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E. WERNER Nachrichten über spätmittelalterliche Ketzer aus tschechoslovakischen Archiven und Bibliotheken

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Beilage zur Wissenschaftlichen Zeitschrift der Karl-Marx-Universität Leipzig Gesellschafts� und Sprachwissenschaftliche Reihe 12. Jahrgang (1963), Heft 1 Herausgeber: Der Rektor der Karl-Marx-Universität Leipzig Prof. Dr. Dr. h. c. Dr. h. c. Georg Mayer Redaktion: Leipzig C 1, Beethovenstr. 6 Chefredakteur: Dipl.-Germanist Elmar Faber Veröffentlichung im Eigenverlag der Karl-Marx-Universität Leipzig unter Lizenz-Nr. 1478 des Presseamtes beim Vorsitzenden des Ministerrates der Deutschen Demokratischen Republik Satz und Druck: IV/2/14 - VEB Werkdruck Gräfenhainichen . 1824

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E. WERNER Nachrichten über spätmittelalterliche Ketzer aus tschechoslovakischen Archiven und Bibliotheken

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I. WALDENSIA AUS OLMUTZ I. Uberlieferungsfragen Im Staatsarchiv Olmütz (Státní archiv v Olomouci) befindet sich im Codex 69 auf den fol. 338�340 die Abschrift eines Registers waldensischer Meister aus dem Jahre 1391, Aufzählungen waldensischer Glaubensartikel, lateinischer Frage- und deutscher Abschwörungsformeln. Es handelt sich um ein bereits 1872 von G. E. Frieß 1 und 1890 von I. v. Döllinger ? ediertes Stück. Die diesen Editionen zugrunde liegenden Hss. stammen aus der Stifts- bibliothek Seitenstetten (S Cod. chart. saec. XV, Nr. 188 und 252) und der Universitäts- bibliothek Würzburg (W Cod. Wirceb. misc. chart.). Beide Versionen, von denen S den vollständigen Text überliefert, während W Kürzungen und Auslassungen aufweist, beinhalten eine Aufzählung waldensischer rectores, die Schilderung der Weihe von Predigerkandidaten sowie ein Register waldensischer Lehren und Praktiken. H. Haupt machte 1889 auf zwei weitere Abschriften aufmerksam, und zwar in der Pfarrbibliothek Michelstedt im Odenwald (M) und der Prager Universitätsbibliothek XIII. E. 7 (P)3. Beide gehören eng zusammen, wie schon aus der deutschen Abschwö- rungsformel: „Ich schwere ein eyt...myn herren von Prag“ hervorgeht. Leider war es mir nicht möglich, M einzusehen. Was P betrifft, die 1929 zum Teil von R. Holinka herausgegeben wurde 4, so beginnt sie sofort mit Ordinationsbestimmungen für Pre- diger, nämlich: „Nota quomodo ordinantur heresiarche secte Waldensium, primo pro- mittunt certa vota...“ 5. M und P besitzen abschließend die Frageformulare, die sich in der Maxima Bibliotheca Vet. Pat. T. 25, S. 308�310 finden. P diente den sogenannten „Articuli de Pikardis“ aus der Mitte des 15. Jh. als Vor- lage. Der Artikel-Schreiber begann mit den waldensischen Weihezeremonien: „Item Seniores sibi manus imponunt super caput et per hoc videtur sibi dare spiritus sanctus 1 G. E. Frieß: Patarener, Begharden und Waldenser in Österreich während des Mittelalters. „Österr. Vierteljahrsschr. f. kath. Theologie“ 11, 1872, S. 257-261, Nr. VI. I. v. Döllinger: Beiträge zur Sektengeschichte des Mittelalters, T. II, München 1890, S. 367 bis 369, Nr. 33. H. Haupt: Waldensia. „Ztschr. f. Kirchengeschichte“ 10, 1889, S. 328 f. (Anhang). R. Holinka: Sektářství v Čechách před revolucí husitskou, in „Sborník Fil. Fak. Univ. Ko- menského v Bratislavě“ VI, 52, 1929, S. 176-179. Er druckte nur die „Articuli“ ohne Or- dinations und Frageformeln ab. Sie sind von H. Haupt: Waldensia, a. a. O., S. 329, ediert worden. 4 5 15* 215

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et auctoritatem audiendi confessiones; post ea surgens a terra, videt magistros stare " secundum ordinem, tunc accedit quilibet eorum singulariter ad amplectendum eum...“ Es folgen dann in oft stark verstümmelter, mit tschechischen Zusätzen erweiterter Form die einzelnen waldensischen Irrtümer in bunter Reihenfolge, ohne Rücksicht auf die Anordnung der Vorlage.6 Demgegenüber beginnen S und W mit der Datumszeile: „Anno domini millesimo trecentesimo nonagesimo primo, die mensis Septembris“ und nennen daraufhin na- mentlich die rectores. Frage� und Abschwörungsformeln kennt nur S, nicht aber W. Sie entsprechen nicht denen der Maxima Bibliotheca. Eine lokale Uberarbeitung oder Ergänzung ist nicht feststellbar. Sie gehören ohne Zweifel dem deutsch-österreichischen Sprachraum an. M und P zeigen gegenüber ihren Vorlagen eine gewisse Selbständigkeit, wie wir noch zeigen werden. Der Hinweis auf Prag in der Abschwörungsformel bezeugt die böhmische Provenienz. Man kann dem Urteil R. Holinkas zustimmen, der schreibt: „Es handelt sich um eine heimische Redaktion der ursprünglichen Errores“ 7. Der unbekannte Schreiber dürfte den beiden Inquisitoren Petrus Zwicker aus Worm- ditten in Preußen und dem Altarpriester Martin von der Altstädter Marienkirche in Prag nahegestanden haben. Wurden doch beide zur Ketzerbekämpfung aus Böhmen nach Deutschland und Österreich berufen.8 1391 sind sie in Erfurt nachweisbar, wo sie über Waldenser zu Gericht saßen. Kurz zuvor hatten bereits zwei zum Katholizismus übergetretene Ketzerprediger, Konrad von Erfurt und Hans aus Steiermark, vergeblich versucht, ihre ehemaligen Glaubensgenossen zur Orthodoxie zu bekehren." 1392 erschien Martin abermals in Erfurt, belegte eine Anzahl Waldenser mit schweren Strafen und verurteilte einige zum Scheiterhaufen.10 Petrus Zwicker spürte in den Jahren 1393/94 in Pommern und der Mark Branden- burg Waldenser auf, ausgestattet mit Vollmachten des Erzbischofs von Prag sowie der Bischöfe von Lebus und Kammin. In den von W. Wattenbach entdeckten Prozeßakten tauchen drei Namen auf, denen wir bereits im Protokoll von 1391 begegneten : Nikolaus von Polen, Konrad von Sachsen und Konrad von Schwäbisch-Gmünd.11 7 8 10 11 6 UB Prag XI. D. 8., ed. K. Höfler: Geschichtsschreiber der husitischen Bewegung in Böhmen, T. 1, Wien 1856, S. 503—505. R. Holinka: Sektářství, a. a. O., S. 130. Vgl. H. Haupt: Waldensertum und Inquisition im südwestlichen Deutschland bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts, in „Deutsche Zschr. f. Geschichte“ 3, 1890, S. 345. „Conradus de Erfordia... post conversionem suam revenit Erfordiam et coram haereticis eiusdem sectae reclamavit errorem suum... et nullus voluit converti... Hans von der Steyr- march ... similiter reclamavit et revocavit errorem suum... Döllinger II, S. 330. H. Haupt: Waldensertum, a. a. O., S. 354 f.; P. Flade: Römische Inquisition in Mitteldeutsch- land, insbesondere in den sächsischen Ländern, in „Beitr. zur sächs. Kirchengeschichte“ 11, 1896, S. 78. W. Wattenbach: Uber Ketzergerichte in Pommern und der Mark Brandenburg, in „SB der Königl. Preuß. Akad. der Wiss.“ I, 1886, S. 47�58; J. Martinů: Die Waldesier und die hussitische Reformation in Böhmen, Wien-Leipzig 1910, S. 25, 107. Die vom Verf. daraus gezogenen Schlußfolgerungen für Böhmen sind wertlos, da sie auf keiner kritischen Quellen- 216

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1395 begab sich Petrus nach Österreich, wo er in Steyr sein Tribunal aufschlug und bis 1397 gegen die Waldenser wütete.12 Die bereits erwähnten Seitenstetter Hss. Nr. 188 und 252 besitzen aus dieser Zeit deutsche Abschwörungs- und lateinische Frageformeln, die folgendermaßen überschrieben sind: Forma juramenti dicenda veritate in officio Inquisitionis haereticae pravitates. Processus domini Petri de ordini coelestinorum inquisitoris haereticorum.13 Sie weichen sowohl formal als auch inhaltlich zum Teil erheblich von P ab, d. h. sie bildeten für den Prager Schreiber keine Vorlage. Dagegen hielt er sich eng an die in der Maxima Bibliotheca aus einer Tegernseer Hs. stammenden Formeln, die vom Herausgeber, Gretser, mit Peter von Pilichdorf in Verbindung ge- bracht wurden. Peter war Pfarrer in Pilichdorf und Kanoniker am St. Stephan in Wien. 1397 erhielt er eine Professur für Theologie. Unter dem Eindruck der Prozesse gegen die österreichischen Waldenser hatte er bereits 1395 einen „Tractatus contra errores Waldensium“ (MB. 25, S. 277-299) geschrieben, in dem er langatmig und umständlich ihre Hauptlehren widerlegte. R. Holinka machte darauf aufmerksam, daß diese Schrift in böhmischen Bibliotheken einheimischer Provenienz fünfmal nachweisbar ist.14 V. Chaloupecký führte als weiteres Beispiel für ihre Verbreitung den Pfarrer Martin von Plan an, der Ende 1427, Anfang 1428 daraus einen Auszug unter dem Titel „Arti- culi Waldensium“ angefertigt haben soll.15 Dem ist aber nicht so. Wahrscheinlich hat Chaloupecký die sich in der gleichen Hs. XIII. E. 5., fol. 152v -182' befindliche Kopie des Wiener Traktates mit den auf den fol. 182v — 183" stehenden „Articuli Waldensium“ verwechselt. Peter von Pilichdorf ging in seinem Opus von der Ordinationsfrage aus, um den Waldensern jede Sukzessionsgrundlage entziehen zu können. Dann erst handelte er fol- gende „Errores“ ab: 1. die freie Predigt 2. die Verwerfung der katholischen Geistlichkeit 3. die Ablehnung der Marien- und Heiligenverehrung 4. den Anspruch Gottes auf alleinige adoratio 5. die Verwerfung des Fegefeuers 6. den Unglauben an die Heiligung der Friedhöfe die Kirchenweihe die Konsekration der Altäre, die Ablehnung priesterlicher Ge- wänder, des geweihten Salzes, Wassers, geweihter Kerzen usw. 7. sichtung beruhen. Vgl. die Rezension von V. Novotný im „Český Čas. Hist.“ 17, 1911, S. 364 bis 366. Vgl. G. E. Frieß, a. a. O., S. 242 f. 13 Gedruckt bei Frieß, a. a. O., Nr. VIII und IX, S. 266—268. 14 R. Holinka: Sektářství, a. a. O., S. 125, A. 405. 15 V. Chaloupecký: K dějinám valdenských v Čechách před hnutím husitským. „Český Čas. Hist.“ 31, 1925, S. 381, A. 2, mit Verweis auf Hs. XIII. E. 5., fol. 182V — 183 der Prager UB. 12 217

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8. die Verwerfung der dedicatio ecclesiarum 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. » Demgegenüber stellt der Verf. der „Articuli“ aus Eger (siehe Beilage II) folgende Punkte zusammen: 1 00 397 Boh 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 30 31 » des Kirchengesanges der kirchlichen Gebete der Indulgenzien der Jubeljahre der Exkommunikation der Heiligenbilder der Exorzizien der Universitütsstudien des Schwórens . Nur die Waldenser sind die Kirche Christi . Sie allein sind Nachfolger der Apostel . Die römische Kirche ist die babylonische Hure der Apokalypse . Alle Nachfolger Papst Sylvesters sind verdammt . Es gibt keine Wunder . Die nach dem Tode Christi erlassenen leges brauchen nicht befolgt zu werden . Heiligenfeste, kirchliche Offizien u. Fasten sind nicht zu halten . Sie wurden von den Priestern aus Habsucht erdacht . Erst beim Eintritt in ihre Sekte hat die Taufe Sinn und Wirkung . Die Kindertaufe ist wertlos . Das gleich gilt für die Firmung . Bischöfe, Mönche u. Kleriker sind Pharisäer . Brot und Wein sind nicht realiter, sondern nur formaliter Fleisch und Blut des Herrn . Nur gute Priester dürfen die Eucharistie spenden . Von ihnen dürfen die hl. Substanzen auf jeden Tisch den Glüubigen gereicht werden . Sündhafte Priester kónnen weder binden noch lósen . Der gute Laie besitzt die Binde- und Lósegewalt . Die letzte Ólung ist sinnlos . Benediktionen und Ordinationen haben keinen sakramentalen Charakter . Die kirchlich geschlossene Ehe ist legalisierte Hurerei . Die Befriedigung fleischlicher Begierden ist erlaubt . Das Schwóren ist nicht gestattet . Nur in Todesgefahr darf man schwóren . Verrat der Sekte ist ein unsühnbares Vergehen . Verbrecher dürfen nicht hingerichtet werden . Das Tóten von Tieren ist verboten . Es existiert kein Fegefeuer . Totenmessen nützen nur den Geistlichen 29. Heiligenfürbitten vermógen niemanden zu helfen, weil die Heiligen im Himmel nichts hóren . Der Geist im Himmel nützt den Menschen nichts . Heiligenfeste und -verehrungen sind lücherlich 218 

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32. An kirchlichen Festtagen darf man heimlich arbeiten 33. Gott freut sich nicht am Trübsal seiner Diener 34. Der Fleischgenuß zur Fastenzeit ist erlaubt 35. Fasten dient ihnen nur zur Vortäuschung von Frömmigkeit 36. Dem AT. ist nicht zu glauben 37. Die Vollkommenen unter ihnen sind arme Wanderprediger, die das N. T. in der Volks- sprache auslegen und Beichte hören 38. Die Imperfecti ernähren die Meister, unterscheiden sich aber äußerlich nicht von den Rechtgläubigen, da sie sich an ihren Religionsübungen beteiligen. Es bedarf keiner gesonderten Begründung, daß diese 39 Artikel kein Exzerpt aus Peters Traktat sind. Sie lehnen sich vielmehr eng an die Anti-Waldenserschrift des Pseudo-David von Augsburg an, aus der die bei Döllinger veröffentlichte Würzburger Hs. die Kapitel 9—25 teilweise verstümmelt bietet.16 Auf die gleiche Tradition stützte sich der Dominikaner Peter von Kladov, der in den sechziger Jahren des 15. Jh. einen Traktat „De signis haereticorum“ schrieb, in dem er die Egerer Artikel in 36 Punkten und stark gekürzt wiedergibt. Sie tragen folgende Uberschrift: „Sequitur error Hussitarum sive Runcariorum, qui et in regno Boemie et Moraviae (et est pars cum Pauperibus de Lugduno, de quibus Reinherus).“ 17 A. Neumann stellte dieses Exzerpt den Egerer Artikeln gegenüber und kam zu dem Ergebnis, daß Peter von Kladov nicht diese zur Hand hatte, sondern vielmehr die Würz- burger Version. Peter war 1464 in Brünn Lektor, siedelte 1466 als solcher nach Olmütz über und kehrte 1472 nach Brünn zurück.17a Konkrete Hinweise auf mährische Waldenser fehlen. Der Anlaß zur Abfassung war also nicht wie in Westböhmen ein Verhör, sondern wohl mehr ein allgemeines Interesse an häretischen Strömungen, das durch den Sieg des Husitismus genährt wurde. Der Verfasser von P hat den Pilichdorfschen Traktat nicht benutzt. Dagegen schrieb er, genau so wie alle anderen Kopisten, den „Index errorum quibus Waldenses infecti sunt“ (MB. 25, S. 307�308) aus. Holinka bezog diesen Index auch auf Peter von Pilichdorf. Seine Verfasserschaft steht jedoch nicht fest. Die 37 numerierten errores machen eher den Eindruck, als habe sie ein Inquisitor zusammengestellt, um sich die Verhöre zu erleichtern. Es liegt nahe, an Peter Zwicker oder Martin von Prag zu denken.17b Demnach bestände die Möglichkeit, daß P nach 1391 geschrieben wurde. 16 Vgl. W. Preger: Der Traktat des David von Augsburg über die Waldesier. „Abh. der 3. Classe der königl. bayr. Akad. der Wiss.“, Bd. 14, 2. 1878; Döllinger II, S. 328�330. 17 Ediert bei A. Neumann: České sekty ve století XIV. a XV. Staré Brno 1920, S. 38, 39 (Bei- lagen). 17а A. Neumann a. a. O., S. 4. 17b A. Armand-Hugon und G. Gonnet führen den Index in ihrer „Bibliografia Valdese“, Torre Pellice 1953, Nr. 719, S. 66, gleichfalls an und weisen ihn Martin von Prag zu. 219

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Die Articuli Waldensium, ein weiterer Bestandteil von P, stammen gleichfalls aus der Feder Martins und können zwischen 1394 und 1404 datiert werden.17e I. von Döllinger hat von ihnen eine weitere Hs. bayrischer Herkunft ausfindig gemacht, welche die Uberschrift trägt: „Errores haereticorum Waldensium“. In der Einleitung wird aut Peter Zwicker Bezug genommen und sein Erfolg gepriesen, daß er innerhalb eines Jahres nicht weniger als 600 Ketzer zum wahren Glauben zurückgeführt habe. Darauf folgen zehn waldensische Lehrsätze, die teilweise widerlegt werden. Dann schließen sich erst unsere Articuli in etwas anderer Reihenfolge an.18 In der gleichen Hs. sind weiterhin Teile der Frageformeln, wie sie P, O und MB aufweisen, überliefert. Ihnen geht die Widerlegung einiger waldensischer Ketzereien voraus, worauf ohne Ubergang die Anweisung „Interroga quasi affirmative ex suppo- sitione sic :“ folgt. In dem deutschen Abschwörungsmuster fehlt Mainz.19 Döllinger weist auch dieses Stück Peter zu. Ich möchte demgegenüber annehmen, daß sowohl die Articuli als auch die Anweisungen für das Verhör von Martin zusammengefügt wurden. Er benötigte einmal für seinen Erfurter Prozeß eine handliche Zusammenstellung alles Wissenswerten, und zum anderen konnte er aus den Aufzeichnungen seines geübten Kollegen ohne Schwierigkeiten das notwendige Material verwenden. Bis zum Jahre 1400 befand er sich ununterbrochen an der Seite Peters und hatte ausgezeichnet Gelegenheit, sich in Theorie und Praxis der Inquisition zu vervollkommnen. Ubrigens war er 1391 selbst als Inquisitor nach Steyr berufen worden, ohne daß uns allerdings über seine Tätigkeit hier etwas überliefert ist. Jedenfalls begleitete ihn bereits damals Peter.20 So wäre P frühestens 1394 geschrieben. Paläographisch gibt es keine Anhaltspunkte für eine genauere chronologische Fixie- rung, da das Schriftbild keine Eigenheiten besitzt, sondern den seit Karl IV. üblichen Duktus benutzt, der sich bis um die Mitte des 15. Jh. nicht nur in Böhmen und Mähren, sondern auch in Sachsen und Thüringen verfolgen läßt. Holinka spricht deshalb recht unbestimmt vom Ende des 14. Jh.21 Trotz weitgehender Ubereinstimmungen mit den Vorlagen aus Österreich und Deutschland lassen sich doch in P selbständige Konzipierungen nachweisen, wodurch sich M und P deutlich von S und W abheben. Wir können daher von einem Prager Typus sprechen. Es wird durch die Voranstellung des Ordinationsritus und der sieben Glaubensartikel sowie das Fehlen der Datumszeile und des Rektorenregisters charakterisiert. Glaubens- artikel und Initationsriten sind in P und M in gedrängter, thesenartiger Form vor dem 170 Armand-Hugon u. G. Gonnet, a. a. O., Nr. 719. Die „Articuli“ dürfen nicht mit der „Regula Waldensium“ verwechselt werden, die bekanntlich aus dem Kreis der Sekte selbst hervor- gegangen ist und Geschichtsüberlieferung sein will. Vgl. C. Schmidt: Aktenstücke, besonders zur Geschichte der Waldenser. „Zschr. f. hist. Theologie“ 22, 1852, S. 239; H. Haupt: Wal- densia, a. a. O., S. 312 f. 18 Döllinger II, S. 338-341. 19 Döllinger II, S. 332-335. 20 P. P. Bernard: Heresy in Fourteenth Century Austria. „Medievalia et Humanistica“ X, 1956, S. 50—63; 59 f. A. 1. R. Holinka: Sektářství, a. a. O., S. 130. Für wertvolle paläographische Hinweise bin ich Frl. Dr. Renate Drucker verpflichtet. 21 220

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erzählenden und beschreibenden Stück, das den „Articuli“ vorausgeht, plaziert: Nota quomodo ordinantur heresiarche secte Waldensium. Nach dem Gelübde der Novizen folgen sieben Glaubensartikel. Demum instruuntur in articulis fidei, qui apud eos sunt septem. Zum Schluß werden die Riten der Handauflegung, Kniebeuge und Umarmung angeführt : post quam professionem iubentur ad genuflexionem, tunc omnes singuli heresiarche imponunt manum ordinando super caput... Im Codex XIII E. 7. sind die Nota und der sich daran anschließende Text versehentlich von den Articuli getrennt worden und mit fol. 191�1917 numeriert. Die beiden Blätter sind stark beschädigt, da jeweils ca. die Hälfte abgerissen wurde. Dieser Teil kommt der verloren gegangenen Straßburger Hs. B 174 am nächsten. Er ist überschrieben: „De ordinatione prespiterorum“. Nach einer Einführung über die Vorbedingungen zur Aufnahme folgen die sieben Glaubens- artikel: Item tempore ordinationis interrogant de 7 articulis fidei, scilicet utrum credat unum Deum in trinitate personarum et unitate essentie 2. quod idem Deus sit creator omnium visibilium et invisibilium 3. quod condidit legem Moysi in monte Synay 4. quod misit filium suum ad incarnandum de virgine incorrupta 5. quod eligit sibi ecclesiam immaculatam 6. carnis resurrexionem 7. quod venturus est iudicare vivos et mortuos.22 P und M fassen die Artikel folgendermaßen zusammen: primus, quod deus in principio creavit celum et terram secundus, quod pater et filius et spiritus sanctus sunt unus deus tertius, quod deus dedit legem Moysi in monte Synai quartus, quod Christus natus sit de pura virgine quintus, quod ascendit in celum sextus, resurreccionem mortuorum septimus, iudicium vivorum et mortuorum In B 174 schließt sich das Gelöbnis der Novizen an, das in fünf Punkte untergegliedert ist: primo, ut promittat obedientiam Deo secundo castitatem tertio, quod non redimat vitam eorum, in captivitate constitutus, vel quocumque mortis periculo preventus, falso iuramento vel aliquo peccato mortali. 4. quod nullam habeat spem seu sustentationem manuum suarum, sed paupertatem voluntariam imitetur. 5. quod non habeat maiorem confidentiam de consanguinei suis, quam de aliis ho- minibus eisdem secte. 22 Ch. Schmidt: Actenstücke besonders zur Geschichte der Waldenser. „Zeitschrift für die historische Theologie“ 22, 1852, S. 244. 221

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P und M setzen die Vota an die Spitze der Ordinatio, vor die Glaubensartikel, und gliedern sie in sechs Punkte: primum veram obedienciam in omnibus factis eundi de terra ad terram ad preceptum seniorum et reliqua ad obedienciam perfectam spectancia, secundo castitatem tertio voluntariam paupertatem quartum omnino non vivere de laboribus manuum suarum quinto quod non redimant vitam suam in quocumque corporis periculo mendacio vel falso iuramento sexto quod non debent habere maiorem confidenciam de parentibus aut consanguineis suis quam de aliis hominibus quibuscunque. Inhaltlich unterscheiden sich P und B 174 nur durch das erste Votum, wo die Gehor- samspflicht gegenüber den Seniores eingeschärft und das Wanderleben gefordert wird, während die Straßburger Version nur Gehorsam gegenüber Gott ohne nähere Erläute- rung verlangt. 3 und 4 hat B 174 in einen Punkt zusammengezogen. Martin von Prag hatte entweder eine andere Vorlage zur Hand als B 174, oder aber er trug selbst den Passus über das Wandern und die Gehorsamspflicht nach. Da die Abfassungszeit eindeutig nach 1391/92 liegt, kannte er ja bereits die Rektoren und ihren Lebensstil aus eigener Anschauung. Wie wir wissen, leitete er die Erfurter Inquisition. Nicht zuletzt das Votum 1 verleiht dem Prager Typus ein weiteres Charakteristikum. Zu welcher der beiden Gruppen läßt sich nun die Olmützer Version (O) zuordnen? Die enge Verwandtschaft zu S und W fällt auf den ersten Blick auf. Sowohl die Datumszeile als auch die Namen der rectores bilden den Anfang von O. Lediglich vier „Meister“ sind weggelassen: Johann von Dicharz bei Krems, Nikolaus von Plauen, Gottfried von Ungarn und Nikolaus von Solothurn. Die Abweichungen zu S und W beziehen sich lediglich auf einzelne Worte und grammatikalische Fehler, die auf den Abschreiber zurückzuführen sind.23 Unter diesem Blickpunkt gehört O eindeutig zum österreichisch-deutschen Typ. Zu P bestehen eine ganze Reihe von formalen, teilweise auch inhaltlichen Verschiedenheiten. Einige Beispiele mögen das demonstrieren. O: Item quidquid benedicitur ab episcopis et presbyteris, sive sit ipsa ecclesia sive fons baptismali sal, aqua, herbe, cimiteria paramenta, palme, candele, dicunt penitus non valere et si quandocumque intersunt, hoc faciunt, ne notentur. P: Item quidquit benedicitur ab episcopis et sacerdotibus in ecclesiis, sive sit ipsa ecclesia, sive fons baptismalis, sive alia aqua, sive candela, rami, cineres, herbe et quidquid huiusmodi dicunt penitus non valere. Item dicunt, quod missas defunctorum, vigilias et oblaciones seu qualiacunque testa- menta pro remedio animarum facta, inventa sunt ab avaricia sacerdotum. Item omnem ornatum ecclesiasticum cum ritibus christianorum inprobant et detur- pant, licet inter suis talibus, ne notentur. 23 Z. B. intratur statt intrant, velit statt nolit, aliquid statt aliquem usw. 222

