215: in S fehlerhaft byschaff!). Dieselbe Schreibung, die übrigens in der kai- serlichen Kanzleisprache die offizielle war, wird, wie ich schon oben § 81, 3, S. 266 bemerkte, an der für grammatisch korrekte volle Formen und starke Betonung des Titels besonders disponierten Stelle, in der Adresse von 39, 1 geboten, während dann das schwächer betonte Adjektiv im gleichmütigeren Zusammenhang des Brieftextes uw' bischaf- liche wirdekeyt lautet (mit mundartlichem Vokal und einfacher Konso- nanz, also umgangssprachlicher Lautgebung). Dasselbe Verhältnis kehrt wieder 38, 1 (Adresse) h'n heine erzbischoffe der heyligen pregischen hirten, aber gleich nachher im Brieftext uw' bischoflichen wirdikeyt. Vgl. aber auch 34, 1 Ern Niclause, Bischofe zu Mersr und dann im Text Z. 15 f. uwer vet liche werdekeit. An der Richtigkeit der Beob- achtung, daß Adresse und Text wegen ihrer Betonung ungleiche Laut- formen erhalten, ist aber nicht zu zweifeln, wie sich unten § 85, 7 zeigen wird. 5. Sonst schwankt in P die Schreibung der erhaltenen mhd. Kürzen zwischen mhd. und nhd. Brauch (s. oben § 14, 4, S. 185): komen 11,9: bekomen 15, 6; genomen 27, 6f.; vernomen 1, 5; fromen 1, 11; aber volkummelich 6, 9 (volkomelich S, obwohl das zweite Schneeberger Formel- buch sonst Doppelschreibungen liebt); nochkummeling 7, 5 steten (ciui- tatibus) 11, 5; suntage 3, 11; 4, 6 u. ö. stets. Auch für mhd. Gemi- nata steht mehrmals einfache Konsonanz: einmal guner 28, 6 neben dem häufigen gunner; dem in P regelmäßigen metewochin 1, 12; 3, 10: 17, 1. steht an denselben Briefstellen im ersten Schneeberger Formelbuch gegen- über mittewochin; ferner in P methefaste 5, 5 (auch S methevaste). Für mhd. nhd. bitten erscheint meist Schreibung mit einfachem t oder th: oft im Eingang der Petitionsformel bit wir euch 11, 7; 15, 9; 16, 7: 1 Zwierzina, Zeitschr. f. d. Altert. 1901, Bd. 45, S. 70 u. Anm. 1: Nau- mann a. a. O. S. 188. — Für das in diesem Zusammenhang mit angeführte nu bezeugt freilich der ausgesprochen schlesische Briefsteller in Sw durch die Schreibung nuhe Längung des u: das ich euch in eym sulchen adir grossern wil nuhe vnd czu allen czeitn dynen (Einleit. S. 147, IIIb, Z. 11b), wobei die emphatische Betonung des Worts im Satzausammenhang, die hier besonders deutlich ist, nicht unbeachtet bleiben möge.
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Zusammenfassende Charakteristik. 271 bethe wir 10, 10; bit ich euch 7, 7; ich bete 5, 4; ebenso mit gros' bethe 7, 8; vm vnsir bete wille 15, 10. Aber einmal beger ich vnd bitthe 9, 7. In S steht an den entsprechenden Briefstellen des von P und S überlieferten Formularbuchs mehrmals bitte ich, bitte wir (s. unten). Das Wort 'Mutter' (mhd. muoter) erscheint in der Schreibung mut" 15, 6 P S ohne Andeutung der Verkürzung des Stammsilbenvokals, die doch im Schlesischen um 1400 gewiß schon vollzogen war. Umgekehrt zeigt sich die den alten langen Vokal verkürzende neuhochdeutsche Ortho- graphie in iemmerlich 13, 4. 6. Die Konsonantenverdopplung hält P sonst noch in engsten Grenzen, wie das ja auch die Sprache der böhmischen Kanzlei und der Reichskanzlei im 14. Jahrhundert tut. Doch war sie schlesischer Schreibtradition schon am Anfang des 14. Jahrhunderts nicht fremd bei f, t, den Nasalen und Liquiden, wie z. B. die Handschrift der Kreuz- fahrt des Landgrafen Ludwig bezeugt (Naumann a. a. O. S. 184), mit der P die Verdopplung des 1 in alleyne 13, 5 gemein hat. In loffen 28, 5 (neben lofin 20, 8) hat man schwerlich phonetische Kürze, etwa unter analogischem Einfluß der durch Ubertritt in die ablautende Kon- jugation gekürzten Präteritalformen geloffen, loff, die allerdings am Riesen- gebirge und an der obern Glatzer Neiße (gerade auch in Frankenstein) heute in der Mundart herrschen (Wrede, Anxeig. f. deutsch. Altertum 1898 Bd. 24, S. 121f.; Unwerth S. 66 § 103, III gelufa gelaufen"). Viel- mehr wird die Geminata hier ebenso bloß graphisch sein wie in dorfferen 27, 6; groffen (comiti) 29, 2 (aber grofen 30, 1). Auch von konniclecht" mechte 22, 6 (neben konig 22, 3; 11, 5; 12, 4; koningis 16, 5; koninge 17, 12) dürfte im Grunde graphisch zu werten sein, aber wahrscheinlich greift hier ein psychisch-phonctisches Motiv ein: die Doppelschreibung soll dem Wort größeres Gewicht, also auch stärkeren Ton verleihen. 7. Beträchtlich häufiger verwendet Doppelschreibung von Konsonanten S in den 19 mit P gemeinsamen Briefen des ersten Schneeberger Formel- buchs (vgl. oben Nr. 2). Es ist das ein Zeichen einer etwas jüngeren Stufe der schriftsprachlichen Entwicklung. Betroffen werden von der Doppelschreibung mit Vorliebe f und ft, die Nasale, t. Das gilt auch für die Sprache der Reichskanzlei und der böhmischen Kanzlei. In jenen 19 Briefen stehn sich gegenüber in P und S t und tt für mhd. tt: 1, 12 metewochin P, mittewochin S; 7, 7 bit ich euch P, bitte ich euch S; 11, 7 und 16, 7 bit wir P, bitte wir S. Als Ersatz mhd. einfacher Konsonanz erscheinen m und mm : 9, 6 komen P, konnen (verschrieben für mm) S; doch 6, 9 volkummelich P, volkomelich S (während 7, 5 noch kummelinge P, noch kommelingen S); f und ff: 1, 7 und 16, 6 tewfers, teufers P, tôffers (oder tvffers?) S; 5, 7 an ofschop P, an offschop S; 18, 12 dorfte P, dorffe S; ft und fft: 2, 7 hirschaft P, hyrschafft S; 8, 2 Fruntschaft P, ffruntschafft S; 13, 2 fruntschaft P, fruntschafft S. Hier darf man auch anreihen das ein-
Zusammenfassende Charakteristik. 271 bethe wir 10, 10; bit ich euch 7, 7; ich bete 5, 4; ebenso mit gros' bethe 7, 8; vm vnsir bete wille 15, 10. Aber einmal beger ich vnd bitthe 9, 7. In S steht an den entsprechenden Briefstellen des von P und S überlieferten Formularbuchs mehrmals bitte ich, bitte wir (s. unten). Das Wort 'Mutter' (mhd. muoter) erscheint in der Schreibung mut" 15, 6 P S ohne Andeutung der Verkürzung des Stammsilbenvokals, die doch im Schlesischen um 1400 gewiß schon vollzogen war. Umgekehrt zeigt sich die den alten langen Vokal verkürzende neuhochdeutsche Ortho- graphie in iemmerlich 13, 4. 6. Die Konsonantenverdopplung hält P sonst noch in engsten Grenzen, wie das ja auch die Sprache der böhmischen Kanzlei und der Reichskanzlei im 14. Jahrhundert tut. Doch war sie schlesischer Schreibtradition schon am Anfang des 14. Jahrhunderts nicht fremd bei f, t, den Nasalen und Liquiden, wie z. B. die Handschrift der Kreuz- fahrt des Landgrafen Ludwig bezeugt (Naumann a. a. O. S. 184), mit der P die Verdopplung des 1 in alleyne 13, 5 gemein hat. In loffen 28, 5 (neben lofin 20, 8) hat man schwerlich phonetische Kürze, etwa unter analogischem Einfluß der durch Ubertritt in die ablautende Kon- jugation gekürzten Präteritalformen geloffen, loff, die allerdings am Riesen- gebirge und an der obern Glatzer Neiße (gerade auch in Frankenstein) heute in der Mundart herrschen (Wrede, Anxeig. f. deutsch. Altertum 1898 Bd. 24, S. 121f.; Unwerth S. 66 § 103, III gelufa gelaufen"). Viel- mehr wird die Geminata hier ebenso bloß graphisch sein wie in dorfferen 27, 6; groffen (comiti) 29, 2 (aber grofen 30, 1). Auch von konniclecht" mechte 22, 6 (neben konig 22, 3; 11, 5; 12, 4; koningis 16, 5; koninge 17, 12) dürfte im Grunde graphisch zu werten sein, aber wahrscheinlich greift hier ein psychisch-phonctisches Motiv ein: die Doppelschreibung soll dem Wort größeres Gewicht, also auch stärkeren Ton verleihen. 7. Beträchtlich häufiger verwendet Doppelschreibung von Konsonanten S in den 19 mit P gemeinsamen Briefen des ersten Schneeberger Formel- buchs (vgl. oben Nr. 2). Es ist das ein Zeichen einer etwas jüngeren Stufe der schriftsprachlichen Entwicklung. Betroffen werden von der Doppelschreibung mit Vorliebe f und ft, die Nasale, t. Das gilt auch für die Sprache der Reichskanzlei und der böhmischen Kanzlei. In jenen 19 Briefen stehn sich gegenüber in P und S t und tt für mhd. tt: 1, 12 metewochin P, mittewochin S; 7, 7 bit ich euch P, bitte ich euch S; 11, 7 und 16, 7 bit wir P, bitte wir S. Als Ersatz mhd. einfacher Konsonanz erscheinen m und mm : 9, 6 komen P, konnen (verschrieben für mm) S; doch 6, 9 volkummelich P, volkomelich S (während 7, 5 noch kummelinge P, noch kommelingen S); f und ff: 1, 7 und 16, 6 tewfers, teufers P, tôffers (oder tvffers?) S; 5, 7 an ofschop P, an offschop S; 18, 12 dorfte P, dorffe S; ft und fft: 2, 7 hirschaft P, hyrschafft S; 8, 2 Fruntschaft P, ffruntschafft S; 13, 2 fruntschaft P, fruntschafft S. Hier darf man auch anreihen das ein-
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272 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. malige k gk: 12, 11 werke P, worgken S. Das sonderbare ff im An- lauti bringt S im Brieftext nur einmal: 6, 8 furleuten P, ffurluten S. Mehrmals aber am Anfange der Salutatio. 2, 3 Fruntlichen grus czu vor P, ffruntlichen grus czu vor S; 4, 2 Frunt- schaft grus czu vor P, ffruntlichen gr. cz. v. S; 8, 2 Fruntschaft mit rechtir libe czu vor P, ffruntschafft mit stet‘ 1. cz. uor S; 14, 2 Fruntlichen grus mit dinste czu vor P, ffruntlichen gr. m. d. czu uor S; 16, 3 Fruntlichen grus mit stetir libe czu vor P, ffrundlichen gr. m. stet‘ 1. czu uor S; 17, 3 Fruntlichen grus mit stetim dinste zcu vor P, ffruntlichen gr. m. st. d. zeu uor S. Offenbar will der Schreiber von S gerade das Anfangswort der Sa- lutatio durch die Verdopplung des f hervorheben und betonen, was sonst eine große Initiale erreicht; denn sobald die Worte fruntlichen, fruntschaft in der Salutatio an zweiter Stelle oder im Drieftexte stehen, gibt er ihnen das einfache f; 12, 3 Stetekeyt fruntliches grus czu vor P, St. fruntlich gr. czu uor S; 13, 2 Vnsir fruntschaft mit vleissigen dinst czu vor P, vns' frutschafft [so !] m. vlisegen dinste czu uor S; 15, 3 Steten dinst mit fruntlichen grus ezu vor P, stetin d. m. fruntlichem gr. czu uor S; 19, 3 Vnsir fruntlichn grus czu vor P, Vns’n fruntlichen gr. czu uor S; 13, 7 Dorvmme bit wir vnsir frunde fruntlichen PS. 8. In unserer Textauswahl aus dem zweiten Schneeberger Formel- buch steht die Schreibung, was die Anwendung der nhd. newen Doppel- konsonanten betrifft, noch so ziemlich auf mhd. Stufe. Das mm in kummit 31, 6 ist vereinzelt. Wir lesen sonst komet 44, 12; fromen 32, 6; fromlich 32, 7, ferner vernomen, stad oder stat, stadrecht, got, goter, gotis hulfe, zcubestatunge, wederstatunge. Das Wort Brief, das in den Texten der Schlägler Handschrift und des ersten Schnecberger Formelbuchs mehrfach Doppelkonsonanz aufweist (s. oben S. 269) er- scheint ein einxiges Mal als briffe (39, 11), sonst aber finden wir bry 31, 2; bryfe 34, 13; brife 37, 16; 39, 12; brifis 32, 6; 43, 14; brifes 37, 12; 38, 12; brifen 44, 12. Rein graphisch ist kouffet 41, II, wo- bei aber immerhin zu beachten sein dürfte, daß es als Haupt- oder Stich- wort der Petitio, als Kern also des ganzen einen Bücherkauf erbittenden Briefes den vollen Nachdruck haben soll und vielleicht darum mit Doppel- konsonanz beschwert wird: vmb ein bequemlich gelt kurtzlichen kouffet vn sendet. Es ist danach fraglich, ob in babestliche brife ym hoff zu 1 Rückert S. 179 glaubt, es schon im XIV. Jahrhundert aus schlesischen Quellen nachweisen zu können und Pietsch verweist zur Bestätigung auf eine Schweidnitzer Urkunde von 1337 Codex diplomat. Silesiae VIII Nr. I4' mit den Schreibungen ffürste, Ffridil, ffleischewer, ffuren. Allein diese Urkunde ist a. a. O. aus den Schweidnitzer Handwerkerstatuten einer Handschrift abge- druckt, die nach des Herausgebers Korn Angabe (S. VIII) von einer [d. h. einer einxigen] Hand geschrieben Handwerksordnungen aus dem 14. und 15. Jahr- hundert’ enthält, also eben doch im 15. Jahrhundert geschrieben ist, natürlich nicht ohne Veränderung der Orthographie des Originals von 1337.
272 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. malige k gk: 12, 11 werke P, worgken S. Das sonderbare ff im An- lauti bringt S im Brieftext nur einmal: 6, 8 furleuten P, ffurluten S. Mehrmals aber am Anfange der Salutatio. 2, 3 Fruntlichen grus czu vor P, ffruntlichen grus czu vor S; 4, 2 Frunt- schaft grus czu vor P, ffruntlichen gr. cz. v. S; 8, 2 Fruntschaft mit rechtir libe czu vor P, ffruntschafft mit stet‘ 1. cz. uor S; 14, 2 Fruntlichen grus mit dinste czu vor P, ffruntlichen gr. m. d. czu uor S; 16, 3 Fruntlichen grus mit stetir libe czu vor P, ffrundlichen gr. m. stet‘ 1. czu uor S; 17, 3 Fruntlichen grus mit stetim dinste zcu vor P, ffruntlichen gr. m. st. d. zeu uor S. Offenbar will der Schreiber von S gerade das Anfangswort der Sa- lutatio durch die Verdopplung des f hervorheben und betonen, was sonst eine große Initiale erreicht; denn sobald die Worte fruntlichen, fruntschaft in der Salutatio an zweiter Stelle oder im Drieftexte stehen, gibt er ihnen das einfache f; 12, 3 Stetekeyt fruntliches grus czu vor P, St. fruntlich gr. czu uor S; 13, 2 Vnsir fruntschaft mit vleissigen dinst czu vor P, vns' frutschafft [so !] m. vlisegen dinste czu uor S; 15, 3 Steten dinst mit fruntlichen grus ezu vor P, stetin d. m. fruntlichem gr. czu uor S; 19, 3 Vnsir fruntlichn grus czu vor P, Vns’n fruntlichen gr. czu uor S; 13, 7 Dorvmme bit wir vnsir frunde fruntlichen PS. 8. In unserer Textauswahl aus dem zweiten Schneeberger Formel- buch steht die Schreibung, was die Anwendung der nhd. newen Doppel- konsonanten betrifft, noch so ziemlich auf mhd. Stufe. Das mm in kummit 31, 6 ist vereinzelt. Wir lesen sonst komet 44, 12; fromen 32, 6; fromlich 32, 7, ferner vernomen, stad oder stat, stadrecht, got, goter, gotis hulfe, zcubestatunge, wederstatunge. Das Wort Brief, das in den Texten der Schlägler Handschrift und des ersten Schnecberger Formelbuchs mehrfach Doppelkonsonanz aufweist (s. oben S. 269) er- scheint ein einxiges Mal als briffe (39, 11), sonst aber finden wir bry 31, 2; bryfe 34, 13; brife 37, 16; 39, 12; brifis 32, 6; 43, 14; brifes 37, 12; 38, 12; brifen 44, 12. Rein graphisch ist kouffet 41, II, wo- bei aber immerhin zu beachten sein dürfte, daß es als Haupt- oder Stich- wort der Petitio, als Kern also des ganzen einen Bücherkauf erbittenden Briefes den vollen Nachdruck haben soll und vielleicht darum mit Doppel- konsonanz beschwert wird: vmb ein bequemlich gelt kurtzlichen kouffet vn sendet. Es ist danach fraglich, ob in babestliche brife ym hoff zu 1 Rückert S. 179 glaubt, es schon im XIV. Jahrhundert aus schlesischen Quellen nachweisen zu können und Pietsch verweist zur Bestätigung auf eine Schweidnitzer Urkunde von 1337 Codex diplomat. Silesiae VIII Nr. I4' mit den Schreibungen ffürste, Ffridil, ffleischewer, ffuren. Allein diese Urkunde ist a. a. O. aus den Schweidnitzer Handwerkerstatuten einer Handschrift abge- druckt, die nach des Herausgebers Korn Angabe (S. VIII) von einer [d. h. einer einxigen] Hand geschrieben Handwerksordnungen aus dem 14. und 15. Jahr- hundert’ enthält, also eben doch im 15. Jahrhundert geschrieben ist, natürlich nicht ohne Veränderung der Orthographie des Originals von 1337.
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Zusammenfassende Charakteristik. 273 Rome besund’lich bestetiget das doppelte f bloß phonetisches Zeichen des kurzen Vokals sein, ob es nicht vielmehr wieder nur dem Wort ein schwereres Gewicht verleihen soll. Uber die Doppelschreibung des f in der nebentonigen Silbe von Bischof , Erzbischof sprach ich schon (Abschnitt 4, S. 270). Auch in der kaiserlichen Kanzleisprache des ausgehenden 14. Jahrhunderts tauchen Doppelschreibungen von Konsonanten besonders gern bei f und Verbindungen mit f auf: kauffen, helffen, hulffe, crafft oder krafft usw. sind nicht selten. Es bleibt indessen zu untersuchen, ob nicht auch dort für die Wahl oder Nichtwahl doppelter Schreibung die stärkere oder schwächere Betonung im Satz, die stärkere oder geringere Bedeutungsschwere entscheidend ist. Ganz sicher, scheint mir, xeigt dieses von mir wiederholt schon (oben S. 269. 270. 271. 272) angenommene oder vermutete, für ein modernes, wissenschaftlich geschultes Sprachgefühl so befremdliche, ja geradezu ko- mische Motiv, dem psychologisch teils eine optische, teils eine akustische Ab- sicht und Wirkung zugrunde liegt, der Schluß eines äußerst devoten Briefs König Wenzel, worin, um die Verspätung des schuldigen militärischen an Zuxugs zu beschönigen, höchste Dienstwilligkeit beteuert wird: vnde nicht alleyn in dem, sund’ in allemm uw’n furstlichn gnedikeyten wol wir (wollen wir) allen (= allenn) enden genemelichen dynen 35, 19ff. Etwas anders wird man urteilen müssen über: heinre von B., des Missenniischen bischtummes 39, 11f. Hier dürfte die Verdopplung des m lediglich dem Bestreben entsprungen sein, die zweite Silbe des dem Ad- jektiv zugrunde liegenden Landesnamens gegenüber der in der lateinischen Fassung stehenden synkopierten Form Misnensis dyocesis zu sichern und ihr einen hinlänglichen Ton zu verschaffen, während das doppelte m viel- leicht die Verkürzung der Ableitungssilbe tum ausdrücken soll, möglicher- weise zugleich aber auch wieder die respektvoll nachdrückliche erstmalige Hervorhebung der Amtsbezcichnung erstrebt, der dann gleich darauf die einfachere Schreibung und leichtere Betonung mynes bischtumps 39, 13 folgt. An drei andern Stellen begnügt sich der Schreiber mit den Formen prister des mysenischen Bysthumes 33, 11; schuler dez myschenischin Bysthumps 34, 5; vnde dem ganczen bisthum 38, 16. Das seltene Wort thummereye (43, 12. 17) als Ubersetzung von prae- latura, hat uns schon oben (§ 79, 1, S. 248) beschäftigt wegen seiner im zweiten Schneeberger Formelbuch völlig vereinzelten Diphthongierung. Auch das doppelte m in diesem Worte erklärt sich gegenüber dem im selben Brief danebenstehenden thumhern, thumher (43, 1. 9) als Mittel zur Ge- wichtsverstärkung. Es ist ein Respektszeichen wie auch das th. 9. Die Schreibung th, die in schlesischer Schreibtradition schon am Anfang des 14. Jahrhunderts beliebt ist, wie die Handschrift von Ludwigs Kreuzfahrt' lehrt (s. Naumann a. a. O. S. 184) begegnet übrigens im zweiten Schneeberger Formelbuch auffallend oft: bethn (bethe) wir 31, 4; 32, 10; 34, 15; Bythe wir 33, 12; gebethn had 34, 8; gebethe 34, 17f.;
Zusammenfassende Charakteristik. 273 Rome besund’lich bestetiget das doppelte f bloß phonetisches Zeichen des kurzen Vokals sein, ob es nicht vielmehr wieder nur dem Wort ein schwereres Gewicht verleihen soll. Uber die Doppelschreibung des f in der nebentonigen Silbe von Bischof , Erzbischof sprach ich schon (Abschnitt 4, S. 270). Auch in der kaiserlichen Kanzleisprache des ausgehenden 14. Jahrhunderts tauchen Doppelschreibungen von Konsonanten besonders gern bei f und Verbindungen mit f auf: kauffen, helffen, hulffe, crafft oder krafft usw. sind nicht selten. Es bleibt indessen zu untersuchen, ob nicht auch dort für die Wahl oder Nichtwahl doppelter Schreibung die stärkere oder schwächere Betonung im Satz, die stärkere oder geringere Bedeutungsschwere entscheidend ist. Ganz sicher, scheint mir, xeigt dieses von mir wiederholt schon (oben S. 269. 270. 271. 272) angenommene oder vermutete, für ein modernes, wissenschaftlich geschultes Sprachgefühl so befremdliche, ja geradezu ko- mische Motiv, dem psychologisch teils eine optische, teils eine akustische Ab- sicht und Wirkung zugrunde liegt, der Schluß eines äußerst devoten Briefs König Wenzel, worin, um die Verspätung des schuldigen militärischen an Zuxugs zu beschönigen, höchste Dienstwilligkeit beteuert wird: vnde nicht alleyn in dem, sund’ in allemm uw’n furstlichn gnedikeyten wol wir (wollen wir) allen (= allenn) enden genemelichen dynen 35, 19ff. Etwas anders wird man urteilen müssen über: heinre von B., des Missenniischen bischtummes 39, 11f. Hier dürfte die Verdopplung des m lediglich dem Bestreben entsprungen sein, die zweite Silbe des dem Ad- jektiv zugrunde liegenden Landesnamens gegenüber der in der lateinischen Fassung stehenden synkopierten Form Misnensis dyocesis zu sichern und ihr einen hinlänglichen Ton zu verschaffen, während das doppelte m viel- leicht die Verkürzung der Ableitungssilbe tum ausdrücken soll, möglicher- weise zugleich aber auch wieder die respektvoll nachdrückliche erstmalige Hervorhebung der Amtsbezcichnung erstrebt, der dann gleich darauf die einfachere Schreibung und leichtere Betonung mynes bischtumps 39, 13 folgt. An drei andern Stellen begnügt sich der Schreiber mit den Formen prister des mysenischen Bysthumes 33, 11; schuler dez myschenischin Bysthumps 34, 5; vnde dem ganczen bisthum 38, 16. Das seltene Wort thummereye (43, 12. 17) als Ubersetzung von prae- latura, hat uns schon oben (§ 79, 1, S. 248) beschäftigt wegen seiner im zweiten Schneeberger Formelbuch völlig vereinzelten Diphthongierung. Auch das doppelte m in diesem Worte erklärt sich gegenüber dem im selben Brief danebenstehenden thumhern, thumher (43, 1. 9) als Mittel zur Ge- wichtsverstärkung. Es ist ein Respektszeichen wie auch das th. 9. Die Schreibung th, die in schlesischer Schreibtradition schon am Anfang des 14. Jahrhunderts beliebt ist, wie die Handschrift von Ludwigs Kreuzfahrt' lehrt (s. Naumann a. a. O. S. 184) begegnet übrigens im zweiten Schneeberger Formelbuch auffallend oft: bethn (bethe) wir 31, 4; 32, 10; 34, 15; Bythe wir 33, 12; gebethn had 34, 8; gebethe 34, 17f.;
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274 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. häufiger aber dies Wort mit t: bit (bite) wir 35, 14 (gleich darauf biten = bîten expectare 35, 16!); 36, 13; ich bite 40, 11; bite ich 41, 9; 42, 11; (wir) biten 43, 15; gebeten 39, 11; bitet 39, 18), durch bete willen 42, 8; thun wir kunt 36, 8; 40, 8; thun wir czuwyssen 37, 11; Thut ir das 41, 11; 43, 18; wol weysn (s. oben S. 248, § 79, 1, 1) luthn 32, 4 aber erbarer lute 38, 9; cristen luten 36, 16); in eyme guthen ge- ruchte 32, 8; allez guth 32, 10 ; eynen guthn willen 32, 11; mit guthem willen vndebedachte muthe 33, 9 f. (aber von gutn, fromen elichn eldern 32, 6; gutlichen senden wollet 36, 14; gutlichn czu vorlyen 34, 14f.; gut- lichen dinst 42, 15) ; in vns’m gebithe (destricto) 34, 14 ; vnd’thenikeyt 35, 15; 38, 6. Die Beispiele im Wort bisthum sind bereits oben angeführt. In P erscheint das th seltener; s. die oben § 17, 5 S. 196 verzeichneten Fälle, denen noch 15, 13 Rothmanne czur sweydenicz; 27, 2 frunthlichn gunner hinzuxufügen ist. § 83. Enklise und Proklise. 1. Wie oben in § 80, 1 (S. 254 ff.) dargelegt wurde, versagt die normale abendländische Schreibsitte für die wichtigste Wirkung des Satzakzents, für die Verschmelzung schwach betonter Wörter mit einem vorangehenden oder folgenden relativ stärker (nicht notwendig absolut stark) betonten Wort und für die damit verbundenen Veränderungen der lautlichen Qua- lität des angelehnten oder vorgelehnten Wortes. Die deutsche Schrift- und Literatursprache des Mittelalters und auch der Gegenwart verzichtet aber nicht ganz darauf, diese aus Enklise und Proklise entstandenen Ver- schmelzungen sinnfällig zu machen. Sie greift vielmehr eine Anzahl von Fällen ziemlich willkürlich und mit wechselnder Auswahl heraus, in denen sie gewohnheitsmäßig das Zusammenwachsen zweier Worte durch die Schrei- bung bexeichnet. Die bekanntesten und im allgemeinen Gebrauch am festesten haftenden Zusammenziehungen und Durchbrechungen des Grundsatzes der Wortschrift, abgesehen von den unechten Nominalkompositen, die sich als bloße Zusammenrückungen durch den satzphonetisch bedingten Ver- stoß gegen die gesetzliche Anfangsbetonung verraten (z. B. Jàhrhúndert) — sind in der heutigen Schriftsprache die von Präpositionen und Artikel- formen (am, im, vom, zur) und die von es' und einem betonteren voran- gehenden Wort (ich bins, er hats, wenns möglich ist). Die ver- schiedenen Stilsphären weichen heute dabei hinsichtlich der Zulässigkeit solcher Wortpaarungen voneinander ab. Die mhd. Literatursprache aber erlaubte auch andere, und sie erlaubte zahlreichere Wortverschmelzungen als die moderne. Den mhd. deich (daz ich), deist, dêst (daz ist) erst, derst (er ist, der ist) hat die nhd. Schriftsprache kein Bürgerrecht ge- währt. Und Schreibungen und Reime der hohen mhd. Dichtersprache wie mohter (mohte er): tohter; vander (vant er): einander; baten (bat in): staten; dun (du in): sun haben in der nhd. Literatursprache keinen Platz. Ebensowenig duldet sie die in mhd. Handschriften gewöhnliche
274 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. häufiger aber dies Wort mit t: bit (bite) wir 35, 14 (gleich darauf biten = bîten expectare 35, 16!); 36, 13; ich bite 40, 11; bite ich 41, 9; 42, 11; (wir) biten 43, 15; gebeten 39, 11; bitet 39, 18), durch bete willen 42, 8; thun wir kunt 36, 8; 40, 8; thun wir czuwyssen 37, 11; Thut ir das 41, 11; 43, 18; wol weysn (s. oben S. 248, § 79, 1, 1) luthn 32, 4 aber erbarer lute 38, 9; cristen luten 36, 16); in eyme guthen ge- ruchte 32, 8; allez guth 32, 10 ; eynen guthn willen 32, 11; mit guthem willen vndebedachte muthe 33, 9 f. (aber von gutn, fromen elichn eldern 32, 6; gutlichen senden wollet 36, 14; gutlichn czu vorlyen 34, 14f.; gut- lichen dinst 42, 15) ; in vns’m gebithe (destricto) 34, 14 ; vnd’thenikeyt 35, 15; 38, 6. Die Beispiele im Wort bisthum sind bereits oben angeführt. In P erscheint das th seltener; s. die oben § 17, 5 S. 196 verzeichneten Fälle, denen noch 15, 13 Rothmanne czur sweydenicz; 27, 2 frunthlichn gunner hinzuxufügen ist. § 83. Enklise und Proklise. 1. Wie oben in § 80, 1 (S. 254 ff.) dargelegt wurde, versagt die normale abendländische Schreibsitte für die wichtigste Wirkung des Satzakzents, für die Verschmelzung schwach betonter Wörter mit einem vorangehenden oder folgenden relativ stärker (nicht notwendig absolut stark) betonten Wort und für die damit verbundenen Veränderungen der lautlichen Qua- lität des angelehnten oder vorgelehnten Wortes. Die deutsche Schrift- und Literatursprache des Mittelalters und auch der Gegenwart verzichtet aber nicht ganz darauf, diese aus Enklise und Proklise entstandenen Ver- schmelzungen sinnfällig zu machen. Sie greift vielmehr eine Anzahl von Fällen ziemlich willkürlich und mit wechselnder Auswahl heraus, in denen sie gewohnheitsmäßig das Zusammenwachsen zweier Worte durch die Schrei- bung bexeichnet. Die bekanntesten und im allgemeinen Gebrauch am festesten haftenden Zusammenziehungen und Durchbrechungen des Grundsatzes der Wortschrift, abgesehen von den unechten Nominalkompositen, die sich als bloße Zusammenrückungen durch den satzphonetisch bedingten Ver- stoß gegen die gesetzliche Anfangsbetonung verraten (z. B. Jàhrhúndert) — sind in der heutigen Schriftsprache die von Präpositionen und Artikel- formen (am, im, vom, zur) und die von es' und einem betonteren voran- gehenden Wort (ich bins, er hats, wenns möglich ist). Die ver- schiedenen Stilsphären weichen heute dabei hinsichtlich der Zulässigkeit solcher Wortpaarungen voneinander ab. Die mhd. Literatursprache aber erlaubte auch andere, und sie erlaubte zahlreichere Wortverschmelzungen als die moderne. Den mhd. deich (daz ich), deist, dêst (daz ist) erst, derst (er ist, der ist) hat die nhd. Schriftsprache kein Bürgerrecht ge- währt. Und Schreibungen und Reime der hohen mhd. Dichtersprache wie mohter (mohte er): tohter; vander (vant er): einander; baten (bat in): staten; dun (du in): sun haben in der nhd. Literatursprache keinen Platz. Ebensowenig duldet sie die in mhd. Handschriften gewöhnliche
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Zusammenfassende Charakteristik. 275 Schreibung tuostu, tuoste (tuost du). Auch d'ougen (die ougen) ist von ihr völlig, smorgens (des morgens), lâtz kint (lât daz kint) wenigstens im ernsten Prosastil verpont. Erst die Geniesprache des 18. Jahrhunderts hat, Winken Bodmers folgend, in dieses Verbot Bresche gelegt1. Hier ist eben eine durchgreifende Anderung in der Machtverteilung zwischen uni- verbaler und satzphonetischer Schreibung eingetreten. In dem oben (§ 80) betrachteten Kampf zwischen Wortschrift und Satzschrift hat die nhd. Gemeinsprache für diese Fälle sich zugunsten der Wortsprache entschieden. Man kann im allgemeinen sagen: die schriftsprachliche Bewegung, der wir das Aufkommen und Durchdringen des neuhochdeutschen Sprach- typus danken, ist der satzphonetischen Schreibung abhold, sie strebt danach, sie einzuengen und ihre aus der mittelalterlichen Tradition verbliebenen Rückstände möglichst zu verringern. Denn ihrem Sprachbewußtsein wird das einheitliche, isolierte, in seiner grammatischen Ganzheit und Beschaulichkeit unversehrte Wortbild die Grundlage und der Bestand, jedesfalls aber das Ideal der Schrift, der Schriftsprache, ja der Sprache überhaupt. Die Geschichte der Anfänge und der älteren Epochen des Neu- hochdeutschen hat die Aufgabe, diesen Kampf für die Integrität des Wortbilds, der sich mit dem von Rudolf Hildebrand zuerst er- kannten und benannten Proxeß der sprachlichen Restitution wie mit dem Trieb zur etymologischen Deutlichkeit verflicht, im weitesten Umfang und mit schärfster Genauigkeit zu verfolgen und darzustellen. Dabei würden ein besonderes wichtiges Kapitel die Schwankungen und Zweifel erfordern, die in den Handschriften entstehn durch Un- sicherheit oder Irrtümer bei der Abgrenzung proklitischer Worte. Bekannt- lich ist die hiermit zusammenhängende Behandlung der sogenannten trenn- baren (oder unechten) Verbalkomposita auch in der neuhochdeutschen Schriftsprache und Orthographie ein nicht ganz allgemein und überein- stimmend gelöstes Problem. Oben § 43, S. 217 sind von Bebermeyer einige lehrreiche Beispiele besprochen für die zweifelhafte Rhythmisierung der Komposita czusendin, czusehen, czunemen, die akzentuiert zu sein scheinen wie Infinitivkonstruktionen der entsprechenden Simplicia mit czu. Indessen ist 9, 8 vleyselich czu sehn meines Erachtens wirklich ein Fall, der in der Schwebe ist und wo man zweifeln muß, ob zu sehen' oder zusehn' gemeint sei. Ich glaube, die Herstellung unseres Textes hat sich richtig entschieden. 1 Uber diese erfolgreichen Bemühungen, die im grammatischen Wort- schematismus stagnierende moderne Schriftsprache zu ermuntern durch Zufuhr frischer Luft aus dem Sprechdeutsch und der altdeutschen Schrift- und Schrift- sprache, die dem lebendigen Tonfall näher geblieben waren, vgl. meine wieder- holten Erörterungen, die jetzt vereinigt sind in Vorspiel' (Halle a. S., M. Nie- meyer 1925, 1926), Bd. 1 1, S. 33f.; 12, S. 35f., 203 ff.; II, S. 16 ff., 41ff.. 47ff., 50ff.; daau meinen Aufsatz Aus der Sprachwerkstatt des jungen Goethe', Zeitwende (München C. H. Beck), 2. Jahrg. 1926, Märxheft S. 259f.
Zusammenfassende Charakteristik. 275 Schreibung tuostu, tuoste (tuost du). Auch d'ougen (die ougen) ist von ihr völlig, smorgens (des morgens), lâtz kint (lât daz kint) wenigstens im ernsten Prosastil verpont. Erst die Geniesprache des 18. Jahrhunderts hat, Winken Bodmers folgend, in dieses Verbot Bresche gelegt1. Hier ist eben eine durchgreifende Anderung in der Machtverteilung zwischen uni- verbaler und satzphonetischer Schreibung eingetreten. In dem oben (§ 80) betrachteten Kampf zwischen Wortschrift und Satzschrift hat die nhd. Gemeinsprache für diese Fälle sich zugunsten der Wortsprache entschieden. Man kann im allgemeinen sagen: die schriftsprachliche Bewegung, der wir das Aufkommen und Durchdringen des neuhochdeutschen Sprach- typus danken, ist der satzphonetischen Schreibung abhold, sie strebt danach, sie einzuengen und ihre aus der mittelalterlichen Tradition verbliebenen Rückstände möglichst zu verringern. Denn ihrem Sprachbewußtsein wird das einheitliche, isolierte, in seiner grammatischen Ganzheit und Beschaulichkeit unversehrte Wortbild die Grundlage und der Bestand, jedesfalls aber das Ideal der Schrift, der Schriftsprache, ja der Sprache überhaupt. Die Geschichte der Anfänge und der älteren Epochen des Neu- hochdeutschen hat die Aufgabe, diesen Kampf für die Integrität des Wortbilds, der sich mit dem von Rudolf Hildebrand zuerst er- kannten und benannten Proxeß der sprachlichen Restitution wie mit dem Trieb zur etymologischen Deutlichkeit verflicht, im weitesten Umfang und mit schärfster Genauigkeit zu verfolgen und darzustellen. Dabei würden ein besonderes wichtiges Kapitel die Schwankungen und Zweifel erfordern, die in den Handschriften entstehn durch Un- sicherheit oder Irrtümer bei der Abgrenzung proklitischer Worte. Bekannt- lich ist die hiermit zusammenhängende Behandlung der sogenannten trenn- baren (oder unechten) Verbalkomposita auch in der neuhochdeutschen Schriftsprache und Orthographie ein nicht ganz allgemein und überein- stimmend gelöstes Problem. Oben § 43, S. 217 sind von Bebermeyer einige lehrreiche Beispiele besprochen für die zweifelhafte Rhythmisierung der Komposita czusendin, czusehen, czunemen, die akzentuiert zu sein scheinen wie Infinitivkonstruktionen der entsprechenden Simplicia mit czu. Indessen ist 9, 8 vleyselich czu sehn meines Erachtens wirklich ein Fall, der in der Schwebe ist und wo man zweifeln muß, ob zu sehen' oder zusehn' gemeint sei. Ich glaube, die Herstellung unseres Textes hat sich richtig entschieden. 1 Uber diese erfolgreichen Bemühungen, die im grammatischen Wort- schematismus stagnierende moderne Schriftsprache zu ermuntern durch Zufuhr frischer Luft aus dem Sprechdeutsch und der altdeutschen Schrift- und Schrift- sprache, die dem lebendigen Tonfall näher geblieben waren, vgl. meine wieder- holten Erörterungen, die jetzt vereinigt sind in Vorspiel' (Halle a. S., M. Nie- meyer 1925, 1926), Bd. 1 1, S. 33f.; 12, S. 35f., 203 ff.; II, S. 16 ff., 41ff.. 47ff., 50ff.; daau meinen Aufsatz Aus der Sprachwerkstatt des jungen Goethe', Zeitwende (München C. H. Beck), 2. Jahrg. 1926, Märxheft S. 259f.
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276 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. 2. Ich muß nun hier xurückgreifen auf die oben (§ 78, 3. 4, S. 242, 245) erörterten Formen des persönlichen Pronomens eir in P. Sie sind, wie ich zeigte, als Eigentum des Schreibers dieser Handschrift zu betrachten, das Original der Briefsammlung dürfte sie, wie ihr aus- nahmsloses Fernbleiben in der Parallelüberlieferung von S im ersten Schneeberger Formelbuch wahrscheinlich macht, aber allerdings nicht sicher- stellt, nicht besessen haben. Jedesfalls sind diese eir ihrem Wesen und Ursprung nach die im Satzzusammenhang betonten Formen des Pro- nomens. Neben ihnen bieten P und S (erstes Schneeberger Formelbuch) auch er, übernommen doch wohl aus ihrer gemeinsamen Vorlage (vgl. oben § 2, 2, S. 172). Das ist hier ohne Frage die im Satz unbetonte Form. An der Kürze ihres e wie des e in den gleich näher zu betrach- tenden gleichartigen Formen en, em, er (ihre), se ist nicht zu zweifeln. Die von Pietsch (Rückert S. 247 Anm. *) aus schlesischen Urkunden beigebrachten Schreibungen ehr, eem, ehm, een, ehn, see, die allerdings auf Dehnung deuten, begegnen in unsern Texten niemals. Allerdings treten die eir in P auch an Stellen auf, wo sie nicht un- bedingt starken Ton tragen. 11, 6 ff. Dorvmme bit wir euch vnd begern vleisseclich, das eir (ir S) czu hant ... czu vns kegen der Swedenicz komen wellet, wen and' stete och dohyn komen werden. Hier scheint zunächst das eir im Satz ohne besondern Ton zu sein, vielmehr nur die schon genugsam bezeichneten Personen zu vertreten. Aber der Gegen- satz ander stete och gibt den Personen doch einen stärkeren Akzent. Kaum zu rechtfertigen ist das eir aber 13, 7 Dorvmme bit wir vnsir frunde fruntlichen ..., das eir vns in desir not ... irlobn wellit; 15, 10 dorvmme bit wir euch, allirlipsten gunnern mit allem vleisse, das eir vm vnsir bete wille den selbin niclos czu ewern meteburger entphoen vnd nemen wellet; 16, 7ff.; 17,10 f.; 27, 6. Dagegen ist das Pronomen 28, 7, obzwar auch hier nur die angeredeten und genau be- zeichneten Personen vertretend, betont durch den Gegensatz eir mit ew'n Jag’rn; über 7, 5 s. unten. Umgekehrt erscheinen die er nicht immer in ganz unbetonter Stellung. Es ist im Gebrauch der beiden Wortabstufungen eine Art Ausgleich ein- getreten, von der es ungewiß ist, was daran auf Rechnung des Schreibers von P, was auf Rechnung der Vorlage und des Originals kommt, was als damals verbreiteter Schriftgebrauch, was als vereinzelt und als Will- kür zu gelten hat. Dorvmme, libn nocgeborn, wir vornomen habin vnd och das alzo irkant habin, das er niclos posch ... in ewirn banden habit siczczen, dorvmme bit wir ewir weisheit mit allim vleisse, das er denselbin niclos posch ... vesticlich wellit haldin 12, 5 ff. Hier ist das er zweimal enklitisch dem das im Ton völlig untergeordnet, das Pronomen braucht und hat keinen Ton, weil es, um den von Behaghel 1 Vgl. Behaghel, Gesch. d. deutschen Sprache4, § 104, S. 114, II.
276 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. 2. Ich muß nun hier xurückgreifen auf die oben (§ 78, 3. 4, S. 242, 245) erörterten Formen des persönlichen Pronomens eir in P. Sie sind, wie ich zeigte, als Eigentum des Schreibers dieser Handschrift zu betrachten, das Original der Briefsammlung dürfte sie, wie ihr aus- nahmsloses Fernbleiben in der Parallelüberlieferung von S im ersten Schneeberger Formelbuch wahrscheinlich macht, aber allerdings nicht sicher- stellt, nicht besessen haben. Jedesfalls sind diese eir ihrem Wesen und Ursprung nach die im Satzzusammenhang betonten Formen des Pro- nomens. Neben ihnen bieten P und S (erstes Schneeberger Formelbuch) auch er, übernommen doch wohl aus ihrer gemeinsamen Vorlage (vgl. oben § 2, 2, S. 172). Das ist hier ohne Frage die im Satz unbetonte Form. An der Kürze ihres e wie des e in den gleich näher zu betrach- tenden gleichartigen Formen en, em, er (ihre), se ist nicht zu zweifeln. Die von Pietsch (Rückert S. 247 Anm. *) aus schlesischen Urkunden beigebrachten Schreibungen ehr, eem, ehm, een, ehn, see, die allerdings auf Dehnung deuten, begegnen in unsern Texten niemals. Allerdings treten die eir in P auch an Stellen auf, wo sie nicht un- bedingt starken Ton tragen. 11, 6 ff. Dorvmme bit wir euch vnd begern vleisseclich, das eir (ir S) czu hant ... czu vns kegen der Swedenicz komen wellet, wen and' stete och dohyn komen werden. Hier scheint zunächst das eir im Satz ohne besondern Ton zu sein, vielmehr nur die schon genugsam bezeichneten Personen zu vertreten. Aber der Gegen- satz ander stete och gibt den Personen doch einen stärkeren Akzent. Kaum zu rechtfertigen ist das eir aber 13, 7 Dorvmme bit wir vnsir frunde fruntlichen ..., das eir vns in desir not ... irlobn wellit; 15, 10 dorvmme bit wir euch, allirlipsten gunnern mit allem vleisse, das eir vm vnsir bete wille den selbin niclos czu ewern meteburger entphoen vnd nemen wellet; 16, 7ff.; 17,10 f.; 27, 6. Dagegen ist das Pronomen 28, 7, obzwar auch hier nur die angeredeten und genau be- zeichneten Personen vertretend, betont durch den Gegensatz eir mit ew'n Jag’rn; über 7, 5 s. unten. Umgekehrt erscheinen die er nicht immer in ganz unbetonter Stellung. Es ist im Gebrauch der beiden Wortabstufungen eine Art Ausgleich ein- getreten, von der es ungewiß ist, was daran auf Rechnung des Schreibers von P, was auf Rechnung der Vorlage und des Originals kommt, was als damals verbreiteter Schriftgebrauch, was als vereinzelt und als Will- kür zu gelten hat. Dorvmme, libn nocgeborn, wir vornomen habin vnd och das alzo irkant habin, das er niclos posch ... in ewirn banden habit siczczen, dorvmme bit wir ewir weisheit mit allim vleisse, das er denselbin niclos posch ... vesticlich wellit haldin 12, 5 ff. Hier ist das er zweimal enklitisch dem das im Ton völlig untergeordnet, das Pronomen braucht und hat keinen Ton, weil es, um den von Behaghel 1 Vgl. Behaghel, Gesch. d. deutschen Sprache4, § 104, S. 114, II.
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Zusammenfassende Charakteristik. 277 eingeführten Ausdruck zu verwenden, anaphorisch steht, d. h. einen schon ausgesprochnen oder unausgesprochen vor der Seele schwebenden Begriff wieder aufnimmt. Im vorliegenden Satz sind die mit er angeredeten Personen eben in breiter Anredeform (libn nocgeborn) genannt worden. Genau ebenso 10, 4. 10ff.: Libn frunde, ... Dorvm bethe wir euir weysheyt gar fleysseclichen, das er am nestin montage noch sinde wolpurgin tag bey vns czu Reychn seyn wellet; 21, 7f.: Bitte w’ euch, vnsir libn gunn’, das er ... den selbin knecht ... wellit losen vor- suchn; 25, 3. 6ff.: Liber niclos, ... dorvmb bit ich euch fleisseclich, das er off den nestin freitag myt mir zcu yn wellet reytn. Es liegt hier also an allen vier Stellen in dem er ein kurzes unbetontes enkliti- sches e vor; nicht etwa darf man an ein langes aus ei kontrahiertes e (er) denken. Bestätigt wird diese Erkenntnis durch die analoge Form des Pos- sessivpronomens. Einmal (6, 7. 8) steht diese proklitisch fast in un- mittelbarer Verbindung mit dem hier gleichfalls proklitischen Personal- pronomen: Allirlipster vett', Ich . . . bit euch vm drey firtil sweyde- nicz birs . . . mir geruchit, zo er schirschte mogit, her off czu sczicken, wen ich den furleuten er furlon vollkummelich beczalen wil mit ge- reytem gelde. Auch hier sind beide Pronomina anaphorisch, das zweite, das noch nach mhd. Weise an Stelle cines Possessivs steht (= nhd. ihren Fuhrlohn’), ist anaphorisch, weil der Begriff furleuten zwar noch nicht ausgesprochen, aber durch die Bitte um Heraufschicken des Biers bereits gegeben und der Vorstellung bekannt ist. Unsere nhd. Schriftsprache kennt solche in der Schrift ausgedrückte Lautabstufung zwischen satzbetonten und satzunbetonten Pronomen nicht. In ihr hat vielmehr das Prinzip der grammatischen Wortschrift trium- phiert: jedes Wort ist eine Einheit und eine einmalige Größe, Doppel- formen mit abweichender Lautqualität sind dem schematischen Sprach- bewußtsein ein Greuel. Die schriftsprachliche Tendenz, deren völligen Sieg der nhd. Sprachzustand seit dem 17. Jahrhundert erkennen läßt, be- stand aber schon am Anfang des 15. Jahrhunderts: an allen vier Stellen in allen sechs Fällen bietet die Parallclüberlieferung im ersten Schnee- berger Formelbuch statt des er die gemeinsprachliche Schreibung ir, die sie auch (vgl. oben § 78, 3, S. 242) statt des betonten eir zeigt. Man darfaber nicht in Erinnerung etwa an die früher (oben S. 246, Z. 16 v. u.: S. 250, Z. 4ff. Z. 14ff.) besprochenen Fälle, wo die Lautform dieser Brief- sammlung in P und S divergiert, daraus den Schluß ziehen, daß im Ori- ginal der Sammlung überall nur ir geschrieben, also die satxphonetische Schreibung zugunsten der univerbalen Wortschrift vermieden war. Daß dem nicht so ist, wird bewiesen durch das sonstige Verhalten des ersten Schnee- berger Formelbuchs zur Schreibung anderer unbetonter Possessiva. 3. Regelmäßig nämlich verwenden übercinstimmend P wie S (erstes Schneeberger Formelbuch) die Schwachform eren für das Possessir
Zusammenfassende Charakteristik. 277 eingeführten Ausdruck zu verwenden, anaphorisch steht, d. h. einen schon ausgesprochnen oder unausgesprochen vor der Seele schwebenden Begriff wieder aufnimmt. Im vorliegenden Satz sind die mit er angeredeten Personen eben in breiter Anredeform (libn nocgeborn) genannt worden. Genau ebenso 10, 4. 10ff.: Libn frunde, ... Dorvm bethe wir euir weysheyt gar fleysseclichen, das er am nestin montage noch sinde wolpurgin tag bey vns czu Reychn seyn wellet; 21, 7f.: Bitte w’ euch, vnsir libn gunn’, das er ... den selbin knecht ... wellit losen vor- suchn; 25, 3. 6ff.: Liber niclos, ... dorvmb bit ich euch fleisseclich, das er off den nestin freitag myt mir zcu yn wellet reytn. Es liegt hier also an allen vier Stellen in dem er ein kurzes unbetontes enkliti- sches e vor; nicht etwa darf man an ein langes aus ei kontrahiertes e (er) denken. Bestätigt wird diese Erkenntnis durch die analoge Form des Pos- sessivpronomens. Einmal (6, 7. 8) steht diese proklitisch fast in un- mittelbarer Verbindung mit dem hier gleichfalls proklitischen Personal- pronomen: Allirlipster vett', Ich . . . bit euch vm drey firtil sweyde- nicz birs . . . mir geruchit, zo er schirschte mogit, her off czu sczicken, wen ich den furleuten er furlon vollkummelich beczalen wil mit ge- reytem gelde. Auch hier sind beide Pronomina anaphorisch, das zweite, das noch nach mhd. Weise an Stelle cines Possessivs steht (= nhd. ihren Fuhrlohn’), ist anaphorisch, weil der Begriff furleuten zwar noch nicht ausgesprochen, aber durch die Bitte um Heraufschicken des Biers bereits gegeben und der Vorstellung bekannt ist. Unsere nhd. Schriftsprache kennt solche in der Schrift ausgedrückte Lautabstufung zwischen satzbetonten und satzunbetonten Pronomen nicht. In ihr hat vielmehr das Prinzip der grammatischen Wortschrift trium- phiert: jedes Wort ist eine Einheit und eine einmalige Größe, Doppel- formen mit abweichender Lautqualität sind dem schematischen Sprach- bewußtsein ein Greuel. Die schriftsprachliche Tendenz, deren völligen Sieg der nhd. Sprachzustand seit dem 17. Jahrhundert erkennen läßt, be- stand aber schon am Anfang des 15. Jahrhunderts: an allen vier Stellen in allen sechs Fällen bietet die Parallclüberlieferung im ersten Schnee- berger Formelbuch statt des er die gemeinsprachliche Schreibung ir, die sie auch (vgl. oben § 78, 3, S. 242) statt des betonten eir zeigt. Man darfaber nicht in Erinnerung etwa an die früher (oben S. 246, Z. 16 v. u.: S. 250, Z. 4ff. Z. 14ff.) besprochenen Fälle, wo die Lautform dieser Brief- sammlung in P und S divergiert, daraus den Schluß ziehen, daß im Ori- ginal der Sammlung überall nur ir geschrieben, also die satxphonetische Schreibung zugunsten der univerbalen Wortschrift vermieden war. Daß dem nicht so ist, wird bewiesen durch das sonstige Verhalten des ersten Schnee- berger Formelbuchs zur Schreibung anderer unbetonter Possessiva. 3. Regelmäßig nämlich verwenden übercinstimmend P wie S (erstes Schneeberger Formelbuch) die Schwachform eren für das Possessir
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278 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. in den Briefadressen, wo das Pronomen anaphorisch als Apposition zu den eben mit vollen Ehrenprädikaten genannten Empfängern steht: Den Irb’n vnd weisn burg’meist’ vnd rotman czur sweydenicz, eren libn frunden 10, 1; entsprechend eren libin nochgeborn oder eren liben nogeborn, eren libin (libn) gunnern, eren libn (liben) frunden, eren sund'lichn frunden, eren sund'lichen gunnern vnd frunden 11, 1f.; 12, 1f.; 13, 1; 14, 1; 15,1; 16,2; 17, 1f.; 18, 2; 19, 2; 20, 2; 21, 1f. Man wird für dieses appositionelle eren in der Briefadresse die satz- phonetische schwachtonige Schreibung schon dem Original zuweisen dürfen. Auch in zwei andern Fällen schreiben P und S übereinstimmend das proklitische Possessiv ihre’ in der schwachtonigen Form er. I. Vnsir meteburg’ (es schreibt die böhmische Stadt Kaaden a. Eger) haben vns clegelich geclagit, das her hasso von wedil ... mit seynen gesellin ere 1 frunde . . . aff eyner affin strosse al er gut (alle ir gut S) ge- nomen hot 17, 5 ff.: das erste ihre’ rein anaphorisch, ohne jeden Nach- druck, der vielmehr auf frunde ruht, daher auch in beiden Handschriften schwachtonig, dagegen das zweite ihr' (all ihr Gut’) verschiedener Be- tonung fähig, aber hier anscheinend mit emphatischem Ton hervorgehoben (deshalb auch die volle Form alle und die akxentuierte Form ir in S. in P aber wohl nur aus Versehen er, wie die parallel genau gleichartige Stelle 27, 6 alle eir gut lehrt, worüber unten); 2. das eyn gros volk tuchtig’ leute off dem hause der Rabinsteyn ... legin vnd wir doch ere menunge nicht wissen 19, 6ff.: gleichfalls ere anaphorisch unbetont. Für zwei andere Stellen liegt allein die Niederschrift in P vor: 1. das eir ... dy selbin gut also zy vesessin sint jn eren rechtn an den selben bernhart ... gerulich komen irlobit 24, 6 ff. Hier geht vorher in starktoniger Schreibung eir, das zwar auch anaphorisch ist, aber trotz- dem in emphatischem Vortrag akzentuiert werden kann; 2. Dy .. . fursten, grophen vnd lanth’rn, ritth’n vnd knechten mit erem edele gewande 26, 4ff.: rein anaphorisch und unbetont. So gewinnen wir das Ergebnis: in dem Original der Schlägl-Schnee- berger Briefmustersammlung wurde das betonte und das unbetonte Per- sonalpronomen und Possessiv ihr' als ir und er geschieden was P als eir, er widergibt. 4. Für diese Annahme spricht auch die Beobachtung, die wir bei den schwachtonigen Pronominalformen en (ihn’) und em (ihm’) sowie se (sie) in der Schlägl-Schneeberger Briefsammlung machen können. Enklitisch erscheint en in anaphorischer Funktion 7, 7ff.: Dorvmme bit ich euch, ... das eir nicolaum, meynen son czu ew’m capelan ... ruchit czu nemen, wen ich en czu gotis dinste wol togelich irkenne. 1 Einer der verhältnismäßig in diesem Briefmusterbuch seltenen Fälle syn- taktischen Fehls: es fehlt das dativische n in ere und frunde (sowohl in P wie in S). Ob das phonetisch oder aus falscher Kasusrektion oder durch Text- verderbnis zu erklären ist, steht dahin.
278 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. in den Briefadressen, wo das Pronomen anaphorisch als Apposition zu den eben mit vollen Ehrenprädikaten genannten Empfängern steht: Den Irb’n vnd weisn burg’meist’ vnd rotman czur sweydenicz, eren libn frunden 10, 1; entsprechend eren libin nochgeborn oder eren liben nogeborn, eren libin (libn) gunnern, eren libn (liben) frunden, eren sund'lichn frunden, eren sund'lichen gunnern vnd frunden 11, 1f.; 12, 1f.; 13, 1; 14, 1; 15,1; 16,2; 17, 1f.; 18, 2; 19, 2; 20, 2; 21, 1f. Man wird für dieses appositionelle eren in der Briefadresse die satz- phonetische schwachtonige Schreibung schon dem Original zuweisen dürfen. Auch in zwei andern Fällen schreiben P und S übereinstimmend das proklitische Possessiv ihre’ in der schwachtonigen Form er. I. Vnsir meteburg’ (es schreibt die böhmische Stadt Kaaden a. Eger) haben vns clegelich geclagit, das her hasso von wedil ... mit seynen gesellin ere 1 frunde . . . aff eyner affin strosse al er gut (alle ir gut S) ge- nomen hot 17, 5 ff.: das erste ihre’ rein anaphorisch, ohne jeden Nach- druck, der vielmehr auf frunde ruht, daher auch in beiden Handschriften schwachtonig, dagegen das zweite ihr' (all ihr Gut’) verschiedener Be- tonung fähig, aber hier anscheinend mit emphatischem Ton hervorgehoben (deshalb auch die volle Form alle und die akxentuierte Form ir in S. in P aber wohl nur aus Versehen er, wie die parallel genau gleichartige Stelle 27, 6 alle eir gut lehrt, worüber unten); 2. das eyn gros volk tuchtig’ leute off dem hause der Rabinsteyn ... legin vnd wir doch ere menunge nicht wissen 19, 6ff.: gleichfalls ere anaphorisch unbetont. Für zwei andere Stellen liegt allein die Niederschrift in P vor: 1. das eir ... dy selbin gut also zy vesessin sint jn eren rechtn an den selben bernhart ... gerulich komen irlobit 24, 6 ff. Hier geht vorher in starktoniger Schreibung eir, das zwar auch anaphorisch ist, aber trotz- dem in emphatischem Vortrag akzentuiert werden kann; 2. Dy .. . fursten, grophen vnd lanth’rn, ritth’n vnd knechten mit erem edele gewande 26, 4ff.: rein anaphorisch und unbetont. So gewinnen wir das Ergebnis: in dem Original der Schlägl-Schnee- berger Briefmustersammlung wurde das betonte und das unbetonte Per- sonalpronomen und Possessiv ihr' als ir und er geschieden was P als eir, er widergibt. 4. Für diese Annahme spricht auch die Beobachtung, die wir bei den schwachtonigen Pronominalformen en (ihn’) und em (ihm’) sowie se (sie) in der Schlägl-Schneeberger Briefsammlung machen können. Enklitisch erscheint en in anaphorischer Funktion 7, 7ff.: Dorvmme bit ich euch, ... das eir nicolaum, meynen son czu ew’m capelan ... ruchit czu nemen, wen ich en czu gotis dinste wol togelich irkenne. 1 Einer der verhältnismäßig in diesem Briefmusterbuch seltenen Fälle syn- taktischen Fehls: es fehlt das dativische n in ere und frunde (sowohl in P wie in S). Ob das phonetisch oder aus falscher Kasusrektion oder durch Text- verderbnis zu erklären ist, steht dahin.
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Zusammenfassende Charakteristik. 279 vnd geneme. Hier hat S (erstes Schneeberger Formelbuch) wen ich yn. Das eir (ir) S in diesem Satze ist nicht gerade betont, vielmehr anaphorisch, immerhin könnte es aus besonders emphatischer Sprechweise gerechtfertigt werden, mag aber auch aus Lässigkeit des Schreibers oder der durch Aus- gleichung betonter und unbetonter Formen entstandenen Unsicherhcit des Sprachgebrauchs herrühren. Dagegen ist im vorhergehenden Satz das eir satzphonetisch begründet: Lib' ohme, Der alt’, des len eir (ir S) hot vnd ew nochkummelinge (7, 4f.). Denn hier ist das eir, obgleich es wieder anaphorisch steht, dennoch Träger eines vollen Satztons, weil es durch den Gegensatz ihr und eure Nachkommen’ gehoben wird. 18, 7. 8 Niclos vogil ... hat vns vorgegebin, das ym petir steyn . . . acht marg ge .. . dy her ym .. . alzo her em geglobit hot, ge- gulden sulde haben, vnd dy em noch schuldig ist: in diesem durch die Uberlieferung entstellten Satze stehen sich zwei betonte ym und zwei unbetonte em gegenüber; S hat diese wohlbegründete Scheidung dadurch verwirrt, daß es für das erste ym (18, 5) em schreibt. 8, 8f.: So wel ich im eyn presentacio czu vnsrim hr'n, dem bischoffe, gebin: hier ist die im Satz betonte Prominalform im geschrieben. 5. Beispiele für ere (ihre’), erem (ihrem'), eris (ihres'), em (ihm'), en (ihn’) aus S (zweites Schneeberger Formelbuch) und Sw oben § 2, 2, S. 172. Vgl. dazu auch oben § 78, S. 239). 6. Tonschwaches se für sie' erscheint in der Schlägl-Schneeberger Sammlung zweimal: in den oben angeführten Sätzen des Briefs der Stadt Kaaden vnd mit wrefil se gevangin hat 17, 8f.; in dem Brief eines Ritters: zo wel wir se an beyden teilen vmb alle sachn frunt- lichn berichten 25, 8. Beide Schreiben enthalten übrigens allerlei auf- fällige Formen, die von der schriftsprachlichen Tendenz oder Norm ab- stehen, worüber noch zu reden sein wird. 7. In dem Schreiben der Stadt Kaaden erscheint auch die Präposition um' proklitisch tonlos in der Schwachstufe em: das eir em vnsir dinst wille ... mit vns geruchet czu reyten 17, 11f., wofür das erste Schnee- berger Formelbuch schriftsprachlich vmme vns' dinst willen setzt. Diese schriftsprachlichere Form entspricht der mehrfach erkennbaren Tendenz des ersten Schneeberger Formelbuchs und könnte dessen Sondereigentum sein. Allerdings 15, 10 hat P sie gleichfalls: das eir vm vnsir bete wille (daz ir vmme vns' bitte S). 8. Die Zusammenrückung einander’ in der mhd. und neuhochdeutschen Schriftsprache verrät sich durch die Abweichung von der gesetzlichen Be- tonung der nominalen Komposition als satzphonetischer Frondeur gegen die reguläre Wortschrift. Die schlesische Kanzleisprache gibt diesem Ein- dringling gern eine noch aufsässigere Haltung: in P lesen wir: in der stat seyn werdn mit enand' 26, 8; mit völliger Ausstoßung des Vokals vns vnd' nandir (= vndernandir) 29, 9; in den Schweidnitzer Brief- mustern vns wellen mitenander frolichen machen 47, 8; wil ich euch
Zusammenfassende Charakteristik. 279 vnd geneme. Hier hat S (erstes Schneeberger Formelbuch) wen ich yn. Das eir (ir) S in diesem Satze ist nicht gerade betont, vielmehr anaphorisch, immerhin könnte es aus besonders emphatischer Sprechweise gerechtfertigt werden, mag aber auch aus Lässigkeit des Schreibers oder der durch Aus- gleichung betonter und unbetonter Formen entstandenen Unsicherhcit des Sprachgebrauchs herrühren. Dagegen ist im vorhergehenden Satz das eir satzphonetisch begründet: Lib' ohme, Der alt’, des len eir (ir S) hot vnd ew nochkummelinge (7, 4f.). Denn hier ist das eir, obgleich es wieder anaphorisch steht, dennoch Träger eines vollen Satztons, weil es durch den Gegensatz ihr und eure Nachkommen’ gehoben wird. 18, 7. 8 Niclos vogil ... hat vns vorgegebin, das ym petir steyn . . . acht marg ge .. . dy her ym .. . alzo her em geglobit hot, ge- gulden sulde haben, vnd dy em noch schuldig ist: in diesem durch die Uberlieferung entstellten Satze stehen sich zwei betonte ym und zwei unbetonte em gegenüber; S hat diese wohlbegründete Scheidung dadurch verwirrt, daß es für das erste ym (18, 5) em schreibt. 8, 8f.: So wel ich im eyn presentacio czu vnsrim hr'n, dem bischoffe, gebin: hier ist die im Satz betonte Prominalform im geschrieben. 5. Beispiele für ere (ihre’), erem (ihrem'), eris (ihres'), em (ihm'), en (ihn’) aus S (zweites Schneeberger Formelbuch) und Sw oben § 2, 2, S. 172. Vgl. dazu auch oben § 78, S. 239). 6. Tonschwaches se für sie' erscheint in der Schlägl-Schneeberger Sammlung zweimal: in den oben angeführten Sätzen des Briefs der Stadt Kaaden vnd mit wrefil se gevangin hat 17, 8f.; in dem Brief eines Ritters: zo wel wir se an beyden teilen vmb alle sachn frunt- lichn berichten 25, 8. Beide Schreiben enthalten übrigens allerlei auf- fällige Formen, die von der schriftsprachlichen Tendenz oder Norm ab- stehen, worüber noch zu reden sein wird. 7. In dem Schreiben der Stadt Kaaden erscheint auch die Präposition um' proklitisch tonlos in der Schwachstufe em: das eir em vnsir dinst wille ... mit vns geruchet czu reyten 17, 11f., wofür das erste Schnee- berger Formelbuch schriftsprachlich vmme vns' dinst willen setzt. Diese schriftsprachlichere Form entspricht der mehrfach erkennbaren Tendenz des ersten Schneeberger Formelbuchs und könnte dessen Sondereigentum sein. Allerdings 15, 10 hat P sie gleichfalls: das eir vm vnsir bete wille (daz ir vmme vns' bitte S). 8. Die Zusammenrückung einander’ in der mhd. und neuhochdeutschen Schriftsprache verrät sich durch die Abweichung von der gesetzlichen Be- tonung der nominalen Komposition als satzphonetischer Frondeur gegen die reguläre Wortschrift. Die schlesische Kanzleisprache gibt diesem Ein- dringling gern eine noch aufsässigere Haltung: in P lesen wir: in der stat seyn werdn mit enand' 26, 8; mit völliger Ausstoßung des Vokals vns vnd' nandir (= vndernandir) 29, 9; in den Schweidnitzer Brief- mustern vns wellen mitenander frolichen machen 47, 8; wil ich euch
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280 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. mit bereytem gelde gar mitenander beczalen 48, 10 (vgl. Arndt, Bres- lauer Kanzleisprache S. 16). Pietsch hebt (Rückert S. 31, Anm.) tref- fend dabei hervor, daß die Schwächung des Diphthongs ei zu e vor- wiegend erscheint, wenn eine Präposition (nôch = nach, von, mit) vor- hergeht und dann fast ausnahmslos, wobei die Verbindung als ein Wort geschrieben wird. In der häufigen Schreibung mittenander ist die hier überall anzunehmende Akzentverschiebung (mittenànder) besonders sichtlich. 9. Hier sind dann auch jene oben § 14, 5 e, S. 187 schon erörterten Assimilationen auslautender n in schwachtoniger Endsilbe vor labialem Wortanlaut ins Auge zu fassen. Zu den oben mitgeteilten Fällen vgl. noch im ersten Schneeberger Formelbuch 14, 6 f. am suntage, dem man nennet cantate (am suntage cantate P); 19, 9 am den nesten dornstage (am nestin donnirstage P). Hier handelt es sich überall um Verschmel- zungen zweier Worte zu einer Einheit, um eine echte Sandhi-Erscheinung. Eine Schreibung wie czu dem drittem male meint eigentlich drittem- male und auch dem ganczem bisthum wäre phonetisch genau zu schreiben ganczembisthum. Es gehört zu den hervorstechenden schriftsprachlichen Zügen dieser Brieftexte, daß sie, obgleich den ostmitteldeutschen Mundarten das aus- lautende m als Zeichen der starken Adjektivflexion völlig fremd ist und von ihnen durch n ersetzt wird, dennoch entschieden versuchen, die starke Dativform des Maskulinums durchzuführen und von der schwachen zu- scheiden. Allerdings herrscht, wie oben a. a. O. gezeigt wurde, in unseren beiden Handschriften eine Unsicherheit über den Auslaut n und m, die zuweilen den richtigen syntaktischen Gebrauch stört. 5, 4 mit ganczin fleysse P, mit ganczem fleyse S; 6, 9 mit gereytem gelde; 7, 8 mit ganczë (doppeldeutig) h’czen P, mit ganczim h’czen S; 10, 14 mit ewrm roten P, m. ewerm rote S; 12, 5 czu eynë bosen ende PS; 12, 9 mit allim vleisse P, m. a. fleyse S; 13, 2 mit vleissigen dinst P, m. vlisegen dinste S; 15, 3 mit fruntlichen grus P, m. fruntlichem g. S; 15, 10 mit allem vleisse P, m. a. fleise S; 16, 8 mit ganczim fleisse P, m. ganczem fleyse S; 17, 10 mit allim fleyse P, m. allem f. S; 17, 11 czu vnserem h'ren PS; 22, 8 mit allim fleise; 27, 9f. m. allem fl.; 28, 7 m. allem fleyze; schwankend zwischen m- und n-Auslaut, aber mit Uberwiegen des syntaktisch richtigen m in der namentlich von S häufiger voll ausgeschriebenen Formel des Eschatokolls: vnder meynem angedructen Ingr 3, 11 (meyme S); vgl. 6, 10; 8, 10; 24, 10 (meyme): 10, 15 (vnsirm); 28, 11 (vnsirin = vnsirem); 29, 11 (vnserim); 30, 9 (hier vnserin!); 11, 11 (vns’m); 23, 8 (meym). Für das falsche vor sinde Johannis tag des teufers, den nestin czukomenden 16, 5 f. in P lesen wir in S das freilich auch durch At- traktion fehlerhafte v. sinte Joh. tag des tewffers, des nesten czuk. Im ganzen betrachtet ist die Entschiedenheit, mit der sich weitaus in den meisten Fällen die syntaktisch gebotene starke Flexionsform gegen die
280 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. mit bereytem gelde gar mitenander beczalen 48, 10 (vgl. Arndt, Bres- lauer Kanzleisprache S. 16). Pietsch hebt (Rückert S. 31, Anm.) tref- fend dabei hervor, daß die Schwächung des Diphthongs ei zu e vor- wiegend erscheint, wenn eine Präposition (nôch = nach, von, mit) vor- hergeht und dann fast ausnahmslos, wobei die Verbindung als ein Wort geschrieben wird. In der häufigen Schreibung mittenander ist die hier überall anzunehmende Akzentverschiebung (mittenànder) besonders sichtlich. 9. Hier sind dann auch jene oben § 14, 5 e, S. 187 schon erörterten Assimilationen auslautender n in schwachtoniger Endsilbe vor labialem Wortanlaut ins Auge zu fassen. Zu den oben mitgeteilten Fällen vgl. noch im ersten Schneeberger Formelbuch 14, 6 f. am suntage, dem man nennet cantate (am suntage cantate P); 19, 9 am den nesten dornstage (am nestin donnirstage P). Hier handelt es sich überall um Verschmel- zungen zweier Worte zu einer Einheit, um eine echte Sandhi-Erscheinung. Eine Schreibung wie czu dem drittem male meint eigentlich drittem- male und auch dem ganczem bisthum wäre phonetisch genau zu schreiben ganczembisthum. Es gehört zu den hervorstechenden schriftsprachlichen Zügen dieser Brieftexte, daß sie, obgleich den ostmitteldeutschen Mundarten das aus- lautende m als Zeichen der starken Adjektivflexion völlig fremd ist und von ihnen durch n ersetzt wird, dennoch entschieden versuchen, die starke Dativform des Maskulinums durchzuführen und von der schwachen zu- scheiden. Allerdings herrscht, wie oben a. a. O. gezeigt wurde, in unseren beiden Handschriften eine Unsicherheit über den Auslaut n und m, die zuweilen den richtigen syntaktischen Gebrauch stört. 5, 4 mit ganczin fleysse P, mit ganczem fleyse S; 6, 9 mit gereytem gelde; 7, 8 mit ganczë (doppeldeutig) h’czen P, mit ganczim h’czen S; 10, 14 mit ewrm roten P, m. ewerm rote S; 12, 5 czu eynë bosen ende PS; 12, 9 mit allim vleisse P, m. a. fleyse S; 13, 2 mit vleissigen dinst P, m. vlisegen dinste S; 15, 3 mit fruntlichen grus P, m. fruntlichem g. S; 15, 10 mit allem vleisse P, m. a. fleise S; 16, 8 mit ganczim fleisse P, m. ganczem fleyse S; 17, 10 mit allim fleyse P, m. allem f. S; 17, 11 czu vnserem h'ren PS; 22, 8 mit allim fleise; 27, 9f. m. allem fl.; 28, 7 m. allem fleyze; schwankend zwischen m- und n-Auslaut, aber mit Uberwiegen des syntaktisch richtigen m in der namentlich von S häufiger voll ausgeschriebenen Formel des Eschatokolls: vnder meynem angedructen Ingr 3, 11 (meyme S); vgl. 6, 10; 8, 10; 24, 10 (meyme): 10, 15 (vnsirm); 28, 11 (vnsirin = vnsirem); 29, 11 (vnserim); 30, 9 (hier vnserin!); 11, 11 (vns’m); 23, 8 (meym). Für das falsche vor sinde Johannis tag des teufers, den nestin czukomenden 16, 5 f. in P lesen wir in S das freilich auch durch At- traktion fehlerhafte v. sinte Joh. tag des tewffers, des nesten czuk. Im ganzen betrachtet ist die Entschiedenheit, mit der sich weitaus in den meisten Fällen die syntaktisch gebotene starke Flexionsform gegen die
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Zusammenfassende Charakteristik. 281 mundartliche Abneigung durchsetxt, ein erstaunliches Zeugnis für die Kraft der schriftsprachlichen Tendenz und die Macht der böhmischen Literatur- und Kanzleisprache in unsern Texten. 10. Auch das oben § 16, 1, S. 192 und Anm. besprochene euphonische d in er-, ir- (des alt’s wegin dirkenne) fällt unter den Gesichtspunkt des Sandhi und entspringt jener oben charakterisierten Durchkreuzung der konventionellen schriftsprachlichen univerbalen Schreibweise. 11. Aus Enklise erklärt sich auch der Konsonantschwund in: wen ich sulchs an ewrim schadin ist 13, 9. Dieser Abfall des t von icht und nicht ist in der schlesischen Literatur- und Urkundensprache (z. B. in Ludwigs Kreuzfahrt") nicht selten (Rückert S. 215f.), vgl. die Bei- spiele oben § 16, 3, S. 192f. Immerhin ist es bemerkenswert, daß für diese gekürzte Wortform in S an dieser Briefstelle das schriftsprachlichere eyn sulchz steht. Möglicherweise lautete es so auch im Original, dann wäre dies grobschlesische ich nur Sondereigentum des Schreibers von P. Uber die Synkopierungen des Endungs-e in Formen des unbestimmten Artikels und des Demonstrativs dieser' s. § 84, 12, S. 292f.). § 84. Betonung und Lautgestalt der Nebensilben. I. Die nebentonigen, schwachtonigen, unbetonten Mittel- und End- silben unterliegen in unsern Briefmustern schwankender Behandlung. Das Eintreten oder Ausbleiben von Apokope (Elision) und Synkope in der deutschen Literatur- und Schriftsprache hängt zwar ab von bestimmten mundartlichen Neigungen, aber mehr noch wird es bedingt durch gemein- sprachliche und schriftsprachliche Tradition. Wir wissen, daß schon die böhmisch-schlesische Dichtersprache, wie sie uns in dem Gedicht von Lud- wigs Kreuzfahrt' entgegentritt, nach Ausweis der Reimzeugnisse Doppel- formigkeit, d. h. gekürzte und volle Formen nebeneinander besitxt. An diese Gewohnheit knüpft die Kanzleisprache an. Dabci sind aber die ursprünglichen Faktoren, die in der Behandlung der Nebensilben gewaltet haben, die Beziehungen der natürlichen Satzphonetik, einerscits vielfach verdunkelt durch Ausgleichung, anderseits verflochten mit neuen satz- phonetischen Kräften der im Cursus geregelten Kunstsprache. In unsern Brieftexten gewahren wir mit Sicherheit eine im allgemeinen zugrunde liegende Vorliebe für Erhaltung des unbetonten Vokals der Nebensilben, also einen Widerstand gegen Apokope (Elision) und Syn- kope (s. oben § 16, 3, S. 193). Vermöge dieser ihrer Eigenschaft wurden die ostmitteldeutschen Dialekte ja so überaus taugliche Träger der schrift- sprachlichen Entwicklung, in der nach Rudolf Hildebrands Erkenntnis die Restituierung der vollen Wortgestalt einen wesentlichen Zug bildet. Es war daher einer der größten Vorzige der böhmischen Kanzleisprache, dem sie ihr siegreiches Vordringen mit verdankt, daß sie von den bayerisch- österreichischen Apokopierungen und Synkopierungen sich überwiegend freihielt. Dadurch kam sie dem niemals erloschenen Triebe des an der
Zusammenfassende Charakteristik. 281 mundartliche Abneigung durchsetxt, ein erstaunliches Zeugnis für die Kraft der schriftsprachlichen Tendenz und die Macht der böhmischen Literatur- und Kanzleisprache in unsern Texten. 10. Auch das oben § 16, 1, S. 192 und Anm. besprochene euphonische d in er-, ir- (des alt’s wegin dirkenne) fällt unter den Gesichtspunkt des Sandhi und entspringt jener oben charakterisierten Durchkreuzung der konventionellen schriftsprachlichen univerbalen Schreibweise. 11. Aus Enklise erklärt sich auch der Konsonantschwund in: wen ich sulchs an ewrim schadin ist 13, 9. Dieser Abfall des t von icht und nicht ist in der schlesischen Literatur- und Urkundensprache (z. B. in Ludwigs Kreuzfahrt") nicht selten (Rückert S. 215f.), vgl. die Bei- spiele oben § 16, 3, S. 192f. Immerhin ist es bemerkenswert, daß für diese gekürzte Wortform in S an dieser Briefstelle das schriftsprachlichere eyn sulchz steht. Möglicherweise lautete es so auch im Original, dann wäre dies grobschlesische ich nur Sondereigentum des Schreibers von P. Uber die Synkopierungen des Endungs-e in Formen des unbestimmten Artikels und des Demonstrativs dieser' s. § 84, 12, S. 292f.). § 84. Betonung und Lautgestalt der Nebensilben. I. Die nebentonigen, schwachtonigen, unbetonten Mittel- und End- silben unterliegen in unsern Briefmustern schwankender Behandlung. Das Eintreten oder Ausbleiben von Apokope (Elision) und Synkope in der deutschen Literatur- und Schriftsprache hängt zwar ab von bestimmten mundartlichen Neigungen, aber mehr noch wird es bedingt durch gemein- sprachliche und schriftsprachliche Tradition. Wir wissen, daß schon die böhmisch-schlesische Dichtersprache, wie sie uns in dem Gedicht von Lud- wigs Kreuzfahrt' entgegentritt, nach Ausweis der Reimzeugnisse Doppel- formigkeit, d. h. gekürzte und volle Formen nebeneinander besitxt. An diese Gewohnheit knüpft die Kanzleisprache an. Dabci sind aber die ursprünglichen Faktoren, die in der Behandlung der Nebensilben gewaltet haben, die Beziehungen der natürlichen Satzphonetik, einerscits vielfach verdunkelt durch Ausgleichung, anderseits verflochten mit neuen satz- phonetischen Kräften der im Cursus geregelten Kunstsprache. In unsern Brieftexten gewahren wir mit Sicherheit eine im allgemeinen zugrunde liegende Vorliebe für Erhaltung des unbetonten Vokals der Nebensilben, also einen Widerstand gegen Apokope (Elision) und Syn- kope (s. oben § 16, 3, S. 193). Vermöge dieser ihrer Eigenschaft wurden die ostmitteldeutschen Dialekte ja so überaus taugliche Träger der schrift- sprachlichen Entwicklung, in der nach Rudolf Hildebrands Erkenntnis die Restituierung der vollen Wortgestalt einen wesentlichen Zug bildet. Es war daher einer der größten Vorzige der böhmischen Kanzleisprache, dem sie ihr siegreiches Vordringen mit verdankt, daß sie von den bayerisch- österreichischen Apokopierungen und Synkopierungen sich überwiegend freihielt. Dadurch kam sie dem niemals erloschenen Triebe des an der
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282 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. Wortschrift geschulten Sprachbewußtseins, die Integrität der aus dem ety- mologischen Zusammenhang erkennbaren Wortsilben zu schützen, entgegen und förderte den Anschluß der ostmitteldeutschen Schreibgewohnheit. Unverkennbar müssen wir aber hinsichtlich dieser nebentonigen oder schwachtonigen oder unbetonten Vokale der Mittel-, Vor- und Endsilben auch in unsern Texten Doppelformigkeit, Erhaltung und Ausstoßung der fraglichen Laute nebeneinander anerkennen, wie das bereits oben (§ 81, 2, S. 262f.) im Gedicht von Ludwigs Kreuzfahrt' sich für die böhmisch-schlesische Dichtersprache gezeigt hat. Die vollen Formen über- wiegen freilich weit. 2. Die Flexions- und Ableitungssilben des Wortausgangs sind im großen und ganzen erhalten. Die Sprache unserer Texte deckt sich hier wesentlich mit dem heute für das Schriftdeutsch geltenden Brauch. So wird das Endungs-e vor konsonantischem wie vor vokalischem Anlaut, in der Verbalflexion im Praesens selbst vor enklitischem ich, und zwar in den 19 P und S gemeinsamen Briefen meist von beiden Handschriften übereinstimmend, aber von S noch etwas konsequenter bewahrt. 1, 5 habe ich vil und ofte vernomen PS; 1, 10 worde (wurde S) ich von sulcher h’schaft PS; 1, 11 zo hoffte ich PS; doch habe ich mich PS 2, 1; sende ich euch 4, 3 P S; 6, 4 Ich sende euch PS; 6, 6 dorvmme P, dorvm S; 1, 9 globe vnd getrawe PS; 8, 7 neme vnd entphoe P, enphoe S. 3. Eine besondere Bewandtnis hat es mit dem Praesens bitten. Es überwiegt bei ihm ohne Rücksicht auf den Hiatus, dessen Vermeidung durch Elision oben § 43, S. 217 Bebermeyer im Hinblick auf das Zeugnis Fabian Francks erwog, volle Ausschreibung: 1, 7 Bitte ich deyne trawe PS; 3, 6 f. Dorvmme bitte ich euch PS; 5, 4 Ich bete ewir wisheyt PS; 23, 5 bete ich dich (nur in P überliefert). Mehrmals hat hier P Elision, dagegen S, wahrscheinlich im Einklang mit der Vorlage und dem Original die volle Form: 6, 4f. vnd bit euch P, bitte euch S; 7, 7 Dorvmme bit ich euch P, D. bitte ich euch S; 25, 6 f. dorvmb bit ich euch P (S fehlt). Anders jedoch vor folgendem enklitischen wir. wobei meistens die ganze Endung nach alter mhd. literatursprachlicher Tradition ausfällt: 11, 6 f.; 12, 8 und 13, 6 Dorvmme bit wir P, bitte wir S. Hier geht also S wieder im Schutz des auslautenden e über P hinaus (mit der Vorlage und dem Original?). 10, 10 stimmen beide Handschriften überein: bethe wir P, bitte wir S. 24, 6 hat P wieder bit w’ ewir fruntschaft (nicht mehr in S). Beide Handschriften bringen 10, 6 habe wir, 19, 9 schreibe wir. 4. Auch sonst hat S (erstes Schneeberger Formelbuch) gegenüber P in Erhaltung der unbetonten auslautenden e einen beträchtlichen Vorsprung. Es vermeidet die in P auffallenderweise häufige Elision von ane und wenne : 3, 9 an ofschob vnd sewmmisse P, ane off schob vn sumenisse (allerdings 5, 7; 7, 7 elidiert auch S übereinstimmend mit P an off
282 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. Wortschrift geschulten Sprachbewußtseins, die Integrität der aus dem ety- mologischen Zusammenhang erkennbaren Wortsilben zu schützen, entgegen und förderte den Anschluß der ostmitteldeutschen Schreibgewohnheit. Unverkennbar müssen wir aber hinsichtlich dieser nebentonigen oder schwachtonigen oder unbetonten Vokale der Mittel-, Vor- und Endsilben auch in unsern Texten Doppelformigkeit, Erhaltung und Ausstoßung der fraglichen Laute nebeneinander anerkennen, wie das bereits oben (§ 81, 2, S. 262f.) im Gedicht von Ludwigs Kreuzfahrt' sich für die böhmisch-schlesische Dichtersprache gezeigt hat. Die vollen Formen über- wiegen freilich weit. 2. Die Flexions- und Ableitungssilben des Wortausgangs sind im großen und ganzen erhalten. Die Sprache unserer Texte deckt sich hier wesentlich mit dem heute für das Schriftdeutsch geltenden Brauch. So wird das Endungs-e vor konsonantischem wie vor vokalischem Anlaut, in der Verbalflexion im Praesens selbst vor enklitischem ich, und zwar in den 19 P und S gemeinsamen Briefen meist von beiden Handschriften übereinstimmend, aber von S noch etwas konsequenter bewahrt. 1, 5 habe ich vil und ofte vernomen PS; 1, 10 worde (wurde S) ich von sulcher h’schaft PS; 1, 11 zo hoffte ich PS; doch habe ich mich PS 2, 1; sende ich euch 4, 3 P S; 6, 4 Ich sende euch PS; 6, 6 dorvmme P, dorvm S; 1, 9 globe vnd getrawe PS; 8, 7 neme vnd entphoe P, enphoe S. 3. Eine besondere Bewandtnis hat es mit dem Praesens bitten. Es überwiegt bei ihm ohne Rücksicht auf den Hiatus, dessen Vermeidung durch Elision oben § 43, S. 217 Bebermeyer im Hinblick auf das Zeugnis Fabian Francks erwog, volle Ausschreibung: 1, 7 Bitte ich deyne trawe PS; 3, 6 f. Dorvmme bitte ich euch PS; 5, 4 Ich bete ewir wisheyt PS; 23, 5 bete ich dich (nur in P überliefert). Mehrmals hat hier P Elision, dagegen S, wahrscheinlich im Einklang mit der Vorlage und dem Original die volle Form: 6, 4f. vnd bit euch P, bitte euch S; 7, 7 Dorvmme bit ich euch P, D. bitte ich euch S; 25, 6 f. dorvmb bit ich euch P (S fehlt). Anders jedoch vor folgendem enklitischen wir. wobei meistens die ganze Endung nach alter mhd. literatursprachlicher Tradition ausfällt: 11, 6 f.; 12, 8 und 13, 6 Dorvmme bit wir P, bitte wir S. Hier geht also S wieder im Schutz des auslautenden e über P hinaus (mit der Vorlage und dem Original?). 10, 10 stimmen beide Handschriften überein: bethe wir P, bitte wir S. 24, 6 hat P wieder bit w’ ewir fruntschaft (nicht mehr in S). Beide Handschriften bringen 10, 6 habe wir, 19, 9 schreibe wir. 4. Auch sonst hat S (erstes Schneeberger Formelbuch) gegenüber P in Erhaltung der unbetonten auslautenden e einen beträchtlichen Vorsprung. Es vermeidet die in P auffallenderweise häufige Elision von ane und wenne : 3, 9 an ofschob vnd sewmmisse P, ane off schob vn sumenisse (allerdings 5, 7; 7, 7 elidiert auch S übereinstimmend mit P an off
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Zusammenfassende Charakteristik. 283 schob; an altir h’re). Dagegen behält ane seine Endung vor Konsonant- anlaut: 12, 4 ane recht PS; 25, 5f. ane frede P. Noch häufiger er- scheint die sprachliche Divergenz zwischen P und S bei wenne: 7, 10 wen ich en czu gotis dinste P, wenne ich yn czu gotis dinste S mit wesentlich anderem Rhythmus; 8, 4 Wen ich euch von ewirs sons wegin P, Wenne ich e. v. ewers s. wene (so!) S; doch gehen PS 6, 8; 10, 12; 11, 9; 12, 10; 17, 13 zusammen und schreiben hier vor Vokal- wie vor Konsonantenlaut wen ich, wen wir, wen ander stete, wen sich’lich, wen worvmb wir. So hat denn P noch mehrmals in den allein von ihm überlieferten Briefen 22, 3 wen der; 22, 9. 10 wen ich euch, wen is sich; 25, 8 wen wir; 28, 4 Wen manchirley. Ein einziges Mal in dem Brief des Barons von Donyn, der auch sonst manches Abweichende aufweist, die volle Form wenne wir yn sund lichn freudn 28, 8 (s. unten S. 309, Z. 11 v. u.). Charakteristisch für das erste Schneeberger Formelbuch in S ist viel- leicht, daß es 3, 1 gegenüber der modernen Form Dem in P (Dem clugen manne) das mitteldeutsche altertümliche deme hat, das freilich einmal auch in P auftaucht: 25, 8 in deme, hier aber offenbar mit deiktischer Kraft und starkem Ton in dieser Sache’: wen wir in deme frede irwerbn. Der einfache Artikel hat in P die Dativform dem: in der Adresse z. B. 26, 8; 26, 1; 27, 1; 28, 1 u. ö. Dagegen gibt ihm S auch im zweiten Schneeberger Formelbuch die alte volle Form: dem obgenanten (= deme obg.) 34, 16. Auch in Sw: off deme hausse 45, 7. Aber anderseits steht dem doch gemeinmitteldeutschen vnse gunner 19, 5 P in S die ober- deutsche und literatursprachliche Form vns g. (= vnser oder vnsre gegenüber (im Einklang mit der Vorlage?). 5. Die flexivischen unbetonten auslautenden e werden im weiten Umfang erhalten. So wahrt das schwache Maskulinum noch sein Nominativ-e: der furste 22, 3. Auch in dreisilbigen Worten nach nebentoniger Silbe wird e noch geduldet; die Abstrakta auf -ung er- scheinen durchgehend noch in der mhd. Schreibung: czu warnunge 19, 8 ; ere menunge (Akkusativ) 11, 8; 19, 8; besserunge (Dativ) 2, 6; zcu- nemunge (Akk.) 1, 11; grosse czerunge tragen (planus) 18, 12. Doch dürfte in der Salutatio 26, 3, wie unten (S. 287) sich zeigen wird, die Schreibung merunge der nicht der gewollten Aussprache gemäß sein, die aus rhythmischen Gründen Unterdrückung der e-Silbe fordert. Vor allem bleibt das e im Dativ der starken Maskulina und Neutra: dem clugen manne, dem vorsichtigen manne, dem getrawen knechte, czu desim mole, mit meynë sone, am meistn teile, am gute, am leybe. Regel- mäßig auch im Ortsnamen Prag: czu prage, kegin proge. In der Petitio mit ganczim fleysse (so und mit andern Adjektiven stets), zcu dinste. 6. Ebenso in der Salutatio 10, 3 mit stetim dinste czu vor P, mit stetim dinste (czu uor fehlt versehentlich) S. Aber 13, 2 mit vleissigen dinst czu vor P, mit vlisegin dinste czu uor S. Ich glaubte zunächst
Zusammenfassende Charakteristik. 283 schob; an altir h’re). Dagegen behält ane seine Endung vor Konsonant- anlaut: 12, 4 ane recht PS; 25, 5f. ane frede P. Noch häufiger er- scheint die sprachliche Divergenz zwischen P und S bei wenne: 7, 10 wen ich en czu gotis dinste P, wenne ich yn czu gotis dinste S mit wesentlich anderem Rhythmus; 8, 4 Wen ich euch von ewirs sons wegin P, Wenne ich e. v. ewers s. wene (so!) S; doch gehen PS 6, 8; 10, 12; 11, 9; 12, 10; 17, 13 zusammen und schreiben hier vor Vokal- wie vor Konsonantenlaut wen ich, wen wir, wen ander stete, wen sich’lich, wen worvmb wir. So hat denn P noch mehrmals in den allein von ihm überlieferten Briefen 22, 3 wen der; 22, 9. 10 wen ich euch, wen is sich; 25, 8 wen wir; 28, 4 Wen manchirley. Ein einziges Mal in dem Brief des Barons von Donyn, der auch sonst manches Abweichende aufweist, die volle Form wenne wir yn sund lichn freudn 28, 8 (s. unten S. 309, Z. 11 v. u.). Charakteristisch für das erste Schneeberger Formelbuch in S ist viel- leicht, daß es 3, 1 gegenüber der modernen Form Dem in P (Dem clugen manne) das mitteldeutsche altertümliche deme hat, das freilich einmal auch in P auftaucht: 25, 8 in deme, hier aber offenbar mit deiktischer Kraft und starkem Ton in dieser Sache’: wen wir in deme frede irwerbn. Der einfache Artikel hat in P die Dativform dem: in der Adresse z. B. 26, 8; 26, 1; 27, 1; 28, 1 u. ö. Dagegen gibt ihm S auch im zweiten Schneeberger Formelbuch die alte volle Form: dem obgenanten (= deme obg.) 34, 16. Auch in Sw: off deme hausse 45, 7. Aber anderseits steht dem doch gemeinmitteldeutschen vnse gunner 19, 5 P in S die ober- deutsche und literatursprachliche Form vns g. (= vnser oder vnsre gegenüber (im Einklang mit der Vorlage?). 5. Die flexivischen unbetonten auslautenden e werden im weiten Umfang erhalten. So wahrt das schwache Maskulinum noch sein Nominativ-e: der furste 22, 3. Auch in dreisilbigen Worten nach nebentoniger Silbe wird e noch geduldet; die Abstrakta auf -ung er- scheinen durchgehend noch in der mhd. Schreibung: czu warnunge 19, 8 ; ere menunge (Akkusativ) 11, 8; 19, 8; besserunge (Dativ) 2, 6; zcu- nemunge (Akk.) 1, 11; grosse czerunge tragen (planus) 18, 12. Doch dürfte in der Salutatio 26, 3, wie unten (S. 287) sich zeigen wird, die Schreibung merunge der nicht der gewollten Aussprache gemäß sein, die aus rhythmischen Gründen Unterdrückung der e-Silbe fordert. Vor allem bleibt das e im Dativ der starken Maskulina und Neutra: dem clugen manne, dem vorsichtigen manne, dem getrawen knechte, czu desim mole, mit meynë sone, am meistn teile, am gute, am leybe. Regel- mäßig auch im Ortsnamen Prag: czu prage, kegin proge. In der Petitio mit ganczim fleysse (so und mit andern Adjektiven stets), zcu dinste. 6. Ebenso in der Salutatio 10, 3 mit stetim dinste czu vor P, mit stetim dinste (czu uor fehlt versehentlich) S. Aber 13, 2 mit vleissigen dinst czu vor P, mit vlisegin dinste czu uor S. Ich glaubte zunächst
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284 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. auch hier dem Original die volle Form des Dativs zuweisen zu müssen, die mir überdies dem vorherrschenden Rhythmus der Salutatio-Schlüsse besser xu entsprechen schien. Wir haben nicht weniger als 13 Salutatio-Ausgänge, in denen vor der betonten Schlußsilbe (vor) ein Daktylus steht, und in ihnen erscheint dreimal die volle Form dinste: außer der eben angeführten Wendung aus 10, 3 noch 14, 2 mit dinste czu vor PS; 17, 3 mit stetim dinste czu vor PS. Die übrigen Ausgänge mit Daktylus vor der Schlußsilbe vor sind 3, 3; 5, 2; 6, 2; 7, 3; 8, 2; 9, 3; 11, 3; 16, 2; 18, 3; 28, 3. Es liegt nahe, darum auch 13, 2 mit S dem Wort dinst, das so in P steht, seine Endung zu geben und auch hier Daktylus vor der betonten Schlußsilbe herzustellen. Dennoch lehrt eine genauere Untersuchung, daß dem nicht so ist. P hat hier die rhythmische Absicht des Originals X X treuer bewahrt; es ist zu lesen mit vleissigen dinst czu vor und diese Formel anzureihen der zweiten Hauptklasse von Salutatio-Ausgängen. in denen vor der Schlußsilbe vor ein Trochäus steht und sonst aller- dings ausnahmslos die Kürxung grus erscheint und zwar als Dativ, drei- mal aber sogar als Genitiv (12, 3; 20, 3 Stetekeyt fruntliches grus = Constancia salutacionis amice; 21, 3 Begerlichkeyt fruntliches grus = Amice salutis optatu). Diese starke Apokopierung fällt auf. Aber sie ist dennoch nicht anzutasten. Vielmehr muß man sie als Sandhi- Erscheinung, nämlich Assimilation des auslautenden Reibelaut-Sibi- lanten an den anlautenden Affrikata-Sibilanten fassen: 1, 1; 2, 3; 4, 2: 12, 3; 15, 3; 19, 3; 20,3; 21, 3; 22, 2 grus zcu (czu) vor. Solche Apokope des e zwischen verwandtem Auslaut- und Anlautkonsonanten ent- spricht einer weit verbreiteten Lautneigung und schriftsprachlichen Regel. die internationale Geltung hat. In der Theorie der französischen Gram- matiker des 16. Jahrhunderts tritt sie hervor als Erlaubnis, das e féminin auszulassen, wenn der ihm vorausgehende schließende Konsonant des Worts der gleiche ist wie der das nächste Wort beginnende Konsonant (bonn nuit). Ausdrücklich aber formuliert diese Regel der schlesische Orthograph und Grammatiker Fabian Francki. Warum aber ist das vereinxelte dinst czu vor 13, 2 in P richtig und der Formel grus czu vor anxureihen? Warum ist nicht vielmehr nach Analogie der, wie eben gezeigt, in unserer Briefsammlung sonst vor- kommenden vollen Dativform dieses Worts mit S dinste czu vor ein- 1 Vgl. meinen Aufsatz Zur Gesch. d. nhd. Schriftsprache (Festschr. für Rud. Hildebrand, Leipxig, Veit u. Co. 1894, S. 300f., 321, jetzt Vorspiel I 2. S. 44, 66), wo aber die entscheidende Stelle nicht in vollständigem Wortlaut gegeben ist; den Sinn seiner schwerfälligen Formulierung erkennt man aus seinen Beispielen: vndertänig gehorsam' lautet besser denn vndertänige ge- horsam’, bittend demüttig' denn bittende demüttig, Vmb herbrig gebeten' denn herbrige gebeten' (Johannes Müller, Quellenschriften des deutsch- sprachl. Unterrichtes, Gotha 1882, S. 104, Abs. 6.