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O: ... quod nobis christianis, quos inter se alienos, id est di ffremden, credunt et no- minant, permittat advenire bella, famen, pestilentiam uel aliam incommoda, ut in medio tempore ab eorum inquisitione et impugnatione cessemus. P: quod deus nobis christianis, secundum opinionem eorum infidelibus eorum, aliquid mali et contrarii ad paciendum donet, quod eorum medio tempore obliviscamur et cessemus ab eorum persecucionibus et in hoc denotant omnes principes spirituales et seculares, barones et sacerdotes et omnes homines, quod deus det eis gwerras, fames et pestilencias in terris ipsorum, ut de persecucione ipsorum medio tempore cessarent et obliuiscerentur. O: Item derident Christianos qui eligunt sibi apostolos, prout mos est facere in ecclesia Dei et Christi, et qui vigilias sanctorum ieiunant et festa celebrant et si ipsi propter colorem similia faciunt dicunt, se hoc solum ad laudem Dei et non sanctorum facere. P: ... prout est mos fieri in ecclesia. Item despiciunt christianos et abhorrent eos, qui ieiunant in vigiliis sanctorum, asserentes, quod sanctus Nicolaus, Martinus cum ceteris sint sepulti in inferno; et, si ipsi similia faciunt, dicunt se hoc ad laudem Dei et non sanctorum facere. Weitere Abweichungen sind in der Textbeilage I vermerkt. Es fragt sich aber, ob der Schreiber von P die Kopie O überhaupt nicht zu Gesicht bekommen hat. An und für sich brauchte man O nicht in unmittelbare Verbindung zu P zu bringen. Nach dem bisher Gesagten wäre es durchaus möglich, daß P mit Hilfe der Nachrichten der beiden Inquisitoren Peter und Martin sowie der ordinatio presbytorum angefertigt wurde. Nun sind jedoch sowohl von P als auch von O einige Sätze in dem angehängten Frage- formular, das sonst fast vollständig mit der Maxima Bibliotheca übereinstimmt, in der gleichen Weise durcheinandergebracht worden. Während es richtig heißen muß: Post hoc vade ad articulos et primo principales de purgatorio: Primus articulus de purgatorio. Sic interroga ... haben O und P vor Primus articulus de purgatorio folgende Aufzählungen weiterer Fragenkomplexe und Einzel- fragen: De suffragiis ecclesie, de veneracione sanctorum et imploracione auxilii eorum, de non occidere, de fidei. Quociens audisti inter amicos tuos taliter dici? Quod nostri sacerdotes praedicauerunt et interfuerunt? Ille sacerdos multum praedicavit sed multa mendacia amiscuit. Quociens es tu taliter locutus, quale mendacium admiscuit, sicut tibi videtur? Dieser Passus findet sich auch nicht in den von Petrus Zwicker überlieferten Frage- formeln, sondern er ist nur in P und O, wahrscheinlich auch in M, die, wie wir wissen, eine weitere Abschrift von P darstellt, vorhanden. Diese Tatsache dürfte uns zu der Annahme berechtigen, von einer engeren Verwandtschaft zwischen der mährischen und der böhmischen Fassung zu sprechen. Daneben gibt es noch kleinere Ubereinstimmun- gen zwischen O und P, die nicht über S nach Prag gelangt sein können, da letztere diese Einschübe nicht kennt : O, P: Item dicunt omnia verba misse et omnia praeparamenta (apropriamenta P) ad missam spectantia esse de errore praeter verba consecrationis sacramenti. 223

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O, P: et ibi confundantur et peccuniis excorientur dicentes, quod sacerdotes sint pleni auaricia (nihil aliud cogitantes P). Aller Wahrscheinlichkeit nach lag P O vor, nicht umgekehrt. In der deutschen Ab- schwörungsformel von O heißt es : „Ich Hanns swere ayn eyt... meym here von Meinz“, also nicht Prag, wie in P. Das entspricht genau dem Text der Maxima Bibliotheca. Der Schreiber von O, ein nicht näher zu ermittelnder Ulrich (per manus Ulrici), hat sich sklavisch an seine deutsche Vorlage gehalten. Leider ist keine genaue Datierung mög- lich. Der Schriftbefund weist vom Ende des 14. bis in die Mitte des 15. Jh., genau so wie bei P. Irgendwelche individuellen Eigenheiten des Duktus fehlen. Die schulmäßige Kanzleikursive könnte genauso aus Sachsen oder Thüringen stammen wie aus Mähren. Hinzu kommt, daß die Provenienz des Olmützer Kodex nicht mehr feststellbar ist. Er enthält keinerlei Eigentumsvermerk. Als Besitz der Olmützer Kapitelbibliothek wird er erst im 17. Jh. genannt.24 Allerdings möchte ich aus diesem Befund nicht ohne wei- teres den Schluß ziehen, daß die Hs. in Mitteldeutschland entstanden ist und erst im 17. Jh. nach Mähren gelangte. Das Interesse an häretischen Lehren und gemäßigt reformatorischen Schriften stieg in Böhmen und Mähren im 14. und dem ersten De- zennium des 15. Jh. ganz auffallend. Die Handschriftenkataloge der Klöster und Ka- pitel sind dafür ein schlagender Beweis. Antihäretische Traktate, Inquisitionsprotokolle, Satiren, Streitschriften usw. wurden in wachsender Zahl von Mönchen und anderen geistlichen Personen abgeschrieben.25 Besonders begehrt waren Kompilationen wie die uns vorliegenden, die häretische Lehrsätze, Kultgebräuche und Frageformeln in hand- licher Form Priestern, Bischöfen und Inquisitoren zur Orientierung und praktischem Gebrauch boten. Wir haben es in unserem Falle ganz eindeutig mit der Zusammenfügung ursprüng- lich unabhängig voneinander entstandenen Teile zu tun. Das Rektorenregister, der Index errorum und die Articuli Waldensium, die zusammen das Frießsche Protokoll aus- machen, bezogen sich nach der Ansicht Armand-Hugons und G. Gonnets auf Österreich, die Steiermark und Ungarn.26 Die 1391/92 nachweisbare Wirksamkeit Peters und 25 24 Für freundliche Hinweise danke ich Herrn Archivar Dr. Vostřich, Olmütz. Großer Beliebtheit scheinen sich auch die sogenannten Epistolae Luciferi erfreut zu haben. In der Prager Kapitelbibliothek sind davon mehrere aus dem 14. und 15. Jh. überliefert, die auf Petrus von Vinea zurückgeführt wurden, z. B. „Petri de Vineis invectiva contra praclatos“ H XIV, fol. 517-53v. Auf diese Vorlage stützen sich weitere Versionen mit geringen Ab- weichungen, etwa A 166, fol. 80�817 (Rex superbie scribit suis filiis von Konrad v. Megen- berg) N 56/1, fol. 300�301v (Epistola Luciferi), N 8, fol. 27V�28 (dasselbe), H. 3, fol. 20 bis 22 (dasselbe) sowie eine andersgeartete, neue Fassung aus dem 15. Jahrhundert mit dem Titel: „Luciperi epistola Romanae curiae“, C 114, fol 304v—307. Es ist charakteristisch, daß sich diese „Teufelsbriefe“ sehr eng an ihre italienischen und französischen Vorlagen, etwa an den Brief des Petrus von Ceffons (1351), anlehnen und keine Passagen einschieben oder umgestalten, die auf heimische Ereignisse zugeschnitten wären, obwohl andererseits die böhmische Provenienz eindeutig ist. Zu den Vorbildern ist zu vergleichen G. Zippel: La lettera del Diavolo al clero dal secolo XII alla Riforma, in „Bulletino dell'Ist. stor. ital.“ 70, 1958, S. 125-179, bes. der Quellenanhang S. 163-179. Armand-Hugon-Gonnet, a. a. O., Nr. 710, S. 65. 26 224

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Martins in Erfurt läßt auch an Mitteldeutschland denken. Als Autor des Index und der Articuli kann Martin angenommen werden. Das Register dürfte eine Gemeinschaftsarbeit gewesen sein. Die ordinatio presbytorum geht auf einen älteren, unbekannten Autor zurück. Die Frage- und Abschwörungsformeln stammen in S von Peter Zwicker, unter dessen Namen sie überliefert sind, in MB, M, P und O vermutlich von Martin von Prag, die dieser sich während seiner Tätigkeit in Erfurt für den praktischen Gebrauch an- fertigte oder anfertigen ließ. Der Schwur auf den Erzbischof von Mainz ist nicht mit einer österreichischen Provenienz vereinbar. M und P setzen dafür sinngemäß Prag, während O die ursprüngliche Fassung beibehielt. Ob bereits die beiden Inquisitoren Peter und Martin die Veranlassung zur Zusammen- stellung der einzelnen Schriftstücke gaben oder ob sie erst später Kloster- und Kapitel- schreiber verfertigten, kann auf Grund der vorhandenen Uberlieferungen mit Sicher- heit nicht ausgemacht werden. Die ganze Anlage der Kompilation läßt immerhin die Möglichkeit zu, daß sich die beiden erwähnten Ketzerbekämpfer eine Art Handbuch anfertigen, das ihnen alles über die Waldenser Wissenswerte für ihre Vernehmungen darbot. Der Text enthält in der Tat alle Lehren und Gebräuche, welche die spätmittelalterlichen Armen von Lyon deut- scher Observanz charakterisierte. Zum anderen war für rührige Inquisitoren das Na- mensverzeichnis der Hauptmeister sehr wertvoll, da es ihre Verfolgung erleichterte. Mit diesen Erwägungen berühren wir jedoch bereits inhaltliche Fragen, die gesondert abgehandelt werden sollen. 2. Bemerkungen zum Inhalt Die Hss. S und W führen in ihrem Verzeichnis der Predigermeister elf Namen auf, die sich herkunftsmäßig über ganz Deutschland, Österreich und Ungarn verteilen. Es muß Haupt zugestimmt werden, daß es sich um ein Verzeichnis der Sektenleiter, nicht aber etwa um einen großen Fang 1390 oder 1391 in Steyer bzw. St. Pölten handelte.27 Wie könnte man sich sonst die Festnahme von drei der Aufgeführten in Pommern 1393/94 erklären? Der Pfennighandwerker Nikolaus von Plauen, der in unserem Proto- koll erscheint, wurde 1391 in Erfurt bekehrt und mit dem Kreuze gebrandmarkt.28 Von den restlichen acht Wanderpredigern hören wir nichts Näheres. Haupt nahm an, daß die 27 H. Haupt: Waldensertum und Inquisition, a. a. O., S. 347. Neuerdings tritt wieder P. P. Ber- nard ohne Angabe von Gründen für die Verhaftung der 11 Männer ein (Heresy a. a. O., S.59). Ohne Berücksichtigung der mittel- u. nordostdeutschen Quellen ist seine Annahme gegen- standslos. 28 „...omnes in Erfordia sunt convicti et conversi, abjurati et cruce signati... Item Niclas von Plawen, qui fuit cerdo.“ Döllinger II, S. 330. Das Strafmaß war verhältnismäßig gering im Verhältnis zu dem Vergehen der „Meister“. Vgl. zu diesen Fragen P. Flade: Römische Inquisition in Mitteldeutschland, insbesondere in den sächsischen Ländern, in „Beitr. zur sächs. Kirchengeschichte“ 11, 1896, S. 58-86. 225

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zwölf Männer das Führungsgremium der deutschen Genossenschaft gebildet hätten.29 Davon kann jedoch keine Rede sein. Das Erfurter Protokoll nennt 20 Namen von magistri und discipuli, unter denen sich ein einziger (Nikolaus von Plauen) aus dem besprochenen Verzeichnis befindet.3° Sehr oft kommen die Meister aus Gebieten, die bereis seit über hundert Jahren Ketzerzentren waren, wie etwa Friedrich und Ulrich von Hardegg, einem an der mährischen Grenze gelegenen Dorfe, das schon 1260 als Waldensersitz erwähnt wird.31 Der sozialen Schichtung nach handelte es sich um Hand- werker, wie Schuster, Schneider, Tuchscherer und Müller. Unter den zwölf Predigern sind auch vier Bauern. In Erfurt sind noch Weber, Wollschläger und Pfennig- macher vertreten. Ahnlich verhielt es sich in Pommern und der Mark Branden- burg: Bauern, Tagelöhner, Weber und Hutmacher bildeten das Gros.32 M. Machovcová sieht aus diesem Grunde im Waldensertum eine Ideologie der städtischen Opposition, besonders hinsichtlich der Masse der kleinen Handwerker, Krämer, armen Bauern usw. Deutlich grenze sie sich von der Stadt-Landarmut ab.33 Demnach könnte man das 31 32 20 H. Haupt: Waldensertum und Inquisition, a. a. O., S. 347. 30 Bei Döllinger II, S. 330 f. Das Stück wurde bereits 1886 von H. Haupt in einer Hs. der Würzburger Universitätsbibliothek (M. ch. f. 51) entdeckt und in seiner Replik: Der wal- densische Ursprung des Codex Teplensis und der vorlutherischen deutschen Bibeldrucke gegen die Angriffe von Dr. Franz Jostes vertheidigt, Würzburg, S. 35 f. ediert. Döllinger scheint diese Tatsache entgangen zu sein, da er sich auf die genannte Arbeit nicht bezieht. H. Haupt: Deutsch-böhmische Waldenser um 1340, in „Ztschr. f. Kirchengeschichte“ 14, 1894, S. 14. W. Wattenbach: Ketzergerichte, a. a. O., S. 48. Das schließt natürlich nicht aus, daß auch Angehörige der herrschenden Klassen ihrer Sekte beitraten. Bereits der Passauer Anonymus führte Klage, daß sich die Waldenser in edle Familien einschlichen und daß ihre Meister als Hausierer ihre Lehre in den Burgen der Adeligen verbreiteten. Unter den Straßburger Winklern um 1400 befand sich Johannes v. Blumenstein, Abkömmling eines altadeligen Geschlechtes, Magister der freien Künste, Stadtschreiber und Gesandter der Stadt. Er war von seiner Mutter im waldensischen Sinne erzogen worden. In Bern hingen den Ketzern Leute vornehmer Geschlechter an, wie eine 1399 durchgeführte Inquisition ergab. Ahnlich verhielt es sich in Freiburg im Uechtlande, wo ihnen ein Mitglied des Großen Rates angehörte. Diese von H. Haupt herangezogenen Beispiele (Der waldensische Ursprung des Codex Teplensis, a. a. O., S. 7) sagen jedoch nichts über den Gesamtcharakter der Häresie aus, der soziologisch eindeutig von den Mittel- und Unterschichten in Stadt und Land bestimmt wurde. Soweit es sich um volkstümliche Ketzereien handelte, trifft diese Kennzeichnung auch für andere Sektengruppen zu, wenn auch nicht übersehen werden darf, daß in Westeuropa die soziale Profilierung der städtischen und bäuerlich-plebejischen Ketzergemeinden weit schärfer war als etwa im deutschen Sprachgebiet oder im vorhussitischen Böhmen. Vgl. dazu die wichtigen Ausführungen von A. Sapori: L'età della Rinascita. Secoli XIII bis XIV. „Università Commerciale, Facoltà dei Economia e Commercio, Istituto di stor. econ." Milano 1958, S. 445-446. M. Machovcová/M. Machovec: Utopie blouznivců a sektářů, Prag 1960, S. 99 f. Man darf hierbei allerdings nicht übersehen, daß das Waldensertum zeitweilig eine rein bäuerliche Basis erhielt, wie etwa in Böhmen, wo es zur Religion der deutschen Kolonisten wurde. 33 226

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Waldensertum im 14. Jh. auch als linken Flügel der bürgerlichen Opposition bezeichnen. Dem entsprach seit dem 13. Jh. eine sichtbare Radikalisierung der Lehrsätze. Nicht nur, daß die gesamte katholische Hierarchie mit dem Papst an der Spitze als häretisch — in Umkehrung der orthodoxen Anklagen - abgelehnt und verworfen wird, sondern auch die weltlichen Gewalten, vom Kaiser angefangen bis hin zu den Richtern, sind der Verdammung anheimgegeben. Eine Waldenserin aus dem Languedoc drückt das zu Beginn des 14. Jh. folgendermaßen aus: „Könige und Fürsten, Prälaten und Mönche und alle anderen, die Reichtümer besitzen, können nicht erlöst werden, sondern nur jene boni Christiani und jene, die sich in der Lombardei aufhalten, weil sie nicht wagen, “ 34 in ihrer Heimat zu bleiben, da sie Wölfe und Hunde verfolgen. Alle kirchlichen Einrichtungen, die nicht durch die Bibel sanktioniert wurden, lehnten die Sektierer ab. Machovcová bemerkt dazu, daß damit die höchste Form der Radikalisie- rung des ursprünglichen Biblizismus erreicht wäre, über die die Waldenser theoretisch nicht hinausgelangten.35 Vor allem erfolgte trotz dieser radikalen Ablehnung der be- stehenden gesellschaftlichen Einrichtungen kein Aufruf zur aktiven Veränderung der kritisierten Zustände. Im Gegenteil, jeder Gedanke an eine revolutionäre Praxis wird durch Sätze wie dieser erstickt: „Sie sehen in jedem Totschlag eines beliebigen Ubeltäters eine Totsünde, denn sie sagen, wie man nicht lebendig machen könne, so dürfe man auch nicht töten. Die einfachen Gläubigen hielten sich allerdings nicht immer an diese Vorschrift. 1394 verbrannten Waldenser einen Pfarrer in der Nähe von Steyr, und 1396 befestigten sie unter einem angebrannten Pflock ein blutiges Messer am Stadttor von Steyr, um kundzutun, daß sie bereit wären, ihren Glauben mit Feuer und Schwert zu verteidigen.36 Diese Zeugnisse stehen nicht nur vereinzelt da, sondern sie müssen vor allem aus der österreichischen Situation interpretiert werden. Die Massenverfolgungen in den neun- ziger Jahren und die sich daran anschließenden Autodafés trieben die gejagten und gequälten Menschen zur Verzweiflung, aus der heraus die geschilderten individuellen Terrorakte entsprangen. In Verbindung mit der theoretischen Radikalisierung sind dennoch diese Reaktionen nicht uninteressant. Sie lassen nämlich auf extremere Grup- pierungen innerhalb der Sekte schließen, die der rein passiv und kontemplativ orientier- ten Führungsschicht gegenüberstanden. Es ist das Verdienst von Machovcová, die Doppelpoligkeit des spätmittelalterlichen Waldensertums überzeugend herausgestellt zu haben. Sie konfrontiert in ihrer Untersuchung die religiöse Erbauungsliteratur der Häretiker mit den durch die Inquisition ermittelten Lehrsätzen, um feststellen zu können, daß die Prediger ihre Gemeinden mit jenem religiösen Opium versorgten, das die katho- lische Kirche im 14. Jh. den Massen nicht mehr zu bieten vermochte.37 Die stadtbürger- 3A 35 37 36 Machovcová ordnet jedoch diese soziale Schicht dem Begriff städtische respektive bürger- liche Opposition mit unter, um auch ideologisch die Stadt- und Landarmut schärfer abzu- grenzen. In der Praxis waren natürlich die Ubergänge oft fließend. Döllinger II, S. 109. M. Machovcová, a. a. O., S. 99. G. E. Frieß, a. a. O., Beilage VII, S. 266. M. Machovcová, a. a. O., S. 99. 227 2

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liche Opposition verlangte nach Reform der Kirche an Haupt und Gliedern. Die Wal- denser versprachen ihr die ersehnte wohlfeile Kirche, wobei es graduelle Unterschiede gab und geben mußte, je nachdem die Gläubigen gut situierte Mittelbürger oder arme Handwerker und Bauern waren. Bei letzteren sind die Vorstellungen darüber, was alles geändert werden müßte, um die „urchristliche, einfache Kirchenverfassung“ wieder herzustellen 38, klarer und konse- quenter als bei den „Meistern“ ausgeprägt. Machovcová weist die in den Inquisitionsakten überlieferten Artikel der Masse der Anhänger zu, die selbst nicht schreiben und lesen konnte, weshalb sie nur mittels münd- licher Uberlieferung weiterwirkte, während die Leiter literarisch tätig waren und die zum Teil noch erhaltenen Erbauungsschriften verfaßten.39 Ganz so schematisch wird man bei der Abgrenzung eines volkstümlichen von einem gelehrt-theologischen Waldensertums allerdings nicht vorgehen können. Die moralisierenden Gedichte und Erzählungen, wie etwa der „tresor e lume de fe" oder die „Noble Lecon“ der piemontesischen „Armen“ beabsichtigten wohl zu erbauen und zu trösten, aber sie sagen nichts darüber aus, ob ihre Verfasser über diesen Rahmen nicht hinausgingen. Sowohl die lombardischen als auch die französischen Prediger wurden auf eine Reihe von Glaubensartikeln festgelegt, die in den Inquisitionsakten wiederkehren.40 Andererseits sind Sätze, wie die gegen die geistliche und weltliche Hierarchie, der „offiziellen“ Lehre nicht inhärent. Das gleiche trifft für die Ablehnung der kaiserlichen Gesetzgebung und der sanctiones canonicas zu, wie sie 1395 Peter Zwicker Herzog Wilhelm v. Österreich u. a. mitteilte.41 Die Bipolarität der Sekte fiel bereits den Zeitgenossen auf. Der anonyme Autor eines Ende des 13. Anfang des 14. Jh. entstandenen Traktates „De vita et actibus, de fide et erroribus“ der Pauperes de Lugduno berichtet von rectores, den sog. sandaliati, die sich nur dem Dienste Christi und ihren Studien widmeten. Sie lebten von den Gütern und Almosen der amici et credentes, die sie regelmäßig besuchten und belehrten.42 Auf den jährlichen Konzilien versammelten sich nur bestimmte perfecti. Ausgeschlos- sen blieben die einfachen Gläubigen, die jungen rectores und die Frauen, auch wenn sie perfectae waren. Wenn man auch nach G. Gonnet von keiner Hierarchie sprechen darf, so steht doch fest, daß viele Gruppen nur noch den magistri priesterliche Funktionen zubilligten und sich damit von dem ursprünglichen Standpunkt, wie ihn uns noch Rainer Sacconi um die Mitte des 13. Jh. überliefert, nach dem jeder gute Mensch Priester sein dürfe, ent- fernten. 42a 38 K. Marx/Fr. Engels: Über Religion, Berlin 1958, S. 79. 30 M. Machovcová a. a. O., S. 77 f. 40 Vgl. H. Haupt: Waldensia, a. a. O., S. 311 f.; 328 f. 41 Döllinger II, S. 309, Nr. 73. 42 Döllinger II, S. 92 f. Zur Datierung A. Dondaine: Le Manuel de l'Inquisiteur. „Archivum Frat. Praed..“ 17, 1947, S. 183. 42a G. Gonnet: Nature et limites de l'episcopat vaudois au Moyen Age. „Communio Viatorum“. II, (Prag) 1959, S. 311-323; 317. 228

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G. Koch hat darauf aufmerksam gemacht, daß schon Bernhard von Fontcaude um 1190 bei den Ketzern zwei Gruppen unterschied, eine, die sich um die Häresiarchen schart und eine, die niemandem unterworfen ist.43 Die gleiche Beobachtung läßt sich auch bei anderen mittelalterlichen Sekten machen, etwa bei Bogomilen, Katharern und freien Geistern.44 Diese Differenzierung, der nicht nur religiöse Momente, sondern vor allem soziale Gegebenheiten zugrunde lagen, wuchs mit der Verschärfung der sozialen Spannungen innerhalb der spätmittelalterlichen Städte. M. Małowist hat in anderem Zusammenhang auf die wachsende Besitzpolarisation der süd- und mitteldeutschen Städte hingewiesen, wo einer reichen Handelsoligarchie arme Schichten gegenüber- standen, die manchmal mehr als die Hälfte der Bevölkerung ausmachten.45 F. Graus stellt Prozentzahlen einiger Städte zusammen, welche die Bevölkerung ohne Steuer- verpflichtungen beinhalten (ohne Bettler, Gesellen und Dirnen). Es ergibt sich folgendes Bild: Basel 1429 Frankfurt 1495 Görlitz 1443 Breslau 1403 In Rostock betrug im Jahre 1404 die Zahl der vermögenslosen Personen 50,62 %. in Stralsund zwischen 1405 und 1409 56,9%. K. Fritze, dem wir diese Zahlen ver- danken, zeigt für die wendischen Hansestädte, daß sich seit der zweiten Hälfte des 14. Jh. mehr und mehr für die Handwerker eine Depression vollzog.47 Der Verschärfung des sozialen Klimas entsprach eine Radikalisierung waldensischer Theorie und eine Intensivierung des sektiererischen Zuges der Gemeinden: „Item dicunt et credunt nos omnes catholicos esse haereticos!“ 48 „Item quod illa secta sit vera et unica fides katholica, extra quam nullus possit saluari“ (Beilage I). Einzelheiten der sektiererischen Verknöcherung in der Praxis führt Machovcová an, die für diese Entwicklung die unausgereifte Krisensituation in Österreich und Deutsch- land im 14. Jh. verantwortlich macht.49 Bei einer etwas vorsichtigeren Einschätzung wird 25,6% 45,7% 27,8% 57 % Brünn 1365 B. Budweis 1396 Mies 1380 41% 53 % 43 % 46 44 45 48 G. Koch: Neue Quellen und Forschungen über die Anfänge der Waldenser, in „Forschun- gen und Fortschritte“ 32, 1958, S. 146. Die Quelle ist gedruckt in Migne PL 104, col. 818 f. und bei G. Gonnet: Enchiridion Fontium Valdensium I, Torre Pelice 1958, S. 65 f. Vgl. dazu E. Werner/M. Erbstößer: Sozial-religiöse Bewegungen im Mittelalter, in „Wiss. Ztschr. d. Karl-Marx-Univers. Leipzig“ 7, 1957/58, S. 258. Dieselben: Ideologische Probleme des mittelalterlichen Plebejertums. Die freigeistige Häresie und ihre sozialen Wurzeln, Berlin 1960, S. 62�75, und E. Delaruelle: Le catharisme en Languedoc vers 1200, in „Annales du Midi“ 72, 1960, S. 163. M. Malowist: Zagadnienie krysysu feudalizmu w XIV i XV wek w swietle najnowszych badám, in „Kwart. hist.“ 60, 1953, S. 93; E. Werner/M. Steinmetz: Städtische Volksbewegungen im 14. Jahrhundert, Berlin 1960, S. 14 f. 46 F. Graus: Chudina měsłská v době předhusitské. Prag 1949, S. 86 f. 47 K. Fritze: Soziale und politische Auseinandersetzungen in den wendischen Hansestädten am Ende des 14. Jahrhunderts. „Städtische Volksbewegungen im 14. Jh.“ Berlin 1960, S. 150 f. Döllinger II, S. 308, Nr. 31. 49 M. Machovcová, a. a. O., S. 82 f. 43 16 229

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man sagen dürfen, daß die wachsende Stärke des linken Flügels der städtischen Oppo- sition ihren Niederschlag in der theoretischen Radikalisierung, im steigenden Einfluß des Sektenkörpers 50, aber auch in der bewußteren Abgrenzung von den „Ungläubigen" fand. Not und Verfolgung wollen sie nicht aus eigenen Kräften abwehren, sondern sie erwarten diese Tat von Gott. Gott möge sie beschützen, heißt es in unserem Text, und über ihre Feinde, die „Fremden“, Krieg, Hunger, Pest oder andere Unannehmlichkei- ten bringen, damit ihre Aufspürung und Bekämpfung ein Ende fände. Das ist die typische Ideologie des Kleinbürgers, der ohne Kampf zu Reformen ge- langen möchte und der wenig befähigt ist, „sich selbständig, ohne Anschluß an eine kämpferische Klasse, für den unmittelbaren revolutionären Kampf zu organisieren“.51 Nur dort, wo die Bauern, die Stadtarmut oder das Vorproletariat das Banner der Re- volution ergreifen, wagt auch er den Sprung von der radikalen Träumerei zur revolutio- nären Tat. Hat er sich zu diesem Wagnis aufgerafft, dann muß er notgedrungen der waldensischen Gemeinschaft den Rücken kehren, da sie dem offenen Klassenkampf ablehnend gegenüber steht. Es ist deshalb kein Zufall, daß wir in den städtischen Volksbewegungen des 14. Jh. nichts von waldensischen Lehren hören. In Böhmen und Mähren lassen sich in den städtischen Unruhen des 14. Jh. mit einer Ausnahme überhaupt keine religiösen Ideo- logien nachweisen. Lediglich bei der Empörung der Bürger von Saaz (Žatec) im Jahre 1329 gegen die königliche Macht behauptet ein 8 Jahre später aufgesetztes Inquisitions- protokoll, daß „Ketzer“ die Urheber gewesen seien. Die Nachrichten sind jedoch zu spärlich und vage, als daß man dieser Aussage größere Bedeutung beimessen könnte. Weder die Tuchmacher in Prag 1366 oder die 1377 14 verbannten Prager Handwerker noch die 1378 in Brünn gewählten Vertreter aller Berufe, die dem Stadtrat ihre Be- schwerden in einer Bittschrift vorlegten, waren Waldenser.52 Ihre Anhänger aus den Kreisen des Handwerks erhofften sich durch Gebete und Treue zum Glauben Anderun- gen, nicht aber durch offenen Widerstand gegen weltliche und kirchliche Gewalten. Der passive, ja kontemplative Zug des Lehrgebäudes kommt bei den französischen Waldensern in der Ablehnung der Handarbeit durch die Apostel zum Ausdruck. Der Novize muß geloben: „quod amplius noluit viuere de laboribus manum suarum, sed vivere de elemosiniis usque ad mortem“. E. Dupré-Theseider erwähnt, daß Waldenser in Calabrien Ende des 12. Jh. behauptet hätten, Zeichen gesehen zu haben, die das Ende der Welt ankündigten. Arbeit sei nun- mehr überflüssig, nähere man sich doch dem Endtag, dem Sabbat. Manche gingen so weit, die Arbeit als „grande peccatum" zu deklarieren.53 Das mag auf der einen Seite 51 52 53 50 Zur spätmittelalterlichen Differenzierung des Waldensertums der Romania mit ihrer Aus- wirkung in Lehre und Kult vgl. J. Guiraud: Histoire de l'Inquisition au moyen age, I, Paris 1935, S. 246, 249, 256. W. I. Lenin: Werke, Bd. 10, Berlin 1959, S. 213. Einzelheiten bei F. Kavka: Zu den Fragen der Volksbewegungen in den Städten des 14. Jahr- hunderts in Böhmen und Mähren. in „Städtische Volksbewegungen im 14. Jahrhundert" Berlin 1960, S. 143-146. E. Dupré-Theseider: Introduzione alle eresie medievali, Bologna 1953, S. 176. Das Zeugnis stammt von Joachim von Fiore und ist ediert bei G. Gonnet: Enchiridion I, a. a. O., S. 97 f. 230

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ein Protest gegen den wachsenden Reichtum der Klöster, vor allem des Zisterzienser- ordens, ein „mystischer Streik“ 54 gewesen sein, zum anderen aber standen die Wander- prediger einfach vor der Notwendigkeit, sich „weltlicher“ Tätigkeit zu enthalten, wenn sie ihren Beruf ausüben wollten. Dabei ist für Calabrien die von G. Koch aufgeworfene Frage berechtigt, ob hier die Waldenser ihre eschatologischen Erwartungen nicht von Joachim übernommen haben.55 Für die Zuordnung der Quellen ist der Passus über die Handarbeit wichtig, da bekanntlich die „Lombarden“ an ihr festhielten und congrega- tines laborantium mit Grundbesitz und Häusern bildeten.56 In unserem Stück werden die Novizen zur Aufgabe der Arbeit und zum Almosensammeln verpflichtet, also nach dem französischen Ritus ordiniert. Aus dem Sendschreiben der Lombarden an ihre Brüder in Deutschland vom Jahre 1218 wissen wir jedoch, daß die deutschen Glaubens- genossen die italienische Linie vertraten.57 Selbst der Name Runcarii weist auf die lombardische Herkunft, denn er bezieht sich auf den italienischen Meister Giovanni da Ronca, der die Sezession durchführte.58 Desgleichen stimmen die Partien über die Kommunionsspendung mit dem französischen Ritus nicht überein. Zwar berichten unsere Quellen, daß zur österlichen Zeit einige das Abendmahl mit ungesäuertem Brot, das auf kleinen Tellern lag und von Wein und Wasser flankiert wurde, feierten, indem sie die Gaben segneten, austeilten, Löffel und Teller zum Schluß ins Feuer warfen, aber in einem Zusatz bemerkt unser Berichterstatter, daß die Mehrzahl der Meister auf diese Eucharistiespendung nicht viel Vertrauen setzte, weshalb sie die Reichung durch katholische Priester vorzog. Auch die sieben Glaubensartikel sind typisch für die Lom- barden. 59 W. Preger möchte aus diesen Fakten auf die Existenz einer dritten Genossen- schaft, der deutschen, schließen, die sich im Verlaufe des 14. Jh. neben den beiden älteren konstituiert habe.60 Preger hat übersehen, daß bereits im Laufe des 13. Jh. eine Vermischung und teilweise Angleichung zwischen Lombarden und Franzosen einsetzte, etwa hinsichtlich der Ablehnung der gesamten katholischen Hierarchie oder des Zöli- bates für die Meister. 61 Im 14. Jh. existierte keine „reine“ Observanz mehr. Besonders deutlich wird das in der Annäherung der Waldenser an andere Sekten, vor allem die Katharer. Der Traktat des konvertierten Waldensers Ermengaud, der zur Begleitung 58 61 54 So E. Buonaiuti: Valdo e i Valdesi, in „Ricerche religiose“ 1936, S. 148 f. 55 G. Koch in seiner Rezension des Werkes von Gonnet (Enchiridion) in der „Zeitschrift für Geschichtswissenschaft“ 8, 1959, S. 914. Vgl. Ilarino da Milano: L'eresia di Ugo Speroni nella confutazione del maestro Vacario, in „Studi e Testi“ 115, 1945, S. 454. 57 Der Brief ist im Enchiridion I, S. 171-183 neu ediert. 58 Vgl. Ilarino da Milano: L'eresia di Ugo Speroni a. a. O., S. 453, Anm. 3. In den Frage- formeln von MB heißt es „die Runden“ an Stelle von "die Kunden“. Wahrscheinlich liegt dem eine Etymologie zu Runcarii zugrunde. 59 So Haupt: Waldensia, a. a. O., S. 311. 60 W. Preger: Uber das Verhältnis der Taboriten zu den Waldesiern des 14. Jhs. „Abh. d. Bayr. Akad. der Wissenschaften“ 18, 1889, S. 37. Vgl. dazu Ilarino da Milano: Il Liber supra Stella del Piacentino Salvo Burci contro i catari e altre correnti ereticali, in „Aevum“ 17, 1943, S. 90-146. 16. 231

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des Durand von Huesca und zur Gruppe der katholischen Armen gehörte 62, berichtet aus den Jahren 1212/15 von doketischen Spekulationen (Maria habe einen Scheinleib gehabt) und von libertinistischen Tendenzen.63 Die feindliche Haltung gegenüber der Ehe, wie sie sich zuerst bei den Franzosen entwickelte, ist ein weiteres Erbstück des Katharertums. Pseudo-David von Augsburg weiß zu erzählen, daß die Armen von Lyon „die Ehe legalisierte Hurerei nennen, wenn die Gatten nicht enthaltsam leben. Jede andere unreine Ausschweifung sei eher erlaubt als die eheliche Verbindung. Daher trennen sie den Mann von seiner Frau und umgekehrt, wenn sie in ihre Sekte eintreten wollen“. Der Ankläger fährt dann fort: „Zwar loben sie die Enthaltsamkeit, aber dennoch ge- statten sie jedweder Begierde die schändlichste Befriedigung, indem sie dafür das Wort des Apostels zitieren: Heiraten ist besser als huren (nach 1. Kor. 7), das sie dahin- gehend auslegen, daß es besser sei, jedwede schändliche Handlung zur Befriedigung der Begierde auszuführen als innerlich das Herz zu beflecken. Diese Ansicht halten sie aber streng geheim, damit durch diese Schändlichkeit ihre Sekte nicht Schaden lei- det.“ 64 Man macht es sich zu einfach, diese Passagen unbesehen zu streichen und der Böswilligkeit des katholischen Gewährsmannes zuzuschreiben. Von dem unverdächtigen Zeugnis Ermengauds führt eine gerade Linie zu Pseudo-David von Augsburg. Die 1319/20 im Languedoc verhörten Waldenser geben an, daß bei ihnen weder ein Meister, noch ein Presbyter oder Diacon eine Frau besitzen dürfe, ja, daß jede Berührung mit einem Weibe ängstlich vermieden wurde, so daß Frauen selbst der Handkuß untersagt war. Verwitweten Männern verwehrte man den Eintritt in die Hierarchie mit der Begründung, daß das Fleisch den Verstand überwältige und daß die Gewohnheit den Mann zu den opera carnalia hinzöge.65 Genau so wie bei den Katharern läßt sich demnach auch bei den Waldensern im 14. Jh. eine Abwertung der Frau beobachten, die mit der hierarchi- schen Erstarrung und Anpassung an die katholische Kirche zusammenhängt. Noch weiter als in Südfrankreich ging der Synkretismus in Italien. Beispiele dafür sind die Prozesse von Giaveno 1335, von Turin 1387, 1388, 1451 und von Chieri 1395 und 1412. Die Deliquenten leugneten die reale Gegenwart Christi in der Eucharistie („deus non descendit in hostiam illam quam sacerdos elevat“), die Inkarnation („mag- 62 G. Gonnet: Enchiridion I, S. 135; E. Delaruelle, a. a. O., S. 160. Die Auffassungen A. Don- daines und R. Mansellis über die Person Ermengauds sind bei G. Koch: Quellen und For- schungen, a. a. O., S. 148 f. referiert. Enchiridion I, S. 156 f. 64 Döllinger II, S. 329, Kap. 17. Der Text der Hs. ist jedoch unvollständig und verderbt. D 54, fol. 37-38 der Prager Kapitelbibliothek hat ihn exakt überliefert. Der Abschnitt lautet hier: „Matrimonium dicunt esse fornicationem iuratum. Et omnem coytum cum legitimo esse pecca- tum mortalem nisi fiat spe prolis. Et separant virum ab uxore et uxorum a viro altero contra- dicente, si vellit intrare sectam eorum. Quaslibet alias immundicias luxurie magis esse licitas dicunt quam copulam coniugalem. Continenciam laudant, sed urentem libidinem concedunt ei satisfieri quacumque modo turpi, allegantes pro se illud Apostoli: Melius est nubere quam uri, quod exponunt, quod melius est quemlibet actione turpi libidinem satisfacere quam intus corde temptari. Sed hoc tenent valde occultum, ne per hanc turpitudinem eorum secta vilescat." 65 Döllinger II, S. 104 f. 63 232

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nus pater non tantum humiliaret se, als daß er "de celo descendet recipere carnem humanam“) und das Schöpfungswerk Gott Vaters. Einige gaben an, Sonne und Mond zu verehren und in dem „Großen Drachen“ den Demiurgen zu sehen, wieder andere lehnten die Trinität, vor allem den hl. Geist, ab oder drängten sich nach dem Martyrium, damit sie, genau so wie Jesus, nach drei Tagen wieder auferständen und in den Himmel einzögen. Viele verwarfen die leibliche Auferstehung und das Jüngste Gericht. Dieser Synkretismus, der nicht nur aus dualistischen, sondern ebenso aus pantheistisch- mystischen Quellen gespeist wurde, war keine Erfindung der Inquisitoren. Im Gegenteil! Die Aussagen der Festgenommenen brachten das Konzept der Ketzerrichter durch- einander, vermischten die errores, die man fein säuberlich nach einzelnen Sekten geordnet in Handbüchern festgehalten hatte! G. Gonnet tritt mit vollem Recht gerade unter dem Eindruck der zuletzt erwähnten Zeugnisse für die Existenz einer synkretisti- schen Phase in der Geschichte des spätmittelalterlichen Waldensertums ein.66 Das heißt allerdings nicht, daß sich alle Waldensergemeinden im 14. Jh. mit zeitgenössischen häretischen Strömungen amalgamierten. Neben den französischen und italienischen „Synkretisten" gab es die „Orthodoxen“, die der ursprünglichen Doktrin treuer blieben bzw. aus ihr nur soweit Konsequenzen zogen, soweit das mit dieser vereinbar war. Für die orthodoxen Waldenser waren Evangelismus und mehr oder weniger radikaler Biblizismus typisch.67 Zu ihnen gehörte auch die deutsch-österreichische Gruppe. In unseren Texten fehlt jede feindliche Einstellung gegen das matrimonium. Zwar müssen die rectores Keuschheit geloben, aber damit ist keine Diffamierung der Ehe verbunden wie etwa in Südfrankreich. Von einer betonten Zurückhaltung gegenüber den weiblichen Gläubigen wird kein Wort gesagt. Von dualistischen, pantheistischen oder freigeistigen Lehren fehlt jede Spur. Dabei waren derartige Anleihen auch bei der deutschen Genossenschaft nicht unbekannt. Die 1315 in Krems, St. Pölten und Wien verhörten Waldenser vertraten dualistische Auffassungen, etwa im Glauben an die Rettung Luzifers oder in der Verwerfung des matrimoniums und der Eucharistie. 68 65 G. Gonnet: Delle varie tappe e correnti della protesta valdese in Europa da Lione a Chan- foran. Problemi vecchie e nuovi (1176-1532), in „Bollet. della Società di studi Valdesi" 76, 1957, S. 25�27, u. ders., Casi di sincretismo ereticale in Piemonte nei secoli XIVe XV, in: Bollettino della Società di Studi Valdesi, N. 108, 1960, S. 3-36. Hier sind auch die von mir erwähnten Prozesse aufgeführt. Das Turiner Inquisitionsprotokoll aus Pinarolio der Jahre 1387/88 wurde von Döllinger II, S. 251�273 ediert. Die uns interessierenden Irrlehren lauten: „Deus non est in sacramento eucharistiae... sed semper est in coelis“ (S. 256) ; "quod non debebat credere resurrectionem corporum futuram, neque judicium futurum in speciali“ (S. 267); „Quod Deus non venerat in virginem, nec passus et sepultus fuerat.“ (S. 260) ; „adorare pro deo suo draconem, qui pugnat cum Deo et angelis ejus, et est ferocior et po- tentior Deo“ (S. 257) ; „quod Deus non creavit seu fecit aliquam rem visibilem, sed mundus iste et omnia alia visibilia a diabolo, qui cecidit de coelo, erant creata et facta, et quod iste erat dominus istarum rerum visibilium...“ (S. 266); „Item dicit, quod, postquam rece- perunt dictum consolamentum ab uno de magistris...“ (S. 271). G. Gonnet: Tappe e correnti, a. a. O., S. 27. G. E. Frieß, a. a. O., Nr. V, S. 254 f. 67 88 233

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Ihr Synkretismus ging so weit, daß die Frage auftauchen kann, ob wir es nicht über- haupt mit Katharern zu tun haben, wie P. P. Bernard annimmt, der ihre Vernehmung ohne Kenntnis der von Frieß edierten Klosterneuburger Hs. Nr. 923 in das Jahr 1312 verlegt. Er schreibt: „Lacking sufficent evidence, we must suspend final judgment, but the impression one gains from the reported beliefs and activities of this sect is that either they were indeed Cathari, or that there was more than one sect involved and that this “ 69 fact escaped the notice of the inquisitors." Libertinistischen Tendenzen huldigten die in den vierziger Jahren des 14. Jh. im Bistum Eichstätt entdeckten „Armen“, die von 42 Meistern geleitet wurden. Genau so wie die freien Geister verkündeten sie, daß ein Mensch unterhalb des Gürtels sündlos sei. Dem Teufel schrieben sie große Macht und gewaltigen Einfluß auf Erden zu.70 Die 1337 in Südböhmen (Neuhaus) entdeckten deutschen Waldenser bezeichneten die Sündenabsolvierung Kranker durch ihre Meister mit consolamentum. Wieweit diese Zeremonie der katharischen Praxis entsprach, ist aus der Quelle nicht ersichtlich.71 In den neunziger Jahren verlautet darüber in den Berichten nichts mehr. Sowohl in Mitteldeutschland als auch in Brandenburg, Pommern und in Österreich beherrschte die „Orthodoxie" unangefochten das Feld. Unsere Quellen sind dafür ein beredtes Zeugnis. Einem ganz anderen und weit komplizierteren Fragenkomplex nähern wir uns, wenn wir eine Auskunft auf Grund der Prager und Olmützer Hss. über Verbreitung und Wirk- samkeit der Waldenser in Böhmen und Mähren erhalten wollen. Der Erörterung dieses Problems soll der nächste Abschnitt dienen. 3. Waldenser in Böhmen und Mähren im 14. Jahrhundert Bevor wir in die Erörterung dieser Frage eintreten, ist eine methodische Vorbemerkung unerläßlich. Kann man Traktate und Inquisitionsprotokolle, die sich eindeutig auf österreichische und deutsche Verhältnisse beziehen, als Quellen zur böhmischen Sektengeschichte ver- wenden? Verfallen wir dann nicht in den Fehler A. Neumanns, für den bereits die Existenz von Waldensern erwiesen war, wenn sich in Hss. tschechischer Bibliotheken katholische Gegenschriften fanden? 72 Geht es an, die „Articuli“ in unserer Hs. deut- schen Waldensern in Mähren zuzuschreiben, wie das beispielsweise von V. Chaloupecký geschieht, der ohne Kenntnis dieser Quelle mit einer Berufung auf J. Loserth aus- zukommen glaubt? 73 73 69 P. P. Bernard: Heresy a. a. O., S. 53. 70 Döllinger II, S. 614. 71 Vgl. dazu L. Domečka: Valdenští v jihovýchodních Čechách. Tábor 1921, S. 18, A. 23. 72 A. Neumann: České sekty ve stoleté XIV a XV, Staré Brno 1920; vgl. dazu die Rezension von V. Novotný in der „Časopis Matice moravské“ 45, 1921, S. 113-121. V. Chaloupecký: K dějinám valdenských v Čechách před hnutím husitským, in „Český Čas. Hist.“ 31, 1925, S. 374, Anm. 6. 234

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Isoliert betrachtet sagt unsere Schrift für Mähren oder Böhmen gar nichts aus. Stellt man sie jedoch in den Zusammenhang und berücksichtigt, daß Klöster und Stifte im 14. Jh. eine Art Sammelwut für antihäretische Schriften und Inquisitionsanweisungen an den Tag legten, dann ist das, wie F. Graus schreibt, ein untrügliches Zeichen für die Verbreitung der Ketzerei in diesen Gebieten.74 Der gleichen Meinung ist H. Kaminsky, wenn er schreibt, daß die seit 1390 in den böhmisch-mährischen Hss. zu findenden waldensischen Errores „show not only a preoccupation with heresy but a substitution of Czech for German vernacular elements in the various articles.“ 75 „Sequitur de secta valdensium hereticorum, qui, proch dolor, satis multiplicantur heißt es in einer aus dem Ende des 14. Jh. stammenden Hs. aus Wittingau (Třeboň) 75a Hinzu kommt, daß die jüngste tschechoslovakische Forschung dem Waldensertum einen gewissen Einfluß auf den hussitischen Radikalismus in seiner ersten Phase (1415�1419) zubilligt, nachdem J. Macek in gesunder Reaktion auf die alte bürgerliche Historio- graphie die Waldenser aus der Geschichte des Husitismus überhaupt ausgeklammert hatte. 76 R. Kalivoda geht beispielsweise so weit, von einer husitisch-waldensischen Bewegung zu sprechen, die neben der waldensischen Verwerfung aller kirchlichen Institutionen die Forderung nach dem Laienkelch und dem Huskult in sich schloß. Gleichzeitig habe sich aber schon in dieser Phase das qualitativ Neue der husitischen Strömung gezeigt, nämlich die Massenwirksamkeit. Während das Waldensertum an der Peripherie der gesellschaftlichen Dynamik stand, stieß das Husitentum in ihren Kern vor. Die negative Waldenserkritik verwandelte sich in ein positives Programm einer „evangelischen Gesellschaft“. Noch bei den Wallfahrten auf die Berge begegnet uns waldensischer Pazifismus. „Der fatalistische Chiliasmus war eine besondere Metamorphose des Wal- densertums in einer Zeit, als die negative Kritik nicht mehr genügte, als es eines posi- tiven Programms bedurfte, aber der eingewurzelte ideologische Pazifismus nicht sofort und restlos beseitigt werden konnte ...“ Mit anderen Worten, der Chiliasmus der ersten Etappe negierte und konservierte das Waldensertum in einem, da dies die soziale Situation jener Zeit erforderte.77 In seinem vor kurzem erschienenen Buch präzisiert Kalivoda seine Auffassung dahingehend, daß zwischen 1415 und 1419 in die offizielle hussitische Lehre alle Grundzüge des Waldensertums eingegangen seien. In den Jahren 1415/1416 könne man geradezu von einer Verschmelzung des Hussitentums und der volkstümlichen Waldenserideologie sprechen. Bürgerliche und volkstümliche Häresie seien eins geworden.77a Für H. Kaminsky lag die Bedeutung des Waldensertums 74 F. Graus: Dějiny venkovského lidu v Čechách v době předhusitské, II, Prag 1957, S. 301. 75 H. Kaminsky: Hussite Radicalism and the origin of Tabor 1415-1418. „Medievalia et Huma- nistica“ X, 1956, S. 102-130; 114. 75a Vgl. den „Soupis rukopisů v Třeboni a v Českém Krumlově“ Prag 1958, S. 118 (A 16, fol. 87 v). 76 J. Macek: Tábor v husitském revolučním hnutí I, Prag 1956, S. 153 ff. 77 R. Kalivoda: Vytvoření revoluční ideologie selsko-plebejského Tábora, in „Filosofský Čas.“ 5, 1957, S. 821, 823, 831; derselbe: Husitské myšlení, in „Filosofie v dějinách českého ná- roda“ Prag 1958, S. 57, 59. 77a R. Kalivoda: Husitská ideologie, Prag 1961, S. 296. 235

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weniger in seiner Doktrin, als vielmehr in der Ubermittlung einer „actual world of ideas“, die unter dem Volke über die Taten und Leiden von Generationen glühender Anhänger wirkten. Sie strahlten jedoch nicht nur auf die Unterschichten in der 1. Phase des Hussitentums aus (1415-1418), sondern sie beeinflußten auch die am 28. 9. 1418 zusammengetretene Unionssynode, obwohl sie auf Männer wie Jakob v. Mies bereits ihre Kraft eingebüßt hatten.78 M. Machovcová spricht von einer „waldenserähnlichen“ Bewegung in Böhmen, die Ansichten huldigte wie die radikalen „Armen“, aber aus autochthoner Wurzel ent- sprungen war und nichts mit den deutsch-lombardischen oder französischen Gemeinden zu tun hatte.79 Die zahlreichen Abschriften katholischer Polemiken gegen die Sekte müsse man unter diesem Gesichtspunkt betrachten. Mit dieser Auffassung nähert sich die Verf. dem Standpunkt des Kirchenhistorikers F. M. Bartoš, der jeden Widerhall waldensischer Predigten unter der tschechischen Be- völkerung leugnet, ja überhaupt die Nachrichten über die Waldenser in Böhmen in Frage stellt.80 Es dürfte bei dieser Sachlage nicht uninteressant sein, noch einmal einen Blick in die Quellen zu werfen, um zu einem eigenen Urteil zu gelangen. Beschränken wir uns auf das 14. Jh. und ziehen wir nur Zeugnisse heran, die un- zweifelhaft Auskünfte über unsere Ketzerei geben, dann ist das Material einheimischer Provenienz spärlich. Für uns scheiden dann Aussagen, wie die des Waldenserbischofs Neumeister über die enorme Verbreitung der Sekte in Böhmen aus, da er 1312 bei Wien verhört und verbrannt wurde und keine einheimischen Berichte seine Angaben irgend- wie bestätigen oder zumindest glaubhaft machen.81 Ebenso verhält es sich mit den 14 Häretikern, die 1315 in Prag verbrannt wurden, über deren Lehren wir nur andeutungsweise etwas erfahren und die nur mit viel Phan- tasie als waldensisch deklariert werden können.82 Drei Jahre später beschuldigte der intrigante Leitmeritzer Kanoniker Heinrich von Schumburg den Prager Bischof Johann IV. (1301�1343) an der Kurie der Duldung der Ketzerei, wobei er eine ganze Litanei gefährlicher Irrlehren aufzählt, die in An- griffen gegen kirchliche Dogmen und priesterliche Dignität gipfelten.83 Papst Jo- hann XXII. versandte daraufhin am 1. 5. 1318 Bullen an die Bischöfe von Olmütz, Meißen und Krakau, an den König von Böhmen, die böhmischen Landesherren, die Magistrate der böhmischen und mährischen Städte, den Markgrafen von Meißen und die Herzöge von Krakau und Breslau, in denen er energisches Einschreiten gegen die Häresie verlangte und für die Diözesen Prag und Olmütz zwei Inquisitoren, den Do- 78 H. Kaminsky: Radicalism a. a. O., S. 104, A. 2; 125. 7° M. Machovcová, a. a. O., S. 112. 80 F. M. Bartoš: Husitsví a cizina, Prag 1931, S. 120-122; derselbe: Vznik táborství a val- denství, in „Jihočeský sborník hist.“ 3, 1930, S. 38-48. Er behauptete, in Österreich gäbe es 80 000 Anhänger und in Böhmen nicht weniger : MG SS IX, S. 825. Fontes rerum bohemicarum IV, S. 224. Die Skepsis Bartoš' (Husitsví a cizina, a. a. O., S. 117) besteht hier zurecht. J. Emler: Regesta Bohemiae et Moraviae, III, Prag 1890, S. 174 f., Nr. 431. 81 82 83 236