284 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. auch hier dem Original die volle Form des Dativs zuweisen zu müssen, die mir überdies dem vorherrschenden Rhythmus der Salutatio-Schlüsse besser xu entsprechen schien. Wir haben nicht weniger als 13 Salutatio-Ausgänge, in denen vor der betonten Schlußsilbe (vor) ein Daktylus steht, und in ihnen erscheint dreimal die volle Form dinste: außer der eben angeführten Wendung aus 10, 3 noch 14, 2 mit dinste czu vor PS; 17, 3 mit stetim dinste czu vor PS. Die übrigen Ausgänge mit Daktylus vor der Schlußsilbe vor sind 3, 3; 5, 2; 6, 2; 7, 3; 8, 2; 9, 3; 11, 3; 16, 2; 18, 3; 28, 3. Es liegt nahe, darum auch 13, 2 mit S dem Wort dinst, das so in P steht, seine Endung zu geben und auch hier Daktylus vor der betonten Schlußsilbe herzustellen. Dennoch lehrt eine genauere Untersuchung, daß dem nicht so ist. P hat hier die rhythmische Absicht des Originals X X treuer bewahrt; es ist zu lesen mit vleissigen dinst czu vor und diese Formel anzureihen der zweiten Hauptklasse von Salutatio-Ausgängen. in denen vor der Schlußsilbe vor ein Trochäus steht und sonst aller- dings ausnahmslos die Kürxung grus erscheint und zwar als Dativ, drei- mal aber sogar als Genitiv (12, 3; 20, 3 Stetekeyt fruntliches grus = Constancia salutacionis amice; 21, 3 Begerlichkeyt fruntliches grus = Amice salutis optatu). Diese starke Apokopierung fällt auf. Aber sie ist dennoch nicht anzutasten. Vielmehr muß man sie als Sandhi- Erscheinung, nämlich Assimilation des auslautenden Reibelaut-Sibi- lanten an den anlautenden Affrikata-Sibilanten fassen: 1, 1; 2, 3; 4, 2: 12, 3; 15, 3; 19, 3; 20,3; 21, 3; 22, 2 grus zcu (czu) vor. Solche Apokope des e zwischen verwandtem Auslaut- und Anlautkonsonanten ent- spricht einer weit verbreiteten Lautneigung und schriftsprachlichen Regel. die internationale Geltung hat. In der Theorie der französischen Gram- matiker des 16. Jahrhunderts tritt sie hervor als Erlaubnis, das e féminin auszulassen, wenn der ihm vorausgehende schließende Konsonant des Worts der gleiche ist wie der das nächste Wort beginnende Konsonant (bonn nuit). Ausdrücklich aber formuliert diese Regel der schlesische Orthograph und Grammatiker Fabian Francki. Warum aber ist das vereinxelte dinst czu vor 13, 2 in P richtig und der Formel grus czu vor anxureihen? Warum ist nicht vielmehr nach Analogie der, wie eben gezeigt, in unserer Briefsammlung sonst vor- kommenden vollen Dativform dieses Worts mit S dinste czu vor ein- 1 Vgl. meinen Aufsatz Zur Gesch. d. nhd. Schriftsprache (Festschr. für Rud. Hildebrand, Leipxig, Veit u. Co. 1894, S. 300f., 321, jetzt Vorspiel I 2. S. 44, 66), wo aber die entscheidende Stelle nicht in vollständigem Wortlaut gegeben ist; den Sinn seiner schwerfälligen Formulierung erkennt man aus seinen Beispielen: vndertänig gehorsam' lautet besser denn vndertänige ge- horsam’, bittend demüttig' denn bittende demüttig, Vmb herbrig gebeten' denn herbrige gebeten' (Johannes Müller, Quellenschriften des deutsch- sprachl. Unterrichtes, Gotha 1882, S. 104, Abs. 6.
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Zusammenfassende Charakteristik. 285 zusetzen? Die Entscheidung bringt eine Ubersicht der in den Salutatio- Formeln unseres Briefmusterbuchs angewendeten Rhythmisierung. 7. Es ist oben § 38, S. 214 von Bebermeyer gesagt worden, daß die deutschen Texte der Schlägler Handschrift in der Gruß- und Petitions- formel ganz auf Rhythmisierung Verzicht geleistet haben. Damit ist in- dessen nur die Rhythmisierung nach den festen Cursusformen gemeint. Die ausgesprochene Neigung zu einem gleichbleibenden Rhythmus ist auch in den Salutatio-Formeln unverkennbar. Es mag dahingestellt sein, ob etwa der Wortlaut in S auch als velox gedacht sein könnte unter Ver- nachlässigung des Wortakzents und alleiniger Berücksichtigung der Silben- X X zahl, also etwa vlisegin dinste czu uor. Wahrscheinlicher ist mir, daß hier vielmehr wirklich die letzte Silbe akzentuiert werden soll. Aber daß alle deutschen Salutationsformeln nach einem bestimmten und zwar nahezu cinheitlichen rhythmischen Schema und innerhalb einer wechselnden, aber geregelten Silbenzahl gebaut sind, scheint mir sicher. Es liegt, glaube ich, hier bereits die deutsche Umbildung des lateinischen Cursus der päpstlichen und der kaiserlichen Kanzlei vor, die den alten Typen eine katalektische Form gibt, d. h. Ausgang auf eine akzentuierte Silbe, und die Verbindung von Daktylen und Trochäen liebt.1 In unserer Briefsammlung erscheinen II Rhythmustypen der Salutatio: ihr Umfang bewegt sich von 3 Hebungen (6 Silben) bis xu 8 Hebungen (17 Silben). Am häufigsten (achtmal) begegnet der Typus A von 5 Hebungen (11 Silben): in ihm gehn der betonten Schlußsilbe 2 Daktylen und 2 Trochäen voran. Deren Reihenfolge wechselt: Aa Vor der Schlußhebung 2 Trochäen, 2 Daktylen 'X!X'XX"XX': 3, 3 Meynen grus in fruntlichs libe czu uor. Ab Vor der Schlußhebung 1 Dakt., 2 Troch., 1 Daktylus XX’X’X'XX', erscheint fünfmal: 7, 3 Fruntlichen Grus mit lout libe czu vor; 10,3 Frunt- lichen gruß mit stetim dinste czu vor; 16, 3 Fruntlichen grus mit stetir libe czu vor; 17, 3 Fruntlichen grus mit stetim dinste zcu vor; 28, 3 Merunge sund licher libe zcu vor. Ac Vor der Schlußhebung 1 Troch., 2 Dakt., 1 Troch., 'X'XXIXXIXI: 13,2 Vnsir fruntschaft mit vleissigen dinst czu vor. Ad. Vor der Schlußhebung I Troch., 1 Dakt., 1 Troch., I Dakt., X‘XX 'X’XX': 18, 3 Vnsirn fruntlichen grus mit libe czu vor. Ae. Zweifelhaft: vor der Schlußhebung Vorsilbe, 1 Troch., 1 Takt., 2 Troch., X’X’XX’X’X: 25, 2 Meyn dinst (mit) allir bereytikeit zcu vor. An zweiter Stelle hinsichtlich der Häufigkeit folgt der Typus B mit 4 He- bungen (9 Silben); er tritt sechsmal auf: vor der Schlußhebung 2 Dakt., 1 Troch., und zwar 1 Vgl. meinen Aufsatx, Uber den Satarhythmus der deutschen Prosa, Sitzb. d. Berliner Akad. d. Wissensch. 1909, S. 523 (jetxt Vorspiel, Halle a. S., M. Nie- meyer 1925, I. Bd. Teil 2, S. 227.
Zusammenfassende Charakteristik. 285 zusetzen? Die Entscheidung bringt eine Ubersicht der in den Salutatio- Formeln unseres Briefmusterbuchs angewendeten Rhythmisierung. 7. Es ist oben § 38, S. 214 von Bebermeyer gesagt worden, daß die deutschen Texte der Schlägler Handschrift in der Gruß- und Petitions- formel ganz auf Rhythmisierung Verzicht geleistet haben. Damit ist in- dessen nur die Rhythmisierung nach den festen Cursusformen gemeint. Die ausgesprochene Neigung zu einem gleichbleibenden Rhythmus ist auch in den Salutatio-Formeln unverkennbar. Es mag dahingestellt sein, ob etwa der Wortlaut in S auch als velox gedacht sein könnte unter Ver- nachlässigung des Wortakzents und alleiniger Berücksichtigung der Silben- X X zahl, also etwa vlisegin dinste czu uor. Wahrscheinlicher ist mir, daß hier vielmehr wirklich die letzte Silbe akzentuiert werden soll. Aber daß alle deutschen Salutationsformeln nach einem bestimmten und zwar nahezu cinheitlichen rhythmischen Schema und innerhalb einer wechselnden, aber geregelten Silbenzahl gebaut sind, scheint mir sicher. Es liegt, glaube ich, hier bereits die deutsche Umbildung des lateinischen Cursus der päpstlichen und der kaiserlichen Kanzlei vor, die den alten Typen eine katalektische Form gibt, d. h. Ausgang auf eine akzentuierte Silbe, und die Verbindung von Daktylen und Trochäen liebt.1 In unserer Briefsammlung erscheinen II Rhythmustypen der Salutatio: ihr Umfang bewegt sich von 3 Hebungen (6 Silben) bis xu 8 Hebungen (17 Silben). Am häufigsten (achtmal) begegnet der Typus A von 5 Hebungen (11 Silben): in ihm gehn der betonten Schlußsilbe 2 Daktylen und 2 Trochäen voran. Deren Reihenfolge wechselt: Aa Vor der Schlußhebung 2 Trochäen, 2 Daktylen 'X!X'XX"XX': 3, 3 Meynen grus in fruntlichs libe czu uor. Ab Vor der Schlußhebung 1 Dakt., 2 Troch., 1 Daktylus XX’X’X'XX', erscheint fünfmal: 7, 3 Fruntlichen Grus mit lout libe czu vor; 10,3 Frunt- lichen gruß mit stetim dinste czu vor; 16, 3 Fruntlichen grus mit stetir libe czu vor; 17, 3 Fruntlichen grus mit stetim dinste zcu vor; 28, 3 Merunge sund licher libe zcu vor. Ac Vor der Schlußhebung 1 Troch., 2 Dakt., 1 Troch., 'X'XXIXXIXI: 13,2 Vnsir fruntschaft mit vleissigen dinst czu vor. Ad. Vor der Schlußhebung I Troch., 1 Dakt., 1 Troch., I Dakt., X‘XX 'X’XX': 18, 3 Vnsirn fruntlichen grus mit libe czu vor. Ae. Zweifelhaft: vor der Schlußhebung Vorsilbe, 1 Troch., 1 Takt., 2 Troch., X’X’XX’X’X: 25, 2 Meyn dinst (mit) allir bereytikeit zcu vor. An zweiter Stelle hinsichtlich der Häufigkeit folgt der Typus B mit 4 He- bungen (9 Silben); er tritt sechsmal auf: vor der Schlußhebung 2 Dakt., 1 Troch., und zwar 1 Vgl. meinen Aufsatx, Uber den Satarhythmus der deutschen Prosa, Sitzb. d. Berliner Akad. d. Wissensch. 1909, S. 523 (jetxt Vorspiel, Halle a. S., M. Nie- meyer 1925, I. Bd. Teil 2, S. 227.
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286 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. Ba Die Daktylen umschließen den Trochäus: vor der Schlußhebung I Dakt., 1 Troch., 1 Dakt., 'XX’X"XX": 6, 2 Merunge stet' libe czu vor; 8, 2 Frunt- schaft mit rechtir libe czu vor; 9, 3 Rechte [Hiatus!] vnd stete libe czu vor; 14, 2 Fruntlichen grus mit dinste czu vor. B b Die Daktylen gehen den Trochäus voran: vor der Schlußhebung 2 Dakt., 1 Troch.,'XX’XX"X!: 12, 3; 20, 3 Stetekeyt (20, 3 Stetekyt S, s. § 3, 4, S. 176) fruntliches grus czu vor. Den dritten Platz in der Häufigkeit des Vorkommens nehmen die Typen C ein mit 3 Hebungen (6 Silben) und D mit 5 bis 7 Hebungen (16 Silben). Zu- nächst C: vor der Schlußhebung je ein Daktylus und ein Trochäus, erscheint viermal, und zwar C a Der Daktylus geht voran, der Trochäus folgt' xX'X': 1, 3 Frunt- lichen grus zcu vor; 2, 3 Fruntlichen grus czu vor; 4, 2 nach S ffruntlichen grus czu vor (in P fehlerhaft, eine Silbe fehlt). Cb Der Trochäus geht voran, der Daktylus folgt, 'X'XX': 5, 2 Stete fruntschaft czu vor. Der Typus D ist offenbar absichtlich wortreicher, der Würde der höberen Standesgruppen angepaßt. Er schwankt in der Zahl der Silben und Hebungen; er erscheint dreimal, und xwar Da Vor der Schlußhebung 2 Trochäen, 3 Daktylen, 1 Troch., 'X‘X!XX X XX’XX’X (7 Hebungen, 16 Silben): 27, 3 Vnsir gutin willen zcu allir 1 » X behegelichkeyt czu vor; 29, 3 Vnsirn gutn willen zcu allir behagelichkeyt czu vor. Db Zweifelhaft, anscheinend in P überfüllt. Vor der Schlußhebung 2 Dak- tylen, 1 Troch., 2 Daktylen(?), 'XX'XX’X’XX(X)"XX' (6 Hebungen. X X X 16 Silben?): 26, 3 Vnsir behegelichkeyt mit merunge (lies merung?) der eren (czu vor). Der nächste Typus E erscheint zweimal (3 Hebungen, 7 Silben): außer der Schlußhebung Vorsilbe, I Daktylus und 1 Trochäus. Ea Der Daktylus geht voran, der Trochäus folgt, X'XX'X': 22, 2 Meyn fruntlichen grus zeu vor. Eb Der Trochäus geht voran, der Taktylus folgt, X'X XX': 23, 3 Meyn dinst vnd fruntschaft czu vor. Es folgen sechs weitere Typen, die je einmal vorkommen: F (5 Hebungen. 10 Silben), G (4 Hebungen, 10 Silben), H (4 Hebungen, 8 Silben), J (8 He- bungen, 17 Silben), K (4 Hebungen, 8 Silben), L (6 Hebungen, 12 Silben). F besteht außer der Schlußhebung aus 3 Trochäen und I Daktylus: 2 Troch., 1 Dakt., 1 Troch., 'X'X'XX"X' (5 Hebungen, 10 Silben): 15, 3 Steten dinst mit fruntlichen grus czu vor. G Der Schlußhebung gehn voran Vorsilbe, 2 Dakt., I Troch., X’XX’XX X" (4 Hebungen, 10 Silben): 21, 3 Begerlichkeyt fruntliches grus czu vor. H Der Schlußhebung gehn voran 2 Troch., I Daktylus, X'X’XX' (4 He- bungen 8 Silben): 11, 3 Grus mit steter fruntschaft czu vor.
286 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. Ba Die Daktylen umschließen den Trochäus: vor der Schlußhebung I Dakt., 1 Troch., 1 Dakt., 'XX’X"XX": 6, 2 Merunge stet' libe czu vor; 8, 2 Frunt- schaft mit rechtir libe czu vor; 9, 3 Rechte [Hiatus!] vnd stete libe czu vor; 14, 2 Fruntlichen grus mit dinste czu vor. B b Die Daktylen gehen den Trochäus voran: vor der Schlußhebung 2 Dakt., 1 Troch.,'XX’XX"X!: 12, 3; 20, 3 Stetekeyt (20, 3 Stetekyt S, s. § 3, 4, S. 176) fruntliches grus czu vor. Den dritten Platz in der Häufigkeit des Vorkommens nehmen die Typen C ein mit 3 Hebungen (6 Silben) und D mit 5 bis 7 Hebungen (16 Silben). Zu- nächst C: vor der Schlußhebung je ein Daktylus und ein Trochäus, erscheint viermal, und zwar C a Der Daktylus geht voran, der Trochäus folgt' xX'X': 1, 3 Frunt- lichen grus zcu vor; 2, 3 Fruntlichen grus czu vor; 4, 2 nach S ffruntlichen grus czu vor (in P fehlerhaft, eine Silbe fehlt). Cb Der Trochäus geht voran, der Daktylus folgt, 'X'XX': 5, 2 Stete fruntschaft czu vor. Der Typus D ist offenbar absichtlich wortreicher, der Würde der höberen Standesgruppen angepaßt. Er schwankt in der Zahl der Silben und Hebungen; er erscheint dreimal, und xwar Da Vor der Schlußhebung 2 Trochäen, 3 Daktylen, 1 Troch., 'X‘X!XX X XX’XX’X (7 Hebungen, 16 Silben): 27, 3 Vnsir gutin willen zcu allir 1 » X behegelichkeyt czu vor; 29, 3 Vnsirn gutn willen zcu allir behagelichkeyt czu vor. Db Zweifelhaft, anscheinend in P überfüllt. Vor der Schlußhebung 2 Dak- tylen, 1 Troch., 2 Daktylen(?), 'XX'XX’X’XX(X)"XX' (6 Hebungen. X X X 16 Silben?): 26, 3 Vnsir behegelichkeyt mit merunge (lies merung?) der eren (czu vor). Der nächste Typus E erscheint zweimal (3 Hebungen, 7 Silben): außer der Schlußhebung Vorsilbe, I Daktylus und 1 Trochäus. Ea Der Daktylus geht voran, der Trochäus folgt, X'XX'X': 22, 2 Meyn fruntlichen grus zeu vor. Eb Der Trochäus geht voran, der Taktylus folgt, X'X XX': 23, 3 Meyn dinst vnd fruntschaft czu vor. Es folgen sechs weitere Typen, die je einmal vorkommen: F (5 Hebungen. 10 Silben), G (4 Hebungen, 10 Silben), H (4 Hebungen, 8 Silben), J (8 He- bungen, 17 Silben), K (4 Hebungen, 8 Silben), L (6 Hebungen, 12 Silben). F besteht außer der Schlußhebung aus 3 Trochäen und I Daktylus: 2 Troch., 1 Dakt., 1 Troch., 'X'X'XX"X' (5 Hebungen, 10 Silben): 15, 3 Steten dinst mit fruntlichen grus czu vor. G Der Schlußhebung gehn voran Vorsilbe, 2 Dakt., I Troch., X’XX’XX X" (4 Hebungen, 10 Silben): 21, 3 Begerlichkeyt fruntliches grus czu vor. H Der Schlußhebung gehn voran 2 Troch., I Daktylus, X'X’XX' (4 He- bungen 8 Silben): 11, 3 Grus mit steter fruntschaft czu vor.
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Zusammenfassende Charakteristik. 287 J Der Schlußhebung gehn voran 2 Trochäen, 1 Daktylus, 1 Trochäus, 1 Dakt., 2 Trochäen X'X'XX'X XX!X'X' (8 Hebungen, 17 Silben): X X X 1 30, 2 Vnsir guten willen in allen dingen bereyt czu ewirn ern. K Der Schlußhebung gehn voran 1 Trochäus, 1 Takt., 1 Trochäus, 1515'X' (4 Hebungen, 8 Silben): 19, 3 Vnsir fruntlichn grus czu vor. L Vor der Schlußhebung 1 Daktylus, 4 Trochüen 'XX'x'x'X!X (6 Hebungen, 12 Silben): 24, 3 Fruntlichen grus vnd vnuordrussen dinst czu vor. Würde man die Typen in zwei Hauptklassen gruppieren, je nachdem vor der Schlußhebung ein Daktylus steht (I. Hauptklasse) oder ein Trochäus (II. Hauptklasse), so würden zur I. Hauptklasse gehören die Typen Aa, Ab, Ad; Ba; Cb; Db ; Eb; H, zur II. Hauptklasse die Typen Ac, Ae ; Bb; Ca; Da; Ea; F; G; H; I; K; L. Aus dieser Ubersicht ergibt sich erstens der planmäßige, nach einem durchgehenden rhythmischen Prinzip hergestellte Aufbau dieser Salutatio- Formeln. Er besteht aus der wechselnden Gruppierung von 1—4 Tro- chäen und 1—4 Daktylen. Dabei ist bis auf drei Ausnahmen, die mit einer unbetonten Vorsilbe beginnen (21, 3; 22, 2; 23, 3), der fallende Rhythmus ganz durchgeführt. Einc einzige Salutatio (26, 3) ist in der Uberlieferung von P mit einer unbetonten Silbe überfüllt, die man wohl ein Recht hat, durch Apokopierung (merung statt merunge) zu emen- dieren. Es ergibt sich zweitens, daß kein Grund vorliegt, den gekürzten Dativ dinst 13, 2 in P anzutasten und durch die von S überlieferte volle Form zu ersetzen. Diese Salutatio würde dadurch aus dem elfsilbigen Typus A, zu dem sie gehört, unnötigerweise herausgerissen. Auch schützt sie die in 24, 4 (Typus L) ebenfalls von P überlieferte gleiche Kurzform des Datirs dinst. S hat 13, 2 auf cigene Faust seiner Neigung zur grammatischen Restituierung der Endungs-e, die wir genugsam kennen, nachgegeben. Wir müssen wieder, wie oben schon wiederholt sich zeigte, Doppelformen für diese Sprachgestaltung ansrkennen, unter denen nach satzphonetischen, in dem fraglichen Fall nach rhythmischen Gründen, ge- wählt wurde. 8. Auch dreisilbige Worte bewahren nach nebentonigem zweiten Kom- positionsgliede das Endungs-e in der Flexion: mit ewirn furmanne 5, 6; in dem nestin Jormargte 5, 5; czu ew'n Jormarkte 9, 6; koschaczcze 9, 8; am nestin sonnebunde 5, 8; 13, 10 (s. darüber oben § 5, 5 a, S. 180)1. Im viersilbigen Compositum erfolgt vor folgendem Vokalanlaut einmal Elision: 12, 4 gleicherweis als eyn reich PS. Es ist hier die Kürzung wieder satzphonetisch bedingt und gerechtfertigt: das Wort steht in der Funktion einer satzeinleitenden Konjunktion und kommt als solche, 1 Akzentverlegung und Betonung únde möchte ich nicht annelmen, viel- mehr in dem u die auch sonst (Rückert-Pietsch S. 17f.) belegte Schreibung des schwachtonigen silbischen Nasals erblicken.
Zusammenfassende Charakteristik. 287 J Der Schlußhebung gehn voran 2 Trochäen, 1 Daktylus, 1 Trochäus, 1 Dakt., 2 Trochäen X'X'XX'X XX!X'X' (8 Hebungen, 17 Silben): X X X 1 30, 2 Vnsir guten willen in allen dingen bereyt czu ewirn ern. K Der Schlußhebung gehn voran 1 Trochäus, 1 Takt., 1 Trochäus, 1515'X' (4 Hebungen, 8 Silben): 19, 3 Vnsir fruntlichn grus czu vor. L Vor der Schlußhebung 1 Daktylus, 4 Trochüen 'XX'x'x'X!X (6 Hebungen, 12 Silben): 24, 3 Fruntlichen grus vnd vnuordrussen dinst czu vor. Würde man die Typen in zwei Hauptklassen gruppieren, je nachdem vor der Schlußhebung ein Daktylus steht (I. Hauptklasse) oder ein Trochäus (II. Hauptklasse), so würden zur I. Hauptklasse gehören die Typen Aa, Ab, Ad; Ba; Cb; Db ; Eb; H, zur II. Hauptklasse die Typen Ac, Ae ; Bb; Ca; Da; Ea; F; G; H; I; K; L. Aus dieser Ubersicht ergibt sich erstens der planmäßige, nach einem durchgehenden rhythmischen Prinzip hergestellte Aufbau dieser Salutatio- Formeln. Er besteht aus der wechselnden Gruppierung von 1—4 Tro- chäen und 1—4 Daktylen. Dabei ist bis auf drei Ausnahmen, die mit einer unbetonten Vorsilbe beginnen (21, 3; 22, 2; 23, 3), der fallende Rhythmus ganz durchgeführt. Einc einzige Salutatio (26, 3) ist in der Uberlieferung von P mit einer unbetonten Silbe überfüllt, die man wohl ein Recht hat, durch Apokopierung (merung statt merunge) zu emen- dieren. Es ergibt sich zweitens, daß kein Grund vorliegt, den gekürzten Dativ dinst 13, 2 in P anzutasten und durch die von S überlieferte volle Form zu ersetzen. Diese Salutatio würde dadurch aus dem elfsilbigen Typus A, zu dem sie gehört, unnötigerweise herausgerissen. Auch schützt sie die in 24, 4 (Typus L) ebenfalls von P überlieferte gleiche Kurzform des Datirs dinst. S hat 13, 2 auf cigene Faust seiner Neigung zur grammatischen Restituierung der Endungs-e, die wir genugsam kennen, nachgegeben. Wir müssen wieder, wie oben schon wiederholt sich zeigte, Doppelformen für diese Sprachgestaltung ansrkennen, unter denen nach satzphonetischen, in dem fraglichen Fall nach rhythmischen Gründen, ge- wählt wurde. 8. Auch dreisilbige Worte bewahren nach nebentonigem zweiten Kom- positionsgliede das Endungs-e in der Flexion: mit ewirn furmanne 5, 6; in dem nestin Jormargte 5, 5; czu ew'n Jormarkte 9, 6; koschaczcze 9, 8; am nestin sonnebunde 5, 8; 13, 10 (s. darüber oben § 5, 5 a, S. 180)1. Im viersilbigen Compositum erfolgt vor folgendem Vokalanlaut einmal Elision: 12, 4 gleicherweis als eyn reich PS. Es ist hier die Kürzung wieder satzphonetisch bedingt und gerechtfertigt: das Wort steht in der Funktion einer satzeinleitenden Konjunktion und kommt als solche, 1 Akzentverlegung und Betonung únde möchte ich nicht annelmen, viel- mehr in dem u die auch sonst (Rückert-Pietsch S. 17f.) belegte Schreibung des schwachtonigen silbischen Nasals erblicken.
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288 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. gleichfalls oft, wenn nicht meist apokopiert, in der Sprache der Reichs- kanzlei vor. In dreisilbigen Worten bleiben die e der Endung erhalten auch nach schweren Ableitungssilben: koninge P, konige S 10, 6; 17, 12; 26, 9; dem bischoffe 8, 9. 9. Eigentümlich ist der Wechsel zwischen apokopierten und vollen Dativen in den Substantivkompositen, die in der Datierungs- formel den Tag bezeichnen. Im zweiten Kompositionsteil scheint hier regellos bald -tage, bald -tag zu stehen. Es ist aber in Wirklichkeit eine fast ohne Störung in unserer Niederschrift wiedergegebene feste Regel vorhanden, die rhythmisch bedingt ist. Man prüfe: 2, I am nestin dunnirstage (dornstage S) vor Jubilate; 6, 10 am suntage iubilate: 7, 12; 8, 10 am dinstage noch jubilate; 11, 10 am nestin donnirstage (dornstage S) noch georgii ; 14, 7 am suntage cantate; 15, 13 am nestin montage noch cantate; 16, 12 am nestin dinstage noch cantate; 18, 13 an der nestin metewochn noch cantate (cantate, dem suntage S); 19, 9f. am nestin donnirstage (auch S) vor vocem Jocunditatis; 20, 1I am suntage vocem Jocunditatis; 21, 9f. am nestin montage noch vocem Jocunditatis; 25, 10 am dornstage noch uiti; 30, 9 am suntage vor Johannis. Ferner in Apposition: 1, 12; 3, 10f. an d' nestin mete- wochin vor Jubilate, dem suntage; 4, 6 am nestin freytage vor Jubi- late, dem suntage. Drittens in den Namenstagen der Heiligen: 10, 14f. an sinte Jorgen tage des heyligen mertirers; 12, 13 an sinde marcus- tage. Uberall, wie man sieht, die volle Dativform -tage. Tritt hin- gegen, begleitet von der Präposition nach' oder vor, hinter dem Wochen- tag oder auch allein die Angabe des Heiligentags auf, so erscheint in dieser die gekürzte Dativform -tag: 10, 11 am nestin montage noch sinde wolpurgin tag PS (Z. 12 an dem selben tage PS; vgl. auch 3, 5 czu nest sinde walpurgen tag PS); 16, 9 an der nestin metewochn noch sinde walpurgn tag, aber a. d. nesten metewochin noch sinte walpurgis tage S (vorher Z. 5f.: das her vor sinde Johannis tag des teufers P’S); 22, 5 off den nestin suntag [Akkusativ, von off abhängig!] noch sinde Jhohannis tag des teufers; 23, 7 an der nesten metewochn noch sinde veicz tag; 26, 7 off den nesten suntag fAkkusativ, von off abhängial noch sinde Jacobi tag; 28, 10 am nestin freitag ſnach Analogie der übrigen Beispiele in freitage zu berichtigen] vor sinde Johannis tag des teufirs. Es ist klar: ein bestimmtes rhythmisches Gefühl und eine bestimmte Abstufung der Betonung muß diese verschiedene Behandlung des Kom- positionsgliedes -tag in den Wochentags- und Heiligentagsnamen herbei- geführt haben. Vielleicht ist in einigen Füllen ein rhythmischer Dis- similationstrieb das Hauptmotiv; das genau gleich betonte und lautende zweimalige -tage so unmittelbar hintereinander hätte etwas Klapperndes. Aber auch wo der Wochentag Mittwoch' ist, also keine Komposition
288 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. gleichfalls oft, wenn nicht meist apokopiert, in der Sprache der Reichs- kanzlei vor. In dreisilbigen Worten bleiben die e der Endung erhalten auch nach schweren Ableitungssilben: koninge P, konige S 10, 6; 17, 12; 26, 9; dem bischoffe 8, 9. 9. Eigentümlich ist der Wechsel zwischen apokopierten und vollen Dativen in den Substantivkompositen, die in der Datierungs- formel den Tag bezeichnen. Im zweiten Kompositionsteil scheint hier regellos bald -tage, bald -tag zu stehen. Es ist aber in Wirklichkeit eine fast ohne Störung in unserer Niederschrift wiedergegebene feste Regel vorhanden, die rhythmisch bedingt ist. Man prüfe: 2, I am nestin dunnirstage (dornstage S) vor Jubilate; 6, 10 am suntage iubilate: 7, 12; 8, 10 am dinstage noch jubilate; 11, 10 am nestin donnirstage (dornstage S) noch georgii ; 14, 7 am suntage cantate; 15, 13 am nestin montage noch cantate; 16, 12 am nestin dinstage noch cantate; 18, 13 an der nestin metewochn noch cantate (cantate, dem suntage S); 19, 9f. am nestin donnirstage (auch S) vor vocem Jocunditatis; 20, 1I am suntage vocem Jocunditatis; 21, 9f. am nestin montage noch vocem Jocunditatis; 25, 10 am dornstage noch uiti; 30, 9 am suntage vor Johannis. Ferner in Apposition: 1, 12; 3, 10f. an d' nestin mete- wochin vor Jubilate, dem suntage; 4, 6 am nestin freytage vor Jubi- late, dem suntage. Drittens in den Namenstagen der Heiligen: 10, 14f. an sinte Jorgen tage des heyligen mertirers; 12, 13 an sinde marcus- tage. Uberall, wie man sieht, die volle Dativform -tage. Tritt hin- gegen, begleitet von der Präposition nach' oder vor, hinter dem Wochen- tag oder auch allein die Angabe des Heiligentags auf, so erscheint in dieser die gekürzte Dativform -tag: 10, 11 am nestin montage noch sinde wolpurgin tag PS (Z. 12 an dem selben tage PS; vgl. auch 3, 5 czu nest sinde walpurgen tag PS); 16, 9 an der nestin metewochn noch sinde walpurgn tag, aber a. d. nesten metewochin noch sinte walpurgis tage S (vorher Z. 5f.: das her vor sinde Johannis tag des teufers P’S); 22, 5 off den nestin suntag [Akkusativ, von off abhängig!] noch sinde Jhohannis tag des teufers; 23, 7 an der nesten metewochn noch sinde veicz tag; 26, 7 off den nesten suntag fAkkusativ, von off abhängial noch sinde Jacobi tag; 28, 10 am nestin freitag ſnach Analogie der übrigen Beispiele in freitage zu berichtigen] vor sinde Johannis tag des teufirs. Es ist klar: ein bestimmtes rhythmisches Gefühl und eine bestimmte Abstufung der Betonung muß diese verschiedene Behandlung des Kom- positionsgliedes -tag in den Wochentags- und Heiligentagsnamen herbei- geführt haben. Vielleicht ist in einigen Füllen ein rhythmischer Dis- similationstrieb das Hauptmotiv; das genau gleich betonte und lautende zweimalige -tage so unmittelbar hintereinander hätte etwas Klapperndes. Aber auch wo der Wochentag Mittwoch' ist, also keine Komposition
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Zusammenfassende Charakteristik. 289 mit -tage vorhergeht, herrscht im Namen des Heiligentags die apokopierte Dativform. Wenn S 16, 9 noch sinte walpurgis tage schreibt, so be- wirkt hier offenbar der nähere Anschluß an die lateinische Wortgestaltung (s. 16a, 9 post festum beate Walpurgis) eine mehr getragene und schwerere Akxentuierung, die das Endungs-e hervortreibt. Daß 22, 10 f. es heißt: am nestin dinstage noch sinde veicz tage, setxt meine Beobachtung nicht außer Kraft; hier führt eben der durch Synkope nach Fabian Francks Regel (s. oben Abschnitt 6, S. 283f.) einsilbig gewordene Heiligenname einen anderen Rhythmus herbei. Lediglich 28, 10 am nestin freitag vor sinde Johannis tag des teufirs weicht insofern ab, als hier (in einem auch sonst mehreres Ungewöhnliche enthaltenden Brief) der Wochentagsname mit Apokope der Dativ-Endung auftritt, der Heiligentag aber fügt sich der sonstigen Regel. Und 6, 7 dy am nestin dinstage noch sinde wal- purgin tage sal begangin werdin ist eine gegen den regulären Cursus planus verstoßende Textverderbnis. Das geht meines Erachtens hervor aus der Lesart von S: am nestin dinstage nach sinte Walpurgen tag begangen sal werden (cursus planus). Dies ist rhythmisch korrekt und der Text des Originals, und hier haben wir wieder die nach der eben festgestellten Regel zu erwartende Kurzform walpurgin tag. Die eigentliche Quelle dieser rhythmisch bedingten Apokopierungsregel für die Heiligentag-Namen der Datierungsformel finde ich im Gebrauch der kaiserlichen Kanzleisprache, die sie zwar nicht ohne Aus- nahme, aber doch überwiegend durchführt, soweit Stichproben und nament- lich eine Durchmusterung der 55 von Gutjahr, Die Urkunden in der Kanzlei Karls IV. abgedruckten Diplome (S. 405—481), Patente (S. 482 bis 491), Briefe (S. 491—496) ergeben. Es sind hier folgende Typen zu unterscheiden. a) Das Datum enthält allein den Namen eines Heiligentags (oder Festtags) in apokopierter Dativform: an unsir vrowen tag 1356 S. 406; an sand Georgen tag des heiligen ritters 1361, S. 409. 410; an sant Vites tag dez heiligen martirers 1361. 1370, S. 411. 425; an des heiligen creutz tag als es erhaben wart 1371, S.490 ; an sant Johanns ewangelisten tag unserr reiche in dem neun und czwanczigsten und des Keisertums in dem czwenczigsten jaren 1374, S. 444; an sent Sebastians und Fabians tag unser reiche usw. 1375, S. 445; an sante Nikles tag unsrer reiche usw. 1376, S. 447; an sante Clementen tag 1377 S. 455; an sante Matthias tag des czwelfboten 1378, S. 458: an sant Agnestag vnsir riche usw. 1367, S. 484 (Patent); an des ayndleftausend maget tag unserr reiche usw. 1369, S. 486 (Patent); an sant Andres tag 1370, S. 492 (Brief). b) Das Datum enthält den Namen eines Wochentags oder hohen Festtags, sofern es ein Kompositum mit -tag ist, in voller Dativform (ohne Apokope) und den Namen eines Heiligentags oder hohen Festtags in apokopierter Dativform: an sancte Thomas tag nach dem heiligen Cristage 1365, S. 412; an dem nehsten suntage vor unser frawentag Liecht- messe 1368, S. 416 ; an der nehstin mitwochn vor unser frawen tag lichtmesse 1370, S. 424; an dem nehesten montage vor sante Agnethen tag 1377, S. 450; an dem nehesten freitage vor Allerheiligen tag Unsir Reiche usw. 1377, - - „ —. - . .. .. a-
Zusammenfassende Charakteristik. 289 mit -tage vorhergeht, herrscht im Namen des Heiligentags die apokopierte Dativform. Wenn S 16, 9 noch sinte walpurgis tage schreibt, so be- wirkt hier offenbar der nähere Anschluß an die lateinische Wortgestaltung (s. 16a, 9 post festum beate Walpurgis) eine mehr getragene und schwerere Akxentuierung, die das Endungs-e hervortreibt. Daß 22, 10 f. es heißt: am nestin dinstage noch sinde veicz tage, setxt meine Beobachtung nicht außer Kraft; hier führt eben der durch Synkope nach Fabian Francks Regel (s. oben Abschnitt 6, S. 283f.) einsilbig gewordene Heiligenname einen anderen Rhythmus herbei. Lediglich 28, 10 am nestin freitag vor sinde Johannis tag des teufirs weicht insofern ab, als hier (in einem auch sonst mehreres Ungewöhnliche enthaltenden Brief) der Wochentagsname mit Apokope der Dativ-Endung auftritt, der Heiligentag aber fügt sich der sonstigen Regel. Und 6, 7 dy am nestin dinstage noch sinde wal- purgin tage sal begangin werdin ist eine gegen den regulären Cursus planus verstoßende Textverderbnis. Das geht meines Erachtens hervor aus der Lesart von S: am nestin dinstage nach sinte Walpurgen tag begangen sal werden (cursus planus). Dies ist rhythmisch korrekt und der Text des Originals, und hier haben wir wieder die nach der eben festgestellten Regel zu erwartende Kurzform walpurgin tag. Die eigentliche Quelle dieser rhythmisch bedingten Apokopierungsregel für die Heiligentag-Namen der Datierungsformel finde ich im Gebrauch der kaiserlichen Kanzleisprache, die sie zwar nicht ohne Aus- nahme, aber doch überwiegend durchführt, soweit Stichproben und nament- lich eine Durchmusterung der 55 von Gutjahr, Die Urkunden in der Kanzlei Karls IV. abgedruckten Diplome (S. 405—481), Patente (S. 482 bis 491), Briefe (S. 491—496) ergeben. Es sind hier folgende Typen zu unterscheiden. a) Das Datum enthält allein den Namen eines Heiligentags (oder Festtags) in apokopierter Dativform: an unsir vrowen tag 1356 S. 406; an sand Georgen tag des heiligen ritters 1361, S. 409. 410; an sant Vites tag dez heiligen martirers 1361. 1370, S. 411. 425; an des heiligen creutz tag als es erhaben wart 1371, S.490 ; an sant Johanns ewangelisten tag unserr reiche in dem neun und czwanczigsten und des Keisertums in dem czwenczigsten jaren 1374, S. 444; an sent Sebastians und Fabians tag unser reiche usw. 1375, S. 445; an sante Nikles tag unsrer reiche usw. 1376, S. 447; an sante Clementen tag 1377 S. 455; an sante Matthias tag des czwelfboten 1378, S. 458: an sant Agnestag vnsir riche usw. 1367, S. 484 (Patent); an des ayndleftausend maget tag unserr reiche usw. 1369, S. 486 (Patent); an sant Andres tag 1370, S. 492 (Brief). b) Das Datum enthält den Namen eines Wochentags oder hohen Festtags, sofern es ein Kompositum mit -tag ist, in voller Dativform (ohne Apokope) und den Namen eines Heiligentags oder hohen Festtags in apokopierter Dativform: an sancte Thomas tag nach dem heiligen Cristage 1365, S. 412; an dem nehsten suntage vor unser frawentag Liecht- messe 1368, S. 416 ; an der nehstin mitwochn vor unser frawen tag lichtmesse 1370, S. 424; an dem nehesten montage vor sante Agnethen tag 1377, S. 450; an dem nehesten freitage vor Allerheiligen tag Unsir Reiche usw. 1377, - - „ —. - . .. .. a-
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290 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. S. 454; an dem nehesten donrstage noch vnsir frawen tag lichtmesse 1378, S. 457; an dem nehstin freytage nach dem heyligen pfingistag 1378, S. 463. Dies ist der Typus, den die Schlägl-Schneeberger Briefmuster sich zum Vorbild nehmen. Nur uniformen sie die Datierungsweise dahin, daß der Wochentags- name vorangeht, der Heiligentagsname folgt. c) Im Datum steht der Wochen- tagsname vor dem Namen eines Sonntags, beide in voller Dativform: am nehsten Dinstage nach dem Suntage Iudica 1368, S. 420; an dem nehsten Dinstage vor dem Suntage als man singet in der heiligen Kirchen Domine ne longe, den man nennet den Palmtag 1368, S. 422; an dem nehesten Dins- tage nach dem suntage als man singet Misericordia Domini 1377, S. 451; an dem nehesten donrstage vor dem suntage Invocavit 1378, S. 461; daxu gehört auch an dem nehesten sunabende vor den pfingsten 1376, S. 446; an dem nehesten montage vor pfingesten 1378, S. 462. Hier ist also die schrift- sprachliche restituierende und wortisolierende Tendenz noch weiter vorgedrungen; beiden Tagesnamen wird die volle Endung gegeben. Aber auch hier scheinen doch rhythmische Gründe mitzuspielen. d) Ausnahmen. Da Gutjahr, der unxählige Angaben und Feststellungen über Dinge macht, die xur Diplomatik gehören, über die Vorlagen der von ihm abgedruckten Urkunden und sein Ver- fahren bei ihrer Wiedergabe keinerlei Auskunft gibt (die Schreibung von u und v hat er z. B. stillschweigend nach modernen Grundsätzen normalisiert), so ist es mir nicht möglich, xu sagen, ob die Abweichungen, die sich von den vor- stehenden Typen zeigen, auch wirklich den Originalen angehören. Es sind die folgenden: a) der Wochentag steht allein und in kurxer Form (elidiert!): an dem svnntag in der vasten 1357 S. 407; 3) Wochentagsname verbunden mit Festtagsname, beide in apokopierter bxw. elidierter Form: an dem nesten sun- tag vor unser frawen tag als sie geborn wart 1366, S. 414; an dem nehsten freitag nach dem obristen tag [6. Januar] 1369, S. 423; y) Wochentagsname und Sonntagsname erscheinen apokopiert bxw. elidiert : an dem nehsten dinstag nach dem Suntag als man singet iudica 1372, S. 427; J) Wochentagsname und Heiligentags- oder Festtagsname beide in voller Dativform: an dem nehsten montage nach sand Dorotheentage der heiligen Jungfrawen 1368, S. 418; an dem nehsten montage nach unser vrowen tage in der vasten 1368, S. 419f. e) Heiligentagsname alleinstehend in voller Dativform: an San Lucien tage der heiligen Jungfrawen 1373, S. 438; an sente Francisci tage unser Reiche usw. 1374, S. 439. 441; an sant Calixten tage unser reiche usw. 1374, S. 442; an sente Matthias tage 1378, S. 459; an sante Agneten tage unser reiche 1367 S. 483 (Patent); an sant Iohans tage des taufers 1372, S. 428; an sand Iohans tage des teufers 1369, S. 485 (Patent); an send Lucas tage des hei- ligen [so!] evangelisten 1370, S. 488 (Patent). Das Bestehen einer auf Wechsel zwischen gekürzter und voller Dativ- form zielenden Regel ist jedesfalls erkennbar. Daneben ein Streben nach noch weiter gehender Restitution der vollen Endsilbe. Bemerkenswert ist, daß in den angeführten Diplomen und Briefen teilweise gerade die auf diesen Blättern in anderem Zusammenhang wiederholt genannten Notare der Reichskanzlei Petrus Jaurensis, Wilhelm Kortelangen, Nico- laus Camericensis, Nicolaus de Poznania als Unterfertiger oder Registratoren erscheinen: Personen, die dem engen Schüler-, Kollegen-
290 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. S. 454; an dem nehesten donrstage noch vnsir frawen tag lichtmesse 1378, S. 457; an dem nehstin freytage nach dem heyligen pfingistag 1378, S. 463. Dies ist der Typus, den die Schlägl-Schneeberger Briefmuster sich zum Vorbild nehmen. Nur uniformen sie die Datierungsweise dahin, daß der Wochentags- name vorangeht, der Heiligentagsname folgt. c) Im Datum steht der Wochen- tagsname vor dem Namen eines Sonntags, beide in voller Dativform: am nehsten Dinstage nach dem Suntage Iudica 1368, S. 420; an dem nehsten Dinstage vor dem Suntage als man singet in der heiligen Kirchen Domine ne longe, den man nennet den Palmtag 1368, S. 422; an dem nehesten Dins- tage nach dem suntage als man singet Misericordia Domini 1377, S. 451; an dem nehesten donrstage vor dem suntage Invocavit 1378, S. 461; daxu gehört auch an dem nehesten sunabende vor den pfingsten 1376, S. 446; an dem nehesten montage vor pfingesten 1378, S. 462. Hier ist also die schrift- sprachliche restituierende und wortisolierende Tendenz noch weiter vorgedrungen; beiden Tagesnamen wird die volle Endung gegeben. Aber auch hier scheinen doch rhythmische Gründe mitzuspielen. d) Ausnahmen. Da Gutjahr, der unxählige Angaben und Feststellungen über Dinge macht, die xur Diplomatik gehören, über die Vorlagen der von ihm abgedruckten Urkunden und sein Ver- fahren bei ihrer Wiedergabe keinerlei Auskunft gibt (die Schreibung von u und v hat er z. B. stillschweigend nach modernen Grundsätzen normalisiert), so ist es mir nicht möglich, xu sagen, ob die Abweichungen, die sich von den vor- stehenden Typen zeigen, auch wirklich den Originalen angehören. Es sind die folgenden: a) der Wochentag steht allein und in kurxer Form (elidiert!): an dem svnntag in der vasten 1357 S. 407; 3) Wochentagsname verbunden mit Festtagsname, beide in apokopierter bxw. elidierter Form: an dem nesten sun- tag vor unser frawen tag als sie geborn wart 1366, S. 414; an dem nehsten freitag nach dem obristen tag [6. Januar] 1369, S. 423; y) Wochentagsname und Sonntagsname erscheinen apokopiert bxw. elidiert : an dem nehsten dinstag nach dem Suntag als man singet iudica 1372, S. 427; J) Wochentagsname und Heiligentags- oder Festtagsname beide in voller Dativform: an dem nehsten montage nach sand Dorotheentage der heiligen Jungfrawen 1368, S. 418; an dem nehsten montage nach unser vrowen tage in der vasten 1368, S. 419f. e) Heiligentagsname alleinstehend in voller Dativform: an San Lucien tage der heiligen Jungfrawen 1373, S. 438; an sente Francisci tage unser Reiche usw. 1374, S. 439. 441; an sant Calixten tage unser reiche usw. 1374, S. 442; an sente Matthias tage 1378, S. 459; an sante Agneten tage unser reiche 1367 S. 483 (Patent); an sant Iohans tage des taufers 1372, S. 428; an sand Iohans tage des teufers 1369, S. 485 (Patent); an send Lucas tage des hei- ligen [so!] evangelisten 1370, S. 488 (Patent). Das Bestehen einer auf Wechsel zwischen gekürzter und voller Dativ- form zielenden Regel ist jedesfalls erkennbar. Daneben ein Streben nach noch weiter gehender Restitution der vollen Endsilbe. Bemerkenswert ist, daß in den angeführten Diplomen und Briefen teilweise gerade die auf diesen Blättern in anderem Zusammenhang wiederholt genannten Notare der Reichskanzlei Petrus Jaurensis, Wilhelm Kortelangen, Nico- laus Camericensis, Nicolaus de Poznania als Unterfertiger oder Registratoren erscheinen: Personen, die dem engen Schüler-, Kollegen-
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Zusammenfassende Charakteristik. 291 und Freundeskreis Johanns von Neumarkt angehören und fast alle gleich ihm vielfache Beziehungen zu Schlesien haben. 10. Die Adverbia wahren im Allgemeinen noch ihre Endung: ofte 1, 5: alleyne 13, 5 (im zweiten Schneeberger Formelbuch 42, 13 alleyn); czurucke 29, 8; do wir ... mete begnot seyn 10, 5f.; meteburger 9, 1 ; aber als Präposition apokopiert myt mir zcu yn wellet reytn: eine Unterscheidung, die, wie wir oben (§ 81, 2 b ß, S. 263, Anm. 1) sahen, eine alte Tradition in der schlesisch-böhmischen Literatursprache hat. Die Adverbia auf -lich erscheinen teils in dieser kürzeren Form offintlich, sicherlich, fleysichlich, volkumelich, leuthirlich, vesticlich, erberlich vnd fromelich, gunsticlich 15, 11; steteclich 20. 10; gerulich 24, 8, teils und zwar seltener in der längeren Form -lichen: fleysseclichen 10, 10; frunt- lichen 13, 7: 25, 4; sunderlichen 15, 12; frolichn 26, 10. In S lesen wir dicse längeren Formen häufiger offentlichn, willeglichn, wissentlichn, gnediklichn, denclichn allein in cinem einzigen Brief (Nr. 31); in Brief 32 neben fromlich vnd erbarlich, lobelich auch wieder sundirlichn, williclichn ; in Brief 33 luterlich, wylleclich neben willeclichn : in Brief 34 eynveldeglichn, sunderlichen, gutlichn neben luterlich ; in Brief 35 wil- liclichn. h’cziglichen, gnediglichen, genemelichen neben behegelich; in Brief 36 klegelichen, gutlichen, steticlichen vn flissiglichn neben swer- lich; in Brief 37 swerlichen, williglichen, flissiglichen, fruntlichen; Brief 38 einfeldiglichen, williglichen neben besunderlich; Brief 39 wil- liglichen ; in Brief 40 andechticlichen neben behegelich ; in Brief 41 kurtz- lichen, williclichen; in Brief 42 flissiglichen, kurczlichen; in Brief 43 flissiglichen, dinstlichen neben swerlich; Brief 44 geruhlichn, bestetic- lichen. Es überwiegen hier also weitaus die längeren Bildungen. In Sw begegnet: Brief 45 lobelich, gutlich, bequemelichen; 46 ierlich; 47 frolichen, 49 sunderlich, 50 ernstlich: hier scheint, soweit die wenigen Proben ein Urteil erlauben, die kürzere Form bevorzugt zu werden. Die Wahl der einen oder der anderen Form ist natürlich wesentlich bedingt durch die Satzbetonung, durch die Rhythmisierung, die der Verfasser seinem Brieftext geben will. Im allgemeinen vgl. Michels § 219, 2, S. 179. 11. Inlautendes e der Endung -en unterliegt ebenso wie inlautendes e der Ableitungs- und Flexionssilben nur selten der Synkope. 3, 9 wellet wechsiln P, w. wechselen S; in der Anredeformel gegenüber allir- lipster in P regelmäßig (1, 4; 3, 4; 6, 1; 16, 14; 17, 4) allirlibester in S; ferner vergleiche man 5, 6 willn P, willen S (sicher im Einklang mit der gemeinsamen Vorlage; denn 3, 5; 12, 10; 29, 3; 30, 4 hat auch P willen); 11, 8 horn P, horen S (vielleicht wieder nach der Vorlage, da 22, 7; 28, 5 auch P horn d. h. horen schreibt); daher 17, 13 sulche geschetnisse wurt horn, obgleich in P und S, schwerlich richtig; 11, 8; 30, 5 begern P (11, 8 begerin S); aber begeren 26, 11; 18, 4 Besun- deren P, Besundern S (hier liegt wohl nur ein Verschen von S vor). Doch besteht aus altem schriftsprachlichem Herkommen der mhd. Zeit
Zusammenfassende Charakteristik. 291 und Freundeskreis Johanns von Neumarkt angehören und fast alle gleich ihm vielfache Beziehungen zu Schlesien haben. 10. Die Adverbia wahren im Allgemeinen noch ihre Endung: ofte 1, 5: alleyne 13, 5 (im zweiten Schneeberger Formelbuch 42, 13 alleyn); czurucke 29, 8; do wir ... mete begnot seyn 10, 5f.; meteburger 9, 1 ; aber als Präposition apokopiert myt mir zcu yn wellet reytn: eine Unterscheidung, die, wie wir oben (§ 81, 2 b ß, S. 263, Anm. 1) sahen, eine alte Tradition in der schlesisch-böhmischen Literatursprache hat. Die Adverbia auf -lich erscheinen teils in dieser kürzeren Form offintlich, sicherlich, fleysichlich, volkumelich, leuthirlich, vesticlich, erberlich vnd fromelich, gunsticlich 15, 11; steteclich 20. 10; gerulich 24, 8, teils und zwar seltener in der längeren Form -lichen: fleysseclichen 10, 10; frunt- lichen 13, 7: 25, 4; sunderlichen 15, 12; frolichn 26, 10. In S lesen wir dicse längeren Formen häufiger offentlichn, willeglichn, wissentlichn, gnediklichn, denclichn allein in cinem einzigen Brief (Nr. 31); in Brief 32 neben fromlich vnd erbarlich, lobelich auch wieder sundirlichn, williclichn ; in Brief 33 luterlich, wylleclich neben willeclichn : in Brief 34 eynveldeglichn, sunderlichen, gutlichn neben luterlich ; in Brief 35 wil- liclichn. h’cziglichen, gnediglichen, genemelichen neben behegelich; in Brief 36 klegelichen, gutlichen, steticlichen vn flissiglichn neben swer- lich; in Brief 37 swerlichen, williglichen, flissiglichen, fruntlichen; Brief 38 einfeldiglichen, williglichen neben besunderlich; Brief 39 wil- liglichen ; in Brief 40 andechticlichen neben behegelich ; in Brief 41 kurtz- lichen, williclichen; in Brief 42 flissiglichen, kurczlichen; in Brief 43 flissiglichen, dinstlichen neben swerlich; Brief 44 geruhlichn, bestetic- lichen. Es überwiegen hier also weitaus die längeren Bildungen. In Sw begegnet: Brief 45 lobelich, gutlich, bequemelichen; 46 ierlich; 47 frolichen, 49 sunderlich, 50 ernstlich: hier scheint, soweit die wenigen Proben ein Urteil erlauben, die kürzere Form bevorzugt zu werden. Die Wahl der einen oder der anderen Form ist natürlich wesentlich bedingt durch die Satzbetonung, durch die Rhythmisierung, die der Verfasser seinem Brieftext geben will. Im allgemeinen vgl. Michels § 219, 2, S. 179. 11. Inlautendes e der Endung -en unterliegt ebenso wie inlautendes e der Ableitungs- und Flexionssilben nur selten der Synkope. 3, 9 wellet wechsiln P, w. wechselen S; in der Anredeformel gegenüber allir- lipster in P regelmäßig (1, 4; 3, 4; 6, 1; 16, 14; 17, 4) allirlibester in S; ferner vergleiche man 5, 6 willn P, willen S (sicher im Einklang mit der gemeinsamen Vorlage; denn 3, 5; 12, 10; 29, 3; 30, 4 hat auch P willen); 11, 8 horn P, horen S (vielleicht wieder nach der Vorlage, da 22, 7; 28, 5 auch P horn d. h. horen schreibt); daher 17, 13 sulche geschetnisse wurt horn, obgleich in P und S, schwerlich richtig; 11, 8; 30, 5 begern P (11, 8 begerin S); aber begeren 26, 11; 18, 4 Besun- deren P, Besundern S (hier liegt wohl nur ein Verschen von S vor). Doch besteht aus altem schriftsprachlichem Herkommen der mhd. Zeit
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292 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. eine Vorliebe für Synkope des e nach r: birs 6, 5; geborn 15, 6; h’rn 10, 5; Irbirn 10, 1; 11, 1; 12, 1; dirfarn 20, 7; aber varen 17, 8; furen 5, 6; 14, 6; nogeborn 12, 2; nocgeborn 12, 5; nochgeborn 11, 2. 4. Singulär ist dorfferen 27, 6. Umgekehrt ebenso singulär begnot 10, 6 (in der kaiserlichen Kanzleisprache begnadet). Diese in den volkssprach- lich gefärbten Quellen häufige Zusammenziehung wird, wie schon oben § 16, 3, S. 193 betont ist, in unseren nach reiner Wortgestaltung stre- benden Briefmustern gemieden. Man beachte auch 10, 13 an dem selben XX X X tage, der czúschin vns gemacht ist neben 4, 6 volkumelich beczalit (Meyer VI, s. oben § 36, S. 213, § 42, 3, S. 216): dort die synkopierte, hier die volle Partizipialform xur Erzeugung des erstrebten Cursus. Schwankende Betonung veranlaßt die Doppelformen in der neben- tonigen Ableitungssilbe des Worts Oheim', das teils als ohemen 7, 2; 8, I teils (in der Anrede!) als Lib‘ ohme 7, 4; 8, 3 auftritt. So steht auch neben am nestin donnirstage 11, 10 (dornstage S!) gelegentlich das vulgäre am dornstage 25, 10 mit Synkope und Metathesis. In der Sprache der Reichskanzlei erscheint neben der vollen schriftsprachlichen Form öfter die gekürzte als donrstage (x. B. Gutjahr S. 457. 461). Uber die Zusammenziehung morne 28, 7 s. oben § 17, 3, S. 195. Beachtenswert ist sinde veicz tag 23, 7: Unterdrückung der Silbe te nach der oben § 84, 6, S. 284 besprochenen Regel Fabian Francks. Neben besehen wellen 10, 13 stcht sehn 9, 8, sehene S (vgl. darüber oben § 43, S. 217), wo S im sprachlichen Restituierungsdrang den Cursus verletzt. Ebenso singulär (des Rhythmus wegen in der Salutatio s. oben § 84, 7, Typus J, S. 287) ern (Dat. Pl.) 30, 2. Neben 10, 5 genedigen h’rn PS die Anrede 11, 5 genedger h’re P, ausgleichend und restituierend genediger h. S. In den Flexionsformen der Possessiva erscheinen gleichfalls Schwan- kungen: mit ewirn furmanne 5, 6; ewirn son 8, 6; aber mit ewrm roten 10, 13; vns'm (vnserm), vnsirn 10, 5; 12, 10; vnsrim hr n 8,9; vnsirm Ingr 10, 15. Neben 18, 12 czihn P findet sich 1, 7 czyhn P, aber czyhin S, neben 8, 7 entphoe P enphoe S, aber 15, 11 mit Umkehrung des sonst ge- wohnten Verhältnisses der beiden Handschriften entphoen P, Kürzung entphon S, während 28, 9 P nederslon bietet. Das sind Doppelformen, über deren Wahl oft der Rhythmus, nicht selten auch nur die Laune des Schreibers entscheidet. Wir lesen 2, 7 geton hot vnd vorheysen in P, demgegenüber mit besserem Cursus (korrektem velox) getoen hat vnd vorheysen in S (vielleicht aus dem Original). Aber wir finden 18, 6 neben vir tuchir P auch das grob mundartliche vieher tucher in S. 12. Trotz der entschiedenen Abneigung gegen Synkopierungen wird in den proklitischen Formen des unbestimmten Artikels die satz- phonetisch erwünschte Einsilbigkeit hergestellt durch Beibehaltung der
292 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. eine Vorliebe für Synkope des e nach r: birs 6, 5; geborn 15, 6; h’rn 10, 5; Irbirn 10, 1; 11, 1; 12, 1; dirfarn 20, 7; aber varen 17, 8; furen 5, 6; 14, 6; nogeborn 12, 2; nocgeborn 12, 5; nochgeborn 11, 2. 4. Singulär ist dorfferen 27, 6. Umgekehrt ebenso singulär begnot 10, 6 (in der kaiserlichen Kanzleisprache begnadet). Diese in den volkssprach- lich gefärbten Quellen häufige Zusammenziehung wird, wie schon oben § 16, 3, S. 193 betont ist, in unseren nach reiner Wortgestaltung stre- benden Briefmustern gemieden. Man beachte auch 10, 13 an dem selben XX X X tage, der czúschin vns gemacht ist neben 4, 6 volkumelich beczalit (Meyer VI, s. oben § 36, S. 213, § 42, 3, S. 216): dort die synkopierte, hier die volle Partizipialform xur Erzeugung des erstrebten Cursus. Schwankende Betonung veranlaßt die Doppelformen in der neben- tonigen Ableitungssilbe des Worts Oheim', das teils als ohemen 7, 2; 8, I teils (in der Anrede!) als Lib‘ ohme 7, 4; 8, 3 auftritt. So steht auch neben am nestin donnirstage 11, 10 (dornstage S!) gelegentlich das vulgäre am dornstage 25, 10 mit Synkope und Metathesis. In der Sprache der Reichskanzlei erscheint neben der vollen schriftsprachlichen Form öfter die gekürzte als donrstage (x. B. Gutjahr S. 457. 461). Uber die Zusammenziehung morne 28, 7 s. oben § 17, 3, S. 195. Beachtenswert ist sinde veicz tag 23, 7: Unterdrückung der Silbe te nach der oben § 84, 6, S. 284 besprochenen Regel Fabian Francks. Neben besehen wellen 10, 13 stcht sehn 9, 8, sehene S (vgl. darüber oben § 43, S. 217), wo S im sprachlichen Restituierungsdrang den Cursus verletzt. Ebenso singulär (des Rhythmus wegen in der Salutatio s. oben § 84, 7, Typus J, S. 287) ern (Dat. Pl.) 30, 2. Neben 10, 5 genedigen h’rn PS die Anrede 11, 5 genedger h’re P, ausgleichend und restituierend genediger h. S. In den Flexionsformen der Possessiva erscheinen gleichfalls Schwan- kungen: mit ewirn furmanne 5, 6; ewirn son 8, 6; aber mit ewrm roten 10, 13; vns'm (vnserm), vnsirn 10, 5; 12, 10; vnsrim hr n 8,9; vnsirm Ingr 10, 15. Neben 18, 12 czihn P findet sich 1, 7 czyhn P, aber czyhin S, neben 8, 7 entphoe P enphoe S, aber 15, 11 mit Umkehrung des sonst ge- wohnten Verhältnisses der beiden Handschriften entphoen P, Kürzung entphon S, während 28, 9 P nederslon bietet. Das sind Doppelformen, über deren Wahl oft der Rhythmus, nicht selten auch nur die Laune des Schreibers entscheidet. Wir lesen 2, 7 geton hot vnd vorheysen in P, demgegenüber mit besserem Cursus (korrektem velox) getoen hat vnd vorheysen in S (vielleicht aus dem Original). Aber wir finden 18, 6 neben vir tuchir P auch das grob mundartliche vieher tucher in S. 12. Trotz der entschiedenen Abneigung gegen Synkopierungen wird in den proklitischen Formen des unbestimmten Artikels die satz- phonetisch erwünschte Einsilbigkeit hergestellt durch Beibehaltung der
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Zusammenfassende Charakteristik. 293 mittelhochdeutschen Flexionslosigkeit, die um 1400 vom mitteldeutschen Sprachgefühl doch schon als Kürzung empfunden werden mußte. Gleiches gilt von den flexionslosen und ebenso schon als Kürzungen wirkenden Possessivpronomina und von den noch nach mhd. Weise adjektivisch verwendeten Genetiven der Personalpronomina. Diese erschienen dem damaligen Sprachgefühl bereits als flexionslose oder verkürzte Pos- sessivpronomina und wechseln denn auch in unsern Texten mit den flek- tierten Formen der Possessivpronomina. Wir lesen in P im eyn presentacio ... gebin 8, 9, wofür S eyne pre- sentacio hat. Sonst aber die volle Form: vm eine bequeme stat 9, 7. Ferner 10, 7 eyn schedelichen knecht (predonem obnoxium) PS, 29, 9 czu rothe werdn mit eym gelobde der eynekeyt; 22, 8 ewir bestn pherde eyns mit eyme schoczczen. So auch das Possessiv 25, 2 Meyn (Akkus.) dinst. Dem eyme in der eben angeführten Wendung 22, 8 steht gegenüber vereinzelt mit eym gelobde (federe) 29, 9; und vereinzelt ist auch vnd" meym Ingr 23, 8, was immerhin auffällig erscheint, da in dieser feier- lichen Wendung des Eschatokolls die Pronomina meistens mit vollem Ton und in voller Form gegeben werden: 3, 11 vnd’ meynem (meyme S) an- gedructen Inge [Ingesegil]; 10, 15 vnd’ vnsirm Inge; 11, 11 vnd' vnsr'm Ingesegil; 24, 10 vnd’ meyme Ingr; 27, 11 vndir vnserë Ingr; 28, 11 vnd' vnsirm Ingr; 29, 11 vnd" vnserim Ingesegil; 30, 9 vndir vnserin Inge. Auf gleicher Stufe steht wen ich (icht) sulchs P; wen ich eyn sulchz S (s. oben § 83, 11, S. 281). Abfall des n oder Unsicherheit über die Flexionsform liegt vor bei yn eyme sulche ad' grussr'n 22, 9. Proklitisches Demonstrativ dieser' wird unter Tonentzichung einmal von der Synkopierung betroffen, die im Genetiv zwischen zwei s nach der oben (§ 84, 6, S. 284) besprochenen Regel Fabian Francks zu recht- fertigen ist; 11, 8 noch angesichte dis briffes PS. Es ist das auch die der Reichskanzleisprache geläufige Form: mit urkunt oder crafte (craffte, krafft) dicz brieves (oder auch briefes, briefs, seltener brifes). Jedoch steht 8, 7 die volle Form mit kraft desis brifes. Vereinzelt ist czu nest sinde walpurgen tag 3, 5f. in P, wofür S schreibt: czu neste noch sinte walp. tag (lat. Fassung: post festum beate Walpurgis proximum). Die Kurzform in P ist wohl ein flexions- loses Adjektiv in Zusammenrückung mit dem Festtagsnamen, also gleich- bedeutend mit off den nesten sinde Walpurgen tag (vgl. off den nesten sinde Johannis tag 1, 6). Sonst lautet der Dativ in P stets nestin oder nesten (z. B. 1, 12; 2, 8 u. ö.). Was P hier schreibt ist volkstümliche Sprechweise: Vorstufe einer Zusammensetzung Nächst-Sanktwalpurgen- tag'. Das Sprachgefühl empfand die Form natürlich als Zusammen- ziehung und Ausstoßung der Endung. 13. Den schwachen Vokallaut in den unbetonten Silben geben schle- sische Denkmäler des 14. und 15. Jahrhunderts in dreifacher Schreibung
Zusammenfassende Charakteristik. 293 mittelhochdeutschen Flexionslosigkeit, die um 1400 vom mitteldeutschen Sprachgefühl doch schon als Kürzung empfunden werden mußte. Gleiches gilt von den flexionslosen und ebenso schon als Kürzungen wirkenden Possessivpronomina und von den noch nach mhd. Weise adjektivisch verwendeten Genetiven der Personalpronomina. Diese erschienen dem damaligen Sprachgefühl bereits als flexionslose oder verkürzte Pos- sessivpronomina und wechseln denn auch in unsern Texten mit den flek- tierten Formen der Possessivpronomina. Wir lesen in P im eyn presentacio ... gebin 8, 9, wofür S eyne pre- sentacio hat. Sonst aber die volle Form: vm eine bequeme stat 9, 7. Ferner 10, 7 eyn schedelichen knecht (predonem obnoxium) PS, 29, 9 czu rothe werdn mit eym gelobde der eynekeyt; 22, 8 ewir bestn pherde eyns mit eyme schoczczen. So auch das Possessiv 25, 2 Meyn (Akkus.) dinst. Dem eyme in der eben angeführten Wendung 22, 8 steht gegenüber vereinzelt mit eym gelobde (federe) 29, 9; und vereinzelt ist auch vnd" meym Ingr 23, 8, was immerhin auffällig erscheint, da in dieser feier- lichen Wendung des Eschatokolls die Pronomina meistens mit vollem Ton und in voller Form gegeben werden: 3, 11 vnd’ meynem (meyme S) an- gedructen Inge [Ingesegil]; 10, 15 vnd’ vnsirm Inge; 11, 11 vnd' vnsr'm Ingesegil; 24, 10 vnd’ meyme Ingr; 27, 11 vndir vnserë Ingr; 28, 11 vnd' vnsirm Ingr; 29, 11 vnd" vnserim Ingesegil; 30, 9 vndir vnserin Inge. Auf gleicher Stufe steht wen ich (icht) sulchs P; wen ich eyn sulchz S (s. oben § 83, 11, S. 281). Abfall des n oder Unsicherheit über die Flexionsform liegt vor bei yn eyme sulche ad' grussr'n 22, 9. Proklitisches Demonstrativ dieser' wird unter Tonentzichung einmal von der Synkopierung betroffen, die im Genetiv zwischen zwei s nach der oben (§ 84, 6, S. 284) besprochenen Regel Fabian Francks zu recht- fertigen ist; 11, 8 noch angesichte dis briffes PS. Es ist das auch die der Reichskanzleisprache geläufige Form: mit urkunt oder crafte (craffte, krafft) dicz brieves (oder auch briefes, briefs, seltener brifes). Jedoch steht 8, 7 die volle Form mit kraft desis brifes. Vereinzelt ist czu nest sinde walpurgen tag 3, 5f. in P, wofür S schreibt: czu neste noch sinte walp. tag (lat. Fassung: post festum beate Walpurgis proximum). Die Kurzform in P ist wohl ein flexions- loses Adjektiv in Zusammenrückung mit dem Festtagsnamen, also gleich- bedeutend mit off den nesten sinde Walpurgen tag (vgl. off den nesten sinde Johannis tag 1, 6). Sonst lautet der Dativ in P stets nestin oder nesten (z. B. 1, 12; 2, 8 u. ö.). Was P hier schreibt ist volkstümliche Sprechweise: Vorstufe einer Zusammensetzung Nächst-Sanktwalpurgen- tag'. Das Sprachgefühl empfand die Form natürlich als Zusammen- ziehung und Ausstoßung der Endung. 13. Den schwachen Vokallaut in den unbetonten Silben geben schle- sische Denkmäler des 14. und 15. Jahrhunderts in dreifacher Schreibung
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294 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. wieder als e, i, selten als y, die Schlägl-Schneeberger Sammlung fast ausnahmslos als e und i (s. oben § 3, 2c, S. 175f.). In Brief 1 finden wir gesellin, desim mole, desim briffczeger, offintlich, vorscreybin, nestin metewochin, hynricis hundis dynir. Das sind in dreizehn Zeilen 10 i-Schreibungen. Aber im selben Brief stehen daneben gewissen leuten, vernomen, wellest, nesten, tewfers, genczlichen, genomen, meynes fromen — das sind 10 e-Schreibungen. Im Brief 2 zählen wir gegen 6 i�Schreibungen 10 e-Schreibungen; in Brief 3 sind es 6 i gegen 16 e; in Brief 4 aber 11 i gegen nur 6 e; in Brief 5 11 i gegen nur 4 e; in Brief 6 10 i gegen 8 e. Es ergibt sich bei einer weiteren Durchprüfung der Texte: neben der eigentlich im mitteldeutschen Schriftgebrauch boden- ständigen Schreibung i sind doch die hoch- und gemeinsprachlichen, durch die oberdeutsche Literatur überlieferten e-Schreibungen so zahlreich, daß sie auf bewußtem Streben beruhen müssen. Das erste Schneeberger Formelbuch mit den 19 Briefen in P, die beiden gemeinsam sind, für diese Erscheinung zu vergleichen, ist reizvoll. Gelegentlich tritt in P unverkennbar ein beabsichtigter Vokalwechsel, eine aus ästhetischem Grunde gewünschte Dissimilation hervor: das wir kegin euch in allin czeyten wellin sundirlichen vordinen 15, 12 (fehlt S). Häufiger aber zeigt sie sich in der Parallelüberlieferung S, gehört also vielleicht der Vorlage und wäre gegen P öfter in den Text zu setzen. 1, 9 wellest P, wellist S; mit desim briffczeger offintlich wellest P, mit desim briffczegir offentlich wellest S; 1, 12 nestin mete- wochin P, nesten mittewochin S. Hier waltet bei der Wahl von e oder i offenbar ein Dissimilationstrieb (vgl. dazu auch oben § 3, 2b, S. 175). Ahnlich 8, 5 von des alt’s wegen dirkenne ... den selbin nicolaum P, v. d. altir wegen dirkenne ... den selben S. Die Beobachtungen, die hierüber Pietsch (Rückert S. 35 Anm. und Bemerkungen zu den Proben S. (75)) gemacht hat, wonach wedir und wider, desir und diser, sebin und siben, aber nicht widir, weder, disir, deser, sibin, seben beliebt sind, werden dadurch, in etwas anderer Richtung freilich, bestätigt: es scheint dem Schreiber von P weniger auf Dissimilation innerhalb des- selben Worts, sondern zwischen mehreren aufeinander folgenden Worten anzukommen. Anderwärts finden wir, wenn wir die Niederschrift von P und S gegenüberstellen, in S nur eine Vermehrung der Endungs-e auf Kosten der i. 5, 4 mit ganczin fleysse P, m. ganczem fleyse S; 7 kegin proge P, kegen prage S, zcu sendin P, zcu senden S; 7, 1 libin P, liben S; 10 ruchit P, ge- ruchet S; 8, 9 vnsrim P, vnsern S; 11, 7 vnsirs P, vnsers S; 13, 9 ewrim P, ewrem S; 14, 4. 5 ewir P, ewer S; 10, 8 gefangin P, gefangen S; 12, 10 wellit haldin P, wellet behalden S; 15, 9 haldin P, halden S; 10 selbin P, selben S; 15, 13; 16, 6. 8. 12 nestin P, nesten S; 16, 8 ganczim P, ganczem S; 11 weisin P. weisen S; 17, 1 clugin P, clugen S; 7 gesellin P, gesellen S.