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minikaner Colda und den Minoriten Hartmann von Pilsen bestellte. Ergebnisse dieser Maßnahmen sind uns aus Böhmen nicht bekannt.84 In den Olmützer Synodalstatuten vom gleichen Jahre werden keine Ketzer erwähnt.85 Es wäre wissenschaftlich nicht vertretbar, von dem Brief Heinrichs auf Waldenser oder andere Sektierer im Prager Bistum zu schließen, denn es besteht der Verdacht, daß es dem Verfasser allein um die Verleum- dung Bischof Johanns ging, den er um sein Amt bringen wollte.86 Johann lag eine Be- günstigung von Häretikern zweifellos fern. Sein Streit mit den Dominikanern um das Inquisitionsrecht hatte ökonomische Gründe, da bekanntlich ein Drittel der eingezogenen Güter von Ketzern dem Inquisitor zufiel.86a Erst 1337 können wir uns auf einen authentischen Bericht über südböhmische Wal- denser im Gebiete der Herrschaft Neuhaus (Hradec), vor allem aus dem Dorfe Groß- Bernarz (Velký Bednarec) stützen. Die Einwohner trafen sich regelmäßig in Scheunen und geheimen Orten, lauschten den Wanderpredigern und legten die Bibel nach waldensischer Sitte aus. Gegen das nächtliche Predigen an verborgenen Orten, in Scheunen, Kellern, Getreide- speichern, Straßen- und Häuserwinkeln, wo die Meister auch Beichte hörten, ereiferten sich ganz besonders die katholischen Apologeten, die dieses Gebahren mit der Lebens- weise von Dieben und Räubern verglichen, die das Licht scheuten, da sie Böses im Schilde führten. In einem anonymen Traktat aus dem Ende des 14. Jh. böhmischer Provenienz wetterte der Autor: „Contra Christum secrete praedicant et paucis hominibus in angulis domo- rum et plerumque noctis tempore, quo ecciam occultissime confessiones audiunt... Contra heresiarchas Waldensium, qui sepius nocte praedicant, quando familia Christiana dormit, quam inter se vocant alienos, i. e. dye ffremden... Contra eosdem, qui prae- dicant in cameris, celariis, granariis, stabullis, occultissimis et clauses, ymmo non solum sunt apostolorum et Christi successores, verum etiam sunt fures et latrones, qui lucem “ 86b odiunt, ad lucem non veniunt, quia mala sunt opera eorum et non in deo facta. 84 Nachweise bei H. Haupt: Waldensertum und Inquisition a. a. O., S. 309 f. 85 Codex diplomaticus et epistolaris Moraviae VI, Brünn 1880, S. 385. 86 Vgl. V. Chaloupecký: Jan IV. z. Dražic, poslední biskup pražský, Prag 1907, S. 54 f. 86a Vgl. Zd. Fiala: Správa a postavení církve v Čechách od počátku 13. do poloviny 14. století. „Sborník historický“ III, 1955, S. 84. 86b U. B. Prag Hs. XIII. E. 7., fol. 180. Der Traktat befindet sich auf den fol. 179v-187. Er enthält die Hauptirrtümer der „orthodoxen“ Gruppe mit umfangreichen Widerlegungen aus dem NT. und den Kirchenvätern. Er ist der „Refutatio errorum, quibus Waldenses destinen- tur, incerto auctore“, hrsg. von Gretser in der MB. 25, S. 302�307, eng verwandt. Gegenüber des von Gretser edierten Stückes aus einer Tegernseer Hs. zeigt die Prager Version wichtige Besonderheiten. Die Uberschrift lautet : „Quomodo sit obuiandum erroribus praedictis. Erroribus Waldensium et istis aliis omnibus est obuiandum.“ Die Kapitel über Kirchengebäude, -schmuck, -gesang, Priesterornate u. Friedhöfe, über die Ablehnung der Hierarchie, der Exkommunikationen, der kirchlichen Vorschriften sowie Indulgenzen und Nachlässen gegen Geld werden weggelassen. (MB. S. 305�306.) Ausführliche Betrachtung finden dagegen ab fol. 185-187 die Verwerfung des Fegefeuers, die Unterscheidung läßlicher und Totsünden sowie die Ablehnung der Totenfürbitten. Diese Artikel fehlen in der Tegernseer 237

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Das von I. Hlaváček entdeckte Fragment des Inquisitionsprotokolles verdeutlicht, daß es sich um verschiedene Ketzergruppen handelte. Die Neuhauser Gemeinden waren Waldenser. Es gab aber auch begardisch be- einflußte Kreise, wie sich aus einem Hinweis bezüglich der Ablehnung der Eucharistie ergibt. Nach den Aussagen zu urteilen, muß es vor allem in Prag viele Waldenser gegeben haben. Auch Königgrätz (Hradec Kralové) fand Erwähnung. Sozial gesehen handelte es sich bei den Vernommenen genauso wie in Steyr und Erfurt um Handwerker und Bauern. Der Nationalität nach waren es Deutsche, was nicht nur die Namen, sondern auch die Abschwörungsformeln in unseren Hss. beweisen.87 1340 kam es um Neuhaus zu einer Bauernerhebung, gegen die Papst Benedikt XII. zum Kreuzzug aufrief, da er sie mit den Waldensern in Verbindung brachte.88 Es ist möglich, daß sich Waldenser daran beteiligten; es ist aber unwahrscheinlich, daß der Aufstand von der Sekte organisiert wurde. Er erfaßte vor allem die tschechischen Bauern und resultierte aus der drückenden wirtschaftlichen Lage.89 Es ist bekannt, daß sich Südböhmen im 14. Jh. zu einem feudalen Krisenherd entwickelte und daß es kein Zufall war, daß sich gerade hier die Stadt- und Landarmut ein militärisches und ideo- logisches Zentrum, Tabor, schaffen konnte. B. T. Rubcov erklärt sich diese Tatsache aus dem Vorherrschen der Geldrente, dem intensiven Eindringen der Ware-Geld- Beziehungen in die Dörfer. Dadurch sei die alte Abgeschlossenheit der bäuerlichen Wirtschaften geschwunden und die ländliche Kommunikation zur Gewohnheit geworden. Weil der südböhmische Bauer nicht an die Scholle gefesselt war, hätten ihn Mutwillig- Hs. Dem Prager Schreiber muß demnach eine andere Vorlage zur Verfügung gestanden haben als seinem bayrischen Kollegen. Beide Versionen wurden unabhängig voneinander abgefaßt. Es bleibt abzuwarten, ob sich in einer deutschen oder tschechischen Bibliothek das Original bzw. die Urkopie noch finden läßt. I. Hlaváček: Inkvisice v Čechách ve 30. letech 14 století, in „Českosl. Čas. Hist.“ 5, 1957, S. 526�538; durch diesen Fund ist die ältere Datierung von F. Menčik und H. Haupt (1340) hinfällig geworden. Auf Prag beziehen sich folgende Aussagen: „Henricus librarius... habet fratrem unum nomine Rudlinum, qui est magister inter hereticos... post hoc venit Pragam ... Kunegundis uxor Philippi tonsoris pannorum in Longa platea Prage (S. 537). Der der Ketzerei angeklagte Prior der Königgrätzer Dominikaner sagte aus: „Interrogatus si est familiaris cuidam mulieris Magdalene, respondit quod sic, et moratur circa quidam Waltherum autorem dictum Propheta de plebe sancti Nicolai Prage et novit eam ab uno anno" (S. 538). Es ist anzunehmen, daß sich auch der Hinweis des gut unterrichteten Flaccius Illiricus, 1330 hätten in Böhmen und Polen Inquisitionen gegen die Waldenser stattgefunden, auf diese Ereignisse bezieht. Die betreffende Stelle in seinem „Catalogus testium veritatis“ lautet folgendermaßen: „In Boemiam, inde porro in Saxoniam, Slesiam, Moraviam et Polo- niam doctrina Valdensium est ante 300 annos disseminata... Fuerunt enim Lombardia ve- luti scholae seu academia... Habeo inquisitionem in Boemia et Polonia contra Valdenses sub rege Joanne circa 1330 domini annum factam, ubi inter alio diserta fit mentio collec- tarum ...“ ed. Sigut, Fr.: Plathea hereticorum v. Opave, in „Slezsky sbornik“ 1955, S. 120, A. 9. J. Emler: Regesta IV, 1892, Nr. 762, S. 302 f. 89 So M. Machovcová, a. a. O., S. 104. 87 88 238

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keiten und Willkür der Fronherren weit härter getroffen als seinen Bruder im Norden. So sei bei ihm Unzufriedenheit und Widerstandswille frühzeitig erwacht.90 Leider findet dieser Erklärungsversuch in den Quellen keine Stütze. Sowohl in Nord- als auch in Südböhmen lassen sich seit dem 13. Jh. Geldabgaben und Roboten beob- achten. Es existierte keine geographische Rentenverteilung! In Anlehnung an die For- schungsergebnisse von F. Graus hat R. Nový noch einmal nachdrücklich festgestellt, daß der Rententypus einzig und allein von der Struktur des Feudalgutes abhing. Wäh- rend auf den geistlichen Grundherrschaften Arbeits- und Geldrente im allgemeinen auch im 14. Jh. nebeneinander fortbestanden, überwog auf den weltlichen Herrschaften eindeutig letztere. In Südböhmen traf das für die Großherrschaft der Rosenberg zu. Ahnliche Beispiele lassen sich für den Norden oder für Mähren finden. Als besonders drückend wurden von den südböhmischen Bauern die über die eigentliche Grundrente hinausgehenden Zehntverpflichtungen empfunden, die zumeist höher als jene waren, z. B. die decima integra, ein Spezifikum für diesen Raum.91 Es gab wohl Besonderheiten der südböhmischen Klassensituation, aber sie lagen auf anderen Ebenen als Rubcov vermutet. Zur Erklärung der in der ersten Hälfte des 14. Jhs einsetzenden Ketzerwelle in Böhmen darf der Wandel der katholischen Kirche im König- reich nicht außer acht gelassen werden. Zu Beginn des Saeculum hatte sich die Kirche, vor allem das Prager und Olmützer Bistum, von den weltlichen Feudalgewalten emanzipiert. Die Bischöfe schalteten und walteten in ihren Diözesen selbstherrlich ohne laikale Einspruchsrechte. Grundbesitzungen und Einnahmen aus Spiritualia warfen enorme Summen ab. Prag war in der Lage 2800 Goldgulden als Hauptservicia zu zahlen, Olmütz sogar 3500. Als 1344 Prag zum Erz- bistum erklärt wurde, hielt auch in Böhmen der kuriale Fiskalismus seinen Einzug. Die Kirche wurde zu einem Finanzunternehmen, in dem alles käuflich war. Die Pfründen- inhaber ließen sich durch arme Geistliche vertreten, denen sie ein geringes Entgelt dafür zahlten. Die Absentia der Kanoniker wurde zur Regel. Aus den Spiritualia war ein reines Handelsobjekt geworden und der Streit zwischen Mendikanten und Weltgeistlichkeit entlarvte die Geldgier des Kleris coram publico. Die Reaktion der ausgebeuteten Schichten in Stadt und Land äußerte sich in Anti- klerikalismus und im Abgleiten in die Häresie, die jetzt erst zu einer Gefahr für die Kirche wurde. Es ist deshalb kein Zufall, daß sich unter Erzbischof Ernst von Pardubitz (1343 bis 1364) die Synoden an erster Stelle mit Kampfmaßnahmen gegen Ketzer beschäftigten und 1343 in aller Form Inquisitoren bestellen. „Es ist das erstemal, daß dies von seiten der einheimischen Kirchenrepräsentanten ge- schah. Bisher war die Initiative in Inquisitionsangelegenheiten immer von der Kurie ausgegangen.“ 91a 91 0o B. T. Rubcov: K otázce o některých zvlaštností vývoje feudální renty v Čechách ve 14. a na počátku 15. století, in „Českosl. Čas. Hist.“ 8, 1960, S. 863. R. Nový: Struktura feudální renty v předhusitských Čechách. „Českosl. Čas. hist.“ 9, 1961, S. 60-74. 91a Zd. Fiala, a. a. O., S. 86; hier sind auch die Belege angeführt. Zum Wandel der Kirchen- struktur am Ende des 13. und zu Beginn des 14. Jh. S. 82-85, 87- 88. 239

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Waldenseropposition und Bauernrevolte waren zwei Etappen des Klassenkampfes, eine passive und eine spontan-aktive. Das soll nicht so verstanden werden, als gäbe es zwischen beiden Phänomen keine Beziehungen, als hätte eine Wand zwischen deutschen Waldensern und tschechischen Bauern existiert. J. Macek kritisiert mit Recht F. M. Bar- toš, der von einem Konnex nichts wissen will.92 Auch Hlaváček meint, daß zwischen ihnen keine unüberwindlichen Schranken bestanden hätten.93 R. Kalivoda leitet sogar aus den südböhmischen Ereignissen den Schluß ab, daß wir es hier mit einem bäuerlichen Typus der waldensischen Häresie zu tun haben, mit einer spezifischen Ideologie untertäniger Bauern.93a Dennoch kann von einer breiten Resonanz unter der tschechischen Bevölke- rung keine Rede sein. Wir begegnen auch in den nächsten Jahren nur Waldensern aus den Reihen deutscher Kolonisten. Die päpstliche Bulle vom 6. 3. 1340 erwähnt diesen Umstand ausdrücklich: "... infini haeretici communiter Theutonici et advenae... in magna multitudine pullularunt...“ 94 Auf sie dürfte sich der Befehl des Prager Konsistoriums an den Burggrafen von Kozí Hrádek (in unmittelbarer Nähe des späteren Tabor) 1377 bezogen haben, einige der Ketzerei verdächtigte Untertanen dem erzbischöflichen Gericht vorzuführen.95 Daß auch unter der deutschen Bevölkerung Südböhmens in der zweiten Hälfte des 14. Jh. die Unruhe wuchs, zeigt das Ausbrechen von zwölf Mönchen und einem Konversen aus dem Zisterzienserkloster Goldenkron (Zlatá Koruna) im Jahre 1367. Der aufrührerische Geist habe sie so weit getrieben, heißt es im Rapport des Abtes, daß sie öfters ohne Er- laubnis ihres Vorgesetzten in den Krankenflügel eindrangen und sich hier an Fleisch- speisen bis zum Ubermaß gütlich taten. Den Prior, den Kämmerer und Kellerer rannten sie über den Haufen und brannten schließlich den Krankenbau nieder. Dann erst ver- ließen sie das Kloster „per mundum incedunt apostando et temero evagando in dicte religionis scandalum et perniciosum exemplum plurimorum“.96 In einem Fragment aus dem Stift Klosterneuburg bei Wien wird ein Jahr später (1368) ein gewisser Johann von Prag angeführt, bei dem es sich auf Grund der voraus- gehenden Beschuldigungen um einen Waldenser gehandelt haben muß.97 Um die gleiche Zeit tauchten um Pilsen (Plzeň) und Bechyně Waldenser auf, die seit Generationen hier Fuß gefaßt haben sollen.98 92 J. Macek: Tábor I, a. a. O., S. 155, Anm. 85. 93 I. Hlaváček, a. a. O., S. 535. 93a R. Kalivoda: Husitská ideologie a. a. O., S. 263. 94 O. Rinaldi: Annales ecclesiastici XXV, Paris 1887, S. 220, Nr. 72. 95 F. Tadra: Acta iudiciaria consistorii Pragensis I, Prag 1893, S. 215. 96 Monumenta Vaticana. Res gestas bohemicas illustrantia III, Prag 1944, Nr. 872 (2. 11. 1367). „Item attestatur de Praga Johannes qui dixit, nihil credere...“ Es folgt eine Lücke, Döllinger II, S. 352. Diese Notiz hat nichts mit Johannes Leser, mit der sie Döllinger fälsch- lich in Beziehung bringt, zu tun, wie T. Kaeppeli und A. Zaninović nachgewiesen haben: Traités antivaudois dans le manuscrits de la bibliothèque des dominicains de Dubrovnik, in „Arch. Fratr. Praed.“ 24, 1954, S. 298, Anm. 8; S. 299. 98 V. Chaloupecký: K dějinám, a. a. O., S. 372. 07 240

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Welche Sekte 1381 in Pisek beheimatet war, ist nicht exakt feststellbar, da die Prager Konsistorialakten nur melden, der Priester Johl von Pisek könne nicht ordiniert werden, da sein Vater und Großvater als Ketzer abgeurteilt worden wären.99 1393/94 wurden in Prag drei deutsche Waldenser verhört. Die wenigen Bruchstücke des darüber angefertigten Inquisitionsprotokolles hat J. Truhlář 1899 ediert.100 Jakob v. Petrikau stellte 1395 in Prag 20 häretische Lehrsätze der Waldenser zusammen, aus denen ersichtlich ist, daß um diese Zeit ihr Einfluß in Böhmen zugenommen hatte und daß sie in ihren Predigten offen gegen den Antichrist auftraten, wobei sie ihrer Hoffnung Ausdruck gaben, Henoch und Elias würden bald der geschundenen Christenheit zu Hilfe kommen.100a Für Mähren besitzen wir aus der Jahrhundertmitte Anweisungen des Prager Erz- bischofs für die Olmützer Diözese hinsichtlich einer regelmäßigen Ketzeraufspürung: „In visitatione autem ipsa specialiter inquirant de hereticis suspectis in fide, sortilegis et censure ecclesiastice contemptoribus.“ 101 Ein Beweis für die Existenz von Waldensern ist das nicht. Auch die Tatsache, daß Johann von Olmütz in Österreich bis zur Uber- nahme des mährischen Bistums 1364 Waldenser verhörte, ist kein Zeugnis für Ge- meinden in Mähren. 102 Dagegen konnte der von Bischof Johann VIII. von Neumarkt (1364-1380) berufene Dominikaner Albert aus Olmütz 1365 in Znaim gegen Waldenser einschreiten. 1370 zitierte sein Nachfolger Johann Klenklok Ketzer vor sein Tribunal.103 Im Jahre 1381 erhielt Bischof Peter III. Jelito einen Brief vom Prager Erzbischof Jo- hann VI. (1379-1395), in dem dieser klagt: „Baldensium heresiarchum superseminata zyzania adeo crevit, ut iam difficultas sit extirpare tanta mala et magnus timor evellendi eosdem.“ 104 Hat der Metropolit damit böhmische „Arme“ im Auge, etwa in Pisek? Wir wissen es nicht. Es schien ihm auf jeden Fall angebracht, Peter die Gefahr recht drastisch auszumalen, da er wußte, daß sein Amtsbruder den irdischen Annehmlich- keiten mehr Aufmerksamkeit schenkte als kirchlichen Obliegenheiten. Er liebte das Geld, feurige Liebesgedichte, disputationes mulierum und nicht zuletzt erlesene Speisen und Weine in großen Quantitäten, wodurch die „crassitudo corporis“ bereits ein Aus- 99 Zitiert bei H. Haupt: Waldensertum, a. a. O., I, 1839, S. 319. 100 J. Truhlář: Paběrky z rukopisu Klementinských, in „Vestník České Akad.“ VIII, S. 353 bis 357; es heißt hier: „... nec non toti ac universali Romani sancte matri ecclesie ... nunquam communicabor cum hominibus secte Waldensium et cuiuscumque...XXVI mensis Augusti dominu inquisitor in stuba curie archiepiscopalis Pragensis." 100a Text bei R. Holinka: Sektářství a. a. O., S. 181. Vgl. dazu neuerdings A. Molnár: Die eschatologische Hoffnung der böhmischen Reformation, in J. L. Hromádka „Von der Refor- mation zum Morgen“, Leipzig 1959, S. 81. B. Dudik: Statuten des Metropoliten von Prag Arnošt von Pardubic für den Bischof und das Capitel von Olmütz, „Arch. f. öster. Geschichtsforschung“ 41, 1869, S. 207. 102 Anders R. Holinka: Sektářství, a. a. O., S. 86. 103 Belege bei R. Holinka, a. a. O., S. 86. 104 J. Loserth: Beiträge zur Geschichte der hussitischen Bewegung, „Archiv für österr. Ge- schichtsforschung“ 55, S. 368. 101 241

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maß angenommen hatte, daß ihm der Erzbischof unbedingt „ieiunia et castigaciones" empfehlen zu müssen glaubte.105 Im Jahre 1392 erging vom gleichen Absender ein Mahnschreiben an den Olmützer Bischof Nicolaus von Riesenburg (1388—1397) wegen der Pflege der Inquisition, „ut in agro sibi subdito ad sublimacionem prosperam ipsius ecclesie extirpato lolio cuiusvis hereseos firmetur stabilitas fidei orthodoxe“ 106. Gab es nun aber einen Anlaß zum Ein- greifen der Inquisition? Die beiden Briefe Johanns sind an und für sich nicht dazu an- getan, Waldensergemeinden in der Diözese nachzuweisen. Aus dem Jahre 1394 besitzen wir von Bischof Nicolaus zum Glück ein beweiskräftiges Stück. Es ist ein Brief an Papst Bonifaz IX. (1389—1404), der knapp mitteilt, daß in der Stadt und Diözese Olmütz Waldenser wären, die gern zum katholischen Glauben zurückkehrten, aber wegen der von Benedikt XII. erlassenen Konstitutionen ohne be- sondere Genehmigung der Kurie nicht absolviert werden könnten. Nicolaus bittet des- halb um Erlaubnis für sich oder einen Stellvertreter, Absolution und Penitenz erteilen zu dürfen. 107 Das heißt also, daß um die gleiche Zeit, in der in Pommern, Brandenburg und Österreich von der Inquision Großfahndungen durchgeführt wurden, auch in Mähren Waldenser vor Gericht standen. Wahrscheinlich gaben sie die Veranlassung zur Ko- pierung von O. Nach den Abschwörungsformeln und den analogen Fällen in Böhmen zu urteilen, waren es auch dieses Mal Deutsche. Der uns bereits bekannte Wiener Kanoniker Peter von Pilichdorf gibt in seinem Traktat gegen die Waldenser für 1395 folgendes Verbreitungsgebiet der Häresie an: Thüringen, die Mark Brandenburg, Böhmen, Mähren, Österreich und Ungarn.107a Sein Wissen basierte auf dem Studium der österreichischen Prozesse und seinen Ver- bindungen zu Peter Zwicker und Martin von Prag. Ein ähnliches Bild wie in Böhmen und Mähren ergab sich sechs Jahre später in der Slovakei. 105 Codex dipl. et epist. Moraviae XI, 1885, S. 208. Codex dipl. XII, 1890, S. 100 (23. 12. 1392). „Beatissime pater! Cum in civitate et diocesi Olomucensibus sunt heretici de secta Walden- sium, qui libenter ad unitatem ecclesia redire vellent, sed propter constitucionem sancte memorie domini Benedicti pp. XII. et eius penas absolvi non possunt sive licencia apostolice sedis speciali, supplicat igitur Sti. Vre. devota creatura Nicolaus episc. Olomucensis, qua- tenus sibi concedere dignemini, quod ipse per se vel alium eosdem absolvere posit iniuncta eis penitencia salutari, non obstantibus predicta constitucione et aliis contrariis quibuscum- que, cum clausulis oportunis.“ Monumenta Vaticana t. V, Prag 1903, S. 469. Zu den Poenitentiaria Apostolica und dem Kardinalgroßpönitentiar, dessen Wirkungskreis 1338 von Benedikt XII. näher umschrieben wurde, ist zu vergleichen H. E. Feine: Kirch- liche Rechtsgeschichte I, Weimar 1955, 3. Aufl., S. 286 f. mit weiterer Literatur. 107a „Quare non perstitisti cum ouibus in Turingia, Marchia, Bohemia, Morauia, ubi Dei gratia, jam infra spatium duorum annorum, circa mille personas, haeretici Waldenses, ad fidem Catholicam sunt conuersi? Quare non venis ad Austriam et Ungariam, ubi spes est inqui- sitionibus haereticae prauitatis, plures item quam mille personas tuorum credentium fore de faucibus Leuiatham extrahendos?“ MB. 25, S. 281, cap. XV. Hs. XIII. E. 5. zählt nur Turingia, Boemia u. Morauia auf, läßt also Marchia weg (fol. 157). 106 107 242

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Hier spürte der unermüdliche Peter Zwicker 1400 in Trnava bei Preßburg (Bratis- lava) Waldenser auf („interrogata respondit, quod fuerant de secta Waldensi“), die zum österreichischen Missionsgebiet (Asbach) gehörten und zu den deutschen Kolo- nisten zählten. 108 Die Geschichte des Waldensertums in den Ländern der heutigen CSSR ist demnach unlöslich mit der deutschen Kolonisation und Expansion verbunden. In dieser Hinsicht bestätigen unsere Untersuchungen die Feststellung von F. Graus, daß dort, wo wir organisierten Ketzergemeinden - wie den Waldensern - begegnen, es sich um deutsche Einwohner handelte, vollauf.109 In den meisten Fällen werden die Neuankömmlinge ihre religiösen Vorstellungen aus ihrer alten Heimat mitgebracht haben. L. Domečka spricht sogar davon, daß die Kolonisation Südböhmens mit der Flucht bayrischer und süddeutscher Waldenser vor der Inquisition in unmittelbarem Zusammenhang stehe. 110 Auch die den Kolonisten folgenden und von deren Pionierarbeit profitierenden Zister- zienserklöster brachten Mönche deutscher Zunge mit. Vor allem traf das für die Vollmönche zu, während sich die Konversen nach und nach aus tschechischen Bauern rekrutierten. Besonders deutlich sehen wir das in der ältesten Niederlassung, in Sedletz bei Kuttenberg (Kutná Hora) 111, oder in Goldenkron (Zlatá Koruna) in Südwestböhmen 112, und Velehrad in Mähren 113, um nur einige Beispiele zu nennen. Wenn nun aber F. Graus schreibt, daß die sich um die deutschen Kolonistendörfer gruppierenden Waldensergemeinden isolierte Organismen ohne größeren Einfluß auf ihre Umwelt blieben, so ist das zu einseitig gesehen und ich vermag ihm nicht zuzu- stimmen. Graus hat selbst nachgewiesen, daß die Binnenkolonisation im 13. u. 14. Jh. ein national gemischter Prozeß war, d. h., daß sich an ihm Deutsche und Tschechen in gleicher Weise beteiligten. Die Lokatoren entstammten sowohl deutschen als auch tschechischen Familien.114 Sollten unter diesen Umständen die tschechischen Bauern keine Kunde von der neuen Lehre der „Gäste“ erhalten haben? Wenn sich in Städten wie Prag Waldenser versammelten und Missionare empfingen, wobei die Inquisition mehrfach eingriff, sollten davon die tschechischen Handwerker unberührt geblieben sein? 103 J. Truhlář: Inkvisice Waldenských v Trnavě r. 1400. „Český Čas. Hist.“ 1903, S. 196 bis 198. Aus dem Fragment des Protokolles geht hervor, daß Martin u. Peter auch zu Inqui- sitoren für die Diözese Gran bestellt worden waren: „Nos fr. Petrus provincialis ord. Ce- lestinorum per Alemaniam et Martinus presbiter, inquisitores heretice pravitatis per provin- ciam Strigoniensem. An deutschen Namen kommen vor: Elsa Saummeria (?), Hensel, Weber 109 F. Graus: Dějiny, a. a. O., S. 302. Jäckel, Preuer, Ortolf. L. Domečka: Valdenští v jihovýchodních Čechách. Tábor 1921, S. 3. J. Čelakovky — V. Vojtišek: Klášter sedlecký, jeho statky a práva v době válkami husitskymi. Prag, 1916, S. 17 f. 112 J. Kadlec: Dějina kláštera Svaté Koruny. České Budejovice 1949, S. 47. 113 R. Hurt: Dějiny cisterciáckého kláštera na Velehradě I: 1205-1650. Olmütz 1934. S. 92. 114 F. Graus: Dějiny, a. a. O., S. 100 f. 110 111 243