294 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. wieder als e, i, selten als y, die Schlägl-Schneeberger Sammlung fast ausnahmslos als e und i (s. oben § 3, 2c, S. 175f.). In Brief 1 finden wir gesellin, desim mole, desim briffczeger, offintlich, vorscreybin, nestin metewochin, hynricis hundis dynir. Das sind in dreizehn Zeilen 10 i-Schreibungen. Aber im selben Brief stehen daneben gewissen leuten, vernomen, wellest, nesten, tewfers, genczlichen, genomen, meynes fromen — das sind 10 e-Schreibungen. Im Brief 2 zählen wir gegen 6 i�Schreibungen 10 e-Schreibungen; in Brief 3 sind es 6 i gegen 16 e; in Brief 4 aber 11 i gegen nur 6 e; in Brief 5 11 i gegen nur 4 e; in Brief 6 10 i gegen 8 e. Es ergibt sich bei einer weiteren Durchprüfung der Texte: neben der eigentlich im mitteldeutschen Schriftgebrauch boden- ständigen Schreibung i sind doch die hoch- und gemeinsprachlichen, durch die oberdeutsche Literatur überlieferten e-Schreibungen so zahlreich, daß sie auf bewußtem Streben beruhen müssen. Das erste Schneeberger Formelbuch mit den 19 Briefen in P, die beiden gemeinsam sind, für diese Erscheinung zu vergleichen, ist reizvoll. Gelegentlich tritt in P unverkennbar ein beabsichtigter Vokalwechsel, eine aus ästhetischem Grunde gewünschte Dissimilation hervor: das wir kegin euch in allin czeyten wellin sundirlichen vordinen 15, 12 (fehlt S). Häufiger aber zeigt sie sich in der Parallelüberlieferung S, gehört also vielleicht der Vorlage und wäre gegen P öfter in den Text zu setzen. 1, 9 wellest P, wellist S; mit desim briffczeger offintlich wellest P, mit desim briffczegir offentlich wellest S; 1, 12 nestin mete- wochin P, nesten mittewochin S. Hier waltet bei der Wahl von e oder i offenbar ein Dissimilationstrieb (vgl. dazu auch oben § 3, 2b, S. 175). Ahnlich 8, 5 von des alt’s wegen dirkenne ... den selbin nicolaum P, v. d. altir wegen dirkenne ... den selben S. Die Beobachtungen, die hierüber Pietsch (Rückert S. 35 Anm. und Bemerkungen zu den Proben S. (75)) gemacht hat, wonach wedir und wider, desir und diser, sebin und siben, aber nicht widir, weder, disir, deser, sibin, seben beliebt sind, werden dadurch, in etwas anderer Richtung freilich, bestätigt: es scheint dem Schreiber von P weniger auf Dissimilation innerhalb des- selben Worts, sondern zwischen mehreren aufeinander folgenden Worten anzukommen. Anderwärts finden wir, wenn wir die Niederschrift von P und S gegenüberstellen, in S nur eine Vermehrung der Endungs-e auf Kosten der i. 5, 4 mit ganczin fleysse P, m. ganczem fleyse S; 7 kegin proge P, kegen prage S, zcu sendin P, zcu senden S; 7, 1 libin P, liben S; 10 ruchit P, ge- ruchet S; 8, 9 vnsrim P, vnsern S; 11, 7 vnsirs P, vnsers S; 13, 9 ewrim P, ewrem S; 14, 4. 5 ewir P, ewer S; 10, 8 gefangin P, gefangen S; 12, 10 wellit haldin P, wellet behalden S; 15, 9 haldin P, halden S; 10 selbin P, selben S; 15, 13; 16, 6. 8. 12 nestin P, nesten S; 16, 8 ganczim P, ganczem S; 11 weisin P. weisen S; 17, 1 clugin P, clugen S; 7 gesellin P, gesellen S.
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Zusammenfassende Charakteristik. 295 Aber man darf nicht etwa daraus schließen, daß S die i-Färbung der unbetonten Silben verschmäht. Die in P stehenden Abkürzungen vett', burg', stet', alt' (Altar), laut, all' erscheinen in S z. B. in Brief 6. 7. 8 als vettir, burgir, stetir, altir, lutir, allir. Nicht ganz selten findet sich an Stellen, wo P e schreibt, in S ein i: 13, 4 boser geschicht P, bosir geschich (so!) S; 15, 3 Steten dinst P, stetin dinst S. Und 14, 7 in Worten, die P nicht hat, lesen wir: dem man nennit cantate. Eine Bevorzugung der e-Schreibung ist im ersten Schneeberger Formelbuch gegenüber P immerhin zu erkennen, und es scheint, als ob manchmal auf die Beibehaltung des in der Schätzung sinkenden i eine Neigung zum Lautwechsel, zur klanglichen Differenzierung ein- gewirkt hat. Jedesfalls aber gehört für P wie für das erste Schneeberger Formelbuch die e- und i-Schreibung in den unbetonten Silben zu den Variabeln. Schr viel seltener mischt das zweite Schnecberger Formelbuch die i-Schreibungen ein. Die e-Schreibungen beherrschen hier das Feld. In nicht weniger als sechs Briefen unserer unten abgedruckten, vierzehn Nummern umfassenden Auswahl taucht nur je eine i-Schreibung auf (in Nr. 31. 33. 36. 40. 42. 44), in einem Briefe (Nr. 41) sogar keine; in zwei Briefen (Nr. 37. 38) nur zwei i-Schreibungen, in einem Briefe (Nr. 34) drei, in einem (Nr. 43) vier, in zweien (Nr. 32. 39) allerdings fünf, in einem Briefe (Nr. 35) gar sechs. Es steht wohl außer Zweifel, daß dieser starke Unterschied innerhalb einer von der gleichen Schreiber- hand geschriebenen Briefsammlung nicht auf Rechnung des Redaktors der Sammlung kommen kann, sondern auf die zugrunde liegenden, von ver- schiedenen Verfassern herrührenden und verschiedenem Schreibgebrauch folgenden Originale zurückgcht. Und wenn Brief 38 die Anredexeile 38, 8 schreibt: Aller erwirdigistr vat' vnd gnedigest h’re, außerdem neben des bebistlichn stules ein legat (in der Adresse, Z. 2) im Text babestliche brife, so scheint hier wirklich der Grundsatz Variatio de- lectat in Kraft zu sein. Viel stärker bemerkbar machen sich die i-Schreibungen in Sw. Brief 45 zeigt in seinen 12 Zeilen zehn i-Schreibungen (edilkeyt zweimal, ge- slechtis, wonit, eynir, ewir, wellit irczeigen, geendit, irkennen), Brief 49 in 10 Zeilen sieben i-Schreibungen (allir irluchtigisten, allis, ewir Edil- keyt, ewir dynerynne), Brief I° (Einleitung S. 145) in 12 Zeilen zehn i-Schreibungen, IIb (Einleit. S. 146) in 10 Zeilen acht, IIIb (Einleit. S. 147) aber in 12 Zeilen bloß vier i-Schreibungen. Uber die Verwendung des y an Stelle des i ist bereits oben § 3, 1a. b, S. 175 f. im allgemeinen gesprochen. Augenscheinlich entscheiden über seinen Gebrauch vorwiegend graphische Ursachen. Die Regeln, die Ehrismann in seiner ausgezeichneten, nach vielen Seiten förderlichen Abhandlung! über das Gedicht von der Minneburg auf Grund der Lehren 1 Ehrismann, Beiträge 22. Bd. (1897), S. 265 f.
Zusammenfassende Charakteristik. 295 Aber man darf nicht etwa daraus schließen, daß S die i-Färbung der unbetonten Silben verschmäht. Die in P stehenden Abkürzungen vett', burg', stet', alt' (Altar), laut, all' erscheinen in S z. B. in Brief 6. 7. 8 als vettir, burgir, stetir, altir, lutir, allir. Nicht ganz selten findet sich an Stellen, wo P e schreibt, in S ein i: 13, 4 boser geschicht P, bosir geschich (so!) S; 15, 3 Steten dinst P, stetin dinst S. Und 14, 7 in Worten, die P nicht hat, lesen wir: dem man nennit cantate. Eine Bevorzugung der e-Schreibung ist im ersten Schneeberger Formelbuch gegenüber P immerhin zu erkennen, und es scheint, als ob manchmal auf die Beibehaltung des in der Schätzung sinkenden i eine Neigung zum Lautwechsel, zur klanglichen Differenzierung ein- gewirkt hat. Jedesfalls aber gehört für P wie für das erste Schneeberger Formelbuch die e- und i-Schreibung in den unbetonten Silben zu den Variabeln. Schr viel seltener mischt das zweite Schnecberger Formelbuch die i-Schreibungen ein. Die e-Schreibungen beherrschen hier das Feld. In nicht weniger als sechs Briefen unserer unten abgedruckten, vierzehn Nummern umfassenden Auswahl taucht nur je eine i-Schreibung auf (in Nr. 31. 33. 36. 40. 42. 44), in einem Briefe (Nr. 41) sogar keine; in zwei Briefen (Nr. 37. 38) nur zwei i-Schreibungen, in einem Briefe (Nr. 34) drei, in einem (Nr. 43) vier, in zweien (Nr. 32. 39) allerdings fünf, in einem Briefe (Nr. 35) gar sechs. Es steht wohl außer Zweifel, daß dieser starke Unterschied innerhalb einer von der gleichen Schreiber- hand geschriebenen Briefsammlung nicht auf Rechnung des Redaktors der Sammlung kommen kann, sondern auf die zugrunde liegenden, von ver- schiedenen Verfassern herrührenden und verschiedenem Schreibgebrauch folgenden Originale zurückgcht. Und wenn Brief 38 die Anredexeile 38, 8 schreibt: Aller erwirdigistr vat' vnd gnedigest h’re, außerdem neben des bebistlichn stules ein legat (in der Adresse, Z. 2) im Text babestliche brife, so scheint hier wirklich der Grundsatz Variatio de- lectat in Kraft zu sein. Viel stärker bemerkbar machen sich die i-Schreibungen in Sw. Brief 45 zeigt in seinen 12 Zeilen zehn i-Schreibungen (edilkeyt zweimal, ge- slechtis, wonit, eynir, ewir, wellit irczeigen, geendit, irkennen), Brief 49 in 10 Zeilen sieben i-Schreibungen (allir irluchtigisten, allis, ewir Edil- keyt, ewir dynerynne), Brief I° (Einleitung S. 145) in 12 Zeilen zehn i-Schreibungen, IIb (Einleit. S. 146) in 10 Zeilen acht, IIIb (Einleit. S. 147) aber in 12 Zeilen bloß vier i-Schreibungen. Uber die Verwendung des y an Stelle des i ist bereits oben § 3, 1a. b, S. 175 f. im allgemeinen gesprochen. Augenscheinlich entscheiden über seinen Gebrauch vorwiegend graphische Ursachen. Die Regeln, die Ehrismann in seiner ausgezeichneten, nach vielen Seiten förderlichen Abhandlung! über das Gedicht von der Minneburg auf Grund der Lehren 1 Ehrismann, Beiträge 22. Bd. (1897), S. 265 f.
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296 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. der Orthographen und Grammatiker des 16. Jahrhunderts zusammen- gestellt hat, treffen auch für die Schreibweise unserer Briefmusterbücher im ganzen zu. Wirklich tritt auch hier das y an Stelle eines i mit Vor- liebe neben m oder n, steht ferner fakultativ gern im Auslaut und im Diphthong (ey) sowie für das mittelhochdeutschem ie entsprechende lange i: vgl. ym (ihm') 10, 9; 16, 11; 18, 5; yn (ihn') 20, 9; yn (ihnen") 25, 7; czyhen 1, 7; 3, 6; dynir (famulus) 1, 3 (neben diner 2, 1; dinste 2, 5; dinen 2, 6); ein einxiges Mal myt mir 25, 7 (mit 28, 7; 29, 5. 7. 9; 30, 7); zahllos oft in der häufigen, mit ei wechselnden Schreibung des Diphthongs, und zwar sowohl des alten (« mhd. ei) wie des neuen ( mdh. 1) als ey (s. oben § 8, S. 181f.). In diesem Wechsel sah ge- wiß das damalige orthographische Bewußtsein eine besondere Zierde. Es muß aber zu jenen Regeln als Einschränkung hinzugefügt werden, daß in P y niemals in der Endungssilbe en (in) erscheint, daß es ander- seits für alle Artikelformen die’ (nicht bloß, wie oben S. 175, 3 ver- sehentlich gesagt ist, für die des Feminins und Neutrums) obligatorisch ist, und zwar in allen Funktionen (als bestimmter Artikel neben Sub- stantiv, als Relativ, als selbständiges Demonstrativ): dy mir dy selbe hirschaft 2, 7; mir dy (deiktisch betont!) an ofschob ... czusendin 3, 9f.; dy tuchir, dy eir 5, 4f.; zcu meyner tachtir hochczeyt, dy 6, 6; acht marg ge Igroschen], dy her ... gegulden sulde haben vnd dy em noch schuldig ist 18, 7 f.; alle ding, dy euch 14, 4; dy stat sweidenicz 13, 4; dy [Relat. Mask. Plur.] hin vnd her reyten 17, 7; Dy . .. fursten 26, 4f. Für die Präposition in’ wechselt yn mit in: yn dy stat 22, 7; in der stat 26, 8; vgl. 22, 9; 27, 6; 28, 6. 8. 9. Vereinzelt ist zy (= sie, Neutr. Plur.) 24, 7. Es ist y hier wie in ym (ihm) Zeichen für den betonten Vokal im Gegensatz zu der geschwächten Form in der Enklise (se, em, s. oben § 83, 4, S. 278f.). Nur einmal erscheint y statt i oder e in unbetonter Endsilbe mit vns' beyde leypliychyn eyde 30, 8 in einem auch sonst sprachlich abweichenden Briefe. Niemals er- setzt in P y das konsonantische i (Jod), für iemmerlich 13, 4 in P hat aber S yem lich. Im zweiten Schneeberger Formelbuch spielt das y eine viel größere Rolle (vgl. oben § 3, 1a. b, 2c, 3, S. 173ff.). Es steht hier a) auch noch für das nichtdiphthongierte mhd. 1: synen 31, 6; synes 32, 11 u. ö., snydermeister 32, 5. 11; gewyet, wyen 33, 5. 8; vorlyen, vorlyet 34, 15. 16; mysenischen 33, 11; mit flyse 35, 9 u. ö. (flise 36, 5 u. ö.); by 35, 10. 19; 37, 16; 42, 18; geczyten, czyt 36, 2. 5; ir syt 43, 10; 44, 13; b) nicht nur als Ersatz des mhd. Diphthongs ie wie in P (z. B. bryf 31, 9; 32, 2; bryfes 33, 12; bryfe 34, 13; Hyr vmme 34, 15, aber hir vmb 37, 15; 38, 10; 40, 10; die Artikelformen dy oft in allen Funktionen; dynen 35, 21 u. ö., vordynen 41, 13, sondern auch als erster Bestandteil dieses graphisch erhaltenen, phonetisch kontrahierten Diphthongs: vyer (quatuor) 31, 6 (neben vier 35, 15); c) als Vertretung
296 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. der Orthographen und Grammatiker des 16. Jahrhunderts zusammen- gestellt hat, treffen auch für die Schreibweise unserer Briefmusterbücher im ganzen zu. Wirklich tritt auch hier das y an Stelle eines i mit Vor- liebe neben m oder n, steht ferner fakultativ gern im Auslaut und im Diphthong (ey) sowie für das mittelhochdeutschem ie entsprechende lange i: vgl. ym (ihm') 10, 9; 16, 11; 18, 5; yn (ihn') 20, 9; yn (ihnen") 25, 7; czyhen 1, 7; 3, 6; dynir (famulus) 1, 3 (neben diner 2, 1; dinste 2, 5; dinen 2, 6); ein einxiges Mal myt mir 25, 7 (mit 28, 7; 29, 5. 7. 9; 30, 7); zahllos oft in der häufigen, mit ei wechselnden Schreibung des Diphthongs, und zwar sowohl des alten (« mhd. ei) wie des neuen ( mdh. 1) als ey (s. oben § 8, S. 181f.). In diesem Wechsel sah ge- wiß das damalige orthographische Bewußtsein eine besondere Zierde. Es muß aber zu jenen Regeln als Einschränkung hinzugefügt werden, daß in P y niemals in der Endungssilbe en (in) erscheint, daß es ander- seits für alle Artikelformen die’ (nicht bloß, wie oben S. 175, 3 ver- sehentlich gesagt ist, für die des Feminins und Neutrums) obligatorisch ist, und zwar in allen Funktionen (als bestimmter Artikel neben Sub- stantiv, als Relativ, als selbständiges Demonstrativ): dy mir dy selbe hirschaft 2, 7; mir dy (deiktisch betont!) an ofschob ... czusendin 3, 9f.; dy tuchir, dy eir 5, 4f.; zcu meyner tachtir hochczeyt, dy 6, 6; acht marg ge Igroschen], dy her ... gegulden sulde haben vnd dy em noch schuldig ist 18, 7 f.; alle ding, dy euch 14, 4; dy stat sweidenicz 13, 4; dy [Relat. Mask. Plur.] hin vnd her reyten 17, 7; Dy . .. fursten 26, 4f. Für die Präposition in’ wechselt yn mit in: yn dy stat 22, 7; in der stat 26, 8; vgl. 22, 9; 27, 6; 28, 6. 8. 9. Vereinzelt ist zy (= sie, Neutr. Plur.) 24, 7. Es ist y hier wie in ym (ihm) Zeichen für den betonten Vokal im Gegensatz zu der geschwächten Form in der Enklise (se, em, s. oben § 83, 4, S. 278f.). Nur einmal erscheint y statt i oder e in unbetonter Endsilbe mit vns' beyde leypliychyn eyde 30, 8 in einem auch sonst sprachlich abweichenden Briefe. Niemals er- setzt in P y das konsonantische i (Jod), für iemmerlich 13, 4 in P hat aber S yem lich. Im zweiten Schneeberger Formelbuch spielt das y eine viel größere Rolle (vgl. oben § 3, 1a. b, 2c, 3, S. 173ff.). Es steht hier a) auch noch für das nichtdiphthongierte mhd. 1: synen 31, 6; synes 32, 11 u. ö., snydermeister 32, 5. 11; gewyet, wyen 33, 5. 8; vorlyen, vorlyet 34, 15. 16; mysenischen 33, 11; mit flyse 35, 9 u. ö. (flise 36, 5 u. ö.); by 35, 10. 19; 37, 16; 42, 18; geczyten, czyt 36, 2. 5; ir syt 43, 10; 44, 13; b) nicht nur als Ersatz des mhd. Diphthongs ie wie in P (z. B. bryf 31, 9; 32, 2; bryfes 33, 12; bryfe 34, 13; Hyr vmme 34, 15, aber hir vmb 37, 15; 38, 10; 40, 10; die Artikelformen dy oft in allen Funktionen; dynen 35, 21 u. ö., vordynen 41, 13, sondern auch als erster Bestandteil dieses graphisch erhaltenen, phonetisch kontrahierten Diphthongs: vyer (quatuor) 31, 6 (neben vier 35, 15); c) als Vertretung
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Zusammenfassende Charakteristik. 297 von mhd. kurzem i und zwar nicht bloß wie in P neben Nasal (z. B. gewynne 32, 12; gesyndes 35, 9; ym hoff 38, 14 neben in uw’ kirchen 38, 10, in wyset 38, 13; ich byn 40, 15; synt 41, 10), sondern auch in der Nähe anderer Konsonanten; wyssn (wissen") 32, 9; 37, 11 (neben wissentlich 32, 16); styftunge 33, 9; wylleclich 33, 15 (neben willecliche 33, 18); Bythe wir (Supplicamus) 33, 12; Bysthumes 33, 11; 34, 5 (neben bisthum 38, 16; bischtummes, bischtumps 39, 12. 14); Byschofe 34, 1; d) als Vertretung von mhd. i in den bald betonten bald unbetonten geschlechtigen Pronomen ihm', ihn' im Possessiv ihr': yren kumpan (proklitisch) 32, 11; mit flyse in erbeten ym by zcu legen 35, 10 (aber ire grose manchfaldikeyt 36, 11f.; ir den uw’n 37, 19). Uber das y in Sw s. oben S. 174 Abs. 1, 176 Abs. 1. § 85. Psychogenetische Ergebnisse für die Anfänge der modernen deutschen Bildung und Sprache. I. Die sprachliche Bewegung, aus der seit dem Absterben der mittel- hochdeutschen Literatursprache unser Neuhochdeutsch hervorwächst, gleicht einem großen Strom, den im Frühling ungewöhnlich wilde Naturgewalten, Schneeschmelze, Regengüsse und Stürme aus seinem Bette getrieben haben und der nun nach allen Seiten das Land überschwemmt, Geröll und Schlamm und allerlei Abfälle mit sich führend, zu einem hin und her wallenden Gewässer und zu kleinen Rinnsalen sich seeartig ausbreitet, aber dadurch seine eigentliche Strömung verdeckt. Auch im Werden des neuhochdeutschen Sprachtypus ist um das Jahr 1400 der innere Lauf der sprachlichen Strömung schwer oder gar nicht zu erkennen, weil sie unter dem Hin- und Herwogen sprachlicher Uberlieferung, Neubildung, Ausgleichung unsichtbar wird. Dennoch wird es die Aufgabe der For- schung sein, die Grundströmung der neuhochdeutschen Sprachentwicklung aufzufinden und von den über und neben ihr herlaufenden Neben- strömungen der Oberfläche zu unterscheiden. Wenn seit Friedrich Zarnckes grundlegenden Feststellungen die Geschichte des Neuhoch- deutschen in der Sprache der Drucke für das ausgehende 15. Jahrhundert und etwa die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts von nicht wenigen Ge- lehrten (z. B. Kluge, v. Bahder, Edw. Schroeder, Kauffmann, Oskar Brenner, Virgil Moser u. a.) erfolgreich durchforscht wurde, liegt die Werdezeit vor Erfindung des Buchdrucks noch immer ziemlich im Dunkel, obgleich die zahlreichen monographischen Darstellungen der einzelnen Kanzlei- sprachen1 manche Frage beleuchtet haben. Die vielgenannte böhmische Kanzleisprache seit Karl IV. ist nichts Einheitliches. Das ist oft ausgesprochen worden2, wird aber immer noch 1 Eine Ubersicht über sie bei Harry Bresslau, Handbuch der Urkunden- lehre2 II, 1, S. 389 Anm. 2. 2 Vgl. besonders Gustav Ehrismann, Göttingische gelehrte Anxeigen 1907, November, S. 917f.; Alois Bernt, Böhmisch-Kamnitzer Stadtbuch, S. 185 ff.
Zusammenfassende Charakteristik. 297 von mhd. kurzem i und zwar nicht bloß wie in P neben Nasal (z. B. gewynne 32, 12; gesyndes 35, 9; ym hoff 38, 14 neben in uw’ kirchen 38, 10, in wyset 38, 13; ich byn 40, 15; synt 41, 10), sondern auch in der Nähe anderer Konsonanten; wyssn (wissen") 32, 9; 37, 11 (neben wissentlich 32, 16); styftunge 33, 9; wylleclich 33, 15 (neben willecliche 33, 18); Bythe wir (Supplicamus) 33, 12; Bysthumes 33, 11; 34, 5 (neben bisthum 38, 16; bischtummes, bischtumps 39, 12. 14); Byschofe 34, 1; d) als Vertretung von mhd. i in den bald betonten bald unbetonten geschlechtigen Pronomen ihm', ihn' im Possessiv ihr': yren kumpan (proklitisch) 32, 11; mit flyse in erbeten ym by zcu legen 35, 10 (aber ire grose manchfaldikeyt 36, 11f.; ir den uw’n 37, 19). Uber das y in Sw s. oben S. 174 Abs. 1, 176 Abs. 1. § 85. Psychogenetische Ergebnisse für die Anfänge der modernen deutschen Bildung und Sprache. I. Die sprachliche Bewegung, aus der seit dem Absterben der mittel- hochdeutschen Literatursprache unser Neuhochdeutsch hervorwächst, gleicht einem großen Strom, den im Frühling ungewöhnlich wilde Naturgewalten, Schneeschmelze, Regengüsse und Stürme aus seinem Bette getrieben haben und der nun nach allen Seiten das Land überschwemmt, Geröll und Schlamm und allerlei Abfälle mit sich führend, zu einem hin und her wallenden Gewässer und zu kleinen Rinnsalen sich seeartig ausbreitet, aber dadurch seine eigentliche Strömung verdeckt. Auch im Werden des neuhochdeutschen Sprachtypus ist um das Jahr 1400 der innere Lauf der sprachlichen Strömung schwer oder gar nicht zu erkennen, weil sie unter dem Hin- und Herwogen sprachlicher Uberlieferung, Neubildung, Ausgleichung unsichtbar wird. Dennoch wird es die Aufgabe der For- schung sein, die Grundströmung der neuhochdeutschen Sprachentwicklung aufzufinden und von den über und neben ihr herlaufenden Neben- strömungen der Oberfläche zu unterscheiden. Wenn seit Friedrich Zarnckes grundlegenden Feststellungen die Geschichte des Neuhoch- deutschen in der Sprache der Drucke für das ausgehende 15. Jahrhundert und etwa die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts von nicht wenigen Ge- lehrten (z. B. Kluge, v. Bahder, Edw. Schroeder, Kauffmann, Oskar Brenner, Virgil Moser u. a.) erfolgreich durchforscht wurde, liegt die Werdezeit vor Erfindung des Buchdrucks noch immer ziemlich im Dunkel, obgleich die zahlreichen monographischen Darstellungen der einzelnen Kanzlei- sprachen1 manche Frage beleuchtet haben. Die vielgenannte böhmische Kanzleisprache seit Karl IV. ist nichts Einheitliches. Das ist oft ausgesprochen worden2, wird aber immer noch 1 Eine Ubersicht über sie bei Harry Bresslau, Handbuch der Urkunden- lehre2 II, 1, S. 389 Anm. 2. 2 Vgl. besonders Gustav Ehrismann, Göttingische gelehrte Anxeigen 1907, November, S. 917f.; Alois Bernt, Böhmisch-Kamnitzer Stadtbuch, S. 185 ff.
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298 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. nicht voll beachtet. Und wo man es beachtet, zieht man häufig daraus irrige Schlüsse. Trotz jener Uneinheitlichkeit der Karolinischen Kanzlei- sprache war das Zusammenstimmen der Sprache Luthers und seines Vorbilds, der kursächsischen Kanzleisprache, mit dem Grundtypus, der sich in den Urkunden der böhmischen Kanzlei bei allen Schwankungen durchsetzte, nicht das xufällige Ergebnis einer bloßen Konvergenx zweier oder mehrerer voneinander unabhängiger Mundarten in ihrer natür- lichen Entwicklung. Mag Karl IV. von einer absichtlichen Uniformie- rung der gesamten deutschen Schriftsprache noch so weit entfernt gewesen sein, unter seiner Regierung und im Sinne seiner Ordnung und Zu- sammenfassung des Rechts, der Verwaltung und der Wirtschaft seiner Länder vollzog sich eine von der unendlichen Vielfarbigkeit der Mundart zu einer gewissen Gleichförmigkeit strebende Regelung der Kanzleisprache, die durch ihr Beispiel vorbildliche Macht gewann, weil sie vom Mittel- punkt des Reichs ausging und weil sie zu einer Zeit aufkam, wo das Land Böhmen führend dem geistigen Leben der Nation voranschritt und zugleich politisch wie wirtschaftlich die angrenzenden ostmitteldeutschen Gebiete stark beeinflußte 1. Dieser Einfluß der böhmischen Kanzleisprache auf die Sprache Schlesiens, der Lausitz und Meißens und der ganxe Vorgang der all- mählichen Herausbildung des neuhochdeutschen Sprachtypus in diesen Kanzleisprachen ist kein naturhaftes Wachsen der Sprache. Es ist viel- mehr ein Kunstprodukt, eine durch dic Uberlegenheit oder die als über- legen empfundenen Eigenschaften einer bestimmten Kultur bedingte geistes- geschichtliche Entwicklung. So lange die Sprache der Urkunden und Briefe der Kanzlei König Wenzels nicht im Original oder in buchstäblich genauen Abdrucken um- fassend untersucht, solange nicht die Kanzleisprache der böhmischen und schlesischen, lausitzischen, meißnischen Fürsten und Städte in gleicher Weise behandelt und vergleichend betrachtet sind, solange nicht auf dieser Grundlage die Entwicklung in ihrem langsamen Fortschreiten und ihren vielfachen Rückfällen und Ausweichungen für begrenzte Gebiete und Zeiträume dargestellt ist — alle bisherigen Darstellungen fassen viel zu große Abschnitte willkürlich zusammen —, solange bleibt das Problem der Anfänge der neuhochdeutschen Schriftsprache im Dunkeln. Die vor- stehenden Erörterungen im Verein mit den nachfolgenden Texten und ihren Erläuterungen haben indessen für die Beurteilung der sprach- und bil- dungsgeschichtlichen Vorgänge, um die es hier sich handelt, zu einigen psychogenetischen Ergebnissen geführt, die den Kern der Frage sehen und begreifen lassen. 1 Vgl. die erste Bearbeitung dieses Werks: Zentralbl. ƒ. Bibliothekswesen Bd. 8 (1891), S. 151f. 337. 4571 (= V. Mittelalt. z. Reformat. I, Halle 1893, S. 27. 65. 962; daxu ebd. Vorrede S. VIII, jetxt 'Vorspiel' I, 2, S. 132); Zeitschr. f. deutsche Bildung 1926, Juniheft, S. 256—270; Euphorion Bd. 27 (1926), Oktoberheft S. 500—509.
298 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. nicht voll beachtet. Und wo man es beachtet, zieht man häufig daraus irrige Schlüsse. Trotz jener Uneinheitlichkeit der Karolinischen Kanzlei- sprache war das Zusammenstimmen der Sprache Luthers und seines Vorbilds, der kursächsischen Kanzleisprache, mit dem Grundtypus, der sich in den Urkunden der böhmischen Kanzlei bei allen Schwankungen durchsetzte, nicht das xufällige Ergebnis einer bloßen Konvergenx zweier oder mehrerer voneinander unabhängiger Mundarten in ihrer natür- lichen Entwicklung. Mag Karl IV. von einer absichtlichen Uniformie- rung der gesamten deutschen Schriftsprache noch so weit entfernt gewesen sein, unter seiner Regierung und im Sinne seiner Ordnung und Zu- sammenfassung des Rechts, der Verwaltung und der Wirtschaft seiner Länder vollzog sich eine von der unendlichen Vielfarbigkeit der Mundart zu einer gewissen Gleichförmigkeit strebende Regelung der Kanzleisprache, die durch ihr Beispiel vorbildliche Macht gewann, weil sie vom Mittel- punkt des Reichs ausging und weil sie zu einer Zeit aufkam, wo das Land Böhmen führend dem geistigen Leben der Nation voranschritt und zugleich politisch wie wirtschaftlich die angrenzenden ostmitteldeutschen Gebiete stark beeinflußte 1. Dieser Einfluß der böhmischen Kanzleisprache auf die Sprache Schlesiens, der Lausitz und Meißens und der ganxe Vorgang der all- mählichen Herausbildung des neuhochdeutschen Sprachtypus in diesen Kanzleisprachen ist kein naturhaftes Wachsen der Sprache. Es ist viel- mehr ein Kunstprodukt, eine durch dic Uberlegenheit oder die als über- legen empfundenen Eigenschaften einer bestimmten Kultur bedingte geistes- geschichtliche Entwicklung. So lange die Sprache der Urkunden und Briefe der Kanzlei König Wenzels nicht im Original oder in buchstäblich genauen Abdrucken um- fassend untersucht, solange nicht die Kanzleisprache der böhmischen und schlesischen, lausitzischen, meißnischen Fürsten und Städte in gleicher Weise behandelt und vergleichend betrachtet sind, solange nicht auf dieser Grundlage die Entwicklung in ihrem langsamen Fortschreiten und ihren vielfachen Rückfällen und Ausweichungen für begrenzte Gebiete und Zeiträume dargestellt ist — alle bisherigen Darstellungen fassen viel zu große Abschnitte willkürlich zusammen —, solange bleibt das Problem der Anfänge der neuhochdeutschen Schriftsprache im Dunkeln. Die vor- stehenden Erörterungen im Verein mit den nachfolgenden Texten und ihren Erläuterungen haben indessen für die Beurteilung der sprach- und bil- dungsgeschichtlichen Vorgänge, um die es hier sich handelt, zu einigen psychogenetischen Ergebnissen geführt, die den Kern der Frage sehen und begreifen lassen. 1 Vgl. die erste Bearbeitung dieses Werks: Zentralbl. ƒ. Bibliothekswesen Bd. 8 (1891), S. 151f. 337. 4571 (= V. Mittelalt. z. Reformat. I, Halle 1893, S. 27. 65. 962; daxu ebd. Vorrede S. VIII, jetxt 'Vorspiel' I, 2, S. 132); Zeitschr. f. deutsche Bildung 1926, Juniheft, S. 256—270; Euphorion Bd. 27 (1926), Oktoberheft S. 500—509.
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Zusammenfassende Charakteristik. 299 2. Die Universität Leipzig ward 1409 von den aus Prag ausgewan- derten deutschen Doktoren, Magistern, Baccalarien und Studenten gegründet. Glauben diejenige Gelehrten, welche für den im 15. Jahrhundert außer- halb Böhmens auftretenden Humanismus mit der an ihm hängenden Neu- gestaltung der lateinischen und deutschen Prosa sowie für die Ausbildung der ostmitteldeutschen Kanzleisprachen zum neuhochdeutschen Sprachtypus eine autonome und spontane Entwicklung behaupten, daß jene Sexession von der Moldau an die Pleiße mit leeren Händen und Köpfen vor sich gegangen ist? Nein, sie hat einen mannigfaltigen Besitz geistiger Bildung aus der Residenz des deutschen Königs, dem Sitz der ersten deutschen Hochschule von internationalem Rang, der Stätte einer eigenartigen zu- kunftbergenden neuen Kunst und dem Mittelpunkt einer reich gegliederten Verwaltungs- und Rechtsorganisation sowie einer über das bisher in Deutschland gewohnte Maß ausgebildeten, gefestigten, geregelten und einer- seits nach gedanklicher Schärfe, anderseits nach rhetorischer Fülle und Feinheit strebenden Kanzleisprache in lateinischem und deutschem Idiom mitgebracht und von der neuen Bildungsstätte aus fortgepflanxt. Dieser geistige Besitz umfaßte auch einen Schatz literarischer Schöpfungen. Unter ihnen haben die deutschen Erbauungsschriften Johanns von Neu- markt und das an der Kanzleisprache gereifte überragende, ein neues Ziel für den künstlerischen Sprachstil aufstellende Werk seines geistigen Schülers, des Johannes von Saax die Führerschaft. In anderer Reihe stehen die Lehr- und Musterbücher der Kanzleiprosa von Nicolaus Dybinus! und Johannes von Gelnhausen2. Dieses ganze Erbe der Karolini- schen Kultur lebt in den deutschen Gründern der neuen meißnischen Universität fort. 3. Wir lernten jetzt zum erstenmal aus dem Schlägl-Schneeberger Formelbuch einen dieser Gründer in seinen stilistischen Studien kennen: den in Prag gebildeten Schlesier Anshelm von Frankenstein (s. oben S. 29f. 46—51. 122f. 130). Wir sehen an seinen rhetorischen Jugend- versuchen handgreiflich, daß Johanns von Neumarkt Summa cancellarie für die neue Rhetorik in Prag Vorbild und Quelle war (s. oben S. 26 f. und die Anmerkungen xu den Terten Nr. 55. 56. 57. 67. 68. 71. 72. 73). Wir sehen aber, was noch wichtiger ist: wie die Schlägler und die Schnee- berger Handschrift und die von ihnen vorausgesetxten Vorlagen (s. oben S. 143. 147 f.) zeigen, fanden diese rhetorischen Progymnasmata' eines vom ersten Hauch des aufgehenden Humanismus leise berührten Latein- 1 Vgl. über ihn die oben S. 57 Anm. 3 genannte treffliche Abhandlung von Paul Joachimsohn und mein Vorwort xu Der Dichter des Ackermann aus Böhmen und seine Zeit’ (Vom Mittelalt. x. Reform. III, I, I. Hälfte), Berlin 1926, S. LXVIIf. (wo S. LXVII Anm. I im letxten Zitat statt S. 67 ff. stehen muß S. 57 ff 2 Vgl. über ihn die oben S. 4 Anm. genannte Literatur und mein Vor- spiel' I, 1, S. 159 f., 253—261.
Zusammenfassende Charakteristik. 299 2. Die Universität Leipzig ward 1409 von den aus Prag ausgewan- derten deutschen Doktoren, Magistern, Baccalarien und Studenten gegründet. Glauben diejenige Gelehrten, welche für den im 15. Jahrhundert außer- halb Böhmens auftretenden Humanismus mit der an ihm hängenden Neu- gestaltung der lateinischen und deutschen Prosa sowie für die Ausbildung der ostmitteldeutschen Kanzleisprachen zum neuhochdeutschen Sprachtypus eine autonome und spontane Entwicklung behaupten, daß jene Sexession von der Moldau an die Pleiße mit leeren Händen und Köpfen vor sich gegangen ist? Nein, sie hat einen mannigfaltigen Besitz geistiger Bildung aus der Residenz des deutschen Königs, dem Sitz der ersten deutschen Hochschule von internationalem Rang, der Stätte einer eigenartigen zu- kunftbergenden neuen Kunst und dem Mittelpunkt einer reich gegliederten Verwaltungs- und Rechtsorganisation sowie einer über das bisher in Deutschland gewohnte Maß ausgebildeten, gefestigten, geregelten und einer- seits nach gedanklicher Schärfe, anderseits nach rhetorischer Fülle und Feinheit strebenden Kanzleisprache in lateinischem und deutschem Idiom mitgebracht und von der neuen Bildungsstätte aus fortgepflanxt. Dieser geistige Besitz umfaßte auch einen Schatz literarischer Schöpfungen. Unter ihnen haben die deutschen Erbauungsschriften Johanns von Neu- markt und das an der Kanzleisprache gereifte überragende, ein neues Ziel für den künstlerischen Sprachstil aufstellende Werk seines geistigen Schülers, des Johannes von Saax die Führerschaft. In anderer Reihe stehen die Lehr- und Musterbücher der Kanzleiprosa von Nicolaus Dybinus! und Johannes von Gelnhausen2. Dieses ganze Erbe der Karolini- schen Kultur lebt in den deutschen Gründern der neuen meißnischen Universität fort. 3. Wir lernten jetzt zum erstenmal aus dem Schlägl-Schneeberger Formelbuch einen dieser Gründer in seinen stilistischen Studien kennen: den in Prag gebildeten Schlesier Anshelm von Frankenstein (s. oben S. 29f. 46—51. 122f. 130). Wir sehen an seinen rhetorischen Jugend- versuchen handgreiflich, daß Johanns von Neumarkt Summa cancellarie für die neue Rhetorik in Prag Vorbild und Quelle war (s. oben S. 26 f. und die Anmerkungen xu den Terten Nr. 55. 56. 57. 67. 68. 71. 72. 73). Wir sehen aber, was noch wichtiger ist: wie die Schlägler und die Schnee- berger Handschrift und die von ihnen vorausgesetxten Vorlagen (s. oben S. 143. 147 f.) zeigen, fanden diese rhetorischen Progymnasmata' eines vom ersten Hauch des aufgehenden Humanismus leise berührten Latein- 1 Vgl. über ihn die oben S. 57 Anm. 3 genannte treffliche Abhandlung von Paul Joachimsohn und mein Vorwort xu Der Dichter des Ackermann aus Böhmen und seine Zeit’ (Vom Mittelalt. x. Reform. III, I, I. Hälfte), Berlin 1926, S. LXVIIf. (wo S. LXVII Anm. I im letxten Zitat statt S. 67 ff. stehen muß S. 57 ff 2 Vgl. über ihn die oben S. 4 Anm. genannte Literatur und mein Vor- spiel' I, 1, S. 159 f., 253—261.
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300 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. stils mit seinem neubelebten Erbe frühantiker Beredsamkeit in den städti- schen Kanzleien Schlesiens und der Lausitz weite Verbreitung. Hier liegt also ein ganz sicherer Beweis dafür vor, daß die Prager Kanzleirhetorik unmittelbar nach Schlesien und Lausitz hinüberwirkte, daß die Träger und Fortbildner dieser Kanzleirhetorik persönlich die Fäden der Karo- linischen Kultur über Schlesien nach Leipzig fortspannen. Daxu treten die neuen Nachweise über die syntaktische und sti- listische Umgestaltung der deutschen Prosa: über das Eindringen des rhythmischen Satzschlusses in die deutsche Kanzleisprache (s. oben S. 54 ff. 100ff. 106 ff. 207—229), die Rezeption asianischer antiker Stil- kunst, der verschränkten Wortstellung, der Wortspiele, der Umschreibung, der synonymischen Häufung als feste Manier des sprachlichen Ausdrucks (oben S. 104. 108. 110 ff. 114 ff. 122 ff. 128ff., § 24—27, S. 202 ff., § 29, S. 206). Hiermit verbinden sich die neuen Beobachtungen über die Aus- breitung latinisierender Konstruktionen in der deutschen Kanzleiprosa (oben § 19—23, S. 198—201). Endlich die Erkenntnis, daß aus der Nachahmung des antiken rhythmischen Satzschlusses in seiner mittel- alterlichen Umformung sich freiere eigenartige deutsche Satzrhythmen, wie sie vorbildlich der Ackermann aus Böhmen’ aufweist, entwickeln: dafür xeugt am anschaulichsten die von mir festgestellte trochäisch-dak- tylische Gestaltung der Salutatioformel in der Schlägler Handschrift (oben § 84, 6. 7, S. 283—287). 4. Oben S. 148 wurde hingewiesen auf Spuren syntaktischer und stilistischer Verschiedenheiten in den deutschen Brieftexten, S. 214, § 37 auf leise Wandlungen im Gebrauch der Cursusformen innerhalb der la- teinischen Fassungen der Schlägler Sammlung. Schwankungen und Un- gleichheiten in Sprachgestaltung und Schreibung habe ich oben immer wieder hervorgehoben (vgl. besonders die Bemerkungen über Doppelkonso- nanz § 82, 2—8, S. 269ff. und über Doppelformen und Mehrformigkeit § 81, 3, S. 264ff). Es sind oben gelegentlich auch Beispiele für das wechselnde Verhältnis zur schrift- oder hochsprachlichen Lautgebung nach- gewiesen und die Ursachen dieses Wechsels beleuchtet. Endlich ist auch oben § 84, 13, S. 295 aus der ungleichen Häufigkeit der i-Schreibung unbetonter Endsilben im zweiten Schneeberger Formelbuch die Annahme verschiedener Vorlagen oder wenigstens verschiedener Redaktoren gefolgert. Hier möchte ich diese schwierigsten, aber doch höchst wichtigen Fragen zusammenfassend an einigen deutlichen Fällen zu klären versuchen. Es handelt sich dabei um zweierlei. Sind wir erstens imstande, aus dem Gewirr nebeneinander herlaufender und sich kreuzender sprachlicher und graphischer Erscheinungen doch bestimmte feste und durchgehende Linien zu erkennen, die der schriftsprachlichen Bewegung und ihrem Fortschritt die Richtung weisen? Können wir — um das eben gebrauchte Bild zu wiederholen — die eigentliche Hauptströmung des in seinem Lauf gestörten schriftsprachlichen Lebens entdecken und verfolgen? Und
300 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. stils mit seinem neubelebten Erbe frühantiker Beredsamkeit in den städti- schen Kanzleien Schlesiens und der Lausitz weite Verbreitung. Hier liegt also ein ganz sicherer Beweis dafür vor, daß die Prager Kanzleirhetorik unmittelbar nach Schlesien und Lausitz hinüberwirkte, daß die Träger und Fortbildner dieser Kanzleirhetorik persönlich die Fäden der Karo- linischen Kultur über Schlesien nach Leipzig fortspannen. Daxu treten die neuen Nachweise über die syntaktische und sti- listische Umgestaltung der deutschen Prosa: über das Eindringen des rhythmischen Satzschlusses in die deutsche Kanzleisprache (s. oben S. 54 ff. 100ff. 106 ff. 207—229), die Rezeption asianischer antiker Stil- kunst, der verschränkten Wortstellung, der Wortspiele, der Umschreibung, der synonymischen Häufung als feste Manier des sprachlichen Ausdrucks (oben S. 104. 108. 110 ff. 114 ff. 122 ff. 128ff., § 24—27, S. 202 ff., § 29, S. 206). Hiermit verbinden sich die neuen Beobachtungen über die Aus- breitung latinisierender Konstruktionen in der deutschen Kanzleiprosa (oben § 19—23, S. 198—201). Endlich die Erkenntnis, daß aus der Nachahmung des antiken rhythmischen Satzschlusses in seiner mittel- alterlichen Umformung sich freiere eigenartige deutsche Satzrhythmen, wie sie vorbildlich der Ackermann aus Böhmen’ aufweist, entwickeln: dafür xeugt am anschaulichsten die von mir festgestellte trochäisch-dak- tylische Gestaltung der Salutatioformel in der Schlägler Handschrift (oben § 84, 6. 7, S. 283—287). 4. Oben S. 148 wurde hingewiesen auf Spuren syntaktischer und stilistischer Verschiedenheiten in den deutschen Brieftexten, S. 214, § 37 auf leise Wandlungen im Gebrauch der Cursusformen innerhalb der la- teinischen Fassungen der Schlägler Sammlung. Schwankungen und Un- gleichheiten in Sprachgestaltung und Schreibung habe ich oben immer wieder hervorgehoben (vgl. besonders die Bemerkungen über Doppelkonso- nanz § 82, 2—8, S. 269ff. und über Doppelformen und Mehrformigkeit § 81, 3, S. 264ff). Es sind oben gelegentlich auch Beispiele für das wechselnde Verhältnis zur schrift- oder hochsprachlichen Lautgebung nach- gewiesen und die Ursachen dieses Wechsels beleuchtet. Endlich ist auch oben § 84, 13, S. 295 aus der ungleichen Häufigkeit der i-Schreibung unbetonter Endsilben im zweiten Schneeberger Formelbuch die Annahme verschiedener Vorlagen oder wenigstens verschiedener Redaktoren gefolgert. Hier möchte ich diese schwierigsten, aber doch höchst wichtigen Fragen zusammenfassend an einigen deutlichen Fällen zu klären versuchen. Es handelt sich dabei um zweierlei. Sind wir erstens imstande, aus dem Gewirr nebeneinander herlaufender und sich kreuzender sprachlicher und graphischer Erscheinungen doch bestimmte feste und durchgehende Linien zu erkennen, die der schriftsprachlichen Bewegung und ihrem Fortschritt die Richtung weisen? Können wir — um das eben gebrauchte Bild zu wiederholen — die eigentliche Hauptströmung des in seinem Lauf gestörten schriftsprachlichen Lebens entdecken und verfolgen? Und
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Zusammenfassende Charakteristik. 301 zweitens: vermögen wir in diesem scheinbaren Chaos von Zufall, Will- kür und Laune das Walten begreiflicher seelischer Motive und geistiger Kräfte zu spüren oder auch den Anteil verschiedener sprachgestaltender Personen, sei es als Schreiber, Redaktoren, Sammler, Verfasser, von un- gleichem, individuell differenziertem Sprachgefühl und Sprachtrieb zu er- fassen? 5. Wir haben in den von uns herausgegebenen und untersuchten la- teinischen und deutschen Briefmustern der beiden Schlägler, der beiden Schneeberger und des Schweidnitzer Formularienbuchs fünf verschiedene Stufen der Wirkung des in der lateinischen und deutschen Reichskanzlei- Sprache unter Karl IV. und Wenzel IV. entstandenen Vorbilds. Weit zwar von einer Einheit entfernt, hatte es sich erst allmählich aus bayerisch-österreichischer Färbung befreit und der mittel- deutschen Schreibgewohnheit genähert, beeinflußt auch durch die Tradition der von Thüringen her aus Wolframs Schule befruchteten Dichter- sprache an den böhmisch-schlesischen Fürstenhöfen. Aber obgleich dieses Vorbild seinem Ursprung entsprechend immerfort etwas Schillerndes be- hielt, in dem bald die bayerisch-österreichische, bald die mitteldeutsche Farbe stärker hervortrat, obgleich es sich vielfach im praktischen Verkehr an die wechselnden sprachlichen Bedürfnisse und Gewohnheiten der ein- zelnen deutschen Landschaften bedenklich anpaßte, einen relativ gleich- förmigen Grundtypus besaß es dennoch. Diesen Grundtypus bestimmen hauptsächlich folgende Eigentümlich- keiten: a) annähernde Durchführung der neuhochdeutschen Diphthonge ei (ey), au (ou), eu (ew) für mhd. i, û, iu (md. ü); b) dic Verwendung eines Zeichens (i oder ie) sowohl für mhd. i als für den mhd. Di- phthong ie; c) die Monophthongierung des mhd. uo ; d) beschränkte Be- zeichnung des Umlauts; e) Ersatz des mhd. ei durch ei oder ey, des mhd. on durch au oder ou (aw); f) Verdumpfung des mhd. a nur in wenigen Fällen, fast durchgeführt in dornach, häufig in dorczu, dorumb, do- wider, doselbest; g) Erhaltung des langen a mit vereinzelten Ausnahmen ohne Verdumpfung zu ô; h) e-Schreibung der Nebensilben überwiegend, daneben wenige i-Schreibungen; i) y nur selten als Ersatz von i; k) Ab- neigung gegen Synkope und Apokope, doch ist die Kürzung dicz brieves Regel; l) häufiges Vorkommen der altertümlichen md. Form sal. Vor- herrschen der md. Form vff (vf) für mhd. ûf; m) Konsonantenstand im ganzen auf hochfränkischer Lautverschiebungsstufe, nur gelegent- lich Reste früherer bayrisch-österreichischer Schreibungen (p für b, selten ch für k); n) Schreibung der Affrikata z als cz, seltener zc, des s nur selten als z; o) häufiger Gebrauch von dhein und seinen Flexionsformen (z. B. dheinerweis, in dheyneweis, dheynerley) neben keyn ; p) Konso- nantenverdopplung im ganzen noch selten, doch häufig bei f, t, cz in gewissen Silben offte (vgl. oben § 82, 7. 8, S. 271f.), krafft, helffen, be- durfften, notdurfftiges futers, hulffe, kawff, angreiffen, ehafftiger not,
Zusammenfassende Charakteristik. 301 zweitens: vermögen wir in diesem scheinbaren Chaos von Zufall, Will- kür und Laune das Walten begreiflicher seelischer Motive und geistiger Kräfte zu spüren oder auch den Anteil verschiedener sprachgestaltender Personen, sei es als Schreiber, Redaktoren, Sammler, Verfasser, von un- gleichem, individuell differenziertem Sprachgefühl und Sprachtrieb zu er- fassen? 5. Wir haben in den von uns herausgegebenen und untersuchten la- teinischen und deutschen Briefmustern der beiden Schlägler, der beiden Schneeberger und des Schweidnitzer Formularienbuchs fünf verschiedene Stufen der Wirkung des in der lateinischen und deutschen Reichskanzlei- Sprache unter Karl IV. und Wenzel IV. entstandenen Vorbilds. Weit zwar von einer Einheit entfernt, hatte es sich erst allmählich aus bayerisch-österreichischer Färbung befreit und der mittel- deutschen Schreibgewohnheit genähert, beeinflußt auch durch die Tradition der von Thüringen her aus Wolframs Schule befruchteten Dichter- sprache an den böhmisch-schlesischen Fürstenhöfen. Aber obgleich dieses Vorbild seinem Ursprung entsprechend immerfort etwas Schillerndes be- hielt, in dem bald die bayerisch-österreichische, bald die mitteldeutsche Farbe stärker hervortrat, obgleich es sich vielfach im praktischen Verkehr an die wechselnden sprachlichen Bedürfnisse und Gewohnheiten der ein- zelnen deutschen Landschaften bedenklich anpaßte, einen relativ gleich- förmigen Grundtypus besaß es dennoch. Diesen Grundtypus bestimmen hauptsächlich folgende Eigentümlich- keiten: a) annähernde Durchführung der neuhochdeutschen Diphthonge ei (ey), au (ou), eu (ew) für mhd. i, û, iu (md. ü); b) dic Verwendung eines Zeichens (i oder ie) sowohl für mhd. i als für den mhd. Di- phthong ie; c) die Monophthongierung des mhd. uo ; d) beschränkte Be- zeichnung des Umlauts; e) Ersatz des mhd. ei durch ei oder ey, des mhd. on durch au oder ou (aw); f) Verdumpfung des mhd. a nur in wenigen Fällen, fast durchgeführt in dornach, häufig in dorczu, dorumb, do- wider, doselbest; g) Erhaltung des langen a mit vereinzelten Ausnahmen ohne Verdumpfung zu ô; h) e-Schreibung der Nebensilben überwiegend, daneben wenige i-Schreibungen; i) y nur selten als Ersatz von i; k) Ab- neigung gegen Synkope und Apokope, doch ist die Kürzung dicz brieves Regel; l) häufiges Vorkommen der altertümlichen md. Form sal. Vor- herrschen der md. Form vff (vf) für mhd. ûf; m) Konsonantenstand im ganzen auf hochfränkischer Lautverschiebungsstufe, nur gelegent- lich Reste früherer bayrisch-österreichischer Schreibungen (p für b, selten ch für k); n) Schreibung der Affrikata z als cz, seltener zc, des s nur selten als z; o) häufiger Gebrauch von dhein und seinen Flexionsformen (z. B. dheinerweis, in dheyneweis, dheynerley) neben keyn ; p) Konso- nantenverdopplung im ganzen noch selten, doch häufig bei f, t, cz in gewissen Silben offte (vgl. oben § 82, 7. 8, S. 271f.), krafft, helffen, be- durfften, notdurfftiges futers, hulffe, kawff, angreiffen, ehafftiger not,
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302 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. kunfftigen zeiten, nuczze, schuczzen (s. oben § 16, 6, S. 194), ettwennen, unsirr. Von einer zuverlässigen und genauen Kenntnis der Schreibgewohnheit der Reichskanzlei und der böhmischen Landeskanzlei unter Karl, Wenzel, Siegmund sind wir indessen noch weit entfernt. Sie ist deshalb so un- gemein schwierig, weil wir sie nur aus buchstabengetreuen Wiedergaben der Originalausfertigungen schöpfen können. Die von Historikern für ihre Zwecke gemachten Abdrucke begnügen sich indessen ausnahmslos mit Bewahrung des Wortlauts und geben Sprachformen und Schreibungen mehr oder minder normalisiert und vereinfacht. Auch ist ein großer Teil der Urkunden der Reichskanzlei und Landeskanzlei gar nicht in den Originalen erhalten, sondern in Kopialbiichern, namentlich in den sogenannten Stadtbüchern. Diese oft annähernd gleichzeitigen Kopien sind im großen und ganzen treu, aber gerade im Sprachlichen und Ortho- graphischen voll kleiner Abweichungen. Diese Abweichungen könnten, systematisch festgestellt und gesammelt, wichtigste Aufschlüsse bringen, wenn man sie vergleichen würde mit dem Schreibgebrauch, dem die be- treffende Stadtkanzlei, die Herstellerin der Kopien, in ihren eigenen Ori- ginalausfertigungen folgt. Auf diesem Wege würde die Einwirkung der Reichskanzlei auf die Stadtkanzleien und deren Widerstand gegen diese Einwirkung ermittelt werden können. Aber das so zu bewältigende Material ist riesengroß, dabei doch völlig lückenhaft, weil eben sehr viele alte Urkunden zugrunde gingen. Dazu kommen die innern Schwierigkeiten der ganzen Frage. Die Reichs- kanzlei gab dreierlei Urkunden (Diplome, Patente, Briefe) aus: wirklich in der Kanzlei verfaßte; solche, die auf Grund eines cingereichten Ent- wurfs einer Partei in der Reichskanzlei redigiert waren; endlich auch solche, die von der Partei verfaßt waren. Und die Reichskanzlei selbst paßte sich dem landschaftlichen Schreibgebrauch der Empfänger vielfach bis zu einem gewissen Grade an. Man unterscheidet daher in der Sprache der deutschen Urkunden der böhmischen Reichskanzlei drei Spielarten: eine nordböhmische, eine egerländische, eine südböhmische. Die erste steht dem Schlesisch-Lausitzischen ganz nahe, die letzte ist bayerisch- österreichisch gefärbt, die zweite hat fränkischen Einschlag. Alle An- gaben, die ich über den Schreibgebrauch der kaiserlichen Kanzlei unter Karl IV. und Wenzel machen kann, muß ich daher mit Vorbehalt äußern 1. So sind denn alle theoretischen Kundgebungen des Zeitalters über 1 Vgl. zu dem ganxen Problem besonders M. Vancsa, Das erste Auftreten der deutschen Sprache in deutschen Urkunden. Leipzig 1895 (Jablonowskische Preisschrift); Edward Schroeder, Götting. gelehrt. Anx. 1897, I, S. 446—456; Mourek, Sitzungsberichte der Kgl.-böhmisch. Gesellsch. d. Wissensch. 1901, Nr. 1, S. 79ff.; Ehrismann, Götting, gelehrt. Anx. 1907, II, S. 906 ff. (wo auch weitere Literatur verzeichnet ist).
302 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. kunfftigen zeiten, nuczze, schuczzen (s. oben § 16, 6, S. 194), ettwennen, unsirr. Von einer zuverlässigen und genauen Kenntnis der Schreibgewohnheit der Reichskanzlei und der böhmischen Landeskanzlei unter Karl, Wenzel, Siegmund sind wir indessen noch weit entfernt. Sie ist deshalb so un- gemein schwierig, weil wir sie nur aus buchstabengetreuen Wiedergaben der Originalausfertigungen schöpfen können. Die von Historikern für ihre Zwecke gemachten Abdrucke begnügen sich indessen ausnahmslos mit Bewahrung des Wortlauts und geben Sprachformen und Schreibungen mehr oder minder normalisiert und vereinfacht. Auch ist ein großer Teil der Urkunden der Reichskanzlei und Landeskanzlei gar nicht in den Originalen erhalten, sondern in Kopialbiichern, namentlich in den sogenannten Stadtbüchern. Diese oft annähernd gleichzeitigen Kopien sind im großen und ganzen treu, aber gerade im Sprachlichen und Ortho- graphischen voll kleiner Abweichungen. Diese Abweichungen könnten, systematisch festgestellt und gesammelt, wichtigste Aufschlüsse bringen, wenn man sie vergleichen würde mit dem Schreibgebrauch, dem die be- treffende Stadtkanzlei, die Herstellerin der Kopien, in ihren eigenen Ori- ginalausfertigungen folgt. Auf diesem Wege würde die Einwirkung der Reichskanzlei auf die Stadtkanzleien und deren Widerstand gegen diese Einwirkung ermittelt werden können. Aber das so zu bewältigende Material ist riesengroß, dabei doch völlig lückenhaft, weil eben sehr viele alte Urkunden zugrunde gingen. Dazu kommen die innern Schwierigkeiten der ganzen Frage. Die Reichs- kanzlei gab dreierlei Urkunden (Diplome, Patente, Briefe) aus: wirklich in der Kanzlei verfaßte; solche, die auf Grund eines cingereichten Ent- wurfs einer Partei in der Reichskanzlei redigiert waren; endlich auch solche, die von der Partei verfaßt waren. Und die Reichskanzlei selbst paßte sich dem landschaftlichen Schreibgebrauch der Empfänger vielfach bis zu einem gewissen Grade an. Man unterscheidet daher in der Sprache der deutschen Urkunden der böhmischen Reichskanzlei drei Spielarten: eine nordböhmische, eine egerländische, eine südböhmische. Die erste steht dem Schlesisch-Lausitzischen ganz nahe, die letzte ist bayerisch- österreichisch gefärbt, die zweite hat fränkischen Einschlag. Alle An- gaben, die ich über den Schreibgebrauch der kaiserlichen Kanzlei unter Karl IV. und Wenzel machen kann, muß ich daher mit Vorbehalt äußern 1. So sind denn alle theoretischen Kundgebungen des Zeitalters über 1 Vgl. zu dem ganxen Problem besonders M. Vancsa, Das erste Auftreten der deutschen Sprache in deutschen Urkunden. Leipzig 1895 (Jablonowskische Preisschrift); Edward Schroeder, Götting. gelehrt. Anx. 1897, I, S. 446—456; Mourek, Sitzungsberichte der Kgl.-böhmisch. Gesellsch. d. Wissensch. 1901, Nr. 1, S. 79ff.; Ehrismann, Götting, gelehrt. Anx. 1907, II, S. 906 ff. (wo auch weitere Literatur verzeichnet ist).
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Zusammenfassende Charakteristik. 303 den kanzleigerechten Schreibgebrauch für uns von hohem Wert. Geben sie uns doch in dem Wirrsal unendlicher sprachlicher Varietäten nützliche Fingerzeige über das, was das Sprachbewußtsein der beteiligten Kreise als kanzleigerecht empfand und erstrebte. Unter diesen theoretischen Zeug- nissen stehen die Mustersammlungen und begleitenden Anweisungen zur Diktierkunst, wie oben dargelegt ist, ihres Alters und ihrer Zahl wegen, und weil sie ihre Lehren hauptsächlich praktisch durch Vorbilder ver- anschaulichen, an der Spitze. Die von uns hier herausgegebene und untersuchte Musterbriefsammlung gibt ein Beispiel, aus dem sich, wie unsere voranstehenden Erörterungen gezeigt haben, Licht gewinnen läßt über das Vorschreiten des neuen Sprach- und Stiltypus aus Böhmen nach den angrenzenden ostmitteldeutschen Landschaften, insbesondere Schlesien und der Lausitz. Wichtig und ein dringendes Bedürfnis ist die umfassende und eindringende Erforschung und Bekanntmachung der unter dem Namen Nicolaus Dybinus handschriftlich sehr verbreiteten Briefmuster und Lehrbücher des Kanzleistils, deren Bestand nach Joachimsens oben genannter Feststellung auf Prag und die Kanzlei Karls IV. weist und lange weithin gewirkt hat, ja die Grundlage abgab für die in humanistischem Ciceronianismus schwelgenden südwestdeutschen Formularien- und Rhetorikbücher des ausgehenden 15. Jahrhunderts. Auch die unserer Schlägler Briefmustersammlung beigegebene Theorie der Epi- stolarkunst steht anscheinend in einem stofflichen Zusammenhang mit Schriften des Dybinus. Das von mir für diese gesammelte handschrift- liche Material wird im zweiten Teil der Ausgabe des Rienzobriefwechsels (Vom Mittelalter zur Reformation II, 2) nachgewiesen werden. Wenn möglich, sollen dann Textmitteilungen und kritische Untersuchungen folgen. 6. Es ist in meiner voranstehenden zusammenfassenden Charakteristik der deutschen Sprache der hier behandelten Briefsteller oft durch Ver- gleiche der Unterschied zwischen dem Sprachtypus des Schlägler Textes (P und der Parallelüberlieferung für die Texte 1—19 im ersten Formelbuch der Schneeberger Handschrift (S) hervorgehoben worden, anderseits sind auch die Abweichungen beider vom zweiten Schneeberger Formelbuch (Texte 31—44) und von den Briefen der Schweidnitzer Handschrift (Texte Nr. 45—51, Einleitung S. 145 ff.) öfter vermerkt. Es ergab sich daraus vielfach ein Einblick in die Versuche, aus der landschaftlichen Enge des niedrigen, volkssprachlichen oder umgangssprachlichen Ausdrucks emporzusteigen und sich der in der Kanzleisprache Böhmens oder viel- leicht auch nur der in der Heimat herrschenden Sprachform, die als gebildeter, korrekter, vornehmer empfunden ward, anzunähern. Vgl. die affektbetonten Ausnahmeformen mit Diphthongierung oben S. 248. 254; mit Umlautlosigkeit S. 266, Absatz 2; mit Doppelkonsonanz S. 269. 270. 271. 272 Z. 10 ff., S. 272 Z. 30ff., S. 273, S. 273f. Es war bei diesen Hinweisen wohl am lehrreichsten die Gegenüberstellung der einzelnen verschiedenen Sprachformen in den beiden parallelen Uber-
Zusammenfassende Charakteristik. 303 den kanzleigerechten Schreibgebrauch für uns von hohem Wert. Geben sie uns doch in dem Wirrsal unendlicher sprachlicher Varietäten nützliche Fingerzeige über das, was das Sprachbewußtsein der beteiligten Kreise als kanzleigerecht empfand und erstrebte. Unter diesen theoretischen Zeug- nissen stehen die Mustersammlungen und begleitenden Anweisungen zur Diktierkunst, wie oben dargelegt ist, ihres Alters und ihrer Zahl wegen, und weil sie ihre Lehren hauptsächlich praktisch durch Vorbilder ver- anschaulichen, an der Spitze. Die von uns hier herausgegebene und untersuchte Musterbriefsammlung gibt ein Beispiel, aus dem sich, wie unsere voranstehenden Erörterungen gezeigt haben, Licht gewinnen läßt über das Vorschreiten des neuen Sprach- und Stiltypus aus Böhmen nach den angrenzenden ostmitteldeutschen Landschaften, insbesondere Schlesien und der Lausitz. Wichtig und ein dringendes Bedürfnis ist die umfassende und eindringende Erforschung und Bekanntmachung der unter dem Namen Nicolaus Dybinus handschriftlich sehr verbreiteten Briefmuster und Lehrbücher des Kanzleistils, deren Bestand nach Joachimsens oben genannter Feststellung auf Prag und die Kanzlei Karls IV. weist und lange weithin gewirkt hat, ja die Grundlage abgab für die in humanistischem Ciceronianismus schwelgenden südwestdeutschen Formularien- und Rhetorikbücher des ausgehenden 15. Jahrhunderts. Auch die unserer Schlägler Briefmustersammlung beigegebene Theorie der Epi- stolarkunst steht anscheinend in einem stofflichen Zusammenhang mit Schriften des Dybinus. Das von mir für diese gesammelte handschrift- liche Material wird im zweiten Teil der Ausgabe des Rienzobriefwechsels (Vom Mittelalter zur Reformation II, 2) nachgewiesen werden. Wenn möglich, sollen dann Textmitteilungen und kritische Untersuchungen folgen. 6. Es ist in meiner voranstehenden zusammenfassenden Charakteristik der deutschen Sprache der hier behandelten Briefsteller oft durch Ver- gleiche der Unterschied zwischen dem Sprachtypus des Schlägler Textes (P und der Parallelüberlieferung für die Texte 1—19 im ersten Formelbuch der Schneeberger Handschrift (S) hervorgehoben worden, anderseits sind auch die Abweichungen beider vom zweiten Schneeberger Formelbuch (Texte 31—44) und von den Briefen der Schweidnitzer Handschrift (Texte Nr. 45—51, Einleitung S. 145 ff.) öfter vermerkt. Es ergab sich daraus vielfach ein Einblick in die Versuche, aus der landschaftlichen Enge des niedrigen, volkssprachlichen oder umgangssprachlichen Ausdrucks emporzusteigen und sich der in der Kanzleisprache Böhmens oder viel- leicht auch nur der in der Heimat herrschenden Sprachform, die als gebildeter, korrekter, vornehmer empfunden ward, anzunähern. Vgl. die affektbetonten Ausnahmeformen mit Diphthongierung oben S. 248. 254; mit Umlautlosigkeit S. 266, Absatz 2; mit Doppelkonsonanz S. 269. 270. 271. 272 Z. 10 ff., S. 272 Z. 30ff., S. 273, S. 273f. Es war bei diesen Hinweisen wohl am lehrreichsten die Gegenüberstellung der einzelnen verschiedenen Sprachformen in den beiden parallelen Uber-
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304 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. lieferungen der Texte 1—19. Vgl. oben die Bemerkungen S. 246 Z. 16 v. u., 250 Z. 4ff., Z. 14ff., 251—254, 270 f., 271f., 277. Ich möchte hier den Versuch machen, die darin bemerkbaren gemeinsamen oder auch divergierenden Tendenzen, soweit es mit einiger Wahrscheinlichkeit mög- lich ist, zu deuten und sie zu ergänzen durch eine Feststellung jener Verschiedenheiten, die sich nicht in Einxelheiten zeigen, sondern in dem durchgehenden Charakter der Lautgebung und Schreibweise. Oben habe ich mehrmals die Vermutung, manchmal nur fragweise, ausgesprochen, daß die in S überlieferte von P abweichende sprachliche Lesart dem gemeinsamen Original angehöre und P, das, wie oben S. 135—144. 218 von Bebermeyer und Voigt durch reichliche Belege nachgewiesen wurde, textkritisch, d. h. im Sachlichen, Stilistischen und Rhythmischen hinter S xurücksteht, in einzelnen Fällen auch in der Sprachform sich von der ursprünglichen Vorlage weiter entferne. Vgl. oben § 79, 3. 4 S. 251ff.; § 82, 5 S. 270f.; § 82, 7 S. 271f.; § 83, 2 S. 277. Es bleibt das aber im Grunde doch ungewiß. Beide Handschriften sind nicht frei von Entstellungen, beide gehen erst durch Zwischenglieder auf die gemeinsame Vorlage zurück. Uber die Sprachgestaltung in dem Original, wenigstens was lautliche Einxelheiten betrifft, können wir, so- lange nicht noch andere, bessere Textzeugen auftreten als S und P es sind, nur mit äußerster Zurückhaltung urteilen. Nur soviel möchte ich zu schließen wagen, daß die in S erscheinende größere Häufigkeit der Doppelschreibungen inlautender Konsonanten und die Doppelschreibungen von anlautenden Konsonanten (ffruntlichen usw.) auf eine etwas spätere Entstehung und auch auf Veränderung des Originals hinweisen. Denn das umgekehrte Verhältnis, daß etwa diese Doppelschreibungen alle schon dem Original eigen waren und von P vereinfacht wurden, ist weniger wahrscheinlich, weil nach unserer Kenntnis die kanzlei- und schrift- sprachliche Entwicklung gerade auf diese Buchstabenhäufung hindrängte und die Zeit darin einen Schmuck sah. Daß ein Schreiber oder Re- daktor aber diese in seiner Vorlage sich ihm darbietende Zier der Buch- stabenfülle kritisch vermindert haben sollte, ist schwerlich anzunchmen. Folgende Eigentümlichkeiten zeigen ziemlich durchgehend in S Ab- weichung gegenüber P: a) Der harte Reibelaut s wird inlautend zwischen Vokalen in P überwiegend ss geschrieben: mit allim vleisse, vleisseclich. Dafür hat S überwiegend einfaches s: fleiyse, vlyseclichen. b) In der Salutatio steht in P czu vor, in S czu uor. c) In S sind volle Formen beliebter: in der Anrede Allir lipster P, Allir libest' S. d) In P überwiegt weitaus die Schreibung das, in S die Schreibung daz, auch alzo ist etwas häufiger als in P. Vgl. auch 16, 7 seten (vivendi modum) P, zeten S; 17, 15 das des vorgenantins ritters P, daz dez vorgenanten ritters S.
304 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. lieferungen der Texte 1—19. Vgl. oben die Bemerkungen S. 246 Z. 16 v. u., 250 Z. 4ff., Z. 14ff., 251—254, 270 f., 271f., 277. Ich möchte hier den Versuch machen, die darin bemerkbaren gemeinsamen oder auch divergierenden Tendenzen, soweit es mit einiger Wahrscheinlichkeit mög- lich ist, zu deuten und sie zu ergänzen durch eine Feststellung jener Verschiedenheiten, die sich nicht in Einxelheiten zeigen, sondern in dem durchgehenden Charakter der Lautgebung und Schreibweise. Oben habe ich mehrmals die Vermutung, manchmal nur fragweise, ausgesprochen, daß die in S überlieferte von P abweichende sprachliche Lesart dem gemeinsamen Original angehöre und P, das, wie oben S. 135—144. 218 von Bebermeyer und Voigt durch reichliche Belege nachgewiesen wurde, textkritisch, d. h. im Sachlichen, Stilistischen und Rhythmischen hinter S xurücksteht, in einzelnen Fällen auch in der Sprachform sich von der ursprünglichen Vorlage weiter entferne. Vgl. oben § 79, 3. 4 S. 251ff.; § 82, 5 S. 270f.; § 82, 7 S. 271f.; § 83, 2 S. 277. Es bleibt das aber im Grunde doch ungewiß. Beide Handschriften sind nicht frei von Entstellungen, beide gehen erst durch Zwischenglieder auf die gemeinsame Vorlage zurück. Uber die Sprachgestaltung in dem Original, wenigstens was lautliche Einxelheiten betrifft, können wir, so- lange nicht noch andere, bessere Textzeugen auftreten als S und P es sind, nur mit äußerster Zurückhaltung urteilen. Nur soviel möchte ich zu schließen wagen, daß die in S erscheinende größere Häufigkeit der Doppelschreibungen inlautender Konsonanten und die Doppelschreibungen von anlautenden Konsonanten (ffruntlichen usw.) auf eine etwas spätere Entstehung und auch auf Veränderung des Originals hinweisen. Denn das umgekehrte Verhältnis, daß etwa diese Doppelschreibungen alle schon dem Original eigen waren und von P vereinfacht wurden, ist weniger wahrscheinlich, weil nach unserer Kenntnis die kanzlei- und schrift- sprachliche Entwicklung gerade auf diese Buchstabenhäufung hindrängte und die Zeit darin einen Schmuck sah. Daß ein Schreiber oder Re- daktor aber diese in seiner Vorlage sich ihm darbietende Zier der Buch- stabenfülle kritisch vermindert haben sollte, ist schwerlich anzunchmen. Folgende Eigentümlichkeiten zeigen ziemlich durchgehend in S Ab- weichung gegenüber P: a) Der harte Reibelaut s wird inlautend zwischen Vokalen in P überwiegend ss geschrieben: mit allim vleisse, vleisseclich. Dafür hat S überwiegend einfaches s: fleiyse, vlyseclichen. b) In der Salutatio steht in P czu vor, in S czu uor. c) In S sind volle Formen beliebter: in der Anrede Allir lipster P, Allir libest' S. d) In P überwiegt weitaus die Schreibung das, in S die Schreibung daz, auch alzo ist etwas häufiger als in P. Vgl. auch 16, 7 seten (vivendi modum) P, zeten S; 17, 15 das des vorgenantins ritters P, daz dez vorgenanten ritters S.
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Zusammenfassende Charakteristik. 305 e) Vor Heiligennamen steht sinde P, sinte S. f) Mehrmals (3, 1; 5, 10; 15, 1) czu proge P, czu prage S (s. unten Abschnitt 7), zweimal statt des mundartlichen ô (« mhd. ou) der Di- phthong ow: 13, 8 irlobn P, irlowben S; 14, 5 Irlobe P. dirlowbe S. Dagegen steht menunge in P wie in S. g) An zahlreichen Stellen setxt S die nichtdiphthongierte Form, wo P die nhd. diphthongierte hat: 1, 5 leuten P, luten S; 1, 1 neuenburg P, nuenburg S; 3, 7 fleysichlich P, vlyseclichen S; 4, 6 freytage P, fri- tage S; 6, 8 furleuten P, furluten S; 6, 9 leuthirlich P, luterlich S; 8, 5 laut’ P, luter S; 8, 6 lout’ P, lutir S; 10, 13 bey laute P, dy lewte S (s. oben S. 268 Anm. am Ende); 13, 6 am leybe P, an libe S ; 19, I neuenburg P, nuenborg S; 19, 7 hause P, huse S. Dies ist aber auch die vollständige Liste aller Unterschiede in bezug auf die Diphthon- gierung der mhd. i û iu. An allen übrigen Stellen also, wo P die neuen Diphthonge zeigt, hat sie auch S. Darum vermutete ich (oben § 79, 2, S. 249 f.) wohl mit Recht für 5, 6 wisheyt P, weysheyt S; 7, 1 sinem libin P, seyme liben S, daß S hier die Sprachform des Originals bewahrt, P sie entstellt habe. Man sicht an dem lehrreichen Beispiel dieser Paralleliberlieferung der 19 Briefe in P und S, in welcher Weise die neuen Diphthongierungen sich im östlichen Mitteldeutsch durchsetzen. Die Handschrift S stammt aus einer Schreibsphäre, in der die neuen Diphthonge mit geringen Ausnahmen noch gemieden werden (s. oben § 3, 1b; 5, 1b; § 7, 1, S. 174. 179. 181; § 79, 1, S. 248), aber während ihr zweites Formelbuch (unsere Texte Nr. 31—44) sich ihnen fast ganz verschließt, übernimmt das erste Formelbuch (Texte Nr. 1—19) aus seiner Vorlage, die der böhmischen Kanzleisprache angehört oder ihr nahe steht, die Mehrzahl der verbreiterten Laute und läßt nur in einem Dutzend von Fällen die ihm aus der heimischen Mundart vertrauten Monophthonge einfließen. h) Inlautende Konsonantverdopplungen erscheinen, wie eben hervor- gehoben wurde, in S beträchtlich häufiger als in P, auch begegnen Doppel- schreibungen von Konsonanten im Anlaut, die in P völlig fehlen. i) Unbetonte Nebensilben erhalten öfter in S als in P die e-Schrei- bung statt der i-Schreibung, die allerdings in S auch nicht selten ist und manchmal sogar einer e-Schreibung von P gegenübersteht (s. oben § 84, 13, S. 294). k) Volle Formen der End- und Mittelsilben (ohne Apokope oder Syn- kope) werden in S noch etwas weitergehend bevorzugt als in P. 7. Innerhalb einzelner Briefe der Schlägl-Schneeberger Sammlung ge- wahren wir Unterschiede hinsichtlich des Verhaltens zur Hoch- und Schriftsprache, die nicht dem Zufall entspringen können. Dem von diesen Briefen im allgemeinen festgehaltenen Grundtypus der schlesischen Kanzleisprache eigentümlich ist die Wandlung des betonten langen a in ô mit Ausnahme des Worts âne (s. oben § 1, 1, S. 168f.). Das Bewußt-
Zusammenfassende Charakteristik. 305 e) Vor Heiligennamen steht sinde P, sinte S. f) Mehrmals (3, 1; 5, 10; 15, 1) czu proge P, czu prage S (s. unten Abschnitt 7), zweimal statt des mundartlichen ô (« mhd. ou) der Di- phthong ow: 13, 8 irlobn P, irlowben S; 14, 5 Irlobe P. dirlowbe S. Dagegen steht menunge in P wie in S. g) An zahlreichen Stellen setxt S die nichtdiphthongierte Form, wo P die nhd. diphthongierte hat: 1, 5 leuten P, luten S; 1, 1 neuenburg P, nuenburg S; 3, 7 fleysichlich P, vlyseclichen S; 4, 6 freytage P, fri- tage S; 6, 8 furleuten P, furluten S; 6, 9 leuthirlich P, luterlich S; 8, 5 laut’ P, luter S; 8, 6 lout’ P, lutir S; 10, 13 bey laute P, dy lewte S (s. oben S. 268 Anm. am Ende); 13, 6 am leybe P, an libe S ; 19, I neuenburg P, nuenborg S; 19, 7 hause P, huse S. Dies ist aber auch die vollständige Liste aller Unterschiede in bezug auf die Diphthon- gierung der mhd. i û iu. An allen übrigen Stellen also, wo P die neuen Diphthonge zeigt, hat sie auch S. Darum vermutete ich (oben § 79, 2, S. 249 f.) wohl mit Recht für 5, 6 wisheyt P, weysheyt S; 7, 1 sinem libin P, seyme liben S, daß S hier die Sprachform des Originals bewahrt, P sie entstellt habe. Man sicht an dem lehrreichen Beispiel dieser Paralleliberlieferung der 19 Briefe in P und S, in welcher Weise die neuen Diphthongierungen sich im östlichen Mitteldeutsch durchsetzen. Die Handschrift S stammt aus einer Schreibsphäre, in der die neuen Diphthonge mit geringen Ausnahmen noch gemieden werden (s. oben § 3, 1b; 5, 1b; § 7, 1, S. 174. 179. 181; § 79, 1, S. 248), aber während ihr zweites Formelbuch (unsere Texte Nr. 31—44) sich ihnen fast ganz verschließt, übernimmt das erste Formelbuch (Texte Nr. 1—19) aus seiner Vorlage, die der böhmischen Kanzleisprache angehört oder ihr nahe steht, die Mehrzahl der verbreiterten Laute und läßt nur in einem Dutzend von Fällen die ihm aus der heimischen Mundart vertrauten Monophthonge einfließen. h) Inlautende Konsonantverdopplungen erscheinen, wie eben hervor- gehoben wurde, in S beträchtlich häufiger als in P, auch begegnen Doppel- schreibungen von Konsonanten im Anlaut, die in P völlig fehlen. i) Unbetonte Nebensilben erhalten öfter in S als in P die e-Schrei- bung statt der i-Schreibung, die allerdings in S auch nicht selten ist und manchmal sogar einer e-Schreibung von P gegenübersteht (s. oben § 84, 13, S. 294). k) Volle Formen der End- und Mittelsilben (ohne Apokope oder Syn- kope) werden in S noch etwas weitergehend bevorzugt als in P. 7. Innerhalb einzelner Briefe der Schlägl-Schneeberger Sammlung ge- wahren wir Unterschiede hinsichtlich des Verhaltens zur Hoch- und Schriftsprache, die nicht dem Zufall entspringen können. Dem von diesen Briefen im allgemeinen festgehaltenen Grundtypus der schlesischen Kanzleisprache eigentümlich ist die Wandlung des betonten langen a in ô mit Ausnahme des Worts âne (s. oben § 1, 1, S. 168f.). Das Bewußt-
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306 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. sein eines reinen langen a ist aber dem Schreibenden außerdem auch noch bewahrt durch die Fremdworte und Lehnworte kirchlicher oder literarischer Herkunft Jubilate, cantate, maiestat, capelan, clar. Sie werden nicht umgesetzt in die mundartliche Lautform der landschaft- lichen Schriftsprache. Das Sprachgefüll scheut davor zurück, erkennt in ihnen eine höhere Sphäre der Bildung. Diese Regung greift dann aber auch weiter und trifft andere Worte, die irgendwie sich über den ver- traulichen gewöhnlichen Alltagston der Verkehrssprache erheben. Es ist keine bloße Laune, wenn im Brieftexte der Formulare für Schreiben von Bürgern 4, 7 czu proge, 5, 7 kegin proge und in der Unterschrift hinter dem Namen 4, 8; 5, 10; 8, 11 purger (burger) czu proge, dagegen 5, 8; 6, 10; 8, 10 im Datum mit feierlicherer amtlicher Schreibung Gegeben czu prage gesetzt wird, und es bedeutet nur eine leichte Weiterführung dieser Tendenz, wenn einmal 6, 11 nun auch die Unterschrift vornehmer lautet: Heynricus brodaw, burg‘ czu prage, ew' vett’. Auch das ge- meinsprachliche burg" (mit b statt des in diesem Wort sonst noch be- liebten, aus bayerisch-österreichischer Tradition fortlebendem p) in dieser Unterschrift und auch schon in der Adresse (6, 1) könnte aus demselben Streben herstammen. In Brief 3 lautet die Adresse (Z. 1) noch purgir czu proge, aber (Z. 12) die Namensunterschrift des Absenders Niclos Bovm, burg’ czu grecz. Die Parallelüberlieferung dieser Briefe im ersten Formelbuch von S hat überall prage und burg’ oder borg’. Auch die schwankende Behandlung des Namens der Stadt Schweid- nitz erklärt sich, wie oben (§ 79, 2, S. 250) dargetan wurde, aus dem glei- chen Motiv, wobei auch noch die Wiedergabe in den lateinischen Fas- sungen bemerkenswert ist: als die hochsprachliche oder amtliche, feierliche Schreibung galt dem Sprachbewwßtsein bereits die Diphthongierung der ersten Silbe (ey), zu Hause im Verkehrston sagte und schrieb man swedenicz. In der Adresse bekommt der Onkel sein verwandtschaftliches Prä- dikat mit voller Betonung und vornehmer Bewahrung der nebentonigen Silbe: Dem vorsichtigen manne niclos grunt, burg' czu prage, sinem wohl Schrcibfchler von P, s. oben § 79, 2, S. 250/ libin ohemen (7, 1f), dagegen im Brieftext erhält er die vertrauliche Anrede Lib ohme (7, 4). 8. Aus anderer Ursache rührt wohl eine weitere Verschiedenheit in der Schreibung der Ortsnamen her. Das Formular eines Briefs der Ratmannen von Schweidnitz an Bürgermeister und Ratmannen von Prag hat natürlich die Unterschrift in der amtlich bereits rexipierten diphthongischen Form: Gegeben czur sweidenicz am nestin montage noch cantate (cantate, dem suntage S) Rothmanne czur sweydenicz 15, 13f., wobei der Wechsel zwischen ei und ey (s. oben § 8, 1. 2, S. 181f.) gewiß als kalligraphischer Schnörkel des Amtsstil gerade so geschätzt wurde wie das gewichtige th (s. oben § 82, 8. 9, S. 273 f.) und die volle Erhaltung des inlautenden unbetonten e in der Mittelsilbe des Ortsnamens und des auslautenden im Wochentagsnamen (s. oben
306 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. sein eines reinen langen a ist aber dem Schreibenden außerdem auch noch bewahrt durch die Fremdworte und Lehnworte kirchlicher oder literarischer Herkunft Jubilate, cantate, maiestat, capelan, clar. Sie werden nicht umgesetzt in die mundartliche Lautform der landschaft- lichen Schriftsprache. Das Sprachgefüll scheut davor zurück, erkennt in ihnen eine höhere Sphäre der Bildung. Diese Regung greift dann aber auch weiter und trifft andere Worte, die irgendwie sich über den ver- traulichen gewöhnlichen Alltagston der Verkehrssprache erheben. Es ist keine bloße Laune, wenn im Brieftexte der Formulare für Schreiben von Bürgern 4, 7 czu proge, 5, 7 kegin proge und in der Unterschrift hinter dem Namen 4, 8; 5, 10; 8, 11 purger (burger) czu proge, dagegen 5, 8; 6, 10; 8, 10 im Datum mit feierlicherer amtlicher Schreibung Gegeben czu prage gesetzt wird, und es bedeutet nur eine leichte Weiterführung dieser Tendenz, wenn einmal 6, 11 nun auch die Unterschrift vornehmer lautet: Heynricus brodaw, burg‘ czu prage, ew' vett’. Auch das ge- meinsprachliche burg" (mit b statt des in diesem Wort sonst noch be- liebten, aus bayerisch-österreichischer Tradition fortlebendem p) in dieser Unterschrift und auch schon in der Adresse (6, 1) könnte aus demselben Streben herstammen. In Brief 3 lautet die Adresse (Z. 1) noch purgir czu proge, aber (Z. 12) die Namensunterschrift des Absenders Niclos Bovm, burg’ czu grecz. Die Parallelüberlieferung dieser Briefe im ersten Formelbuch von S hat überall prage und burg’ oder borg’. Auch die schwankende Behandlung des Namens der Stadt Schweid- nitz erklärt sich, wie oben (§ 79, 2, S. 250) dargetan wurde, aus dem glei- chen Motiv, wobei auch noch die Wiedergabe in den lateinischen Fas- sungen bemerkenswert ist: als die hochsprachliche oder amtliche, feierliche Schreibung galt dem Sprachbewwßtsein bereits die Diphthongierung der ersten Silbe (ey), zu Hause im Verkehrston sagte und schrieb man swedenicz. In der Adresse bekommt der Onkel sein verwandtschaftliches Prä- dikat mit voller Betonung und vornehmer Bewahrung der nebentonigen Silbe: Dem vorsichtigen manne niclos grunt, burg' czu prage, sinem wohl Schrcibfchler von P, s. oben § 79, 2, S. 250/ libin ohemen (7, 1f), dagegen im Brieftext erhält er die vertrauliche Anrede Lib ohme (7, 4). 8. Aus anderer Ursache rührt wohl eine weitere Verschiedenheit in der Schreibung der Ortsnamen her. Das Formular eines Briefs der Ratmannen von Schweidnitz an Bürgermeister und Ratmannen von Prag hat natürlich die Unterschrift in der amtlich bereits rexipierten diphthongischen Form: Gegeben czur sweidenicz am nestin montage noch cantate (cantate, dem suntage S) Rothmanne czur sweydenicz 15, 13f., wobei der Wechsel zwischen ei und ey (s. oben § 8, 1. 2, S. 181f.) gewiß als kalligraphischer Schnörkel des Amtsstil gerade so geschätzt wurde wie das gewichtige th (s. oben § 82, 8. 9, S. 273 f.) und die volle Erhaltung des inlautenden unbetonten e in der Mittelsilbe des Ortsnamens und des auslautenden im Wochentagsnamen (s. oben
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Zusammenfassende Charakteristik. 307 § 84, 9, S. 288 ff.). Dieser Brief der Schweidnitzer Behörde hält aber an dem ô für mhd. à der schlesischen Kanzleisprache fest, sowohl in der Unterschrift (Rothmanne) als in der Adresse czu proge 15, 1. Dagegen hült das Formular eines Briefs der Stadtbehörde der böhmischen Stadt Kaaden an die Stadtbehörde von Prag zwar auch die ô-Vokale der regionalen Kanzleisprache in der Unterschrift fest (rotman czum cadan 17, 18), bringt aber in der Adresse das gemein- und hochsprachliche czu prage 17, 1. Das kann Zufall sein, wahrscheinlicher aber geht es doch auf Vorlagen aus dieser oder einer benachbarten böhmischen Stadt zurück, die übrigens in der Unterschrift statt der rotmann die schepphen genannt haben könnte, wofür dann der schlesische Redaktor natürlich sein vertrautes rotmann gesetzt hätte. Doch ist die Verdumpfung von â zu ò auch der Sprache böhmischer Stadtkanzleien nicht fremd1, wenn auch in ihr nicht so durchgesetzt wie in der schlesischen Kanzleisprache. Auch in Brief 19 steht dem volksmäßigeren burgermeister vn rotman czur neuenburg (Z. 1) die amtliche Schreibung Burg meister vnd rot- manne czu pruge gegenüber und hier nun auch die als vornchmer emp- fundene vollere Form des Plurals, die in P sonst noch 11, 12 Rotmanne czur Sweidenicz (aber 13, 11; 16, 14 Rotman czu sweidenicz); 15, 14 Rothmanne czur sweydenicz; 21, 11 Rotmanne czu franckinsteyn, also insgesamt viermal vorkommt (gegen achtmaliges rotman). Der Festtagsname 'Walpurgentag' lautete in der Volkssprache und in der Umgangssprache Schlesiens gewiß damals Wolpurgentag. Aber diese Form erscheint in der Sammlung der Schlägler Handschrift nur 10, 11 in einem Formular eines Briefs aus dem kleinen schlesischen Reichen- bach. Schwerlich ist es nun Zufall, daß die hochsprachliche Form sinde walpurgen (walpurgin) tag dreimal, und zwar zweimal (3, 6; 6, 7) ge- rade in Briefen böhmischer Städte (Königgrätz, Prag), deren Kanzlei- sprache der Verdumpfung des kurzen a zu o wenig geneigt war (s. Bernt, Böhm.-Kamnitzer Stadtbuch S. 170f.), einmal (16, 9) in der dem Sammler besonders hochstehenden schlesischen Fürstentumsmetropole Schweidnitz erscheint. Der Unterschied kann aus echten Vorlagen stammen, aber bei der Freiheit, mit der vom Sammler die Namen der Absenderorte be- handelt werden, ist es wahrscheinlicher, daß er seinem eignen Ermessen und Sprachurteil bei dieser Unterscheidung folgte. 9. Im zweiten Schneeberger Formelbuch habe ich an dem Muster eines Gesuchs um einen Pfründentausch verwandte Erscheinungen oben (§ 81, 3, S. 265f.) beobachtet. Auch hier sind unter den nach herrschender Schreibtradition zur Verfügung stehenden Doppelformen (s. oben § 81, 2, S. 262f.) aus einem naheliegenden Streben nach vornehmer Sprechweise 1 Vgl. die 33 Belege für rot (mhd. rât) neben 4 Belegen für rat und den Beleg für rothman im Böhmisch-Kamnitxer Stadtbuch (Bernt a. a. O. S. 167f. 178f.).
Zusammenfassende Charakteristik. 307 § 84, 9, S. 288 ff.). Dieser Brief der Schweidnitzer Behörde hält aber an dem ô für mhd. à der schlesischen Kanzleisprache fest, sowohl in der Unterschrift (Rothmanne) als in der Adresse czu proge 15, 1. Dagegen hült das Formular eines Briefs der Stadtbehörde der böhmischen Stadt Kaaden an die Stadtbehörde von Prag zwar auch die ô-Vokale der regionalen Kanzleisprache in der Unterschrift fest (rotman czum cadan 17, 18), bringt aber in der Adresse das gemein- und hochsprachliche czu prage 17, 1. Das kann Zufall sein, wahrscheinlicher aber geht es doch auf Vorlagen aus dieser oder einer benachbarten böhmischen Stadt zurück, die übrigens in der Unterschrift statt der rotmann die schepphen genannt haben könnte, wofür dann der schlesische Redaktor natürlich sein vertrautes rotmann gesetzt hätte. Doch ist die Verdumpfung von â zu ò auch der Sprache böhmischer Stadtkanzleien nicht fremd1, wenn auch in ihr nicht so durchgesetzt wie in der schlesischen Kanzleisprache. Auch in Brief 19 steht dem volksmäßigeren burgermeister vn rotman czur neuenburg (Z. 1) die amtliche Schreibung Burg meister vnd rot- manne czu pruge gegenüber und hier nun auch die als vornchmer emp- fundene vollere Form des Plurals, die in P sonst noch 11, 12 Rotmanne czur Sweidenicz (aber 13, 11; 16, 14 Rotman czu sweidenicz); 15, 14 Rothmanne czur sweydenicz; 21, 11 Rotmanne czu franckinsteyn, also insgesamt viermal vorkommt (gegen achtmaliges rotman). Der Festtagsname 'Walpurgentag' lautete in der Volkssprache und in der Umgangssprache Schlesiens gewiß damals Wolpurgentag. Aber diese Form erscheint in der Sammlung der Schlägler Handschrift nur 10, 11 in einem Formular eines Briefs aus dem kleinen schlesischen Reichen- bach. Schwerlich ist es nun Zufall, daß die hochsprachliche Form sinde walpurgen (walpurgin) tag dreimal, und zwar zweimal (3, 6; 6, 7) ge- rade in Briefen böhmischer Städte (Königgrätz, Prag), deren Kanzlei- sprache der Verdumpfung des kurzen a zu o wenig geneigt war (s. Bernt, Böhm.-Kamnitzer Stadtbuch S. 170f.), einmal (16, 9) in der dem Sammler besonders hochstehenden schlesischen Fürstentumsmetropole Schweidnitz erscheint. Der Unterschied kann aus echten Vorlagen stammen, aber bei der Freiheit, mit der vom Sammler die Namen der Absenderorte be- handelt werden, ist es wahrscheinlicher, daß er seinem eignen Ermessen und Sprachurteil bei dieser Unterscheidung folgte. 9. Im zweiten Schneeberger Formelbuch habe ich an dem Muster eines Gesuchs um einen Pfründentausch verwandte Erscheinungen oben (§ 81, 3, S. 265f.) beobachtet. Auch hier sind unter den nach herrschender Schreibtradition zur Verfügung stehenden Doppelformen (s. oben § 81, 2, S. 262f.) aus einem naheliegenden Streben nach vornehmer Sprechweise 1 Vgl. die 33 Belege für rot (mhd. rât) neben 4 Belegen für rat und den Beleg für rothman im Böhmisch-Kamnitxer Stadtbuch (Bernt a. a. O. S. 167f. 178f.).
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308 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. diejenigen Formen gewählt, die der Hoch- und Literatursprache ange- hörten und der die unbewußt gefühlte siegreiche Sprachbewegung den Stempel des höheren Wertes aufdrückte. Es handelt sich hier, wie ich zeigte, um Vermeidung der verkehrssprachlichen Endsilbenschwächung im Lehnwort altar und der Einsetzung des Diphthongs ey für das sonst in der Kanzleisprache dieses Formelbuchs bewahrte i. Dem kann noch hinzu- gefügt werden die sichtliche Vermeidung des i in den unbetonten End- silben (bis auf obir Z. 15) und die zweimalige altertümliche Form bu- dissem Z. 1. 9. Gelegentliche vereinzelte Entscheidungen zwischen vor- handenen Doppelformen zugunsten der hoch- und literatursprachlichen aus dem gleichen Motiv habe ich aus Brief 38. 39 vermerkt. Daß in Brief 40 jene hochsprachlichen Formen nicht Erxeugnisse des Zufalls sind, die nur dem Schreiber der Handschrift ungewollt in die Feder liefen, zeigt die Stilisierung des ganzen Gesuchs: der umständliche Ein- leitungssatz, das rhetorische Synonymenpaar dicke vnd ofte 40, 13 und besonders die latinisierende Konstruktion des Akkusativs mit dem In- finitiv Z. 15 ff.: Eyne antwart do obir, so ir erst moget, mir czu werden, ich byn zcu begernde (= super hiis responsum, quanto cicius poteritis, cupio per latorem fieri michi missum). Wahrscheinlich ist hier doch eine echte Vorlage benutzt. Auch sonst lassen in dieser zweiten Schneeberger Briefmustersammlung die Formulare für Domherren Satzbildungen sehen, die offenbar dem Zeitgeschmack als moderne Früchte hoher Bildung imponierten. Die latinisierende Disjunktion nicht alleyn [Elision!] in dem, sunder in vil groserm 42, 13f. war freilich wohl schon eingebürgert, wenn sich auch an anderer Stelle und im Schlägler Formularbuch dafür die naivere Fassung findet: in eynë sulchen ad' grossern 41, 12, yn eyme sulche [so!] ad' grussr'n 22, 9. Aber der Schluß eines kurzen Pfründen- gesuchs 44, 9—14 hat doch schon völlig den periodischen Lauf des künstlichen Kanzleistils und bringt namentlich in der überladenen Kon- junktion als Einleitung des letzten Satzteils und in der Endstellung seines preziös erweiterten Verbs den rhythmischen Tonfall und die Wort- häufung, die fortan auf Jahrhunderte die deutsche Prosa vollstopften und in Fesseln schlugen. Auch hier und in andern Briefen wäre die Vor- liebe für synonymische Paarung und Häufung, für Umschrei- bung einfacher Verbal- und Substantivbegriffe durch Verbindung mehrerer Worte hervorzuheben. Oben ist mancherlei hierüber in möglichster Kürze zusammengestellt worden (s. oben § 19—29, S. 198—207), voraus die Abhängigkeit und doch auch vielfach eine gewisse Selbständigkeit der deutschen Brieftexte in P und S gegenüber den lateinischen Vorlagen ersichtlich wird. Indessen wird man bei weiterem Aufmerken, das wir dem Leser überlassen müssen, im einzelnen leicht noch manches Bei- spiel der Umschreibung und Synonymenhäufung finden. Aus dem Schweidnitzer Formelbuch sei folgende Musterkarte in einem einzigen
308 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. diejenigen Formen gewählt, die der Hoch- und Literatursprache ange- hörten und der die unbewußt gefühlte siegreiche Sprachbewegung den Stempel des höheren Wertes aufdrückte. Es handelt sich hier, wie ich zeigte, um Vermeidung der verkehrssprachlichen Endsilbenschwächung im Lehnwort altar und der Einsetzung des Diphthongs ey für das sonst in der Kanzleisprache dieses Formelbuchs bewahrte i. Dem kann noch hinzu- gefügt werden die sichtliche Vermeidung des i in den unbetonten End- silben (bis auf obir Z. 15) und die zweimalige altertümliche Form bu- dissem Z. 1. 9. Gelegentliche vereinzelte Entscheidungen zwischen vor- handenen Doppelformen zugunsten der hoch- und literatursprachlichen aus dem gleichen Motiv habe ich aus Brief 38. 39 vermerkt. Daß in Brief 40 jene hochsprachlichen Formen nicht Erxeugnisse des Zufalls sind, die nur dem Schreiber der Handschrift ungewollt in die Feder liefen, zeigt die Stilisierung des ganzen Gesuchs: der umständliche Ein- leitungssatz, das rhetorische Synonymenpaar dicke vnd ofte 40, 13 und besonders die latinisierende Konstruktion des Akkusativs mit dem In- finitiv Z. 15 ff.: Eyne antwart do obir, so ir erst moget, mir czu werden, ich byn zcu begernde (= super hiis responsum, quanto cicius poteritis, cupio per latorem fieri michi missum). Wahrscheinlich ist hier doch eine echte Vorlage benutzt. Auch sonst lassen in dieser zweiten Schneeberger Briefmustersammlung die Formulare für Domherren Satzbildungen sehen, die offenbar dem Zeitgeschmack als moderne Früchte hoher Bildung imponierten. Die latinisierende Disjunktion nicht alleyn [Elision!] in dem, sunder in vil groserm 42, 13f. war freilich wohl schon eingebürgert, wenn sich auch an anderer Stelle und im Schlägler Formularbuch dafür die naivere Fassung findet: in eynë sulchen ad' grossern 41, 12, yn eyme sulche [so!] ad' grussr'n 22, 9. Aber der Schluß eines kurzen Pfründen- gesuchs 44, 9—14 hat doch schon völlig den periodischen Lauf des künstlichen Kanzleistils und bringt namentlich in der überladenen Kon- junktion als Einleitung des letzten Satzteils und in der Endstellung seines preziös erweiterten Verbs den rhythmischen Tonfall und die Wort- häufung, die fortan auf Jahrhunderte die deutsche Prosa vollstopften und in Fesseln schlugen. Auch hier und in andern Briefen wäre die Vor- liebe für synonymische Paarung und Häufung, für Umschrei- bung einfacher Verbal- und Substantivbegriffe durch Verbindung mehrerer Worte hervorzuheben. Oben ist mancherlei hierüber in möglichster Kürze zusammengestellt worden (s. oben § 19—29, S. 198—207), voraus die Abhängigkeit und doch auch vielfach eine gewisse Selbständigkeit der deutschen Brieftexte in P und S gegenüber den lateinischen Vorlagen ersichtlich wird. Indessen wird man bei weiterem Aufmerken, das wir dem Leser überlassen müssen, im einzelnen leicht noch manches Bei- spiel der Umschreibung und Synonymenhäufung finden. Aus dem Schweidnitzer Formelbuch sei folgende Musterkarte in einem einzigen
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Zusammenfassende Charakteristik. 309 Briefformular (Nr. 45, 5 ff.) angeführt: die wir in erem lobe vnd edil- keit lawter vnd Reyne irkant haben, die ouch in edilkeit eris ge- slechtis schone vnd erwirdig ist; das ir czu sulchen sachen stete hulffe wellit irczeigen; lobelich werde geendit; gutlich irkennen. 10. Die Schlägler Briefsammlung zeigt in ihren letzten drei Abtei- lungen, den Briefen von Rittern. Baronen, Grafen, einzelne lautliche und orthographische Abweichungen von dem sonstigen Gebrauch. In Nr. 24 fällt zunächst auf der Ausdruck Dy guter... seyn gesturben vnd ge- vallin (Z. 3. 5. 6) als zweigliedrig synonymische Wiedergabe des bona successerunt der lateinischen Fassung. Ferner enthalten alzo vesessin sint, in eren rechtn Schreibungen, die in P zwar vereinzelt vorkommen, aber sonst doch sehr selten sind und die hier gehäuft sich zeigen. Auch gerulich 24, 8, wenn es statt des unverständlichen überlieferten gemlich richtig als Ubersetzung von pacifice emendiert ist, hat etwas Singuläres (vgl. 44, 10). Ebenso fallen auf in Nr. 25 die Schreibungen Z. 1 herbh’re, Z. 5 breczlaw (sonst breslo), das myt (s. oben § 84, 13, S. 296, Z. 8) neben yn (ihnen) und dem beständigen in (Präposition), das zcu und zo, die Form dornstage. Alles dies ist einzeln und verstreut in unserer Sammlung zu finden, aber nicht so eng nebeneinander. In Nr. 26 be- fremden die singulären Schreibungen liebin Z. 1 und irleuchtirsteyn, allirleuttersteyn Z. 4. 8 (s. oben § 8, 5, S. 182) neben den wenigstens in P seltenen oder singulären Schreibungen und umgangssprachlichen Formen grophen Z. 5, von gancem herczem (s. oben § 14, 5e, S. 187) Z. 11, mit enand" (s. oben § 83, 8, S. 279 f.) zonnenberg Z. 11f. 12. Dem gegenüber überrascht dann die gelehrt latinisierende Konstruktion wir euch dabey czu seyn ... begeren 10f. In Nr. 27 ist dorfferen Z. 6, fretage Z. 10 ohne Analogie innerhalb unserer Sammlung, die Schrei- bung zunder (sondern') wenigstens ungewöhnlich. In Nr. 28 fällt aus dem Gewöhnlichen heraus die Doppelkonsonanz loffen neben dem ein- fachen n statt zu erwartender Doppelkonsonanz in guner Z. 5. 6, das völlig singuläre huse 8 ohne Diphthongierung, die Zusammenziehung morne Z. 7, die mundartliche Schreibung wellin (st. vellin) Z. 9, das der sonst fest- gehaltenen Regel (s. oben § 84, 9, S. 289) widersprechend apokopierte freitag Z. 10, umgekehrt die Vollform wenne Z. 8 gegenüber dem sonst herr- schenden wen (s. oben § 84, 4, S. 283, Abs. 1), das th in thier Z. 9 (s. oben § 82, 9, S. 273f.). In Nr. 29 stehn die Doppelschreibungen ditte- rich, groffen Z. 1. 2, das t in betruckit Z. 6 (gedruckt' knecht 20, 5), die Schreibungen dezem, zunnebunde Z. 7. 10, die Kürxungen mit eym gelobde vnd' nandir Z. 9 (s. oben § 84, 12; 83, 8, S. 293. 279), in Nr. 30 das völlig singuläre leyplichyn Z. 8 (s. oben § 84, 13, S. 296), die Schrei- bungen fleyzeclich Z. 5 (sonst in P mit ss oder s, aber in S mit z), die zwar in schlesischen Texten verbreiteten, aber in P sonst nicht be- liebten hundird marg Z. 7 (s. oben § 16, 1; 17, 1, S. 192. 195). Auch hier wieder neben all diesen Lässigkeiten und der Verkehrssprache entlehnten
Zusammenfassende Charakteristik. 309 Briefformular (Nr. 45, 5 ff.) angeführt: die wir in erem lobe vnd edil- keit lawter vnd Reyne irkant haben, die ouch in edilkeit eris ge- slechtis schone vnd erwirdig ist; das ir czu sulchen sachen stete hulffe wellit irczeigen; lobelich werde geendit; gutlich irkennen. 10. Die Schlägler Briefsammlung zeigt in ihren letzten drei Abtei- lungen, den Briefen von Rittern. Baronen, Grafen, einzelne lautliche und orthographische Abweichungen von dem sonstigen Gebrauch. In Nr. 24 fällt zunächst auf der Ausdruck Dy guter... seyn gesturben vnd ge- vallin (Z. 3. 5. 6) als zweigliedrig synonymische Wiedergabe des bona successerunt der lateinischen Fassung. Ferner enthalten alzo vesessin sint, in eren rechtn Schreibungen, die in P zwar vereinzelt vorkommen, aber sonst doch sehr selten sind und die hier gehäuft sich zeigen. Auch gerulich 24, 8, wenn es statt des unverständlichen überlieferten gemlich richtig als Ubersetzung von pacifice emendiert ist, hat etwas Singuläres (vgl. 44, 10). Ebenso fallen auf in Nr. 25 die Schreibungen Z. 1 herbh’re, Z. 5 breczlaw (sonst breslo), das myt (s. oben § 84, 13, S. 296, Z. 8) neben yn (ihnen) und dem beständigen in (Präposition), das zcu und zo, die Form dornstage. Alles dies ist einzeln und verstreut in unserer Sammlung zu finden, aber nicht so eng nebeneinander. In Nr. 26 be- fremden die singulären Schreibungen liebin Z. 1 und irleuchtirsteyn, allirleuttersteyn Z. 4. 8 (s. oben § 8, 5, S. 182) neben den wenigstens in P seltenen oder singulären Schreibungen und umgangssprachlichen Formen grophen Z. 5, von gancem herczem (s. oben § 14, 5e, S. 187) Z. 11, mit enand" (s. oben § 83, 8, S. 279 f.) zonnenberg Z. 11f. 12. Dem gegenüber überrascht dann die gelehrt latinisierende Konstruktion wir euch dabey czu seyn ... begeren 10f. In Nr. 27 ist dorfferen Z. 6, fretage Z. 10 ohne Analogie innerhalb unserer Sammlung, die Schrei- bung zunder (sondern') wenigstens ungewöhnlich. In Nr. 28 fällt aus dem Gewöhnlichen heraus die Doppelkonsonanz loffen neben dem ein- fachen n statt zu erwartender Doppelkonsonanz in guner Z. 5. 6, das völlig singuläre huse 8 ohne Diphthongierung, die Zusammenziehung morne Z. 7, die mundartliche Schreibung wellin (st. vellin) Z. 9, das der sonst fest- gehaltenen Regel (s. oben § 84, 9, S. 289) widersprechend apokopierte freitag Z. 10, umgekehrt die Vollform wenne Z. 8 gegenüber dem sonst herr- schenden wen (s. oben § 84, 4, S. 283, Abs. 1), das th in thier Z. 9 (s. oben § 82, 9, S. 273f.). In Nr. 29 stehn die Doppelschreibungen ditte- rich, groffen Z. 1. 2, das t in betruckit Z. 6 (gedruckt' knecht 20, 5), die Schreibungen dezem, zunnebunde Z. 7. 10, die Kürxungen mit eym gelobde vnd' nandir Z. 9 (s. oben § 84, 12; 83, 8, S. 293. 279), in Nr. 30 das völlig singuläre leyplichyn Z. 8 (s. oben § 84, 13, S. 296), die Schrei- bungen fleyzeclich Z. 5 (sonst in P mit ss oder s, aber in S mit z), die zwar in schlesischen Texten verbreiteten, aber in P sonst nicht be- liebten hundird marg Z. 7 (s. oben § 16, 1; 17, 1, S. 192. 195). Auch hier wieder neben all diesen Lässigkeiten und der Verkehrssprache entlehnten
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310 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. Formen die gezierte latinisierende Konstruktion des Akkusativs mit dem Infinitiv: begern... euch...dy selbe eynekeyt... czu vesten vnd... czu bestrickn Z. 5 ff. Man kann nicht glauben, daß all diese, einzeln nicht viel besagenden, aber in ihrer Häufung sehr seltsamen Abweichungen von der sonst in P vorherrschenden Schreibung und Lautform erst der Sammler erfunden habe, um etwa diese vornehmen Herren in ihrer kavalierhaften Nichtbeachtung der kanzleihaften Regel zu charakterisieren. Vielmehr schimmern hier Eigentümlichkeiten echter Vorlagen durch: diese adligen Herren hatten ihre eigene Kanzlei, die sich in ihrer Schreibart und Sprache von den Kanzleien der Städte und des Kaisers durch einen mehr rustikale) Typus unterschied.
310 Einleitung. Fünftes Kapitel. Die Sprache der deutschen Briefmuster. Formen die gezierte latinisierende Konstruktion des Akkusativs mit dem Infinitiv: begern... euch...dy selbe eynekeyt... czu vesten vnd... czu bestrickn Z. 5 ff. Man kann nicht glauben, daß all diese, einzeln nicht viel besagenden, aber in ihrer Häufung sehr seltsamen Abweichungen von der sonst in P vorherrschenden Schreibung und Lautform erst der Sammler erfunden habe, um etwa diese vornehmen Herren in ihrer kavalierhaften Nichtbeachtung der kanzleihaften Regel zu charakterisieren. Vielmehr schimmern hier Eigentümlichkeiten echter Vorlagen durch: diese adligen Herren hatten ihre eigene Kanzlei, die sich in ihrer Schreibart und Sprache von den Kanzleien der Städte und des Kaisers durch einen mehr rustikale) Typus unterschied.
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Exkurse zum Breslauer Bistumsstreit von 1380/82. (Zu S. 30—35. 40.) Von Konrad Burdach. 1. Die Vorgeschichte des Konflikts zwischen König Wenzel und dem Breslauer Domkapitel. Noch bei Lebzeiten des hochbetagten Bischofs von Breslan Preczlaw' von Pogarell hatte sich Johann von Neumarkt um den Bischofssitz seines Heimatlandes vielfach bemüht. Unterstützt durch den Kaiser und den Erzbischof Johann Očko von Prag hatte er auch schon die Zusage des Papstes erhalten. Dennoch wählte das Breslauer Domkapitel, als am 6. April 1376 der längst erwartete Tod des alten Kirchenfürsten eintrat, nicht ihn, den früheren kaiserlichen Kanzler und dermaligen Bischof von Olmütz. Warum es von ihm absah, wissen wir nicht. Aber nach Wil- helm Schultes erschöpfender Prüfung aller Quellen (am oben S. 32 Anm. angeführten Ort) ergibt sich, daß das Breslauer Domkapitel, als es dem Böhmen Dietrich von Klattau den Vorzug gab, politische Klugheit wie Selbständigkeit und gegenüber den polnischen Machenschaften auch Festig- keit bewährte. Auch dieser Dietrich von Klattau war ein Günstling des Kaisers und Notar der Hofkanzlei von Prag. Seiner Zeit hatte ihn Karl IV. selbst in das Breslauer Domkapitel eingeschoben als Gegenspieler gegen einen Polen, den Magister und Pfarrer der Krakauer Diöxese Albert von Bochnia, Kanzler und Gesandten des polnischen Königs bei dem römi- schen Stuhl, der im Konsistorium der Kurie zu Avignon 1350 die von Karl IV. beantragte Abtrennung des Bistums Breslau von der Erzdiözese Gnesen durch seine Einwendungen verhindert hatte und bald danach infolge des ungehörigen Eingreifens des Polenkönigs Kasimir vom Papst Klemens VI. den Breslauer Domherren zum Dechanten auf- gedrängt wurde, obgleich das Kapitel im Einvernehmen mit Bischof Preczlaw und Karl IV. für das Dekanat einen Breslauer Kanoniker Johannes Martini von Sedletz bestimmt und dieser sich auch in den tat- sächlichen Besitz dieser Stelle gesetzt hatte. Im Prozeß bei der römi- schen Kurie zu Avignon unterlag allerdings schließlich der polnische Kandidat seinem Rivalen. Als Ersatzmann also dieses der Heimatspartei und dem böhmischen Hofe genehmen Johannes Martini hatte nach dessen Tode Dietrich von Klattau die kaiserliche Berufung auf den Breslauer Dechantensitz empfangen. Indem das Kapitel ihn, eines seiner Mitglieder
Exkurse zum Breslauer Bistumsstreit von 1380/82. (Zu S. 30—35. 40.) Von Konrad Burdach. 1. Die Vorgeschichte des Konflikts zwischen König Wenzel und dem Breslauer Domkapitel. Noch bei Lebzeiten des hochbetagten Bischofs von Breslan Preczlaw' von Pogarell hatte sich Johann von Neumarkt um den Bischofssitz seines Heimatlandes vielfach bemüht. Unterstützt durch den Kaiser und den Erzbischof Johann Očko von Prag hatte er auch schon die Zusage des Papstes erhalten. Dennoch wählte das Breslauer Domkapitel, als am 6. April 1376 der längst erwartete Tod des alten Kirchenfürsten eintrat, nicht ihn, den früheren kaiserlichen Kanzler und dermaligen Bischof von Olmütz. Warum es von ihm absah, wissen wir nicht. Aber nach Wil- helm Schultes erschöpfender Prüfung aller Quellen (am oben S. 32 Anm. angeführten Ort) ergibt sich, daß das Breslauer Domkapitel, als es dem Böhmen Dietrich von Klattau den Vorzug gab, politische Klugheit wie Selbständigkeit und gegenüber den polnischen Machenschaften auch Festig- keit bewährte. Auch dieser Dietrich von Klattau war ein Günstling des Kaisers und Notar der Hofkanzlei von Prag. Seiner Zeit hatte ihn Karl IV. selbst in das Breslauer Domkapitel eingeschoben als Gegenspieler gegen einen Polen, den Magister und Pfarrer der Krakauer Diöxese Albert von Bochnia, Kanzler und Gesandten des polnischen Königs bei dem römi- schen Stuhl, der im Konsistorium der Kurie zu Avignon 1350 die von Karl IV. beantragte Abtrennung des Bistums Breslau von der Erzdiözese Gnesen durch seine Einwendungen verhindert hatte und bald danach infolge des ungehörigen Eingreifens des Polenkönigs Kasimir vom Papst Klemens VI. den Breslauer Domherren zum Dechanten auf- gedrängt wurde, obgleich das Kapitel im Einvernehmen mit Bischof Preczlaw und Karl IV. für das Dekanat einen Breslauer Kanoniker Johannes Martini von Sedletz bestimmt und dieser sich auch in den tat- sächlichen Besitz dieser Stelle gesetzt hatte. Im Prozeß bei der römi- schen Kurie zu Avignon unterlag allerdings schließlich der polnische Kandidat seinem Rivalen. Als Ersatzmann also dieses der Heimatspartei und dem böhmischen Hofe genehmen Johannes Martini hatte nach dessen Tode Dietrich von Klattau die kaiserliche Berufung auf den Breslauer Dechantensitz empfangen. Indem das Kapitel ihn, eines seiner Mitglieder
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312 Exkurse zum Breslauer Bistumsstreit (1380/82). und zugleich einen treuen Diener des böhmischen Königs und deutschen Kaisers, von dem er selbst direkt Aufträge nach Avignon und Rom er- hielt1, nun auch auf den Breslauer Bischofsstuhl erhob, vereinte es die Interessen der Korporation und des schlesischen Landes mit den Pflichten gegen den legitimen königlichen Oberherrn. Indessen der rasch Gestiegene fiel ebenso schnell als Opfer eines Streits, der über den reichen Nachlaß des Bischofs Preczlaw zwischen den in die polnische Erzdiözese entsandten Kommissaren der apostolischen Kammer und dem Breslauer Domkapitel entbrannte, und des bald nachher aus- brechenden päpstlichen Schismas. Als Opfer aber auch, scheint es, eines uns in seinen Ursachen nicht ersichtlichen Umschwunges in den Ent- schlüssen Karls IV. Jener Streit mit den päpstlichen Finanzkommissaren hatte nach einer Reihe von Prozessen die Exkommunikation des Bres- lauer Domkapitels herbeigeführt, deren Aufhebung durch hohe Geldopfer erkauft werden mußte; Dietrich aber hatte in Avignon von Papst Gregor XI., der im Begriff stand, die Kurie nach Rom zurückzuverlegen, die Bestäti- gung nicht erlangt. Als Dietrich im nächsten Jahre (1377), immer noch auf Veranlassung seines Domkapitels, nunmehr sich nach Rom begab und dort die Bestätigung nachsuchte, schob Gregor XI. die Entscheidung hinaus: nach der mir unanfechtbar scheinenden Aussage des vorzüglich unterrichteten, allerdings von national polnischer Parteilichkeit erfüllten Chronisten und Gnesener Archidiakons Johannes von Czarnkow hat nun- mehr Kaiser Karl IV. selbst Einspruch gegen die Bestätigung des vorher von ihm begünstigten und mit Aufträgen bedachten Dietrich erhoben und dadurch das dilatorische Verfahren des Papstes veranlaßt. Wollte er etwa damals doch Johann von Neumarkt von Olmütz nach Breslau trans- ferieren, der anscheinend eine Zeitlang bei ihm in Ungnade gefallen war? Hatte er bestimmte Bedenken gegen Dietrichs Ernennung? Oder hatte er damals etwa auch schon den Bischof Wenzel von Lebus, Herzog von Liegnitz, für das Breslauer Bistum ins Auge gefaßt, wofür eine Auße- rung in einem Briefe Papst Urbans VI. vom 8. Juli 13822 sprechen könnte? Wir wissen es nicht. Sicher scheint mir, daß, als dann bald darauf das päpstliche Schisma entstand, Dietrich von Klattau unter dem Eindruck des kaiserlichen Sinneswechsels sich in Rom nicht dem zuerst gewählten Urban VI., für den sich der Kaiser entschied, sondern dem von der Gegenpartei der Kardinäle am 20. September 1378 erkornen französischen Papst Klemens VII. angeschlossen hat. Am 26. Juli 1378 hatte Papst Urban VI. dem Kaiser, der ihm die Obedienz geleistet, als Gegenleistung die An- erkennung der Wahl seines Sohnes Wenzel xum römischen König gewährt. Am 8. November 1378 erhielt Dechant Dietrich von dem Gegenpapst 1 Am 4. Februar 1361 gibt Karl IV. ihm, dem Dekan Theodor von Breslau, Notar des kaiserlichen Hofes, freien Geleitsbrief nach Rom’: Regesta imperii ed. Huber Nr. 7044. Meine früher (Zentralbl. f. Bibliothekswesen 1891 Bd. 8, S. 463 Anm. = Vom Mittelalt. x. Reform. 1 [1893], S. 103 Anm. I) fragweise versuchte Identifixierung mit Theoderich Damerow (s. unten) war irrig. 2 Vgl. Schulte a. oben S. 32 Anm. 1 a. O. S. 95 f. 140 und Beilagen Nr. 35, S. 248 ff.
312 Exkurse zum Breslauer Bistumsstreit (1380/82). und zugleich einen treuen Diener des böhmischen Königs und deutschen Kaisers, von dem er selbst direkt Aufträge nach Avignon und Rom er- hielt1, nun auch auf den Breslauer Bischofsstuhl erhob, vereinte es die Interessen der Korporation und des schlesischen Landes mit den Pflichten gegen den legitimen königlichen Oberherrn. Indessen der rasch Gestiegene fiel ebenso schnell als Opfer eines Streits, der über den reichen Nachlaß des Bischofs Preczlaw zwischen den in die polnische Erzdiözese entsandten Kommissaren der apostolischen Kammer und dem Breslauer Domkapitel entbrannte, und des bald nachher aus- brechenden päpstlichen Schismas. Als Opfer aber auch, scheint es, eines uns in seinen Ursachen nicht ersichtlichen Umschwunges in den Ent- schlüssen Karls IV. Jener Streit mit den päpstlichen Finanzkommissaren hatte nach einer Reihe von Prozessen die Exkommunikation des Bres- lauer Domkapitels herbeigeführt, deren Aufhebung durch hohe Geldopfer erkauft werden mußte; Dietrich aber hatte in Avignon von Papst Gregor XI., der im Begriff stand, die Kurie nach Rom zurückzuverlegen, die Bestäti- gung nicht erlangt. Als Dietrich im nächsten Jahre (1377), immer noch auf Veranlassung seines Domkapitels, nunmehr sich nach Rom begab und dort die Bestätigung nachsuchte, schob Gregor XI. die Entscheidung hinaus: nach der mir unanfechtbar scheinenden Aussage des vorzüglich unterrichteten, allerdings von national polnischer Parteilichkeit erfüllten Chronisten und Gnesener Archidiakons Johannes von Czarnkow hat nun- mehr Kaiser Karl IV. selbst Einspruch gegen die Bestätigung des vorher von ihm begünstigten und mit Aufträgen bedachten Dietrich erhoben und dadurch das dilatorische Verfahren des Papstes veranlaßt. Wollte er etwa damals doch Johann von Neumarkt von Olmütz nach Breslau trans- ferieren, der anscheinend eine Zeitlang bei ihm in Ungnade gefallen war? Hatte er bestimmte Bedenken gegen Dietrichs Ernennung? Oder hatte er damals etwa auch schon den Bischof Wenzel von Lebus, Herzog von Liegnitz, für das Breslauer Bistum ins Auge gefaßt, wofür eine Auße- rung in einem Briefe Papst Urbans VI. vom 8. Juli 13822 sprechen könnte? Wir wissen es nicht. Sicher scheint mir, daß, als dann bald darauf das päpstliche Schisma entstand, Dietrich von Klattau unter dem Eindruck des kaiserlichen Sinneswechsels sich in Rom nicht dem zuerst gewählten Urban VI., für den sich der Kaiser entschied, sondern dem von der Gegenpartei der Kardinäle am 20. September 1378 erkornen französischen Papst Klemens VII. angeschlossen hat. Am 26. Juli 1378 hatte Papst Urban VI. dem Kaiser, der ihm die Obedienz geleistet, als Gegenleistung die An- erkennung der Wahl seines Sohnes Wenzel xum römischen König gewährt. Am 8. November 1378 erhielt Dechant Dietrich von dem Gegenpapst 1 Am 4. Februar 1361 gibt Karl IV. ihm, dem Dekan Theodor von Breslau, Notar des kaiserlichen Hofes, freien Geleitsbrief nach Rom’: Regesta imperii ed. Huber Nr. 7044. Meine früher (Zentralbl. f. Bibliothekswesen 1891 Bd. 8, S. 463 Anm. = Vom Mittelalt. x. Reform. 1 [1893], S. 103 Anm. I) fragweise versuchte Identifixierung mit Theoderich Damerow (s. unten) war irrig. 2 Vgl. Schulte a. oben S. 32 Anm. 1 a. O. S. 95 f. 140 und Beilagen Nr. 35, S. 248 ff.
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Die Vorgeschichte des Konflikts. 313 Klemens VII. in Fondi die Bestätigung als Bischof von Breslau. Am 29. November 1378 starb Karl IV. Sein Sohn Wenzel hielt an Urban VI. fest. Aber in Deutschland, auch im Königreich Böhmen und besonders in der Breslauer Diöxese fehlte es auch dem Gegenpapst nicht an Anhängern. Am 6. Februar 1379 befahl König Wenzel dem Breslauer Domkapitel, den vom Gegenpapst bestätigten und geweihten Dietrich von Klattau, dessen Enthebung aus allen Amtern und Würden Urban VI. am 8. Januar 1378 dem Bischof von Lebus, Herzog Wenzel von Liegnitz, mit dem Auftrag der Instal- lierung eines Nachfolgers kundgemacht hatte, nicht als Bischof von Breslau anzuerkennen, sondern als Schismatiker zu verwerfen. Die Breslauer Dechantenwürde übertrag Urban VI. auf den Bruder des genannten Bischofs von Lebus, den Herzog Heinrich von Liegnitz. Dietrich von Klattau gelang es nicht, im Breslauer Domkapitel als Bischof sich durchzusetzen. Er floh nach Avignon, wohin inzwischen Klemens VII. seine Kurie verlegt hatte. Von dort aus unterhielt Dietrich als gegenpäpstlicher Bischof von Breslau rege Verbindungen mit Kanonikern und Klerikern in Posen, Breslau, Prag, Brünn, denen er Providierungen mit Pfründen von Klemens VII. erwirkte. Offenbar um einen Ausweg aus dieser verfahrenen Lage zu finden, postulierte im Anfang des Jahres 1380 das Breslauer Domkapitel nun doch noch den Olmützer Bischof Johann von Neumarkt zum Leiter der Breslauer Diöxese. Das war ein Triumph der Sache des italienischen Papstes Urban VI. und der böhmischen Partei des Kapitels. Zugleich aber auch durch die Wahl eines gebornen Schlesiers eine Stärkung des Heimatgefühls. Und aus der nämlichen Tendenz des landschaft- lichen Patriotismus entsprang es, wenn kurz zuvor (Ende 1379) die weltliche Verwaltung des Breslauer Bistums von zwei Mitgliedern des Domkapitels überging auf den neuen Dechanten, den piastischen Herzog Heinrich von Schlesien und Herrn von Liegnitz, und dieser nun als administrator in temporalibus des vakanten Bistums die Verfügung über die festen Schlösser des Bistumlandes Neiße-Ottmachau und die Ein- künfte der mensa episcopalis in die Hand bekam. Leider starb Johann von Neumarkt, der angesehene Vertreter der Karolinischen Versöhnungs- tradition, schon am 24. Dezember 1380. Er hätte vielleicht die gehäuften Gegensätze beschwichtigen können. Sein Tod warf das Bistum wieder ins Ungewisse. Ja es zeigte sich, daß dieser Weihnachtstag des Jahres 1380 für das Bistum und die Stadt Breslau ein kritischer Tag erster Ordnung gewesen war. Die oben S. 32 geschilderte Konfiskation jenes Weihnachtsbieres, das dem Dechanten des Breslauer Domkapitels, Herzog Heinrich von Liegnitz, Bruder und Schwägerin aus Liegnitz gesandt hatten, und die Gefangennahme des Fuhrmanns, der es gebracht, durch den Rat der Stadt Breslau, der sein Monopol der Einfuhr und des Aus- schanks fremder Biere hier wieder einmal verletzt sah, stieß wie ein Schüreisen in die noch glimmende Glut eines alten, nur halb gelöschten Brandes mannigfaltig angesammelter Interessengegensätze. Das Dom- kapitel ergriff jetzt die Initiative in einer Reihe folgenschwerer Maßnah- men, die teilweise aggressiven Charakter trugen und nur als Ausbruch lange zurückgehaltener Erbitterung überhaupt sich begreifen lassen.
Die Vorgeschichte des Konflikts. 313 Klemens VII. in Fondi die Bestätigung als Bischof von Breslau. Am 29. November 1378 starb Karl IV. Sein Sohn Wenzel hielt an Urban VI. fest. Aber in Deutschland, auch im Königreich Böhmen und besonders in der Breslauer Diöxese fehlte es auch dem Gegenpapst nicht an Anhängern. Am 6. Februar 1379 befahl König Wenzel dem Breslauer Domkapitel, den vom Gegenpapst bestätigten und geweihten Dietrich von Klattau, dessen Enthebung aus allen Amtern und Würden Urban VI. am 8. Januar 1378 dem Bischof von Lebus, Herzog Wenzel von Liegnitz, mit dem Auftrag der Instal- lierung eines Nachfolgers kundgemacht hatte, nicht als Bischof von Breslau anzuerkennen, sondern als Schismatiker zu verwerfen. Die Breslauer Dechantenwürde übertrag Urban VI. auf den Bruder des genannten Bischofs von Lebus, den Herzog Heinrich von Liegnitz. Dietrich von Klattau gelang es nicht, im Breslauer Domkapitel als Bischof sich durchzusetzen. Er floh nach Avignon, wohin inzwischen Klemens VII. seine Kurie verlegt hatte. Von dort aus unterhielt Dietrich als gegenpäpstlicher Bischof von Breslau rege Verbindungen mit Kanonikern und Klerikern in Posen, Breslau, Prag, Brünn, denen er Providierungen mit Pfründen von Klemens VII. erwirkte. Offenbar um einen Ausweg aus dieser verfahrenen Lage zu finden, postulierte im Anfang des Jahres 1380 das Breslauer Domkapitel nun doch noch den Olmützer Bischof Johann von Neumarkt zum Leiter der Breslauer Diöxese. Das war ein Triumph der Sache des italienischen Papstes Urban VI. und der böhmischen Partei des Kapitels. Zugleich aber auch durch die Wahl eines gebornen Schlesiers eine Stärkung des Heimatgefühls. Und aus der nämlichen Tendenz des landschaft- lichen Patriotismus entsprang es, wenn kurz zuvor (Ende 1379) die weltliche Verwaltung des Breslauer Bistums von zwei Mitgliedern des Domkapitels überging auf den neuen Dechanten, den piastischen Herzog Heinrich von Schlesien und Herrn von Liegnitz, und dieser nun als administrator in temporalibus des vakanten Bistums die Verfügung über die festen Schlösser des Bistumlandes Neiße-Ottmachau und die Ein- künfte der mensa episcopalis in die Hand bekam. Leider starb Johann von Neumarkt, der angesehene Vertreter der Karolinischen Versöhnungs- tradition, schon am 24. Dezember 1380. Er hätte vielleicht die gehäuften Gegensätze beschwichtigen können. Sein Tod warf das Bistum wieder ins Ungewisse. Ja es zeigte sich, daß dieser Weihnachtstag des Jahres 1380 für das Bistum und die Stadt Breslau ein kritischer Tag erster Ordnung gewesen war. Die oben S. 32 geschilderte Konfiskation jenes Weihnachtsbieres, das dem Dechanten des Breslauer Domkapitels, Herzog Heinrich von Liegnitz, Bruder und Schwägerin aus Liegnitz gesandt hatten, und die Gefangennahme des Fuhrmanns, der es gebracht, durch den Rat der Stadt Breslau, der sein Monopol der Einfuhr und des Aus- schanks fremder Biere hier wieder einmal verletzt sah, stieß wie ein Schüreisen in die noch glimmende Glut eines alten, nur halb gelöschten Brandes mannigfaltig angesammelter Interessengegensätze. Das Dom- kapitel ergriff jetzt die Initiative in einer Reihe folgenschwerer Maßnah- men, die teilweise aggressiven Charakter trugen und nur als Ausbruch lange zurückgehaltener Erbitterung überhaupt sich begreifen lassen.
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314 Exkurse zum Breslauer Bistumsstreit (1380/82). Der Urheber des Interdikts gegen die Stadt Breslau einschließlich der Dominsel und des Sandes (am 7. Januar 1381), des ersten übereilten und höchst verderblich wirkenden Schrittes, waren der Dechant Herzog Heinrich von Liegnitz als weltlicher Administrator des vakanten Bistums und der in der Kanzleilaufbahn hochgekommene und reich gewordene Archidiakon Nikolaus Henrici aus Posen, eine interessante Persön- lichkeit mit humanistischer Disposition, über die noch zu reden sein wird. Bald darauf, noch im Januar des Jahres 1381, erfolgte ein zweiter Vorstoß in der Offensive des Domkapitels. Es übertrug die Administration des vakanten Bistums von dem Dechanten Herzog Hein- rich von Liegnitz auf seinen älteren Bruder Herzog Wenzel von Liegnitz, den Bischof von Lebus, der, 1348 geboren, schon mit 23 Jahren, am 22. Februar 1371, als er in Montpellier kanonisches Recht studierte, auf Wunsch Karls IV. von Gregor XI. ein Kanonikat an der Breslauer Domkirche erhalten hatte, der dann am 3. Dexember 1375 unter päpst- lichem Dispens in bezug auf das Hindernis seines zu jugendlichen Alters Bischof geworden war. Durch Spexialmandat des Kapitels wurde sogar seine Amtsbefugnis über die bisherige seines Bruders, der bloß admini- strator in temporalibus war, noch ausgedehnt. Wenigstens heißt er nach Schulte in den von ihm ausgestellten Urkunden Generaladmini- strator, so daß also auch die Administration in spiritualibus ihm zufiel1. Leider fehlen im Vatikanischen Archiv aus dem Pontifikat Urbans VI. die meisten Registerbünde und so ist es uns versagt, die Vorgänge gerade dieser für Schlesien und Böhmen so bedeutsamen Zeit authentisch kennen zu lernen. Mit Recht aber vermutete Schulte, daß der dritte Schritt, den das Breslauer Domkapitel jetxt unternahm, die Postulierung des Lebuser Bischofs Herzog Wenzel von Liegnitz zum Bischof der Breslauer Diözese, jener Ubertragung der Generaladministration auf ihn, sei es als Absicht oder als förmlicher Beschluß, vorangegangen ist. Das Kapitel verfuhr durch diese Postulierung offenbar im Sinne Papst Urbans VI.. dessen treuester Anhänger Bischof Wenzel von Anfang an gewesen war 1 Schulte hat diesen Punkt nicht ganz aufgeklärt. Er sagt a. a. O. S. 93: Am 3. Januar 1381 stellte Herzog Heinrich als weltlicher Administrator des Bistums noch eine Urkunde für dic Stadt Patschkau aus. Am 30. Januar 1381 war schon Wenxel, Herxog von Liegnitx und Bischof von Lebus, Administrator des Bistums'. Aber in dem Anm. 7 beigebrachten Beleg heißt es: coram domino Wenceslao duce Legnicensi et episcopo Lubucensi ac administratore in tem- poralibus ecclesie Wratisl. Dagegen hat Bischof Wenzel die von Schulte S. 94 und Anm. 6 benutzten Urkunden ausgestellt als administrator ecclesie Wratislaviensis generalis per capitulum sede vacante specialiter deputatus: 14. Februar, 11. April, 24. Mai 1381. Es scheint mir damit nicht recht ver- einbar, wenn Schulte S. 116 sagt: Erstens ging, wie wir schon wissen, die Verwaltung des Bistums in temporalibus aus der Hand des Dechanten, Herzogs Heinrich von Liegnitz, in die Hand seines Bruders Wenzel, des Bischofs von Lebus, über'. Bischof Wenxel hatte mit der Generaladministration doch auch die Administration in spiritualibus. Daß dem so war, bestätigt Schulte S. 130 selbst durch den Ausdruck: daß ferner an Stelle oder besser gesagt gegen den Generaladministrator Bischof Wenzel von Lebus neue Bistumsadministratoren in temporalibus et spiritualibus ... gewählt wurden'.
314 Exkurse zum Breslauer Bistumsstreit (1380/82). Der Urheber des Interdikts gegen die Stadt Breslau einschließlich der Dominsel und des Sandes (am 7. Januar 1381), des ersten übereilten und höchst verderblich wirkenden Schrittes, waren der Dechant Herzog Heinrich von Liegnitz als weltlicher Administrator des vakanten Bistums und der in der Kanzleilaufbahn hochgekommene und reich gewordene Archidiakon Nikolaus Henrici aus Posen, eine interessante Persön- lichkeit mit humanistischer Disposition, über die noch zu reden sein wird. Bald darauf, noch im Januar des Jahres 1381, erfolgte ein zweiter Vorstoß in der Offensive des Domkapitels. Es übertrug die Administration des vakanten Bistums von dem Dechanten Herzog Hein- rich von Liegnitz auf seinen älteren Bruder Herzog Wenzel von Liegnitz, den Bischof von Lebus, der, 1348 geboren, schon mit 23 Jahren, am 22. Februar 1371, als er in Montpellier kanonisches Recht studierte, auf Wunsch Karls IV. von Gregor XI. ein Kanonikat an der Breslauer Domkirche erhalten hatte, der dann am 3. Dexember 1375 unter päpst- lichem Dispens in bezug auf das Hindernis seines zu jugendlichen Alters Bischof geworden war. Durch Spexialmandat des Kapitels wurde sogar seine Amtsbefugnis über die bisherige seines Bruders, der bloß admini- strator in temporalibus war, noch ausgedehnt. Wenigstens heißt er nach Schulte in den von ihm ausgestellten Urkunden Generaladmini- strator, so daß also auch die Administration in spiritualibus ihm zufiel1. Leider fehlen im Vatikanischen Archiv aus dem Pontifikat Urbans VI. die meisten Registerbünde und so ist es uns versagt, die Vorgänge gerade dieser für Schlesien und Böhmen so bedeutsamen Zeit authentisch kennen zu lernen. Mit Recht aber vermutete Schulte, daß der dritte Schritt, den das Breslauer Domkapitel jetxt unternahm, die Postulierung des Lebuser Bischofs Herzog Wenzel von Liegnitz zum Bischof der Breslauer Diözese, jener Ubertragung der Generaladministration auf ihn, sei es als Absicht oder als förmlicher Beschluß, vorangegangen ist. Das Kapitel verfuhr durch diese Postulierung offenbar im Sinne Papst Urbans VI.. dessen treuester Anhänger Bischof Wenzel von Anfang an gewesen war 1 Schulte hat diesen Punkt nicht ganz aufgeklärt. Er sagt a. a. O. S. 93: Am 3. Januar 1381 stellte Herzog Heinrich als weltlicher Administrator des Bistums noch eine Urkunde für dic Stadt Patschkau aus. Am 30. Januar 1381 war schon Wenxel, Herxog von Liegnitx und Bischof von Lebus, Administrator des Bistums'. Aber in dem Anm. 7 beigebrachten Beleg heißt es: coram domino Wenceslao duce Legnicensi et episcopo Lubucensi ac administratore in tem- poralibus ecclesie Wratisl. Dagegen hat Bischof Wenzel die von Schulte S. 94 und Anm. 6 benutzten Urkunden ausgestellt als administrator ecclesie Wratislaviensis generalis per capitulum sede vacante specialiter deputatus: 14. Februar, 11. April, 24. Mai 1381. Es scheint mir damit nicht recht ver- einbar, wenn Schulte S. 116 sagt: Erstens ging, wie wir schon wissen, die Verwaltung des Bistums in temporalibus aus der Hand des Dechanten, Herzogs Heinrich von Liegnitz, in die Hand seines Bruders Wenzel, des Bischofs von Lebus, über'. Bischof Wenxel hatte mit der Generaladministration doch auch die Administration in spiritualibus. Daß dem so war, bestätigt Schulte S. 130 selbst durch den Ausdruck: daß ferner an Stelle oder besser gesagt gegen den Generaladministrator Bischof Wenzel von Lebus neue Bistumsadministratoren in temporalibus et spiritualibus ... gewählt wurden'.
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Die Vorgeschichte des Konflikts. 315 und dem er ein genehmer Inhaber des Breslauer Bischofsstuhles sein mußte. Nach einem späteren Briefe Urbans VI. (8. Juli 1382) hätten auch schon Karl IV. und einige Räte König Wenzels die Transferierung des Lebusers nach Breslau empfohlen. König Wenzel aber nahm jetzt gegenüber dieser Postulation des Kapitels eine völlig ablehnende Haltung ein. Politisch-dynastische Gründe mögen ihn dabei bestimmt haben: durch die Erwerbung des reichen Bres- lauer Bistums schien die Position der aus dem polnischen Königshause stammenden 1 und polnischer Sympathien verdächtigen schlesischen Piasten, insbesondere die Macht der herzoglichen Linie Brieg-Liegnitz allzuschr gestärkt. Entscheidender aber wirkten andere Momente. Sowohl die Postulierung des Lebuser Bischofs und Herzogs von Liegnitz zum Bischof von Breslau als die Ubertragung der Gesamtadministration des vakanten Bistums auf ihn war nur die Folge und der Ausdruck einer weit zuriickreichenden tiefen, ja leidenschaftlichen Verstimmung des Kapitels üiber seine finanzielle, wirtschaftliche und politische Lage. Das verraten am deutlichsten die beiden schroffsten Akte seines frondierenden Vorgehens: die Verhängung des Interdikts, mit der es, wie wir sahen, seine Offensive eröffnete, und als vierter und letzter Schlag die Verlegung des Kapitel- sitzes des geistlichen Gerichts und der Residenz des Generaladministrators Wenzel von Breslau nach Neiße-Ottmachau, dem Bistumsland, unter Mitführung aller Reliquien und kirchlichen Geräte und Gewänder. König Wenzels Stellung zum Domkapitel und zu dessen Entscheidung in der Bischofswahl beeinflußten wesentlich die ungeahnten Folgen des tragikomischen Bierkriegs. Dieses seltsame Intermezxo, scheinbar hervor- gegangen aus der Streitfrage der Schankgerechtigkeit des städtischen Rats und des Domkapitels, entsprang eben doch jenem alten, tieferen Gegen- satz, der schon unter Karl IV. 1367—70 einen ernsten Prinzipienkampf entfacht hatte. Es handelte sich im Grunde um die Kompetenz der städtischen Gerichtsbarkeit von Breslau, die in dem königlichen Landes- hauptmann, einem Beamten der böhmischen Krone, und in seinem Beirat und seinen Organen, den Ratsherren und Schöffen der Stadt und des Landes Breslau, sich auswuchs zu einem Werkzeug der Zentrali- sierung des Gerichts- und Verwaltungswesens von ganz Schlesien, ja geradezu eine Zusammenfassung der unmittelbaren und mittelbaren Teilfürstentümer unter dem Namen der Hauptstadt und des Herzogtums Breslau vorbereitete. Es handelte sich um die Abgren- zung dieser der Königsgewalt als Helferin zur Einigung des zer- klüfteten Landes dienenden städtischen Gerichtsbarkeit gegenüber den Teil- fürsten und dem Landadel, namentlich aber gegenüber dem Bistum und Domkapitel. 1 Vgl. H. Grotefend, Stammtafeln der Schlesischen Fürsten. 2. Auft. Breslau 1889, Tafel XVII S. 26 und Konrad Wutke, Stamm- und Uber- sichtstafeln der Schlesischen Fürsten. Breslau 1911, Tafel I (Ubersichtstafel des Gesamthauses der Schlesischen Piasten) und Tafel II (Breslau-Liegnitz-Brieg) sowie Anmerkungen S. 3ff. (die polnischen Vorfahren Wladyslaws II., des Stammvaters aller schlesischen Piasten, der als Wlodxislaw II. Fürst von Krakau und Schlesien hieß, geb. 1105, gest. 1159).
Die Vorgeschichte des Konflikts. 315 und dem er ein genehmer Inhaber des Breslauer Bischofsstuhles sein mußte. Nach einem späteren Briefe Urbans VI. (8. Juli 1382) hätten auch schon Karl IV. und einige Räte König Wenzels die Transferierung des Lebusers nach Breslau empfohlen. König Wenzel aber nahm jetzt gegenüber dieser Postulation des Kapitels eine völlig ablehnende Haltung ein. Politisch-dynastische Gründe mögen ihn dabei bestimmt haben: durch die Erwerbung des reichen Bres- lauer Bistums schien die Position der aus dem polnischen Königshause stammenden 1 und polnischer Sympathien verdächtigen schlesischen Piasten, insbesondere die Macht der herzoglichen Linie Brieg-Liegnitz allzuschr gestärkt. Entscheidender aber wirkten andere Momente. Sowohl die Postulierung des Lebuser Bischofs und Herzogs von Liegnitz zum Bischof von Breslau als die Ubertragung der Gesamtadministration des vakanten Bistums auf ihn war nur die Folge und der Ausdruck einer weit zuriickreichenden tiefen, ja leidenschaftlichen Verstimmung des Kapitels üiber seine finanzielle, wirtschaftliche und politische Lage. Das verraten am deutlichsten die beiden schroffsten Akte seines frondierenden Vorgehens: die Verhängung des Interdikts, mit der es, wie wir sahen, seine Offensive eröffnete, und als vierter und letzter Schlag die Verlegung des Kapitel- sitzes des geistlichen Gerichts und der Residenz des Generaladministrators Wenzel von Breslau nach Neiße-Ottmachau, dem Bistumsland, unter Mitführung aller Reliquien und kirchlichen Geräte und Gewänder. König Wenzels Stellung zum Domkapitel und zu dessen Entscheidung in der Bischofswahl beeinflußten wesentlich die ungeahnten Folgen des tragikomischen Bierkriegs. Dieses seltsame Intermezxo, scheinbar hervor- gegangen aus der Streitfrage der Schankgerechtigkeit des städtischen Rats und des Domkapitels, entsprang eben doch jenem alten, tieferen Gegen- satz, der schon unter Karl IV. 1367—70 einen ernsten Prinzipienkampf entfacht hatte. Es handelte sich im Grunde um die Kompetenz der städtischen Gerichtsbarkeit von Breslau, die in dem königlichen Landes- hauptmann, einem Beamten der böhmischen Krone, und in seinem Beirat und seinen Organen, den Ratsherren und Schöffen der Stadt und des Landes Breslau, sich auswuchs zu einem Werkzeug der Zentrali- sierung des Gerichts- und Verwaltungswesens von ganz Schlesien, ja geradezu eine Zusammenfassung der unmittelbaren und mittelbaren Teilfürstentümer unter dem Namen der Hauptstadt und des Herzogtums Breslau vorbereitete. Es handelte sich um die Abgren- zung dieser der Königsgewalt als Helferin zur Einigung des zer- klüfteten Landes dienenden städtischen Gerichtsbarkeit gegenüber den Teil- fürsten und dem Landadel, namentlich aber gegenüber dem Bistum und Domkapitel. 1 Vgl. H. Grotefend, Stammtafeln der Schlesischen Fürsten. 2. Auft. Breslau 1889, Tafel XVII S. 26 und Konrad Wutke, Stamm- und Uber- sichtstafeln der Schlesischen Fürsten. Breslau 1911, Tafel I (Ubersichtstafel des Gesamthauses der Schlesischen Piasten) und Tafel II (Breslau-Liegnitz-Brieg) sowie Anmerkungen S. 3ff. (die polnischen Vorfahren Wladyslaws II., des Stammvaters aller schlesischen Piasten, der als Wlodxislaw II. Fürst von Krakau und Schlesien hieß, geb. 1105, gest. 1159).
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316 Exkurse zum Breslauer Bistumsstreit (1380/82). Schon bei jenem früheren Jurisdiktionskonflikt hatte sich der Gegen- satz zwischen der Bürgerschaft und dem Kapitel scharf zugespitzt, bis zu gegenseitiger Beschimpfung. Im Jahre 1369 hatte der Vertreter der Stadt Breslau vor dem Konsistorium der römischen Kurie in Avignon die Kanoniker der Breslauer Kathedrale Räuber, Wucherer, Hurer, Mörder gescholten und des Verrats gegen ihren böhmischen Landeskönig, heim- licher Konspirationen mit dem König von Polen bezichtigt, die darauf abzielen sollten, ihm Schlesien in die Hände zu spielen. Auf der andern Seite war offenbar gegen die Breslauer Bürgerschaft der Vorwurf des Ketzertums lautgeworden1. Unter der Führung und auf Anstiften des Dechanten, Herzog Heinrichs von Liegnitz, und unter heimlicher oder offener Mitwirkung seines Bruders, des Generaladministrators des Bis- tums, Herzog Wenzels von Liegnitz, Bischofs von Lebus, waren jetzt zwei gefährliche Waffen, Interdikt und Sexession, zur Anwendung gebracht, deren erste schon einmal, in jenem früheren Jurisdiktionsstreit, vom Kapitel zu seinem eigenen Schaden benutzt worden war, während es mit der andern damals nur gedroht hatte. Beide mußten den neuen König, der nun im Juni 1381 zum ersten Mal nach seiner Thronbesteigung Schlesien besuchte, reizen. Die peinlichen Wirkungen des Interdikts auf die Huldigungsfeier sind oben S. 32f. dargestellt. Das damalige Verhalten des Breslauer Domkapitels und der von ihm abhängigen Breslauer Geistlichkeit widersprach schroff dem rechtskräftigen Urteil, das Kaiser Karl IV. am 30. Januar 1370 in dem seit 1367 schwebenden Jurisdiktionsstreit zwischen dem Breslauer Domkapitel und der Stadt Breslau als vom Papst bevollmächtigter Schiedsrichter gefällt hatte. Damals handelte es sich gleichfalls um eine unsäglich geringfügige Sache: ein Eingesessener der Domkirche hatte das Pferd eines Breslauer Bürgers verletzt und war deshalb vom Landvogt von Breslau vor Gericht gezogen und bestraft worden, darauf hatte das Kapitel wegen Eingriffs in seine Rechte die Stadt Breslau mit dem Interdikt belegt. Nach lang- wierigen Proxeßverhandlungen in Lucca entschied Karl IV. den erbitterten Prinzipienstreit dahin, daß dem Hauptmann und Rat von Breslau das Recht zustehe, alle Untertanen des Bischofs und der Kirche wegen irgend- welcher Vergehen oder Verbrechen, auch wegen Schulden, vor das städtische Gericht zu zichen und dort zu richten, ohne daß deshalb der Bischof und das Kapitel über die Stadt das Interdikt verhängen dürfe. Es lag also ein völlig klares, aus päpstlichem Auftrag erflossenes, durch könig- liche Willensmeinung geschaffenes Präjudix vor, das bindend war. Seine Nichtbeachtung und offenkundige Verletzung bedeutete eine Auflehnung gegen die Autorität der böhmischen Krone2. Für die Berechtigung des Interdikts von 1381 oder gar seine Aufrechterhaltung haben sich dem- gemäß denn auch weder Papst Urban VI. noch der Metropolit des Bres- lauer Bistums, Erzbischof Johann von Gnesen, eingesetzt. Beide haben 1 Vgl. Schulte a. a. O. S. 43f. 110. Beilagen Nr. 23, S. 201 (wo statt raptores, usuarios gelesen werden muß: raptores, usurarios). 2 Vgl. die fesselnde Darstellung dieses älteren Breslauer Jurisdiktionsstreits bei Schulte a. a. O. S. 110 und Beilagen Nr. 21, S. 193—198.
316 Exkurse zum Breslauer Bistumsstreit (1380/82). Schon bei jenem früheren Jurisdiktionskonflikt hatte sich der Gegen- satz zwischen der Bürgerschaft und dem Kapitel scharf zugespitzt, bis zu gegenseitiger Beschimpfung. Im Jahre 1369 hatte der Vertreter der Stadt Breslau vor dem Konsistorium der römischen Kurie in Avignon die Kanoniker der Breslauer Kathedrale Räuber, Wucherer, Hurer, Mörder gescholten und des Verrats gegen ihren böhmischen Landeskönig, heim- licher Konspirationen mit dem König von Polen bezichtigt, die darauf abzielen sollten, ihm Schlesien in die Hände zu spielen. Auf der andern Seite war offenbar gegen die Breslauer Bürgerschaft der Vorwurf des Ketzertums lautgeworden1. Unter der Führung und auf Anstiften des Dechanten, Herzog Heinrichs von Liegnitz, und unter heimlicher oder offener Mitwirkung seines Bruders, des Generaladministrators des Bis- tums, Herzog Wenzels von Liegnitz, Bischofs von Lebus, waren jetzt zwei gefährliche Waffen, Interdikt und Sexession, zur Anwendung gebracht, deren erste schon einmal, in jenem früheren Jurisdiktionsstreit, vom Kapitel zu seinem eigenen Schaden benutzt worden war, während es mit der andern damals nur gedroht hatte. Beide mußten den neuen König, der nun im Juni 1381 zum ersten Mal nach seiner Thronbesteigung Schlesien besuchte, reizen. Die peinlichen Wirkungen des Interdikts auf die Huldigungsfeier sind oben S. 32f. dargestellt. Das damalige Verhalten des Breslauer Domkapitels und der von ihm abhängigen Breslauer Geistlichkeit widersprach schroff dem rechtskräftigen Urteil, das Kaiser Karl IV. am 30. Januar 1370 in dem seit 1367 schwebenden Jurisdiktionsstreit zwischen dem Breslauer Domkapitel und der Stadt Breslau als vom Papst bevollmächtigter Schiedsrichter gefällt hatte. Damals handelte es sich gleichfalls um eine unsäglich geringfügige Sache: ein Eingesessener der Domkirche hatte das Pferd eines Breslauer Bürgers verletzt und war deshalb vom Landvogt von Breslau vor Gericht gezogen und bestraft worden, darauf hatte das Kapitel wegen Eingriffs in seine Rechte die Stadt Breslau mit dem Interdikt belegt. Nach lang- wierigen Proxeßverhandlungen in Lucca entschied Karl IV. den erbitterten Prinzipienstreit dahin, daß dem Hauptmann und Rat von Breslau das Recht zustehe, alle Untertanen des Bischofs und der Kirche wegen irgend- welcher Vergehen oder Verbrechen, auch wegen Schulden, vor das städtische Gericht zu zichen und dort zu richten, ohne daß deshalb der Bischof und das Kapitel über die Stadt das Interdikt verhängen dürfe. Es lag also ein völlig klares, aus päpstlichem Auftrag erflossenes, durch könig- liche Willensmeinung geschaffenes Präjudix vor, das bindend war. Seine Nichtbeachtung und offenkundige Verletzung bedeutete eine Auflehnung gegen die Autorität der böhmischen Krone2. Für die Berechtigung des Interdikts von 1381 oder gar seine Aufrechterhaltung haben sich dem- gemäß denn auch weder Papst Urban VI. noch der Metropolit des Bres- lauer Bistums, Erzbischof Johann von Gnesen, eingesetzt. Beide haben 1 Vgl. Schulte a. a. O. S. 43f. 110. Beilagen Nr. 23, S. 201 (wo statt raptores, usuarios gelesen werden muß: raptores, usurarios). 2 Vgl. die fesselnde Darstellung dieses älteren Breslauer Jurisdiktionsstreits bei Schulte a. a. O. S. 110 und Beilagen Nr. 21, S. 193—198.