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Das ist wenig glaubhaft. H. Kaminsky gibt zu bedenken, daß sich die religiösen und sozialen Probleme der tschechischen Bevölkerung in nichts von denen ihrer deutschen Nachbarn unterschieden.115 Diese Feststellung trifft allerdings nur für die unteren Klassen zu, und es wäre falsch, allgemein von Deutschen und Tschechen zu sprechen ohne Berücksichtigung der Klassen- struktur. Die von R. Kalivoda analysierten chiliastischen Phasen zu Beginn der Revolution be- weisen, daß 1415 das Waldensertum unter der tschechischen Bevölkerung Anhänger besaß, ja, daß es innerhalb des volkstümlichen Radikalismus zwei Fraktionen gab, die husitisch-waldensische und die chiliastische kat’ exochen.116 Daß die Waldensersekte um diese Zeit noch Anhänger in Böhmen besaß, zeigt nicht zuletzt ein anonymer Traktat „Contra hereticos“, der in der Hs. O III, fol. 1657 —168 der Prager Kapitelbibliothek überliefert ist und von A. Neumann ediert und auf das Jahr 1415 datiert wurde.117 Er handelt in 12 Punkten die Hauptlehren der orthodoxen Gruppe ab, um mit folgen- dem Hinweis zu schließen: „Et auctoritates supradicte sunt contra hereticos, qui in Austria prius et nunc in Boemia pullularunt“.118 F. Graus fand bei der Analyse der Predigten Jan Zelivskýs Waldenseranschauungen, etwa hinsichtlich der Verwerfung der Todesstrafe.119 1419 zitierte Želivský in einem seiner Konzepte folgende Herrenworte und stellte sie der unchristlichen Praxis der Priester gegenüber: „Sic nunc sacerdotes non intelligunt nec sciunt, quid loquitur, cum dicit: omnino nolite iurare, occidere, nolite aurum possidere etc., sed principibus statim intelligent cum eis dicunt: iura, vel: Accipe census.“ 120 Waldensisch ist auch seine Stellungnahme gegen das Schwören, das er mit dem Evan- gelium als unvereinbar betrachtete : „Ut de communione calicis ad omnes, et contra dotacionem nolunt obediunt et sic “ 121 evangelium blazfemant." 115 H. Kaminsky: Radicalism, a. a. O., S. 114. 116 R. Kalivoda: Vytvoření revoluční ideologie, a. a. O., S. 860, A. 43. 117 A. Neumann: Nové doklady k dějinám Valdenských v Čechách. „Čas. katolického ducho- venstva“ 66, 1925, S. 675, 679 f. Den Priestern wird jede cura animarum abgesprochen, da sie Besitz haben u. sich auf keine Autorität dafür berufen können. Bilder- und Reliquienkult, Kirchenschmuck, Totenfürbitten, Fegefeuer u. Schwören sind ihnen Greuel. Als einziges Gebet findet das Vaterunser vor ihren Augen Gnade. Das Recht zum Beichtehören u. Predigen billigten sie allein ihren Meistern zu. F. Graus: Chudina městská v době předhusitské. Prag 1949, S. 149, A. 6. Weitere Beispiele bei H. Kaminsky: Radicalism, a. a. O., S. 125, A. 5. 120 F. Truhlář: Kázaní kneže Jana Želivského z r. 1419. „Český Čas. Hist.“ 9, 1903, S. 199. Neuausgabe der Konzepte durch A. Molnár: Dochovaná kázání Jana Želivského z roku 1419. Prag 1953, S. 62 (105-107). 121 A. Molnár, a. a. O., S. 210 (279-281). 118 119 244

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E. Maleczyńska behauptet, daß sich Jan die chiliastisch-taboritischen Forderungen, nur Christus käme auf Erden königliche Gewalt zu, nicht zu eigen gemacht habe.122 Das Bemühen der Verfasserin, Želivský den taboritischen Chiliasten gegenüberzu- stellen und von ihnen abzugrenzen, dürfte zum Scheitern verurteilt sein, da es in den Quellen dafür keine Stütze gibt. Im Gegenteil, der Prager Zelot stellte sich noch im Januar 1421 hinter seine taboritischen Freunde, als bereits ein allgemeiner Angriff gegen sie begann.123 Jan war gleichfalls Sprecher der Armut, wobei er allerdings die kleinen Handwerker in sein Programm mit einbezog und den Vorstellungen der radi- kalen städtischen Opposition entgegenkam. Unter diesem Aspekt flossen ihm Waldenser- lehren zu, die so weit gingen, daß die Forderung „Du sollst nicht töten“ im rein sektiere- rischen Sinne beibehalten wurde, weshalb die nowendig gewordene blutige Arbeit zur Wiederherstellung des göttlichen Gesetzes himmlischen Mächten zugeschoben wurde, zumindestens 1419.123a Unter diesem Gesichtspunkt kann man Kalivoda beipflichten, wenn er schreibt, daß Želivský ideologisch auf dem Boden der bürgerlichen Opposition blieb.123b Anklänge an radikale Waldenserthesen lassen sich bei einem weiteren städ- tischen Eiferer aus dieser Zeit finden, bei Václav Koranda aus Pilsen. Im Jahre 1417 erhielt er einen Brief von dem Prager Magister Christian von Prachatitz, in dem es u. a. hieß: „Nachdem es dem schnöden Teufel nicht gelungen, durch Bann, Interdikt und Verketzerung die Einheit der Husiten von außen her zu zerreißen, hat er Unkraut unter den Weizen gesät und etliche aus der Eintracht in der Lehre mit den Brüdern abtrünnig gemacht und zum Widerspruch gegen die Lehrmeinungen und Schriften der Prager Magister angereizt, obgleich sie die Wahrheit enthalten. Einige leider, die eifern, aber mit Unverstand, schlagen die brüderlichen Ermahnungen der Magister, die so oft an sie ergangen sind, in den Wind und folgen ihrem eigenen Kopf und den ungelehrten Leuten beiderlei Geschlechts, die so vielfach unter dem Schein der Frömmigkeit die Herzen vieler Unschuldiger verletzen, wenn sie raten, kein Fegefeuer anzunehmen, für die Ver- storbenen nicht zu beten, die Heiligen nicht um Fürbitte anzugehen, das Salve regina nicht zu singen, die Reliquien der Heiligen auf den Misthaufen zu werfen, ihre Bilder zu verbrennen und sich überhaupt um die Zeremonien und Kirchengebräuche nicht zu kümmern, da es menschliche Erfindungen seien, sondern vielmehr in allen Stücken den Gebräuchen der Urkirche zu folgen.“ 124 Die Parallelen zu den „Articuli Waldensium“ sind zu offensichtlich, als daß man von Zufälligkeiten sprechen könnte. F. M. Bartos behauptet allerdings, daß die in dem Briefe angeführten Irrtümer nicht auf die Waldenser, sondern vielmehr auf Peter Payne zurück- gingen und bereits 1415 Anlaß heftiger Polemik an der Universität gewesen wären.125 122 E. Maleczyńska: Ruch husycki w Czechach i w Polsce. Warschau 1959, S. 391�393. 123 In diesem Sinne wird Maleczyńska von J. Macek zurechtgewiesen, der sich in einer längeren Rezension sehr kritisch mit den Schwächen des Buches auseinandersetzt: „Českosl. Čas. hist.“ 9, 1961, S. 82�90; bes. S. 88. 123a Vgl. R. Kalivoda: Husitská ideologie a. a. O., S. 312. 123b Ders. a. a. O., S. 415, A. 72. 124 Das Schreiben ist gedruckt bei F. Palacký: Documenta Mag. Joannis Hus..., Prag 1869, S. 633 f. Zur Datierung vgl. R. Holinka: Sektářství, a. a. O., S. 150 und J. Macek: Tábor I, 125 F. M. Bartoš: Do čtyř pražských artykulů. 1932, S. 532. S. 188, A. 55. 17 245

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Dem ist jedoch nicht so. Das beweist nämlich eine Zusammenstellung von häretischen Lehren durch den Universitätskanzler Jesenitz vom 25. 1. 1417, wie sie unter dem Ein- fluß des Agitators waldensischer Ideen in Böhmen, Nikolaus v. Dresden, auch Jakob v. Mies vertrat. Hier heißt es nun: „Conclusiones Jesenic, quas posuit sub a. 1417 in die conv. s. Pauli in lectorio ordi- nariarum. quia purgatorium est 1° 20 2° quia suffragia existentibus in purgatorio prosunt 30 quia debent ymagines adorari, coli, venerari 3% 4° quia papa potest adorari et eciam coram ipso flecti nec talia facientes sunt ydolatre 50 quia conciliis est credendum 5 6" quia consuetudinibus ecclesiarum non est contradicendum 70 osculantes ymagines non sunt ydolatre 8° quia eciam ymagines debent decorari propter augendam devocionem, quia plus afficitur ad ymagines pulcras quam deformes 9° quia propter abusum hominum nullo modo debent destrui ymagines.126 Es ist bekannt, daß Nikolaus nach der Verurteilung Hussens in Konstanz seine lite- rarische Aktivität verstärkte und seine Verbindung waldensischer Ansichten mit den hussitischen Glaubenssätzen erstrebte.127 Der gemäßigte Flügel der Hussiten sah jedoch in den Waldensern keinen Teil der Kirche Christi. Mit der zunehmenden Radikalisierung der Bewegung grenzte sich der rechte Flügel bewußt von den alten und neuen Ketzern ab, wie etwa der mährische Hussit Johann Laurentius aus Račic in seiner Quaestio gegen den Doleiner Mönch Paul v. Prag. Er schreibt, daß sich die hussitische Auffassung von der Kirche von den Sekten der Leonisten, Ortlieber und Runcarii unterscheide. Diese behaupteten, daß die ecclesia nicht heilig sei. Sie beschimpften sie als Hure, verleumdeten und verlachten sie samt ihren Einrichtungen. So würden sie die Messe Höllengeheul nennen oder sagen, daß Fasten, Feiertage, Weihwasser, Taufe, Sündennachlaß, letzte Ölung usw. von den Prie- stern wegen ihrer Habgier und ihres Hochmutes erfunden worden seien. Ihrer Meinung nach könne sich eine Kirche nicht heilig nennen, wenn sie von unzüchtigen, ehebreche- rischen, versoffenen, wucherischen, geizigen und hochmütigen Priestern geleitet würde. Vielmehr sei sie eine Hure, die mit dem Teufel Unzucht treibe. Derartiges oder Ahnliches hätten die Hussiten niemals gelehrt.128 H. Kaminsky sieht in dem Schreiben ein wichtiges Dokument für den Gegensatz zwischen Universität und volkstümlicher Häresie. Christian 126 Bartoš in der 2. Auflage seiner Studie vom Jahre 1940, S. 66 f., wo er die Sätze abdruckt. Das Olmützer Kapitel hatte sich im Oktober 1416 in Konstanz über die Verbreitung dieser Lehren in Mähren beklagt. Vgl. dazu neuerdings P. de Vooght: L'hérésie de Jean Huss. Bibl. de la Revue d'hist. eccles. fasc. 34, Louvain 1960, S. 470 f. Die Quaestio lautet: „Utrum sancta ecclesia catholica preter esse temporale et creatum complectens statum fidelium utrius que testamenti habeat esse causale, ydeale, exemplare et eternum.“ Die Hs. wurde von Odložilík, O.: Z počátku husitsví na Moravě. Šimon z Tišnova a Jan Vavřincův z Račic. Časopis matice moravské, 49, 1928, S. 1-170, ausgewertet. Die von mir zitierten Stellen befinden sich auf S. 99 f. 127 128 246

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sei es um die von den Magistern gesteuerte Reformbewegung gegangen, die Gefahr lief, sich in Sektierertum alten Stils aufzulösen, was einer Negation der mittelalterlichen Kultur gleichgekommen wäre. Die Gelehrten wollten diese Kultur wohl reformieren und reinigen, aber nicht aufheben, sondern bewahren. Die Waldenser dagegen liefen gegen den traditionellen Ordo Sturm, da er ihnen per se Sünde, Heuchelei und Antichristlich- keit war. „Es handelte sich um einen Konflikt zwischen Kathedral- und Scheunen- kultur.“ 129 Der Autor simplifiert die Dinge. Wo er „Kulturkampf“ sieht, ging es um Klassen- kampf. Die aufeinanderprallenden Meinungen waren Ausdruck antagonistischer Klassengegensätze, wie sie zwischen Stadt- und Landarmut, bürgerlicher Opposition und Feudaladel bestanden und in den ideologischen Strömungen des Husitentums ihren Niederschlag fanden. Das siegreiche Taboritentum pflegte echte Volkskultur, die wohl den Prager Magistern verächtlich erscheinen mochte, die aber weit mehr zum Schatz tschechischer Nationalkultur beitrug, als der lateinische Scholastizismus. In den rein deutschen Gebieten Westböhmens existierten auch nach dem Sieg der husitischen Revolution Waldensergemeinden, wie eine im Januar 1428 gegen sie in Eger durchgeführte Untersuchung beweist. Leider berichtet unser Gewährsmann, vermutlich Martin von Plan, nichts Näheres darüber, sondern er begnügte sich mit der trockenen Feststellung: „finita est repropatio Waldensium hereticorum in Egra“. Darauf folgt eine Aufzählung von 39 (nicht 40 wie bei Neumann) Artikeln, die völlig von denen aus den 90er Jahren des 14. Jh. über- lieferten abweichen. Die Behauptung A. Neumanns, es bestände zwischen den Häretikern von 1391 und 1428 eine ununterbrochene Kontinuität, muß zurückgewiesen werden. 130 Während die aus den 90er Jahren stammenden Lehren eindeutig der „orthodoxen" Richtung angehörten, haben wir es bei den Sätzen von 1428 mit waldensischem Syn- kretismus, also mit „Heterodoxie“ zu tun. Die reale Gegenwart Christi in der Eucharistie wurde verworfen und das Sakrament der Ehe als Hurerei abgelehnt. Nur der außereheliche Geschlechtsverkehr fand Billi- gung. Vor dem Töten bestand eine unüberwindliche Scheu, so daß nur gefallene Tiere genossen werden sollten. Das A. T. hatte jeden Wert verloren, da mit der Verkündung des Evangelius „omnia vetera“ überwunden waren.131 Die dualistisch-katharischen Einflüsse liegen bei diesen Anschauungen auf der Hand, wenn man etwa an die antisakramentale Haltung, die Abwertung der Ehe oder den Horror vor dem Töten denkt.132 129 H. Kaminsky: Radicalism, a. a. O., S. 120. 130 A. Neumann: České sekty, a. a. O., S. 61 f. 131 Vgl. den Anhang Nr. II. Die Vermutung, daß der Planer Pfarrer der Autor ist, äußerte V. Chaloupecký, a. a. O., S. 381, A. 2. In der Hs. befindet sich aber kein Hinweis. Für letzteres sei die Theorie der französischen Katharer angeführt : „Item dicunt, quod inter- ficere aliquam bestiam vel avem, exceptis piscibus et sexcupidibus et pulicibus et huismodi, sit peccatum et si quis interfecerit agnum vel avem et huiusmodi talia, peccaret.“ Döl- linger II, S. 323. Die Egerer Waldenser gestatteten sich nicht einmal den Fischfang, waren in diesem Punkte also radikaler als die Albigenser. 132 175 247

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Andererseits wurden jedoch Hauptdogmen und Lebensweise der Waldenser bewahrt. Ihre Bezeichnung lautete „pauperes de Lugduno“. Wanderapostel, die perfecti, leiteten die Gemeinden, erläuterten den imperfecti das N. T. in der Volkssprache und hörten Beichte. Die einfachen Gläubigen unterschieden sich in ihrem Außeren in nichts von den Katholiken. Sie besuchten die Kirche, kommunizierten, zahlten den Zehnt, opferten, hielten die kirchlichen Feiertage usw., aber sie trafen sich regelmäßig, um die Lehren der Meister zu hören. Unser Autor gibt zum Schluß den rechtgläubigen Geistlichen noch einen Hinweis, wie man rasch und ohne Mühe einen Waldenser erkennen könnte : „Bereite ihm einen Trunk und sage ihm, er solle im Namen des heiligen Martin trinken. Du wirst bald sehen, daß er die Farbe wechselt, blaß wird und nicht trinkt." In den Frageformeln der deutschen Inquisition spielte der Glaube an St. Martin stets eine Rolle.133 Wie steht es mit der Originalität unserer Artikel? Von den 39 Glaubenssätzen ent- sprechen 26 fast wörtlich den von Döllinger aus einer Würzburger Hs. des 14. Jh. edierten und auf den Traktat des Pseudo-David von Augsburg zurückgehenden Irr� tümern.134 Allerdings sind unsere Artikel ab Nr. 26 ausführlicher und klarer als die deutsche Vorlage.135 Ob diese Tatsache mit Autopsie des Verfassers zusammenhängt, läßt sich nicht sagen. Wir dürfen nicht vergessen, daß wir es keineswegs mit einem Inquisitionsprotokoll zu tun haben, sondern nur mit einer Zusammenstellung häretischer Lehrsätze aus Anlaß entdeckter und verhörter Ketzer. An der Existenz von Waldensern in Eger zu zweifeln, liegt kein Grund vor. Ort und Jahr können von dem Autor nicht aus der Luft gegriffen worden sein. Die Benutzung der deutschen synkretistischen Tradition beweist m. E., daß 1428 in Westböhmen „heterodoxe“ Waldenser Fuß gefaßt hatten. Ob sie allerdings alle 39 Thesen in der vorliegenden Form vertraten, scheint mir sehr fraglich. Eger war 1417 im Einverständnis mit König Wenzel in den Schutz Siegmunds ge- nommen und erst 1453 wieder eng an die böhmische Krone gezogen worden. Die Stadt beteiligte sich 1422 an dem „Kreuzzug“ gegen Saaz und erlebte 1429 eine Belagerung, von der sie sich nur durch Zahlungen an den Taboritenhauptmann Prokop den Kahlen befreien konnte. 1431 und 1432 diente sie als Verhandlungsort zwischen der Konzils- partei und den Hussiten.136 Kirchlich unterstand sie der Regensburger Diözese. Die Aufspürung von Waldensern durch geistliche Behörden dürfte den herrschenden Kreisen bes. dringlich erschienen sein, da ihre antikirchliche Haltung den Verdacht eines Zusammengehens mit den husitischen „Ketzern“ nahelegte. Ohne Zweifel erhielten 133 „Credis ne sanctum Martinum esse salvatum et eius animam esse in regno coelorum? Vis bibere in nomine sancti Martini?“ Döllinger II, S. 334; U. B. Prag XIII. E. 7. fol. 77v 134 Vgl. Döllinger II, S. 328-329. 135 So A. Neumann: České sekty, a. a. O., S. 56. 136 Vgl. K. Siegl: Eger und das Egerland im Wandel der Zeiten. Eger 1931, S. 49�56. 248

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die deutschen Waldensergemeinden in Böhmen durch die husitische Revolution neuen Auftrieb, da es viel Verwandtes zwischen ihren Lehren und der husitisch-taboritischen Ideologie, etwa hinsichtlich der Ablehnung der katholischen Hierarchie und ihrem Apparat, gab. Wie stark der husitische Einfluß auf die romanischen Waldenser war, ist bekannt. Man denke etwa an die Beziehungen des Lukas von Prag zu den italienischen Gruppen 1498 oder den Aufstand in Paesana 1510 gegen die Feudalherren, in dem die Waldenser auf militärische Unterstützung eines eschatolotischen böhmischen Königs hofften. Um 1520 übersetzten die französischen Waldenser den husitischen Traktat „De matrimonio" ins Provenzalische, um hier nur einige Beispiele anzuführen. 137 Es gehört zu einem Charakteristikum der böhmischen Situation seit der Mitte des 14. Jh., daß sich mit den Klassenkämpfen aller Formen als Massenerscheinung zugleich die als waldensisch anzusprechenden Irrlehren in aller Öffentlichkeit ausbreiteten, eine gewisse Legalität erlangten, wie Machovcová hervorhebt. Konrad von Waldhausen, der seit 1358 in Prag wirkte, sagte einmal zu den Herren gewandt: "...wenn ihr alle jene, die der Ketzerei verdächtig sind, verbrennen ließet, dann richtetet ihr euch selbst zugrunde, denn jeder Bauer würde euch fliehen.“ 138 Das böhmische Waldensertum ging freiwillig und mit Enthusiasmus im Hussitentum auf, da es in ihm die mobilisierende Kraft und das Inspirationsmittel entdeckte, die ihm fehlten. Es fand daher gewissermaßen im Hussitismus seine nationale Form.139 Selbstverständlich waren weder Waldenser noch Freigeister in der Lage, dem Land- volk einigende Ideologie, ein mitreißendes Symbol zu geben. Erst Hus demonstrierte durch seine Worte, mehr noch aber durch seinen Märtyrertod, daß man gegen die Kirche kämpfen müsse, wolle man sie überwinden. Er war es, der die Grundlagen für eine revolutionäre Ideologie legte, die in Tabor geboren wurde. Es ist richtig, daß das Taboritentum etwas qualitativ Neues darstellte und nicht aus einer Addition von Wiclifismus † Waldensertum + tschechischen Reformismus hervor- ging 140, aber andererseits entsprang diese revolutionäre Ideologie auch nicht fertig und voraussetzungslos, traditionsfrei wie Pallas Athene gerüstet aus dem Haupte des Zeus! 137 138 140 Zu diesen Fragen ist zu vergleichen A. Molnár: Luc de Prague et les Vaudois d'Italie. „Bollettino della Società di Studi Valdesi“ 90, 1949, S. 40-64, ders.: Hus' De matrimonio and its Waldensian Version. "Communio Viatorum“ Prag 1958, I, S. 142-157. Zitiert im „Přehled československých dějin“ I, Prag 1958, S. 162. 139 So R. Kalivoda: Husitská ideologie, a. a. O., S. 304. Zu diesen bürgerlichen Forschungsmethoden J. Macek: Tábor I, S. 158. H. Kaminsky spricht in deutlicher Wendung gegen Macek von einer „mit Genie und Geduld ausgearbeiteten Synthese volkstümlicher Ketzerei und Universitätsscholastik“. Weder das eine noch das andere sei in der Lage gewesen, eine stabile Societas zu errichten. Zwar kann die Gründung Tabors als Antithese zur Prager Ideenwelt erscheinen, aber es bleibt die interessante Tat- sache, daß die Führer der Taboriten niemals aufhörten, ihre Vorstellungen mit den Prager Magistern zu erörtern und sich nicht auf sich selbst zurückzogen. Der Universität komme das Verdienst zu, die radikale Bewegung 1417/18 vor „Reformen“ bewahrt zu haben, wie sie der linke Pikartenflügel 1421 praktizieren wollte (Radicalism, a. a. O., S 129 f.). Es ist zu bedauern, daßs sich Kaminsky nicht eingehend mit dem Werke Maceks auseinander- setzt, das er zitiert, denn dann hätte er zu der dort aufgezeigten sozialen Entwicklung Tabors 249

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Der passive Radikalismus des Waldensertums wurde im chiliastischen Aktivismus überwunden und aufgehoben, und der sektiererische Pazifismus verflüchtigte sich im heißen Atem der Revolution. Die Agitatoren der Wallfahrten auf die Berge wußten aber um die Lehren der deut- schen Ketzer, die in ihren Predigten eine Rolle spielten. Die Periode von 1415-1419 legt davon Zeugnis ab. Sie beweist damit die Vitalität der waldensischen Häresie, die in Böhmen und Mähren mehr Resonanz gefunden haben dürfte, als die spärlichen Quellenzeugnisse vermuten lassen. Stellung nehmen müssen, die letzlich der Schlüssel für die Beziehungen zwischen dem radikalen Zentrum und Prag ist. Der Sieg der bürgerlichen Opposition rettete nicht nur die Revolution, sondern bot dem Städtebund auch eine solide Basis und der Hauptstadt einen neuen Aktionsradius.

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II EINE MAHRISCHE KOPIE FREIGEISTIGER THESEN AUS CAMBRAIS I. Herkunſt Die Universitätsbibliothek Olmütz besitzt eine interessante Hs. unter dem Signum M II 130, in der auf fol. 109 18 Thesen des Karmelitermönches Wilhelm von Hilder- nissen verzeichnet sind. Nach der freundlichen Mitteilung des Bibliothekars Dr. E. Petrû ist die Provenienz eindeutig feststellbar, da die Hs. im vorderen Vorsatz folgende Notiz trägt: „Iste liber est fratrum carth. de Dolano.“ Das heißt also, daß sie zur Bibliothek des Karthäuser- klosters Dolein (Dolány) gehörte. Es wurde 1378 von Albert von Sternberg, Bischof von Leitomischel (1364�1368; 1371-1380) gegründet, mußte jedoch 1389 infolge ungünstiger Klima- und Boden- verhältnisse nach Mähren in die fruchtbare Umgebung von Olmütz, nach Dolein, verlegt werden. Sein Prior Stephan (1388�1421) war ein erbitterter Gegner Wiclifs und Husens. Unter ihm wurde die Karthause zum Zentrum der gegenhusitischen Bewegung in Mähren. In grober und unflätiger Weise, die an den Stil Abraham a Santa Claras erinnert, griff Stephan Hus und Wiclif in mehreren Schriften an. Unter diesen Umständen nimmt es nicht Wunder, daß die Husiten dieses katholische Widerstandsnest haßten und nur auf eine Gelegenheit warteten, um es auszuräuchern. 1425 war es so weit. Die Chronik berichtet trocken: „Occupaverunt Hussitae monaste- rium Dolan et castrum Hluboky et multa damna exinde fecerunt civitati Olomucensi." Die Mönche hatten sich in letzter Minute mit wenigen Habseligkeiten nach Olmütz in Sicherheit bringen können, wo sie einen neuen Wohnsitz angewiesen erhielten. Man gab ihnen ein Haus im Vorwerk und erlaubte ihnen, an den Stadtmauern ihre Zellen zu errichten. Trotz aller Bemühungen erholte sich das Kloster nicht mehr, sondern vege- tierte dahin, auch nach dem Sieg der Gegenreformation.1 Die 18 proposiciones des Karmelitermönches wurden am 12. 6. 1411 auf Geheiß des Bischofs Peter d'Ailly in einer Notariatsakte festgehalten und Wilhelm zum Widerruf 1 Die wichtigsten Daten zur Geschichte des Klosters bis 1425 finden sich bei J. Loserth: Die literarischen Widersacher des Hus in Mähren, in „Ztschr. des Vereins für die Geschichte Mährens und Schlesiens“ I, 1897, S. 1-7; weitere Einzelheiten bei F. Odložík: Z počátku husitství na Moravě, in „Časopis matice moravské“, 49, 1924, S. 1 ff. Zur Topographie ist zu vergleichen L. Hosák: Historický místopis země moravsko-slezské, č. II, 1, Prag 1933, S. 495 f. (Dolanské panství). Die Briefe Stephans gegen Hus sind gedruckt im „Thesaurus anec- dotorum novissimum“ IV, ed. B. Pez. 251

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vorgelegt. Während die Pariser Hs., die bis jetzt allein bekannt war, den vollständigen Text wiedergibt, hat die Doleiner Kopie nur die genannten Thesen. Alle Irrtümer des Laien Aegidius sowie die einzelnen Fragen an Wilhelm, die Strafsentenz und die Zeugenreihe fehlen.2 Dem Doleiner Mönch scheint es nur um den Kern der Lehre gegangen zu sein. Was die Abfassungszeit betrifft, so spricht alles dafür, daß das Stück zwischen 1411 und 1425, dem Jahre der Zerstörung des Klosters, kopiert wurde. Es ist kaum anzuneh- men, daß nach 1425, während der Husitenkriege und der damit verbundenen Ab- riegelung Böhmens und Mährens vom Westen, eine Abschrift in die Hände der nach Olmütz geflüchteten Karthäuser gelangte. Aller Wahrscheinlichkeit nach entstand der Codex noch unter Stephan, der für seinen Kampf gegen die Heterodoxie an antihäre- tischen Sentenzen interessiert war. Gegenüber P hat unser Schreiber einige unwesentliche Kürzungen vorgenommen und Wörter oder Ergänzungen weggelassen, soweit sie den Sinnzusammenhang nicht stören. Nur der proposicio 3 fügt er einen weiteren Gedanken an, daß nämlich Gott die potentia vor den opera geschaffen habe. Wieweit der Kopist aus einer von P abweichenden Vor- lage schöpfte, ist bei dem gegenwärtigen Uberlieferungsstand nicht auszumachen. 2. Bemerkungen zum Wesen der Häresie Die Ketzerei Wilhelms war ein klassisches Beispiel freigeistiger Spekulationen." Bereits die 1. These führt uns mitten hinein in die Welt der Brüder und Schwestern vom freien Geist: Alle Menschen, ganz gleich ob Christen, Juden oder Heiden, werden erlöst, denn Christus wirkte für alle. „Ergo finaliter omnes salvabunter in Christo." D. h. aber, daß eine sündentilgende Buße überflüssig ist, weshalb in der 2. These auch die Hölle geleugnet wird. Der Mensch kann schlechthin nur den göttlichen Willen voll- ziehen. Sein Handeln ist deshalb in jedem Falle göttlich, auch die böse Tat. Demnach kann sich der „reine“ Mensch durch gute Werke nicht den Himmel ver- dienen, denn Christus hat diese Tat am Kreuze bereits stellvertretend für die ganze Menschheit geleistet. Damit kann der äußere Mensch den inneren nicht beflecken und dieser verfällt niemals der Verdammung. Wer einen Sünder ergreift und ihn verurteilt, sündigt mehr als der Gefangene. Die Lehren der alten Heiligen und Gelehrten werden jetzt durch neue ersetzt, die vom Hl. Geist erleuchtet wurden, so daß sie die Schrift klarer begreifen als selbst die Apostel. Die Zeit naht, wo das Gesetz der geistigen Freiheit das alte Gesetz verdrängen wird. 2 Der vollständige Text findet sich bei P. Fredericq: Corpus documentorum inquisitionis hae- reticae pravitatis Neerlandicae I, Gent 1889, S. 267�279. Vgl. Beilage II. Vgl. darüber Th. Büttner/E. Werner: Circumcellionen und Adamiten. Zwei Formen mittel- alterlicher Häresie. Berlin 1959, S. 113-116. 3 252

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Wenn die Priester meinen, sie vergeben die Sünden, so irren sie, denn dazu ist allein Christus fähig. Wilhelm wurde durch die Umarmung Gottes sehend, so daß er sich der Ewigkeit versicherte. Dieser Zustand war kein vorübergehender, sondern ein bleibender. Dadurch verstand er von nun an die hl. Schrift viel klarer als ehedem. Er erkannte, daß Gott überall sei, in den Steinen, im Menschen, in der Hölle, im Altarsakrament. Nur der kann die Bibel begreifen, in dem der Hl. Geist wirkt. Er weiß, daß es in Zukunft keine Auferstehung mehr geben wird, da sie Christus bereits vollzogen hat und es keine Auferstehung des Hauptes (Christi) ohne die Glieder (Menschen) gibt. Wilhelm hörte bereits in seinen Verzückungen Stimmen, die ihm zuriefen: Ich kam zur Vernichtung der Priester. Schließlich war er der Meinung, daß eine Verführte die gleichen Tugenden besitze wie eine Jungfrau, wenn sie sich nur nicht um zeitliche Dinge in der Kirche kümmere. Es bedarf keiner besonderen Interpretation, um nachzuweisen, daß wir es hier mit einem typischen Fall freigeistiger Spekulationen intellektueller Schattierung zu tun haben. Sie gipfelt in pantheistischer Gottesschau und Selbstvergottung. Die praktischen Konsequenzen aus diesen Lehren zog der Laie Aegidius, der sich als Erlöser der Men- schen fühlte und den homines intelligentiae alle Freiheiten gewährte, vor allem hin- sichtlich „fleischlicher Sünden“. Ich habe an anderer Stelle bereits auf den oppositio- nellen Zug des Libertinismus gegen die bestehende Gesellschaftsordnung, vor allem gegen die Ehegesetzgebung, verwiesen.4 F. Engels fiel diese Erscheinung bei seiner Untersuchung des sogenannten „Buches der Offenbarung“ auf. Er erklärte sie sowohl als „Abwerfen nicht mehr notwendiger, alter traditioneller Fesseln“ wie auch als „will- kommene Lehre, die bequemerweise alle Arten zügelloser Handlungen zwischen Mann und Frau deckt“.5 Beim Studium der mittelalterlichen Quellentexte machte man eine weitere Beobachtung: die ökonomische Unterdrückung erzeugte in den unteren Schichten Verrohung und Verkümmerung des geistigen und sittlichen Lebens - ein Phänomen, das sich in jeder Klassengesellschaft findet und auf das W. I. Lenin im Dezember 1905 in seinem Artikel „Sozialismus und Religion“ zu sprechen kam.6 Ganz deutlich vermögen wir das in der russischen Sekte der Chlysti zu beobachten, die ein Ungeheuer vom Schlage Rasputins gebar. In ihr wurde aber auch ein Motiv kultisch-orgiastisch ge- pflegt, das in der mittelalterlichen Freigeisterei eine große Rolle spielte: die Wieder- geburt des Menschen durch die Sünde." In einer Straßburger Hs. aus dem Ende des 14. Jh. heißt es über die Sekte des neuen Geistes (De secta novi spiritus) : 4 Vgl. dazu Büttner/Werner, a. a. O., S. 114 f. 5 K. Marx/F. Engels: Uber Religion, Berlin 1958, S. 165. 6 W. I. Lenin: Werke, Bd. 10, Berlin 1959, S. 70. Belege bei R. Fülöp-Miller: Der heilige Teufel Rasputin und die Frauen. Leipzig-Zürich 1927, S. 33�37. Am Rande sei vermerkt, daß sich der Verf. als völlig unfähig erweist, die eigentlichen Ursachen der Reichskrise und des Verfalls des Hoflebens zu ergründen. Er operiert durchgängig mit Begriffen wie „Glück" und „Unglück", „Schicksal“ und „Be- stimmung“. Der Leser muß den Eindruck bekommen, als sei das zaristische Rußland nicht durch die revolutionäre Kraft der Arbeiterklasse hinweggefegt worden, sondern durch die 253

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„Der 1. Artikel lautet, daß jeder Mensch, so viel er auch sündige, in einem Jahr an Würde und Verdienst den hl. Paulus, Maria Magdalena, den hl. Johannes den Täufer wie jeden anderen Heilgen überragen könne.“ 8 Dasselbe trifft für eine weit verbreitete englische Sekte aus dem 17. Jh. zu, die Ranter. Von ihnen besitzen wir Originalquellen, die über den praktizierten Libertinismus nicht den geringsten Zweifel lassen. In der Autobiographie eines Leiters dieser Zirkel, Laurence Clarksons (1615-1667), heißt es: „...ich versicherte, daß es überhaupt keine Sünden gäbe, sondern daß man nur be- stimmte Handlungen als Sünden betrachte, weshalb niemand von Sünden frei sein könne, bis daß er Handlungen, die als Sünden gelten, in Reinheit ausführe, als seien es keine Sünden. Dinge, die mir rein erschienen, die aber einem dunklen Verstand als unrein galten, wurden rein durch mich, denn alle Handlungen waren rein ... deshalb kann man mit allen Weibern schlafen wie mit einer. Man beurteile dies nicht als Sünde, denn man kann nicht sündigen ... ja ein Mensch kann nur auf diesem Wege vollkommen werden... Sahrah Kullin, die anwesend war, lud mich ein um das zu versuchen, was ich soeben ausgeführt hatte, und so nahm ich sie...“ Auf diese Weise kam es in der Gemeinde „My On Flesh“ zu zahlreichen ähnlichen „Vollzugsakten" der „Entsündigung“ und „Vollkommenheitsprüfungen“, die fast wört- lich mit den mittelalterlichen Inquisitionsprotokollen übereinstimmen.9 Die homines intelligentiae von Brüssel-Cambrai beweisen aber auch die Verbindung zwischen den „Theoretikern“ und den „Praktikern“, die von M. Machovcová mit Ent- schiedenheit bestritten wird. Ihrer Meinung nach gäbe es keine Beziehungen zwischen einem Mann wie Eckhart und den Begarden, da die intellektuelle Mystik von einem philosophischen Problem (Mensch-Gott) ausginge, während die volkstümliche Mystik eine Widerspiegelung der lamentablen Situation der Stadt- und Landarmut sei. Nur diese mystischen Bewegungen, zu denen sie auch die Freigeisterei zählt, hätten es zu einer radikalen Gesellschaftskritik gebracht, nicht aber die philosophischen Mystiker.10 H. Ley kommt nach sorgsamer Analyse der lateinischen Schriften Eckharts zu einem ganz anderen Schluß: „Jedes in diesen Sätzen gebrauchte Wort ist in der damaligen Sprechweise ein Schlag gegen die feudale Klassenordnung... Die niederen Handwerker Unfähigkeit des Herrschers, seine Mißachtung einiger Warnungen Rasputins, den Lenin drastisch, aber sehr treffend, als halbwilden Idioten und Halbverrückten charakterisiert (Werke Bd. 24, S. 415, Bd. 25, S. 20). „Primus articulus hic est, quod quilibet homo, quantum peccaverit, possit in uno anno precellere dignitatem et meritum sancti pauli et beate marie magdalene, sancti Johannis baptiste et cuiuslibet sancti“, Ch. Schmidt: Actenstücke, a. a. O., S. 248 f. „ ... I affirmed that there was no sin, but as man esteemed it sin, and therefore none can be free from sin, till in purity it be acted as no sin, for I jugded that pure to me, which ta a dark understanding was impure, for to the pure all things, yea all acts were pure ... therefore till you can lie with all women as one woman ... and not judge it sin, you can do nothing but sin ... I understood no man could attain perfection but this way ...Sarah Kullin being then present, did invite me to make trial of what I had expressed, so as I take it...“ Texte bei N. Cohn : The Pursuit of the Millenium. A history of popular religious and social movements in Europe from the eleventh to the sixteenth century. Fairlawn, New Jersey 1957, S. 345-347. 10. M. Machovcová, a. a. O., S. 159-170. 254

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und Bauern sahen in solchen Thesen Eckharts den Stolz des zum Selbstbewußtsein erwachenden Menschen aus dem werktätigen Volk. Sie empfanden eine Rechtfertigung ihres Kampfes um demokratisches Stadtregiment ... wenn davon in den Texten Eckharts auch nicht ausdrücklich gesprochen wird.“ 11 Unbestreitbar ist der progressive Charakter der Eckhartschen Mystik. Es waren vor allem zwei Elemente, die das Wesen seiner Schriften bestimmten: Pantheismus und die Lehre über den aktiven Intellekt, der es jedem Menschen infolge seiner natürlichen verstandesmäßigen Fähigkeiten ermöglichte, gottförmig zu werden. Damit wurde Eck- hart jedoch nicht zum Theoretiker bäuerlich-plebejischer Schichten, wie H. Ley meint, sondern es liegt näher, an das deutsche Patriziat und wohlsituierte Kaufmannskreise zu denken, wie M. Erbstößer glaubhaft macht.12 Das heißt aber nicht, daß die beiden Kreise, die wir in der intellektuellen und volks- tümlichen Mystik sowie Freigeisterei vor uns haben, keine Verbindungslinien besaßen, zwei völlig getrennte Phänomene darstellten, wie Machovcová behauptet. Daß die Mystiker und Freigeister der Volksschichten die Predigten und Schriften Meister Eckharts teilweise kannten und benutzten, weiß man seit langem.13 Ebenso war die „theoretisierende“ Gruppe des spiritus libertatis mit dem eigentlichen Sektenkörper eng liiert. Wilhelm von Hildernissen kommt in seiner Vernehmung mehrmals darauf zu sprechen, auch wenn er sich von den „Praktikern“ entschieden abgrenzte.14 Machovcová übersieht die Doppelpoligkeit der Sekten und verwechselt daher die Anwendung häretischer Prinzipien auf Kult und Praxis durch die einfachen Gläubigen mit einer Neukonzipierung von unten, ohne Berücksichtigung der verbindlichen Lehren.15 Im Unterschied zu den Waldensern haben wir es bei den freien Geistern eindeutig mit einer Ideologie der Stadt- und Landarmut zu tun, die sich in den Suburbien zusammen- fand, aber hier nicht Wurzel schlug, sondern ein unstetes Wanderleben führte. 16 Konrad von Megenberg beschrieb diese Menschen folgendermaßen: „Sunt enim huiusmodi viri rusticani et plerique mechanici corpore robusti et literatum omnino inexperti, ac penitus 11 H. Ley: Studie zur Geschichte des Materialismus im Mittelalter. Berlin 1957, S. 442. 12 M. Erbstößer/E. Werner: Ideologische Probleme des mittelalterlichen Plebejertums, Berlin 1960, S. 103 f. Eine Zusammenstellung der entsprechenden Zeugnisse findet sich bei M. Erbstößer/E. Werner, a. a. O., S. 126—128. 14 P. Fredericq, a. a. O., S. 275 f., wo Wilhelm zu den einzelnen Irrtümern des Aegidius Cantor Stellung bezieht. Die Verf. hat sich leider nicht die Mühe gemacht, die neuere außertschechische Literatur zu Rate zu ziehen. Für ihre Ausführungen über die Waldenser sind ihre Gewährsmänner Haupt, Preger, Hahn und Comba, ebenso für Mystiker und Freigeister. Es wirkt peinlich, wenn über die Urwaldenser und die bürgerliche Forschung Urteile gefällt werden, ohne daß auch nur ein Blick in die Quellenpublikationen und Untersuchungen A. Dondaines, G. Gonnets, J. Leclercqs oder R. Mansellis geworfen wurde. Vieles, was die Verf. an Preger und Combat kritisiert, hat die Häresiologie der letzten Jahrzehnte längst über Bord geworfen. Man muß allerdings berücksichtigen, daß M. keine Historikerin, sondern vielmehr Philosophin ist und mit den Mitteln der Philosophie die häretischen Lehren durchleuchten will. Sie vermag da- durch auch dem Fachhistoriker neue Gesichtspunkte und Anregungen zu vermitteln. Zur Soziologie der Sekte vgl. Erbstößer/Werner, a. a. O., Kap. III, S. 26—46. 13 15 16 255

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17 idiotae: aut si literas aliqualiter noverunt, tenuissimum tamen est, quod sciunt.“ Machovcová schreibt diesen Schichten eine Antizipierung des Kommunismus in der Phantasie zu, da sie mit ihrer Selbstvergottung zum Ausdruck bringen wollten, daß der vollkommene Mensch eines Gottes nicht mehr bedarf.18 Ich möchte bezweifeln, ob so weitgehende Konsequenzen aus ihren Lehren ableitbar sind. Es ist näherliegend, an den Prozeß des ideologischen Wachwerdens der plebejischen Schichten zu denken, wobei sie ihre Stellung außerhalb der Feudalgesellschaft zum extremsten Antinomismus trieb, ohne praktische Zielsetzung. Ihre Doktrin war mehr ein Sprung in die Vergessen- heit als in die geistige Freiheit. Sie brachten es im höchsten Falle zum „individuellen Terror“ (Machovcová, S. 165). Die freigeistige Häresie erfüllte bei der Herausbildung eines antifeudal orientierten Selbstbewußtseins der Plebejer eine katalysatorische Funk- tion von wechselnder Intensität. Mehr läßt sich ohne Pressung der Quellen kaum sagen. Besaß die Kopie für Dolein irgendwelchen praktischen Wert? Gab es in Mähren oder Böhmen ähnliche Sekten? 3. Freie Geister in Böhmen und Mähren Es sind nur wenige zeitgenössische Nachrichten über freigeistige Häretiker in diesen Ländern überliefert. Aus dem Jahre 1318 erzählt ein Chronist, daß Papst Johannes XII. gegen Beginen und Begarden eingeschritten sei, die sich in Städten und Dörfern ausgebreitet hätten. die Sakramente verlachten, die Trinität ablehnten und Orgien veranstalteten.19 1319 wurde die Begine Katharina dem Richter vorgeführt, weil sie von ihrem Pfarrer die Eucharistie nicht empfangen wollte.20 In Prag existierte ein Beginenkonvent, der in persönlicher und geistlicher Verbindung mit den Schweidnitzer Schwestern, den sogenannten moniales capuciatae, stand. Letztere wurden 1332 von dem Dominikaner Johannes Schwenkfeld verhört. Ihre Vorsteherin war die Magistra Helbig aus Prag. Sie übte über ihre Kongregation priesterliche Ge- walt aus. Jeden Freitag hielt sie das Kapitel und geißelte die Schwestern, die ihr kniend ihre Sünden beichten mußten, bevor sie zum Priester entlassen wurden. Unter diesen Beginen gab es Vollkommene, die sich im Besitze der Freiheit des Geistes wähn- ten. Sie lehnten die Kirche als Mittler zwischen Gott und dem Menschen ab und glaub- ten „Sicut deus est deus, ita ipsa esset deus cum deo; et sicut Christus nunquam sepa- ratus est a deo, sic nec ipsa (die Vollendete) “.21 Wieweit die Prager Beginen von diesen Gedanken Kenntnis hatten, ist nicht ersichtlich. Zwei männliche Perfecti aus Brünn bekehrte 1347 der für die Prager Erzdiözese bestellte Inquisitor Gallus de Novo Castro. Es handelte sich um einen Albert und 17 Konrad von Megenberg: De erroribus beghardorum. Bibl. Max. vet patr. XXV, S. 310. Die Schrift stammt ca. aus dem Jahre 1355. 18 M. Machovcová, a. a. O., S. 167. 19 Fontes rerum bohemicarum (FRB) V, S. 243. 20 J. Emler: Regesta III, S. 220. 21 R. Holinka, a. a. O., S. 79-99, A. 334. 256

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Johann, von denen der letztere nach seiner Konversion dem Dominikanerorden beitrat.22 Sie hatten sich den „willigen Armen“ in Köln angeschlossen und 20 Jahre mit Buß- übungen zugebracht. Daraufhin erlangten sie die „Geistesfreiheit“, einen Zustand, in dem sie acht Jahre verharrten. Ihre Freiheit bestand darin, daß sie sich alles, was ihre Natur verlangte, erlauben durften. „Est autem perfecta libertas: omnia que oculus videt et concupiscit, hoc manus asse- quatur.“ Gott und Perfectus sind völlig eins, es besteht zwischen beiden kein Unter- schied mehr. Deshalb müssen alle die, welche sich dem Willen eines Freigeistes ent- gegenstellen, getötet werden. Uber ihn aber hat niemand Gewalt, denn er tritt über sein Menschsein bereits hinaus: „homo debet super se ascendere et seipsum speculari.“ 23 Alle kirchlichen Institutionen und Sakramente waren selbstverständlich für diese Leute überflüssig und wertlos. Es sind die gleichen Maximen, die wir in Cambrai beobachten konnten. Ob Johann und Albert in ihrer Heimat Proselyten hatten, geht aus dem Verhör nicht hervor. In Südböhmen gab es jedoch ketzerische Begarden, wie aus dem bereits zitierten Inquisitionsprotokoll vom Jahre 1337 ersichtlich ist. Sie verleugneten die Eucharistie und meinten, wenn die hl. Jungfrau in hoc seculo lebe, dann wäre sie eine Dirne.24 Weitere Einzelheiten fehlen. Fest steht, daß es sich auch in diesen Fällen um Deutsche handelte, die Träger der Ketzerei waren. In der Prager Universitätsbibliothek ist in dem Codex XIII. E. 7., fol. 1787 — 179, ein Traktat gegen die „Errores beghardorum et beginorum de voluntate paupertate“ über- liefert, der nach allem, was wir wissen, Martin von Prag zum Verfasser hat. Er wurde aus Anlaß der Vernehmung eines deutschen Begarden in Gegenwart eines bayrischen Herzogs, wahrscheinlich Stephans III. (1375�1413) von Ingolstadt, in Cham in der Oberpfalz aufgesetzt. H. Haupt, der die Akten in einer verderbten Hs. der Pfarrbibliothek Michelstedt im Odenwald entdeckte, datiert ihn gegen Ende des 14. oder Anfang des 15. Jh.25 Unter Berücksichtigung der Exzerpte aus der St. Jakobsbibliothek in Brünn sind wir in der Lage, das Protokoll genau zu fixieren. Die genannte mährische Pfarrbücherei enthält Auszüge aus verloren gegangenen Inquisitionsschriften Peter Zwickers aus den Jahren 1399�1404, die sich auf Bayern, Nordungarn und Südmähren beziehen. Peter standen darnach zur Seite: Martin von Prag, Johann von Damm und der Domini- kaner Heinrich von Olmütz. 1399 waren Peter und Martin in der Diözese Bamberg tätig. 23 24 25 22 Zur Chronologie vgl. VI. J. Koudelka: Zur Geschichte der böhmischen Dominikanerprovinz im Mittelalter, „Arch. Fratr. Praed.“ 25, 1955, S. 88. Text bei W. Wattenbach: Uber die Sekte der Brüder vom freien Geist. SB. der Königl. Preuß. Akad. der Wiss. II, Berlin 1887, S. 530-536. Weitere Einzelheiten bei Erbstößer/ Werner, a. a. O., S. 114-116. „Item a Bernhardo nec non dicto P ipse audiverit de Beghardis quibusdam, quod, Corpus Domini, si esset verum corpus, iam esset per sacerdotes consumptum ut sicut unus mons materialis. Item dixit se audivisse ab aliis Beghardis, quod si beata virgo Maria in hoc seculo adhuc fuisset, vix debet fuisse publica mulier forma.“ I. Hlaváček, a. a. O., S. 536. H. Haupt: Zwei Traktate gegen Beginen und Begarden. „Zschr. f. Kirchengesch.“ 12, 1891, S. 86. Die Datierung des Traktates S. 88-89. 257

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Die von A. Neumann edierten Bruchstücke weisen eindeutig auf die Aktivität Martins hin, der sich mit Peter, wie immer, in die Arbeit teilte. In der Quelle heißt es ausdrücklich: „A. D. 1399, 16. Maii in domo domini Joannis Nazzach, canonici ecclesiae S. Stephani Pambergae In praesentia domini Martini inquisitoris... Am 13. Juni des gleichen Jahres saß er in Nürnberg über Begarden zu Gericht. „Anno et loco ut supra, die 13. Junii... domini plebani ecclesiae S. Laurencii in Nürnberg ad praesentiam domini Martini inquisitoris... In einer weiteren Notiz wird Martin offiziell als Inquisitor für Stadt und Diözese Bamberg bezeichnet: „In nomine domini Amen. Nos Martinus altarista in ecclesia beate Marie virginis ante Letam Curiam Maioris civitatis Pragensis, inquisitor haereticae pravitatis et reverendissimi in Cristo patribus, domino Alberto et Lamberto, moderno et antiquo episcopis Pambergiensibus per civitatem et diocesim Pambergensem, anno Domini 1399, nono mensis Junii in choro S. Petri ecclesiae Pambergensis ...“ 26 Das Verhör von Cham muß in dieselbe Zeit, also Mai oder Juni 1399, gefallen sein, denn wir hören von den beiden Ketzerrichtern erst 1400 in Straßburg und der Slovakei wieder. Von einem erneuten Eingreifen in Bayern nach 1400 ist nichts bekannt.27 Ahnlich wie der Kölner Kreis, dem Johann und Albert von Brünn angehörten, gab es auch bei der süddeutschen Gruppe zwei Grade, einen niederen und einen höheren. Vollkommene Armut, wandern, betteln, Gehorsams- und Keuschheitsgelübde waren die Voraussetzungen, daß man den Stand der „Freiheit“ erlangte. Der Vollkommene durfte seinem Willen freien Lauf lassen, er betete nicht mehr verbaliter, sondern cordialiter, und es geschah, daß er auf diese Weise das Vaterunser „vergaß“. Er war durch sein asketisches Leben vom Banne der Sinnlichkeit gelöst und hatte die Schranken der sittlichen Gesetze übersprungen: "ubi spiritus domini, ibi libertas.“ Bei der Elevation der Hostie erhob er sich nicht, da er nur noch mit seinem geistigen, nicht mehr mit dem körperlichen Auge Gott betrachtete. Diese letzten „Geheimnisse“ der Sekte wurden aber keineswegs allen Mitgliedern, sondern allein den perfecti enthüllt. Die Prager Version hat derselbe Kopist geschrieben, der das Waldenserstück kolla- tionierte. Ihm schien die Uberlieferung wohl nicht ohne Grund wichtig, da es ja auch in seiner Heimat Begarden und Beginen gab, die die Grenzen der Orthodoxie über- schritten. Hinzu kommt, daß seit 1353 der nördliche Teil der Oberpfalz zur böhmischen Krone gehörte. Karl IV. hatte im Mai 1353 Pfalzgrafen Ruprecht mit 12 000 Schock Prager Groschen aus sächsischer Gefangenschaft gelöst und sich dafür einige oberpfälzische Burgen ab- treten lassen. Auf einer Fürstenversammlung zu Hagenau (29. 10. 1353) ließ sich der 27 26 A. Neumann: České sekty a. a. O., S. 6 f. (Beilagen.) Zu den Fragmenten der Inquisitions- akten ders. S. 8. Zu dem Straßburger Verhör, das Martin leitete, vgl. H. Haupt: Waldensertum und Inqui- sition a. a. O., Bd. 3, S. 349. 258