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Die Vorgeschichte des Konflikts. 317 vielmehr alsbald Schritte getan, um es auf anständige Weise, ohne die Würde der Kirche zu schädigen, aus der Welt zu schaffen. Unter diesen Umständen muß jeder gerecht Urteilende es König Wenzel nachfühlen, wenn er erbittert sich als Herren in eigenem Lande zeigen wollte und den Ansprüchen und Entschließungen des Domkapitels nachdrücklich entgegentrat. Der Postulierung des Liegnitzer Herzogs zum Bischof von Breslau widersetzte er sich nun begreiflicherweise mit aller Entschiedenheit und stellte ihm als seinen Kandidaten einen böhmischen Adligen Andreas von Duba, Dechanten von Leitmeritz, gegenüber, ob- gleich Papst Urban VI. fraglos dem Bischof von Lebus, Herzog Wenzel von Liegnitz, das Breslauer Bistum zuwenden wollte. Respektlose Außerungen einiger in Breslau zurückgebliebener Kano- niker reizten überdies den König aufs äußerste. In seiner Beschwerde an den Papst und auch in den Erklärungen der Vertreter der Stadt Breslau wird darauf besonderes Gewicht gelegt. Er setzte nun auch seinerseits Drohungen, die einst sein Vater im Jurisdiktionsstreit gegen den Breslauer Bischof Preczlaw und dessen Domkapitel hatte aussprechen lassen, in die Tat um. Sein böhmisches Gefolge drang in die Be- sitzungen des Bischofs, des Kapitels sowie der Abte des Prämonstratenser- stifts St. Vinzenz (auf dem Elbing) und des Augustinerchorherrenstifts zu St. Marien (auf dem Sande), am nächsten Tag auch in den Bischofs- hof, die Domherrenkurien, die beiden genannten Stifter und nahm die dort vorgefundenen Habseligkeiten und Lebensmittel fort. Der eine Abt entfloh, der andere wurde auf dem Breslauer Rathaus gefangen gesetzt. Der noch in Breslau zurückgebliebene Rest des Domkapitels stob nun auseinander. Gegen die Spezial-Bestallung oder vielmehr nur Delegation oder De- putation des Bischofs Wenzel von Lebus, Herzogs von Liegnitz, xum Generaladministrator des vakanten Bistums durch das Kapitel war frei- lich formell nichts einzuwenden. Denn während der Sedisvakanz galt eo ipso das Kapitel als der eigentliche Inhaber der Verwaltung der Diö- zese und konnte sie entweder selbst in corpore oder durch Mandatare ausüben. Uberdies hatte Bischof Wenzel sich dank seiner alten guten Beziehungen zum römischen Stuhl auch noch die Bestätigung Urbans VI. zu erwirken gewußt 1. So verpufften König Wenzels Befehle und Verbote 1 In dem Schreiben Urbans VI. an den Kardinal Pileus vom 13. August 1381 (Schulte a. a. O. Beilagen Nr. 29, S. 234, Z. 10—12) heißt es: tandem admini- strator dicte ecclesie auctoritate apostolica deputatus ad instanciam dictorum capituli predictam ciuitatem supposuit ecclescatico interdicto et inibi cessari fecit penitus a diuinis. Das bexieht Schulte a. a. O. S. 106 und Anm. 4 auf den Dechanten Heinrich und schließt daraus, daß dieser tatsächlich der Admini- strator des Bistums nicht nur durch die Wahl des Domkapitels, sondern auch nach päpstlicher Bestätigung war'. Allerdings war er am 7. Januar 1381, dem Tage der Verhängung des Interdikts. noch Administrator (Schulte a. a. O. S. 93), aber doch nur in temporalibus. Ich glaube daher, Urban VI. hätte, wenn er mit den oben angeführten Worten nur an den Augenblick der Interdikts- verhängung gedacht hatte, wo noch kein Generaladministrator vorhanden war, gerade so wie der Erabischof Johann von Gnesen in seinem — übrigens höchst
Die Vorgeschichte des Konflikts. 317 vielmehr alsbald Schritte getan, um es auf anständige Weise, ohne die Würde der Kirche zu schädigen, aus der Welt zu schaffen. Unter diesen Umständen muß jeder gerecht Urteilende es König Wenzel nachfühlen, wenn er erbittert sich als Herren in eigenem Lande zeigen wollte und den Ansprüchen und Entschließungen des Domkapitels nachdrücklich entgegentrat. Der Postulierung des Liegnitzer Herzogs zum Bischof von Breslau widersetzte er sich nun begreiflicherweise mit aller Entschiedenheit und stellte ihm als seinen Kandidaten einen böhmischen Adligen Andreas von Duba, Dechanten von Leitmeritz, gegenüber, ob- gleich Papst Urban VI. fraglos dem Bischof von Lebus, Herzog Wenzel von Liegnitz, das Breslauer Bistum zuwenden wollte. Respektlose Außerungen einiger in Breslau zurückgebliebener Kano- niker reizten überdies den König aufs äußerste. In seiner Beschwerde an den Papst und auch in den Erklärungen der Vertreter der Stadt Breslau wird darauf besonderes Gewicht gelegt. Er setzte nun auch seinerseits Drohungen, die einst sein Vater im Jurisdiktionsstreit gegen den Breslauer Bischof Preczlaw und dessen Domkapitel hatte aussprechen lassen, in die Tat um. Sein böhmisches Gefolge drang in die Be- sitzungen des Bischofs, des Kapitels sowie der Abte des Prämonstratenser- stifts St. Vinzenz (auf dem Elbing) und des Augustinerchorherrenstifts zu St. Marien (auf dem Sande), am nächsten Tag auch in den Bischofs- hof, die Domherrenkurien, die beiden genannten Stifter und nahm die dort vorgefundenen Habseligkeiten und Lebensmittel fort. Der eine Abt entfloh, der andere wurde auf dem Breslauer Rathaus gefangen gesetzt. Der noch in Breslau zurückgebliebene Rest des Domkapitels stob nun auseinander. Gegen die Spezial-Bestallung oder vielmehr nur Delegation oder De- putation des Bischofs Wenzel von Lebus, Herzogs von Liegnitz, xum Generaladministrator des vakanten Bistums durch das Kapitel war frei- lich formell nichts einzuwenden. Denn während der Sedisvakanz galt eo ipso das Kapitel als der eigentliche Inhaber der Verwaltung der Diö- zese und konnte sie entweder selbst in corpore oder durch Mandatare ausüben. Uberdies hatte Bischof Wenzel sich dank seiner alten guten Beziehungen zum römischen Stuhl auch noch die Bestätigung Urbans VI. zu erwirken gewußt 1. So verpufften König Wenzels Befehle und Verbote 1 In dem Schreiben Urbans VI. an den Kardinal Pileus vom 13. August 1381 (Schulte a. a. O. Beilagen Nr. 29, S. 234, Z. 10—12) heißt es: tandem admini- strator dicte ecclesie auctoritate apostolica deputatus ad instanciam dictorum capituli predictam ciuitatem supposuit ecclescatico interdicto et inibi cessari fecit penitus a diuinis. Das bexieht Schulte a. a. O. S. 106 und Anm. 4 auf den Dechanten Heinrich und schließt daraus, daß dieser tatsächlich der Admini- strator des Bistums nicht nur durch die Wahl des Domkapitels, sondern auch nach päpstlicher Bestätigung war'. Allerdings war er am 7. Januar 1381, dem Tage der Verhängung des Interdikts. noch Administrator (Schulte a. a. O. S. 93), aber doch nur in temporalibus. Ich glaube daher, Urban VI. hätte, wenn er mit den oben angeführten Worten nur an den Augenblick der Interdikts- verhängung gedacht hatte, wo noch kein Generaladministrator vorhanden war, gerade so wie der Erabischof Johann von Gnesen in seinem — übrigens höchst
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318 Exkurse zum Breslauer Bistumsstreit (1380/82). an ihn und die übrigen Fürsten Schlesiens ohne sichtbaren Erfolgd. Eher wirkte es schon, daß im Sommer des Jahres 1381 König Wenzel gegen den Oheim des Liegnitzer Brüderpaars, Herzog Ludwig I. von Brieg, und sein Land mit bewaffneter Macht vorging. Viel sicherlich auch das entschiedene Auftreten des Königs dem Papst Urban VI. gegen- über, an den er durch einen Gesandten eine scharfe Beschwerde über das Breslauer Domkapitel richtete mit der Bitte um Entsendung eines Schieds- richters und rasche Aufhebung oder Suspendierung des Interdikts, zu- gleich unter lobender Anerkennung der ruhigen Haltung der Breslauer Bürger, die bei dem ganzen Vorfall sich als entschiedene Anhänger des böhmischen Königtums bewähren. 2. Die Vermittlung des Konflikts. Jener frühere Breslauer Jurisdiktionsstreit zwischen Bürgerschaft und Domkapitel war durch die politische Klugheit und Erfahrung des ge- schäftskundigen und besonnenen Bischofs Preczlaw.l die diplomatische Meisterschaft Karls IV. in die Bahn der Mäßigung gelenkt und durch den wohlerwogenen Schiedssprueh des Kaisers leidlich geschlichtet worden. Jetzt aber standen an der Spitze der angreifenden Partei hitzige junge Männer: die drei Liegnitzer Brüder, die Herzöge Ruprecht, Wenzel. Heinrich, und hinter ihnen die gekränkte Spenderin der Weihnachtsgabe. deren Brief man aufgefangen und als Handhabe für die Konfiskation der Bierladung benutzt hatte2, die Herzogin Hedwig, Tochter Herzoy Heinrichs I. von Glogau, Ruprechts Gattin und Witwe König Kasimirs von Polen; auf der andern Seite ein jähzorniger, erst zwanzigjähriger König. Hier einen Ausgleich zu schaffen war schwierig und es hat fast volle zwei Jahre gedauert, bis es gelang. König Wenzel verharrte in seiner ablehnenden Stellung gegen den vom Breslauer Domkapitel zum Bischof postulierten piastischen Bischof Wenzel aus sehr triftigen Gründen. Er erblickte mit Recht in dem Verfahren des Kapitels, in der eigenmächtigen Verhängung des Interdikts, einen offenen Vorstoß gegen das erwähnte, 1370 von seinem Vater Karl IV. als vom Papst delegiertem Schiedsrichter in einem ähnlichen Jurisdiktions- streit zwischen der Stadt und dem Domkapitel Breslau gefällte Urteil. Und mit sehr begreiflichem Mißtrauen verfolgte Wenzel die politischen verständigen, xu Frieden und Versöhnung mahnenden Schreiben vom 25. Ja- nuar 1381 (Schulte, Beilagen Nr. 20 S. 192) Administratoribus et capitula ecclesie Wratislauiensis seine Weisungen erteilt. Ich glaube daher, Urban VI. hat nicht den 7. Januar 1381, sondern einen späteren Zeitpunkt im Auge, wo der Streit bereits länger gewährt und sich von beiden Seiten verschärft hatte. Damals war aber bereits Bischof Wenxel von Lebus Generaladministrator und doch wohl ihm gilt jenes auctoritate apostolica deputatus, das dem Titel specialiter deputatus (s. oben S. 314, Anm.) entspricht. 1 Schulte a. a. O. S. 122. 123. 143 und Anm. 2. 2 Vgl. das Schreiben des Gnesener Erxbischofs Johann an die Breslauer Administratoren (25. Januar 1381, bei Schulte Beilagen Nr. 20 S. 192, daxu im Texte S. 103).
318 Exkurse zum Breslauer Bistumsstreit (1380/82). an ihn und die übrigen Fürsten Schlesiens ohne sichtbaren Erfolgd. Eher wirkte es schon, daß im Sommer des Jahres 1381 König Wenzel gegen den Oheim des Liegnitzer Brüderpaars, Herzog Ludwig I. von Brieg, und sein Land mit bewaffneter Macht vorging. Viel sicherlich auch das entschiedene Auftreten des Königs dem Papst Urban VI. gegen- über, an den er durch einen Gesandten eine scharfe Beschwerde über das Breslauer Domkapitel richtete mit der Bitte um Entsendung eines Schieds- richters und rasche Aufhebung oder Suspendierung des Interdikts, zu- gleich unter lobender Anerkennung der ruhigen Haltung der Breslauer Bürger, die bei dem ganzen Vorfall sich als entschiedene Anhänger des böhmischen Königtums bewähren. 2. Die Vermittlung des Konflikts. Jener frühere Breslauer Jurisdiktionsstreit zwischen Bürgerschaft und Domkapitel war durch die politische Klugheit und Erfahrung des ge- schäftskundigen und besonnenen Bischofs Preczlaw.l die diplomatische Meisterschaft Karls IV. in die Bahn der Mäßigung gelenkt und durch den wohlerwogenen Schiedssprueh des Kaisers leidlich geschlichtet worden. Jetzt aber standen an der Spitze der angreifenden Partei hitzige junge Männer: die drei Liegnitzer Brüder, die Herzöge Ruprecht, Wenzel. Heinrich, und hinter ihnen die gekränkte Spenderin der Weihnachtsgabe. deren Brief man aufgefangen und als Handhabe für die Konfiskation der Bierladung benutzt hatte2, die Herzogin Hedwig, Tochter Herzoy Heinrichs I. von Glogau, Ruprechts Gattin und Witwe König Kasimirs von Polen; auf der andern Seite ein jähzorniger, erst zwanzigjähriger König. Hier einen Ausgleich zu schaffen war schwierig und es hat fast volle zwei Jahre gedauert, bis es gelang. König Wenzel verharrte in seiner ablehnenden Stellung gegen den vom Breslauer Domkapitel zum Bischof postulierten piastischen Bischof Wenzel aus sehr triftigen Gründen. Er erblickte mit Recht in dem Verfahren des Kapitels, in der eigenmächtigen Verhängung des Interdikts, einen offenen Vorstoß gegen das erwähnte, 1370 von seinem Vater Karl IV. als vom Papst delegiertem Schiedsrichter in einem ähnlichen Jurisdiktions- streit zwischen der Stadt und dem Domkapitel Breslau gefällte Urteil. Und mit sehr begreiflichem Mißtrauen verfolgte Wenzel die politischen verständigen, xu Frieden und Versöhnung mahnenden Schreiben vom 25. Ja- nuar 1381 (Schulte, Beilagen Nr. 20 S. 192) Administratoribus et capitula ecclesie Wratislauiensis seine Weisungen erteilt. Ich glaube daher, Urban VI. hat nicht den 7. Januar 1381, sondern einen späteren Zeitpunkt im Auge, wo der Streit bereits länger gewährt und sich von beiden Seiten verschärft hatte. Damals war aber bereits Bischof Wenxel von Lebus Generaladministrator und doch wohl ihm gilt jenes auctoritate apostolica deputatus, das dem Titel specialiter deputatus (s. oben S. 314, Anm.) entspricht. 1 Schulte a. a. O. S. 122. 123. 143 und Anm. 2. 2 Vgl. das Schreiben des Gnesener Erxbischofs Johann an die Breslauer Administratoren (25. Januar 1381, bei Schulte Beilagen Nr. 20 S. 192, daxu im Texte S. 103).
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Die Vermittlung des Konflikts. 319 Schachzüge der ihr Vasallitätsverhältnis zur Krone Böhmen widerwillig tragenden Piastenherzöge, deren Macht durch Verleihung des reichen Bis- tums Breslau an ein Mitglied ihrer Sippe zu stärken wenig der vom Vater ererbten Zentralisierungstendenz seiner Regierung entsprach. In dieser außerordentlich verworrenen Lage, die durch die fortgesetzte kirchliche Parteiung infolge des päpstlichen Schismas sowie auch durch die zwischen der päpstlichen Finanzverwaltung und dem Domkapitel schwebenden Streitigkeit über die Einkünfte des Bistums und die an die päpstlichen Kollektoren abzuführenden Steuern noch ungeklärter wurde, hat Nikolaus von Riesenburg, der Propst von Bonn und frühere Protonotar Karls IV. und Wenzels, als Führer den Weg zu einem Aus- gleich gefunden, der für die beleidigte Ehre des Königs Sühne brachte und die verletzte Autorität und Souveränität der Krone wieder herstellte. Er wußte die jüngeren Mitglieder des Kapitels, namentlich solche, die an dem Beschluß über die Interdiktsverhängung nicht mitgewirkt hatten oder dem königlichen Hof näher verbunden waren, zu sammeln, um so die Einheit des widerspenstigen Kapitels zu sprengen und allmählich eine Umkehr auf der eingeschlagenen Bahn, eine Unterwerfung unter die Ober- hoheit des königlichen Lehnsherren und Patrons vorzubereiten. Zahlreiche Kapitelsitzungen fanden vom März bis Mai 1382 statt: in dem dissentierenden Teil des Kapitels trat jetzt an die Seite des Nikolaus von Riesenburg, gleich ihm in friedlichem Sinne wirkend, der Breslauer Dom- herr und Propst von Lebus, Johannes oder Hanko Brunonis, gleich jenem eine Größe der Kanzlei und ein Nachfolger Johanns von Neu- markt (vgl. oben S. 34). Damals wurden gegen den in Ottmachau resi- dierenden herzoglichen und bischöflichen Generaladministrator des vakanten Bistums, Wenzel von Liegnitz, diese beiden Männer als neue Bistums- administratoren in temporalibus et spiritualibus deputiert. Doch wohl im Einvernehmen mit dem zu jener Zeit in Breslau weilenden päpst- lichen Nuntius. Freilich bald hernach trat zwischen dem königstreuen Teil des Domkapitels und den Entschlüssen des Papstes Urbans VI. ein Gegensatz hervor. Die frühere Majorität des Domkapitels, die unter be- sonderer Mitwirkung des Dechanten Heinrich, Herzogs von Liegnitz, und des oben genannten Archidiakons Nikolaus Henrici von Posen das Interdikt beschlossen und die — nach dem Bericht des freilich parteilich tendenziösen polnischen Chronisten Johann von Cxarnkow sogar ein- stimmige — Postulierung des Bischofs Wenzel von Lebus erreicht hatte, setzte bei der römischen Kurie, wo von Ottmachau aus durch Agenten erfolgreich vorgearbeitet war, die Ernennung des Postulierten zum Bischof von Breslau durch (Erlaß vom 19. April 1382). Gegen diese Ernennung legte die königstreue Minorität unter Nikolaus von Riesenburg bei der Kurie wirkungslos Berufung ein. König Wenzel aber seinerseits hielt fest an seiner Weigerung, den Bischof von Lebus, Herzog Wenzel von Liegnitz, als Bischof von Breslau anzuerkennen. Dennoch gelang es Nikolaus von Riesenburg, langsam eine Brücke der Verständigung zu bauen. Am 7. und 27. Mai 1382 kam in einer Reihe feierlicher Ur- kunden ein Friedensvertrag zustande, der, wic oben S. 33. 40 dargelegt ist, das Recht des Bierausschanks zwischen den beiden streitenden Par-
Die Vermittlung des Konflikts. 319 Schachzüge der ihr Vasallitätsverhältnis zur Krone Böhmen widerwillig tragenden Piastenherzöge, deren Macht durch Verleihung des reichen Bis- tums Breslau an ein Mitglied ihrer Sippe zu stärken wenig der vom Vater ererbten Zentralisierungstendenz seiner Regierung entsprach. In dieser außerordentlich verworrenen Lage, die durch die fortgesetzte kirchliche Parteiung infolge des päpstlichen Schismas sowie auch durch die zwischen der päpstlichen Finanzverwaltung und dem Domkapitel schwebenden Streitigkeit über die Einkünfte des Bistums und die an die päpstlichen Kollektoren abzuführenden Steuern noch ungeklärter wurde, hat Nikolaus von Riesenburg, der Propst von Bonn und frühere Protonotar Karls IV. und Wenzels, als Führer den Weg zu einem Aus- gleich gefunden, der für die beleidigte Ehre des Königs Sühne brachte und die verletzte Autorität und Souveränität der Krone wieder herstellte. Er wußte die jüngeren Mitglieder des Kapitels, namentlich solche, die an dem Beschluß über die Interdiktsverhängung nicht mitgewirkt hatten oder dem königlichen Hof näher verbunden waren, zu sammeln, um so die Einheit des widerspenstigen Kapitels zu sprengen und allmählich eine Umkehr auf der eingeschlagenen Bahn, eine Unterwerfung unter die Ober- hoheit des königlichen Lehnsherren und Patrons vorzubereiten. Zahlreiche Kapitelsitzungen fanden vom März bis Mai 1382 statt: in dem dissentierenden Teil des Kapitels trat jetzt an die Seite des Nikolaus von Riesenburg, gleich ihm in friedlichem Sinne wirkend, der Breslauer Dom- herr und Propst von Lebus, Johannes oder Hanko Brunonis, gleich jenem eine Größe der Kanzlei und ein Nachfolger Johanns von Neu- markt (vgl. oben S. 34). Damals wurden gegen den in Ottmachau resi- dierenden herzoglichen und bischöflichen Generaladministrator des vakanten Bistums, Wenzel von Liegnitz, diese beiden Männer als neue Bistums- administratoren in temporalibus et spiritualibus deputiert. Doch wohl im Einvernehmen mit dem zu jener Zeit in Breslau weilenden päpst- lichen Nuntius. Freilich bald hernach trat zwischen dem königstreuen Teil des Domkapitels und den Entschlüssen des Papstes Urbans VI. ein Gegensatz hervor. Die frühere Majorität des Domkapitels, die unter be- sonderer Mitwirkung des Dechanten Heinrich, Herzogs von Liegnitz, und des oben genannten Archidiakons Nikolaus Henrici von Posen das Interdikt beschlossen und die — nach dem Bericht des freilich parteilich tendenziösen polnischen Chronisten Johann von Cxarnkow sogar ein- stimmige — Postulierung des Bischofs Wenzel von Lebus erreicht hatte, setzte bei der römischen Kurie, wo von Ottmachau aus durch Agenten erfolgreich vorgearbeitet war, die Ernennung des Postulierten zum Bischof von Breslau durch (Erlaß vom 19. April 1382). Gegen diese Ernennung legte die königstreue Minorität unter Nikolaus von Riesenburg bei der Kurie wirkungslos Berufung ein. König Wenzel aber seinerseits hielt fest an seiner Weigerung, den Bischof von Lebus, Herzog Wenzel von Liegnitz, als Bischof von Breslau anzuerkennen. Dennoch gelang es Nikolaus von Riesenburg, langsam eine Brücke der Verständigung zu bauen. Am 7. und 27. Mai 1382 kam in einer Reihe feierlicher Ur- kunden ein Friedensvertrag zustande, der, wic oben S. 33. 40 dargelegt ist, das Recht des Bierausschanks zwischen den beiden streitenden Par-
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320 Exkurse zum Breslauer Bistumsstreit (1380/82). teien durch lokale Abgrenzung teilte. Dafür erklärte im übrigen das Domkapitel seine und des Bistums Breslau Unterwerfung unter das Pa- tronat und die Lehnshoheit des Königs von Böhmen in einer Reihe wich- tiger Festsetzungen, auf die ich unten (S. 342ff.) zurückkomme. 3. Nikolaus Henrici aus Posen. a) Sein Lebensgang. Wir besitzen von einem der Hauptschuldigen an der Verschärfung des Streites, dem schon genannten Breslauer Archidiakon Nikolaus Henrici aus Posen1 interessante Briefe, die das Zustandekommen der Versöhnung, zugleich aber auch die persönlichen Eigenschaften und Be- ziehungen der Beteiligten beleuchten. Es sind dies die Dictamina domini Nicolai, ein Anhang des wichtigen, von Wattenbach herausgegebenen und erläuterten Formelbuchs Arnolds von Protzan (s. oben S. 34 Anm. 1) in der 1378 für Nikolaus hergestellten Handschrift der Königsberger Universitätsbibliothek. Dieser Arnold von Protzan, dessen Wirksamkeit sich von 1293 bis 1338 verfolgen läßt, war Notar und Kaplan des Bres- lauer Bischofs, in Bologna kanonistisch gebildet, Magister, Archi- diakon von Glogau, hauptsächlich aber Notar im Dienst der Breslauer bischöflichen Kanzlei, doch im Konflikt zwischen dem aus Krakau trans- ferierten und dorthin sich zurücksehnenden Bischof Nanker und dem Domkapitel auf Sciten des letzteren, in seiner späteren Zeit auch Pfarrer zu Protzan bei Frankenstein. Sein Formelbuch war für den Gebrauch der Bischofskanzlei bestimmt: es gibt fast nur Aktenstücke aus dieser und stellt ihren Geschäftskreis ziemlich vollständig vor Augen. Bischöflicher Notar in Breslau und Pfarrer in Protzan war gerade so wie Arnold von Protzan auch Nikolaus Henrici aus Posen. Grund genug für diesen, sich des älteren Kollegen Formularbuch kopieren zu lassen. Er selbst hatte seine an verschiedenen Orten länger als vier Jahre betriebenen Studien ein Jahr an der Universität Prag und während dreier Quartale in Bologna durch Studium des kanonischen Rechts fortgesetxt. Urkundlich begegnet er zuerst als Kleriker der Breslauer 1 Vgl. über ihn Wattenbach a. a. O. S. XVIIff.; Grünhagen a. oben S. 32 Anm. a. O.; C. P. Woelky, Zeitschr. f. Gesch. Schlesiens Bd. 8 (1867). S. 472ff.; Heinrich Zeissberg, Die polnische Geschichtschreibung des Mittel- alters, Leipzig 1873 (Preisschriften der Fürstlich Jablonowskischen Gesellschaft der Wissenschaften Nr. XVII), S. 141ff.; Schulte a. a. O. S. 99—103, 128 f. und Beilagen Nr. 8, S. 177, Z. 2 und Nr. 18, S. 190 f.; ferner über die einzelnen in seinen Briefen erwähnten Vorgänge und Personen: S. 92. 95 (Postulation des Bischofs Wenxel von Lebus xum Bischof von Breslau); S. 103 (Verbot des Breslauer Rats, auf der Dominsel Bier xu schenken); S. 106 (bekennt sich als Urheber des Interdikts); S. 126. 129. 141 (Nachrichten über Aufhebung des Interdikts und Aufnahme von Verhandlungen); S. 138 (Verbot König Wenzels an Kapitel und Kanoniker, den Bischof Wenxel von Lebus als Bischof von Breslau aufzunchmen); S. 153 Anm. 2 (Mitaussteller des neuen Kapitelstatuts von 1383); S. 188f. Beilagen Nr. 15 (Päpstliche Kanonikatsverleihung); S. 190. Z. 2 von unten (Bestätigung der Privilegien der Breslauer Kirche durch König Wenxel vom 7. Mai 1382).
320 Exkurse zum Breslauer Bistumsstreit (1380/82). teien durch lokale Abgrenzung teilte. Dafür erklärte im übrigen das Domkapitel seine und des Bistums Breslau Unterwerfung unter das Pa- tronat und die Lehnshoheit des Königs von Böhmen in einer Reihe wich- tiger Festsetzungen, auf die ich unten (S. 342ff.) zurückkomme. 3. Nikolaus Henrici aus Posen. a) Sein Lebensgang. Wir besitzen von einem der Hauptschuldigen an der Verschärfung des Streites, dem schon genannten Breslauer Archidiakon Nikolaus Henrici aus Posen1 interessante Briefe, die das Zustandekommen der Versöhnung, zugleich aber auch die persönlichen Eigenschaften und Be- ziehungen der Beteiligten beleuchten. Es sind dies die Dictamina domini Nicolai, ein Anhang des wichtigen, von Wattenbach herausgegebenen und erläuterten Formelbuchs Arnolds von Protzan (s. oben S. 34 Anm. 1) in der 1378 für Nikolaus hergestellten Handschrift der Königsberger Universitätsbibliothek. Dieser Arnold von Protzan, dessen Wirksamkeit sich von 1293 bis 1338 verfolgen läßt, war Notar und Kaplan des Bres- lauer Bischofs, in Bologna kanonistisch gebildet, Magister, Archi- diakon von Glogau, hauptsächlich aber Notar im Dienst der Breslauer bischöflichen Kanzlei, doch im Konflikt zwischen dem aus Krakau trans- ferierten und dorthin sich zurücksehnenden Bischof Nanker und dem Domkapitel auf Sciten des letzteren, in seiner späteren Zeit auch Pfarrer zu Protzan bei Frankenstein. Sein Formelbuch war für den Gebrauch der Bischofskanzlei bestimmt: es gibt fast nur Aktenstücke aus dieser und stellt ihren Geschäftskreis ziemlich vollständig vor Augen. Bischöflicher Notar in Breslau und Pfarrer in Protzan war gerade so wie Arnold von Protzan auch Nikolaus Henrici aus Posen. Grund genug für diesen, sich des älteren Kollegen Formularbuch kopieren zu lassen. Er selbst hatte seine an verschiedenen Orten länger als vier Jahre betriebenen Studien ein Jahr an der Universität Prag und während dreier Quartale in Bologna durch Studium des kanonischen Rechts fortgesetxt. Urkundlich begegnet er zuerst als Kleriker der Breslauer 1 Vgl. über ihn Wattenbach a. a. O. S. XVIIff.; Grünhagen a. oben S. 32 Anm. a. O.; C. P. Woelky, Zeitschr. f. Gesch. Schlesiens Bd. 8 (1867). S. 472ff.; Heinrich Zeissberg, Die polnische Geschichtschreibung des Mittel- alters, Leipzig 1873 (Preisschriften der Fürstlich Jablonowskischen Gesellschaft der Wissenschaften Nr. XVII), S. 141ff.; Schulte a. a. O. S. 99—103, 128 f. und Beilagen Nr. 8, S. 177, Z. 2 und Nr. 18, S. 190 f.; ferner über die einzelnen in seinen Briefen erwähnten Vorgänge und Personen: S. 92. 95 (Postulation des Bischofs Wenxel von Lebus xum Bischof von Breslau); S. 103 (Verbot des Breslauer Rats, auf der Dominsel Bier xu schenken); S. 106 (bekennt sich als Urheber des Interdikts); S. 126. 129. 141 (Nachrichten über Aufhebung des Interdikts und Aufnahme von Verhandlungen); S. 138 (Verbot König Wenzels an Kapitel und Kanoniker, den Bischof Wenxel von Lebus als Bischof von Breslau aufzunchmen); S. 153 Anm. 2 (Mitaussteller des neuen Kapitelstatuts von 1383); S. 188f. Beilagen Nr. 15 (Päpstliche Kanonikatsverleihung); S. 190. Z. 2 von unten (Bestätigung der Privilegien der Breslauer Kirche durch König Wenxel vom 7. Mai 1382).
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Nikolaus Henrici aus Posen. 321 Diöxese' im Jahr 1349 in einer Supplik an die römische Kurie um Ver- leihung eines Benefiziums in der Stadt oder der Diözese Breslau nach Disposition des Breslauer Bischofs und am 11. Oktober 1349 in der päpstlichen Ubertragung der erbetenen Anwartschaft auf eine solche vakante Pfründe mit oder ohne Seelsorge' und mit einem Ertrage von 25 oder 18 Mark Silbers. Er wurde Advokat des bischöflichen Konsistoriums in Breslau (1356), später (1357) war er auch Pfarrer in Grottkau. In Urkunden ist er als bischöflicher Notar und Kaplan, am 25. April 1357 und weiter am 23. Oktober 1359 als bischöflicher Hofnotar nachgewiesen. Am 2. Mai 1360 begegnet er uns urkundlich als Pfarrer in Protzan bei Frankenstein. Er erlangte auch ein Kanonikat in dem Kollegiatstifte zum heiligen Kreuze in Oppeln, für das er am 21. September 1361 eine Urkunde mit bezeugte. Seit 1363 zeigen ihn uns Urkunden als bischöf- lichen Protonotar. Vom 9. Juli 1367 ab bis zum 31. Mai 1378 kennen wir ihn aber als Notar Kaiser Karls IV1. Wir wissen ferner, daß ihm im März 1371 ein Breslauer Domkanonikat und 1378 das Breslauer Domarchidiakonat zufiel, das er bis zu seinem Tode inne hatte, wenn er auch infolge des oben geschilderten Breslauer Bierkriegs im Jahr 1381 Breslau verließ, längere Zeit bei dem Bischof Heinrich von Ermland Zuflucht fand und nach seiner Aussöhnung mit König Wenzel und Rückkehr nach Breslau (1383) nochmals vorübergehend (1389—1390) in Ermland Aufenthalt nahm. Urkundlich genannt wird er als Breslauer Archidiakon zuletzt am 14. September 1394. Am 24. September 1396 übertrug Papst Bonifax IX. das durch seinen Tod erledigte Breslauer Archidiakonat an Nikolaus von Wohlau. Er wird also im Jahre 1396 gestorben sein. In der Zeit, da er den Titel eines Protonotars des Bischofs von Breslau führte und wahrscheinlich doch, ehe ihm in dem Dienst der Reichskanzlei der Titel eines Notars des Königs zukam, also etwa zwischen 1363 und 13672, stand er, was seinem letzten und gründ- lichsten Biographen, Schulte, entgangen ist, in persönlichen und literari- schen Beziehungen zu dem Herxog Ludwig I. von Liegnitz, den wir oben (S. 318) kennen lernten als Oheim und Familienhaupt der durch 1 Nach Huber (Regesta imperii VIII. S. XLIII, Nr. 22 und Anm., 1. Er- gänzungsheft S. VII, Nr. 32 und Nachträge S. 830, Sp.b) ist unser Breslauer Domherr, Notar und Pfarrer von Protzan, nicht identisch mit dem Notar der Prager Hof- kanzlei, weil dieser bereits an einer Kaiserurkunde vom 8. April 1358 (Reg. 2766) beteiligt ist. Allein Lindner (Urkundenwesen S. 23, Nr. 47) bezeichnet diese Ur- kunde durch eckige Einklammerung (vgl. S. 19, Z. 12 ff. und S. 186—188) als spätere Neuausfertigung. So sehe ich keinen Anlaß, die Gleichsetzung zu bexweifeln. Aller- dings bleibt es auffallend, daß Huber, der sonst in seinem Ergänzungsheft viel- fach auf Grund von Lindners Nachweisen seine eigenen früheren Ermittlungen über das Kanzleipersonal ergänxt oder berichtigt, hier an seiner Auffassung festhält. Gleichwohl meine ich, der bestimmten Angabe Lindners folgen zu müssen: nach ihr begann die Tätigkeit des Nikolaus von Posen in der Reichs- kanzlei erst 1367. 2 Natürlich bedürfen diese Jahresxahlen eines gewissen Vorbehalts, da die erhaltenen oder uns bekannten urkundlichen Nachweise ja nicht vollständig sind.
Nikolaus Henrici aus Posen. 321 Diöxese' im Jahr 1349 in einer Supplik an die römische Kurie um Ver- leihung eines Benefiziums in der Stadt oder der Diözese Breslau nach Disposition des Breslauer Bischofs und am 11. Oktober 1349 in der päpstlichen Ubertragung der erbetenen Anwartschaft auf eine solche vakante Pfründe mit oder ohne Seelsorge' und mit einem Ertrage von 25 oder 18 Mark Silbers. Er wurde Advokat des bischöflichen Konsistoriums in Breslau (1356), später (1357) war er auch Pfarrer in Grottkau. In Urkunden ist er als bischöflicher Notar und Kaplan, am 25. April 1357 und weiter am 23. Oktober 1359 als bischöflicher Hofnotar nachgewiesen. Am 2. Mai 1360 begegnet er uns urkundlich als Pfarrer in Protzan bei Frankenstein. Er erlangte auch ein Kanonikat in dem Kollegiatstifte zum heiligen Kreuze in Oppeln, für das er am 21. September 1361 eine Urkunde mit bezeugte. Seit 1363 zeigen ihn uns Urkunden als bischöf- lichen Protonotar. Vom 9. Juli 1367 ab bis zum 31. Mai 1378 kennen wir ihn aber als Notar Kaiser Karls IV1. Wir wissen ferner, daß ihm im März 1371 ein Breslauer Domkanonikat und 1378 das Breslauer Domarchidiakonat zufiel, das er bis zu seinem Tode inne hatte, wenn er auch infolge des oben geschilderten Breslauer Bierkriegs im Jahr 1381 Breslau verließ, längere Zeit bei dem Bischof Heinrich von Ermland Zuflucht fand und nach seiner Aussöhnung mit König Wenzel und Rückkehr nach Breslau (1383) nochmals vorübergehend (1389—1390) in Ermland Aufenthalt nahm. Urkundlich genannt wird er als Breslauer Archidiakon zuletzt am 14. September 1394. Am 24. September 1396 übertrug Papst Bonifax IX. das durch seinen Tod erledigte Breslauer Archidiakonat an Nikolaus von Wohlau. Er wird also im Jahre 1396 gestorben sein. In der Zeit, da er den Titel eines Protonotars des Bischofs von Breslau führte und wahrscheinlich doch, ehe ihm in dem Dienst der Reichskanzlei der Titel eines Notars des Königs zukam, also etwa zwischen 1363 und 13672, stand er, was seinem letzten und gründ- lichsten Biographen, Schulte, entgangen ist, in persönlichen und literari- schen Beziehungen zu dem Herxog Ludwig I. von Liegnitz, den wir oben (S. 318) kennen lernten als Oheim und Familienhaupt der durch 1 Nach Huber (Regesta imperii VIII. S. XLIII, Nr. 22 und Anm., 1. Er- gänzungsheft S. VII, Nr. 32 und Nachträge S. 830, Sp.b) ist unser Breslauer Domherr, Notar und Pfarrer von Protzan, nicht identisch mit dem Notar der Prager Hof- kanzlei, weil dieser bereits an einer Kaiserurkunde vom 8. April 1358 (Reg. 2766) beteiligt ist. Allein Lindner (Urkundenwesen S. 23, Nr. 47) bezeichnet diese Ur- kunde durch eckige Einklammerung (vgl. S. 19, Z. 12 ff. und S. 186—188) als spätere Neuausfertigung. So sehe ich keinen Anlaß, die Gleichsetzung zu bexweifeln. Aller- dings bleibt es auffallend, daß Huber, der sonst in seinem Ergänzungsheft viel- fach auf Grund von Lindners Nachweisen seine eigenen früheren Ermittlungen über das Kanzleipersonal ergänxt oder berichtigt, hier an seiner Auffassung festhält. Gleichwohl meine ich, der bestimmten Angabe Lindners folgen zu müssen: nach ihr begann die Tätigkeit des Nikolaus von Posen in der Reichs- kanzlei erst 1367. 2 Natürlich bedürfen diese Jahresxahlen eines gewissen Vorbehalts, da die erhaltenen oder uns bekannten urkundlichen Nachweise ja nicht vollständig sind.
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322 Exkurse zum Breslauer Bistumsstreit (1380/82). die Spende des verhängnisvollen Weihnachtsbieres von 1380 in Konflikt mit der Stadt Breslau und König Wenzel geratenen drei Herzöge von Liegnitz. b) Die Bilderhandschriften der Hedwigslegende für die Herzöge von Liegnitz. Wichtiges ergibt uns des Nikolaus von Posen Beteiligung an der be- rühmten Bilderhandschrift der lateinischen Legende der heiligen Hedwig, die früher dem Piaristenstift in Schlackenwerth gehörte, neuer- dings in Wiener Privatbesitz gelangt ist1. Diese Handschrift, deren Hauptteil in das Jahr 1353 fällt, ist von Nicolaus Pruzie (d. h. aus Preußen) geschrieben und vielleicht auch gemalt. Die Schlußnotiz der Legenden lautet (Bl. 147r: Wolfskron S. LI und Schriftprobe): Explicit legenda maior et minor de sancta hedwigi anno domini millesimo trecentesimo quinquagesimo tercio consummata. Comparata autem per inclitum ducem dominum ludeuicum ducem slesie et dominum leg- niczensem in honore beate hedwigis quondam ducisse slesie toci- usque polonie. scripta est autem per manus nycolei pruzie foris ciuitatem lubyn. Die letxten Worte können nur bedeuten: außerhalb (vor den Toren) der Stadt Lüben (unweit Liegnitz), d. h. auf dem 1170 erbauten Schloß des Herxogs Ludwig im Dorf Mallnitz vor der Stadt Lüben, die längst zu seiner Herrschaft gehörte und nach der neben Brieg er seinen Herzogstitel benannte. Es folgen in der Handschrift auf die Legenden (Bl. 10°—139r. 139r—1471), denen ein genealogischer Traktat 1 Ad. v. Wolfskron. Die Bilder der Hedwigslegende nach einer Hand- schrift von 1353 in der Bibliothek der Piaristenpatres zu Schlackenwerth. Mit einem Ausxuge des Originaltextes. Wien 1846, S. 125—127 und Schriftprobe am Schluß; Hermann Luchs, Die Bilder der Hedwigslegende. Breslau 1861. S. 3. 14 ff.; Hora, Mitteilungen des Vereins f. Gesch. d. Deutschen in Böhmen. Bd. 49 (1911), S. 545 f. 547. 549. — Vollständige Ausgabe der beiden Legenden und des beigefügten genealogischen Traktats von G. A. Stenzel, Scriptores rerum Silesiacarum. Bd. II. Breslau 1839, S. 1—114; Acta Sanctorum der Bollandisten, Oktober, Bd. VIII (1853), S. 224—270; Aleksander Senckowicz. Monumenta Poloniae historica, Lwów 1884. Bd. IV, S. 510—633. — Ubersicht der Quellen und der Literatur: Heinrich Zeissberg, Die polnische Geschicht- schreibung des Mittelalters, S. 120 f.; Grünhagen, Allgemeine deutsche Bio- graphie. Bd. 11 (1880). S. 229 f.; G. Kawerau, Realencyklopädie f. protestant. Theologie. Bd. 7 (1899), S. 517ff.; H. Hoffmann, 85. Jahresbericht d. Schlesi- schen Gesellsch. f. vaterländische Kultur. Breslau 1908. Sektion für kathol. Theologie. S. 12 ff. — Uber deutsche Ubersetxungen der Hedwigslegenden: Franz Xaver Seppelt, Zeitschr. f. Geschichte Schlesiens. Bd. 48 (1914). S. 1—18 (Maihinger Handschrift des lateinischen Originals, hergestellt für den Kaplan Michael in Scheidelwitz bei Brieg 1348, geschrieben von dem Schreiber Franz Räschin im Hause des Brieger Kanonikus Nikolaus Balkau, mit leer gelassenem Raum für Miniaturen; Erfurter Verdeutschung des fränkischen Barfüßers Kilian aus dem Kloster zu Meiningen von 1424 in Schleusingen; Ubersetzung von Rudolf Wintuawer aus dem Jahr 1380 für Herxog Albert III. von Osterreich in der Kgl. Bibliothek zu Brüssel; süddeutsche Ubersetzung aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts in Maihingen).
322 Exkurse zum Breslauer Bistumsstreit (1380/82). die Spende des verhängnisvollen Weihnachtsbieres von 1380 in Konflikt mit der Stadt Breslau und König Wenzel geratenen drei Herzöge von Liegnitz. b) Die Bilderhandschriften der Hedwigslegende für die Herzöge von Liegnitz. Wichtiges ergibt uns des Nikolaus von Posen Beteiligung an der be- rühmten Bilderhandschrift der lateinischen Legende der heiligen Hedwig, die früher dem Piaristenstift in Schlackenwerth gehörte, neuer- dings in Wiener Privatbesitz gelangt ist1. Diese Handschrift, deren Hauptteil in das Jahr 1353 fällt, ist von Nicolaus Pruzie (d. h. aus Preußen) geschrieben und vielleicht auch gemalt. Die Schlußnotiz der Legenden lautet (Bl. 147r: Wolfskron S. LI und Schriftprobe): Explicit legenda maior et minor de sancta hedwigi anno domini millesimo trecentesimo quinquagesimo tercio consummata. Comparata autem per inclitum ducem dominum ludeuicum ducem slesie et dominum leg- niczensem in honore beate hedwigis quondam ducisse slesie toci- usque polonie. scripta est autem per manus nycolei pruzie foris ciuitatem lubyn. Die letxten Worte können nur bedeuten: außerhalb (vor den Toren) der Stadt Lüben (unweit Liegnitz), d. h. auf dem 1170 erbauten Schloß des Herxogs Ludwig im Dorf Mallnitz vor der Stadt Lüben, die längst zu seiner Herrschaft gehörte und nach der neben Brieg er seinen Herzogstitel benannte. Es folgen in der Handschrift auf die Legenden (Bl. 10°—139r. 139r—1471), denen ein genealogischer Traktat 1 Ad. v. Wolfskron. Die Bilder der Hedwigslegende nach einer Hand- schrift von 1353 in der Bibliothek der Piaristenpatres zu Schlackenwerth. Mit einem Ausxuge des Originaltextes. Wien 1846, S. 125—127 und Schriftprobe am Schluß; Hermann Luchs, Die Bilder der Hedwigslegende. Breslau 1861. S. 3. 14 ff.; Hora, Mitteilungen des Vereins f. Gesch. d. Deutschen in Böhmen. Bd. 49 (1911), S. 545 f. 547. 549. — Vollständige Ausgabe der beiden Legenden und des beigefügten genealogischen Traktats von G. A. Stenzel, Scriptores rerum Silesiacarum. Bd. II. Breslau 1839, S. 1—114; Acta Sanctorum der Bollandisten, Oktober, Bd. VIII (1853), S. 224—270; Aleksander Senckowicz. Monumenta Poloniae historica, Lwów 1884. Bd. IV, S. 510—633. — Ubersicht der Quellen und der Literatur: Heinrich Zeissberg, Die polnische Geschicht- schreibung des Mittelalters, S. 120 f.; Grünhagen, Allgemeine deutsche Bio- graphie. Bd. 11 (1880). S. 229 f.; G. Kawerau, Realencyklopädie f. protestant. Theologie. Bd. 7 (1899), S. 517ff.; H. Hoffmann, 85. Jahresbericht d. Schlesi- schen Gesellsch. f. vaterländische Kultur. Breslau 1908. Sektion für kathol. Theologie. S. 12 ff. — Uber deutsche Ubersetxungen der Hedwigslegenden: Franz Xaver Seppelt, Zeitschr. f. Geschichte Schlesiens. Bd. 48 (1914). S. 1—18 (Maihinger Handschrift des lateinischen Originals, hergestellt für den Kaplan Michael in Scheidelwitz bei Brieg 1348, geschrieben von dem Schreiber Franz Räschin im Hause des Brieger Kanonikus Nikolaus Balkau, mit leer gelassenem Raum für Miniaturen; Erfurter Verdeutschung des fränkischen Barfüßers Kilian aus dem Kloster zu Meiningen von 1424 in Schleusingen; Ubersetzung von Rudolf Wintuawer aus dem Jahr 1380 für Herxog Albert III. von Osterreich in der Kgl. Bibliothek zu Brüssel; süddeutsche Ubersetzung aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts in Maihingen).
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Nikolaus Henrici aus Posen. 323 über die Familie der heiligen Hedwig vorangeht (Bl. 2"—81), nach einem Gebet (Bl. 1471), der Kanonisationsbulle (Bl. 148r— 1571) nebst Kanoni- sationspredigt über die heilige Hedwig von Papst Klemens IV. (Bl. 157v bis 163r aus dem Jahr 1267 und der mystisch etymologisierenden Inter- pretatio nominis (Hedwigis etymoloyzatur quasi hauriens eterne di- uineque vite vinum in gloriam Jhesu saluatoris: Bl. 163r—164r) hinter drei leeren Seiten (Bl. 164°. 165rv) vier von vier Bildern begleitete Homilien Bernhards von Clairvaux über das Evangelium (Luc. 1, 26) Missus est angelus Gabriel (Bl. 166°—2011) und auf dem letzten Blatt von etwas jüngerer Hand' ein lateinischer Brief (Bl. 202r"), der eine Art 'Rekapitulation der Hedwigslegende bietet und als dessen Ver- fasser von einer noch neuern und ungeübten Hand' Nicolaus von Posen, Protonotar des Bischofs Preczlaw von Breslau, und als dessen Adressat Herzog Ludwig I. von Brieg bezeichnet wird. Der Vermerk lautet (Bl. 202"): Hanc epistolam compilauit dominus Nycolaus de posenaw prothonotarius Reuerendi in Christo patris domini Preczlay Wratislawie Episcopi et transmisit eam Domino duci Ludwico Bregensi. Dicse Bilderhandschrift war, wie der Schlußvermerk hinter der zweiten Legende besagt, für den Herzog Ludwig I. von Brieg-Lüben (geboren um 1311, selbständig regierend 1352—1398), im Jahr 1353 hergestellt. Weitere Eintragungen geben an, daß der Codex Eigentum der Hedwig-Kollegiat- kirche in Brieg und eine Schenkung des Herzogs Ludwig war. Sie lauten (Bl. 17): Iste liber ... Ecclesie sancte Hedwigis in brega quem dedit .. . dux Ludowicus ad collegium ibidem und (Bl. 3r): ecclesie bregensis ecclesie collegiaté. Es ist möglich, daß er die Handschrift vorher (1360) in einem nicht vollzogenen Testament den Dominikanern in Liegnitz vermacht hatte 1. 1 Grünhagen, Zeitschr. f. d. Gesch. Schlesiens Bd. 5 (1863), S. 164—167 und genauer Paul Knötel. ebd. Bd. 55 (1921), S. 21. Grünhagens Worte „die... Bilderhandschrift der Hedwigslegende (die sogenannte Schlackenwerther) mit Text von dem durch das Formelbuch Arnolds von Protzan berühmten Nicolaus von Posen" und die Anmerkung daxu: So nimmt wenigstens Wattenbach an’ ist von Zeissberg (a. a. O.) so aufgefaßt worden, als sei Wattenbach von Grünhagen mißverstanden und ihm eine Gleichsetzung des Nikolaus Pruxie (des Schreibers der Legenden) und des Nikolaus von Posen (des Schreibers der rekapitulierenden Epistel) xugeschrieben, der Grünhagen selbst dann beigepflichtet habe. Allein die Fortsetzung jener Anmerkung: „Sollte nicht dieser Epitomator Nikolaus, der öberste Schreiber Bisch. Preczlaus'" xeigt, daß Grünhagen den Nikolaus von Posen nur als Verfasser des Rekapitulationsbriefes betrachtete. Hora, Mitt. d. Vereins f. Gesch. d. Deutschen in Böhmen Bd. 49, S. 544 hat dann irrtümlich trotz Zeissbergs Polemik die Identifixierung der beiden Personen sowohl Watten- bach als Grünhagen zugeschrieben und (mit Recht) abgelchnt. Grünhagens Vermutung, der Nicolaus Pruxie, der die Hedwigslegenden 1353 vor Stadt Lybin' schrieb, sei eine Person mit dem Frater Nicolaus, Mönch in Lubens' (Leubus). der in der einst dem Kloster Leubus gehörigen Breslauer Hand- schrift IV. Fol. 190 der Hedwigslegende als Schreiber genannt wird, und dessen auf Grund derselben Handschrift P. Arnold Teicher, der Bibliothekar dieses Klosters, in seiner Hausgeschichte von Leubus im Jahr 1759 gedenkt, ist wohl trotz der auffallenden Namengleichheit hinfällig. Aber nicht aus dem von Hora
Nikolaus Henrici aus Posen. 323 über die Familie der heiligen Hedwig vorangeht (Bl. 2"—81), nach einem Gebet (Bl. 1471), der Kanonisationsbulle (Bl. 148r— 1571) nebst Kanoni- sationspredigt über die heilige Hedwig von Papst Klemens IV. (Bl. 157v bis 163r aus dem Jahr 1267 und der mystisch etymologisierenden Inter- pretatio nominis (Hedwigis etymoloyzatur quasi hauriens eterne di- uineque vite vinum in gloriam Jhesu saluatoris: Bl. 163r—164r) hinter drei leeren Seiten (Bl. 164°. 165rv) vier von vier Bildern begleitete Homilien Bernhards von Clairvaux über das Evangelium (Luc. 1, 26) Missus est angelus Gabriel (Bl. 166°—2011) und auf dem letzten Blatt von etwas jüngerer Hand' ein lateinischer Brief (Bl. 202r"), der eine Art 'Rekapitulation der Hedwigslegende bietet und als dessen Ver- fasser von einer noch neuern und ungeübten Hand' Nicolaus von Posen, Protonotar des Bischofs Preczlaw von Breslau, und als dessen Adressat Herzog Ludwig I. von Brieg bezeichnet wird. Der Vermerk lautet (Bl. 202"): Hanc epistolam compilauit dominus Nycolaus de posenaw prothonotarius Reuerendi in Christo patris domini Preczlay Wratislawie Episcopi et transmisit eam Domino duci Ludwico Bregensi. Dicse Bilderhandschrift war, wie der Schlußvermerk hinter der zweiten Legende besagt, für den Herzog Ludwig I. von Brieg-Lüben (geboren um 1311, selbständig regierend 1352—1398), im Jahr 1353 hergestellt. Weitere Eintragungen geben an, daß der Codex Eigentum der Hedwig-Kollegiat- kirche in Brieg und eine Schenkung des Herzogs Ludwig war. Sie lauten (Bl. 17): Iste liber ... Ecclesie sancte Hedwigis in brega quem dedit .. . dux Ludowicus ad collegium ibidem und (Bl. 3r): ecclesie bregensis ecclesie collegiaté. Es ist möglich, daß er die Handschrift vorher (1360) in einem nicht vollzogenen Testament den Dominikanern in Liegnitz vermacht hatte 1. 1 Grünhagen, Zeitschr. f. d. Gesch. Schlesiens Bd. 5 (1863), S. 164—167 und genauer Paul Knötel. ebd. Bd. 55 (1921), S. 21. Grünhagens Worte „die... Bilderhandschrift der Hedwigslegende (die sogenannte Schlackenwerther) mit Text von dem durch das Formelbuch Arnolds von Protzan berühmten Nicolaus von Posen" und die Anmerkung daxu: So nimmt wenigstens Wattenbach an’ ist von Zeissberg (a. a. O.) so aufgefaßt worden, als sei Wattenbach von Grünhagen mißverstanden und ihm eine Gleichsetzung des Nikolaus Pruxie (des Schreibers der Legenden) und des Nikolaus von Posen (des Schreibers der rekapitulierenden Epistel) xugeschrieben, der Grünhagen selbst dann beigepflichtet habe. Allein die Fortsetzung jener Anmerkung: „Sollte nicht dieser Epitomator Nikolaus, der öberste Schreiber Bisch. Preczlaus'" xeigt, daß Grünhagen den Nikolaus von Posen nur als Verfasser des Rekapitulationsbriefes betrachtete. Hora, Mitt. d. Vereins f. Gesch. d. Deutschen in Böhmen Bd. 49, S. 544 hat dann irrtümlich trotz Zeissbergs Polemik die Identifixierung der beiden Personen sowohl Watten- bach als Grünhagen zugeschrieben und (mit Recht) abgelchnt. Grünhagens Vermutung, der Nicolaus Pruxie, der die Hedwigslegenden 1353 vor Stadt Lybin' schrieb, sei eine Person mit dem Frater Nicolaus, Mönch in Lubens' (Leubus). der in der einst dem Kloster Leubus gehörigen Breslauer Hand- schrift IV. Fol. 190 der Hedwigslegende als Schreiber genannt wird, und dessen auf Grund derselben Handschrift P. Arnold Teicher, der Bibliothekar dieses Klosters, in seiner Hausgeschichte von Leubus im Jahr 1759 gedenkt, ist wohl trotz der auffallenden Namengleichheit hinfällig. Aber nicht aus dem von Hora
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324 Anscheinend stammt aus ihr aber auch eine andere (lateinische) Ab- schrift der Hedwigslegende, die für ein jüngeres Glied der Liegnitz- Brieger Herzogsfamilie, für Ludwigs Neffen Herzog Ruprecht (geboren vor 1348, regierend 1364— 1409) am Neujahrsabend (d.h. 31. Dezember) des Jahres 1380 verfertigt wurde und, wie ich nicht zweifle, gleichfalls mit Bildern geschmückt war. Sie ist zwar verloren, bildet aber die Vor- lage einer deutschen Ubersetzung aus dem Jahre 1451 von dem Breslauer Vierdungschreiber (Kassenschreiber) Peter Freytag aus Brieg für den Breslauer Patrizier Antonius Horning. Darin erscheint dann wieder, und nun in deutscher Sprache, jener Briefauszug der Hedwigslegende von Nikolaus von Posen und die Angabe (S. 116), daß ihn der wol vorstendige herre Nicolaus von Posenaw öbirste schreybir des Erin- wirdigen in gote vaters und hern Pritzlowin [Preczlaw von Pogarell † 1376) Bischoffs czu Breslaw geschrebin vnd gesand hat deme hoch- geborn Fursten hern Lodwigen, hern czum Brige. Man sieht, der dynastisch-patriotische Kultus der Ahnherrin, der Gattin Herzog Heinrichs I. von Breslau, der Landespatronin Schlesiens, der Förderin seiner Germanisation, bleibt in dem Liegnitz-Brieger Herzogshause leben- dig, und er verquickt sich, wie die von mir gesperrt hervorgehobenen Worte in dem Schlußxusatz zur Hedwigslegende in der Schlackenwerther Handschrift (oben S. 322) zeigen, mit dem Streben nicht bloß nach einer Herrschaft über Gesamtschlesien, sondern mit dem spornenden Ge- danken eines bestehenden Erbanspruchs auf Polen. Fest steht danach: Nikolaus von Posen hat in seiner Eigenschaft als Notar des Breslauer Bischofs Preczlaw von Pogarell auch den Weg gefunden, dem Liegnitzer Herzogshaus nahezutreten und literarische Dienste zu leisten. Da aber die Zusätze in der Schlackenwerther Handschrift von 1353, die über diese Beziehungen berichten, wenigstens nach der vorliegenden Beschreibung, von jüngerer Hand, also nachträglich, gemacht sind, läßt sich nicht sagen, wann Nikolaus jenen Brief über die Hedwigslegende verfaßt hat. Es mag dahin gestellt bleiben, ob Nikolaus wirklich erst, nachdem er Protonotar des Breslauer Bischofs geworden, und nicht schon früher Exkurse zum Breslauer Bistumsstreit (1380/82). angegebenen Grunde; denn in der Wendung Teichers (Wattenbach, Monu- menta Lubensia. Breslau 1861. S. 1f. Anm. 2): a fratre Nicolao Monacho in Lubens rescripta et anno 1300 consummata bexeichnen die letxten vier Worte nicht, wie Grünhagen ungeschickt sagt, nur eine rund angenommene Zahl' der Lebenszeit des Schreibers und der Entstehung seiner Abschrift, sondern sie wiederholen aus dem Schluß der älteren Vorlage wörtlich die Zeitangabe über die Abfassung des Originals (vgl. Stenxel, Script. rer. Sil. II S. 105). Der Leubuser Mönch Nikolaus braucht also deswegen keineswegs viel früiher gelebt’ zu haben. Seine Zeit kann sich nur aus dem Alter jener Breslauer Handschrift bestimmen lassen, über das Stenzel leider keine genauen Angaben machte. Wahr- scheinlich aber ist er sogar einige Jahrzehnte jünger als der Nikolaus, der foris ciuitatem Lybin die Schlackenwerther Handschrift schrieb. — Ein Verschen Grünhagens war es, wenn er in seinem Aufsatz Schlesien am Ausgange des Mittelalters' (Zeitschr. f. Gesch. Schlesiens 1884, Bd. 18, S. 55) der Bilderhand- schrift des Nikolaus aus Preußen', deren Entstehung er jetzt zwar nicht mehr nach Leubus, sondern richtig nach Lüben setzte, einen deutschen Tert' beilegte.
324 Anscheinend stammt aus ihr aber auch eine andere (lateinische) Ab- schrift der Hedwigslegende, die für ein jüngeres Glied der Liegnitz- Brieger Herzogsfamilie, für Ludwigs Neffen Herzog Ruprecht (geboren vor 1348, regierend 1364— 1409) am Neujahrsabend (d.h. 31. Dezember) des Jahres 1380 verfertigt wurde und, wie ich nicht zweifle, gleichfalls mit Bildern geschmückt war. Sie ist zwar verloren, bildet aber die Vor- lage einer deutschen Ubersetzung aus dem Jahre 1451 von dem Breslauer Vierdungschreiber (Kassenschreiber) Peter Freytag aus Brieg für den Breslauer Patrizier Antonius Horning. Darin erscheint dann wieder, und nun in deutscher Sprache, jener Briefauszug der Hedwigslegende von Nikolaus von Posen und die Angabe (S. 116), daß ihn der wol vorstendige herre Nicolaus von Posenaw öbirste schreybir des Erin- wirdigen in gote vaters und hern Pritzlowin [Preczlaw von Pogarell † 1376) Bischoffs czu Breslaw geschrebin vnd gesand hat deme hoch- geborn Fursten hern Lodwigen, hern czum Brige. Man sieht, der dynastisch-patriotische Kultus der Ahnherrin, der Gattin Herzog Heinrichs I. von Breslau, der Landespatronin Schlesiens, der Förderin seiner Germanisation, bleibt in dem Liegnitz-Brieger Herzogshause leben- dig, und er verquickt sich, wie die von mir gesperrt hervorgehobenen Worte in dem Schlußxusatz zur Hedwigslegende in der Schlackenwerther Handschrift (oben S. 322) zeigen, mit dem Streben nicht bloß nach einer Herrschaft über Gesamtschlesien, sondern mit dem spornenden Ge- danken eines bestehenden Erbanspruchs auf Polen. Fest steht danach: Nikolaus von Posen hat in seiner Eigenschaft als Notar des Breslauer Bischofs Preczlaw von Pogarell auch den Weg gefunden, dem Liegnitzer Herzogshaus nahezutreten und literarische Dienste zu leisten. Da aber die Zusätze in der Schlackenwerther Handschrift von 1353, die über diese Beziehungen berichten, wenigstens nach der vorliegenden Beschreibung, von jüngerer Hand, also nachträglich, gemacht sind, läßt sich nicht sagen, wann Nikolaus jenen Brief über die Hedwigslegende verfaßt hat. Es mag dahin gestellt bleiben, ob Nikolaus wirklich erst, nachdem er Protonotar des Breslauer Bischofs geworden, und nicht schon früher Exkurse zum Breslauer Bistumsstreit (1380/82). angegebenen Grunde; denn in der Wendung Teichers (Wattenbach, Monu- menta Lubensia. Breslau 1861. S. 1f. Anm. 2): a fratre Nicolao Monacho in Lubens rescripta et anno 1300 consummata bexeichnen die letxten vier Worte nicht, wie Grünhagen ungeschickt sagt, nur eine rund angenommene Zahl' der Lebenszeit des Schreibers und der Entstehung seiner Abschrift, sondern sie wiederholen aus dem Schluß der älteren Vorlage wörtlich die Zeitangabe über die Abfassung des Originals (vgl. Stenxel, Script. rer. Sil. II S. 105). Der Leubuser Mönch Nikolaus braucht also deswegen keineswegs viel früiher gelebt’ zu haben. Seine Zeit kann sich nur aus dem Alter jener Breslauer Handschrift bestimmen lassen, über das Stenzel leider keine genauen Angaben machte. Wahr- scheinlich aber ist er sogar einige Jahrzehnte jünger als der Nikolaus, der foris ciuitatem Lybin die Schlackenwerther Handschrift schrieb. — Ein Verschen Grünhagens war es, wenn er in seinem Aufsatz Schlesien am Ausgange des Mittelalters' (Zeitschr. f. Gesch. Schlesiens 1884, Bd. 18, S. 55) der Bilderhand- schrift des Nikolaus aus Preußen', deren Entstehung er jetzt zwar nicht mehr nach Leubus, sondern richtig nach Lüben setzte, einen deutschen Tert' beilegte.
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Nikolaus Henrici aus Posen. 325 während seiner Tätigkeit in bischöflichem Dienst Gelegenheit gehabt hat, an dem Hedwigskult Herzog Ludwigs mitzuwirken. Denn da jene oben angeführte Notiz, die ihn als Verfasser des rekapitulierenden Briefes be- zeichnet, erst von einer späteren Hand dem Brief beigefügt ist, könnte, wie das oft vorkommt, hier mit einem leichten Anachronismus dem Ver- fasser ein Titel beigelegt sein, den er wohl damals, nicht aber schon bei Niederschrift und Absendung seines Briefes geführt hat. Ludwigs I. künstlerisch-literarische Verherrlichung seiner berühmten Ahnherrin reicht über die Vollendung des Schlackenwerther Oodex zurück: im Jahr 1349 hatte er in seinem Residenzschloß zu Lüben eine Kapelle zu Ehren der heiligen Hedwig gegründet oder ausgebaut und ihr Portal mit einer Stein- figur der Heiligen geschmückt1. Zeitlich könnte selbst damals schon oder wenigstens während der Herstellung der 1353 vollendeten Bilderhandschrift Nikolaus sich an der Ausführung beteiligt haben: die Aufnahme der vier oben genannten Homilien Bernhards von Clairvaux in das Buch und ihre bildliche Illustration paßt zu der Tatsache, die unten zur Sprache kommen wird, daß er selbst diesen herzensberedten Gottfinder verehrte und Werke von ihm erwarb. c) Des Nikolaus von Posen Freundeskreis und humanistische Disposition. Wir sahen bereits: zusammen mit dem Dechanten, Herzog Heinrich von Liegnitz, war dieser Mann die Seele der hitzigen Entschlüsse des Breslauer Domkapitels. Den herzoglichen Dechanten, der 1389 xum Bischof von Kammerich gewählt und noch im selben Jahr zum Bischof von Leslau erhoben wurde2, charakterisierte der alte bis 1545 reichende Breslauer Bischofskatalog mit dem vielsagenden Nachruf: Er lebte sich selbst mehr und seinen (herzoglichen) Brüdern als der Kirche (Schulte a. a. O. S. 94 Anm. 2). Und Nikolaus von Posen dürfte trotz seiner Beteuerungen über die Freiheit der Kirche und den allem Menschendienst vorzuziehenden Dienst Gottes im Grunde seines Wesens verwandten Trieben gehorcht haben: dem Ehrgeiz und der Machtgier. Er vor allem war der Urheber des Widerstandes gegen den Befehl des böhmischen Königs, das wegen des beschlagnahmten Schweidnitzer Bieres erlassene Interdikt wieder aufzuheben. Unter den flüchtigen Domkapitularen befand auch er sich. Anfangs hatte er Schutz bei dem Generaladministrator Herzog und Bischof Wenzel in Ottmachau gesucht. Dann, als der König diesem die Aufnahme der geflohenen Breslauer Kanoniker verbot, begab er sich an den Hof des Bischofs Heinrich Sorbom von Ermland, wo er freundschaftliche Aufnahme fand. Hier in Ermland, von wechselnden 1 Paul Knötel, Die Entwicklung des Hedwigstypus in der schlesischen Kunst. Zeitschr. f. Gesch. Schlesiens. Bd. 55 (1921), S. 19f. 2 Vgl. Grotefend, Stammtafeln der schlesischen Fürsten2, Tafel IX 8; Eubel, Hierarchia Catholica medii aevi I S. 566. Das dem Erzbischof von Gnesen als Metropoliten unterstellte Bistum hieß episcopatus Wladislaviensis oder Cujaviensis; sein Sitz war und ist noch heute die polnische Kreisstadt Wloclawek oder Leslau an der Weichsel.
Nikolaus Henrici aus Posen. 325 während seiner Tätigkeit in bischöflichem Dienst Gelegenheit gehabt hat, an dem Hedwigskult Herzog Ludwigs mitzuwirken. Denn da jene oben angeführte Notiz, die ihn als Verfasser des rekapitulierenden Briefes be- zeichnet, erst von einer späteren Hand dem Brief beigefügt ist, könnte, wie das oft vorkommt, hier mit einem leichten Anachronismus dem Ver- fasser ein Titel beigelegt sein, den er wohl damals, nicht aber schon bei Niederschrift und Absendung seines Briefes geführt hat. Ludwigs I. künstlerisch-literarische Verherrlichung seiner berühmten Ahnherrin reicht über die Vollendung des Schlackenwerther Oodex zurück: im Jahr 1349 hatte er in seinem Residenzschloß zu Lüben eine Kapelle zu Ehren der heiligen Hedwig gegründet oder ausgebaut und ihr Portal mit einer Stein- figur der Heiligen geschmückt1. Zeitlich könnte selbst damals schon oder wenigstens während der Herstellung der 1353 vollendeten Bilderhandschrift Nikolaus sich an der Ausführung beteiligt haben: die Aufnahme der vier oben genannten Homilien Bernhards von Clairvaux in das Buch und ihre bildliche Illustration paßt zu der Tatsache, die unten zur Sprache kommen wird, daß er selbst diesen herzensberedten Gottfinder verehrte und Werke von ihm erwarb. c) Des Nikolaus von Posen Freundeskreis und humanistische Disposition. Wir sahen bereits: zusammen mit dem Dechanten, Herzog Heinrich von Liegnitz, war dieser Mann die Seele der hitzigen Entschlüsse des Breslauer Domkapitels. Den herzoglichen Dechanten, der 1389 xum Bischof von Kammerich gewählt und noch im selben Jahr zum Bischof von Leslau erhoben wurde2, charakterisierte der alte bis 1545 reichende Breslauer Bischofskatalog mit dem vielsagenden Nachruf: Er lebte sich selbst mehr und seinen (herzoglichen) Brüdern als der Kirche (Schulte a. a. O. S. 94 Anm. 2). Und Nikolaus von Posen dürfte trotz seiner Beteuerungen über die Freiheit der Kirche und den allem Menschendienst vorzuziehenden Dienst Gottes im Grunde seines Wesens verwandten Trieben gehorcht haben: dem Ehrgeiz und der Machtgier. Er vor allem war der Urheber des Widerstandes gegen den Befehl des böhmischen Königs, das wegen des beschlagnahmten Schweidnitzer Bieres erlassene Interdikt wieder aufzuheben. Unter den flüchtigen Domkapitularen befand auch er sich. Anfangs hatte er Schutz bei dem Generaladministrator Herzog und Bischof Wenzel in Ottmachau gesucht. Dann, als der König diesem die Aufnahme der geflohenen Breslauer Kanoniker verbot, begab er sich an den Hof des Bischofs Heinrich Sorbom von Ermland, wo er freundschaftliche Aufnahme fand. Hier in Ermland, von wechselnden 1 Paul Knötel, Die Entwicklung des Hedwigstypus in der schlesischen Kunst. Zeitschr. f. Gesch. Schlesiens. Bd. 55 (1921), S. 19f. 2 Vgl. Grotefend, Stammtafeln der schlesischen Fürsten2, Tafel IX 8; Eubel, Hierarchia Catholica medii aevi I S. 566. Das dem Erzbischof von Gnesen als Metropoliten unterstellte Bistum hieß episcopatus Wladislaviensis oder Cujaviensis; sein Sitz war und ist noch heute die polnische Kreisstadt Wloclawek oder Leslau an der Weichsel.
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326 Exkurse zum Breslauer Bistumsstreit (1380/82). Aufenthaltsorten aus, entfaltete er eine weitverzweigte Korrespondenz, in der er mancherlei neue Tagesereignisse, besonders aber den Verlauf der Breslauer Wirren, bespricht und uns die wertvollsten Nachrichten darüber bewahrt hat. Der unschätzbare Katalog der Breslauer Dombibliothek von dem Bres- lauer Domherren und Humanisten Friedrich Berghius aus dem Jahr 1625 zeigt uns unter den ältesten Bücherkäufern Nikolaus von Posen als einen Geistlichen mit verhältnismäßig freieren und weiter blickenden gelehrten Interessen, der neben Gregor auch Schriften des Augustin und Hierony- mus, aber auch des Bernhard von Clairvaux und Bonaventura sowie mehrere pastorale und ethische Abhandlungen besaß1 und dadurch über den engen kirchlich-dogmatischen Rahmen der älteren Sammler hinaus- griff. In seinen Briefen, die offenbar seine Freunde und Schüler in Preußen sammelten und abschrieben, lernen wir ihn kennen als einen weltfreudigen, im Kanzleidienst durch die ihm verdankten einträglichen Pfründen (vgl. oben S. 24) reich gewordenen und auf seine Schätze stolzen Mann, voller Temperament und Lebenslust, mit wenig politischem Sinn, aber starkem kirchlichen Standes- und Unabhängigkeitsbewußtsein, das ihn zum leidenschaftlichen Kämpfer für die Rechte und Freiheiten scines Kapitels machte. Dabei zeigt er sich erfüllt von literarischen Neigungen, die er, wie wir oben S. 323 sahen, schon als bischöflicher Protonotar durch Abfassung einer dem Herzog Ludwig I. von Brieg ge- widmeten kurzen Kompilation über die Geschichte der heiligen Hedwig betätigt hatte, in rhetorischer Schriftstellerei wie im Erzählen lustiger Schwänke und Novellen begabt und geübt. Wir hören, daß ihm das Breslauer Ratsbier als cervisiae satis grossae (Cod. dipl. Sil. V 303) nicht schmeckte, daß ihm jene Zufuhr des herzoglichen Bieres auf die Dominsel eine Notwendigkeit zu sein schien, daß er im Freundeskreis pokulierend gern lustige, derbe oder verliebte Geschichten erzählte, mit erbaulicher Wortfülle die Freiheit der Kirche, d. h. die höhere un- gebundene Lebensform des begüterten Kanonikers verfocht gegen mönchischen Rigorismus, daß er dem hübschen Jeronimus, seinem aus Preußen gebürtigen jüngeren Freunde, den man in dem von 1394—1402 als Kantor des Breslauer Domkapitels Hieronymus von Temeßdorf erkennt2, den Verkehr mit schönen Frauen scherzend mißgönnt (ebenda S. 300). Unter den Dictamina des Nikolaus von Posen finden sich drei vor- züglich bemerkenswerte, weil für seine und seines Freundes Lebens- auffassung besonders charakteristische lateinische Prosaerzählungen sagen- haften Inhalts 3. Ihrem literarischen Charakter nach sind sie ein Mittel- 1 Vgl. Maria Fliegel, Die Dombibliothek zu Breslau im ausgehenden Mittelalter. Zeitschr. f. d. Gesch. Schlesiens Bd. 53 (1919), S. 102—105. 2 Vgl. Grünhagen, Zeitschr. f. Gesch. Schlesiens, Bd. 5 (1863), S. 124. 125. 128; Härtel ebd. Bd. 24 (1890), S. 287 und Anm. 19. 3 Herausgegeben von Oskar Schade, Germania Bd. 14 (1869), S. 275—283. Die Erzählungen zeigen streng durchgeführten Kanzlei-Cursus mit starkem Vor- herrschen des Velox (daneben Planus). Schade hat natürlich, wie alle Heraus- geber mittellateinischer Texte bis auf Wilh. Meyer, von der Gleichmäßigkeit der
326 Exkurse zum Breslauer Bistumsstreit (1380/82). Aufenthaltsorten aus, entfaltete er eine weitverzweigte Korrespondenz, in der er mancherlei neue Tagesereignisse, besonders aber den Verlauf der Breslauer Wirren, bespricht und uns die wertvollsten Nachrichten darüber bewahrt hat. Der unschätzbare Katalog der Breslauer Dombibliothek von dem Bres- lauer Domherren und Humanisten Friedrich Berghius aus dem Jahr 1625 zeigt uns unter den ältesten Bücherkäufern Nikolaus von Posen als einen Geistlichen mit verhältnismäßig freieren und weiter blickenden gelehrten Interessen, der neben Gregor auch Schriften des Augustin und Hierony- mus, aber auch des Bernhard von Clairvaux und Bonaventura sowie mehrere pastorale und ethische Abhandlungen besaß1 und dadurch über den engen kirchlich-dogmatischen Rahmen der älteren Sammler hinaus- griff. In seinen Briefen, die offenbar seine Freunde und Schüler in Preußen sammelten und abschrieben, lernen wir ihn kennen als einen weltfreudigen, im Kanzleidienst durch die ihm verdankten einträglichen Pfründen (vgl. oben S. 24) reich gewordenen und auf seine Schätze stolzen Mann, voller Temperament und Lebenslust, mit wenig politischem Sinn, aber starkem kirchlichen Standes- und Unabhängigkeitsbewußtsein, das ihn zum leidenschaftlichen Kämpfer für die Rechte und Freiheiten scines Kapitels machte. Dabei zeigt er sich erfüllt von literarischen Neigungen, die er, wie wir oben S. 323 sahen, schon als bischöflicher Protonotar durch Abfassung einer dem Herzog Ludwig I. von Brieg ge- widmeten kurzen Kompilation über die Geschichte der heiligen Hedwig betätigt hatte, in rhetorischer Schriftstellerei wie im Erzählen lustiger Schwänke und Novellen begabt und geübt. Wir hören, daß ihm das Breslauer Ratsbier als cervisiae satis grossae (Cod. dipl. Sil. V 303) nicht schmeckte, daß ihm jene Zufuhr des herzoglichen Bieres auf die Dominsel eine Notwendigkeit zu sein schien, daß er im Freundeskreis pokulierend gern lustige, derbe oder verliebte Geschichten erzählte, mit erbaulicher Wortfülle die Freiheit der Kirche, d. h. die höhere un- gebundene Lebensform des begüterten Kanonikers verfocht gegen mönchischen Rigorismus, daß er dem hübschen Jeronimus, seinem aus Preußen gebürtigen jüngeren Freunde, den man in dem von 1394—1402 als Kantor des Breslauer Domkapitels Hieronymus von Temeßdorf erkennt2, den Verkehr mit schönen Frauen scherzend mißgönnt (ebenda S. 300). Unter den Dictamina des Nikolaus von Posen finden sich drei vor- züglich bemerkenswerte, weil für seine und seines Freundes Lebens- auffassung besonders charakteristische lateinische Prosaerzählungen sagen- haften Inhalts 3. Ihrem literarischen Charakter nach sind sie ein Mittel- 1 Vgl. Maria Fliegel, Die Dombibliothek zu Breslau im ausgehenden Mittelalter. Zeitschr. f. d. Gesch. Schlesiens Bd. 53 (1919), S. 102—105. 2 Vgl. Grünhagen, Zeitschr. f. Gesch. Schlesiens, Bd. 5 (1863), S. 124. 125. 128; Härtel ebd. Bd. 24 (1890), S. 287 und Anm. 19. 3 Herausgegeben von Oskar Schade, Germania Bd. 14 (1869), S. 275—283. Die Erzählungen zeigen streng durchgeführten Kanzlei-Cursus mit starkem Vor- herrschen des Velox (daneben Planus). Schade hat natürlich, wie alle Heraus- geber mittellateinischer Texte bis auf Wilh. Meyer, von der Gleichmäßigkeit der
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Nikolaus Henrici aus Posen. 327 ding zwischen Novelle und Legende. Die eine ist eine recht verfängliche Geschichte eines Ritters, der die obscöne Mitteilung eines ihm nächtlich in Menschengestalt erschienenen Geistes sich von seiner neugierigen Frau abfragen läßt und dadurch bewirkt, daß sie von ihm geht und einem kleinen, häßlichen, kahlköpfigen Flickschuster in Trier sich an den Hals wirft: im Motiv mit Gottfried Kellers Der Schmied seines Glücks' ver- wandt, nicht ohne Laune erzählt und beschlossen mit einer höchst wort- reichen Strafpredigt gegen die sittenlosen Frauen. — Die zweite Er- zählung gestaltet ein Motiv, wie es Apuleius liebt: sie handelt von einem jungen Ritter, den die Tochter seines Gastfreundes, eine junge Hexe, während er nachts im Bette schläft, mit einem Zügel aufzäumt, in ein Pferd verwandelt und auf ihm sitzend mit Sporen zu einem Orte hin- treibt, wo der Kampf der Dämonen stattfindet. Später befreit er sich von dem Zaum und xäumt damit seinerseits die junge Hexe, die dadurch zum Pferde wird. Nachdem er sie wieder freigelassen, bezichtigt sie ihn, er habe ihr Gewalt angetan; er kommt vor Gericht und kann sich im letzten Augenblick vor der schon drohenden Hinrichtung retten, indem er den Zauber des Zaums offenbart und an der Hexe erproben läßt, die nun dem Feuertode verfällt. Auch hier folgt eine halb kritische, halb erbau- liche Betrachtung. — Die dritte Novelle berichtet von einem Kaufmann, der bei einem Schiffbruch sich auf eine einsame Insel rettet und dort Zeuge wird, wie nachts zahlreiche Schiffe landen, denen Paare von Männern und Frauen in kostbarer Kleidung entsteigen, Reigentänze ausführen, nach- her aber auch gegen ihm unsichtbare Feinde kämpfen. Unter diesen Hexen — denn das sind sie — findet er eine ihm von früher bekannte Frau, der er sein Schicksal erzählt und die ihn dann nicht ohne Lebens- gefahr nach Hause bringt. Die phantastische und erotische Prosanovelle ist ein Lieblingsfeld der Renaissancedichtung, die sie aus dem Mittelalter und der Antike ererbt hat und mit stärkerer rednerischer und psychologischer Lebendigkeit weiter ausbildet. Wir sehen, wie die der humanistischen Eloquenz zustrebende Kanzleirhetorik auch dieser Gattung der neuen poetischen Kunst die Tore öffnet. Als lateinischer Stilist hat dieser in Prag und Bologna kanonistisch gebildete Mann, wie seine Briefe und Erzählungen zeigen, noch nichts von dem Charakter eigentlich humanistischer Schriftstellerei. Gemessen an der Latinität Petrarcas ist seine Ausdrucksweise ganz mittelalterlich. Dennoch spürt man in seinen Briefen wie ja auch in manchen Briefen seines Meisters und Kollegen Johanns von Neumarkt und dessen Kreises eine Stimmung der Welt- und Schönheitsfreude, einen Drang zur ge- schmückten und gefüllten Rede, die eine Disposition für den italienischen Humanismus verraten, von dem ein Hauch auch wohl direkt ihn berührt haben mochte bei seinem späteren Aufenthalt in Italien1, und die es begreif- Satzschlüsse nichts gemerkt und daher z. B. in der 2. Geschichte, Abs. 2, letzte Zeile geschrieben: deputaverunt dire morti, während der Sinn und der Velox deputaverant fordern. 1 In der ersten Bearbeitung dieses Werkes (Zentralbl. f. Bibl. 1891, Bd. 8, S. 463 Anm. = Vom Mittelalt. x. Ref. I [1893], S. 103, Anm. I) führte ich
Nikolaus Henrici aus Posen. 327 ding zwischen Novelle und Legende. Die eine ist eine recht verfängliche Geschichte eines Ritters, der die obscöne Mitteilung eines ihm nächtlich in Menschengestalt erschienenen Geistes sich von seiner neugierigen Frau abfragen läßt und dadurch bewirkt, daß sie von ihm geht und einem kleinen, häßlichen, kahlköpfigen Flickschuster in Trier sich an den Hals wirft: im Motiv mit Gottfried Kellers Der Schmied seines Glücks' ver- wandt, nicht ohne Laune erzählt und beschlossen mit einer höchst wort- reichen Strafpredigt gegen die sittenlosen Frauen. — Die zweite Er- zählung gestaltet ein Motiv, wie es Apuleius liebt: sie handelt von einem jungen Ritter, den die Tochter seines Gastfreundes, eine junge Hexe, während er nachts im Bette schläft, mit einem Zügel aufzäumt, in ein Pferd verwandelt und auf ihm sitzend mit Sporen zu einem Orte hin- treibt, wo der Kampf der Dämonen stattfindet. Später befreit er sich von dem Zaum und xäumt damit seinerseits die junge Hexe, die dadurch zum Pferde wird. Nachdem er sie wieder freigelassen, bezichtigt sie ihn, er habe ihr Gewalt angetan; er kommt vor Gericht und kann sich im letzten Augenblick vor der schon drohenden Hinrichtung retten, indem er den Zauber des Zaums offenbart und an der Hexe erproben läßt, die nun dem Feuertode verfällt. Auch hier folgt eine halb kritische, halb erbau- liche Betrachtung. — Die dritte Novelle berichtet von einem Kaufmann, der bei einem Schiffbruch sich auf eine einsame Insel rettet und dort Zeuge wird, wie nachts zahlreiche Schiffe landen, denen Paare von Männern und Frauen in kostbarer Kleidung entsteigen, Reigentänze ausführen, nach- her aber auch gegen ihm unsichtbare Feinde kämpfen. Unter diesen Hexen — denn das sind sie — findet er eine ihm von früher bekannte Frau, der er sein Schicksal erzählt und die ihn dann nicht ohne Lebens- gefahr nach Hause bringt. Die phantastische und erotische Prosanovelle ist ein Lieblingsfeld der Renaissancedichtung, die sie aus dem Mittelalter und der Antike ererbt hat und mit stärkerer rednerischer und psychologischer Lebendigkeit weiter ausbildet. Wir sehen, wie die der humanistischen Eloquenz zustrebende Kanzleirhetorik auch dieser Gattung der neuen poetischen Kunst die Tore öffnet. Als lateinischer Stilist hat dieser in Prag und Bologna kanonistisch gebildete Mann, wie seine Briefe und Erzählungen zeigen, noch nichts von dem Charakter eigentlich humanistischer Schriftstellerei. Gemessen an der Latinität Petrarcas ist seine Ausdrucksweise ganz mittelalterlich. Dennoch spürt man in seinen Briefen wie ja auch in manchen Briefen seines Meisters und Kollegen Johanns von Neumarkt und dessen Kreises eine Stimmung der Welt- und Schönheitsfreude, einen Drang zur ge- schmückten und gefüllten Rede, die eine Disposition für den italienischen Humanismus verraten, von dem ein Hauch auch wohl direkt ihn berührt haben mochte bei seinem späteren Aufenthalt in Italien1, und die es begreif- Satzschlüsse nichts gemerkt und daher z. B. in der 2. Geschichte, Abs. 2, letzte Zeile geschrieben: deputaverunt dire morti, während der Sinn und der Velox deputaverant fordern. 1 In der ersten Bearbeitung dieses Werkes (Zentralbl. f. Bibl. 1891, Bd. 8, S. 463 Anm. = Vom Mittelalt. x. Ref. I [1893], S. 103, Anm. I) führte ich
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Exkurse zum Breslauer Bistumsstreit (1380/82). 328 lich machen, daß Johann von Neumarkt und seine Schüler in der Kanzlei mit Feuereifer die Rriefe und Traktate, die von den italienischen Schöpfern des neuen Formideals und des humanistischen Stils nach Böhmen und Schlesien herüberdrangen, empfingen, lasen, abschrieben und auf sich wirken ließen. Noch nicht humanistisch sind diese böhmisch-schlesischen Schreiberlein, aber sie sind reif für den Humanismus. In welcher Atmosphäre sind sie es geworden? Nicht in Handel, Gewerbe, Handwerk der Städte, nicht in der bürgerlichen Arbeit. Es ist ein schwerer Irrtum, obgleich ein alter und anscheinend unsterblicher, daß der italienische Humanismus und sein Kind, die Renaissance, ein Erzeugnis der städtischen Kultur gewesen sei. Dieser Nikolaus von Posen und seine Freunde widerlegen es schlagend. In Prag und Bologna des römisch-kanonischen Rechts beflissen, wird er in der Schule der bischöf- lichen und der königlichen Kanzlei und im Dienste heimatstolzer schlesi- scher Fürsten einer der Vorbereiter des großen geistigen Umschwungs: der künstlerischen Emanzipation, der Entstehung des Literatentums und einer beruflosen Bildung höheren Stils. Dieser Parteigänger der Lieg- nitzer Fürsten, dieser Schützer der landschaftlichen Selbständigkeit seines Domkapitels hatte, wie sich oben xeigte, während seiner Tätigkeit im Dienst des Bischofs Preczlaw von Pogarell für die von Herzog Ludwig I. von Liegnitz-Brieg (1352—1398) bestellte Prachthandschrift der Hedwigs- legende einen Beitrag geliefert. Die heilige Hedwig aber war die nationale Heilige Schlesiens. 4. Der dynastische Patriotismus der Piasten und die geistige Wandlung der Zeit. Unter den schlesischen Fürsten sind es gerade besonders die Liegnitz- Brieger Herzöge, denen man eine gewisse Begünstigung von Kunst und Wissenschaft nachrühmen kann1. Wenn der Herzog Ludwig von Brieg die Schutzheilige des Deutschtums in Schlesien durch die Stiftung der Schloßkapelle in Lüben und die Steinfigur an deren Portal im Jahr 1349, durch die oft erwähnte Bilderhandschrift im Jahr 1353 und im Jahr 1360 durch Errichtung einer Schloßkapelle bei dem damals schon bestehenden Hedwigsstifte in Brieg, wenn er die Heilige durch ihr steinernes Stand- bild im Chore der neuen Brieger Kapelle ehrte2, wenn er zu derselben Zeit oder wenig später diesem Stift auch jene Bilderhandschrift überwies, wenn dann sein Neffe Herzog Ruprecht am Silvesterabend 1380 die Hedwigslegende mit samt dem Brief des Nikolaus von Posen aus jener Bilderhandschrift kopieren ließ, also gerade in den Tagen, da in Breslau durch die Konfiskation des herzoglichen Weihnachtsbieres der verhängnis- Nikolaus von Posen unter den Schülern und Gehilfen Johanns von Neumarkt an, die in Kanzleigeschäften nach Italien kamen und dort Fühlung mit der neuen, humanistischen Bildung empfangen konnten: Nikolaus von Posen war zusammen mit seinem Kanzleikollegen Johannes Lust am 12. August 1368 in Modena (Reg. imp. 4680). 1 Grünhagen, Zeitschr. f. d. Gesch. Schlesiens. Bd. 18 (1884), S. 55. 2 Vgl. Knötel, Zeitschr. f. d. Gesch. Schlesiens. Bd. 55 (1921), S. 21.