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König die oberpfälzischen Lande mit Sulzbach und der hiernach benannten Grafschaft als erblichen Besitz abtreten. Am Tage seiner Kaiserkrönung (5. 4. 1355) erklärte er die Neuerwerbungen zum unveräußerlichen Bestandteil des Königreiches Böhmen. Die Rückeroberung dieser Ge- biete durch die Wittelsbacher erfolgte erst nach der Absetzung König Wenzels. In einem Waffenstillstand vom 20. 6. 1401 mußte der Exkönig seinem Nachfolger Ruprecht III. fast alle oberpfälzischen Burgen, Städte und Ländereien zurückgeben. Cham selbst war bayrisch geblieben. Es lag im südlichen Teil der Oberpfalz, nord- östlich von Regensburg.28 Die enge Nachbarschaft Chams zu den ehemaligen böhmischen Besitzungen hat vielleicht den Schreiber veranlaßt, das Verhör zu kopieren, wenn nicht überhaupt in seinem Bewußtsein die Stadt als böhmischer Besitz lebte. Die Prager Hs. ist für uns aber vor allem deshalb von Wert, weil sie die vollständige und inhaltlich wie grammatikalisch exakte Fassung widergibt, während die Michel- stedter lückenhaft und voller Fehler ist. Aus einem tschechischen Studentenlied des 14. Jh., das im Stil der Vagantenpoesie abgefaßt ist, können wir schließen, daß die Häresie auch unter tschechischen Beginen Eingang fand und daß sie den gleichen Sätzen huldigten wie ihre deutschen Schwestern. Sie studierten die hl. Schrift nach eigenem Ermessen, ohne Hilfe der Priester, die sie verachteten und deren Predigten sie nicht beiwohnten. Wurden sie deshalb getadelt, dann antworteten sie, sie hätten es nicht nötig, da sie selbst die Testamente häufig lesen und diese besser verständen als die Kleriker. In Diskussionen vermochten ihnen weder Magister, Priester noch „Schüler“ zu widerstehen, obwohl doch ihr Redeschwall wenig Konkretes enthielt. Besonders empört zeigt sich der Verfasser des Pamphlets, daß sie kein Latein lernten und mit jedermann über religiöse Fragen stritten.29 Zweifellos glaubten sich diese Beginen vom Hl. Geist erleuchtet, ähnlich wie Wilhelm von Hildernissen, weshalb sie behaupteten, die Schrift besser zu interpretieren als die Kleriker. Das freigeistige „Gift“ war also auch in laikale und semireligiöse Kreise ein- gedrungen, ohne allerdings eine Breitenwirkung zu erlangen wie in Deutschland und Westeuropa. Dessen ungeachtet strahlten diese heterodoxen Elemente selbst in das revolutionäre Taboritentum aus. Im Februar/März 1421 schrieb Johannes Příbram den Traktat „Ad occurendum homini insano", mit dem dieser die taboritische Mehrheit in ihrem Kampf gegen die pikartische Minderheit theologisch stärken wollte. Sicherlich hatten Johannes und seine Prager Freunde gemerkt, daß die Taboriten seit September 1420 eine innere Krise durchmachten. Man glaubte auf diese Weise den rechten Flügel für ein Abkommen mit Prag gewinnen zu können. 28 S. Riezler: Geschichte Baierns. 3. Band. „Geschichte der europäischen Staaten“, Gotha 1889, S. 34 f.; 190 f. und Westermanns Atlas zur Weltgeschichte Teil II, Braunschweig 1956, S. 68/69. Gedruckt bei M. Machovcová, a. a. O., S. 174 f. Das Gedicht wurde bereits 1862 von J. Fejfalik angezeigt: Altčechische Leiche, Sprüche und Lieder des 14. und 15. Jh. mit einer Einleitung und Anmerkungen. „SB. der Kaiserl. Akad. der Wiss., phil. hist. Classe“ Bd. 39, Wien. 29 259

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Dieser Traktat ist für uns vor allem deshalb von außerordentlicher Wichtigkeit, weil er beweist, daß das Pikarten- oder Adamitentum von vornherein einen Bestandteil des tschechischen Chiliasmus bildete, aber seine Lehren nicht aus dem N. T. und den Prophe- zeiungen von einem neuen Aon entwickelte, sondern aus der Doktrin freigeistiger Sek- tierer. Darauf lassen vor allem die Artikel 12—16 schließen. Art. 12 lautet: „quod sanctorum parentum filii concipiuntur sine peccato originali mortali." Diese Auffassung weist bereits in die adamitische Phase des Pikartentums. Von sexuellen Orgien steht allerdings in unserem Traktat nichts. Die Artikel 13-16 beschäftigen sich nur mit Fragen der Taufe. H. Kaminsky, der den Traktat in der Wiener Nationalbibliothek entdeckte (Nr. 4937, fol. 145�1627), schlußfolgert daraus, daß die Pikarten im Grunde Anapaptisten gewesen seien. Ihr Führer, Martin Húska, wurde auch von seinen Gegnern niemals des Libertinismus verklagt. Es kann sich demnach nur um zwei Entwicklungsstufen ein und derselben Sekte gehandelt haben. Die aus Tabor vertriebenen „Linken“ praktizierten ohne Huskas Leitung einen Libertinismus, wie er bereits in Art. 12 in nuce enthalten war. Das geschah nach der Verhaftung Huskas, nach der Abfassung des Traktates.30 Die marxistische, aber auch die moderne bürgerliche tschechoslovakische Forschung hat bisher den freigeistlichen Einflüssen auf das Taboritentum wenig Beachtung ge- schenkt. „It is surprising, schreibt F. G. Heymann, that the much more obvious influence of the ,Brethern of the Free Spirit' upon the Taborite Pikharts has found little consi- deration (als die Waldenserfrage, E. W.) among Czeck historiens ...“ 31 Ich habe 1959 die Nachrichten über die böhmischen „Adamiten“ untersucht und gefunden, daß frei- geistige Enflüsse bei den extremen Chiliasten unleugbar sind.32 Die Schrift „Ad occurrendum“ liefert dafür ein weiteres Beweisstück. Dagegen vermag ich meine frühere Annahme, daß die sogenannte „Verteidigungsschrift der Husiten gegen die deutschen Ketzer" in die gleiche Zeit (Februar/März 1421) fällt, nicht mehr aufrechtzuerhalten, nachdem F. M. Bartoš in einer sachkundigen und überzeugenden Entgegnung nach- gewiesen hat, daß es sich um ein deutsches Pamphlet aus dem Jahre 1412 gegen die husitische Partei handelte.33 Interessant bleibt jedoch nach wie vor, daß man bereits 1412 die radikalen Husiten in diskriminierender Absicht mit den Brüdern und Schwe- stern vom freien Geiste in Verbindung brachte („Wir Gemain dez frein Geist der Brüder- schaft Christi“). 30 H. Kaminsky: K dějinám chiliastického Tábora. „Českosl. Časopis hist.“ 8, 1960, S. 895 bis 904. Art. 12: „Est et alter homo de infelice opinione, qui conatur affere aut dicere, quod sanctorum parentum filii concipiuntur sine peccato originali mortali, sed concipiuntur in peccato venali“ (S. 897). F. G. Heyman: John Žižka and the Hussite Revolution. Princeton, New Jersey 1955, S. 210, A. 19. 32 Büttner Werner, a. a. O., S. 73 ff. Erstmals gedruckt von F. M. Bartoš im „Reformační sbornik“ IV, 1931 S. 3-8. Ohne Kenntnis dieser Edition von mir herausgegeben in Büttner[Werner, a. a. O., S. 135-140. Zur 31 33 260

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Die Ansichten der Pikarten 1421 waren allerdings nicht dazu angetan, eine für breiteste Schichten annehmbare revolutionäre Ideologie zu schaffen. Die Verwerfung der Eucharistie, die Geistesspekulationen, die libertinistischen und adamitischen Konse- quenzen führten vielmehr erneut in den Sektentypus zurück, den das chiliastische Tabo- ritentum bereits überwunden hatte. M. Machovcová ist zuzustimmen, wenn sie betont, daß der in Atheismus ausmündende Pantheismus der Pikarten die historischen Möglich- keiten weit überstieg. „Unter nicht revolutionären Bedingungen vermochte der Pantheis- mus sektiererischer Gruppen heimlich über Jahrhunderte zu existieren, im Feuer einer revolutionären Ideologie zum Durchbruch zu verhelfen. Die göttliche Wirksamkeit sei „atheistische Episode“. Er vertritt die Auffassung, daß überhaupt der taboritische Chiliasmus die göttliche Person eliminiert habe. Dies sei notwendig gewesen, um der revolutionäre Ideologie zum Durchbruch zu verhelfen. Die göttliche Wirksamkeit sei zu einer Bezeichnung für die Tätigkeit des Volkes geworden. Christus spiele eine mate- rialisierte Rolle, seine Gestalt sei anthropologisiert. Der transzendente Gott verschwand und machte einem immanenten Platz. Das neue Aon entstehe durch das Volk, nicht durch Gott. Soweit noch von Wundern die Rede sei, hätten sie nichts mehr mit dem Kern der revolutionären Volksideologie zu tun, sondern wären zufälliges Beiwerk, Erbe des sektiererischen Fatalismus. Erst im „adamitischen“ Stadium sei auch dieser Rest noch beseitigt worden, und die mystische Aktivität eines transzendenten Gottes habe sein Ende gefunden.35 Der große Ideologe des Pikartentums, Martin Húska, habe eine neue Lebensphiloso- phie entwickelt, die sich von der gesamten christlichen Lebensanschauung löste, ja ihr diametral entgegengesetzt war. Diese Philosophie kreiste um den Gedanken des Volks- glückes, das im Namen eines neuen Humanismus gefordert wurde. Irdische Freude und irdisches Glück waren seine Prinzipien, die ein göttliches Eingreifen, ganz gleich in welcher Form, völlig überflüssig machten. Das sei der tiefste Sinn seiner Transsubstan- tiationslehre gewesen. Das Adamitentum faßt Kalivoda unter diesem Aspekt als weitere ideologische Ent- wicklungsstufe des linken Taboritentums. In letzter Konsequenz habe es die Gedanken Martins auch auf die Sexualsphäre des Menschen ausgedehnt, um der menschlichen Natur wieder zu ihrem Recht zu verhelfen und dem sexuellen Asketismus des mittel- alterlichen Christentums den Todesstoß zu versetzen. Erst in den böhmischen „Adami- ten“ realisierte sich das neue Lebensgefühl, das auch in der italienischen Renaissance in gemäßigter, saturierter Gestalt die Adern des emanzipierten Stadtbürgers durchpulste. Die Adamiten betrachteten den gesellschaftlichen Umsturz als bereits vollzogen. Für sie war das Reich der Gerechtigkeit und Freiheit zur Realität geworden. Christus fiel in ihm keinerlei Rolle mehr zu. Er war für sie weiter nichts als ein jüngerer, unvollkommener Bruder. Das göttliche Gesetz verlegten sie in das Innere des Menschen, der so zur strittigen Datierungsfrage vgl. E. Werner: Antihussitisches Pamphlet oder taboritischer Traktat? „Wiss. Ztschr. der Karl-Marx-Universität Leipzig“ 9, 1959/60, S. 579�581. F. M. Bartoš: Nový pramen k dějinám českého chiliasmu? „Theologická příloha křestanské revue“ s. 1, č. 2, 1961, S. 10-16. M. Machovcová, a. a. O., S. 183. 35 R. Kalivoda: Vytvoření revolučí ideologie, a. a. O., S. 843. 34 18 261

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Inkarnation des göttlichen Prinzipes wurde. Mit diesem anthropologischen Pantheismus setzten sie die Linie der freien Geister fort. Gleichzeitig manifestierte sich in ihm aber eine höhere Qualität, da er zur allgemein gültigen Philosophie erhoben wurde und sich nicht nur auf einzelne Individuen erstreckte. In diesem Sinne war der adamitische Pantheismus „die erste Form des Atheismus in der Geschichte der tschechischen Philo- sophie und eine der ersten Außerungen des Atheismus in der europäischen Geistes- geschichte.“ 36 So weit Kalivoda. Es steht außer Zweifel, daß es ein historischer Fortschritt ist, die Phasen der chiliastischen Entwicklung von 1419 bis 1421 exakter als je zuvor heraus- geschält zu haben. Dadurch wird die innere Dialektik des Geschehens in Tabor deutlich. Es ist das unbestreitbare Verdienst Kalivodas, den Chiliasmus nicht als Endprodukt der revolutionären Bewegung begriffen zu haben, sondern als radikale Anfangsstufe einer Revolutionsideologie, die über sich selbst hinauswuchs. Es erhebt sich allerdings sofort die Frage, wie weit die Anhänger dieser Lehren Kon- sequenzen zogen, die sich dem Betrachter aus dem 20. Jhd. aufdrängen. Wieweit herrsch- ten in den aus Tabor vertriebenen Gruppen nicht jene Elemente vor, die Kalivoda als mythische Relikte eines „fatalen“ Chiliasmus an die Peripherie verweist? 37 Der Atheismus war im 15. Jh. keine Volksbewegung, schon gar nicht eine revolutionäre Ideologie. Die Massen glaubten noch an einen guten, barmherzigen Gott, der die Bösen dieser Welt strafen würde, wenn es sein müsse, mit Feuer und Schwert. Die Taboriten wollten dabei den Racheengeln nach Kräften helfen, die Wiederkunft Christi mit vor- bereiten. „In solchen chiliastisch-utopischen Gedanken lag eine gewaltige gesellschaft- liche Kraft.“ 38 Denker, die wie jener Stock aus Lissabon, Christus die Gottessohnschaft absprachen und ihn mit Moses und Mohammed als Betrüger hinstellten, die die Ewigkeit der Menschheit und der Welt vertraten und erklärten, die Welt würde durch Philosophen besser regiert als durch Dekrete, Dekretalen et alia jura 39, mobilisierten die Massen nicht, ja, hatten nicht einmal Aussicht, Führer volkstümlicher Häresien zu werden. Meines Erachtens sollte man überhaupt mit dem Begriff „Atheismus“ sehr vorsichtig umgehen, besonders hinsichtlich des Taboritentums. Das trifft auch für J. Macek zu, der gleichfalls im Programm der Chiliasten einen gewissen volkstümlichen Atheismus wirksam glaubt.40 Mögen Anklänge dazu vorhanden gewesen sein, etwa in der Ver- menschlichung der Raumvorstellungen von Himmel und Hölle, den Grundtenor bildeten sie nicht. Die Sezession der Pikarten im Januar 1421 verstärkte eher den Glauben an Wunder und überirdische Kräfte, als umgekehrt. Dieser Prozeß war ganz natürlich. Er resultierte aus der Isolierung, in die die „Linken“ geraten waren. 36 R. Kalivoda: Husitská ideologie a. a. O., S. 365, 372, 374, 378, 379, 382 f., 472. 37 Ders. S. 471, A. 236. Es handelt sich dabei um das Bewußtsein, daß ihre Feinde erblinden, sollten sie wagen gegen sie zu ziehen. Wenn die Adamiten im Glauben fest blieben, dann könne ihnen niemand etwas anhaben. M. Machovcová, a. a. O., S. 182. Belege bei W. Wattenbach: Uber das Handbuch eines Inquisitors in der Kirchenbibliothek St. Nicolai in Greifswald. „Abhandlungen der Königl. Akad. d. Wiss. zu Berlin“ 1889, S. 23 bis 25. Aller Wahrscheinlichkeit nach lebte Thomas Ende des 14. Jh. 40 J. Macek: Tábor II, 1955, S. 69, 118. 38 39 262

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Das Bewußtsein, Geistesträger zu sein, erreichte jetzt erst die höchste Intensität. Aus dem Glauben, mit Christus durch den Hl. Geist eins zu sein, floß ihre Zuversicht, nicht getötet werden zu können, weil der Geist unsterblich sei. Sie waren der festen Uber- zeugung, daß ihre Feinde erblindeten, wenn sie es wagen sollten, gegen sie zu Felde zu ziehen. Sie hielten unbeirrt an der Vorstellung fest, daß es nur der Stärke im Glauben bedürfe, um zu siegen.41 Diese Uberzeugung gab ihnen den Mut, gegen die Ubermacht Žižkas verbissen zu kämpfen und lachend und singend den Scheiterhaufen zu besteigen. Wären sie „Atheisten“ gewesen, hätten sie sich bestimmt anders verhalten! Davon ab- gesehen hatte aber auch ihre Welt- und Lebensauffassung keine Aussicht, unter den da- maligen gesellschaftlichen Verhältnissen, eine breite Resonanz unter der Land- und Stadtarmut zu finden. Die Ideenassoziationen der adamitischen Entwicklungsstufe ver- mochten trotz ihrer ideologischen Weiträumigkeit und Allgemeinheit keine Massen- bewegung zu beeinflussen. Sie blieben auf wenige beschränkt. Unter diesem Aspekt gebrauchte ich in meiner Arbeit über die böhmischen Adamiten den Begriff Sekte. Ideengeschichtlich überwanden Pikarten und Adamiten den Sektenrahmen. Sie be- grenzten sich nicht nur auf wenige Auserwählte, sondern wollten ein allgemein verbind- liches Exempel statuieren. Ihr göttliches Gesetz sollte allgemein menschliches Prinzip werden. Soziologisch fielen sie jedoch gerade wegen ihres weitgestreckten Rahmens in das Sektendasein zurück. Ich stimme in diesem Punkte völlig mit M. Machovcová überein, die schreibt, daß es sich hier um einen Rückfall in Sektierertum gehandelt habe, das die Revolution weder vorantreiben noch deren Errungenschaften verteidigen konnte. Was die pantheistische Geistesschau betrifft, so handelte es sich weniger um Atheis- mus, als vielmehr um legitime Nachkommenschaft freigeistiger Spekulationen, wie sie in den Gruppen der „Praktiker“ beheimatet waren. Es gilt auch hier die Feststellung von G. Leff: "... the starting point in any examination of the religious discontent in the later middle ages must be to come to terms with its marked religious fervour... it was an age of religious disturbance, fed not by unbelief but by an excess of belief.“ 42 Der qualitative Unterschied zu den Freien Geistern des 14. Jh. lag in der Verbindung mit einer revolutionären Situation und einem kämpferischen Chiliasmus. Sie drückten den böhmischen Pikarten das Schwert in die Hand, das sie bis zu ihrem Tode oder ihrer Gefangennahme nicht mehr ablegten. 43 Stephan von Dolein beauftragte demnach nicht aus theologischem Interesse einen Mönch, die 18 Thesen Wilhelms abzuschreiben, sondern die kirchlich-religiöse Situation 41 Vgl. E. Werner: Popular ideologies in Late Mediaeval Europe: Taborite Chiliasm and its antecedents. „Comparative Studies in Society and History“ II, 1960, S. 348. 42 G. Leff: Heresy and the decline of the Medieval Church. Past and Present 20, 1961, S. 40 f. 43 Völlig abwegig ist die Skepsis H. Grundmanns, die er in einer flüchtigen Anzeige meines Buches im „Deutschen Archiv“ 17, 1961, S. 320, hinsichtlich des sozialrevolutionären Cha- rakters des „Adamitentums“ äußert. Es zeugt nicht gerade von solider Quellenkenntnis, wenn man heute noch dem chiliastischen Taboritentum den „Klassencharakter“ tunlichst abzusprechen versucht und dahingehende Analysen im Vorbeigehen mit dem Begriff „Aufbauschung“ erledigen möchte. 18* 263

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in den beiden ersten Dezennien des 15. Jahrhunderts in Böhmen und Mähren ließ das Vorhaben aus praktischen Erwägungen lohnend erscheinen. In seinem „Epistola ad Husitas“ wirft er den Hussiten vor, daß sie nicht nur an ungehörigen Orten predigen, sondern daß sie auch Frauen und Beginen in tschechischer Sprache singen ließen und mit letzteren Gemeinschaft pflegten.44 Die Erwähnung der Beginen schien ihm vor allem deshalb wichtig, da ihre Anfälligkeit für alle Arten von Häresien als erwiesen galt. Heißt es doch in einem Proverbium der Augustiner Chorherren aus Wittingau (Třeboň): „Begardi, begude, wiglefiste quoque hussite, hec quattuor genera faciunt in populo scisma." 45 44 45 Wenn Grundmann meint, er habe des Rätsels Lösung in der Chronik des Johann v. Victring gefunden, der über Kölner Ketzer des Jahres 1328 berichtet, man könne sie mit Isidor „heresis Adamiana“ nennen, so befindet er sich auf dem Holzwege. Von einem „historischen Vorbild" für die tschechischen Artikel über Pikarten und „Adamiten“ kann überhaupt keine Rede sein. Es geht an meinem Anliegen vorbei, wenn Grundmann glaubt, ich hätte nach unmittelbaren, „nächstliegenden“ Vorbildern gesucht und zu diesem Zweck eine phänomenologische Skizze der Ketzerei des freien Geistes eingebaut. Worum es mir zu tun war - und das habe ich in meiner Untersuchung deutlich genug ausgesprochen - läßt sich kurz auf folgenden Nenner bringen: Wesen der „Freigeisterei“ im Vergleich zu den böhmischen Pantheisten, revolutio- närer Individualismus und Kollektivismus in der ideologischen Sphäre, Reifeprozeß der Krisenerscheinungen innerhalb der Feudalstruktur mit den sich daraus für den Uberbau er- gebenden Folgen, Wechselwirkung zwischen der revolutionären Situation in Böhmen und der Radikalisierung des Chiliasmus als adäquate Ideologie der Stadt� und Landarmut. Aus der antiquierten geistesgeschichtlichen Schau Grundmanns mag das alles weiter nichts sein, als aphoristische Bemerkungen F. Engels zu interpretieren, für uns bedeutet das aber die Erforschung der Dynamik der feudalen Gesellschaft deren Movens in ganz anderen Be- reichen zu suchen ist, als Grundmann wahrhaben möchte. „... et iterum recenti confictione contra ritum ecclesiae iunctis vobis mulierbus et Begutis vestris in choro cantis cum eisdem tam missas, quam alia cantilenas in vulgari Bohemico." Zitiert bei O. Odložilík a. a. O., S. 83, A. 4. "...et adhuc nova et inaudita ribaldia missas in boemico sermone cantatis et legitis iuvanti- bus vos concantare Begutis et Rebeccis mulieribus“ ebd. S. 83, A. 6. Zur Form „Beguta“ für Beguina vgl. Du Cange Glossarium I, S. 619. Der Verf. führt ein weiteres Beispiel aus dem böhmischen Raume an: „Nostrae sorores Pragenses, quae Beguttae sunt vocatae“... Die mulieres rebecae waren Lautenschlägerinnen; vgl. Du Cange VII, S. 35. Staatsarchiv Třeboň A 7, fol. 190 v. In der gleichen Bibliothek befindet sich eine Abschrift c. 3 de haereticis XX in Clem. V, 3 (A 16, fol. 323), die das Interesse der südböhmischen Chorherren an der freigeistigen Häresie im 15. Jhd. demonstriert. Sie trägt die Uberschrift: De Beguardis et Beginnis aut Begwinnis und ist eine wortgetreue Kopie des aus den Be- schlüssen des Vienner Konzils (1311/12) hervorgegangenen Stückes „Ad nostram“, das seine Entstehung Papst Clemens V. (1305-14) verdankt. 264

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III. QUELLENANHANG A. 1391 Sep. 1. Namen waldensischer Rektoren, waldensische Lehren u. Gebräuche, Inquisitions- praktiken u. Abschwörungsformeln. Codex Olomoucensis 69, fol. 338 — 340, 22 X 30, Sp. 15 X 23, schwarze Tinte, Papier; Kopie. Alle Textvarianten zur Edition von G. E. FRIESS, S. 257 —261, sind mit S, zur Edition von I. v. DÖLLINGER II, S. 367 — 69 mit W, zur Hs. der Prager Universitäts-Bibliothek XIII. E. 7, fol. 174 — 178 u. 191 — 191V, mit P, zu den Frageformeln in der Maxima Bibliotheca Vet. pat. XXV, S. 308 — 310 mit MB u. zu dem Index Errorum Quibus Wal- denses Infecti Sunt, MB XXV, S. 397 — 308, mit E gekennzeichnet. Anno domini millesimo trecentesimi nonagesimo primo, die mensis Septembris. Infrascriptas) sunt rectores pro tunc secte Waldensium.b) Primo Nicolaus de Polonia.c) Item Johanes de Polonia, filius cuisdam rustici.d) Item Conradus de Saxo- nia de villa dicta Dobreiume) prope Wittenberg, filius cuisdam rustici. Item Ulricus de Hardekf) ex artificio sutor. Item Symon de Galicz de Ungaria ex artificio sartor. Item Conradus de Gmunendo in Sweuia filius cuisdam rustici. Item Hermannus de Mistilgew in Bauaria faber. Item Johannes dictus de Arena in Bauaria faber (fol. 338) ). Praedicti nominantur inter eos apostoli, magistri et fratres. Habent autem celebrem vitam et conuersationem.1) Primo ieunant tres uel quatuor dies in ebdo- mada, unam in aqua et pane nisi sint in graui itinere uel labore constitutil) et hoc faciunt inter suos subditos, ut coram eis appareant sanctiores. Item septies in die orant. Senior incipit orationem et facit eam prolixam uel brevem secundum)) quod sibi videbit expedire et alii sequunturk) in oratione. Item vestimentis vilibus induuntur et duo et duo incedunt1), senior cum iuniore quocumque pergunt. b) haereticorum S a) reperti S infrascripti comperti W c) Zusatz filius cuisdam e) Dorbray S ; Derbrim W g) S und d) fehlt S f) Haidekke S rustici S W haben darüber hinaus noch folgende Namen: Item carnifex quondam Johannes de Dicharcz villa sita circa Chrembs in Austria, qui fuit captus (Relativsatz fehlt in W), Ratis- bonae, qui periuravit de heresi, nunc vero convictus (et portavit crucem de heresi convictus nec vero deficit W); Nicolaus de Plawe, filius cuisdam molendinatoris (terre advocatorum filius W) Gott fridus de Ungaria, sutor; Nicolaus de Solotern, rasor pannorum (circa Vero- nam in Switz W) hereticorum Valdensium nominantur ...P fol. 191 h) Wort fehlt k) ipsum S 1) constiti S; constituta O 1) fehlt in S in S 265