Exkurse zum Breslauer Bistumsstreit (1380/82). 328 lich machen, daß Johann von Neumarkt und seine Schüler in der Kanzlei mit Feuereifer die Rriefe und Traktate, die von den italienischen Schöpfern des neuen Formideals und des humanistischen Stils nach Böhmen und Schlesien herüberdrangen, empfingen, lasen, abschrieben und auf sich wirken ließen. Noch nicht humanistisch sind diese böhmisch-schlesischen Schreiberlein, aber sie sind reif für den Humanismus. In welcher Atmosphäre sind sie es geworden? Nicht in Handel, Gewerbe, Handwerk der Städte, nicht in der bürgerlichen Arbeit. Es ist ein schwerer Irrtum, obgleich ein alter und anscheinend unsterblicher, daß der italienische Humanismus und sein Kind, die Renaissance, ein Erzeugnis der städtischen Kultur gewesen sei. Dieser Nikolaus von Posen und seine Freunde widerlegen es schlagend. In Prag und Bologna des römisch-kanonischen Rechts beflissen, wird er in der Schule der bischöf- lichen und der königlichen Kanzlei und im Dienste heimatstolzer schlesi- scher Fürsten einer der Vorbereiter des großen geistigen Umschwungs: der künstlerischen Emanzipation, der Entstehung des Literatentums und einer beruflosen Bildung höheren Stils. Dieser Parteigänger der Lieg- nitzer Fürsten, dieser Schützer der landschaftlichen Selbständigkeit seines Domkapitels hatte, wie sich oben xeigte, während seiner Tätigkeit im Dienst des Bischofs Preczlaw von Pogarell für die von Herzog Ludwig I. von Liegnitz-Brieg (1352—1398) bestellte Prachthandschrift der Hedwigs- legende einen Beitrag geliefert. Die heilige Hedwig aber war die nationale Heilige Schlesiens. 4. Der dynastische Patriotismus der Piasten und die geistige Wandlung der Zeit. Unter den schlesischen Fürsten sind es gerade besonders die Liegnitz- Brieger Herzöge, denen man eine gewisse Begünstigung von Kunst und Wissenschaft nachrühmen kann1. Wenn der Herzog Ludwig von Brieg die Schutzheilige des Deutschtums in Schlesien durch die Stiftung der Schloßkapelle in Lüben und die Steinfigur an deren Portal im Jahr 1349, durch die oft erwähnte Bilderhandschrift im Jahr 1353 und im Jahr 1360 durch Errichtung einer Schloßkapelle bei dem damals schon bestehenden Hedwigsstifte in Brieg, wenn er die Heilige durch ihr steinernes Stand- bild im Chore der neuen Brieger Kapelle ehrte2, wenn er zu derselben Zeit oder wenig später diesem Stift auch jene Bilderhandschrift überwies, wenn dann sein Neffe Herzog Ruprecht am Silvesterabend 1380 die Hedwigslegende mit samt dem Brief des Nikolaus von Posen aus jener Bilderhandschrift kopieren ließ, also gerade in den Tagen, da in Breslau durch die Konfiskation des herzoglichen Weihnachtsbieres der verhängnis- Nikolaus von Posen unter den Schülern und Gehilfen Johanns von Neumarkt an, die in Kanzleigeschäften nach Italien kamen und dort Fühlung mit der neuen, humanistischen Bildung empfangen konnten: Nikolaus von Posen war zusammen mit seinem Kanzleikollegen Johannes Lust am 12. August 1368 in Modena (Reg. imp. 4680). 1 Grünhagen, Zeitschr. f. d. Gesch. Schlesiens. Bd. 18 (1884), S. 55. 2 Vgl. Knötel, Zeitschr. f. d. Gesch. Schlesiens. Bd. 55 (1921), S. 21.
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Der dynastische Patriotismus der Piasten. 329 volle Streit zwischen den in Schlesien herrschenden Gewalten ausbrach, wenn im selben Jahr Herzog Albert III. von Österreich (1365—1395) von der Legenda maior der heiligen Hedwig eine deutsche Ubersetzung herstellen ließ1, so sind das lehrreiche Symptome einer Gesinnung, die der Grundstimmung der werdenden Renaissance entgegenkommt: dem Familien- stolz und Machtverlangen, dem Vergangenheitskult und Partikularpatrio- tismus der Fürsten und ihrem Bemühen, die Kunst als Sprecherin und Verbreiterin dieser Gedanken und Ansprüche xu benutzen. a) Die heilige Hedwig und die Schicksale ihrer Familie. Die Hedwigslegende wirkt freilich heute durch ihre asketischen Züge wie ein Erzeugnis rein mittelalterlichen Geistes. Sie erzählt von ihrer Heldin Beispiele frommer Selbsterniedrigung, die dem Gefühl des modernen gesitteten Menschen grauenvoll, ja frevlerisch erscheinen. Auch ein ge- bildeter Hellene oder Römer des Altertums würde sie als barbarische Un- sauberkeit mit Ekel abgelehnt haben. Hedwig, die Gattin des Herzogs Heinrichs I. von Schlesien († 1238), stammte aus dem ruhmumstrahlten bayerischen Grafenhaus von Andechs, das mit dem seltsamen Zusatz in seinem Namen von Meran’ (d. h. Meerland = Dalmatien) den Herzogs- titel erwarb. Ihr Vater Berthold IV., der erste Andechser Herzog von Meran, und ihr Großvater Berthold III. haben den staufischen Herr- schern schwerwiegende militärische und politische Dienste geleistet und dadurch eine hohe Machtstellung als Reichsfürst errungen. Beide waren glänzende Vertreter der weltlichen Kultur ihrer Zeit, und die mittelhoch- deutschen Dichter, soweit sie die ritterliche Diesseitsfreude bekannten, haben diese Fürstenfamilie zum Vorbild höfischer Tugend verklärt. Wirnt von Gravenberg, der begabteste Nachfolger Hartmanns von Aue, hat in seinem Artusroman von Wigalois (V. 8061—8092, ed. Pfeiffer S. 206, 38 ff.) eine Parabase vergleichender Erinnerung eingeschaltet an die Leichenfeier für Berthold IV. von Andechs, der im August 1204 starb: damals sah der Dichter von den schönsten Frauen vornehmster Abkunft, die er der Welt Wonne nennt, solchen Jammer, Ausbrüche des Schmerzes in lauter Wehklage und wildem Zerschlagen der Brüste, daß es ihm war, als ob die lichte Sonne ihren Schein verlöre. Und bewegt von diesem furchtbaren Erinnerungsbilde betet er zum göttlichen Heiland: der reine Christus möge die Klagen dieser reinen Frauen erhören und in seiner Menschheit gedenken, wie hinfällig die Süße des menschlichen Lebens ist. Wir heute finden diesen abschweifenden Erguß eines persönlichen Er- lebnisses, wie in ähnlichen Fällen so oft bei den Dichtern des deutschen Mittelalters, mehr wortreich als stark. Aber die damaligen Leser und Hörer ergänzten das, was wir vermissen, aus ihrem eigenen Miterleben. Wenn hier so breit immer wieder von den leidenschaftlichen Klagen der edein Frauen dieses Fürstenhauses und von ihrer Reinheit die Rede ist, wenn Christus als ihnen verwandt angerufen wird, in seiner Menschen- natur Erbarmen zu haben mit der Zerbrechlichkeit menschlichen Glückes 1 F. X. Seppelt, Zeitschr. f. d. Gesch. Schlesiens. Bd. 48 (1914), S. 4.
Der dynastische Patriotismus der Piasten. 329 volle Streit zwischen den in Schlesien herrschenden Gewalten ausbrach, wenn im selben Jahr Herzog Albert III. von Österreich (1365—1395) von der Legenda maior der heiligen Hedwig eine deutsche Ubersetzung herstellen ließ1, so sind das lehrreiche Symptome einer Gesinnung, die der Grundstimmung der werdenden Renaissance entgegenkommt: dem Familien- stolz und Machtverlangen, dem Vergangenheitskult und Partikularpatrio- tismus der Fürsten und ihrem Bemühen, die Kunst als Sprecherin und Verbreiterin dieser Gedanken und Ansprüche xu benutzen. a) Die heilige Hedwig und die Schicksale ihrer Familie. Die Hedwigslegende wirkt freilich heute durch ihre asketischen Züge wie ein Erzeugnis rein mittelalterlichen Geistes. Sie erzählt von ihrer Heldin Beispiele frommer Selbsterniedrigung, die dem Gefühl des modernen gesitteten Menschen grauenvoll, ja frevlerisch erscheinen. Auch ein ge- bildeter Hellene oder Römer des Altertums würde sie als barbarische Un- sauberkeit mit Ekel abgelehnt haben. Hedwig, die Gattin des Herzogs Heinrichs I. von Schlesien († 1238), stammte aus dem ruhmumstrahlten bayerischen Grafenhaus von Andechs, das mit dem seltsamen Zusatz in seinem Namen von Meran’ (d. h. Meerland = Dalmatien) den Herzogs- titel erwarb. Ihr Vater Berthold IV., der erste Andechser Herzog von Meran, und ihr Großvater Berthold III. haben den staufischen Herr- schern schwerwiegende militärische und politische Dienste geleistet und dadurch eine hohe Machtstellung als Reichsfürst errungen. Beide waren glänzende Vertreter der weltlichen Kultur ihrer Zeit, und die mittelhoch- deutschen Dichter, soweit sie die ritterliche Diesseitsfreude bekannten, haben diese Fürstenfamilie zum Vorbild höfischer Tugend verklärt. Wirnt von Gravenberg, der begabteste Nachfolger Hartmanns von Aue, hat in seinem Artusroman von Wigalois (V. 8061—8092, ed. Pfeiffer S. 206, 38 ff.) eine Parabase vergleichender Erinnerung eingeschaltet an die Leichenfeier für Berthold IV. von Andechs, der im August 1204 starb: damals sah der Dichter von den schönsten Frauen vornehmster Abkunft, die er der Welt Wonne nennt, solchen Jammer, Ausbrüche des Schmerzes in lauter Wehklage und wildem Zerschlagen der Brüste, daß es ihm war, als ob die lichte Sonne ihren Schein verlöre. Und bewegt von diesem furchtbaren Erinnerungsbilde betet er zum göttlichen Heiland: der reine Christus möge die Klagen dieser reinen Frauen erhören und in seiner Menschheit gedenken, wie hinfällig die Süße des menschlichen Lebens ist. Wir heute finden diesen abschweifenden Erguß eines persönlichen Er- lebnisses, wie in ähnlichen Fällen so oft bei den Dichtern des deutschen Mittelalters, mehr wortreich als stark. Aber die damaligen Leser und Hörer ergänzten das, was wir vermissen, aus ihrem eigenen Miterleben. Wenn hier so breit immer wieder von den leidenschaftlichen Klagen der edein Frauen dieses Fürstenhauses und von ihrer Reinheit die Rede ist, wenn Christus als ihnen verwandt angerufen wird, in seiner Menschen- natur Erbarmen zu haben mit der Zerbrechlichkeit menschlichen Glückes 1 F. X. Seppelt, Zeitschr. f. d. Gesch. Schlesiens. Bd. 48 (1914), S. 4.
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330 Exkurse zum Breslauer Bistumsstreit (1380/82). und darum dem toten Fürsten und seinen Angehörigen, aber auch dem Dichter und seinem Publikum die ewige Freude des Himmels zu sichern, so dachten die Zeitgenossen dabei an die Töchter des Verstorbenen, an Hedwig und ihre Schwestern, denen entsetzliche Familienschicksale be- schieden waren, dachten daran, wie in diesem Fürstenhause 1 Ehre, Macht und Glanz auf tragische Weise wechselte mit blutigem Untergang und tiefstem Dunkel und wie aus solchen erschütternden Wandlungen gerade den weiblichen Mitgliedern dieses Hauses eine inbrünstige Christus- liebe und Christusgefolgschaft aufblühte, die ihresgleichen nur selten gehabt hat. Die heilige Hedwig hatte drei Schwestern. Zwei, Agnes und Gertrud, kamen durch ihre Ehe auf den Königsthron, bexahlten ihn aber mit ihrem Glück und ihrem Leben. Agnes reichte dem König Philipp August von Frankreich, der seine zweite, ungeliebte Gattin, die dänische Königsschwester Ingeborg, verstieß, die Hand, wurde aber, nachdem Papst Innocenz III. diese Scheidung nicht anerkannt und die neue Ehe annulliert hatte, von Philipp August, der die deutsche Frau leidenschaftlich liebte, trotz seinem heftigen Sträuben und längerem Widerstand gegen die kirchlichen Strafen, nach sieben- jähriger Ehe im Jahr 1200 entlassen und starb schon im folgenden Jahr an gebrochnem Herzen. Die älteste Schwester Hedwigs, Gertrud, wurde dem jüngeren Bruder des ungarischen Königs Emmerich, Andreas, vermählt. Zwei Jahre später aber wurde ihr Gatte von seinem Bruder des Aufruhrs beschuldigt, gefangengesetzt und sie selbst zu ihrem Vater heimgeschickt. Sie war also wohl bei dessen Bestattung (1204), die auf Wirnt von Gravenberg einen so tiefen Eindruck machte, anwesend. Schon im folgenden Jahr lächelte ihr wieder das Glück: Emmerich und sein Erbe Ladislaus starben, Andreas kam auf den unga- rischen Thron und Gertrud erlangte politische Macht. Sie rief ihren Bruder Berthold, der durch Einwirkung ihres anderen Bruders, des Bam- berger Bischofs Eckbert, ohne theologische Vorkenntnisse in Bamberg Dom- propst geworden war, und in Italien, wo er seine Studien ergänzen sollte, ein von Wissenschaft unbeschwertes genußfrohes Leben geführt hatte, an ihre Seite und verschaffte ihm das Amt eines Erzbischofs von Kalocsa, bald auch das des Bans von Kroatien, Dalmatien, Slawonien, des Woi- woden von Siebenbürgen, des Grafen von Bacs und Bodrog. Da brachte 1 Vgl. zum Folgenden v. Oefele. Bertold III. von Andechs, Allg. d. Biogr. Bd. 2 (1875), S. 514 ff.; Derselbe, Bertold v. Aquileja, ebenda S. 516 ff.; Der- selbe, Heinrich, Markgraf von Istrien, ebenda Bd. 11 (1880), S. 526 f.; Der- selbe, Otto der Altere, Herxog von Meran, ebenda Bd. 24 (1887), S. 705 f.; Schirrmacher, Ekbert v. Bamberg, ebenda Bd. 5 (1877), S. 781 ff.; Grün- hagen, Heinrich I. der Bärtige, Herzog von Schlesien, ebenda Bd. 11 (1880). S. 602 ff.; Derselbe, Heinrich II., Herxog von Schlesien und Polen, ebenda S. 604 ff.; Derselbe, Regesten xur schlesischen Geschichte2 I, Codex diplomat. Silesiae VII I, Breslau 1884, passim; Derselbe, Geschichte Schlesiens, Bd. 1, Gotha 1884, S. 45—72; Scherer, Anzeiger für deutsches Altertum, Bd. I (1876), S. 248—250 (über Heinrich von Andechs-Meran, Markgraf von Istrien); daxu die oben S. 322 Anm. genannte Literatur.
330 Exkurse zum Breslauer Bistumsstreit (1380/82). und darum dem toten Fürsten und seinen Angehörigen, aber auch dem Dichter und seinem Publikum die ewige Freude des Himmels zu sichern, so dachten die Zeitgenossen dabei an die Töchter des Verstorbenen, an Hedwig und ihre Schwestern, denen entsetzliche Familienschicksale be- schieden waren, dachten daran, wie in diesem Fürstenhause 1 Ehre, Macht und Glanz auf tragische Weise wechselte mit blutigem Untergang und tiefstem Dunkel und wie aus solchen erschütternden Wandlungen gerade den weiblichen Mitgliedern dieses Hauses eine inbrünstige Christus- liebe und Christusgefolgschaft aufblühte, die ihresgleichen nur selten gehabt hat. Die heilige Hedwig hatte drei Schwestern. Zwei, Agnes und Gertrud, kamen durch ihre Ehe auf den Königsthron, bexahlten ihn aber mit ihrem Glück und ihrem Leben. Agnes reichte dem König Philipp August von Frankreich, der seine zweite, ungeliebte Gattin, die dänische Königsschwester Ingeborg, verstieß, die Hand, wurde aber, nachdem Papst Innocenz III. diese Scheidung nicht anerkannt und die neue Ehe annulliert hatte, von Philipp August, der die deutsche Frau leidenschaftlich liebte, trotz seinem heftigen Sträuben und längerem Widerstand gegen die kirchlichen Strafen, nach sieben- jähriger Ehe im Jahr 1200 entlassen und starb schon im folgenden Jahr an gebrochnem Herzen. Die älteste Schwester Hedwigs, Gertrud, wurde dem jüngeren Bruder des ungarischen Königs Emmerich, Andreas, vermählt. Zwei Jahre später aber wurde ihr Gatte von seinem Bruder des Aufruhrs beschuldigt, gefangengesetzt und sie selbst zu ihrem Vater heimgeschickt. Sie war also wohl bei dessen Bestattung (1204), die auf Wirnt von Gravenberg einen so tiefen Eindruck machte, anwesend. Schon im folgenden Jahr lächelte ihr wieder das Glück: Emmerich und sein Erbe Ladislaus starben, Andreas kam auf den unga- rischen Thron und Gertrud erlangte politische Macht. Sie rief ihren Bruder Berthold, der durch Einwirkung ihres anderen Bruders, des Bam- berger Bischofs Eckbert, ohne theologische Vorkenntnisse in Bamberg Dom- propst geworden war, und in Italien, wo er seine Studien ergänzen sollte, ein von Wissenschaft unbeschwertes genußfrohes Leben geführt hatte, an ihre Seite und verschaffte ihm das Amt eines Erzbischofs von Kalocsa, bald auch das des Bans von Kroatien, Dalmatien, Slawonien, des Woi- woden von Siebenbürgen, des Grafen von Bacs und Bodrog. Da brachte 1 Vgl. zum Folgenden v. Oefele. Bertold III. von Andechs, Allg. d. Biogr. Bd. 2 (1875), S. 514 ff.; Derselbe, Bertold v. Aquileja, ebenda S. 516 ff.; Der- selbe, Heinrich, Markgraf von Istrien, ebenda Bd. 11 (1880), S. 526 f.; Der- selbe, Otto der Altere, Herxog von Meran, ebenda Bd. 24 (1887), S. 705 f.; Schirrmacher, Ekbert v. Bamberg, ebenda Bd. 5 (1877), S. 781 ff.; Grün- hagen, Heinrich I. der Bärtige, Herzog von Schlesien, ebenda Bd. 11 (1880). S. 602 ff.; Derselbe, Heinrich II., Herxog von Schlesien und Polen, ebenda S. 604 ff.; Derselbe, Regesten xur schlesischen Geschichte2 I, Codex diplomat. Silesiae VII I, Breslau 1884, passim; Derselbe, Geschichte Schlesiens, Bd. 1, Gotha 1884, S. 45—72; Scherer, Anzeiger für deutsches Altertum, Bd. I (1876), S. 248—250 (über Heinrich von Andechs-Meran, Markgraf von Istrien); daxu die oben S. 322 Anm. genannte Literatur.
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Der dynastische Patriotismus der Piasten. 331 über die Familie die Rachetat des Pfalzgrafen Otto von Wittelsbach schweres Unheil mitten im Aufstieg zu neuer Ehre und Macht. Die Bischofsburg von Bamberg, der Sitz von Hedwigs Bruder Eck- bert, wurde der Schauplatz eines erschütternden Wechsels: Hochzeitsfreude, Hochzeitshoffnung erstickten im Blute des Königsmordes. Am selben Tage, dem 21. Juni 1208, da Hedwigs Bruder Otto von Meran die Hand der Nichte König Philipps von Schwaben, Beatrix von Burgund, und damit die Grafschaft Burgund und die Pfalzgrafenwürde gewonnen hatte, da Otto von Wittelsbach sich auf dem Wege befand zu seiner Verlobten, der Tochter Hedwigs von Schlesien, Gertrud, erschlug dieser Verlobte den König Philipp, weil er Kenntnis erhalten von dem Inhalt eines Briefes des Königs an Herzog Heinrich von Schlesien, worin wahrscheinlich dieser vor dem jähzornigen Charakter seines künftigen Schwiegersohnes gewarnt wurde. Auf das Haus Andechs fiel der grausige Verdacht der Mitschuld an dem Verbrechen. Uber den Begleiter des Pfalzgrafen Otto, Heinrich von Andechs, Hedwigs Bruder, wurde gleichwie über den bei der Mord- tat in Bamberg anwesenden Bischof Eckbert Rewhsacht und Güterein- zichung verhängt. Mit wilder Grausamkeit vollstreckte Herzog Ludwig von Bayern, persönliches Rachegelüst stillend, das Urteil an den Rivalen, deren Aufsteigen seine Herzogsmacht beeinträchtigte: Burg Wittelsbach, Burg Andechs, die Geburtsstätte der heiligen Hedwig und ihrer Geschwister, wurde zerstört. Heinrich floh bald nach Rom, später zu seiner Schwester Gertrud nach Ungarn, kam dann aber durch den Beistand seines Bruders, des Pfalzgrafen Otto und des Herzogs Leopold von Österreich wieder xu seinem Familiengut in Steiermark, Kärnten und Krain. Auch Eckbert suchte in Ungarn bei seiner Schwester Schutz, kehrte erst 1211, nachdem die wieder- holten Schiedssprüche in dem Mordproxeß durch Eingreifen des Papstes endlich eine für ihn günstige Wendung genommen hatten, auf seinen Bischofssitz zurück. Prinzessin Gertrud, der jene Mordtat des erwählten Mannes das Leben in der Welt unerträglich gemacht haben mochte, nahm den Schleier. Wenige Jahre später traf die Familie von Andechs in Ungarn ein neuer Schlag. Als König Andreas auf einem Kriegszug gegen die Ru- thenen außer Landes war, brach eine Verschwörung des auf die fremden Machthaber eifersüchtigen ungarischen Adels aus; die Königin Gertrud wurde ermordet, Berthold versuchte vergeblich aus Ungarn zu fliehen, wurde dann aber vor weiteren Anschlägen gerettet dadurch, daß das Dom- kapitel von Aquileja ihn zum Patriarchen postulierte und der Papst diesem Wunsch entsprach. So wurde Berthold 1218 der Nachfolger Wolfgers von Ellenbrechtskirchen, des Gönners Walthers von der Vogelweide, und nach der Ansicht mancher Forscher ist in Walthers Spruch auf die dres ihm günstigen Höfe er der biderbe patrîarke missewende frî (ed. Lach- mann 34, 36). Der italienische Domherr von Aquileja, Thomasin von Zirclaria, der gegen Walthers Papstsprüche des Jahres 1213 so heftig ge- wettert hatte (Welscher Gast V. 11191ff.), brandmarkte die Schandtat, der Ger- trud zum Opfer fiel (ebenda V. 2495 f.), als der Ungern untriu und unsinne !. 1 Vgl. dazu Friedrich Ködiz von Salfeld, Das Leben des heiligen Ludwig, Landgrafen in Thüringen, Gemahls der Heiligen Elisabeth. Heraus- gegeben von H. Rückert, Leipxig 1851, I, 9 S. 14, 32 bis 15, 4 und S. 110.
Der dynastische Patriotismus der Piasten. 331 über die Familie die Rachetat des Pfalzgrafen Otto von Wittelsbach schweres Unheil mitten im Aufstieg zu neuer Ehre und Macht. Die Bischofsburg von Bamberg, der Sitz von Hedwigs Bruder Eck- bert, wurde der Schauplatz eines erschütternden Wechsels: Hochzeitsfreude, Hochzeitshoffnung erstickten im Blute des Königsmordes. Am selben Tage, dem 21. Juni 1208, da Hedwigs Bruder Otto von Meran die Hand der Nichte König Philipps von Schwaben, Beatrix von Burgund, und damit die Grafschaft Burgund und die Pfalzgrafenwürde gewonnen hatte, da Otto von Wittelsbach sich auf dem Wege befand zu seiner Verlobten, der Tochter Hedwigs von Schlesien, Gertrud, erschlug dieser Verlobte den König Philipp, weil er Kenntnis erhalten von dem Inhalt eines Briefes des Königs an Herzog Heinrich von Schlesien, worin wahrscheinlich dieser vor dem jähzornigen Charakter seines künftigen Schwiegersohnes gewarnt wurde. Auf das Haus Andechs fiel der grausige Verdacht der Mitschuld an dem Verbrechen. Uber den Begleiter des Pfalzgrafen Otto, Heinrich von Andechs, Hedwigs Bruder, wurde gleichwie über den bei der Mord- tat in Bamberg anwesenden Bischof Eckbert Rewhsacht und Güterein- zichung verhängt. Mit wilder Grausamkeit vollstreckte Herzog Ludwig von Bayern, persönliches Rachegelüst stillend, das Urteil an den Rivalen, deren Aufsteigen seine Herzogsmacht beeinträchtigte: Burg Wittelsbach, Burg Andechs, die Geburtsstätte der heiligen Hedwig und ihrer Geschwister, wurde zerstört. Heinrich floh bald nach Rom, später zu seiner Schwester Gertrud nach Ungarn, kam dann aber durch den Beistand seines Bruders, des Pfalzgrafen Otto und des Herzogs Leopold von Österreich wieder xu seinem Familiengut in Steiermark, Kärnten und Krain. Auch Eckbert suchte in Ungarn bei seiner Schwester Schutz, kehrte erst 1211, nachdem die wieder- holten Schiedssprüche in dem Mordproxeß durch Eingreifen des Papstes endlich eine für ihn günstige Wendung genommen hatten, auf seinen Bischofssitz zurück. Prinzessin Gertrud, der jene Mordtat des erwählten Mannes das Leben in der Welt unerträglich gemacht haben mochte, nahm den Schleier. Wenige Jahre später traf die Familie von Andechs in Ungarn ein neuer Schlag. Als König Andreas auf einem Kriegszug gegen die Ru- thenen außer Landes war, brach eine Verschwörung des auf die fremden Machthaber eifersüchtigen ungarischen Adels aus; die Königin Gertrud wurde ermordet, Berthold versuchte vergeblich aus Ungarn zu fliehen, wurde dann aber vor weiteren Anschlägen gerettet dadurch, daß das Dom- kapitel von Aquileja ihn zum Patriarchen postulierte und der Papst diesem Wunsch entsprach. So wurde Berthold 1218 der Nachfolger Wolfgers von Ellenbrechtskirchen, des Gönners Walthers von der Vogelweide, und nach der Ansicht mancher Forscher ist in Walthers Spruch auf die dres ihm günstigen Höfe er der biderbe patrîarke missewende frî (ed. Lach- mann 34, 36). Der italienische Domherr von Aquileja, Thomasin von Zirclaria, der gegen Walthers Papstsprüche des Jahres 1213 so heftig ge- wettert hatte (Welscher Gast V. 11191ff.), brandmarkte die Schandtat, der Ger- trud zum Opfer fiel (ebenda V. 2495 f.), als der Ungern untriu und unsinne !. 1 Vgl. dazu Friedrich Ködiz von Salfeld, Das Leben des heiligen Ludwig, Landgrafen in Thüringen, Gemahls der Heiligen Elisabeth. Heraus- gegeben von H. Rückert, Leipxig 1851, I, 9 S. 14, 32 bis 15, 4 und S. 110.
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332 Exkurse zum Breslauer Bistumsstreit (1380/82). Hedwig war 1186 im Alter von zwölf Jahren dem schlesischen Herzog vermählt und hatte ihm vier Söhne und drei Töchter geboren, dann aber (1209) im Einvernehmen mit ihrem Gatten dem ehelichen Verkchr durch ein Gelübde entsagt, das sie ohne Annahme des Ordenskleides für den Rest ihres Lebens in die Braut Christi verwandelte. Die schmerzlichen Erfahrungen in ihrer Familie haben bei diesem Entschluß mitgewirkt und zu der fortgesetzten Verschärfung ihrer Kasteiung beigetragen. War doch auch ihrer eigenen Ehe ein tragisches Los gefallen. Im Hause ihres Schwiegervaters Boleslaws I., der durch seine Mutter und seine zweite Gattin den staufischen Kaisern verwandt war, herrschte heftige Zwietracht: dessen Sohn aus seiner ersten Ehe (mit einer Russin), Jaroslaw, hatte sich mit seinem Oheim, Herzog Mesko von Ratibor, dem Begründer der oberschlesischen Piastenlinie, dem jüngeren Bruder Boles- laws I., verbündet und den eigenen Vater samt der verhaßten deutschen Stiefmutter Adelheid, der Tochter des Pfalzgrafen Berengar von Sulzbach, und deren zwei Söhnen, seinen Stiefbrüdern Konrad und Heinrich I., Hedwigs späterem Gemahl, vertrieben. Dieser Familienkrieg, in dem die Ländergier dem Bruder gegen den Bruder, dem Sohn gegen den Vater das Schwert in die Hand drückte, flammte auch nach Hedwigs Heirat wieder auf und mußte sie lange Zeit mit Sorge und Kummer erfüllen. Nachdem ihr Erstgeborner, Boleslaw, jung gestorben war, sollte sie er- leben, daß, als ihr Gatte die Regierung seinen Söhnen abgetreten hatte, zwischen diesen ein wilder Kampf um die Verteilung der väterlichen Länder entbrannte. Konrad sammelte um sich die Polen, die ihn gegen den Bruder aufstachelten, Heinrich mußte sich demgegenüber auf die deutschen Ritter stützen. Die Vermittlungsversuche der Eltern hatten keinen Erfolg. Beide entflohen vor dem Bruderkriege, der Vater auf die Burg Glogau, die Mutter Hedwig nach Nimptsch. In dem Waffenstreit blieb Heinrich an der Spitze seiner deutschen Mannschaft Sieger, Konrad floh zum Vater, starb aber bald danach durch einen Sturz vom Pferde auf der Jagd. Fortan führte Hedwigs Gemahl die Zügel der Herrschaft gemeinsam mit seinem nunmehr einzigen Sohn. Sein Eingreifen in die fortwährenden blutigen Händel der polnischen Herzöge brachte ihn zweimal in Todes- gefahr und gab seiner Gattin aufs neue schmerzlichste Gelegenheit, ihre Seelenstärke und ihre Aufopferung zu bewähren. Bei einem heimtücki- schen Uberfall durch Herzog Wladislaw Odonicz von Kalisch und Herzog Swantopolk von Pommern in der Nähe von Gonsawa (1227) entrann er schwer verwundet meuchlerischer Ermordung. Er hat dann den Sohn und Erben seines einstigen Verbündeten, Herzogs Lesko von Krakau, der in dem schändlichen Blutbad von Gonsawa gefallen war, mannhaft ver- teidigt, aber ihm anscheinend als Lohn für den gewährten Schutz einen Teil des kleinpolnischen Landes entzogen und sich angeeignet. Seitdem (1229) konnte er in seinen Urkunden den Titel 'Herzog von Schlesien, Krakau und Polen' führen, geriet aber wieder durch einen verräte- rischen Uberfall in die Gefangenschaft seines alten Rivalen, des Herzogs Konrad von Masovien, der ihn nach der Burg Plock bringen ließ. Nun zeigte Hedwig ihre Heldengröße: sie wagte die gefahrvolle Reise in die
332 Exkurse zum Breslauer Bistumsstreit (1380/82). Hedwig war 1186 im Alter von zwölf Jahren dem schlesischen Herzog vermählt und hatte ihm vier Söhne und drei Töchter geboren, dann aber (1209) im Einvernehmen mit ihrem Gatten dem ehelichen Verkchr durch ein Gelübde entsagt, das sie ohne Annahme des Ordenskleides für den Rest ihres Lebens in die Braut Christi verwandelte. Die schmerzlichen Erfahrungen in ihrer Familie haben bei diesem Entschluß mitgewirkt und zu der fortgesetzten Verschärfung ihrer Kasteiung beigetragen. War doch auch ihrer eigenen Ehe ein tragisches Los gefallen. Im Hause ihres Schwiegervaters Boleslaws I., der durch seine Mutter und seine zweite Gattin den staufischen Kaisern verwandt war, herrschte heftige Zwietracht: dessen Sohn aus seiner ersten Ehe (mit einer Russin), Jaroslaw, hatte sich mit seinem Oheim, Herzog Mesko von Ratibor, dem Begründer der oberschlesischen Piastenlinie, dem jüngeren Bruder Boles- laws I., verbündet und den eigenen Vater samt der verhaßten deutschen Stiefmutter Adelheid, der Tochter des Pfalzgrafen Berengar von Sulzbach, und deren zwei Söhnen, seinen Stiefbrüdern Konrad und Heinrich I., Hedwigs späterem Gemahl, vertrieben. Dieser Familienkrieg, in dem die Ländergier dem Bruder gegen den Bruder, dem Sohn gegen den Vater das Schwert in die Hand drückte, flammte auch nach Hedwigs Heirat wieder auf und mußte sie lange Zeit mit Sorge und Kummer erfüllen. Nachdem ihr Erstgeborner, Boleslaw, jung gestorben war, sollte sie er- leben, daß, als ihr Gatte die Regierung seinen Söhnen abgetreten hatte, zwischen diesen ein wilder Kampf um die Verteilung der väterlichen Länder entbrannte. Konrad sammelte um sich die Polen, die ihn gegen den Bruder aufstachelten, Heinrich mußte sich demgegenüber auf die deutschen Ritter stützen. Die Vermittlungsversuche der Eltern hatten keinen Erfolg. Beide entflohen vor dem Bruderkriege, der Vater auf die Burg Glogau, die Mutter Hedwig nach Nimptsch. In dem Waffenstreit blieb Heinrich an der Spitze seiner deutschen Mannschaft Sieger, Konrad floh zum Vater, starb aber bald danach durch einen Sturz vom Pferde auf der Jagd. Fortan führte Hedwigs Gemahl die Zügel der Herrschaft gemeinsam mit seinem nunmehr einzigen Sohn. Sein Eingreifen in die fortwährenden blutigen Händel der polnischen Herzöge brachte ihn zweimal in Todes- gefahr und gab seiner Gattin aufs neue schmerzlichste Gelegenheit, ihre Seelenstärke und ihre Aufopferung zu bewähren. Bei einem heimtücki- schen Uberfall durch Herzog Wladislaw Odonicz von Kalisch und Herzog Swantopolk von Pommern in der Nähe von Gonsawa (1227) entrann er schwer verwundet meuchlerischer Ermordung. Er hat dann den Sohn und Erben seines einstigen Verbündeten, Herzogs Lesko von Krakau, der in dem schändlichen Blutbad von Gonsawa gefallen war, mannhaft ver- teidigt, aber ihm anscheinend als Lohn für den gewährten Schutz einen Teil des kleinpolnischen Landes entzogen und sich angeeignet. Seitdem (1229) konnte er in seinen Urkunden den Titel 'Herzog von Schlesien, Krakau und Polen' führen, geriet aber wieder durch einen verräte- rischen Uberfall in die Gefangenschaft seines alten Rivalen, des Herzogs Konrad von Masovien, der ihn nach der Burg Plock bringen ließ. Nun zeigte Hedwig ihre Heldengröße: sie wagte die gefahrvolle Reise in die
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Der dynastische Patriotismus der Piasten. 333 unwirtliche Ferne und hat den ergrimmten Feind durch die stille Kraft ihrer gotterfüllten Persönlichkeit besänftigt, so daß er cinen Vertrag mit Heinrich schloß. Noch aber standen ihr die bittersten Erlebnisse bevor: ihr Gatte verfiel infolge seiner Gewalttätigkeiten und räuberischen Ubergriffe gegen Rechte und Untertanen des Erzbischofs von Gnesen und des Bischofs von Breslau — sicher zum tiefen Schmerxe Hedwigs — der päpstlichen Exkommuni- kation und ist gestorben (1238), ohne vom Bann rechtskräftig gelöst zu sein. Kaum drei Jahre später aber, am 9. April 1241, fand ihr Sohn Heinrich II. einen ruhmvollen, tragischen Tod in der Schlacht gegen die Mongolen bei Wahlstadt unweit Liegnitz als heldenhafter Führer des tapferen deutschen Heeres, von der Ubermacht besiegt und dennoch durch seinen tapferen Widerstand die asiatische Horde zur Umkehr bewegend. b) Der Frömmigkeitsenthusiasmus der heiligen Hedwig und der Weltkult ihrer Brüder. Die Legende der heiligen Hedwig hat das asketische Element ihres Lebens in grellsten Farben gemalt. Wir schauern vor diesen Bildern: vor diesen Exzessen im Fasten, die unerbittlich allen Mahnungen der Verwandten und geistlichen Berater trotzend, an den Wochentagen die Nahrung auf grobes Brot, trockene Hülsenfrüchte und Wasser herabsetzten und sie noch durch Asche verschlechterten; vor diesen wilden Selbstpeini- gungen durch Geißel und härenen Bußgürtel, die ihren Leib blutig zer- fetzten und mit eiternden Wunden bedeckten; vor ihrer Frömmigkeit, die zur Nachahmung der Leiden Christi sie antrieb, barfuß im Schnee zu gehen und auf winterlichen Steinplatten zu stehen, stundenlang auf den Knien zu liegen und über die so entstandenen gräßlichen Verletzungen und Verstümmelungen ihrer Glieder als über köstliche Triumphalien den höchsten Stolz zu empfinden. Wir wenden uns voller Ekel ab, wenn wir lesen, wie sie ihre tiefe Verehrung für das geweihte Leben der Ordens- frauen dadurch bezeugte, daß sie die Spuren von deren Füßen und die Stellen ihres Sitzes auf dem Boden oder auf Treppenstufen und auf den Schemeln und Bänken küßte, daß sie die Tücher, an denen jene sich die Hände abgetrocknet hatten, mit Küssen bedeckte, daß sie mit dem Wasser, worin jene ihre Füße gebadet, sich Augen, Hals und Haupt benetzte oder gar ihren Enkelkindern Haupt und Gesicht wusch. Wir schwanken zwischen Rührung und Abscheu, wenn berichtet wird, ihr sei im Ge- denken an Christi Erniedrigung die Armut so heilig gewesen, daß sie, um dem armen Laxarus zu gleichen, die Brotreste vom Tische der Ordens- leute als Engelspeise betrachtete, sie den Bettlern, die sie empfangen hatten, um ganz weiße Brote abkaufte und nach vielen Küssen mit Andacht ver- zehrte, daß sie, wenn sie selbst bei sich Klostergeistlichen ein Mahl gab, die nachher gesammelten Brosamen wie Reliquien der Heiligen für sich zur Speise aufbewahrte, daß sie allwöchentlich von zwei armen Frauen aus dem Kloster Leubus Speisereste für sich holen ließ, daß sie, wenn sie speiste, gern Arme um sich hatte, und bevor sie sich zu Tische setzte, ihnen eigenhändig mit gebogenen Knien die Speisen reichte und nachher
Der dynastische Patriotismus der Piasten. 333 unwirtliche Ferne und hat den ergrimmten Feind durch die stille Kraft ihrer gotterfüllten Persönlichkeit besänftigt, so daß er cinen Vertrag mit Heinrich schloß. Noch aber standen ihr die bittersten Erlebnisse bevor: ihr Gatte verfiel infolge seiner Gewalttätigkeiten und räuberischen Ubergriffe gegen Rechte und Untertanen des Erzbischofs von Gnesen und des Bischofs von Breslau — sicher zum tiefen Schmerxe Hedwigs — der päpstlichen Exkommuni- kation und ist gestorben (1238), ohne vom Bann rechtskräftig gelöst zu sein. Kaum drei Jahre später aber, am 9. April 1241, fand ihr Sohn Heinrich II. einen ruhmvollen, tragischen Tod in der Schlacht gegen die Mongolen bei Wahlstadt unweit Liegnitz als heldenhafter Führer des tapferen deutschen Heeres, von der Ubermacht besiegt und dennoch durch seinen tapferen Widerstand die asiatische Horde zur Umkehr bewegend. b) Der Frömmigkeitsenthusiasmus der heiligen Hedwig und der Weltkult ihrer Brüder. Die Legende der heiligen Hedwig hat das asketische Element ihres Lebens in grellsten Farben gemalt. Wir schauern vor diesen Bildern: vor diesen Exzessen im Fasten, die unerbittlich allen Mahnungen der Verwandten und geistlichen Berater trotzend, an den Wochentagen die Nahrung auf grobes Brot, trockene Hülsenfrüchte und Wasser herabsetzten und sie noch durch Asche verschlechterten; vor diesen wilden Selbstpeini- gungen durch Geißel und härenen Bußgürtel, die ihren Leib blutig zer- fetzten und mit eiternden Wunden bedeckten; vor ihrer Frömmigkeit, die zur Nachahmung der Leiden Christi sie antrieb, barfuß im Schnee zu gehen und auf winterlichen Steinplatten zu stehen, stundenlang auf den Knien zu liegen und über die so entstandenen gräßlichen Verletzungen und Verstümmelungen ihrer Glieder als über köstliche Triumphalien den höchsten Stolz zu empfinden. Wir wenden uns voller Ekel ab, wenn wir lesen, wie sie ihre tiefe Verehrung für das geweihte Leben der Ordens- frauen dadurch bezeugte, daß sie die Spuren von deren Füßen und die Stellen ihres Sitzes auf dem Boden oder auf Treppenstufen und auf den Schemeln und Bänken küßte, daß sie die Tücher, an denen jene sich die Hände abgetrocknet hatten, mit Küssen bedeckte, daß sie mit dem Wasser, worin jene ihre Füße gebadet, sich Augen, Hals und Haupt benetzte oder gar ihren Enkelkindern Haupt und Gesicht wusch. Wir schwanken zwischen Rührung und Abscheu, wenn berichtet wird, ihr sei im Ge- denken an Christi Erniedrigung die Armut so heilig gewesen, daß sie, um dem armen Laxarus zu gleichen, die Brotreste vom Tische der Ordens- leute als Engelspeise betrachtete, sie den Bettlern, die sie empfangen hatten, um ganz weiße Brote abkaufte und nach vielen Küssen mit Andacht ver- zehrte, daß sie, wenn sie selbst bei sich Klostergeistlichen ein Mahl gab, die nachher gesammelten Brosamen wie Reliquien der Heiligen für sich zur Speise aufbewahrte, daß sie allwöchentlich von zwei armen Frauen aus dem Kloster Leubus Speisereste für sich holen ließ, daß sie, wenn sie speiste, gern Arme um sich hatte, und bevor sie sich zu Tische setzte, ihnen eigenhändig mit gebogenen Knien die Speisen reichte und nachher
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334 Exkurse zum Breslauer Bistumsstreit (1380/82). bei der Mahlzeit keinen Trunk zu sich nahm, wenn nicht zuvor aus ihrem Becher der garstigste der Bettler getrunken, daß sie zuweilen selbst die Stellen, wo die Armen gesessen, heimlich mit ihren Lippen berührte. Mag hier einzelnes! von der Phantasie des Erzählers übertrieben sein, wie denn der Illustrator der Schlackenwerther Handschrift die Szene mit den Aussätzigen, denen Hedwig am Gründonnerstag die Füße wusch, seinerseits noch über den Wortlaut der Legende hinaus ins Gräßliche steigert, ein Orgiasmus der Devotion, der Christusliebe, ein Rausch der Entselbstung und der grenzenlosen Hingabe an das religiöse Ideal der Menschenliebe, der Aufopferung, der Barmherzigkeit und Mildtätigkeit, der hilfreichen Sorge für alle Schwachen, Gebrechlichen, Leidenden, be- sonders auch für die Gefangenen und Verurteilten, denen sie, auch wenn es Feinde ihres Gatten waren, durch Sendung von Speise und Trank, Kleidern, Wäsche und Kerzen ihre Not linderte, oft auch Milderung der Strafe oder Befreiung erwirkte, dieser ganze psychopathische Drang einer für das Göttliche glühenden Leidenschaft war — das ist unverkennbar und beruht nicht auf späterer Ausschmückung oder Erfindung — der in Glanx und Leid erprobten Fürstin innerstes Wesen und stempelte sie zu einer Persönlichkeit, die lebend und nach ihrem Tode auf die Menschen zauberhaft wirkte und unbegreifliche Wunder vollbrachte. Die heilige Hedwig steht dadurch ihrer Nichte, der vor ihr kanoni- sierten heiligen Elisabeth nahe, und auch ihre Schwiegertochter, Anna von Böhmen, die Tochter König Ottokars I., war verwandten Geistes. Die Geburt der heiligen Elisabeth fällt zusammen mit dem Auftreten des heiligen Franz. Und schon 1220 kamen die ersten Minoriten nach Schlesien, in die Liebfrauenkirche zu Schweidnitz2, wahrscheinlich doch auf Anregung Hedwigs. Im selben Jahr leistete ihr Bruder Berthold Kaiser Friedrich II. zur Krönung mit 2000 glänzenden Rittern Gefolg- schaft und entfaltete überhaupt gern den vollen Prunk seiner fürstlichen Stellung. Er war gleich seinem Bruder, Bischof Eckbert von Bamberg, ein Freund der Ideale ritterlich-höfischen Wesens: Ulrich von Lichten- stein konnte beide neben ihrem Bruder Heinrich, Markgrafen von Istrien, als Zuschauer auftreten lassen bei dem großen Massenturnier, mit dem er seine poetische Darstellung der wahrscheinlich fingierten Fürstenver- 1 Vgl. Grünhagen, Geschichte Schlesiens 1, S. 56: Jedenfalls kommt darin sin der Hedwigslegende] nur die eine Seite ihres Wesens, das asketische Moment, recht zur Erscheinung. Daß es noch eine andere Seite gab, zeigt uns die kurze Zeit nach ihrem Tode gefertigte Statue ihres Hochgrabes, wo sie in reichem, herzoglichem Sehmucke uns entgegentritt, und ebenso das Siegel, dessen sie sich selbst bediente, und welches sie in sehr modischer, fast üppig zu nennen- der Gewandung darstellt. Die Legende (Kap. 2) berichtet, daß sie auch unter dem vornehmeren Gewande oder in einem mäßigen. ihrer Stellung entsprechen- den äußeren Schmuck, den sie bisweilen vor den Menschen tragen mußte, nie- mals ihr demütiges Herz verleugnete, in den späteren Lebensjahren aber, außer an Festtagen, alle weltlichen und bunten Gewänder vermied, sich in graues Tuch kleidete und mit Vorliebe alte, von ihren Frauen vorher getragene und abgenutzte Kleider anzog. 2 Regesten zur schlesischen Geschichte. Cod. diplom. Silesiae VII, 1, S. 128f.
334 Exkurse zum Breslauer Bistumsstreit (1380/82). bei der Mahlzeit keinen Trunk zu sich nahm, wenn nicht zuvor aus ihrem Becher der garstigste der Bettler getrunken, daß sie zuweilen selbst die Stellen, wo die Armen gesessen, heimlich mit ihren Lippen berührte. Mag hier einzelnes! von der Phantasie des Erzählers übertrieben sein, wie denn der Illustrator der Schlackenwerther Handschrift die Szene mit den Aussätzigen, denen Hedwig am Gründonnerstag die Füße wusch, seinerseits noch über den Wortlaut der Legende hinaus ins Gräßliche steigert, ein Orgiasmus der Devotion, der Christusliebe, ein Rausch der Entselbstung und der grenzenlosen Hingabe an das religiöse Ideal der Menschenliebe, der Aufopferung, der Barmherzigkeit und Mildtätigkeit, der hilfreichen Sorge für alle Schwachen, Gebrechlichen, Leidenden, be- sonders auch für die Gefangenen und Verurteilten, denen sie, auch wenn es Feinde ihres Gatten waren, durch Sendung von Speise und Trank, Kleidern, Wäsche und Kerzen ihre Not linderte, oft auch Milderung der Strafe oder Befreiung erwirkte, dieser ganze psychopathische Drang einer für das Göttliche glühenden Leidenschaft war — das ist unverkennbar und beruht nicht auf späterer Ausschmückung oder Erfindung — der in Glanx und Leid erprobten Fürstin innerstes Wesen und stempelte sie zu einer Persönlichkeit, die lebend und nach ihrem Tode auf die Menschen zauberhaft wirkte und unbegreifliche Wunder vollbrachte. Die heilige Hedwig steht dadurch ihrer Nichte, der vor ihr kanoni- sierten heiligen Elisabeth nahe, und auch ihre Schwiegertochter, Anna von Böhmen, die Tochter König Ottokars I., war verwandten Geistes. Die Geburt der heiligen Elisabeth fällt zusammen mit dem Auftreten des heiligen Franz. Und schon 1220 kamen die ersten Minoriten nach Schlesien, in die Liebfrauenkirche zu Schweidnitz2, wahrscheinlich doch auf Anregung Hedwigs. Im selben Jahr leistete ihr Bruder Berthold Kaiser Friedrich II. zur Krönung mit 2000 glänzenden Rittern Gefolg- schaft und entfaltete überhaupt gern den vollen Prunk seiner fürstlichen Stellung. Er war gleich seinem Bruder, Bischof Eckbert von Bamberg, ein Freund der Ideale ritterlich-höfischen Wesens: Ulrich von Lichten- stein konnte beide neben ihrem Bruder Heinrich, Markgrafen von Istrien, als Zuschauer auftreten lassen bei dem großen Massenturnier, mit dem er seine poetische Darstellung der wahrscheinlich fingierten Fürstenver- 1 Vgl. Grünhagen, Geschichte Schlesiens 1, S. 56: Jedenfalls kommt darin sin der Hedwigslegende] nur die eine Seite ihres Wesens, das asketische Moment, recht zur Erscheinung. Daß es noch eine andere Seite gab, zeigt uns die kurze Zeit nach ihrem Tode gefertigte Statue ihres Hochgrabes, wo sie in reichem, herzoglichem Sehmucke uns entgegentritt, und ebenso das Siegel, dessen sie sich selbst bediente, und welches sie in sehr modischer, fast üppig zu nennen- der Gewandung darstellt. Die Legende (Kap. 2) berichtet, daß sie auch unter dem vornehmeren Gewande oder in einem mäßigen. ihrer Stellung entsprechen- den äußeren Schmuck, den sie bisweilen vor den Menschen tragen mußte, nie- mals ihr demütiges Herz verleugnete, in den späteren Lebensjahren aber, außer an Festtagen, alle weltlichen und bunten Gewänder vermied, sich in graues Tuch kleidete und mit Vorliebe alte, von ihren Frauen vorher getragene und abgenutzte Kleider anzog. 2 Regesten zur schlesischen Geschichte. Cod. diplom. Silesiae VII, 1, S. 128f.
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Der dynastische Patriotismus der Piasten. 335 sammlung in der Stadt Friesach schmückt (Frauendienst, ed. Lach- mann. S. 77, 17—32). Und den zuletzt Genannten, Markgraf Heinrich, schilderte Ulrich von Lichtenstein mit herzenswarmer Beredsamkeit als den Meister aller ritterlichen Bildung und Tüchtigkeit, als seinen eigenen Lehrer in höfischer Zucht, im Frauenkult und Minnedienst, in der Kunst zu turnieren wie zu sprechen wider diu wip und an prieven tihten süeziu wort (Frauendienst S. 8, 15 bis 10, 7). Dabei stand ihm wohl des mit Sophie, der Tochter des krainischen Grafen Albert von Weichsel- burg, vermählten Markgrafen Hof zu Windischgrätz vor Augen. Diesem ritterlichen Weltkultus der drei Brüder scheint ihrer Schwester Hedwig Kultus der Armut und Buße schroff zu widersprechen. Auch der glanzliebende Patriarch Berthold von Aquileja war allerdings persön- lich mit Franz von Assisi eng befreundet. Es ist aber, als ob die glühende Lebenslust dieses Geschlechts sich in das Gegenteil überschlägt und in den weiblichen Gliedern, in der heiligen Hedwig, der heiligen Elisabeth, in Gertrud und Anna, sich zu einer ebenso heißen Glut der Frömmigkeit verwandelt. Die Legende der heiligen Hedwig motiviert und erklärt die uns ab- stoßenden Akte maßloser Selbsterniedrigung aus der Liebeswonne' (pre amoris dulcedine), aus der Liebesglut' ihrer Heldin, von der sie inner- lich entbrannt’ gewesen sei (fervore caritatis estuabat interius)i, aus ihrem innerlich erglühenden Herzen und dem in ihrer Meditation auf- lodernden göttlichen Feuer, das als Flammenkraft hervorbrach und ihr die empfangenen Eindrücke der Winterkälte an ihrem Körper linderte' 2. Mit starken Tönen weiß die Legende die inbrünstige Sehnsucht dieser frommen Seele zu beschreiben3. „In ihren innersten Tiefen verlangte sie nach der Gegenwart des Geliebten, des so wunderbaren Trösters, daß sie seiner geheimnißvollen Zusprache sich bemächtige, die Wonne seiner Liebe genieße, die Wirkung seiner heilbringenden Gnade empfange und mit dem Gaumen ihres Herzens den Geschmack seiner wunderbaren Süße koste. Um dies heimlicher, ruhiger, sicherer und häufiger zu können, wählte sie passende Zeiten und Orte, änderte auch die Wege, den Ge- liebten zu suchen. Weil sie aus Erfahrung wußte, daß er wohl zu jeder Zeit sich suchen lasse, aber oft den Wachenden und am ehesten denen, die ihn mit Sehnsucht suchen, erscheine, so wachte sie soviel als möglich und wandelte in Betrachtung und Gebet unablässig und suchte ihn, den ihre Seele liebte4. Glühend war ihr Herz, vor Liebe zu Gott hatte sie 1 Vita S. Hedwigis Kap. 2. Kap. 4, ed. Stenzel S. 10, Abs. 2; S. 17, Abs. 2; ed. Semkowicz S. 521, Abs. 3; S. 529, Abs. 3. 2 Ebenda, ed. Stenxel S. 17, Abs. 2; ed. Semkowicx S. 530, Abs. I: intra eam cor ejus sic concaluit sicque in meditacione ipsius ignis divinus exarsit, quod exinde vis quedam flammea foras erumpens . . . inpressiones frigoris receptas in corpore mitigaret. 3 Ebenda Kap. 5, ed. Stenzel S. 22, Abs. 1; ed. Semkowicx S. 535 f. 4 Cantic. cant. 1, 6: Indica mihi quem diligit anima mea; 3, 1: Per noctes quaesivi quem diligit anima mea; 3,2: Per vicos et plateas quaeram, quem diligit anima mea; 3, 3: Num quem diligit anima mea, vidistis?; 3, 4: In- veni, quem diligit anima mea.
Der dynastische Patriotismus der Piasten. 335 sammlung in der Stadt Friesach schmückt (Frauendienst, ed. Lach- mann. S. 77, 17—32). Und den zuletzt Genannten, Markgraf Heinrich, schilderte Ulrich von Lichtenstein mit herzenswarmer Beredsamkeit als den Meister aller ritterlichen Bildung und Tüchtigkeit, als seinen eigenen Lehrer in höfischer Zucht, im Frauenkult und Minnedienst, in der Kunst zu turnieren wie zu sprechen wider diu wip und an prieven tihten süeziu wort (Frauendienst S. 8, 15 bis 10, 7). Dabei stand ihm wohl des mit Sophie, der Tochter des krainischen Grafen Albert von Weichsel- burg, vermählten Markgrafen Hof zu Windischgrätz vor Augen. Diesem ritterlichen Weltkultus der drei Brüder scheint ihrer Schwester Hedwig Kultus der Armut und Buße schroff zu widersprechen. Auch der glanzliebende Patriarch Berthold von Aquileja war allerdings persön- lich mit Franz von Assisi eng befreundet. Es ist aber, als ob die glühende Lebenslust dieses Geschlechts sich in das Gegenteil überschlägt und in den weiblichen Gliedern, in der heiligen Hedwig, der heiligen Elisabeth, in Gertrud und Anna, sich zu einer ebenso heißen Glut der Frömmigkeit verwandelt. Die Legende der heiligen Hedwig motiviert und erklärt die uns ab- stoßenden Akte maßloser Selbsterniedrigung aus der Liebeswonne' (pre amoris dulcedine), aus der Liebesglut' ihrer Heldin, von der sie inner- lich entbrannt’ gewesen sei (fervore caritatis estuabat interius)i, aus ihrem innerlich erglühenden Herzen und dem in ihrer Meditation auf- lodernden göttlichen Feuer, das als Flammenkraft hervorbrach und ihr die empfangenen Eindrücke der Winterkälte an ihrem Körper linderte' 2. Mit starken Tönen weiß die Legende die inbrünstige Sehnsucht dieser frommen Seele zu beschreiben3. „In ihren innersten Tiefen verlangte sie nach der Gegenwart des Geliebten, des so wunderbaren Trösters, daß sie seiner geheimnißvollen Zusprache sich bemächtige, die Wonne seiner Liebe genieße, die Wirkung seiner heilbringenden Gnade empfange und mit dem Gaumen ihres Herzens den Geschmack seiner wunderbaren Süße koste. Um dies heimlicher, ruhiger, sicherer und häufiger zu können, wählte sie passende Zeiten und Orte, änderte auch die Wege, den Ge- liebten zu suchen. Weil sie aus Erfahrung wußte, daß er wohl zu jeder Zeit sich suchen lasse, aber oft den Wachenden und am ehesten denen, die ihn mit Sehnsucht suchen, erscheine, so wachte sie soviel als möglich und wandelte in Betrachtung und Gebet unablässig und suchte ihn, den ihre Seele liebte4. Glühend war ihr Herz, vor Liebe zu Gott hatte sie 1 Vita S. Hedwigis Kap. 2. Kap. 4, ed. Stenzel S. 10, Abs. 2; S. 17, Abs. 2; ed. Semkowicz S. 521, Abs. 3; S. 529, Abs. 3. 2 Ebenda, ed. Stenxel S. 17, Abs. 2; ed. Semkowicx S. 530, Abs. I: intra eam cor ejus sic concaluit sicque in meditacione ipsius ignis divinus exarsit, quod exinde vis quedam flammea foras erumpens . . . inpressiones frigoris receptas in corpore mitigaret. 3 Ebenda Kap. 5, ed. Stenzel S. 22, Abs. 1; ed. Semkowicx S. 535 f. 4 Cantic. cant. 1, 6: Indica mihi quem diligit anima mea; 3, 1: Per noctes quaesivi quem diligit anima mea; 3,2: Per vicos et plateas quaeram, quem diligit anima mea; 3, 3: Num quem diligit anima mea, vidistis?; 3, 4: In- veni, quem diligit anima mea.
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336 Exkurse zum Breslauer Bistumsstreit (1380/82). keine Ruhe; ihn liebte sie, nach seiner Gegenwart sehnte sie sich, gleich- wie der Hirsch verlangt nach den Wasserquellen1. Tag und Nacht ver- harrte sie in dem heiligen Wachdienst, auf die Ankunft des Trösters wartend, daß sie ihm, wenn er komme und an die Tür ihres Herzens anklopfe, eilig öffne (ut venienti et pulsanti ad januam cordis celeriter aperiret) 2. Vom letzten täglichen Stundengebet bis zum Schweigen der tiefen Nacht verharrte sie in vielfältigen Gebeten, damit in den Stunden, da die trägen Menschen der Schlaf zu betäuben pflegt, sie die Stimme des Geliebten höre, wenn er anklopfe und sie wonniglich anrede, damit sie höre jenes Wort, das den Irdischgesinnten verborgen und dem Lärm der Welt entrückt ist, höre das süßeste Wort, das von Entzückungen voll ist und überströmt von heilbringenden Geheimnissen. Da sie nun so sehnlich der Wonne dieses Wortes zu genießen verlangte, wachte sie sorg- sam, daß ihr Ohr gleichsam verstohlen die Hauche seines Geflüsters auf- nehme. Ihr Geliebter aber gewährte ihr Vergeltung: an ihr, die so wach- sam auf der Hut lag, ging er nicht vorüber und wandte sich nicht von ihr, sondern trat zu ihr, sprach Liebesworte und entflammte ihr Herz so sehr, daß sie ihn als in der Flamme ihrer Liebe gegenwärtig erkannte und merkte, in unwandelbarer Kraft (in immutativa virtute) sei bei ihr der, den sie liebte. Wer von uns allen ist wohl so wachsam, wer paßt so scharf jeden Augenblick auf den Besuch des Herrn, auf die Ankunft des Bräutigams, daß er, sobald er gekommen ist und anklopft, sogleich ihm öffne gleich jener, die gar wenig schlummerte, gar wenig schlief, wenn einmal nach langem Wachen doch die einbrechende Ermüdung sie überwältigte? Denn sobald ihre Hausgenossinnen, die bei ihr weilten, vom Schlafe erquickt aufstanden, fanden sie sie immer noch wachend und betend im Schlafzimmer vor ihrem Lager und in Zwiesprach mit dem, der so ganz ersehnenswert ist. Hatte sie sich aber durch kurzen Schlaf gestärkt, so stand sie wieder auf, entweder um Mitternacht oder wenigstens der Morgendämmerung zuvoreilend, damit sie, wenn die Sterne der Frühe den Herrn loben und alle Söhne Gottes frohlocken, auch sie selbst Gott ihr Lobgebet darbringe.“ Es sind die alten Bilder des 'Hohenliedes', die der Legende hier dienen, den Seelenzustand der heiligen Hedwig zu vergegenwärtigen. Aus diesem unerschöpflichen Brunnen christlicher Eros-Mystik hatte die dich- terische Phantasie des Mittelalters, erst die religiöse, dann aber auch die weltliche, immer wieder ihre Becher gefüllt. Im 12. Jahrhundert war Willirams kühle und dogmatisch gebundene deutsche Paraphrase abgelöst worden von einer allegorischen Deutung, die im Subjektiven aufging, in dem frommen Enthusiasmus der Einzelseele schwelgte, und hatte so den Boden bereitet für Heinrichs von Veldeke minnigliches Salomogedicht, in 1 Psalm 41, 2: Quemadmodum desiderat cervus ad fontes aquarum, ita desiderat anima mea ad te. Deus. 2 Cantic. cant. 5,2: Vox dilecti mei pulsantis: Aperi . . . soror mea. amica mea, columba mea, immaculata mea'; Luc. 12, 36: ut cum venerit [dominus] et pulsaverit, confestim aperiant ei; Apocal. 3, 20: Ecce sto ad ostium et pulso: si quis audierit vocem meam et aperuerit mihi januam, in- trabo ad illum; vgl. Matth. 24, 42; 25, 5. 13.
336 Exkurse zum Breslauer Bistumsstreit (1380/82). keine Ruhe; ihn liebte sie, nach seiner Gegenwart sehnte sie sich, gleich- wie der Hirsch verlangt nach den Wasserquellen1. Tag und Nacht ver- harrte sie in dem heiligen Wachdienst, auf die Ankunft des Trösters wartend, daß sie ihm, wenn er komme und an die Tür ihres Herzens anklopfe, eilig öffne (ut venienti et pulsanti ad januam cordis celeriter aperiret) 2. Vom letzten täglichen Stundengebet bis zum Schweigen der tiefen Nacht verharrte sie in vielfältigen Gebeten, damit in den Stunden, da die trägen Menschen der Schlaf zu betäuben pflegt, sie die Stimme des Geliebten höre, wenn er anklopfe und sie wonniglich anrede, damit sie höre jenes Wort, das den Irdischgesinnten verborgen und dem Lärm der Welt entrückt ist, höre das süßeste Wort, das von Entzückungen voll ist und überströmt von heilbringenden Geheimnissen. Da sie nun so sehnlich der Wonne dieses Wortes zu genießen verlangte, wachte sie sorg- sam, daß ihr Ohr gleichsam verstohlen die Hauche seines Geflüsters auf- nehme. Ihr Geliebter aber gewährte ihr Vergeltung: an ihr, die so wach- sam auf der Hut lag, ging er nicht vorüber und wandte sich nicht von ihr, sondern trat zu ihr, sprach Liebesworte und entflammte ihr Herz so sehr, daß sie ihn als in der Flamme ihrer Liebe gegenwärtig erkannte und merkte, in unwandelbarer Kraft (in immutativa virtute) sei bei ihr der, den sie liebte. Wer von uns allen ist wohl so wachsam, wer paßt so scharf jeden Augenblick auf den Besuch des Herrn, auf die Ankunft des Bräutigams, daß er, sobald er gekommen ist und anklopft, sogleich ihm öffne gleich jener, die gar wenig schlummerte, gar wenig schlief, wenn einmal nach langem Wachen doch die einbrechende Ermüdung sie überwältigte? Denn sobald ihre Hausgenossinnen, die bei ihr weilten, vom Schlafe erquickt aufstanden, fanden sie sie immer noch wachend und betend im Schlafzimmer vor ihrem Lager und in Zwiesprach mit dem, der so ganz ersehnenswert ist. Hatte sie sich aber durch kurzen Schlaf gestärkt, so stand sie wieder auf, entweder um Mitternacht oder wenigstens der Morgendämmerung zuvoreilend, damit sie, wenn die Sterne der Frühe den Herrn loben und alle Söhne Gottes frohlocken, auch sie selbst Gott ihr Lobgebet darbringe.“ Es sind die alten Bilder des 'Hohenliedes', die der Legende hier dienen, den Seelenzustand der heiligen Hedwig zu vergegenwärtigen. Aus diesem unerschöpflichen Brunnen christlicher Eros-Mystik hatte die dich- terische Phantasie des Mittelalters, erst die religiöse, dann aber auch die weltliche, immer wieder ihre Becher gefüllt. Im 12. Jahrhundert war Willirams kühle und dogmatisch gebundene deutsche Paraphrase abgelöst worden von einer allegorischen Deutung, die im Subjektiven aufging, in dem frommen Enthusiasmus der Einzelseele schwelgte, und hatte so den Boden bereitet für Heinrichs von Veldeke minnigliches Salomogedicht, in 1 Psalm 41, 2: Quemadmodum desiderat cervus ad fontes aquarum, ita desiderat anima mea ad te. Deus. 2 Cantic. cant. 5,2: Vox dilecti mei pulsantis: Aperi . . . soror mea. amica mea, columba mea, immaculata mea'; Luc. 12, 36: ut cum venerit [dominus] et pulsaverit, confestim aperiant ei; Apocal. 3, 20: Ecce sto ad ostium et pulso: si quis audierit vocem meam et aperuerit mihi januam, in- trabo ad illum; vgl. Matth. 24, 42; 25, 5. 13.
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Der dynastische Patriotismus der Piasten. 337 dem die geistliche Tropik ins Weltliche hinüberglitt 1. Das in der Hedwigs- vita so lebendig hervortretende Bild vom schnlich gesuchten, erwarteten Geliebten, der bei seinem Kommen an der Pforte anklopft und dem sofort geöffnet wird, erklingt in prachtvoller Säkularisierung noch bei Wolfram, wenn am Beginn des 9. Buches scines Parzival, das nach zwei, der Gawan- episode gewidmeten Büchern, wieder zu dem Haupthelden xurückführt und den großen Umschwung seines Schicksals, seinen Aufstieg zur Läuterung und Erlösung einleitet, die Frau Aventiure in Person auftritt, am Herzen des Dichters anklopft, mit dem Ruf: „Tut auf!“ Einlaß in sein Herz begehrt und nach des Dichters Gegenfrage: „Wem? wer seid Ihr?" auch erhält, um endlich wieder von dem ihm so lange entschwundenen Parzival Wunder zu erzählen. Aus der Kühnheit seines das Außerste wagenden Genies hat hier der große Besecler des überlieferten Sagenstoffs die Muse seiner epischen Kunst als die Bexwringerin seines Herzens gefeiert und so seinen Scelenbund mit ihr auf cin Piedestal erhoben, das die mittel- alterliche Eros-Mystik für den heiligen Verkehr der Gottheit mit der frommen Seele des Christen errichtet hatte. Nun aber, im Zeitalter des heiligen Franz, Joachims von Fiore und der zelantischen Spiritualen des Mino- ritenordens, im Zeitalter Bonaventuras, Jacopones, der heiligen Hedwig und ihrer Nichte, der heiligen Elisabeth, brach die religiöse Strömung aus der Tiefe wieder empor, um die höfisch-ritterliche Bildung von innen zu unterwühlen und xum Einsturz zu bringen. Gegenüber der in Mode und Konvenienz erstarrenden Standeskultur des Rittertums und dem kalten Rationalismus der an System und Formel gebundenen Scholastik drang nun ein neuer Seelenaufschwung durch die Welt. c) Die religiöse Erregung der Zeit als Seelenbefreiung und Vorstufe der Renaissance. Ich schrieb vor Jahren2: „Aus der Trunkenheit des Gefühls, das die heilige Elisabeth an die Betten der von Todesangst gefolterten Aussätzigen trieb . . . stammt der innerste Impuls der Renaissance.“ Ich füge hin- zu: auch der psychopathische, bis zum Fetischismus gesteigerte religiöse Nervenaufruhr und Liebesdrang ihrer Tante, der heiligen Hedwig, wie er aus ihrem Leben den Zeitgenossen, stärker wohl noch aus ihrer Le- gende, den nachfolgenden Geschlechtern entgegenglühte und sie hinriß, stammt aus derselben Welle der Seelenbefreiung. Dabei verdient besonders hervorgehoben zu werden: Hedwig legte sich nicht die Fesseln eines Ordensgelübdes an, obgleich ihre Tochter Gertrud, die als Nonne im Zisterzienserinnenkloster Trebnitz lebte, sie daxu drängte (Legende Kap. 2, ed. Stenzel S. 8, ed. Semkowicz S. 519f.). Sie wollte sich in der Be- tätigung ihres humanitären Triebes und überhaupt in der Ausübung ihres religiösen Enthusiasmus die volle persönliche Freiheit als 1 Vgl. meinen Vortrag auf der Kölner Philologenversammlung 1895 über das Nachleben antiker Kunst und Dichtung im Mittelalter (jetxt Vorspiel I I, Halle a. S., Niemeyer, 1925, S. 63—76). 2 Uber den Ursprung des Humanismus. Deutsche Rundschau 1914, Februar, S. 205 f. (= Reformation, Renaissance, Humanismus, S. 123f.).
Der dynastische Patriotismus der Piasten. 337 dem die geistliche Tropik ins Weltliche hinüberglitt 1. Das in der Hedwigs- vita so lebendig hervortretende Bild vom schnlich gesuchten, erwarteten Geliebten, der bei seinem Kommen an der Pforte anklopft und dem sofort geöffnet wird, erklingt in prachtvoller Säkularisierung noch bei Wolfram, wenn am Beginn des 9. Buches scines Parzival, das nach zwei, der Gawan- episode gewidmeten Büchern, wieder zu dem Haupthelden xurückführt und den großen Umschwung seines Schicksals, seinen Aufstieg zur Läuterung und Erlösung einleitet, die Frau Aventiure in Person auftritt, am Herzen des Dichters anklopft, mit dem Ruf: „Tut auf!“ Einlaß in sein Herz begehrt und nach des Dichters Gegenfrage: „Wem? wer seid Ihr?" auch erhält, um endlich wieder von dem ihm so lange entschwundenen Parzival Wunder zu erzählen. Aus der Kühnheit seines das Außerste wagenden Genies hat hier der große Besecler des überlieferten Sagenstoffs die Muse seiner epischen Kunst als die Bexwringerin seines Herzens gefeiert und so seinen Scelenbund mit ihr auf cin Piedestal erhoben, das die mittel- alterliche Eros-Mystik für den heiligen Verkehr der Gottheit mit der frommen Seele des Christen errichtet hatte. Nun aber, im Zeitalter des heiligen Franz, Joachims von Fiore und der zelantischen Spiritualen des Mino- ritenordens, im Zeitalter Bonaventuras, Jacopones, der heiligen Hedwig und ihrer Nichte, der heiligen Elisabeth, brach die religiöse Strömung aus der Tiefe wieder empor, um die höfisch-ritterliche Bildung von innen zu unterwühlen und xum Einsturz zu bringen. Gegenüber der in Mode und Konvenienz erstarrenden Standeskultur des Rittertums und dem kalten Rationalismus der an System und Formel gebundenen Scholastik drang nun ein neuer Seelenaufschwung durch die Welt. c) Die religiöse Erregung der Zeit als Seelenbefreiung und Vorstufe der Renaissance. Ich schrieb vor Jahren2: „Aus der Trunkenheit des Gefühls, das die heilige Elisabeth an die Betten der von Todesangst gefolterten Aussätzigen trieb . . . stammt der innerste Impuls der Renaissance.“ Ich füge hin- zu: auch der psychopathische, bis zum Fetischismus gesteigerte religiöse Nervenaufruhr und Liebesdrang ihrer Tante, der heiligen Hedwig, wie er aus ihrem Leben den Zeitgenossen, stärker wohl noch aus ihrer Le- gende, den nachfolgenden Geschlechtern entgegenglühte und sie hinriß, stammt aus derselben Welle der Seelenbefreiung. Dabei verdient besonders hervorgehoben zu werden: Hedwig legte sich nicht die Fesseln eines Ordensgelübdes an, obgleich ihre Tochter Gertrud, die als Nonne im Zisterzienserinnenkloster Trebnitz lebte, sie daxu drängte (Legende Kap. 2, ed. Stenzel S. 8, ed. Semkowicz S. 519f.). Sie wollte sich in der Be- tätigung ihres humanitären Triebes und überhaupt in der Ausübung ihres religiösen Enthusiasmus die volle persönliche Freiheit als 1 Vgl. meinen Vortrag auf der Kölner Philologenversammlung 1895 über das Nachleben antiker Kunst und Dichtung im Mittelalter (jetxt Vorspiel I I, Halle a. S., Niemeyer, 1925, S. 63—76). 2 Uber den Ursprung des Humanismus. Deutsche Rundschau 1914, Februar, S. 205 f. (= Reformation, Renaissance, Humanismus, S. 123f.).
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338 Exkurse zum Breslauer Bistumsstreit (1380/82). Fürstin sichern. Sie gerade bietet ein hervorragendes Beispiel zur Er- läuterung meiner früher (a. a. O.) geäußerten Ansicht über die psycho- logische Quelle der Renaissance, über die Lockerung und Erregung der Seelen, die für das Menschlichkeits- und Persönlichkeitsideal der Renais- sance die geistige Disposition bereitete. „Der Orkan jenes gotterfüllten Liebesverlangens einer neuen Frömmigkeit, in der die Persönlichkeit sich ergießt, um eins zu werden mit dem Uberpersönlichen ... stillte sich zum Wehen eines neuen Geistes menschlichen Lebens und aus der Flamme der Selbstzerfleischung . . . entzündete sich das Feuer einer Sehn- sucht, die im Irdischen die Schöpferkraft der Persönlichkeit mit überpersönlichem Gehalt zu erfüllen und in der Liebe zur Schönheit des Daseins, in deren künstlerisch-poetischer Gestaltung die Wieder- geburt des Menschentums, die Umfassung des Göttlichen zu gewinnen suchte." Man hat diese Worte mißverstanden, indem man sie aus dem Zu- sammenhang riß und die entscheidende Fortsetzung übersah: „Aus wilden Fluten, die zu menschlicher Selbstvernichtung fortrissen, hat der Huma- nismus, hat die Renaissance die Völker des Mittelalters gerettet. Das ist ihr ewiges geschichtliches Verdienst. Diese Umwandlung der De- lirien des religiösen Gefühls aus einer lebenxerstörenden in eine leben- bejahende Kraft ist ihr Werk.“ Darin hatte ich deutlich genug aus- gesprochen, daß Humanismus und Renaissance nach meiner Ansicht nicht die bloße Fortdauer der Seelenaufrüttelung brachten, sondern diese auf einen anderen, neuen Weg lenkten. Sic brachen dem schrankenlosen Nervenaufruhr, dem glühenden Drang des Gefühls nach ewigen Mensch- heitswerten eine andere Bahn. Die alte Erfahrung, daß die Gegensätze sich berühren, wird hier zu einer großen weltgeschichtlichen Tatsache. Aus dem Fürstenhause Andechs-Meran, das die deutschen Dichter feierten als Hort höfisch-ritterlicher Bildung und Poesie, von der Wart- burg, wo Minnesang und epische Kunst ihre höchste Blüte gewannen, erstand in der heiligen Hedwig und ihrer Nichte, der heiligen Elisabeth, der Geist einer neuen menschheitlichen Religiosität von unersättlichem Verlangen. Nachdem dieses Verlangen, dieses rasende Gefühl in Welt- und Selbstverneinung bis an die Grenze der Zerstörung des menschlichen Lebens gestiegen war, schlug es scheinbar in sein Gegenteil um: es suchte seine Befriedigung in der gotterfüllten irdischen Wiedergeburt des Ichs, der Nation, der Menschheit aus dem Geist des Altertums und der pri- mitiven christlichen Kirche. Die verleugnete Natur forderte ihr Recht. d) Der Hedwigkult der Herzöge von Liegnitz�Brieg und ihr heimatlicher Vergangenheitsstolz. Herxog Ludwig I. von Liegnitz-Brieg weiht seiner Ahne Hedwig einen Kultus, der aus der religiösen Sphäre in die dynastische, familiengeschicht- liche und in die bildkünstlerische hineinragt. Er läßt in der 1353 für ihn hergestellten ehemals Schlackenwerther Handschrift der Legende die in der älteren Vorlage als Anhang beigegebene Genealogie seines Hauses an die Spitze stellen: jene Genealogie, die den Ursprung der Familie von
338 Exkurse zum Breslauer Bistumsstreit (1380/82). Fürstin sichern. Sie gerade bietet ein hervorragendes Beispiel zur Er- läuterung meiner früher (a. a. O.) geäußerten Ansicht über die psycho- logische Quelle der Renaissance, über die Lockerung und Erregung der Seelen, die für das Menschlichkeits- und Persönlichkeitsideal der Renais- sance die geistige Disposition bereitete. „Der Orkan jenes gotterfüllten Liebesverlangens einer neuen Frömmigkeit, in der die Persönlichkeit sich ergießt, um eins zu werden mit dem Uberpersönlichen ... stillte sich zum Wehen eines neuen Geistes menschlichen Lebens und aus der Flamme der Selbstzerfleischung . . . entzündete sich das Feuer einer Sehn- sucht, die im Irdischen die Schöpferkraft der Persönlichkeit mit überpersönlichem Gehalt zu erfüllen und in der Liebe zur Schönheit des Daseins, in deren künstlerisch-poetischer Gestaltung die Wieder- geburt des Menschentums, die Umfassung des Göttlichen zu gewinnen suchte." Man hat diese Worte mißverstanden, indem man sie aus dem Zu- sammenhang riß und die entscheidende Fortsetzung übersah: „Aus wilden Fluten, die zu menschlicher Selbstvernichtung fortrissen, hat der Huma- nismus, hat die Renaissance die Völker des Mittelalters gerettet. Das ist ihr ewiges geschichtliches Verdienst. Diese Umwandlung der De- lirien des religiösen Gefühls aus einer lebenxerstörenden in eine leben- bejahende Kraft ist ihr Werk.“ Darin hatte ich deutlich genug aus- gesprochen, daß Humanismus und Renaissance nach meiner Ansicht nicht die bloße Fortdauer der Seelenaufrüttelung brachten, sondern diese auf einen anderen, neuen Weg lenkten. Sic brachen dem schrankenlosen Nervenaufruhr, dem glühenden Drang des Gefühls nach ewigen Mensch- heitswerten eine andere Bahn. Die alte Erfahrung, daß die Gegensätze sich berühren, wird hier zu einer großen weltgeschichtlichen Tatsache. Aus dem Fürstenhause Andechs-Meran, das die deutschen Dichter feierten als Hort höfisch-ritterlicher Bildung und Poesie, von der Wart- burg, wo Minnesang und epische Kunst ihre höchste Blüte gewannen, erstand in der heiligen Hedwig und ihrer Nichte, der heiligen Elisabeth, der Geist einer neuen menschheitlichen Religiosität von unersättlichem Verlangen. Nachdem dieses Verlangen, dieses rasende Gefühl in Welt- und Selbstverneinung bis an die Grenze der Zerstörung des menschlichen Lebens gestiegen war, schlug es scheinbar in sein Gegenteil um: es suchte seine Befriedigung in der gotterfüllten irdischen Wiedergeburt des Ichs, der Nation, der Menschheit aus dem Geist des Altertums und der pri- mitiven christlichen Kirche. Die verleugnete Natur forderte ihr Recht. d) Der Hedwigkult der Herzöge von Liegnitz�Brieg und ihr heimatlicher Vergangenheitsstolz. Herxog Ludwig I. von Liegnitz-Brieg weiht seiner Ahne Hedwig einen Kultus, der aus der religiösen Sphäre in die dynastische, familiengeschicht- liche und in die bildkünstlerische hineinragt. Er läßt in der 1353 für ihn hergestellten ehemals Schlackenwerther Handschrift der Legende die in der älteren Vorlage als Anhang beigegebene Genealogie seines Hauses an die Spitze stellen: jene Genealogie, die den Ursprung der Familie von
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Der dynastische Patriotismus der Piasten. 339 Karl dem Großen zeigte. Er nimmt die ihm und seinen Neffen Ruprecht und Wenzel dargebrachte Widmung der xuerst von Schulte (s. oben S. 5 Anm., 6 Anm. 1, 32 Anm.) charakterisierten Chronica principum Polonorum eines Brieger Domkapitulars1 an, der die schlesischen Piasten verherrlicht als Erben des in frühestes, sagenhaftes Altertum zurückreichenden polnischen Königshauses und dadurch ihren Anspruch auf die Herrschaft über ein großes ungeteiltes schlesisch-polnisches Reich erwecken oder stärken will. Diese Chronik stellt den Herrschern sciner Zeit und der Zukunft in den ruhmvollen Taten der Fürsten der Vergangenheit einen Spiegel und ein Vor- bild auf und knüpft dabei überwiegend an die alten Fürsten des großen polnischen Reiches ihre Betrachtungen an. Sie verwandelt in diesem Be- streben die epitaphia ducum Slesie, d. h. die Grabschriften der Herzöge Schlesiens seit Boleslaus dem Langen, dem Schwiegervater der heiligen Hedwig, in epitaphia ducum Polonorum und nennt die heilige Hedwig wiederholt ducissa Polonie, obgleich ihr der Titel ducissa Slesie et Polonie gebührte und zur Zeit der Abfassung der Chronik von allen schlesischen Fürsten allein der Ausdruck dux Slesie angewendet wurde. Sie verherr- licht mit deklamatorischen Worten die Größe und den Glanz Polens unter Herzog Boleslaus I. Chrobry, nach dessen Tod († 1025) das goldene Zeitalter sich gewandelt habe und nachher Polen, früher gleichsam domina gencium vicinarum, vielerlei Unglück habe beklagen müssen (Scriptor. rer. Siles., ed. Stenzel. 1, S. 55), und macht die Zersplitterung Schlesiens in Teilfürstentümer und den von den schlesischen Fürsten durch ihre Streitigkeiten verschuldeten Verlust ihrer Herrschaft über Polen für den Verfall verantwortlich. Nur in der Wiederherstellung der alten Rechte auf Polen und der in diesem Sinne xu gewinnenden Zentralisierung er- blickt sie die Rettung Schlesiens. Ihre Darstellung ist daher ein Grab- gesang auf den Untergang der Selbständigkeit und Freiheit der piastischen Fürsten Schlesiens und eine beständige Polemik gegen den Ubertritt der schlesischen Teilfürsten in die böhmische Lehnsabhängigkeit. Gleichwohl darf man daraus, daß Ludwig und seine Neffen dieses polenfreundliche und böhmenfeindliche Geschichtswerk sich widmen ließen, für sie als die Fürsten einer Zeit, in der das, was wir Nationalitäts- bewußtsein nennen, erst im Werden war, nicht erschließen, daß sie sich als Polen und nicht als Deutsche gefühlt haben2. Sie leitete bei der Entgegennahme dieses der Geschichte Schlesiens geweihten Werkes derselbe heimatstolze Trieb zur Erkundung der Vorzeit ihres Landes, der Herzog Ludwig I. bewog, nach den Grabstätten der alten schlesischen Bischöfe in Schmograu, wo einst zeitweise ihre Residenz gewesen war, nachgraben zu lassen (Grünhagen, Geschichte Schlesiens. 1, S. 187) und die Pracht- handschrift der Hedwigslegende herstellen zu lassen. Gerade dic Hedwigs- vita aber ist ein Denkmal auch einer großen deutschen Ruhmestat und will es sein: der Heldenkampf wider die Mongolen von 1241, in dem 1 Nach Schulte a. a. O. S. 63. 172—176 hat sie der Brieger Kanonikus Peter Biczezin Ende 1385 oder Anfang 1386 vollendet. 2 Vgl. C. Grünhagen, Geschichte Schlesiens. 1, S. 187f.; Schulte a.a. O. S. 5 und Anm. 1; S. 8. 15. 16. 49.
Der dynastische Patriotismus der Piasten. 339 Karl dem Großen zeigte. Er nimmt die ihm und seinen Neffen Ruprecht und Wenzel dargebrachte Widmung der xuerst von Schulte (s. oben S. 5 Anm., 6 Anm. 1, 32 Anm.) charakterisierten Chronica principum Polonorum eines Brieger Domkapitulars1 an, der die schlesischen Piasten verherrlicht als Erben des in frühestes, sagenhaftes Altertum zurückreichenden polnischen Königshauses und dadurch ihren Anspruch auf die Herrschaft über ein großes ungeteiltes schlesisch-polnisches Reich erwecken oder stärken will. Diese Chronik stellt den Herrschern sciner Zeit und der Zukunft in den ruhmvollen Taten der Fürsten der Vergangenheit einen Spiegel und ein Vor- bild auf und knüpft dabei überwiegend an die alten Fürsten des großen polnischen Reiches ihre Betrachtungen an. Sie verwandelt in diesem Be- streben die epitaphia ducum Slesie, d. h. die Grabschriften der Herzöge Schlesiens seit Boleslaus dem Langen, dem Schwiegervater der heiligen Hedwig, in epitaphia ducum Polonorum und nennt die heilige Hedwig wiederholt ducissa Polonie, obgleich ihr der Titel ducissa Slesie et Polonie gebührte und zur Zeit der Abfassung der Chronik von allen schlesischen Fürsten allein der Ausdruck dux Slesie angewendet wurde. Sie verherr- licht mit deklamatorischen Worten die Größe und den Glanz Polens unter Herzog Boleslaus I. Chrobry, nach dessen Tod († 1025) das goldene Zeitalter sich gewandelt habe und nachher Polen, früher gleichsam domina gencium vicinarum, vielerlei Unglück habe beklagen müssen (Scriptor. rer. Siles., ed. Stenzel. 1, S. 55), und macht die Zersplitterung Schlesiens in Teilfürstentümer und den von den schlesischen Fürsten durch ihre Streitigkeiten verschuldeten Verlust ihrer Herrschaft über Polen für den Verfall verantwortlich. Nur in der Wiederherstellung der alten Rechte auf Polen und der in diesem Sinne xu gewinnenden Zentralisierung er- blickt sie die Rettung Schlesiens. Ihre Darstellung ist daher ein Grab- gesang auf den Untergang der Selbständigkeit und Freiheit der piastischen Fürsten Schlesiens und eine beständige Polemik gegen den Ubertritt der schlesischen Teilfürsten in die böhmische Lehnsabhängigkeit. Gleichwohl darf man daraus, daß Ludwig und seine Neffen dieses polenfreundliche und böhmenfeindliche Geschichtswerk sich widmen ließen, für sie als die Fürsten einer Zeit, in der das, was wir Nationalitäts- bewußtsein nennen, erst im Werden war, nicht erschließen, daß sie sich als Polen und nicht als Deutsche gefühlt haben2. Sie leitete bei der Entgegennahme dieses der Geschichte Schlesiens geweihten Werkes derselbe heimatstolze Trieb zur Erkundung der Vorzeit ihres Landes, der Herzog Ludwig I. bewog, nach den Grabstätten der alten schlesischen Bischöfe in Schmograu, wo einst zeitweise ihre Residenz gewesen war, nachgraben zu lassen (Grünhagen, Geschichte Schlesiens. 1, S. 187) und die Pracht- handschrift der Hedwigslegende herstellen zu lassen. Gerade dic Hedwigs- vita aber ist ein Denkmal auch einer großen deutschen Ruhmestat und will es sein: der Heldenkampf wider die Mongolen von 1241, in dem 1 Nach Schulte a. a. O. S. 63. 172—176 hat sie der Brieger Kanonikus Peter Biczezin Ende 1385 oder Anfang 1386 vollendet. 2 Vgl. C. Grünhagen, Geschichte Schlesiens. 1, S. 187f.; Schulte a.a. O. S. 5 und Anm. 1; S. 8. 15. 16. 49.
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340 Exkurse zum Breslauer Bistumsstreit (1380/82. Hedwigs geliebter Sohn, Heinrich II., gleich seinem Vater ein tatkräftiger Freund und Förderer der deutschen Besiedlung, grausig endete, wird in der Legende eingehend und mit Wärme geschildert. Diese Niederlage und diesen Heldentod in Wahlstatt bei Liegnitz empfanden aber die deutschen Zeitgenossen als ein schlesisches Thermopylae zur Rettung der christlichen Kultur Europas, und wie einst der Sieg über die Ungarn auf dem Lech- feld die Quelle für das erwachende nationale und staatliche Bewußtsein des deutschen Volks gewesen war, so wurde die Erinnerung an jene Mongolenschlacht den Deutschen in Schlesien zum heiligen Banner ihres Nationalgefühls. Die Bilderhandschrift der Hedwrigslegende für Herzog Ludwig I. bringt das, mehr als ein Jahrhundert später, höchst lebendig xum Ausdruck: mehrere Miniaturen der Mongolenschlacht geben den auf Heinrichs Seite kämpfenden Rittern Wappenschilde, die außer dem Kreuz der Malteserritter und dem Kreuz des deutschen Ritterordens Wappen einer Reihe bekannter deutscher Adelsfamilien Schlesiens zeigen1, die zum Teil noch heute leben. Voran ist zu nennen das Wappen der Herren von Pogarell, weil diesem Geschlecht auch der Bischof von Breslau Preczlaw angehört, dessen Notar Nikolaus von Posen der Verfasser des beigefügten Legendenauszugs gewesen ist. Ferner erscheinen die Wappen der Busewoy, der Radeck, der Reinbaben, der Tschammer, der Brauchitsch. Die Tradition des 14. Jahrhunderts feierte also diese deutschen Familien als Mitkämpfer bei dem großen nationalen Waffenerfolge. So wirken diese Bilder bedeutsam mit, die Schutzheilige Schlesiens zugleich als Helferin ihres Gatten und ihres Sohnes bei der Germanisierung des Landes zu zeigen, die bekanntlich von diesen beiden Fürsten hauptsäch- lich gefördert worden ist. An der Schwelle des deutschen Humanismus wie an der des italieni- schen empfinden die führenden Geister in gleicher Weise den Drang, neue Kraft und neues Leben aus der Geschichte der heimatlichen Ver- gangenheit, aus cinem von nationaler Eifersucht gestachelten Kultus der Ahnen zu schöpfen2 und diesen Kultus durch bildhafte oder redende Werke der Kunst zu weihen, aber auch mit Schönheit zu umstrahlen. In Italien entstanden Humanismus und Renaissance aus der nationalen Eifersucht gegen Frankreich. In Schlesien bei den Piasten des 14. Jahr- hunderts, deren Vorfahren doch selbst polnischen Geblüts gewesen waren, bereitete nationale Eifersucht gegen Polen und Böhmen dem anrückenden Renaissancegeist den Weg. Daß sich diese Piastenfürsten trotz allen inneren Kämpfen und Schwankungen schließlich doch alle nicht für Polen, sondern für den König von Böhmen entschieden, bewirkte einerseits ohne Frage die kulturelle Uberlegenheit Böhmens und des Hofes von Prag, anderseits der enge geistige und verwandtschaftliche Zusammenhang, in dem die Piastenhöfe seit dem Anfang des 13. Jahrhunderts mit der in Böhmen gepflegten deutschen Bildung und seit dem Ende des 13. Jahr- hunderts auch mit der am Prager Hof sich entfaltenden ritterlichen 1 Vgl. H. Luchs, Die Bilder der Hedwigslegende, S. 5 f. 2 Vgl. daxu jetzt auch meine Schrift: Die nationale Aneignung der Bibel und die Anfänge der germanischen Philologie. Halle a. S., M. Niemeyer. 1924, S. 15. 48f.
340 Exkurse zum Breslauer Bistumsstreit (1380/82. Hedwigs geliebter Sohn, Heinrich II., gleich seinem Vater ein tatkräftiger Freund und Förderer der deutschen Besiedlung, grausig endete, wird in der Legende eingehend und mit Wärme geschildert. Diese Niederlage und diesen Heldentod in Wahlstatt bei Liegnitz empfanden aber die deutschen Zeitgenossen als ein schlesisches Thermopylae zur Rettung der christlichen Kultur Europas, und wie einst der Sieg über die Ungarn auf dem Lech- feld die Quelle für das erwachende nationale und staatliche Bewußtsein des deutschen Volks gewesen war, so wurde die Erinnerung an jene Mongolenschlacht den Deutschen in Schlesien zum heiligen Banner ihres Nationalgefühls. Die Bilderhandschrift der Hedwrigslegende für Herzog Ludwig I. bringt das, mehr als ein Jahrhundert später, höchst lebendig xum Ausdruck: mehrere Miniaturen der Mongolenschlacht geben den auf Heinrichs Seite kämpfenden Rittern Wappenschilde, die außer dem Kreuz der Malteserritter und dem Kreuz des deutschen Ritterordens Wappen einer Reihe bekannter deutscher Adelsfamilien Schlesiens zeigen1, die zum Teil noch heute leben. Voran ist zu nennen das Wappen der Herren von Pogarell, weil diesem Geschlecht auch der Bischof von Breslau Preczlaw angehört, dessen Notar Nikolaus von Posen der Verfasser des beigefügten Legendenauszugs gewesen ist. Ferner erscheinen die Wappen der Busewoy, der Radeck, der Reinbaben, der Tschammer, der Brauchitsch. Die Tradition des 14. Jahrhunderts feierte also diese deutschen Familien als Mitkämpfer bei dem großen nationalen Waffenerfolge. So wirken diese Bilder bedeutsam mit, die Schutzheilige Schlesiens zugleich als Helferin ihres Gatten und ihres Sohnes bei der Germanisierung des Landes zu zeigen, die bekanntlich von diesen beiden Fürsten hauptsäch- lich gefördert worden ist. An der Schwelle des deutschen Humanismus wie an der des italieni- schen empfinden die führenden Geister in gleicher Weise den Drang, neue Kraft und neues Leben aus der Geschichte der heimatlichen Ver- gangenheit, aus cinem von nationaler Eifersucht gestachelten Kultus der Ahnen zu schöpfen2 und diesen Kultus durch bildhafte oder redende Werke der Kunst zu weihen, aber auch mit Schönheit zu umstrahlen. In Italien entstanden Humanismus und Renaissance aus der nationalen Eifersucht gegen Frankreich. In Schlesien bei den Piasten des 14. Jahr- hunderts, deren Vorfahren doch selbst polnischen Geblüts gewesen waren, bereitete nationale Eifersucht gegen Polen und Böhmen dem anrückenden Renaissancegeist den Weg. Daß sich diese Piastenfürsten trotz allen inneren Kämpfen und Schwankungen schließlich doch alle nicht für Polen, sondern für den König von Böhmen entschieden, bewirkte einerseits ohne Frage die kulturelle Uberlegenheit Böhmens und des Hofes von Prag, anderseits der enge geistige und verwandtschaftliche Zusammenhang, in dem die Piastenhöfe seit dem Anfang des 13. Jahrhunderts mit der in Böhmen gepflegten deutschen Bildung und seit dem Ende des 13. Jahr- hunderts auch mit der am Prager Hof sich entfaltenden ritterlichen 1 Vgl. H. Luchs, Die Bilder der Hedwigslegende, S. 5 f. 2 Vgl. daxu jetzt auch meine Schrift: Die nationale Aneignung der Bibel und die Anfänge der germanischen Philologie. Halle a. S., M. Niemeyer. 1924, S. 15. 48f.
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Die Korrespondenz des Nikolaus von Posen. 341 deutschen Dichtung gestanden haben. Erlebten doch dort Spruchdichtung, Epik und Minnesang in deutscher Sprache seit den Tagen Reinmars von Zweter eine Sonderblüte reizvoller Art 1. Es ist kein Zufall, daß ein hervorragendes literarisches Denkmal dieser schlesisch-böhmischen Be- ziehungen, das Gedicht auf die Kreuzfahrt des Landgrafen Ludwigs des Frommen, das auf Anregung des Herxogs Bolko I. von Schweidnitz- Jauer-Münsterberg († 1301) noch vor dessen Tode entstand und den noch lebenden König Wenzel II. von Böhmen (1278—1305) feiert, den Gatten der Nichte der heiligen Hedwig, der Ahnherrin des Piastenhauses, zum Helden hat. Die Entscheidung der Piasten für Böhmen in dem Breslauer Bistums- streit, bei dem doch auch der Gegensatz zum Tschechentum scharf her- vorgebrochen war, brachte damals dem Deutschtum in Schlesien und dem nationalen Gedanken die Rettung und öffnete zugleich der vom Prager Königshof und der Prager Kanzlei ausstrahlenden neuen Bildung mit ihren ersten Keimen eines von Italien befruchteten Humanismus den Zutritt. 5. Die Korrespondenz des Nikolaus von Posen. Die Liegnitzer Herzöge und Herzog Albert, der Herr aller österreichi- schen Länder, huldigten freilich teilweise noch in mittelalterlicher Tradition ihrer Ahne, sofern sie eine Heilige war und das kirchliche Ideal der Weltentsagung und Kasteiung erfüllt hatte. Aber jene emporstrebenden federgewandten Domherren und Kanzleinotare, die sich an die schlesischen Fürstenhöfe und den Königshof von Prag drängten, Nikolaus von Posen und sein Freundeskreis, rissen das Steuer herum. Sie lenkten durch kluge Vermittlung das Schifflein aus den politischen und kirchlichen Strudeln in ruhigeres Gewässer: zu einer Fahrt im Diesseits, ins Bereich des von Bild- und Wortkunst geschmückten, mit Reichtum und Schön- heit prunkenden Lebens. a) Dietrich Damerau, Bischof von Dorpat. Unter den Männern, an die Nikolaus von Posen aus seinem preußi- schen Exil, seinem Pathmos, wie er selbst es nennt, seine Briefe richtet, 1 Die literarischen Kulturberührungen Böhmens mit Schlesien und dem ganzen nordöstlichen Deutschland schon vor dem Regierungsantritt der Luxem- burger sind, obgleich längst bemerkt, doch dem allgemeinen geschichtlichen Be- wußtsein noch ziemlich fremd. Ich habe selbst mehrfach darauf hingewiesen: z. B. Allgem. d. Biogr., Bd. 24 (1887), S. 661. Otto IV. v. Brandenburg; Vom Mittelalter zur Reformat. 1 (1893). S. 32. 57 (= Zentralbl. f. Bibliothekswesen 1891, Bd. 8, S. 155. 329f.) und oben S. 14, 33, Anm. 1; vgl. ferner Wolkan, Geschichte der deytschen Literatur in Böhmen. Prag 1894, S. 173—213; Tadra, Kulturní styky Čech s cizinou, V Praze 1897, S. 329 ff. 343 ff.; Alois Bernt, Ausgabe des Heinrich v. Freiberg, Halle a. S. 1906, S. 179 ff.; Derselbe, Zeitschr. ƒ. disch Altert. Bd. 52 (1910), S. 246—259; H. Jantzen, Zeitschr. f. d. Philologie. Bd. 36 (1904), S. 39—46; G. Baesecke, Ausgabe des Wiener Oswalt, Heidelberg 1912, S. LXXXVIIff. und die wertvolle Darlegung Hans Naumanns in seiner Ausgabe der Kreuxfahrt des heiligen Ludwig. Monu- menta Germaniae, Deutsche Chroniken IV, 2, Berlin 1923, S. 191—199.
Die Korrespondenz des Nikolaus von Posen. 341 deutschen Dichtung gestanden haben. Erlebten doch dort Spruchdichtung, Epik und Minnesang in deutscher Sprache seit den Tagen Reinmars von Zweter eine Sonderblüte reizvoller Art 1. Es ist kein Zufall, daß ein hervorragendes literarisches Denkmal dieser schlesisch-böhmischen Be- ziehungen, das Gedicht auf die Kreuzfahrt des Landgrafen Ludwigs des Frommen, das auf Anregung des Herxogs Bolko I. von Schweidnitz- Jauer-Münsterberg († 1301) noch vor dessen Tode entstand und den noch lebenden König Wenzel II. von Böhmen (1278—1305) feiert, den Gatten der Nichte der heiligen Hedwig, der Ahnherrin des Piastenhauses, zum Helden hat. Die Entscheidung der Piasten für Böhmen in dem Breslauer Bistums- streit, bei dem doch auch der Gegensatz zum Tschechentum scharf her- vorgebrochen war, brachte damals dem Deutschtum in Schlesien und dem nationalen Gedanken die Rettung und öffnete zugleich der vom Prager Königshof und der Prager Kanzlei ausstrahlenden neuen Bildung mit ihren ersten Keimen eines von Italien befruchteten Humanismus den Zutritt. 5. Die Korrespondenz des Nikolaus von Posen. Die Liegnitzer Herzöge und Herzog Albert, der Herr aller österreichi- schen Länder, huldigten freilich teilweise noch in mittelalterlicher Tradition ihrer Ahne, sofern sie eine Heilige war und das kirchliche Ideal der Weltentsagung und Kasteiung erfüllt hatte. Aber jene emporstrebenden federgewandten Domherren und Kanzleinotare, die sich an die schlesischen Fürstenhöfe und den Königshof von Prag drängten, Nikolaus von Posen und sein Freundeskreis, rissen das Steuer herum. Sie lenkten durch kluge Vermittlung das Schifflein aus den politischen und kirchlichen Strudeln in ruhigeres Gewässer: zu einer Fahrt im Diesseits, ins Bereich des von Bild- und Wortkunst geschmückten, mit Reichtum und Schön- heit prunkenden Lebens. a) Dietrich Damerau, Bischof von Dorpat. Unter den Männern, an die Nikolaus von Posen aus seinem preußi- schen Exil, seinem Pathmos, wie er selbst es nennt, seine Briefe richtet, 1 Die literarischen Kulturberührungen Böhmens mit Schlesien und dem ganzen nordöstlichen Deutschland schon vor dem Regierungsantritt der Luxem- burger sind, obgleich längst bemerkt, doch dem allgemeinen geschichtlichen Be- wußtsein noch ziemlich fremd. Ich habe selbst mehrfach darauf hingewiesen: z. B. Allgem. d. Biogr., Bd. 24 (1887), S. 661. Otto IV. v. Brandenburg; Vom Mittelalter zur Reformat. 1 (1893). S. 32. 57 (= Zentralbl. f. Bibliothekswesen 1891, Bd. 8, S. 155. 329f.) und oben S. 14, 33, Anm. 1; vgl. ferner Wolkan, Geschichte der deytschen Literatur in Böhmen. Prag 1894, S. 173—213; Tadra, Kulturní styky Čech s cizinou, V Praze 1897, S. 329 ff. 343 ff.; Alois Bernt, Ausgabe des Heinrich v. Freiberg, Halle a. S. 1906, S. 179 ff.; Derselbe, Zeitschr. ƒ. disch Altert. Bd. 52 (1910), S. 246—259; H. Jantzen, Zeitschr. f. d. Philologie. Bd. 36 (1904), S. 39—46; G. Baesecke, Ausgabe des Wiener Oswalt, Heidelberg 1912, S. LXXXVIIff. und die wertvolle Darlegung Hans Naumanns in seiner Ausgabe der Kreuxfahrt des heiligen Ludwig. Monu- menta Germaniae, Deutsche Chroniken IV, 2, Berlin 1923, S. 191—199.
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342 Exkurse zum Breslauer Bistumsstreit (1380/82). stehen für unser Interesse drei voran. Alle drei sind hervorgegangen aus der Prager Hofkanzlei. Alle drei waren Schüler und Amtsgenossen Johanns von Neumarkt. Der eine, Bischof Dietrich von Dorpat, führte den Familiennamen Damerau, ist also, was Wattenbach noch ent- ging, später aus Hubers Regesta imperii zu entnehmen war, aber bisher nicht beachtet worden ist, identisch mit jenem Prager Kanzleikollegen des Nikolaus von Posen, der unter dem Namen Theodericus Damerow vom 23. Juli 1372 bis 15. November 1376 als Notar und zuletzt als Proto- notar der königlichen Kanzlei, auch als Domherr von Braunsberg und Krakau nachgewiesen ist 1. Uber ihn hatte ich mich in der ersten Be- arbeitung dieses Werkes (Zentralbl. f. Bibl. 1891, Bd. 8, S. 437 = V. Ma. z. Reform. 1, 1893, S. 76) folgendermaßen ausgesprochen: „Von dem Kollegen Theod. Damerow, der in Karls Kanzlei von 1372 bis 1376 als Notar wirkte, hatte er [Johann von Neumarkt] sich die Quaestiones des bekannten Pariser Philosophen Johannes Buridan über die Niko- machische Ethik des Aristoteles geliehen" (Cancellaria Joh. Novifor. ed. Tadra, Arch. f. österr. Gesch. 68, Nr. 114). Dietrich Damerow ist aber schon früher im Dienst der kaiserlichen Kanzlei tätig gewesen. Be- reits am 23. Dezember 1364 hat er als ermländischer Kanoniker mit gewirkt bei der zweiten Ausfertigung des Schiedsspruchs über den Rechts- streit zwischen dem Erzbischof von Trier und der Stadt Trier, der be- stimmte, daß die Stadt Trier und die Vogtei Trier und alle ihre Dominien dem Erzbischof zugehören sollen2. Ihn kann ich als den Besitzer jener hochwichtigen Sammlung von Briefen des Cola di Rienzo feststellen3, die sich jetzt im Vatikanischen Archiv befindet, früher der erzbischöflichen Kurie von Prag gehörte und die Hauptgrundlage bildet für unsere An- schauung der von Renaissancehoffnung erfüllten Schriftstellerei des römi- schen Tribunen. An diesen Bischof Dietrich von Dorpat richtet Nikolaus Henrici von Posen im Frühling 1382 als Ersatz für mehrere frühere Briefe, deren Verlust er befürchtet, ein Schreiben, worin er beklommenen Herzens die Verhandlungen des päpstlichen Nuntius über die Beilegung des Breslauer Konflikts erwähnt und sich bemüht, den Adressaten, der an den Hof König Wenzels gehen will, über die Entstchung und augenblickliche Lage 1 Vgl. Eubel, Hierarchia catholica medii aevi (nach Gams). I, 497; Theod. Lindner, Urkundenwesen Karls IV., S. 24, Nr. 55; Huber, Regesta imperii VIII, S. XLIV; 1. Ergänxungsheft (1889), S. VIII, Nr. 53. 2 Huber, Regesta imperii, 1. Ergänxungsband (1889), S. 830. Spalte a, Nachtrag xu Reg. imp. Nr. 4100, Nr. 3. In seiner Zusammenstellung des Kanzleipersonals Karls IV. hat Huber (ebenda, Vorrede S. VIII) diese Tat- sache noch nicht beachtet. 3 Vgl. meine Nachweise in dem vorbereiteten 2. Teil des von mir und Paul Piur herausgegebenen Rienxo-Briefwechsels (Vom Mittelalter zur Refor- mation II, 2, Ubersicht und Beschreibung der Handschriften, Nr. 25). Die An- gaben von Gabrielli, Epistolario di Cola di Rienxo. Roma 1890 (Fonti per la storia d'Italia pubbl. dall Istituto storico italiano. Epistolari secolo XIV), S. XX bieten (wie so oft) eine falsche, sinnlose Lesung; auf dem Pergament- umschlag (Innenseite) steht: Liber episcopi Tarbitensis (Tacbicensis Gabriell. qui restituatur eidem.
342 Exkurse zum Breslauer Bistumsstreit (1380/82). stehen für unser Interesse drei voran. Alle drei sind hervorgegangen aus der Prager Hofkanzlei. Alle drei waren Schüler und Amtsgenossen Johanns von Neumarkt. Der eine, Bischof Dietrich von Dorpat, führte den Familiennamen Damerau, ist also, was Wattenbach noch ent- ging, später aus Hubers Regesta imperii zu entnehmen war, aber bisher nicht beachtet worden ist, identisch mit jenem Prager Kanzleikollegen des Nikolaus von Posen, der unter dem Namen Theodericus Damerow vom 23. Juli 1372 bis 15. November 1376 als Notar und zuletzt als Proto- notar der königlichen Kanzlei, auch als Domherr von Braunsberg und Krakau nachgewiesen ist 1. Uber ihn hatte ich mich in der ersten Be- arbeitung dieses Werkes (Zentralbl. f. Bibl. 1891, Bd. 8, S. 437 = V. Ma. z. Reform. 1, 1893, S. 76) folgendermaßen ausgesprochen: „Von dem Kollegen Theod. Damerow, der in Karls Kanzlei von 1372 bis 1376 als Notar wirkte, hatte er [Johann von Neumarkt] sich die Quaestiones des bekannten Pariser Philosophen Johannes Buridan über die Niko- machische Ethik des Aristoteles geliehen" (Cancellaria Joh. Novifor. ed. Tadra, Arch. f. österr. Gesch. 68, Nr. 114). Dietrich Damerow ist aber schon früher im Dienst der kaiserlichen Kanzlei tätig gewesen. Be- reits am 23. Dezember 1364 hat er als ermländischer Kanoniker mit gewirkt bei der zweiten Ausfertigung des Schiedsspruchs über den Rechts- streit zwischen dem Erzbischof von Trier und der Stadt Trier, der be- stimmte, daß die Stadt Trier und die Vogtei Trier und alle ihre Dominien dem Erzbischof zugehören sollen2. Ihn kann ich als den Besitzer jener hochwichtigen Sammlung von Briefen des Cola di Rienzo feststellen3, die sich jetzt im Vatikanischen Archiv befindet, früher der erzbischöflichen Kurie von Prag gehörte und die Hauptgrundlage bildet für unsere An- schauung der von Renaissancehoffnung erfüllten Schriftstellerei des römi- schen Tribunen. An diesen Bischof Dietrich von Dorpat richtet Nikolaus Henrici von Posen im Frühling 1382 als Ersatz für mehrere frühere Briefe, deren Verlust er befürchtet, ein Schreiben, worin er beklommenen Herzens die Verhandlungen des päpstlichen Nuntius über die Beilegung des Breslauer Konflikts erwähnt und sich bemüht, den Adressaten, der an den Hof König Wenzels gehen will, über die Entstchung und augenblickliche Lage 1 Vgl. Eubel, Hierarchia catholica medii aevi (nach Gams). I, 497; Theod. Lindner, Urkundenwesen Karls IV., S. 24, Nr. 55; Huber, Regesta imperii VIII, S. XLIV; 1. Ergänxungsheft (1889), S. VIII, Nr. 53. 2 Huber, Regesta imperii, 1. Ergänxungsband (1889), S. 830. Spalte a, Nachtrag xu Reg. imp. Nr. 4100, Nr. 3. In seiner Zusammenstellung des Kanzleipersonals Karls IV. hat Huber (ebenda, Vorrede S. VIII) diese Tat- sache noch nicht beachtet. 3 Vgl. meine Nachweise in dem vorbereiteten 2. Teil des von mir und Paul Piur herausgegebenen Rienxo-Briefwechsels (Vom Mittelalter zur Refor- mation II, 2, Ubersicht und Beschreibung der Handschriften, Nr. 25). Die An- gaben von Gabrielli, Epistolario di Cola di Rienxo. Roma 1890 (Fonti per la storia d'Italia pubbl. dall Istituto storico italiano. Epistolari secolo XIV), S. XX bieten (wie so oft) eine falsche, sinnlose Lesung; auf dem Pergament- umschlag (Innenseite) steht: Liber episcopi Tarbitensis (Tacbicensis Gabriell. qui restituatur eidem.
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Die Korrespondenz des Nikolaus von Posen. 343 des Streits in seinem Sinne aufzuklären (Cod. dipl. Sil. V, S. 303f.). Ein zweites Schreiben fragt im Auftrag des Bischofs von Ermland, der vom König nach Prag eingeladen sei, aber Bedenken habe, hinzugehen, Dietrich von Dorpat, ob er, wie es heiße, an den Hof des Königs zurück- kehren werde und über die dortigen Verhältnisse Auskunft geben wolle (Cod. dipl. Sil. V, S. 317, Nr. 19). b) Johannes Brunonis. Als zweiter Korrespondent aus dem Kreise der Prager Hofkanzlei ergibt sich eine in den Briefen des Nikolaus nur als dominus Johannes bezeichnete Persönlichkeit, die nach dem Zusammenhang selbst ein Bres- lauer Domherr gewesen sein und auf den Gang der Breslauer Wirren und ihrer Lösung Einfluß gehabt haben muß 1. Wahrscheinlich hat man in diesem Johannes den Johannes oder Hanko Brunonis, Domherrn von Breslau und Propst von Lebus, zu suchen. Er war in der Tat ein mächtiger Mann. Schon bei Lebzeiten Karls IV. Unterkämmerer des Königreichs Böhmen und Mitglied des königlichen Rates, wurde er als solcher von König Wenzel bei seinem Regierungsantritt übernommen. Später, seit 1385, erhielt er gar das Amt des Kanzlers, wurde also ein Nachfolger Johanns von Neumarkt und blieb mit einer kurzen Unter- brechung in dieser Stellung bis zum Frühling 13962. Von diesem Herrn Johannes also hatte Nikolaus im Frühsommer 1382 die Nachricht über cinen ersten wichtigen Schritt zum Ausgleich des Bres- lauer Konflikts empfangen: der König habe alle Privilegien, Freiheiten und Rechte der Breslauer Kirche bestätigt, aber er verlange, daß Kapitel und Kanoniker nicht den Bischof Wenzel von Lebus als ihren Herrn und Bischof von Breslau anerkennen, und daß auch kein anderer vom apostolischen Stuhl als solcher providiert werde ohne des Königs Zu- stimmung. Auch seien weitere Verhandlungen im Gange, und man hoffe, auch zwischen Bischof Wenzel und König Wenzel cine Verständigung zu 1 Wattenbachs Annahme (a. a. O. S. XIV xu Nr. 3, S. 310, Anm. 1), daß auch dieser Johannes geflohen sei und Nikolaus mit ihm die Verbannung geteilt habe, beruht auf einer irrtümlichen Auslegung eines Ausdrucks, den auch Schulte a. a. O. S. 190, Z. 5ff. v. u., von seinem Vorgänger verleitet, fälschlich auf das Schicksal eines lebenden Exilsgenossen gedeutet hat. Nikolaus schreibt an einen Ungenannten: Igitur cum Johanne in exilium positus . . ., humiliatus nunc amplius cognoscens et dei potentiam suo examini me com- mitto, orans michi pacienciam elargiri cum sancto Job qui ... per pacienciam gloriam obtinuit ampliorem. Das heißt nicht, wie Wattenbach und Schulte glaubten, ausammen mit [dem Breslauer Domherrn] Johannes in die Ver- bannung getrieben', sondern gleich dem [Evangelisten] Johannes ins Exil ver- schlagen’. Darauf führt schon das gleich folgende, parallele cum Job (d. h. gleichwie Hiob'). Es wird aber evident durch die völlig konforme Wendung am Anfang des 17. Briefes (a. a. O. S. 316): Positus in exilio cum sancto Johanne quem Domicianus Imperator in Insulam Pathmos relegaverat, nescio quid scribere. 2 Vgl. über ihn Lindner, Urkundenwesen Karls IV. S. 28 f.; Bachmann, Gesch. Böhmens. II, 13. 17; Schulte a. a. O. S. 129. 135. 151. 191. 242 Nr. 29.
Die Korrespondenz des Nikolaus von Posen. 343 des Streits in seinem Sinne aufzuklären (Cod. dipl. Sil. V, S. 303f.). Ein zweites Schreiben fragt im Auftrag des Bischofs von Ermland, der vom König nach Prag eingeladen sei, aber Bedenken habe, hinzugehen, Dietrich von Dorpat, ob er, wie es heiße, an den Hof des Königs zurück- kehren werde und über die dortigen Verhältnisse Auskunft geben wolle (Cod. dipl. Sil. V, S. 317, Nr. 19). b) Johannes Brunonis. Als zweiter Korrespondent aus dem Kreise der Prager Hofkanzlei ergibt sich eine in den Briefen des Nikolaus nur als dominus Johannes bezeichnete Persönlichkeit, die nach dem Zusammenhang selbst ein Bres- lauer Domherr gewesen sein und auf den Gang der Breslauer Wirren und ihrer Lösung Einfluß gehabt haben muß 1. Wahrscheinlich hat man in diesem Johannes den Johannes oder Hanko Brunonis, Domherrn von Breslau und Propst von Lebus, zu suchen. Er war in der Tat ein mächtiger Mann. Schon bei Lebzeiten Karls IV. Unterkämmerer des Königreichs Böhmen und Mitglied des königlichen Rates, wurde er als solcher von König Wenzel bei seinem Regierungsantritt übernommen. Später, seit 1385, erhielt er gar das Amt des Kanzlers, wurde also ein Nachfolger Johanns von Neumarkt und blieb mit einer kurzen Unter- brechung in dieser Stellung bis zum Frühling 13962. Von diesem Herrn Johannes also hatte Nikolaus im Frühsommer 1382 die Nachricht über cinen ersten wichtigen Schritt zum Ausgleich des Bres- lauer Konflikts empfangen: der König habe alle Privilegien, Freiheiten und Rechte der Breslauer Kirche bestätigt, aber er verlange, daß Kapitel und Kanoniker nicht den Bischof Wenzel von Lebus als ihren Herrn und Bischof von Breslau anerkennen, und daß auch kein anderer vom apostolischen Stuhl als solcher providiert werde ohne des Königs Zu- stimmung. Auch seien weitere Verhandlungen im Gange, und man hoffe, auch zwischen Bischof Wenzel und König Wenzel cine Verständigung zu 1 Wattenbachs Annahme (a. a. O. S. XIV xu Nr. 3, S. 310, Anm. 1), daß auch dieser Johannes geflohen sei und Nikolaus mit ihm die Verbannung geteilt habe, beruht auf einer irrtümlichen Auslegung eines Ausdrucks, den auch Schulte a. a. O. S. 190, Z. 5ff. v. u., von seinem Vorgänger verleitet, fälschlich auf das Schicksal eines lebenden Exilsgenossen gedeutet hat. Nikolaus schreibt an einen Ungenannten: Igitur cum Johanne in exilium positus . . ., humiliatus nunc amplius cognoscens et dei potentiam suo examini me com- mitto, orans michi pacienciam elargiri cum sancto Job qui ... per pacienciam gloriam obtinuit ampliorem. Das heißt nicht, wie Wattenbach und Schulte glaubten, ausammen mit [dem Breslauer Domherrn] Johannes in die Ver- bannung getrieben', sondern gleich dem [Evangelisten] Johannes ins Exil ver- schlagen’. Darauf führt schon das gleich folgende, parallele cum Job (d. h. gleichwie Hiob'). Es wird aber evident durch die völlig konforme Wendung am Anfang des 17. Briefes (a. a. O. S. 316): Positus in exilio cum sancto Johanne quem Domicianus Imperator in Insulam Pathmos relegaverat, nescio quid scribere. 2 Vgl. über ihn Lindner, Urkundenwesen Karls IV. S. 28 f.; Bachmann, Gesch. Böhmens. II, 13. 17; Schulte a. a. O. S. 129. 135. 151. 191. 242 Nr. 29.
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344 Exkurse zum Breslauer Bistumsstreit (1380/82). erreichen. Diese Botschaft, die Nikolaus mit cinem süß-sauern Segens- wunsch begleitet, übermittelt er einem Ungenannten am Hofe des Bischofs von Pomesanien [Johannes Mönch, 1378—1409] und bittet, sie diesem, den er mit domino meo als seinen Gönner bezeichnet, zu berichten (Cod. dipl. Sil. V, 315, Nr. 14). Die hier gemeldete Bestätigung der Rechte und Freiheiten der Breslauer Kirche und des Domkapitels war am 7. Mai 1382 in der dritten von drei Urkunden ausgesprochen, durch die zwischen dem König und dem Domkapitel wie der Breslauer Kirche in feierlicher Form der Friedensschluß erfolgte und das gegenseitige Ver- hältnis vertraglich neu geregelt wurde 1. In der Bierausschankstreitigkeit hatte er die beiden Parteien durch ein Kompromiß versöhnt. Im übrigen aber hatte er seine königliche Souve- ränität und die Freiheit und das Recht des Herzogtums und der Stadt Breslau als unmittelbarer Bestandteile des Königreichs Böhmen gewahrt, ja er hatte sie wesentlich verstärkt. Vor zwei Jahrzehnten (1358) hatte Karl IV. sich darauf beschränkt, von Bischof und Kapitel anerkennen zu lassen, daß der Bischofsitz und die Kathedrale in der den Königen und der Krone Böhmens unmittelbar untertänigen Stadt Breslau liege und die Könige von Böhmen ihre Patrone und Herren seien. In den Verhandlungen über den Breslauer Jurisdiktionsstreit hatte 1369 zu Lucca die Stadt Breslau durch ihren Vertreter für die Stadt und das Herzogtum Breslau, aber auch für den Bischof, das Kapitel, alle Geistlichen der Diözese, insbesondere für die Dominsel und das ganze Bistum, eine ähn- liche Erklärung abgegeben. Jetzt aber griff der junge böhmische König darüber hinaus. Er nahm sich das alte Recht der Breslauer Herzöge an der Dominsel, die dort eine Herzogsburg erbaut hatten, welche dann in das Kollegiatstift zum heiligen Kreuz umgewandelt worden war. Er beanspruchte die volle Zugehörigkeit der Dominsel zur Stadt und xum Herzogtum Breslau, über die dem König von Böhmen die unmittelbare Oberhoheit zustehe. Er erzwang die Einwilligung des Kapitels, daß auf der Dominsel neben dem heiligen Kreuxstift an der Stelle der alten Herzogs- burg auf Kosten des Kapitels für die Könige von Böhmen, die Schutz- herren der Breslauer Kirche, als Residenz eine Burg erbaut und die Dominsel befestigt werde, nach dem Vorbild von Prag, wo die Residenz des Erzbischofs von den Mauern der Königsburg des Hradschin um- schlossen war. Er erlangt das Versprechen, daß der vom Papst provi- dierte Bischof Wenzel, der durch apostolisches Schreiben vom 19. April 1382 zum Bischof von Breslau ernannt war, von den Bistumadministratoren und dem Kapitel erst dann aufgenommen, anerkannt werden und Ein- räumung des Besitzes und der Einkünfte des Bistums erhalten dürfe, nachdem er die neuen vertraglichen Festsetzungen seinerseits bekräftigt habe. Endlich sichert der König xum Lohn dem Kapitel seinen Schutz zu gegen die Ansprüche des Papstes und seiner Kollektoren auf die Bis- tumseinnahmen. Nach der Festlegung aller dieser Bestimmungen gab dann die erwähnte dritte Urkunde eine feierliche Bestätigung und Er- neuerung aller Privilegien der Breslauer Kirche durch den König Wenzel 1 Schulte a. a. O. S. 130—138. 240 f.
344 Exkurse zum Breslauer Bistumsstreit (1380/82). erreichen. Diese Botschaft, die Nikolaus mit cinem süß-sauern Segens- wunsch begleitet, übermittelt er einem Ungenannten am Hofe des Bischofs von Pomesanien [Johannes Mönch, 1378—1409] und bittet, sie diesem, den er mit domino meo als seinen Gönner bezeichnet, zu berichten (Cod. dipl. Sil. V, 315, Nr. 14). Die hier gemeldete Bestätigung der Rechte und Freiheiten der Breslauer Kirche und des Domkapitels war am 7. Mai 1382 in der dritten von drei Urkunden ausgesprochen, durch die zwischen dem König und dem Domkapitel wie der Breslauer Kirche in feierlicher Form der Friedensschluß erfolgte und das gegenseitige Ver- hältnis vertraglich neu geregelt wurde 1. In der Bierausschankstreitigkeit hatte er die beiden Parteien durch ein Kompromiß versöhnt. Im übrigen aber hatte er seine königliche Souve- ränität und die Freiheit und das Recht des Herzogtums und der Stadt Breslau als unmittelbarer Bestandteile des Königreichs Böhmen gewahrt, ja er hatte sie wesentlich verstärkt. Vor zwei Jahrzehnten (1358) hatte Karl IV. sich darauf beschränkt, von Bischof und Kapitel anerkennen zu lassen, daß der Bischofsitz und die Kathedrale in der den Königen und der Krone Böhmens unmittelbar untertänigen Stadt Breslau liege und die Könige von Böhmen ihre Patrone und Herren seien. In den Verhandlungen über den Breslauer Jurisdiktionsstreit hatte 1369 zu Lucca die Stadt Breslau durch ihren Vertreter für die Stadt und das Herzogtum Breslau, aber auch für den Bischof, das Kapitel, alle Geistlichen der Diözese, insbesondere für die Dominsel und das ganze Bistum, eine ähn- liche Erklärung abgegeben. Jetzt aber griff der junge böhmische König darüber hinaus. Er nahm sich das alte Recht der Breslauer Herzöge an der Dominsel, die dort eine Herzogsburg erbaut hatten, welche dann in das Kollegiatstift zum heiligen Kreuz umgewandelt worden war. Er beanspruchte die volle Zugehörigkeit der Dominsel zur Stadt und xum Herzogtum Breslau, über die dem König von Böhmen die unmittelbare Oberhoheit zustehe. Er erzwang die Einwilligung des Kapitels, daß auf der Dominsel neben dem heiligen Kreuxstift an der Stelle der alten Herzogs- burg auf Kosten des Kapitels für die Könige von Böhmen, die Schutz- herren der Breslauer Kirche, als Residenz eine Burg erbaut und die Dominsel befestigt werde, nach dem Vorbild von Prag, wo die Residenz des Erzbischofs von den Mauern der Königsburg des Hradschin um- schlossen war. Er erlangt das Versprechen, daß der vom Papst provi- dierte Bischof Wenzel, der durch apostolisches Schreiben vom 19. April 1382 zum Bischof von Breslau ernannt war, von den Bistumadministratoren und dem Kapitel erst dann aufgenommen, anerkannt werden und Ein- räumung des Besitzes und der Einkünfte des Bistums erhalten dürfe, nachdem er die neuen vertraglichen Festsetzungen seinerseits bekräftigt habe. Endlich sichert der König xum Lohn dem Kapitel seinen Schutz zu gegen die Ansprüche des Papstes und seiner Kollektoren auf die Bis- tumseinnahmen. Nach der Festlegung aller dieser Bestimmungen gab dann die erwähnte dritte Urkunde eine feierliche Bestätigung und Er- neuerung aller Privilegien der Breslauer Kirche durch den König Wenzel 1 Schulte a. a. O. S. 130—138. 240 f.
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Die Korrespondenz des Nikolaus von Posen. 345 von Böhmen, als den Fürst und Herzog in Schlesien und Herr von Breslau, obersten Patron und Schützer der Breslauer Kirche'. Aber damit noch nicht genug. Am 27. Mai 1382 stellten die beiden neuen Administratoren in spiritualibus et temporalibus, die auf Betreiben des dissentierenden und einer milderen Tonart geneigten Teiles des Kapitels als Gegengewicht gegen den in Ottmachau residierenden fürstlichen General- administrator Bischof Wenzel von Lebus gewählt waren, und, ihrer Füh- rung folgend, das gesamte namentlich genannte Domkapitel dem König eine feierliche Urkunde aus, worin sie sich und das gesamte Bistum in aller Form als Untertanen der böhmischen Krone bekennen und geloben, daß im Falle des Todes des Königs von Böhmen der Bischof und die vornehmsten Prälaten des Domkapitels von Breslau in Prag der Krönung des neuen Königs beiwohnen und ihm als Lehns- fürst und edle Mannen des Königreichs Böhmen den Homagialeid er- neuern werden. Die beiden Administratoren, die diesen Sieg der Souve- ränität des böhmischen Königs herbeigeführt hatten, waren der in Rede stehende Domherr Johann Brunonis, Propst von Lebus, und Nikolaus von Riesenburg, Propst zu Bonn. Uber die Unterwerfung der Majorität des Kapitels unter die Souve- ränität des Königs, die jene Maiurkunden des Jahres 1382 proklamierten, war Nikolaus von Posen, der immer wieder gegen den Pharao Wenzel, gegen den seinem Vater unähnlichen, xum Tyrannen entarteten Sohn, Zeter und Weh gerufen und ihn des Undanks gegen seine treu bewährten Diener geziehen hatte, natürlich wenig erbaut. In einem Brief (Cod. dipl. Sil. V, 323, Nr. 45) an Herrn Johannes, der als neuer Admini- strator in erster Reihe dafür mit verantwortlich war, verbirgt er seine wahren Empfindungen nur mit Mühe. Er gesteht offen, de successibus ecclesie talibus qualibus mit Recht bestürxt sein xu dürfen, will aber doch seine Bestürzung unterdrücken. Er verbeugt sich vor dem König, der als Herr das Recht habe, seinen Willen durchzusetzen, und hofft, Gott werde ihn gnädig stimmen. Er will auch Gott loben, wenn zwischen Bürgerschaft und Kapitel Eintracht entstehe. Aber so wohl es ihm in Ermland gehe, voll Sehnsucht denkt er an die Rückkehr und fürchtet, daß sein früheres scharfes Auftreten ihm nun den Heimweg verbauen könne. Wieder ruft er zu Gott und diesmal um Hilfe gegen etliche Neider. Der mit carissime domine Johannes begrüßte Adressat soll für die Lauterkeit seiner Handlungsweise und ihrer Motive Zeugnis ablegen und so die Möglichkeit schaffen, wieder in das Kapitel zurückzukehren. Er auch soll in Breslau nach dem Verbleib seiner Habe forschen. c) Nikolaus von Riesenburg. Mehr noch aber als Johannes Brunonis hatte der andere neue Ad- ministrator, Nikolaus von Riesenburg, dazu beigetragen, daß die übeln Folgen der unbesonnenen Maßnahmen des Kapitels wieder gut gemacht wurden. Er, von dem dieser Exkurs seinen Ausgang nahm, ist der dritte und interessanteste unter jenen zum Kreise der Prager Hofkanzlei gehörigen Adressaten der Briefsammlung des Nikolaus von Posen. In
Die Korrespondenz des Nikolaus von Posen. 345 von Böhmen, als den Fürst und Herzog in Schlesien und Herr von Breslau, obersten Patron und Schützer der Breslauer Kirche'. Aber damit noch nicht genug. Am 27. Mai 1382 stellten die beiden neuen Administratoren in spiritualibus et temporalibus, die auf Betreiben des dissentierenden und einer milderen Tonart geneigten Teiles des Kapitels als Gegengewicht gegen den in Ottmachau residierenden fürstlichen General- administrator Bischof Wenzel von Lebus gewählt waren, und, ihrer Füh- rung folgend, das gesamte namentlich genannte Domkapitel dem König eine feierliche Urkunde aus, worin sie sich und das gesamte Bistum in aller Form als Untertanen der böhmischen Krone bekennen und geloben, daß im Falle des Todes des Königs von Böhmen der Bischof und die vornehmsten Prälaten des Domkapitels von Breslau in Prag der Krönung des neuen Königs beiwohnen und ihm als Lehns- fürst und edle Mannen des Königreichs Böhmen den Homagialeid er- neuern werden. Die beiden Administratoren, die diesen Sieg der Souve- ränität des böhmischen Königs herbeigeführt hatten, waren der in Rede stehende Domherr Johann Brunonis, Propst von Lebus, und Nikolaus von Riesenburg, Propst zu Bonn. Uber die Unterwerfung der Majorität des Kapitels unter die Souve- ränität des Königs, die jene Maiurkunden des Jahres 1382 proklamierten, war Nikolaus von Posen, der immer wieder gegen den Pharao Wenzel, gegen den seinem Vater unähnlichen, xum Tyrannen entarteten Sohn, Zeter und Weh gerufen und ihn des Undanks gegen seine treu bewährten Diener geziehen hatte, natürlich wenig erbaut. In einem Brief (Cod. dipl. Sil. V, 323, Nr. 45) an Herrn Johannes, der als neuer Admini- strator in erster Reihe dafür mit verantwortlich war, verbirgt er seine wahren Empfindungen nur mit Mühe. Er gesteht offen, de successibus ecclesie talibus qualibus mit Recht bestürxt sein xu dürfen, will aber doch seine Bestürzung unterdrücken. Er verbeugt sich vor dem König, der als Herr das Recht habe, seinen Willen durchzusetzen, und hofft, Gott werde ihn gnädig stimmen. Er will auch Gott loben, wenn zwischen Bürgerschaft und Kapitel Eintracht entstehe. Aber so wohl es ihm in Ermland gehe, voll Sehnsucht denkt er an die Rückkehr und fürchtet, daß sein früheres scharfes Auftreten ihm nun den Heimweg verbauen könne. Wieder ruft er zu Gott und diesmal um Hilfe gegen etliche Neider. Der mit carissime domine Johannes begrüßte Adressat soll für die Lauterkeit seiner Handlungsweise und ihrer Motive Zeugnis ablegen und so die Möglichkeit schaffen, wieder in das Kapitel zurückzukehren. Er auch soll in Breslau nach dem Verbleib seiner Habe forschen. c) Nikolaus von Riesenburg. Mehr noch aber als Johannes Brunonis hatte der andere neue Ad- ministrator, Nikolaus von Riesenburg, dazu beigetragen, daß die übeln Folgen der unbesonnenen Maßnahmen des Kapitels wieder gut gemacht wurden. Er, von dem dieser Exkurs seinen Ausgang nahm, ist der dritte und interessanteste unter jenen zum Kreise der Prager Hofkanzlei gehörigen Adressaten der Briefsammlung des Nikolaus von Posen. In
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346 Exkurse zum Breslauer Bistumsstreit (1380/82). dem bereits erwähnten Brief an den Dorpater Bischof beklagt sich der verbannte Breslauer Archidiakon, daß Nikolaus von Riesenburg einem zu ihm, wie man annehmen muß, aus Breslau kommenden Boten keinen Brief für ihn übergeben habe, und fürchtet, daß dies Schweigen eine Folge seiner Flucht sei (Cod. dipl. Sil. V, S. 310, Nr. 3). Ein anderer Brief ist an Nikolaus von Riesenburg selbst gerichtet (Cod. dipl. Sil. V, S. 322, Nr. 44): darin spricht er sich mit kühler Zurückhaltung aus über den mit Mühe und Not zustande gekommenen Friedensvertrag zwischen dem König und dem Breslauer Domkapitel, erkennt das Recht des Königs an, seinen Willen durchzusetzen, aber sucht zugleich sein eigenes Verhalten zu rechtfertigen. Die ganze Sammlung dieser Dictamina Nicolai bedarf einer erneuten gründlichen Beleuchtung und kommentierten Ausgabe, wobei neben vielem anderen auch Licht fallen würde auf die merkwürdigen beiden Briefe an König Wenzel, die ihm mit schwungvollen Worten an das Herz legen, in Italien durch persönliches Eingreifen Ordnung und Freiheit zu be- gründen (a. a. O. S. 310 f., Nr. 4; 320, Nr. 28). Im übrigen sei hier schließlich bemerkt, daß die oben S. 31, Anm. 1 erwähnte Dissertation von Max Voigt nach dem Tode des Verfassers inzwischen erschienen ist als Heft 146 der Palästra (Leipxig, Verlag Mayer & Müller, 1924) mit einem Gedenkwort von Gustav Roethe, das die Persönlichkeit und die hervorragende wissenschaftliche Bedeutung des dem Leben so jäh Ent- rissenen liebevoll würdigt. In diesem Buch, einer Frucht reichster Ge- lehrsamkeit und reifer Forscherkraft, ist S. 127 f. Anm. eingehend von Nikolaus von Riesenburg die Rede im Hinblick schon auf die oben an- gekündigte Briefpublikation Voigts, die nun verwaist in meinem Werk Platz finden soll.
346 Exkurse zum Breslauer Bistumsstreit (1380/82). dem bereits erwähnten Brief an den Dorpater Bischof beklagt sich der verbannte Breslauer Archidiakon, daß Nikolaus von Riesenburg einem zu ihm, wie man annehmen muß, aus Breslau kommenden Boten keinen Brief für ihn übergeben habe, und fürchtet, daß dies Schweigen eine Folge seiner Flucht sei (Cod. dipl. Sil. V, S. 310, Nr. 3). Ein anderer Brief ist an Nikolaus von Riesenburg selbst gerichtet (Cod. dipl. Sil. V, S. 322, Nr. 44): darin spricht er sich mit kühler Zurückhaltung aus über den mit Mühe und Not zustande gekommenen Friedensvertrag zwischen dem König und dem Breslauer Domkapitel, erkennt das Recht des Königs an, seinen Willen durchzusetzen, aber sucht zugleich sein eigenes Verhalten zu rechtfertigen. Die ganze Sammlung dieser Dictamina Nicolai bedarf einer erneuten gründlichen Beleuchtung und kommentierten Ausgabe, wobei neben vielem anderen auch Licht fallen würde auf die merkwürdigen beiden Briefe an König Wenzel, die ihm mit schwungvollen Worten an das Herz legen, in Italien durch persönliches Eingreifen Ordnung und Freiheit zu be- gründen (a. a. O. S. 310 f., Nr. 4; 320, Nr. 28). Im übrigen sei hier schließlich bemerkt, daß die oben S. 31, Anm. 1 erwähnte Dissertation von Max Voigt nach dem Tode des Verfassers inzwischen erschienen ist als Heft 146 der Palästra (Leipxig, Verlag Mayer & Müller, 1924) mit einem Gedenkwort von Gustav Roethe, das die Persönlichkeit und die hervorragende wissenschaftliche Bedeutung des dem Leben so jäh Ent- rissenen liebevoll würdigt. In diesem Buch, einer Frucht reichster Ge- lehrsamkeit und reifer Forscherkraft, ist S. 127 f. Anm. eingehend von Nikolaus von Riesenburg die Rede im Hinblick schon auf die oben an- gekündigte Briefpublikation Voigts, die nun verwaist in meinem Werk Platz finden soll.
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Register zur Einleitung. Das folgende Sach- und Namenregister berücksichtigt S. 165—196 der Ein- leitung (Grundzüge des deutschen Lautstandes der Briefsteller) nur ausnahms- weise, da für sie ihre systematische Anordnung nach dem grammatischen Schema eine genigende Ubersicht ermöglicht. Von den Ortsnamen wurden nur die weniger bekannten aufgenommen; die übrigen bloß dann, wenn über sie in der Darstellung etwas Bemerkenswertes gesagt ist. Namen moderner Gelehrten sind nur in besonders wichtigen Fällen angeführt. — Die in den Zitaten den Seiten- zahlen beigesetzten Zahlenexponenten bezeichnen die Fußnoten. Die dabei ge- legentlich verwendete Zahl Null bezeichnet das Schlußstück einer längeren, schon auf der vorausgehenden Scite beginnenden Fußnote. A Abbreviierende Figuren 113°. ablativus absolutus: seine Auf- lösung im Deutschen 199; als abbreviierende Figur 112 f. Ackermann aus Böhmen, Prosadialog 56. 781. 189. 197. 198°. 202. 208. 299. 300. Vorwort S. VIIIff. actionis quaestio 801. Adalbert, Kloster zum hlg. A. in Breslau 50. Adelheid, Tochter des Pfalzgrafen Berengar von Sulzbach 332. adnominatio 1141. 115. 120. 123. 125f., s. auch annominatio. Adresse der Briefmuster begünstigt den schriftsprachlichen Laut 266. 306. Aelius Stilo 91. Agatharchides 79°. Agnes, Herzogin von Andechs, Ge- mahlin des Königs Philipp August von Frankreich 330. Aischines aus Milet 85. 97. Aischylos von Knidos 87. Akkusativ m. Inf.: seine Nachbil- dung im Deutschen 199. 205. 308. 309. Akzent s. Betonung. Akzente im Ahd. 256. Akzentschwankungen 214. 217; Ak- zentumlegung 173. 180. 287 u. Anm. Alanus von Lille 67. Albanuslegende 661. Albert von Bochnia, polnischer Kanzler 311. Albert s. Morra. Albert, Graf von Weichselburg 335. Albert III., Herzog von Osterreich 3221. 329. 341. Albrecht, Herzog von Sachsen 1971. Alcuin 63. Alexander d. Gr. 76. Alexandria: die literarisch künst- lerische Hegemonie des Hellenis- mus 76. Allchouen 150. 159. Alliteration 122. 127. alma mater: aus der Liturgie stam- mende Metapher 13. Althochd. Orthographie 258. Amplierende Figuren 113°. amplificatio 98. 105f. Amtliche Schreibformen 306. QvadíTAUOI 1141. ávávwoig 90. Anapher 108. 123. 127. Anaphorische Pronomina tonlos 276—279.
Register zur Einleitung. Das folgende Sach- und Namenregister berücksichtigt S. 165—196 der Ein- leitung (Grundzüge des deutschen Lautstandes der Briefsteller) nur ausnahms- weise, da für sie ihre systematische Anordnung nach dem grammatischen Schema eine genigende Ubersicht ermöglicht. Von den Ortsnamen wurden nur die weniger bekannten aufgenommen; die übrigen bloß dann, wenn über sie in der Darstellung etwas Bemerkenswertes gesagt ist. Namen moderner Gelehrten sind nur in besonders wichtigen Fällen angeführt. — Die in den Zitaten den Seiten- zahlen beigesetzten Zahlenexponenten bezeichnen die Fußnoten. Die dabei ge- legentlich verwendete Zahl Null bezeichnet das Schlußstück einer längeren, schon auf der vorausgehenden Scite beginnenden Fußnote. A Abbreviierende Figuren 113°. ablativus absolutus: seine Auf- lösung im Deutschen 199; als abbreviierende Figur 112 f. Ackermann aus Böhmen, Prosadialog 56. 781. 189. 197. 198°. 202. 208. 299. 300. Vorwort S. VIIIff. actionis quaestio 801. Adalbert, Kloster zum hlg. A. in Breslau 50. Adelheid, Tochter des Pfalzgrafen Berengar von Sulzbach 332. adnominatio 1141. 115. 120. 123. 125f., s. auch annominatio. Adresse der Briefmuster begünstigt den schriftsprachlichen Laut 266. 306. Aelius Stilo 91. Agatharchides 79°. Agnes, Herzogin von Andechs, Ge- mahlin des Königs Philipp August von Frankreich 330. Aischines aus Milet 85. 97. Aischylos von Knidos 87. Akkusativ m. Inf.: seine Nachbil- dung im Deutschen 199. 205. 308. 309. Akzent s. Betonung. Akzente im Ahd. 256. Akzentschwankungen 214. 217; Ak- zentumlegung 173. 180. 287 u. Anm. Alanus von Lille 67. Albanuslegende 661. Albert von Bochnia, polnischer Kanzler 311. Albert s. Morra. Albert, Graf von Weichselburg 335. Albert III., Herzog von Osterreich 3221. 329. 341. Albrecht, Herzog von Sachsen 1971. Alcuin 63. Alexander d. Gr. 76. Alexandria: die literarisch künst- lerische Hegemonie des Hellenis- mus 76. Allchouen 150. 159. Alliteration 122. 127. alma mater: aus der Liturgie stam- mende Metapher 13. Althochd. Orthographie 258. Amplierende Figuren 113°. amplificatio 98. 105f. Amtliche Schreibformen 306. QvadíTAUOI 1141. ávávwoig 90. Anapher 108. 123. 127. Anaphorische Pronomina tonlos 276—279.
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348 Andechs, Grafengeschlecht von 329. Andreas von Duba, Dechant von Leitmeritz 317. Andreas von Ungarn 331. Angelo, Prager Apotheker aus Flo- renx, Vorwort S. XIII. Anna von Bóhmen, Tochter Otto- kars I. 334f. annominatio 84. 1042. 1139. 116, 8. auch adnominatio. Anselm von Frankenstein 29. 46. 122. 130. 158. 299. Nachträge 143f. Vorwort S. X. Anselmus: Gespräch mit der Mutter Gottes über die Passion (so- genannte “Interrogatio sancti An- selmi”). Nachträge 143f. Anshelmus de Frankenberg 49. dvtinetaBoln 1141. Antiochus von Askalon 77. 87. Antiochus von Kommagene 86. 99. Antithese (dvTiQeoiG, Antitheton 1091): kommatisch gebauter Sätze 116; in symmetrischen Satz- gliedern 127; als angenehme Satz- form (dea XE) 117; anti- thetischer Parallelismus 116. 127. Antonius Horning, Breslauer Pa- trixier 324. Apokope 217. 281. 284. 288. 289. 305. 309. Apollonios von Alabanda 97 ff. Apollonios Molon (des Molon Sohn) 82.86 ff.; Apollonios 6 pakaxog 86 ff. apostrophatio 1130. Apuleius 122. 327. Aquila Romanus 1211. Aristarch 91. Aristoteles 52. 79. 96. 117. 1211. 342. Vorwort S. XII. Aristotelesübersetzungen, lateinische 14. Arnold von Protzan 341. 320. 3231. ars dictandi 6. 57. 66. 207. ars grammatica 91. articulus — Komma 115. Register zur Einleitung. Artikel, unbestimmter : aus satzpho- netischem Grunde einsilbig 292f. Asianer, Asianismus (“asiatischer Rednerstil’) 81—89. 96—105. 121: spielende Manier der Asianer 120; asianischer Stil82 ff. 208 ?f.; erster asianischer Typus. 116f.; zweiter asiamscher Typus 128; der Asianismus ein Abkómmling der Sophistik 84f. 89. 104. 109. 116. 117. 119; asianische Rhetoren- virtuosität 130. Assimilation, antixipierende 1931. 194; labiale 191. 1913, 8. auch Vokalassimilation. Assonanx 127. Asyndetische Antithesen 108. attenuata figura 106. 115. Attixismus 83. Augustin: 59ff., seine humanistisch- philosoph. Studien 60; Cicero- verehrung 71. 729, 73, 326; s. auch Petrarca. Augustiner-Eremiten 23. 32f. 154; Beziehungen schlesischer A. zu Bóhmen 331. Avignon, römische Kurte 311 ff. B | Barbarismus 92. 92?. Bautzen 21. 132f. 160. Bayrisch-österreichische Schreibtra- dition 301. 306. Beatriz von Burgund, Nichte Phi- lipps von Schwaben 331. Bebel, Heinrich 130. bebestlich neben babestlich bestlich) 266. Beccari, Nicoló, aus Ferrara 311. Beda 63. Behaghel, Otto 1151. 180. 1921. 2011. 258 u. Anm. 3. 216. benediccio sancti Blasii 152. Berengar, Pfalzgraf von Sulxbach 332, (bo- Berghius Friedrich, Breslauer Dom- herr und Humanist 326.
348 Andechs, Grafengeschlecht von 329. Andreas von Duba, Dechant von Leitmeritz 317. Andreas von Ungarn 331. Angelo, Prager Apotheker aus Flo- renx, Vorwort S. XIII. Anna von Bóhmen, Tochter Otto- kars I. 334f. annominatio 84. 1042. 1139. 116, 8. auch adnominatio. Anselm von Frankenstein 29. 46. 122. 130. 158. 299. Nachträge 143f. Vorwort S. X. Anselmus: Gespräch mit der Mutter Gottes über die Passion (so- genannte “Interrogatio sancti An- selmi”). Nachträge 143f. Anshelmus de Frankenberg 49. dvtinetaBoln 1141. Antiochus von Askalon 77. 87. Antiochus von Kommagene 86. 99. Antithese (dvTiQeoiG, Antitheton 1091): kommatisch gebauter Sätze 116; in symmetrischen Satz- gliedern 127; als angenehme Satz- form (dea XE) 117; anti- thetischer Parallelismus 116. 127. Antonius Horning, Breslauer Pa- trixier 324. Apokope 217. 281. 284. 288. 289. 305. 309. Apollonios von Alabanda 97 ff. Apollonios Molon (des Molon Sohn) 82.86 ff.; Apollonios 6 pakaxog 86 ff. apostrophatio 1130. Apuleius 122. 327. Aquila Romanus 1211. Aristarch 91. Aristoteles 52. 79. 96. 117. 1211. 342. Vorwort S. XII. Aristotelesübersetzungen, lateinische 14. Arnold von Protzan 341. 320. 3231. ars dictandi 6. 57. 66. 207. ars grammatica 91. articulus — Komma 115. Register zur Einleitung. Artikel, unbestimmter : aus satzpho- netischem Grunde einsilbig 292f. Asianer, Asianismus (“asiatischer Rednerstil’) 81—89. 96—105. 121: spielende Manier der Asianer 120; asianischer Stil82 ff. 208 ?f.; erster asianischer Typus. 116f.; zweiter asiamscher Typus 128; der Asianismus ein Abkómmling der Sophistik 84f. 89. 104. 109. 116. 117. 119; asianische Rhetoren- virtuosität 130. Assimilation, antixipierende 1931. 194; labiale 191. 1913, 8. auch Vokalassimilation. Assonanx 127. Asyndetische Antithesen 108. attenuata figura 106. 115. Attixismus 83. Augustin: 59ff., seine humanistisch- philosoph. Studien 60; Cicero- verehrung 71. 729, 73, 326; s. auch Petrarca. Augustiner-Eremiten 23. 32f. 154; Beziehungen schlesischer A. zu Bóhmen 331. Avignon, römische Kurte 311 ff. B | Barbarismus 92. 92?. Bautzen 21. 132f. 160. Bayrisch-österreichische Schreibtra- dition 301. 306. Beatriz von Burgund, Nichte Phi- lipps von Schwaben 331. Bebel, Heinrich 130. bebestlich neben babestlich bestlich) 266. Beccari, Nicoló, aus Ferrara 311. Beda 63. Behaghel, Otto 1151. 180. 1921. 2011. 258 u. Anm. 3. 216. benediccio sancti Blasii 152. Berengar, Pfalzgraf von Sulxbach 332, (bo- Berghius Friedrich, Breslauer Dom- herr und Humanist 326.
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Register zur Einleitung. Bernhagen, Heinrich, 1. Artisten- dekan in Leipzig 49. Bernhard von Clairvaux 323. 325. 326. Berthold III, Graf von Andechs 329. Berthold IV. von Andechs, Herzog von Meran 329. Berthold von Andechs, Erzbischof von Kalocsa 330; Patriarch von Aguileja 331. 335. Berthold von Regensburg 209. Beschwörungsformeln 152. 157. Betonung: die german. B. abhängig von der Bedeutung 2591; Kin- fluß der B. auf die schriftsprach- liche Lautgestaltung 250. 253. 269. 272. 273. Beuthen 170. Bierstreit, Breslauer s. Breslau. Bildungsgeschichte Quelle d. Sprach- entwicklung 233. Bildungssprache durch Schule und Kanzel beeinflußt 189. bischoffe neben bischaflich 266. 270. bischtummes, bischtumps 266. 273. Boccaccio 129. Vorwort S. IX. Bodmer 1989. Boethius 61. 67. Böhmen: Brücke sprachlichen Aus- gleichs 263; Dichtersprache aus Wolframs Schule 235 f. 262. 264. 281. 301. 340f. (kulturelle Über- legenheit Bóhsnens über Schlesien); s. Kanzleisprache. Bóhmisch- Nimburg 39. 43. Boleslaus der Lange, Herxog von Schlesien 339. Boleslaus I. Chrobry, Herzog von Polen 339. Boleslaw I., Herzog von Schlesien 332. Bolko I., Herzog von Schweidnita- Jauer-Münsterberg 341. Bologna, Universität 13.15. 74. 320. Bonaventura 326. 337. Bonifax IX., Papst 321. 349 Borow, Konrad von, Lehnsmann des ermländ. Bischofs 14. Brauchitsch: Familienwappen 340. Breitinger 1989. Breslau, Bistum: Abtrennung von der Erxdiozese Gnesen 5f. 311; Bistumsstreit 311— 320. 343 ff. Breslau, Stadt: 39. 48. 51. 52. 153. 154. 155. 161, Mittelpunkt des Handelsverkehrs 39f. 43; Schulen 10ff.; landschafilicher Patriotismus des Breslauer Dom- kapilels 313; Stadt und Land (Herzogtum) Breslau Werkzeug der Zentralisierung Schlesiens unter der böhmischen Krone 315; Breslauer Bierkrieg 32ff. 313 ff. 317—320. 343ff.; Breslauer Handschriften 19. 451. 3231. 324. 326 ( Dombibliothek),; Adal- bertkloster 50, s.auch Augustiner- Eremiten. Brieg 51. 155. briff 269. 272, Brunetto Latini 69. Bruni, Lionardo Vorwort S. IX. Buoncompagm 216. Buridan, Johannes, Pariser Philo- soph 342. Busewoy: Familienwappen 340. Bufanweisung 157. Bußpraxis der Fastenzeit 152. Cacozelia 66. Caelius Antipater 104. Caesar, Julius 78. 86. 89. Candela rhetoricae 40f. Canterbury Tales s. Chaucer. Carbonus, Franciscus, Kardinal 36. 154. Cassiciacum 60f. Cato 1181, Celtes, Konrad 19. Chalkedon 100". Chares 80. Charistos 83. Chaucer 1121. 129.
Register zur Einleitung. Bernhagen, Heinrich, 1. Artisten- dekan in Leipzig 49. Bernhard von Clairvaux 323. 325. 326. Berthold III, Graf von Andechs 329. Berthold IV. von Andechs, Herzog von Meran 329. Berthold von Andechs, Erzbischof von Kalocsa 330; Patriarch von Aguileja 331. 335. Berthold von Regensburg 209. Beschwörungsformeln 152. 157. Betonung: die german. B. abhängig von der Bedeutung 2591; Kin- fluß der B. auf die schriftsprach- liche Lautgestaltung 250. 253. 269. 272. 273. Beuthen 170. Bierstreit, Breslauer s. Breslau. Bildungsgeschichte Quelle d. Sprach- entwicklung 233. Bildungssprache durch Schule und Kanzel beeinflußt 189. bischoffe neben bischaflich 266. 270. bischtummes, bischtumps 266. 273. Boccaccio 129. Vorwort S. IX. Bodmer 1989. Boethius 61. 67. Böhmen: Brücke sprachlichen Aus- gleichs 263; Dichtersprache aus Wolframs Schule 235 f. 262. 264. 281. 301. 340f. (kulturelle Über- legenheit Bóhsnens über Schlesien); s. Kanzleisprache. Bóhmisch- Nimburg 39. 43. Boleslaus der Lange, Herxog von Schlesien 339. Boleslaus I. Chrobry, Herzog von Polen 339. Boleslaw I., Herzog von Schlesien 332. Bolko I., Herzog von Schweidnita- Jauer-Münsterberg 341. Bologna, Universität 13.15. 74. 320. Bonaventura 326. 337. Bonifax IX., Papst 321. 349 Borow, Konrad von, Lehnsmann des ermländ. Bischofs 14. Brauchitsch: Familienwappen 340. Breitinger 1989. Breslau, Bistum: Abtrennung von der Erxdiozese Gnesen 5f. 311; Bistumsstreit 311— 320. 343 ff. Breslau, Stadt: 39. 48. 51. 52. 153. 154. 155. 161, Mittelpunkt des Handelsverkehrs 39f. 43; Schulen 10ff.; landschafilicher Patriotismus des Breslauer Dom- kapilels 313; Stadt und Land (Herzogtum) Breslau Werkzeug der Zentralisierung Schlesiens unter der böhmischen Krone 315; Breslauer Bierkrieg 32ff. 313 ff. 317—320. 343ff.; Breslauer Handschriften 19. 451. 3231. 324. 326 ( Dombibliothek),; Adal- bertkloster 50, s.auch Augustiner- Eremiten. Brieg 51. 155. briff 269. 272, Brunetto Latini 69. Bruni, Lionardo Vorwort S. IX. Buoncompagm 216. Buridan, Johannes, Pariser Philo- soph 342. Busewoy: Familienwappen 340. Bufanweisung 157. Bußpraxis der Fastenzeit 152. Cacozelia 66. Caelius Antipater 104. Caesar, Julius 78. 86. 89. Candela rhetoricae 40f. Canterbury Tales s. Chaucer. Carbonus, Franciscus, Kardinal 36. 154. Cassiciacum 60f. Cato 1181, Celtes, Konrad 19. Chalkedon 100". Chares 80. Charistos 83. Chaucer 1121. 129.
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BIO Chrie 122. Chronica principum Polonorum 28. Cicero 58—67. 69— 75. 717—989. 93. 97—105. 113. 114. 117. 118 u. o., Vorwort S. XII. XIII; Cicero-Nachahmer 10183. Ciolek, Stanislaus, polnischer Hu- manist 19. circulatoria volubilitas: Wort-Jong- lieren marktschreierischer Rhe- toren 115. circumlocutio 1739. clamor 981. Claudian 60. Cola di Rienzo s. Rienzo. colores rhetoricales 54. 58. 711. 96. 105% 129f. 202. 204; rhetorici 1739; exordii 159. commutatio 1141, compar als Form der rhetorischen Wiederholung 119ff. complexio desgl. 671. 114. 123. Concinnitat der Rede und Satx- bildung 117. 128. conclusio 104. 1051. conduplicatio 1139. 1141. conmiseratio 26 f. consonantia 122. Constantius, Kaiser 61. constitutio translativa $01, constitutiones 501. contentio 117. continuatio 981. 104. contrarium 104. 117. conversio 114. 123. copia verborum 99. 105. 113; c. dicendi et commoditas ora- tionis 713. Cornificius 581. 59. correctio 1168. Credo apostolicum 152. Cursus: cursus Leoninus 85. 102; c. planus, tardus, velox 55ff. 207ff.; in der lateinischen und deutschen Sprache der Reichs- kanxlei 208f.; Fortwirken in der nd. literarischen und rednerischen Prosa 209; Wandlungen im C. Register zur Einleitung. der Schläyler Texte 300; Einfluß auf die deutsche Lautgestaltung in den Schlägl- Schneeberger Texten 264, C. bei Petrarca 2099. — Feststellungen | franxóüsischer Diplomatiker und Metriker iiber den C. 207. Cyrillus 62. Czach, Johannes, Rektor der Uni- versität Leipzig 48. D Damerow, Theodericus (Dietrich Damerau), Notar der Reichs- kanzlei, später Bischof von Dorpat, Besitzer der Sammelhandschrift der Briefe Rienzos 34. 3121. 341 ff. Dante 70. 77. 127. 129. 208. Vor- wort S. IX. Datierungsformel begünstigt die feierlichere Lautgebung 306. Dativ, possessiver 2011, declamationes suasoriae, contro- versiae: Redeübungen für Vor- gerückte 1222, definitio 118. Deggendorf 159. Demetrios, späthellenistischer Rhe- toriker 116%, Demetrios von Phaleron 116%. Demetrios aus Syrien 87. Demosthenes 75. 84. 94. 97. 100. 1013. Denominative auf -er (ahd. -ári) 260. descriptio 1139. draipnoig = distributio 1141. Dialektmischung 260. dicciones 122. Dichoreus 101. 103. Dictamina Domini Nicolai 320. dictionum exprimencium materiam electio 1139. Dietrich von Klattau, Notar Karls IV. und Bischof von Breslau 311 ff. diffinitio 1139, dignitas 106. 126.
BIO Chrie 122. Chronica principum Polonorum 28. Cicero 58—67. 69— 75. 717—989. 93. 97—105. 113. 114. 117. 118 u. o., Vorwort S. XII. XIII; Cicero-Nachahmer 10183. Ciolek, Stanislaus, polnischer Hu- manist 19. circulatoria volubilitas: Wort-Jong- lieren marktschreierischer Rhe- toren 115. circumlocutio 1739. clamor 981. Claudian 60. Cola di Rienzo s. Rienzo. colores rhetoricales 54. 58. 711. 96. 105% 129f. 202. 204; rhetorici 1739; exordii 159. commutatio 1141, compar als Form der rhetorischen Wiederholung 119ff. complexio desgl. 671. 114. 123. Concinnitat der Rede und Satx- bildung 117. 128. conclusio 104. 1051. conduplicatio 1139. 1141. conmiseratio 26 f. consonantia 122. Constantius, Kaiser 61. constitutio translativa $01, constitutiones 501. contentio 117. continuatio 981. 104. contrarium 104. 117. conversio 114. 123. copia verborum 99. 105. 113; c. dicendi et commoditas ora- tionis 713. Cornificius 581. 59. correctio 1168. Credo apostolicum 152. Cursus: cursus Leoninus 85. 102; c. planus, tardus, velox 55ff. 207ff.; in der lateinischen und deutschen Sprache der Reichs- kanxlei 208f.; Fortwirken in der nd. literarischen und rednerischen Prosa 209; Wandlungen im C. Register zur Einleitung. der Schläyler Texte 300; Einfluß auf die deutsche Lautgestaltung in den Schlägl- Schneeberger Texten 264, C. bei Petrarca 2099. — Feststellungen | franxóüsischer Diplomatiker und Metriker iiber den C. 207. Cyrillus 62. Czach, Johannes, Rektor der Uni- versität Leipzig 48. D Damerow, Theodericus (Dietrich Damerau), Notar der Reichs- kanzlei, später Bischof von Dorpat, Besitzer der Sammelhandschrift der Briefe Rienzos 34. 3121. 341 ff. Dante 70. 77. 127. 129. 208. Vor- wort S. IX. Datierungsformel begünstigt die feierlichere Lautgebung 306. Dativ, possessiver 2011, declamationes suasoriae, contro- versiae: Redeübungen für Vor- gerückte 1222, definitio 118. Deggendorf 159. Demetrios, späthellenistischer Rhe- toriker 116%, Demetrios von Phaleron 116%. Demetrios aus Syrien 87. Demosthenes 75. 84. 94. 97. 100. 1013. Denominative auf -er (ahd. -ári) 260. descriptio 1139. draipnoig = distributio 1141. Dialektmischung 260. dicciones 122. Dichoreus 101. 103. Dictamina Domini Nicolai 320. dictionum exprimencium materiam electio 1139. Dietrich von Klattau, Notar Karls IV. und Bischof von Breslau 311 ff. diffinitio 1139, dignitas 106. 126.
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Register zur Einleitung. digressio 1/39. Diomedes 86. Dionysios aus Magnesia 87. Dionysios Thrax 91. Diphthongierumg : nhd. D. 174. 179. 183. 251ff.; Art ihrer Durch- setzung 248ff. 305. 306, schle- sische sekundáre | Diphthongie- rungen 240— 248. “Diphthongierungsmundarten, schle- sische’ 241 u. Anm. disiunctum 1139, dispositio — TAEWG 79. 97. Dissimilation, vokalische 175. 294f. distributio 9*3, 1141. Ditrochaeus 101. 212. Doppelformen: 261. 264f. 287. 292. 300; im Altschlesischen 247 ; in “Ludwigs Kreuzfahrt 247f. 249. 265. 281. 282. Doppelschreibung von Konsonanten 269. 271ff. 301. 303. 304. 305. Doppeliiberlieferung von 19 Brief- mustern 4n S und P: sprachliche Unterschiede 246. 250ff. 270. 277. i Doppelumschreibung des Personal- pronomens 202. . dubitatio als color rhetoricus 1139. Dybinus, Nikolaus, Verfasser lange fortwirkender Lehrbücher des Prosastils 299. 303; s. auch Vorwort S. XI. XIII. E e wechselnd mit i in Nebensilben 293 ff. 308. Eckbert, Bischof von Bamberg 330 f. Eckhart, Meister 209. Ehrismann, Gustav 1022, 2601. 295. Kinhard 63? ff. eir, schlesisches, statt “ihr’ 52. 182. 239. 242. Ekkenmül 159. Elisabeth, heilige 334. 3835. 337. 338. 341. Elision 281. 282f. 287, im rhyth- mischen Satzschluß 217. | 351 | elocutio 74. 92. 97. 1042. 112. €uuerpot: als Verse wirkende Satz- glieder mit gleicher Silbenzahl 121. Emmerich, Kónig von Ungarn 330. emphasis 1139, enander: mit e., vndernander 279. Enea Silvio 129. Vorwort S. IX. Enns 925. &vpuOno: (vgl. éunevpoy 121. Entrundung der Vokale und Di- phthonge 240—248. &ravaınyıs = conduplicatio 1141, Epilog, rednerischer 91 f. Epipher 123. ETITAOK == gradatio 1141. Erfurt: Studicnbetrieb und Uni- versität 17. 49°. Nachträge 142. Ermland, Bistum: Kulturverbin- dung mit Bühmen 14. Ernst, Erxbischof von Prag 233. Ernst, Herzog von Sachsen 1971. Eros-Mystik, christliche 336f. Erweiterungsgruppen als gleich- berechtigte Glieder von Wort- verbindungen 1151. Eschenbach s. Wolfram. Eschenbach, Ulrich von 235f. 262. Euripides 119. Euschius 62. exclamatio 1139. exercitatio 97. exornatio 96. 104?. 106. 112. 114. 129. Exorxismus-Messe 151. Eyb, Albrecht von 129. 197. F Faba, Guido de Vorwort S. XII. facti quaestio 801. Favonius Eulogius 61. 74. Feste des Kirchenjahrs 152. festivitas der Kunstprosa 114. 126. Fetischismus, religiüser 337. ff im Anlaut 272 wu. Anm. figura — genus orationis: figura sufflata 96. 109; gravis, medio- cris, attenuata 105. 106. Figurenlehre, rhetorische 114.
Register zur Einleitung. digressio 1/39. Diomedes 86. Dionysios aus Magnesia 87. Dionysios Thrax 91. Diphthongierumg : nhd. D. 174. 179. 183. 251ff.; Art ihrer Durch- setzung 248ff. 305. 306, schle- sische sekundáre | Diphthongie- rungen 240— 248. “Diphthongierungsmundarten, schle- sische’ 241 u. Anm. disiunctum 1139, dispositio — TAEWG 79. 97. Dissimilation, vokalische 175. 294f. distributio 9*3, 1141. Ditrochaeus 101. 212. Doppelformen: 261. 264f. 287. 292. 300; im Altschlesischen 247 ; in “Ludwigs Kreuzfahrt 247f. 249. 265. 281. 282. Doppelschreibung von Konsonanten 269. 271ff. 301. 303. 304. 305. Doppeliiberlieferung von 19 Brief- mustern 4n S und P: sprachliche Unterschiede 246. 250ff. 270. 277. i Doppelumschreibung des Personal- pronomens 202. . dubitatio als color rhetoricus 1139. Dybinus, Nikolaus, Verfasser lange fortwirkender Lehrbücher des Prosastils 299. 303; s. auch Vorwort S. XI. XIII. E e wechselnd mit i in Nebensilben 293 ff. 308. Eckbert, Bischof von Bamberg 330 f. Eckhart, Meister 209. Ehrismann, Gustav 1022, 2601. 295. Kinhard 63? ff. eir, schlesisches, statt “ihr’ 52. 182. 239. 242. Ekkenmül 159. Elisabeth, heilige 334. 3835. 337. 338. 341. Elision 281. 282f. 287, im rhyth- mischen Satzschluß 217. | 351 | elocutio 74. 92. 97. 1042. 112. €uuerpot: als Verse wirkende Satz- glieder mit gleicher Silbenzahl 121. Emmerich, Kónig von Ungarn 330. emphasis 1139, enander: mit e., vndernander 279. Enea Silvio 129. Vorwort S. IX. Enns 925. &vpuOno: (vgl. éunevpoy 121. Entrundung der Vokale und Di- phthonge 240—248. &ravaınyıs = conduplicatio 1141, Epilog, rednerischer 91 f. Epipher 123. ETITAOK == gradatio 1141. Erfurt: Studicnbetrieb und Uni- versität 17. 49°. Nachträge 142. Ermland, Bistum: Kulturverbin- dung mit Bühmen 14. Ernst, Erxbischof von Prag 233. Ernst, Herzog von Sachsen 1971. Eros-Mystik, christliche 336f. Erweiterungsgruppen als gleich- berechtigte Glieder von Wort- verbindungen 1151. Eschenbach s. Wolfram. Eschenbach, Ulrich von 235f. 262. Euripides 119. Euschius 62. exclamatio 1139. exercitatio 97. exornatio 96. 104?. 106. 112. 114. 129. Exorxismus-Messe 151. Eyb, Albrecht von 129. 197. F Faba, Guido de Vorwort S. XII. facti quaestio 801. Favonius Eulogius 61. 74. Feste des Kirchenjahrs 152. festivitas der Kunstprosa 114. 126. Fetischismus, religiüser 337. ff im Anlaut 272 wu. Anm. figura — genus orationis: figura sufflata 96. 109; gravis, medio- cris, attenuata 105. 106. Figurenlehre, rhetorische 114.
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352 Register zur Einleitung. firmitudo vocis 116. Fliscus, Stephanus 129. Florenz 128. flores rhetorici 67. flumen orationis 85. Formularbücher : Trieb zum Schema 7. 21; als historische Quellen 9; kulturgeschichtlicher und literari- scher Wert 10; Standesgleichheit der Korrespondenten 20. Franck, Fabian (schlesischer Gram- matiker): seine Elisionsregel 217. 284. 289. 292. 293. Frankenberg, Anshelmus de, s. Ans- helmus. Frankenstein: Mundart 243. 244. 245. Frankenstein, Anselm von, s. Anselm v. Fr. Frankenstein, Johannes s. Johannes. Franz von Assisi 334. 335. 337. Franz Räschin, Schreiber in Brieg 3221. frequentatio 104. Friedrich II., Kaiser 69. 334. Nachträge 145f. fröhliche Wissenschaft: Blumen der fr. W. 127; Aufrechterhalter der fr. W. 128. Frührenaissance: colores der 128. Fülle des Ausdrucks 82. 113. G Gaddi, Taddeo 128. Gaetani s. Johannes. Gasparinus Barzixius, Verfasser einer humanistischen Synonymen- sammlung 129. Gedankentypen (rónoi, loci) 98. Geheimtradition der Rhythmuskunst 261. Geläufigkeit (celeritas) 82. Gelnhausen s. Johann. Gemeinplätze (loci communes) 122. generalisierende Zeitbestimmung 44. Genesis 62. Geniesprache 198°. 275 u. Anm. Geniezeit: Wiederentdeckung des Lutherischen Deutsch 198°. Genitiv: endungsloser 2011; mo- daler 200; partitiver 200; quali- tativer 200; des Wertes 200; Erlöschen des Genitivgefühls 2011; Umschreibung mit Genitivverbin- dungen 122. genus dissolutum 96; exile 96; sententiosum et argutum 83; generis quaestio 801. Geologische Analogien für die Sprachvorgänge 231f. Gerardo Landriani s. Landriani. Gertrud, Herzogin von Andechs, Königin von Ungarn 330. 331. Gertrud, Herzogin von Schlesien, Tochter der heiligen Hedwig 331. 337. Gerundivkonstruktionen: ihre Nach- bildung im Deutschen 199. 205. Gesetz der wachsenden Glieder 1151. Gesetze der Liebe, ein Buchtitel 127. Giamboni, Bono 69. Gledenstede, Helmold (Helmut), von Salzwedel 47. 49°. 50. Gleichklang ganzer Satzglieder oder Satzeinschnitte 120. 122. Gleichsetzung, graphische 1901. — Glogau 51. 161. 170. 176. Glosse, erläuternde, im Schlägler Formelbuch 25 ; ihre Quellen 57ff. 117—127, s. auch Vorwort S. XIff. Glossographische Produktion 1121 Gnesen 35. 154. 311. Goethe über die Quellen der Deut- schen Sprache 231; Mundartliches in der Sprache des jungen Goethe 189 (wandlen, trauren). 193 (Mark = Markt). Görchen 52. Gorgias 85. 89. 1001. 1091. 116. 119f. 126; der jüngere 117f. Gorgianische Figuren 1091. 1142. 115. 123. 126; Gorgianischer Stil 117; Gorgianische Technik 117. Gottfried von Straßburg 130.
352 Register zur Einleitung. firmitudo vocis 116. Fliscus, Stephanus 129. Florenz 128. flores rhetorici 67. flumen orationis 85. Formularbücher : Trieb zum Schema 7. 21; als historische Quellen 9; kulturgeschichtlicher und literari- scher Wert 10; Standesgleichheit der Korrespondenten 20. Franck, Fabian (schlesischer Gram- matiker): seine Elisionsregel 217. 284. 289. 292. 293. Frankenberg, Anshelmus de, s. Ans- helmus. Frankenstein: Mundart 243. 244. 245. Frankenstein, Anselm von, s. Anselm v. Fr. Frankenstein, Johannes s. Johannes. Franz von Assisi 334. 335. 337. Franz Räschin, Schreiber in Brieg 3221. frequentatio 104. Friedrich II., Kaiser 69. 334. Nachträge 145f. fröhliche Wissenschaft: Blumen der fr. W. 127; Aufrechterhalter der fr. W. 128. Frührenaissance: colores der 128. Fülle des Ausdrucks 82. 113. G Gaddi, Taddeo 128. Gaetani s. Johannes. Gasparinus Barzixius, Verfasser einer humanistischen Synonymen- sammlung 129. Gedankentypen (rónoi, loci) 98. Geheimtradition der Rhythmuskunst 261. Geläufigkeit (celeritas) 82. Gelnhausen s. Johann. Gemeinplätze (loci communes) 122. generalisierende Zeitbestimmung 44. Genesis 62. Geniesprache 198°. 275 u. Anm. Geniezeit: Wiederentdeckung des Lutherischen Deutsch 198°. Genitiv: endungsloser 2011; mo- daler 200; partitiver 200; quali- tativer 200; des Wertes 200; Erlöschen des Genitivgefühls 2011; Umschreibung mit Genitivverbin- dungen 122. genus dissolutum 96; exile 96; sententiosum et argutum 83; generis quaestio 801. Geologische Analogien für die Sprachvorgänge 231f. Gerardo Landriani s. Landriani. Gertrud, Herzogin von Andechs, Königin von Ungarn 330. 331. Gertrud, Herzogin von Schlesien, Tochter der heiligen Hedwig 331. 337. Gerundivkonstruktionen: ihre Nach- bildung im Deutschen 199. 205. Gesetz der wachsenden Glieder 1151. Gesetze der Liebe, ein Buchtitel 127. Giamboni, Bono 69. Gledenstede, Helmold (Helmut), von Salzwedel 47. 49°. 50. Gleichklang ganzer Satzglieder oder Satzeinschnitte 120. 122. Gleichsetzung, graphische 1901. — Glogau 51. 161. 170. 176. Glosse, erläuternde, im Schlägler Formelbuch 25 ; ihre Quellen 57ff. 117—127, s. auch Vorwort S. XIff. Glossographische Produktion 1121 Gnesen 35. 154. 311. Goethe über die Quellen der Deut- schen Sprache 231; Mundartliches in der Sprache des jungen Goethe 189 (wandlen, trauren). 193 (Mark = Markt). Görchen 52. Gorgias 85. 89. 1001. 1091. 116. 119f. 126; der jüngere 117f. Gorgianische Figuren 1091. 1142. 115. 123. 126; Gorgianischer Stil 117; Gorgianische Technik 117. Gottfried von Straßburg 130.
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Register zur Einleitung. Gottsched: vor- Gottschedische Schriftsprache 189. Gracchus 101f. gradatio 1042. 1139, 1141. Gräditz 39. grauitas 96. 113. Gregor XI., Papst 312. 314. Grillius 681 Grimm, Jacob: seine neue Sprach- auffassung 230ff., seine neue grammat. Terminologie 233f.; Briefwechsel mit Lachmann 233, Grimma 133. Grumpach 156. 159. Gruterus, Janus 111. Guhlau 38f. Guidotto von Bologna 691. Guilhem Molinier, Kanzler des Poetenkollegiums von Toulouse 127. Guillaume de Saint-Etienne 69. Gültmannsdorf 44. H Hainan 44. 154. Hanko (Johannes) Brunonis, s. Jo- hannes. Hannibal 76. Hartlieb, Johann, Nachtrůge 145. Vorwort S. XII. Hartmann von Aue 329. Hasenburg, Sbinco de, Erzbischof von Prag 36. Häufung von Synonymen s. Syno- nyme. Hedwig, Königin von Polen, Ge- mahlin des Wladyslaw Jagiello: thre deutsche Bildung und För- derung des Deutschtums 17 ff.; humanist. Panegyrikus auf thre bevorstehende Niederkunft 19. Hedwig, Herzogin von Liegnitx, Gemahlin Ruprechts von Liegnitz, Witwe Kasimirs von Polen 32. 318. Hedwig, heilige, Herzogin von Schlesien 329—333. 335. 337. 338; die lat. Legende von der Burdach, Mittelalt. u. Reform. V, I. Schles.-bóhm. Formelb. 353 heil. Hedwig 333f. 335ff; Bilderhs. der Legende 322— 325. 328. 338. 340. Hegesias 799, 83f. 993, 1001, 1091. 116. 119. 126, Heidelberg, Universität 17. Heinrich s. Langenstein, Sońnen- berg, Totting, Veldeke. Heinrich von Andechs, Markgraf von Istrien 331. 334. Heinrich I., Herxog von Breslau, Gemahl der hei. Hedwig 324. 329. 332f. Heinrich I., Herzog von Glogau 318. Heinrich, Herzog von Liegnitz,. Domdechant von Breslau 313 ff. 318. 325. Heinrich II., Herzog von Schlesien, Sohn der heil. Hedwig 332f. 340. Heinrich (Sorbom), Bischof von Ermland 34. 325. Heinrichau, Zisterzienserkloster bei Miinsterberg 44. 155. Helena-Enkomion 116. Henricus Thesauri, Kanzleikollege Johanns von Neumarkt 53. Herennius-Rhetorik 57—75. 91— 99. 102—128. 1291. Nachtráge 144f. Vorwort S. XII. Hermagoras 60. 75*. 79. 801. Herodot 119. Hiatus 92. 208. 217. 282. Hierokles 83. 86. 99. 1011. Hieronymus | 326; humanistische Neigungen ( Cicero- Verehrung) 61. 65. 74; Besitzer der Herennius- Rhetorik 61f. 64. — Hieronymus- kult 62. Hieronymus von Temefdorf 326. Hildebrand (Hilbrand), Meister s. Roßarzneibuch, Hildebrand, Rudolf 275. 281f. Hochscholastik: ihre lateinischen Vorbilder 196. Hochsprachliche Lautgebung 261. 268. 294. 307. 308. Hoffmann, Johannes aus Schweid- mix, 8. Leipxiger Rektor 50. 23*
Register zur Einleitung. Gottsched: vor- Gottschedische Schriftsprache 189. Gracchus 101f. gradatio 1042. 1139, 1141. Gräditz 39. grauitas 96. 113. Gregor XI., Papst 312. 314. Grillius 681 Grimm, Jacob: seine neue Sprach- auffassung 230ff., seine neue grammat. Terminologie 233f.; Briefwechsel mit Lachmann 233, Grimma 133. Grumpach 156. 159. Gruterus, Janus 111. Guhlau 38f. Guidotto von Bologna 691. Guilhem Molinier, Kanzler des Poetenkollegiums von Toulouse 127. Guillaume de Saint-Etienne 69. Gültmannsdorf 44. H Hainan 44. 154. Hanko (Johannes) Brunonis, s. Jo- hannes. Hannibal 76. Hartlieb, Johann, Nachtrůge 145. Vorwort S. XII. Hartmann von Aue 329. Hasenburg, Sbinco de, Erzbischof von Prag 36. Häufung von Synonymen s. Syno- nyme. Hedwig, Königin von Polen, Ge- mahlin des Wladyslaw Jagiello: thre deutsche Bildung und För- derung des Deutschtums 17 ff.; humanist. Panegyrikus auf thre bevorstehende Niederkunft 19. Hedwig, Herzogin von Liegnitx, Gemahlin Ruprechts von Liegnitz, Witwe Kasimirs von Polen 32. 318. Hedwig, heilige, Herzogin von Schlesien 329—333. 335. 337. 338; die lat. Legende von der Burdach, Mittelalt. u. Reform. V, I. Schles.-bóhm. Formelb. 353 heil. Hedwig 333f. 335ff; Bilderhs. der Legende 322— 325. 328. 338. 340. Hegesias 799, 83f. 993, 1001, 1091. 116. 119. 126, Heidelberg, Universität 17. Heinrich s. Langenstein, Sońnen- berg, Totting, Veldeke. Heinrich von Andechs, Markgraf von Istrien 331. 334. Heinrich I., Herxog von Breslau, Gemahl der hei. Hedwig 324. 329. 332f. Heinrich I., Herzog von Glogau 318. Heinrich, Herzog von Liegnitz,. Domdechant von Breslau 313 ff. 318. 325. Heinrich II., Herzog von Schlesien, Sohn der heil. Hedwig 332f. 340. Heinrich (Sorbom), Bischof von Ermland 34. 325. Heinrichau, Zisterzienserkloster bei Miinsterberg 44. 155. Helena-Enkomion 116. Henricus Thesauri, Kanzleikollege Johanns von Neumarkt 53. Herennius-Rhetorik 57—75. 91— 99. 102—128. 1291. Nachtráge 144f. Vorwort S. XII. Hermagoras 60. 75*. 79. 801. Herodot 119. Hiatus 92. 208. 217. 282. Hierokles 83. 86. 99. 1011. Hieronymus | 326; humanistische Neigungen ( Cicero- Verehrung) 61. 65. 74; Besitzer der Herennius- Rhetorik 61f. 64. — Hieronymus- kult 62. Hieronymus von Temefdorf 326. Hildebrand (Hilbrand), Meister s. Roßarzneibuch, Hildebrand, Rudolf 275. 281f. Hochscholastik: ihre lateinischen Vorbilder 196. Hochsprachliche Lautgebung 261. 268. 294. 307. 308. Hoffmann, Johannes aus Schweid- mix, 8. Leipxiger Rektor 50. 23*
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354 ‘Hofsprache’: J. Grimm und Lachmann 257. Homer 90. Homiletik und ihre lat. Vorbilder 196. Hörfehler als Quelle verderbnis 25. 302. Hortensius 83. 86. 100. Humanismus: altchristlicher 60 ff.; karolingischer 63f.; des 12. Jahr- hunderts 64f.; italienischer des 11. 13. Jahrh. 66. 69; H. der staliemschen Renaissance 70 — 74, dessen Vorbereitung im Poeten- kollegium von Toulouse 127f.; bóhmischer 197 ; sádwestdeutscher des 15. Jahrh. 130. 197. 308. der Text- Vorwort S. XIII; s. auch Re- naissance, : Humanitit: römische in der Sci- pionenxeit 779; vgl. Augustin, Cicero, Favonius Eulogius, Hie- ronymus, Licentius, Marius Vic- torinus, Panaitios, Poseidonios, Petrarca, Romanianus. Hypereides 82. Hyperlateinische Restitutionen 1691. I 1 in Nebensilben 293ff., im Wechsel | mit y 296f. Jacopone 337. Jaroslaw, Sohn Boleslaws I. von Schlesien 332. Jean d' Antioche 69. Jenzenstein, Paul von 27. Jerusalem 154. Iglau 40. imitatio 97. indignatio 98. Ingeborg von Dänemark, zweite Gattin Königs Philipp August von Frankreich 330. Inklination 217, durch Schreibung bezeichnet im Mhd. wu. Nhd. 274f. Innozenx III., Papst 330. insinuatio 59. 1143, Begriff der H. bei Register zur Einleitung. interpretatio (stilistische Figur) 1121. Nachträge 144. inventio (eUpnoig) 79. 97. Inversion 199. Joachim von Fiore 337. Johann, König von Böhmen 402, Johann von Gelnhausen, Schüler Johanns von Neumarkt 4. 299. Johann von Neumarkt, Hofkanzler Karls IV. 327; Kandidat für das . Breslauer. Bistum 32. 811. 312. 313; seine vorbildliche Summa cancellarie 4. 26f. 51. 52f. 134. 163; thre Wortfulle und ver- schlungene | Periodik 110; ihre Durchfiihrung des strengen rhyth- mischen Cursus 208; Johanns natürlicher stilisierte deutsche Schriften 197. 299 (ihre Frucht der “Ackermann aus Böhmen‘); seine wie seiner Schüler und Kollegen humanistische Neigungen (Bewunderung Rienzos, Petrarcas) 27f. 328. 342. Vorwort 8. XIIf. XIII. Johann Očko, Erxbischof von Prag 311. Johannes Anglicus 1121. Johannes von Brieg, Rektor der Universität Leipzig 48. Johannes (Hanko) Brunonis, Probst von Lebus 34f., Nachfolger Jo- hanns von Neumarkt 319. 343. 345. Johunnes von Czarnkow, Gnesener Archidiakon, polnischer Chronist 312. 319. Johannes Frankenstein, Magister *n Leipxig 50. Johannes Gaetami (Papst Gelasius II.), Leiter der päpstlichen Kanz- lei 66, 212. Johannes I., Abt von Kamenz 154. Johannes ( Kropidlo), Erzbischof von Gnesen (1389—1394) 35. 154. Johannes (Mönch), Bischof von Pomesanien 344.
354 ‘Hofsprache’: J. Grimm und Lachmann 257. Homer 90. Homiletik und ihre lat. Vorbilder 196. Hörfehler als Quelle verderbnis 25. 302. Hortensius 83. 86. 100. Humanismus: altchristlicher 60 ff.; karolingischer 63f.; des 12. Jahr- hunderts 64f.; italienischer des 11. 13. Jahrh. 66. 69; H. der staliemschen Renaissance 70 — 74, dessen Vorbereitung im Poeten- kollegium von Toulouse 127f.; bóhmischer 197 ; sádwestdeutscher des 15. Jahrh. 130. 197. 308. der Text- Vorwort S. XIII; s. auch Re- naissance, : Humanitit: römische in der Sci- pionenxeit 779; vgl. Augustin, Cicero, Favonius Eulogius, Hie- ronymus, Licentius, Marius Vic- torinus, Panaitios, Poseidonios, Petrarca, Romanianus. Hypereides 82. Hyperlateinische Restitutionen 1691. I 1 in Nebensilben 293ff., im Wechsel | mit y 296f. Jacopone 337. Jaroslaw, Sohn Boleslaws I. von Schlesien 332. Jean d' Antioche 69. Jenzenstein, Paul von 27. Jerusalem 154. Iglau 40. imitatio 97. indignatio 98. Ingeborg von Dänemark, zweite Gattin Königs Philipp August von Frankreich 330. Inklination 217, durch Schreibung bezeichnet im Mhd. wu. Nhd. 274f. Innozenx III., Papst 330. insinuatio 59. 1143, Begriff der H. bei Register zur Einleitung. interpretatio (stilistische Figur) 1121. Nachträge 144. inventio (eUpnoig) 79. 97. Inversion 199. Joachim von Fiore 337. Johann, König von Böhmen 402, Johann von Gelnhausen, Schüler Johanns von Neumarkt 4. 299. Johann von Neumarkt, Hofkanzler Karls IV. 327; Kandidat für das . Breslauer. Bistum 32. 811. 312. 313; seine vorbildliche Summa cancellarie 4. 26f. 51. 52f. 134. 163; thre Wortfulle und ver- schlungene | Periodik 110; ihre Durchfiihrung des strengen rhyth- mischen Cursus 208; Johanns natürlicher stilisierte deutsche Schriften 197. 299 (ihre Frucht der “Ackermann aus Böhmen‘); seine wie seiner Schüler und Kollegen humanistische Neigungen (Bewunderung Rienzos, Petrarcas) 27f. 328. 342. Vorwort 8. XIIf. XIII. Johann Očko, Erxbischof von Prag 311. Johannes Anglicus 1121. Johannes von Brieg, Rektor der Universität Leipzig 48. Johannes (Hanko) Brunonis, Probst von Lebus 34f., Nachfolger Jo- hanns von Neumarkt 319. 343. 345. Johunnes von Czarnkow, Gnesener Archidiakon, polnischer Chronist 312. 319. Johannes Frankenstein, Magister *n Leipxig 50. Johannes Gaetami (Papst Gelasius II.), Leiter der päpstlichen Kanz- lei 66, 212. Johannes I., Abt von Kamenz 154. Johannes ( Kropidlo), Erzbischof von Gnesen (1389—1394) 35. 154. Johannes (Mönch), Bischof von Pomesanien 344.
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Register zur Einleitung. 355 Johannes Ottonis von Münsterberg, 1. Rektor der Universität Leipzig 46. 47. 48. 49. Johannes von Saaz 299, s. Acker- mann aus Böhmen. Johannes (Suchywik), Erzbischof von Gnesen (1374 — 1382) 316f. 3171. 3182. Isidor von Sevilla 63. Isokrates 81ff. 116. 119. łoókuNov: Satzbildung aus Kolen von gleicher Silbenzahl, auch mit тapiowOig bezeichnet 120. 1211. Italien: Aufenthalt deutscher Kanz- leinotare in Italien 3121. 327 u. Anm., s. auch Humanismus, Renaissance. Junius Brutus 86. Jutroschin 52. Juvencus 61. K Kaaden a. Eger 41. 44. Kamenz 154. Kanzlei, sächsische 1971f. Kanzleiliteraten 24. Kanzleisprache: Stil der späthelleni- stischen K. 86; K. Böhmens 197°. 250. 251. 254. 264. 269. 271. 305; böhmischer Städte 307; ku- riale 210; kurmainzer 197°; des Reiches (kaiserliche) 210. 270. 288. 289. 293. 301f. (drei Spiel- arten); schlesische 217. 305. 307; Grundlage der nhd. Schriftsprache 234; wechselnde Mischung von Schriftsprache u. Mundart 237ff.; 8. Cursus, Karl IV. Karl d. Gr. 339. Karl IV., Erwerb Schlesiens 5; Ver- hältnis zum Bistum Breslau 6. 311 f.; Stellung zur Stadt Bres- lau u. zum Breslauer Domkapitel 311—315. 316. 344; Stiftung der Universität Prag 13; Notare seiner Kanzlei 290 f. 342 f. (s. auch Damerau, Johann v. Geln- hausen, Johann von Neumarkt, Johannes Brunonis, Nikolaus Henrici, Nikolaus v. Riesenburg); die Sprache seiner Kanzlei 209. 264. 297 f. (Einfluß auf die nhd. Sprachentwicklung); s. Kanzlei- sprache. Karolingische Renaissance 63. 258. Karthago 59. 61. Kasimir, König von Polen 5. 311. 318. Kasusrektion: Nachbildung der lat. Vorlage 200. Katherina II., Herzogin von Brieg, 155. kausal: das alleinstehende kausale das' 2012. Kemberg 311. Kilian, fränkischer Barfüßer aus Meiningen, verdeutscht die Hed- wigslegende 3221. Kirchendeutsch, nationales und Kir- chenlatein 198°. Klein Tinex 39. Klemens IV., VI. und VII., Päpste 323. 311. 312f. KAîuaE = gradatio 1141. Klopstock 198°. Köckeritz, Walther von 21. Kolon 1041. 120; Kolon-Gleichheit 1211; Kolon-Schlüsse 116. 121. Komma 1041. 115. 120; Komma- Schluß 121; kommatische Manier 122. 130; kommatisch-rhyth- mische Satzbildung 119. 128; kommatisch symmetrischer Typus 84; kommatischer Typus des Asianismus 831. Kommentare: ihre wortumschrei- bende, worterläuternde Methode 1121. Konformität ganzer Satzglieder oder Satzeinschnitte 120. Konjunktionen, ihr Gebrauch 201. 308. Konrad s. Borow, Mure. Konrad von Heinrichau 238. Konrad, Herzog von Masovien 332.
Register zur Einleitung. 355 Johannes Ottonis von Münsterberg, 1. Rektor der Universität Leipzig 46. 47. 48. 49. Johannes von Saaz 299, s. Acker- mann aus Böhmen. Johannes (Suchywik), Erzbischof von Gnesen (1374 — 1382) 316f. 3171. 3182. Isidor von Sevilla 63. Isokrates 81ff. 116. 119. łoókuNov: Satzbildung aus Kolen von gleicher Silbenzahl, auch mit тapiowOig bezeichnet 120. 1211. Italien: Aufenthalt deutscher Kanz- leinotare in Italien 3121. 327 u. Anm., s. auch Humanismus, Renaissance. Junius Brutus 86. Jutroschin 52. Juvencus 61. K Kaaden a. Eger 41. 44. Kamenz 154. Kanzlei, sächsische 1971f. Kanzleiliteraten 24. Kanzleisprache: Stil der späthelleni- stischen K. 86; K. Böhmens 197°. 250. 251. 254. 264. 269. 271. 305; böhmischer Städte 307; ku- riale 210; kurmainzer 197°; des Reiches (kaiserliche) 210. 270. 288. 289. 293. 301f. (drei Spiel- arten); schlesische 217. 305. 307; Grundlage der nhd. Schriftsprache 234; wechselnde Mischung von Schriftsprache u. Mundart 237ff.; 8. Cursus, Karl IV. Karl d. Gr. 339. Karl IV., Erwerb Schlesiens 5; Ver- hältnis zum Bistum Breslau 6. 311 f.; Stellung zur Stadt Bres- lau u. zum Breslauer Domkapitel 311—315. 316. 344; Stiftung der Universität Prag 13; Notare seiner Kanzlei 290 f. 342 f. (s. auch Damerau, Johann v. Geln- hausen, Johann von Neumarkt, Johannes Brunonis, Nikolaus Henrici, Nikolaus v. Riesenburg); die Sprache seiner Kanzlei 209. 264. 297 f. (Einfluß auf die nhd. Sprachentwicklung); s. Kanzlei- sprache. Karolingische Renaissance 63. 258. Karthago 59. 61. Kasimir, König von Polen 5. 311. 318. Kasusrektion: Nachbildung der lat. Vorlage 200. Katherina II., Herzogin von Brieg, 155. kausal: das alleinstehende kausale das' 2012. Kemberg 311. Kilian, fränkischer Barfüßer aus Meiningen, verdeutscht die Hed- wigslegende 3221. Kirchendeutsch, nationales und Kir- chenlatein 198°. Klein Tinex 39. Klemens IV., VI. und VII., Päpste 323. 311. 312f. KAîuaE = gradatio 1141. Klopstock 198°. Köckeritz, Walther von 21. Kolon 1041. 120; Kolon-Gleichheit 1211; Kolon-Schlüsse 116. 121. Komma 1041. 115. 120; Komma- Schluß 121; kommatische Manier 122. 130; kommatisch-rhyth- mische Satzbildung 119. 128; kommatisch symmetrischer Typus 84; kommatischer Typus des Asianismus 831. Kommentare: ihre wortumschrei- bende, worterläuternde Methode 1121. Konformität ganzer Satzglieder oder Satzeinschnitte 120. Konjunktionen, ihr Gebrauch 201. 308. Konrad s. Borow, Mure. Konrad von Heinrichau 238. Konrad, Herzog von Masovien 332.
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356 Konrad von Mure 1090. S. XIV. Konrad, Herxog von Schlesien, Sohn der heil. Hedwig 332. Konrad von Würzburg 130. Konxinnität des Satxbaus 84. Kopialbücher 302. Krakau, Universität 17; deutsche Kultur in Kr. 19. 20°; Matthäus von Kr. 18. Kralik s. Wenzel. Kraus, Carl von 1021. 258. Kreticus : im schwebenden Velox 212. “Kreuzfahrt des Landgrafen Ludwig von Thüringen, schlesisches Ge- dicht 247. 262 ff. (sprachlich- literarisch abhängig von der Dichtersprache des böhmischen Komigshofes). 264. 265. 266. Ktesiphon 97. Kulturgemeinschaft des deutschen Ostens von Prag bis Ostpreußen 14; Kulturgemeinschaft zwischen Böhmen u. Schlesien 235. Kuttenberg in Böhmen 44. 155. -kyt -kit) fur -keit tm Schlesischen 251. Vorwort L Ladislaus, Erbe der ungarischen Krone 330. Laelius 95. Landfriede, Mainzer, von 1235, ältestes Denkmal, das in deutscher Prosa streng geregelten Cursus zeigt 209. Landriani, Gerardo, Entdecker einer Sammlung d. rhetorischen Haupt- schriften Ciceros 59 f. Landsberg 150. Langenstein, Heinrich (Hembuche) von 16. Langland, William Vorwort S. X. Lateinische mundartliche Schreibun- gen parallel mit deutschen 166. 1691, 17012. 1711. 1721. 1741. 177-2, 1791. 18512. 1901. 191123. 1932. 1941. 19512, 1961 2, Register zur Einleitung. Latinismen der Syntax 198—201. 300. 308. 309. Laut u. Schriftzeichen 258f.: Laut- abstufung nachder Betonung in der Schriftsprache unbexeichnet 277. Leipzig, Universität: 47—50. 299. Vorwort S. X. Leo I. 66. Leontioi 1001, . Leopold, Herxog von Osterreich 331. Lesko, Herxog von Krakau 332. Leubus, Kloster in Schlesien 44. 153. 3231. 333. Levold, Pfarrer von Batelau, erm- länd. Domherr 14. Liber diurnus 66. Licentius 60f. -lich, -lichen 2n der Adverbialbildung 174. 291. Lichtenstein, Ulrich von 334. Licinius Crassus 779. 851. 95. Liegnita, Stadt 32ff. 51. 154; Ni- kolaus von L. 461; Herxóge v. L. s. Heinrich, Ludwig, Ruprecht, Wenzel von Liegnita. Livius 86. loci communes 122. Longinus-Segen Nachträge 146. Lucilius 95. Luder, Peter 129. Ludwig, Herzog von Bayern 331. Ludwig I., Herzog von Brieg 318. 321. 322 ff. 328. 338. Ludwig der Fromme, Landgraf von Thüringen, Gemahl der heil. Eli- sabeth 341; vgl. “Kreuzfahrt dea Landgrafen Ludwig von Thi- ringen. Liutbert, Erzbischof von Mainz 92. 102. lumina Orationis 114; verborum 114. Lupus von Ferrieres 63 ff. Luther: seine Bedeutung für die deutsche Prosa 198°. Lyell, Charles: über die Beständig- keit der Erdveränderungen 232. Lysias 83f.
356 Konrad von Mure 1090. S. XIV. Konrad, Herxog von Schlesien, Sohn der heil. Hedwig 332. Konrad von Würzburg 130. Konxinnität des Satxbaus 84. Kopialbücher 302. Krakau, Universität 17; deutsche Kultur in Kr. 19. 20°; Matthäus von Kr. 18. Kralik s. Wenzel. Kraus, Carl von 1021. 258. Kreticus : im schwebenden Velox 212. “Kreuzfahrt des Landgrafen Ludwig von Thüringen, schlesisches Ge- dicht 247. 262 ff. (sprachlich- literarisch abhängig von der Dichtersprache des böhmischen Komigshofes). 264. 265. 266. Ktesiphon 97. Kulturgemeinschaft des deutschen Ostens von Prag bis Ostpreußen 14; Kulturgemeinschaft zwischen Böhmen u. Schlesien 235. Kuttenberg in Böhmen 44. 155. -kyt -kit) fur -keit tm Schlesischen 251. Vorwort L Ladislaus, Erbe der ungarischen Krone 330. Laelius 95. Landfriede, Mainzer, von 1235, ältestes Denkmal, das in deutscher Prosa streng geregelten Cursus zeigt 209. Landriani, Gerardo, Entdecker einer Sammlung d. rhetorischen Haupt- schriften Ciceros 59 f. Landsberg 150. Langenstein, Heinrich (Hembuche) von 16. Langland, William Vorwort S. X. Lateinische mundartliche Schreibun- gen parallel mit deutschen 166. 1691, 17012. 1711. 1721. 1741. 177-2, 1791. 18512. 1901. 191123. 1932. 1941. 19512, 1961 2, Register zur Einleitung. Latinismen der Syntax 198—201. 300. 308. 309. Laut u. Schriftzeichen 258f.: Laut- abstufung nachder Betonung in der Schriftsprache unbexeichnet 277. Leipzig, Universität: 47—50. 299. Vorwort S. X. Leo I. 66. Leontioi 1001, . Leopold, Herxog von Osterreich 331. Lesko, Herxog von Krakau 332. Leubus, Kloster in Schlesien 44. 153. 3231. 333. Levold, Pfarrer von Batelau, erm- länd. Domherr 14. Liber diurnus 66. Licentius 60f. -lich, -lichen 2n der Adverbialbildung 174. 291. Lichtenstein, Ulrich von 334. Licinius Crassus 779. 851. 95. Liegnita, Stadt 32ff. 51. 154; Ni- kolaus von L. 461; Herxóge v. L. s. Heinrich, Ludwig, Ruprecht, Wenzel von Liegnita. Livius 86. loci communes 122. Longinus-Segen Nachträge 146. Lucilius 95. Luder, Peter 129. Ludwig, Herzog von Bayern 331. Ludwig I., Herzog von Brieg 318. 321. 322 ff. 328. 338. Ludwig der Fromme, Landgraf von Thüringen, Gemahl der heil. Eli- sabeth 341; vgl. “Kreuzfahrt dea Landgrafen Ludwig von Thi- ringen. Liutbert, Erzbischof von Mainz 92. 102. lumina Orationis 114; verborum 114. Lupus von Ferrieres 63 ff. Luther: seine Bedeutung für die deutsche Prosa 198°. Lyell, Charles: über die Beständig- keit der Erdveränderungen 232. Lysias 83f.
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Register zur Einleitung. M -m wm starken Dativ Maskul. des Adjektivs 280f. Magdeburger Rechtssprache : thr Bin- fluB auf die schlesische Kanxlei- sprache und sein Zurüclweichen 236 u. Anm. magnitudo vocis 116. Mailand 60. Mallersdorf 150. Manfred, König, Sohn Kaiser Fried- richs II. 69. margarita poetica 129. Marienkult 21f. Marius 58. Marius Victorinus 61 ff. 74. Martianus Capella 1211. Martini, Johannes von Sedletz, Breslauer Kanoniker. 311. Marz, Friedrich 581. 59. 93—96 und oft. Matthäus von Krakau 18. peipaxubbne Aeżię 126. Meißen 122. 132f. 160f. 298. 299; Markgrafen Friedrich u. Wilhelm von M. 47. membrum (Kolon) 115. memoria 97. Menander 83. Menekles 83. 86. 97. 99. 109. Menippos aus Stratonikeia 87, mensa episcopalis: ihre Einkünfte 33. uepiguóg — distributio 1141. Mesko, Herzog von Ratibor 332. Metellus Numidicus 91. Michael, Kaplan in Scheidelwitz 3221. Militsch 52. uiunci 90. Minoriten, dw ersten in Schlesien 334. Mirakelgeschichten 151. 157. Mischsprache in Schlesien 237f. 262. mit (Práposition) neben mite (Ad- verb) 2631. 291. Mithridates Kallinikos 86. 357 Mittelwalde 170. Mixstadt 52. Moerbeke, Wilhelm von, Aristoteles- übersetxer 14. Molinier, Guilhem 127. Mongolenschlacht von 1241 339f. Monophthongierung von mhd. Di- phthongen 246ff. 253. Monte Cassino 66. 74. Morra, Albert von (Gregor VIII.) 66. Morsbach, Lorenz 2591. Miillenhoff, Karl 78. 81. Münsterberg i. Schl. 42. 140. . Burner, Thomas, Nachtrdge 144. Myron 80. Mystische Urkraft des sprachlichen Werdens 231. N N. für unbekannte oder nichige- nannte Namen: seine Bedeutung 372, Nanker, Bischof von Breslau 320. Naturalistische Auffassung der mattelalterlichen Schriftsprache 232. 257. Naturgesetzlicher Gesichtspunkt in der Sprachwissenschaft 232. Neisse 5. 33. 154. Neuplatoniker 60. nicht alleyn — sunder 308. Niclas von Wyle 197. Vorwort S. IX. Nicolo Beccari, italienischer Huma- nast 311. Nicopolo 134. Nikolaus: Uberwiegen des Vor- namens Nikolaus 37. Nikolaus Balkau,Kanonikus in Brieg 3221. Nikolaus von Glatx 21. Nikolaus (Henrici) aus Posen 34f. 314. 319. 320—328. Nikolaus von Kemberg (= Nikolaus von Riesenburg) 311. Nikolaus von Liegnitz 461. Nikolaus von Neisse 451, Nikolaus Pruxie 322. 3231.
Register zur Einleitung. M -m wm starken Dativ Maskul. des Adjektivs 280f. Magdeburger Rechtssprache : thr Bin- fluB auf die schlesische Kanxlei- sprache und sein Zurüclweichen 236 u. Anm. magnitudo vocis 116. Mailand 60. Mallersdorf 150. Manfred, König, Sohn Kaiser Fried- richs II. 69. margarita poetica 129. Marienkult 21f. Marius 58. Marius Victorinus 61 ff. 74. Martianus Capella 1211. Martini, Johannes von Sedletz, Breslauer Kanoniker. 311. Marz, Friedrich 581. 59. 93—96 und oft. Matthäus von Krakau 18. peipaxubbne Aeżię 126. Meißen 122. 132f. 160f. 298. 299; Markgrafen Friedrich u. Wilhelm von M. 47. membrum (Kolon) 115. memoria 97. Menander 83. Menekles 83. 86. 97. 99. 109. Menippos aus Stratonikeia 87, mensa episcopalis: ihre Einkünfte 33. uepiguóg — distributio 1141. Mesko, Herzog von Ratibor 332. Metellus Numidicus 91. Michael, Kaplan in Scheidelwitz 3221. Militsch 52. uiunci 90. Minoriten, dw ersten in Schlesien 334. Mirakelgeschichten 151. 157. Mischsprache in Schlesien 237f. 262. mit (Práposition) neben mite (Ad- verb) 2631. 291. Mithridates Kallinikos 86. 357 Mittelwalde 170. Mixstadt 52. Moerbeke, Wilhelm von, Aristoteles- übersetxer 14. Molinier, Guilhem 127. Mongolenschlacht von 1241 339f. Monophthongierung von mhd. Di- phthongen 246ff. 253. Monte Cassino 66. 74. Morra, Albert von (Gregor VIII.) 66. Morsbach, Lorenz 2591. Miillenhoff, Karl 78. 81. Münsterberg i. Schl. 42. 140. . Burner, Thomas, Nachtrdge 144. Myron 80. Mystische Urkraft des sprachlichen Werdens 231. N N. für unbekannte oder nichige- nannte Namen: seine Bedeutung 372, Nanker, Bischof von Breslau 320. Naturalistische Auffassung der mattelalterlichen Schriftsprache 232. 257. Naturgesetzlicher Gesichtspunkt in der Sprachwissenschaft 232. Neisse 5. 33. 154. Neuplatoniker 60. nicht alleyn — sunder 308. Niclas von Wyle 197. Vorwort S. IX. Nicolo Beccari, italienischer Huma- nast 311. Nicopolo 134. Nikolaus: Uberwiegen des Vor- namens Nikolaus 37. Nikolaus Balkau,Kanonikus in Brieg 3221. Nikolaus von Glatx 21. Nikolaus (Henrici) aus Posen 34f. 314. 319. 320—328. Nikolaus von Kemberg (= Nikolaus von Riesenburg) 311. Nikolaus von Liegnitz 461. Nikolaus von Neisse 451, Nikolaus Pruxie 322. 3231.
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358 Nikolaus von Riesenburg 30ff. 319. 345 f. Nikolaus von Wohlau, Breslauer Archidiakon 321. Nolhac, Pierre de 70. 71. 72. nominis quaestio 801, Norden, Eduard 73'. 813, 841. 851, 861, 941. 1001. Notker der Deutsche 255. 256 (An- lautsgesetx). Novati 208. о Obernick (Obereich Druckfehler) 176. Ohlau 52. Olesnicki, Zbigniew, Begründer des polnischen Humanismus 19. Olmütz 154; Bischöfe von O. siehe Johann von Neumarkt, Nikolaus _ von Riesenburg, Wenzel Kralik. Ols 51. Guoro)oyia: Wiederholung dessel- ben Worts 113. ówotórTwTOV 120f. ówotoTEAeuTOV 120. opusculum de obsessis hominibus 151. 157. ópłórnę TWY Óvouáruv 118!. Originalitätsbegriff, moderner, fehlt der Antike und dem Mittelalter 8 f. ópiopóć : rhetorische Figur 1181. Orthographie der lateinischen Texte in PSSw Vorwort XIII—XVI. ‘Oswald’, Wiener — (Spielmanns- gedicht) 331. Otfried von Weißenburg 63. 92. 102f. 234; Umlaut wirkende Enklise 255. 256. 2591. 2601. OttmachaubeiNeisse 5. 33f. 153. 154. Otto IV. von Brandenburg 3411. Otto von Meran 331f. Otto von Wittelsbach, Pfalzgraf 331. Ottokar I., König von Böhmen 334, Ottokar IL, König von Böhmen, Gründer Königsbergs 14. Ottonis, Johannes von Münsterberg, s. Johannes. Oxford, Universität 13. 15. Register zur Einleitung. P Paarung von Synonymen s. Syno- nyme. Pacuvius 95. TaMA)oria 1141. Panaitios 76ff. 89. 95. Pankkouen 155. 159. Papirius Carbo 102. Parallelismus kommatisch gebauter Sätze 116f. 122. 128; symme- trischer Sätze 108. TapnAnoig 1141, Paris, Universität 13. 15f. mapıcov 1211. Tap1OWOIG 1091. 116. 1211, Tapopoiwcię 1091, 1211. mapovouacia 1091. 1141. 115. 127. Partixipialkonstruktionen im Deut- schen 199. 205. Paulinische Briefe 62. Peilau 38. 42. Perioden, überlange lateinische 198. permixtio 121f. Peter Freytag, Breslauer Schreiber aus Brieg 324. Peter von Jauer, Notar der Reichs- kanxle 27. 290. Peter von Prezza 692, Petrarca 7. 27. 52. 56. 6% ff. 127. 129. 208. 209? (Cursus). 327 f. Vorwort S. IXf. Petrus Hispanus (Papst Johannes XXI.) 471. Peirus de Vinea (Vineis, Vigna) 6. 67. 110. pferrer neben pfarre 265f. Pfründe, kirchliche, als Lohn für Kanzleidienste 23 f. Philipp von Schwaben, deutscher König 331. Philipp, König von Makedonien 76. Philipp, bischöfl. Marschall in Bres- lau 14. Philipp August, König von Frank- reich. 330. Philiskos 83. Philon von Larissa 77. 87.
358 Nikolaus von Riesenburg 30ff. 319. 345 f. Nikolaus von Wohlau, Breslauer Archidiakon 321. Nolhac, Pierre de 70. 71. 72. nominis quaestio 801, Norden, Eduard 73'. 813, 841. 851, 861, 941. 1001. Notker der Deutsche 255. 256 (An- lautsgesetx). Novati 208. о Obernick (Obereich Druckfehler) 176. Ohlau 52. Olesnicki, Zbigniew, Begründer des polnischen Humanismus 19. Olmütz 154; Bischöfe von O. siehe Johann von Neumarkt, Nikolaus _ von Riesenburg, Wenzel Kralik. Ols 51. Guoro)oyia: Wiederholung dessel- ben Worts 113. ówotórTwTOV 120f. ówotoTEAeuTOV 120. opusculum de obsessis hominibus 151. 157. ópłórnę TWY Óvouáruv 118!. Originalitätsbegriff, moderner, fehlt der Antike und dem Mittelalter 8 f. ópiopóć : rhetorische Figur 1181. Orthographie der lateinischen Texte in PSSw Vorwort XIII—XVI. ‘Oswald’, Wiener — (Spielmanns- gedicht) 331. Otfried von Weißenburg 63. 92. 102f. 234; Umlaut wirkende Enklise 255. 256. 2591. 2601. OttmachaubeiNeisse 5. 33f. 153. 154. Otto IV. von Brandenburg 3411. Otto von Meran 331f. Otto von Wittelsbach, Pfalzgraf 331. Ottokar I., König von Böhmen 334, Ottokar IL, König von Böhmen, Gründer Königsbergs 14. Ottonis, Johannes von Münsterberg, s. Johannes. Oxford, Universität 13. 15. Register zur Einleitung. P Paarung von Synonymen s. Syno- nyme. Pacuvius 95. TaMA)oria 1141. Panaitios 76ff. 89. 95. Pankkouen 155. 159. Papirius Carbo 102. Parallelismus kommatisch gebauter Sätze 116f. 122. 128; symme- trischer Sätze 108. TapnAnoig 1141, Paris, Universität 13. 15f. mapıcov 1211. Tap1OWOIG 1091. 116. 1211, Tapopoiwcię 1091, 1211. mapovouacia 1091. 1141. 115. 127. Partixipialkonstruktionen im Deut- schen 199. 205. Paulinische Briefe 62. Peilau 38. 42. Perioden, überlange lateinische 198. permixtio 121f. Peter Freytag, Breslauer Schreiber aus Brieg 324. Peter von Jauer, Notar der Reichs- kanxle 27. 290. Peter von Prezza 692, Petrarca 7. 27. 52. 56. 6% ff. 127. 129. 208. 209? (Cursus). 327 f. Vorwort S. IXf. Petrus Hispanus (Papst Johannes XXI.) 471. Peirus de Vinea (Vineis, Vigna) 6. 67. 110. pferrer neben pfarre 265f. Pfründe, kirchliche, als Lohn für Kanzleidienste 23 f. Philipp von Schwaben, deutscher König 331. Philipp, König von Makedonien 76. Philipp, bischöfl. Marschall in Bres- lau 14. Philipp August, König von Frank- reich. 330. Philiskos 83. Philon von Larissa 77. 87.
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Register zur Einleitung. Pileus, Kardinal 3171. Pilsen 155. planus : cursus 102f. 207f. Platon 60. 733. 77. 79. 85. 1181, Platoniker 60. Plattling 155. 159. Plautus 96°, TmAoxn 117. Plotius Gallus 93. plurimum suavitatis 115. Pogarell, Geschlecht der Herren von 340; s. Preczlaw. Poggio Vorwort S. IX. Politz in Böhmen 39. 43. Polybios 95. Polyklet 80. Pompeius 78. portenta 97. Poseidonios 76ff. 2099; Berich- tigung der Auffassung Reinhardts 78°, Possessiva: Flexionsformen schwan- kend 292. Poulain, Johannes 681, praeexercitamenta 122. 127. - Prag 132f. 145f. 153ff.; Universi- tät 21. 26. 127; Prager Bildung 13f. 122; Ausgangspunkt des neuen Prosastils 235f.; Hof- kanzlei 127; Prager Kanzlei- deutsch 239; fördert das Vor- dringen des neuen Vokalismus 254. Praxiteles 80. preconamina 122, Preczlaw von Pogarell, Bischof von Breslau 311f. 317. 324. 328. 340. Primkenau 176. Priscian 63. 681. 122. Prodikos 1181, productio 114. Tporuuvacuara 122. 127. Vorwort S. X. Prometheus 80. 97. pronuntiatio 97, prosopopeya 1130. Protagoras 1181. Protzan 39; s. Arnold. 359 Prudentius 60. Psychologische Grümde bestimmen die Wahl zwischen Wechsel- schreibungen 266. 271. puerilis elocutio 126. putidus: affektiert als Redner 97. Q Quintilian 581, 851. 1013, 113. 1151, R Rabanus Maurus 63. Radeck: Familicnwappen 340. Ranconis de Ericinio, Adalbert 16. Raphael Regius 704, Raubrittertum 41f. Rawitsch 52. Raymund von Pennaforte 1121, Refrainartige Wiederholung des- selben Begriffs s. Wortspiel, rhe- torisches. | Reichenbach in Schlesien 154. 161. 176. 243. 244. Reichskanzlei, deutsche s. Cursus, Kanxleisprache, Italien, Karl IV., Wenxel IV. Reinbaben: Familienwappen 340. Reinmar von Zweter 341. Renaissance: Problem der 127; ost- gotische, altirische, altenglische, karolingisch-ottonische 68. 74; s. auch Humanismus. Renaissancedichtung : englische 129. repetitio (Redefigur) 114. Responstonen in Satzgliedern 127. Restitution, grammatische 275.281f. 287. 290. 292; falsche 180. Rhetorica prima oder vetus, se- cunda oder noua 65. 69. Rhetorik, antike : Fortleben im Mittel- aller 9; Panegyrikus auf sie 26f. Nachtrůge 143. Rhetorik an Herennius s. Herennius- Rhetorik. Rhetorische Phraseologie 129, — Wortwiederholung 108. 114. 119. Rhodus: Kulturherd 76ff.; Rhe- toren-Schule 116. 130.
Register zur Einleitung. Pileus, Kardinal 3171. Pilsen 155. planus : cursus 102f. 207f. Platon 60. 733. 77. 79. 85. 1181, Platoniker 60. Plattling 155. 159. Plautus 96°, TmAoxn 117. Plotius Gallus 93. plurimum suavitatis 115. Pogarell, Geschlecht der Herren von 340; s. Preczlaw. Poggio Vorwort S. IX. Politz in Böhmen 39. 43. Polybios 95. Polyklet 80. Pompeius 78. portenta 97. Poseidonios 76ff. 2099; Berich- tigung der Auffassung Reinhardts 78°, Possessiva: Flexionsformen schwan- kend 292. Poulain, Johannes 681, praeexercitamenta 122. 127. - Prag 132f. 145f. 153ff.; Universi- tät 21. 26. 127; Prager Bildung 13f. 122; Ausgangspunkt des neuen Prosastils 235f.; Hof- kanzlei 127; Prager Kanzlei- deutsch 239; fördert das Vor- dringen des neuen Vokalismus 254. Praxiteles 80. preconamina 122, Preczlaw von Pogarell, Bischof von Breslau 311f. 317. 324. 328. 340. Primkenau 176. Priscian 63. 681. 122. Prodikos 1181, productio 114. Tporuuvacuara 122. 127. Vorwort S. X. Prometheus 80. 97. pronuntiatio 97, prosopopeya 1130. Protagoras 1181. Protzan 39; s. Arnold. 359 Prudentius 60. Psychologische Grümde bestimmen die Wahl zwischen Wechsel- schreibungen 266. 271. puerilis elocutio 126. putidus: affektiert als Redner 97. Q Quintilian 581, 851. 1013, 113. 1151, R Rabanus Maurus 63. Radeck: Familicnwappen 340. Ranconis de Ericinio, Adalbert 16. Raphael Regius 704, Raubrittertum 41f. Rawitsch 52. Raymund von Pennaforte 1121, Refrainartige Wiederholung des- selben Begriffs s. Wortspiel, rhe- torisches. | Reichenbach in Schlesien 154. 161. 176. 243. 244. Reichskanzlei, deutsche s. Cursus, Kanxleisprache, Italien, Karl IV., Wenxel IV. Reinbaben: Familienwappen 340. Reinmar von Zweter 341. Renaissance: Problem der 127; ost- gotische, altirische, altenglische, karolingisch-ottonische 68. 74; s. auch Humanismus. Renaissancedichtung : englische 129. repetitio (Redefigur) 114. Responstonen in Satzgliedern 127. Restitution, grammatische 275.281f. 287. 290. 292; falsche 180. Rhetorica prima oder vetus, se- cunda oder noua 65. 69. Rhetorik, antike : Fortleben im Mittel- aller 9; Panegyrikus auf sie 26f. Nachtrůge 143. Rhetorik an Herennius s. Herennius- Rhetorik. Rhetorische Phraseologie 129, — Wortwiederholung 108. 114. 119. Rhodus: Kulturherd 76ff.; Rhe- toren-Schule 116. 130.
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360 Rhythmus: besonderer in der Salu- latio der Briefe von P 8 264— 287 (vgl. Cursus, Geheimtradi- tion), Satxrhythmen im ‘ Acker- mann’ 300. Richtungsadverbien 177. Rienxo, Cola di 7. 27. 55. 77. 110. 116 (Wortspiel mit Simplex und Kompositum). 208; die Hand- schrift seiner Briefsammlung 34. 342. Vorwort S. IX. Riesenburg, Nikolaus von, Bischof von Olmiitz s. Nikolaus von R. Rogau bei Schweidnitz 21. 245. Rolandinus, Schüler des Buoncom- pagni 216. Romanianus 59 ff. 74. Rofarzneibuch 156.158. Nachträge 145. Ruckstuhl, Karl: “Von der Ausbil- dumg der Teutschen Sprache’ 231 u. Anm. Rudolf von Ems 130. Rudolf IV., Herzog von Österreich 16. Rudolf Wintuawer, Übersetzer der lat. Hedwigslegende 3321. Rufinus 62. 1012. Ruprecht, Herzog von Liegnitz 318. | 324. 328. Rutilius Lupus 1171. 118. S Sagan 51. Sdkularisierung der Bildung 12f. Salerno, Universitit 13. Sallust 86. Salutati, italienischer Humamist 632, 208. Vorwort S. IX. Salutatio der Briefe hervorgehoben durch Doppelschreibung des an- | lautenden f; Rhythmustypen der Salutatio in der Schlägl-Schnee- ; berger Briefsammlumg 284— 287. | Sandhi 254—257. 280. 281. Vor- wort S. XIV. Sanok, Gregor von, polnischer Hu- manist 19. . Schmograu, Register zur Einleitung. Satxarchitektonik, freie 100. Satxbildung, künstliche 308. Satxdubletten 259. Satxfolge: Nachahmung der lateini- schen 200. Satamelodie 259. Satxphonetik 264. 269. 279. 287; Wortkürxungen 292f.; satxpho- netische Schreibungen im Ahd. 255f. 258. Satzrhythmen s. Rhythmus. Sbinco de Hasenburg s. Hasenburg. Scherer, Wilhelm: seine Sprach- auffassung gestützt auf geologische Analogie 232, Schlesien: politische Abhängigkeit von Polen 5; Verhältnis zu Böh- men 5; Schlesier in Prag 14f. 45. 46—51; Schlesier Notare in der Reichskamzlei 27. 290; Be- xiehungen schlesischer Augustiner- stifter zu Böhmen 331; Schulen 10f.; Bürgerrecht 12; Handels- vertrüge mit preuß. Städten 40; Tuchweberei 40; schlesische Volks- sprache 307, nicht einheitlich 237; Mundarten 52.182. 234 ff. 239 j]. : schlesisch - bóhmische — Dichter- sprache 235; vgl. Diphthongic- rung, Entrundung. | Schmeller, Joh. Andr., Freund Ruck- stuhls 231 Anm. Grabstätte der alten schlesischen Bischöfe 339. | Scholastische Formkünstelei 208. | Scholiastemexegese 1121. |, Schónheit der Redefiguren 126. Schwanken der Schreibung 249. 250. 261, der lateinischen Texte Vor- wort S. XVI. Schweidnitz 21; Lautform des Orts- namens 250f. 306; Mundart 243f. 246; Kanzleisprachliche Lautveredlung 307 ; Schweidnitzer Bier 32 ff. 40f. 135. 313 f. 319 f. 325. 326. Nachtrüge 144. Scipio Aemilianus 95. Seipio Africanus 77.
360 Rhythmus: besonderer in der Salu- latio der Briefe von P 8 264— 287 (vgl. Cursus, Geheimtradi- tion), Satxrhythmen im ‘ Acker- mann’ 300. Richtungsadverbien 177. Rienxo, Cola di 7. 27. 55. 77. 110. 116 (Wortspiel mit Simplex und Kompositum). 208; die Hand- schrift seiner Briefsammlung 34. 342. Vorwort S. IX. Riesenburg, Nikolaus von, Bischof von Olmiitz s. Nikolaus von R. Rogau bei Schweidnitz 21. 245. Rolandinus, Schüler des Buoncom- pagni 216. Romanianus 59 ff. 74. Rofarzneibuch 156.158. Nachträge 145. Ruckstuhl, Karl: “Von der Ausbil- dumg der Teutschen Sprache’ 231 u. Anm. Rudolf von Ems 130. Rudolf IV., Herzog von Österreich 16. Rudolf Wintuawer, Übersetzer der lat. Hedwigslegende 3321. Rufinus 62. 1012. Ruprecht, Herzog von Liegnitz 318. | 324. 328. Rutilius Lupus 1171. 118. S Sagan 51. Sdkularisierung der Bildung 12f. Salerno, Universitit 13. Sallust 86. Salutati, italienischer Humamist 632, 208. Vorwort S. IX. Salutatio der Briefe hervorgehoben durch Doppelschreibung des an- | lautenden f; Rhythmustypen der Salutatio in der Schlägl-Schnee- ; berger Briefsammlumg 284— 287. | Sandhi 254—257. 280. 281. Vor- wort S. XIV. Sanok, Gregor von, polnischer Hu- manist 19. . Schmograu, Register zur Einleitung. Satxarchitektonik, freie 100. Satxbildung, künstliche 308. Satxdubletten 259. Satxfolge: Nachahmung der lateini- schen 200. Satamelodie 259. Satxphonetik 264. 269. 279. 287; Wortkürxungen 292f.; satxpho- netische Schreibungen im Ahd. 255f. 258. Satzrhythmen s. Rhythmus. Sbinco de Hasenburg s. Hasenburg. Scherer, Wilhelm: seine Sprach- auffassung gestützt auf geologische Analogie 232, Schlesien: politische Abhängigkeit von Polen 5; Verhältnis zu Böh- men 5; Schlesier in Prag 14f. 45. 46—51; Schlesier Notare in der Reichskamzlei 27. 290; Be- xiehungen schlesischer Augustiner- stifter zu Böhmen 331; Schulen 10f.; Bürgerrecht 12; Handels- vertrüge mit preuß. Städten 40; Tuchweberei 40; schlesische Volks- sprache 307, nicht einheitlich 237; Mundarten 52.182. 234 ff. 239 j]. : schlesisch - bóhmische — Dichter- sprache 235; vgl. Diphthongic- rung, Entrundung. | Schmeller, Joh. Andr., Freund Ruck- stuhls 231 Anm. Grabstätte der alten schlesischen Bischöfe 339. | Scholastische Formkünstelei 208. | Scholiastemexegese 1121. |, Schónheit der Redefiguren 126. Schwanken der Schreibung 249. 250. 261, der lateinischen Texte Vor- wort S. XVI. Schweidnitz 21; Lautform des Orts- namens 250f. 306; Mundart 243f. 246; Kanzleisprachliche Lautveredlung 307 ; Schweidnitzer Bier 32 ff. 40f. 135. 313 f. 319 f. 325. 326. Nachtrüge 144. Scipio Aemilianus 95. Seipio Africanus 77.
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Register zur Einleitung. Segenformeln 152. 157. selligis gedechtniB 269. Seneca 66. sermocinatio 1139. Sexession: der deutschen Professoren und Scholaren aus Prag 47. Sickel, Theodor 10 und Anm. 2581. Side, Seeschlacht bei 76. Siegmund, König von Ungarn 132 ff. 161. Sievers, Eduard 259. Silbengrenze, Verschiebung der 188f. Silbenzahl, ihre Gleichheit 121. Silvio, Enea 129. similiter cadens und desinens 119 ff. Sokrates 89. Soloezismus 92. sonnebunde 287 u. Anm. Sonnenberg, Heinrich von, ermlànd. Domprobst 14. Sophie, Gräfin von Weichselburg, Gemahlin Heinrichs von Andechs 335. sophistisch-asianische Technik 116. Spiegel, Otto, Kanzler der Herzöge Ernst und Albrecht von Sachsen 1971. Sprache: Naturseite der Sprache 230; Gestaltung der Sprache 232. 234. Sprachbewuftsein, das: 233, wort- isolierendes 256 f. Sprachgeschichte, Wissenschaft der : ihre Entstehung 233. Spurius Mummius 95. Staberius Eros 933. Stadtbücher 302. Stakkatosätxe 214. Steinhôvel, Heinrich 197. Stil: kindischer (puerilis elocutio) 126; anmutige und symmetrische Stilgebilde 126. Stoische Philosophie 78. Stolz bei Frankenstein 39. Stór, Nicolaus in Schweidnitz 461. 49. | Storch, Nicolaus in Prag 45. 361 | Storch, Peter, Rektor der Universität Leipzig 50. Stoß, Veit 19. Strabon 81. Strehlen 155. subdiscrecio 55. subdistinccio 55. subjectio 1139. 125. Sueton 93?. Sulla 58. 933. Summa cancellarie s. Johann v. Neu- markt. Swantopolk, Herzog von Pommern 332. Symbolik, scherxhafte mit Orts- und Personennamen 45. Symmetrischer | Parallelismus der Satzglieder 83 f. Synkope 281. 291f. 305. Synonyme, ihre Paarung 110. 202. 203f.; humanistische Synony- mensammlungen 129 ; synonymi- sche Häufung 128. 2083. 308. Nachträge 144. T Tacitus 86. 101. Tagaste 59f. -tage wechselnd mit -tag im zweiten Kompositionsteil aus rhythmi- schen Gründen 288 ff. tardus: cursus 102 ff. 207 ff. Tarnau 38. Tatian 63. Terenz 95. teufer 267 f. th 270; Respektszeichen 273. . Theophrast. 96. Thomasin von Zirclaria 1061, 331. Thrasymachus 1001. Thukydides 1181. Timaios 79°. 83. 99. Tirpitx in Schlesien 39. Tonentziehung: ihr Einfluß auf die Schreibung 1962. TÓTOL (loci communes) 122. Totting, Heinrich, von Oyta 16.
Register zur Einleitung. Segenformeln 152. 157. selligis gedechtniB 269. Seneca 66. sermocinatio 1139. Sexession: der deutschen Professoren und Scholaren aus Prag 47. Sickel, Theodor 10 und Anm. 2581. Side, Seeschlacht bei 76. Siegmund, König von Ungarn 132 ff. 161. Sievers, Eduard 259. Silbengrenze, Verschiebung der 188f. Silbenzahl, ihre Gleichheit 121. Silvio, Enea 129. similiter cadens und desinens 119 ff. Sokrates 89. Soloezismus 92. sonnebunde 287 u. Anm. Sonnenberg, Heinrich von, ermlànd. Domprobst 14. Sophie, Gräfin von Weichselburg, Gemahlin Heinrichs von Andechs 335. sophistisch-asianische Technik 116. Spiegel, Otto, Kanzler der Herzöge Ernst und Albrecht von Sachsen 1971. Sprache: Naturseite der Sprache 230; Gestaltung der Sprache 232. 234. Sprachbewuftsein, das: 233, wort- isolierendes 256 f. Sprachgeschichte, Wissenschaft der : ihre Entstehung 233. Spurius Mummius 95. Staberius Eros 933. Stadtbücher 302. Stakkatosätxe 214. Steinhôvel, Heinrich 197. Stil: kindischer (puerilis elocutio) 126; anmutige und symmetrische Stilgebilde 126. Stoische Philosophie 78. Stolz bei Frankenstein 39. Stór, Nicolaus in Schweidnitz 461. 49. | Storch, Nicolaus in Prag 45. 361 | Storch, Peter, Rektor der Universität Leipzig 50. Stoß, Veit 19. Strabon 81. Strehlen 155. subdiscrecio 55. subdistinccio 55. subjectio 1139. 125. Sueton 93?. Sulla 58. 933. Summa cancellarie s. Johann v. Neu- markt. Swantopolk, Herzog von Pommern 332. Symbolik, scherxhafte mit Orts- und Personennamen 45. Symmetrischer | Parallelismus der Satzglieder 83 f. Synkope 281. 291f. 305. Synonyme, ihre Paarung 110. 202. 203f.; humanistische Synony- mensammlungen 129 ; synonymi- sche Häufung 128. 2083. 308. Nachträge 144. T Tacitus 86. 101. Tagaste 59f. -tage wechselnd mit -tag im zweiten Kompositionsteil aus rhythmi- schen Gründen 288 ff. tardus: cursus 102 ff. 207 ff. Tarnau 38. Tatian 63. Terenz 95. teufer 267 f. th 270; Respektszeichen 273. . Theophrast. 96. Thomasin von Zirclaria 1061, 331. Thrasymachus 1001. Thukydides 1181. Timaios 79°. 83. 99. Tirpitx in Schlesien 39. Tonentziehung: ihr Einfluß auf die Schreibung 1962. TÓTOL (loci communes) 122. Totting, Heinrich, von Oyta 16.
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362 Toulouse, Poetenkollegium 127 ; über- aus heitere Gesellschaft von T. (la sobre gaya companhia) 128. traductio 113%. 117. traiectio 104. 1091. transitio 118. Transmundus 661. Trebnitz 44. 155. Trier: Rechtsstreit xwischen dem Erzbischof und der Stadt 342. Tritrochaeus 103. Trivet, Nicolas, Dominikaner : Boe- thius- Kommentar 1121. Troubadourpoesie 127. Truchtelfing 150. 159. Tschammer, Familienwappen 340. Tullius (== Cicero) 127 ff. Vorwort S. XII. XIII. tumor $6. 96. Türlin, Ulrich von dem 235. U u und v: ihr Gebrauch im mittel- alterlicher und frühneuhoch- deutscher Schreibung 2571. Übergangslaut, euphonischer 191. uff, off 269f. 301. Ulrich s. Eschenbach, Lichtenstein, Tůrlin. . Umgangssprache 261. Umklammerung als stilistische Figur 111. Umlagerung der Akzente 173. 180. 287 u. Anm. Umschreibung: einfacher Begriffe 109. 308; durch einen Satx 208; durch | Genetivverbindungen 111. 122. 202; des Ortsnamens 202. Univerbaler — Schematismus | der Schreibung 256. Urban II. 66. Urban VI., Papst 33. 312. 313. 314. 315. 316. 317. Urkraft, mystische, in der Sprache 230f. Urkunden, mittelalterliche: Stil- kritik 10. Register zur Einleitung. V Valla, Lorenxo 68ff. Vorwort S. IX. Variation des Ausdrucks 110. varietas 99. Varrentrapp, Albert von 47. 50. 51*. Varro 60. 78. 84. 91. Veldeke, Heinrich von : Salomogedicht 336 f. velox: cursus 102ff.; 207 ff. Venedig 154. Verbalkomposita, trennbare: ortho- graphische Schwierigkeit. 275. Verbindung synonymischer | Worte s. Synonyme. verbum conversum in participium 1139. Verdunklung der Komposition 180. Vereinfachungen, stilistische 202. Vergil 60f. Verkehrssprache 306. 308. 309. Verschiebung des geschichtlichen Verhältnisses 36. Vico 78. Vigna (Vinea, Vineis) s. Petrus. Vokabular , lateinisch - deutsches schlesisches 238. Vokalassimilation in der Enklise 255. 258; s. auch Assimilation. Vokalwechsel s. Dissimilation. Vorlagen (Originale): ihre sprach- lichen Spuren in den Brief mustern 295. 310. Vornehme Lautform gegenüber der mundartlichen 253. 306. 307f. Vyau, Vincencius, Magister in Leipzig 49. W Wachsende Glieder, s. Gesetz der wachsenden Glieder. Waldenburg 176. Walther s. Kockeritx. Walther von der Vogelweide 105. 1061. 2161. 331. Wasserweihe, ihre Anwendung 152. Wechsel: synonymer Worte 113; Freude am Wechsel der Sprachfor- men 249. 250. 261. 290. 295.306.
362 Toulouse, Poetenkollegium 127 ; über- aus heitere Gesellschaft von T. (la sobre gaya companhia) 128. traductio 113%. 117. traiectio 104. 1091. transitio 118. Transmundus 661. Trebnitz 44. 155. Trier: Rechtsstreit xwischen dem Erzbischof und der Stadt 342. Tritrochaeus 103. Trivet, Nicolas, Dominikaner : Boe- thius- Kommentar 1121. Troubadourpoesie 127. Truchtelfing 150. 159. Tschammer, Familienwappen 340. Tullius (== Cicero) 127 ff. Vorwort S. XII. XIII. tumor $6. 96. Türlin, Ulrich von dem 235. U u und v: ihr Gebrauch im mittel- alterlicher und frühneuhoch- deutscher Schreibung 2571. Übergangslaut, euphonischer 191. uff, off 269f. 301. Ulrich s. Eschenbach, Lichtenstein, Tůrlin. . Umgangssprache 261. Umklammerung als stilistische Figur 111. Umlagerung der Akzente 173. 180. 287 u. Anm. Umschreibung: einfacher Begriffe 109. 308; durch einen Satx 208; durch | Genetivverbindungen 111. 122. 202; des Ortsnamens 202. Univerbaler — Schematismus | der Schreibung 256. Urban II. 66. Urban VI., Papst 33. 312. 313. 314. 315. 316. 317. Urkraft, mystische, in der Sprache 230f. Urkunden, mittelalterliche: Stil- kritik 10. Register zur Einleitung. V Valla, Lorenxo 68ff. Vorwort S. IX. Variation des Ausdrucks 110. varietas 99. Varrentrapp, Albert von 47. 50. 51*. Varro 60. 78. 84. 91. Veldeke, Heinrich von : Salomogedicht 336 f. velox: cursus 102ff.; 207 ff. Venedig 154. Verbalkomposita, trennbare: ortho- graphische Schwierigkeit. 275. Verbindung synonymischer | Worte s. Synonyme. verbum conversum in participium 1139. Verdunklung der Komposition 180. Vereinfachungen, stilistische 202. Vergil 60f. Verkehrssprache 306. 308. 309. Verschiebung des geschichtlichen Verhältnisses 36. Vico 78. Vigna (Vinea, Vineis) s. Petrus. Vokabular , lateinisch - deutsches schlesisches 238. Vokalassimilation in der Enklise 255. 258; s. auch Assimilation. Vokalwechsel s. Dissimilation. Vorlagen (Originale): ihre sprach- lichen Spuren in den Brief mustern 295. 310. Vornehme Lautform gegenüber der mundartlichen 253. 306. 307f. Vyau, Vincencius, Magister in Leipzig 49. W Wachsende Glieder, s. Gesetz der wachsenden Glieder. Waldenburg 176. Walther s. Kockeritx. Walther von der Vogelweide 105. 1061. 2161. 331. Wasserweihe, ihre Anwendung 152. Wechsel: synonymer Worte 113; Freude am Wechsel der Sprachfor- men 249. 250. 261. 290. 295.306.
Strana 363
Register zur Einleitung. Wechselschrei en: ihr satz- phonetischer oder satzmelodischer Schlüssel 250f. 253. 259f. 264. 266. 288ff. 294. 296. Wels 159. Welscher Gast s. Thomasin v. Zir- claria. Weltuniversitüten 13. Wenxel II., Kónig von Bóhmen 341. Wenzel IV., deutscher Kónig 5. 131. 34. 132ff. 145. 298. 301. 312. 313. 315. 3I7f. 318f. 322. 342— 345. Wenzel, Herzog von Liegnitz, Bi- schof von Lebus, spóter Bischof von Breslau 30. 32ff. 404. 154. 312. 314 — 317. 344. 345. Wenzel Kralik, Propst von Wysse- hrad 36, Bischof von Olmütx 154. Whitney 232. Wiederholung desselben Worts 113f. Wien, Universität 16. 132. 160. Wiener “Oswald” (Spielmanns- gedicht) 331. Wilamowitx, Ulrich von 75%. 762. 771. 784 831. 841. 861. 91. 962. 992. 1001. 1091. Williram, Paraphrase des Hohen- liedes 336. Wirnt von Gravenberg 329. Wladislaw Odoniez, Herzog von Kalisch 332. Wiadyslaw IL, Stammvater schlesischen Piasten. 3151. Wohlau 51. Wolfger von Ellenbrechtskirchen, Bi- schof von Passau 216. 331. Wolfram von Eschenbach, Parzval 9. Buch 337; Wolframs Schule 235f. 262. 301. 340f. der 363 Wolfram, Erzbischof von Prag 36. Wolin 44. 155. Wortcharakter ist von Einfluß auf die Lautgestaltung 252. Worteinheit: Grundsałz der 254; wortisolierende Tendenz der nhd. Schriftsprache 275, der kaiser- lichen Kanzleisprache 290; gram- matische Wortschrift 277; un- vollkommene Worttrennumg im den Handschriften 255f. Wortfolge, Nachahmung der latei- nischen 200. Wortspiel: besondere Form des W.s 115; grammatische Abart des rhe- torischen W.s 116; W. mit refrain- artiger Wiederholung 109°. Wortstellung tm Hauptsatz 200. Wrede, Ferdinand 234?. 241. 247. 258. Wiirde der Redefiguren 106. 126. Wyle, Niclas von 197. Vorwort S. IX. Wyssehrad (Wyssegrad, W ischer- grad) 36. 133. 154. 160. Wyttilo (Witelo), Magister aus Liegnitz 14. X Xenokles aus Adramyttion 87. Y y im Wechsel mit 1 295. Zarncke, Friedrich. 297. Zittau 43. Zobten 52. 243. 245. 246. Zusammenriickungen 274. 279. Zweter s. Reinmar. Zwierzina, Konrad 258. 260!.
Register zur Einleitung. Wechselschrei en: ihr satz- phonetischer oder satzmelodischer Schlüssel 250f. 253. 259f. 264. 266. 288ff. 294. 296. Wels 159. Welscher Gast s. Thomasin v. Zir- claria. Weltuniversitüten 13. Wenxel II., Kónig von Bóhmen 341. Wenzel IV., deutscher Kónig 5. 131. 34. 132ff. 145. 298. 301. 312. 313. 315. 3I7f. 318f. 322. 342— 345. Wenzel, Herzog von Liegnitz, Bi- schof von Lebus, spóter Bischof von Breslau 30. 32ff. 404. 154. 312. 314 — 317. 344. 345. Wenzel Kralik, Propst von Wysse- hrad 36, Bischof von Olmütx 154. Whitney 232. Wiederholung desselben Worts 113f. Wien, Universität 16. 132. 160. Wiener “Oswald” (Spielmanns- gedicht) 331. Wilamowitx, Ulrich von 75%. 762. 771. 784 831. 841. 861. 91. 962. 992. 1001. 1091. Williram, Paraphrase des Hohen- liedes 336. Wirnt von Gravenberg 329. Wladislaw Odoniez, Herzog von Kalisch 332. Wiadyslaw IL, Stammvater schlesischen Piasten. 3151. Wohlau 51. Wolfger von Ellenbrechtskirchen, Bi- schof von Passau 216. 331. Wolfram von Eschenbach, Parzval 9. Buch 337; Wolframs Schule 235f. 262. 301. 340f. der 363 Wolfram, Erzbischof von Prag 36. Wolin 44. 155. Wortcharakter ist von Einfluß auf die Lautgestaltung 252. Worteinheit: Grundsałz der 254; wortisolierende Tendenz der nhd. Schriftsprache 275, der kaiser- lichen Kanzleisprache 290; gram- matische Wortschrift 277; un- vollkommene Worttrennumg im den Handschriften 255f. Wortfolge, Nachahmung der latei- nischen 200. Wortspiel: besondere Form des W.s 115; grammatische Abart des rhe- torischen W.s 116; W. mit refrain- artiger Wiederholung 109°. Wortstellung tm Hauptsatz 200. Wrede, Ferdinand 234?. 241. 247. 258. Wiirde der Redefiguren 106. 126. Wyle, Niclas von 197. Vorwort S. IX. Wyssehrad (Wyssegrad, W ischer- grad) 36. 133. 154. 160. Wyttilo (Witelo), Magister aus Liegnitz 14. X Xenokles aus Adramyttion 87. Y y im Wechsel mit 1 295. Zarncke, Friedrich. 297. Zittau 43. Zobten 52. 243. 245. 246. Zusammenriickungen 274. 279. Zweter s. Reinmar. Zwierzina, Konrad 258. 260!.
- Ia: Titel
- I: Vorwort
- XVII: Inhalt
- 1: Einleitung
- 131: Briefsteller
- 149: zur Überlieferung
- 165: zur Sprache
- 230: zusammenfass. Charakteristik
- 311: Exkurze z.Bresl. Bistumsstreit
- 347: Register zur Einleitung