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Item in uerbis sunt cauti, mendacia, inaniam) et quaelibet verba turpia devitant." Item subditos suos eadem ad seruandum°) diligenter informant. Item pro maiori parte sunt illiterati et ydeote; sic autem diligenter et praeficiuntur.P) Quodq) seniores eorum considerant aliquem iuvenem siue in secta natum, siue seductum bene tamen morigeratum et castum cuiustamenr) filius sit uel quamlibet artem nouits) siue sequatur non aduertunt. Illum eligunt pro futuro. Tunc applicunt ipsum alicui de magistris, a quo ducitur de terra in terram, et de loco ad locum per annum unum uel duos. Deinde ducitur in concilium seu capitulum ipsorum quod solentt) celebrare in nundinis magnarum civi- tatum ubi solet multitudo populi convenire, ut ipsi ibidem inter eumu) possint lati- tare. Ibique ducitur ad praesentiam magistrorum et quaeritur ab eo utrum placeat sibi vita") et velit esse unus de fratribus eorum. Quo respondente, quod sic, ex tunc intrantw) secum ad unam cameram uel alium locum, in quo sint conclusi omnes magistri et socii eiusdem secte et confessione facta de omnibus peccatis suis uni eorum tunc scientior ex ipsis proponit sibi aliquo de sacramentis et de septem arti- culis fideix), quos tantum credunt. Hoc facto quaeritur ab eis)), eo utrum sic credit, respondet quod sic. Deinde mandat sibi, quod voueat castitatem tenendam usque ad mortem. Et ipse respondet: ego proposui hoc facere, in quantum possum gratia dei me adiuuante et in quantum fragilitas humana permittit. Item promittit, quody') amplius noluit viuere de laboribus manum suarum, sed viuere de elemosiniis usque ad mortem. Item promittit, quod velit obedire eiusdem fratribus in omnibus usque ad mortem et praecipue ire prope uel procul ad quamcumque terram missus fuerit omni contra- dictione remota. Item promittit, quod nolitz) habere maiorem confidentiam de parentibus suis et omnibus consanguineis quam de aliis hominibus qualibuscumque Item, quod non debeat se in quocumque mortis articulo sive periculo constitus redimere falsoaa) iuramento. Et postquam consentit et obligat se ad praedictaab), ex tunc flectit genua super terram et magistril seniores inponunt sibi manus super capud et pro hoc viden- tur sibi conferre auctoritatem audiendi confessiones subditorum suorumac) et alia que circa hoc sunt facienda. Postremo eleuans se et surgens videtad) magistros stantes secundum ordinem et accedit quilibetae) eorum singulariter amplectendumaf) n) fehlt in S 1) recedunt S o) faciendum S m) juramenta W P) et q) quando ordinantur S scripturam in ... distentes et in corde retinentes P fol. 1917 s) nos- r) cuiscumque S W Item sic eligunt et mittunt quando seniores ... P v) intrare S u) interim W t) solet celebrari S cit, Rest des Satzes fehlt in S W) Hs. Olmütz intratur x) fehlt in S y1) quod in anteriora velit y) co S. z) velit Olmütz ab) praedicandum S aa) solo S vivere de labore ... P af) amplectend S ac) eorum S ae) quemlibet S, W ad) videlicet Olmütz 1 An die nun folgenden Ausführungen lehnen sich die sog. Articuli de Pikardis der Hs. XI. D.8. der Prager Universitätsbibliothek an, die von K. Höfler: „Geschichtsschreiber der hussitischen Bewegung in Böhmen“ I, 1856, S. 503—505 ediert wurden. 266

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et quilibet dicit ad cum: bene venistias), bone frater. Nunc es ordinatus in fide nostra more apostolorum. Retrahiturah) tamen interdum per sexa1), octo uel decimaj) annos ex causis ab auditione confessionum sequendo seniorem de terra ad terram. Tantum medio tem- pore uocate urgenteak), audit confessiones suorum magistrorum. Item qui singulis annis in conuenticulis suisal) solent mutare personas cum ter- minis suis ne augnoscantur a christianis. Et sic nunquam permanet aliquis eorum in magisterio suo ad unum locumam siue terminum plurimorum locorum, nisi ad unus uel duos annos, ut supra scripta est. Sunt autem hii articuli quibus fidei katholicean) contrariantur. Primo quia audiunt confessiones non missi ab ecclesia, nec ordinati. Item praedicant in locis occultis et priuatis. Item negant purgatoriumao) dicentes tantummodo duas esse vias post mortem cuislibet hominisap), uel quod statim euoletaq) in celum, uel descendat ad infernum. Item pulsus campanarum, vigilas, missas, elemosinasar) et quelibet alia suffragia et ecclesiastica pro defunctisas) facta dicunt penitus non valere.at) Item suffragia beate (fol. 338v) virginis marieau) et omnium Sanctorum negant allegantes, quod sint repleti gaudiis celestibus et nesciuntav) quid hic agatur nobiscum. Idcircoaw) nec ieunant vigilias eorum nec dies celebrant nec oblationes faciunt nec reliquias osculan- tur, nisi in quantum oportet, ne a Christianis notentur. Hacax) etiam de causa magistri eorum non iniungunt suis confitentibusay) etiam ipsi, qui credentes eorum dicunt: Ave Maria, nisi rarissime. Et si magistri eorum paruulis primo confitentibus, iniungunt Ave Maria, hoc faciunt, quia timent neophitis eorum hoc nimirum displi- cere, si quomodo ab Ave Maria prohibentur maxime cum non ydonei sint ad capien- dum uel occultandum secreta. Item dicunt, christianos esse ydolatras propter ymagines sanctorum et signum crucifixi.az) Item cantum ecclesiasticum etba) horarum canonicarum bb) dicunt esse latratum acnum. ag) fecisti S ah) prohibetur S aj) ad IX W a1) VIIS ak) fehlt in S ; al) eorum S ; am) Rest des Satzes fehlt in S ; in magisterio tempore urgente W an) Waldenses W ; P: Hic continen- et officio suo nisi ad unum annum uel ad duos. P. tur articuli Waldensium. Ar-ticuli autem, cum quibus catholice fidei contrariantur, a0) Satzende in P; sunt hii: Beginn der Edition von R. Holinka, S. 176 der neue Satz wird mit Item credunt eingeleitet. Die von Döllinger II, S. 338—341 edierten „Errores haereticorum Waldensium“ beginnenhier mit den eigentlichen Arti- keln: Etiam negant purgatorium post hanc vitam, dicentessolum esse duas vias, sc. apy immediate ad vitam aeternam, et malorum immediate ad morte maeternam. aq) aeternam ad celum P as) ar) orationes, Zusatz von S cuilibet homini S au) fehlt in P. Fort- at) Satz fehlt in P Beginn von E, S. 307 Ende von W av) nesci- setzung des Satzes: non credunt et per consequens omnium sanctorum ... ay) non iniungunt Ave Maria, aw) Item S ax) Satz fehlt in P ant quod S ax) Zusatz in P: asserentes hoc false et in obbrobrium christianorum ideo S ba) loccorum eingeschoben in P Die folgenden Sätze finden sich auch bei Döllinger II bb) divinarum S S. 338—341. Sie stammen aus einer Münchner Hs. 267

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Item quidquid benedicitur ab episcopis et presbyterisbe), siue sit ipsa ecclesia, siue fons baptismalibd), sal, aqua, herbe, cimiteria paramentabe), palme, candele, dicunt penitus non valere et si quandocumque intersunt, hoc faciunt ne notentur. Item de indulgentiis et peregrinationibus et ecclesiarum dedicationibus nichil credunt. Item de sepulturis in ecclesiis et in cimiteriis non curant, nisi'f) ut non notentur, dicentes utilius'g) esse in locis aliis sepeliri. Idcirco quando magistri eorum moriuntur in domibus credentiumbh) suorum, quia sunt aliis hominibus ignoti, sepeliunt eos in profundis foueis celariorum suorum ne, si quando necesse foret vendere domumb1) et alii christiani quippiam ibi fodirentes")) ex inuentis mortuorum ossibus malum aliquot suspicientur. Etiam autem frequenter in agris procurant se et in pomeriis sepeliri: Item dicunt papam esse capud omnium heresiarcharum, et ex eo ipsum cardinales, archiepiscopos, episcopos, imperatores, reges, principes, duces et omnes iudices tam spirituales quam seculares una cum omnibus presbyteris esse dedampnandis, asse- rentesbk), si possibile esset, aliquembl) de ipsis saluari ex tunc fides eorum esset falsabm) et nulla pro hoc reputant inpossibile. Item omne iuramentum credunt esse mortale peccatum. Item sacramentum confirmationis non credunt, licetbn) plurimi eorum esse se confirmari faciant ne notentur. Itembo) dicunt, nichil orandum esse praeter Pater noster, ergo plurimi eorum ignorant Ave Maria. Nonb ) orant psalmos aut orationes alias quascumque deuotas. Item dicunt, omnia verba misse et omnia praeparamenta ad missam spectantia esse de errore praeter verba consecrationis. Item quidam"p) eorum consueverunt se ipsos communicare ad pascha isto modo: Aliquis eorum sumit panem azimum ponens eum super parvum asserem, vinum et ad aquam ad unum coclear et benedicit ista simul et communicat se et alios. Quo facto tam asserem quam coclear in ignem proicitbr) comburendo. Plurimi tamen magistrorum suorum abhorrent hoc, non habentes multam fidem in huismodi com. bc) sacerdotibus in ecclesiis P bd) P hat folgende Fassung : siue alia aqua, siue candela, rami, cineres, herbe et quidquid huismodi dicunt penitus non valere. Item dicunt, quod missas defunctorum, vigilias et obla- ciones seu qualiacunque testamenta pro remedio animarum facta, inventa sunt ab auaritia sacerdotum. Item omnem ornatum ecclesiasticum cum ritibus christianorum inprobant et bf) in P folgt : in be) fehlt in S deturpant, licet inter suis talibus, ne notentur quantum oportet, et dicunt, quod utilius est se ponere in aliis locis, quam in prefatis (fol. 175) bg) autem melius S bi) aliis et alii christianis, christiani, quum bh) subditorum P bj) in P folgt ossa mortuorum inveniant et suspicientur de malo quando fodirent S bk) afferentes O disserentes E, Nr. 8 bl) aliquis S, aliquid O bm) Satzende in P bn) aliqui ex ipsis more christianorum ab ipsis confirmantur P bo) Item dicunt non orandum aliud, nec Ave Maria, nec psalmos, nec quasdam alias orationes, preter Pater bp) Satz fehlt in S, nicht aber E noster, idcirco communiter ignorant Ave Maria. P bq) aliqui inter eos habent consuetudinis se ipsos procurandi secundum eos ad Pascha ... br) projiciunt S P conservare ad Pasche...E 268

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munionebs) proptera sed vaduntbt) ad communicandum in ecclesiam, quando est bu populi maior pressura, ne notentur. Multi tamen ex ipsis quandoque manent sine" communicatione ad quatuor uel sex"v) annos, abscondentes se in villis uel in civitati- bus paschali tempore, ne a christianis agnoscantur. Item swadent non credentibus suis ire ad communicationem?w) ecclesiae solum tempore paschali"x) et sic colorant se, quasi sicut ecclesiam christiani.by) Ite mdocent orare subditos suos in omni loco, in quo manent et primum orent pro illis qui sunt in secta, quod omnipotens deus eos abb2) omni malo custodiat et quo nobis christianisca), quos inter se alienos, id est di ffremden, credunt et nominant, permittat advenire bella, famen, pestilentiam uel aliam incommoda, ut in medio tempore ab eorum inquisitione et impugnatione cessemus. Item processiones in die corporis Christi et aliorum temporum Christianorum dicunt essecb) unam truffam et ridiculum. Similiter et de candelis, quas christiani solent ibidem defferre.cc) Item de signo crucis nichil credunt asserentes, quod nec venerantur illam crucem in qua Christus'd) pependit, nec spineam coronam nec clauosce), lanceam nec tunicam inconsutibilem, si viderent quorum omnium venerationem dicunt essef) vanam et inutilem et quod sacerdotes hoc invenerunt propter lucra. Item excommunicationes siue aliorum praelatorum nihil omnio curantes), nisi suorum superiorum. Item universitates scolarum Parisiensis, Pragensis, Wienensis et aliarum loco- rumch) reputant ci) inutiles et temporis perditionem. Item quidque summi pontifices et ordinarii in ecclesiis seruandum statuunt nichil aduertunt. Item de martiribus, confessoribus et heremitis et sanctis (fol. 339) Nycola, Mar- tino]), Ambrosio, Katherina, Margaretha et omnibus sanctis quidquid praedicatur, nihil credunt, sed dicunt, quod fortassisck) in inferno sepulti sunt. Item dicta sanctorumel) nihil curant, nisi quantum pro secta eorum confortanda retinent. Sed tantum nouum testamentum ad literam obseruant. bs) communicationem O bt) in P folgt postquam confitentur sibi ipsis mutuo ad sacerdotes et ibi communicant in cena Domini uel in Pascha, cum maior pressura homi- bw) fehlt in S bu) semper O bv) V. S bxy num, ne notentur bz) Ende von by) quasi sint et christiani S, E et non in aliis temporibus P ca) in P folgt secundum opinionem eorum infidelibus eorum, aliquid mali fol. 175v P et contrarii ad paciendum donet, quod eorum medio tempore obliviscamur et cessemus ab eorum persecucionibus et in hoc denotant omnes principes spirituales et seculares, barones et sacerdotes et omnes homines, quod deus det eis gwerras, fames et pestilencias in terris ipsorum, ut de persecucione ipsorum medio tempore cessarent et obliuiscerentur eb) vanam gloriam P cc) offerre P simpliciter et... E ed) inanis pependit P ef ce) manibus et pedibus infixos, nec lanceam lateri Christi impressam P errorem et ad nichil utile ista se reuerentibus, sed quod sacerdotes talia a propria lucra veneranda cg) Rest des Satzes fehlt in S P läßt ganzen Satz aus ch) locorum inuenerunt P cj) et Jero- c1) esse vanam truffam et temporis perdicionem P fehlt in O, E ck) forte S cl) doctorum S nimo P; E, S hinter Margaretha 269

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Item vocant nos Christianos vulgaliter inter se ,di ffremden“, alienos, et se ,di kun- den“em), notos, quasi deus non nos, sed tantum ipsos noscat quoad adpropationem. Item omne homicidium, quorumcumque maleficiorum, credunt mortale pecca- tumcn), dicentes, sicut non posse uiuicare sic nec debere occidere. Item aedificiaco), altarium, ecclesiarum, campanarum, organorum et cetera eccle- siarum ornamenta“p) reprobant. Item omnia apparamenta episcoporum, infulas, cyrothecas, turnamenta ), annulos etc. vocant superstitionem. Item dicunt, quod coronaser) et tonsuras clericorum deus odiat, eo quod non sit talium institutor. Item confessionem generalem nihil aduertunt.cs) Item miracula, quae fiunt in ecclesia Deict), sanctorum meritis, omnino obi- ciunt.cu) Item docent subditos suos, ne graviora peccata sacerdotibus confiteantur et mit- tantur ad auctoritatem episcoporum ut moris est Christianorumev) et ibi confundan- tur et peccuniis excorientur, dicentes, quod sacerdotes sint pleni auaricia.“w) Item consecrationes clericorum, ecclesiarum, cimiteriorume ) et ordines ecclesia- sticos dicunt esse irrisaniame ) et errorem et quod prespyteri et episcopi talia adin- venerunt propter lucrum. Item inprobant omnes religiones tam monachorum quam sanctimonalium dicentes esse superfluas et inanes. Item dicunt quod papa, episcopi, cardinalesc ) etiam non habent maiorem auctori- tatem quam simplices sacerdotes. Item dicuntda) quod nemo possit a demone obsideri et vexari et quod talia sint vana vesania, quod contra demoniacos peraguntur. Item asserunt, quod omnes, qui destruunt sine consilio, sine auxilio, sive fauore sectam illam ceteris profundius condempnentur. Item derident Christianos qui eligunt sibi apostolos prout mos est facere in eccle- siadb) Dei et Christi, et qui vigilias sanctorum ieiunant et festa celebrant et si ipsis propter coloremde) similia faciunt dicunt se hoc solum ad laudem Dei et nondd) sanctorum facere. cn) Satzende P em) quoddammodo. Satzende P; die Runden E co) edificia cp) turrium ecclesiasticarum S. cq) fehlt in S und ecclesiarum P; beneficia O cr) Ende von fol. 176 P P, vielleicht Verschreibung aus ornamenta; curuaturam E cu) P folgt cs) P folgt Item benedictionem baptisterii improbant ct) primitiva P Item non multum credunt de confessione facta coram sacerdotibus, sed tamen confiten- cw) P ergänzt ev) Rest des Satzes fehlt in S tur eisdem, non notentur cx) Satzteil bis dicunt fehlt in P cy) Wort fehlt in S nihil aliud cogitantes cz) Wort fehlt in S da) non credunt, quod aliquis possit. Ende des Satzes hinter db) P Satzende. Es folgt: Item despiciunt christianos et abhorrent eos, vexari P, S qui ieiunant in vigiliis sanctorum et celebrant festivitates ipsorum, asserentes, quod sanc- tus Nicolaus, Martinus cum ceteris sint sepulti in inferno; et si ipsi similia faciunt, dicunt dd) S de) Friess liest calorem se hoc ad laudem dei et non sanctorum facere. folgt ad honores 270

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Item alios quam plures articulos habent, qui videlicet in praedictos includuntur et faciliter ex ipsis eliciuntur. Item quod illa sectade) sit vera et unica fides Katholica extra quam nullus possa saluari.d ) Quandoa) producitur suspectus aliquis de heresi quereatur primo „scis quare sis (suis)b) captiuatus? Item quid sentiunt alii de tua captiuatione?c) Item audisci ne ab aliquo causam tue captivitatis? Si dicit „nescio“ dic: Dicitur de te quod ex informatione quorumdam secretorum magistrorum, quibus in simpli- citate tua confisus es a fided) Christiana publica et inani secta pauperum aberraueris? Quicquid post hoc dixerit, siue sic, siue aliter, statim prosequature), procedatur secum ad iuramentum, nisi ad eo iuuenis et puerilisf) existats) quod etiam iuramen- tum, quid sit et cuius vigoris non intelligat. Fforma autem iuramenta. Primo in communi proponatur hiis uerbis: „Ecce tu iurabish) quod vellis puram veritatem dicere tibi notam, de te, et omnibus aliis de quibus hic requisitus fueris." Si jurare voluerit1) plus suspectus erit. Et vide ne tibi subripiat, quasi volens iuramenti causam inquisitionem, utpote uel compellentem uel iubentem retorquere. Postquam autem induxeris eum quod sponte velit iurare. Ipse sponte et per se digitos inponat et formam uerborum non mutet ibi sisi) (suis) cautus propter uersitias vulpium, fraudulentas. Fforma autem iuramenti est istak): Ich Hannsl) swere ayn eyt gothe dem almechtigen, meym here von Meinzl und kegenburtigenm) herren an seyner stat, daz ich wil zagen eyne leuter wahrhaid, alles an gefer, allyr der ding, dy myr wissentleich syn, der ich hy gefraget werde, worde von myr und allen andren lüten, alz myr got helfe und seyne haylige martern) an maynen letzten tzayten. Si°) scis quis sit, qualisp) uocetur, a quibus parentibus et unde natus unde nutritus et qualiter conuersatus, tanto melius Si nescis, sic interroga: Quod est tibi nomen? Unde es nacione uel oriundus? Quis fuerit ) pater tuusr), qua mater, qui fratres, que sorores? Cuius artificii es et cuius erat pater tuus? Es tu ne unus ex notis hominibus? Bistu nicht eyn kunder? df) falsa S. Ende von S und der Edition von P durch de) P ergänzt Waldensis R. Holinka im Sborník Fil. Fak. VI, 52, 1929, S. 176—179. Ende der „Errores" bei Döl- a) Randvermerk in P: Max. bibl. 308 b) es P linger II, S. 341 sowie von E e) Wort fehlt in MB und P c) captiuitate MB d) Ende von S. 308 MB 8) Ende von fol. 1767 P h) Satzende P 1) noluerit MB O pluribus k) Fforma haec est, qualiter debent iurare P 1) N, P Döllinger Il, 3) sit MB n) MB richtig 17) Prag P m) gegenvvertigen P, MB S. 342 ohne Ortsangabe o) Post haec interroga: Satz bis melius fehlt in P muter; P = O q) fuit MB r) Rest der Frage fehlt in P P) qui MB f) 271

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Es tu de secta waldensium? (fol. 339)s) Interroga quasi affirmative ex supposito sict): Quociens es tu confessus heresiarchis, id est bonis hominibus qui a te venerunt occulte dicentes, se loco apostolorum in mundo de loco ad locum ambulare, praedi- care, confessiones audire? Quot annis es tu iam hic residens? Quot annis eras, quando primo fuisti eis confessus? Hic computare potes quamdiu fuerit in secta? Prius") adde, quando eis eris") ultimo confessus? Quales reputasti illos"), quibus se*) sic confessus? Habuerunt coronas clericales uel vestes sacerdotales? Quid iniunxerunt tibi poenitentia? Tenuisti poenitentiam illam, uel impleuisti? Iniunxerunt tibi etiam aliquot Aue Maria? Quanto tempore debuisti illam poenitentiam inplere? Credisti tu, quod possent te absolvere? Utrum melius quam nostri sacerdotes uel equaliter? Quis primo induxit te in sectam uel vitam illam? Quod heresiarchis es tu confessus? Quod fuit nomen primi? Quod secundi? Quotiam") fuerunt parentes tui illius sensus, opinionis, secte uel vite? Quociem sumpsisti corpus Christi? Es tu confessus etiam nostris sacerdotibus? Es tu confessus etiam nostris sacerdotibus te fuisse talis opinionis? Quare non es confessus? Hie concludere potes, consumpsit corpus Christi in peccato mortali et etiam in excom- municatione papali. Quotiens audisci praedicationes eorum2), ubi primam? In quot domibus illius loci? In quo comodo illius domus afuit, die uel nocte, mane uel vespere qui fuerunt tecum? Quid praedicauerunt? Quociens audisti inter anticos tuos taliter dici, quod nostri sacerdotes praedicauerunt et interfuerunt? Ille sacerdos multum praedicavit sed multa mendacia amiscuit. Quociens estu taliter locutus quale men- dacium admiscuit, sicut tibi videtur? ab) De suffragiis ecclesiasticis de veneracione sanctorum et imploracione auxilii eorum, de non occidere, de fidei.ac) Post hoc vade ad articulos et primo principales de purgatorio. Primus articulus de purgatorio. Sic interroga: Quid praedicauerunt magistriad) tui uel illius domini quibus es confessus de purgatorio? Est ne aliquod purgatorium post hanc vitam? Secundus de suffragiis ecclesiasticis, pro fidelibus defunctiis sic modo interroga: Quantum oras per diemae) cottidie pro animabus parentuma‘) tuorum et aliorum amicorum uel beneficorum tuorum defunctorum? Quantam elemosinam dedisti pro eis? Quod dies ieiunasti pro eis?"g) Quid offers n aniuersariis eorum? Quod missas celebrareah) fecisti uel procurasti pro eis? 8) Ende des Kap. Modus examinandi haereticos MB S. 309 Ende der Frageformeln bei t) Satz fehlt in P. Die folgenden Fragen stimmen weitgehend Döllinger II, S. 343 W) die nächsten u) Primo MB V) es MB mit Döllinger II, S. 332—335 überein X) fusiti MB. y) Quot MB, ausgelassen in P beiden Fragen fehlen in P 2) Ende von fol. 177 P. ab) In P folgt Quomodo debeas investigare de articulsi ac) Sowohl in O als auch in P ist die Reihenfolge durcheinandergebracht. Vor dem Arti- kel über das Fegefeuer sind die Fragen Quociens audisti bis sicut tibi videtur, sowie die Aufzählung der weiteren Irrtümer, die abgehandelt werden sollen, eingeschoben wor- den. ad) Rest der Frage fehlt P ae) per diem fehlt in MB af) Rest der Frage fehlt in P ga) die folgenden Sätze bis Scis Ave Maria fehlen in P ah) celebrari MB. 272

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Tercius de veneratione et imploratione sanctorum auxilii eorum. Sic modo inter- roga: Scis Ave Maria, dicas qualiter scis! Scis aliquam orationem deuotam de aliquo sanctorum specialiter? Si scis, dicas eam. Credis Sanctam Mariam et alios sanctos, scire miserias nostras, quas habemus in terris et compati nobis et orare pro nobis? Quis est patronus tuus in parochia tua? Quando celebratur eius festum? Jeiunatur ne eius vigilias per ecclesiam? Jeiunasti tu ipsam vigiliam? Celebrasti diem eius? Qualis est sanctus ille: Angelus, noster Confessor, Apostolus, Virgo vidua? Quid praedicatur de vita eius? Quid praedicatur de morte ipsius? Quantum obtulisti in festivitate sua pro veneratione ipsius? Elegisti tibi apostolum? Quis est apostolus tuus? Interroga: Quando celebratur eius festusa1) et alias interrogationes commu- nes assigno tali modo: Quid sentis de adorationeaj) trias sancte clauorum, corone spinee et lancee et aliorum insignium Christi, ymaginum sanctorum Dei? Signasti te signo crucis? Es tu confirmatus? Quid est conformacio? Es osculatus reliquis sanctorum? Visitasti tu limina sanctorum, pro indulgenciis fuisti a Rome?ak) Aspersisti te aqua benedicta? Gustavisti sal benedictum? Habes ... herbas et palmas benedictas in domo et cande- lam? Fecisti taliaal) puro corde sicud alii homines christiani, quos tu alienos, id est di ffremden nominas uel fecisti solummodo talia ad ostentacionem, ne notareris? Dic puram veritatem! Credis in omnem sanctum Martinum esse saluatum, sanctam eius animam esse in regno celorum? Vis bibere in nomine sancti Martini? Scis aliquam cantilenamam) de domino uel de sancta matra sua? Cantasti etiam in die pasche: „Christ ist derstanden. Nu pitte wier den hayligen gayst.“an) Quod sentis de cantu organorum etac) cantu scolarium et sacerdotum, campanis magnis, celebribusap) ornatibus (fol. 340), templi paramentis? Posset ne celebrare missa sine vestibus illis et altari? Interroga de religionibus, de studiis, de processioni- busaq). Interfuistiar) allioquociens ad dedicaciones ecclesiarum, altarium et ad ordinationes presbyterorum et ad primas missas nonorum sacerdotum? Quomodoas) placent tibi insigna episcoporum, infulatus, natura anuli et alia paramenta? Possent ne sine talibus celebrare, vel saltim videtur tibi ne melius, quod tibi illis carerent, quid sentis esset ne melius sacerdotes communiter incedere quam coronas et ton- suras haberet? Siat) staret in voluntatea ) et potestate tua velles libentius te uel ali- quem amicorum tuorum sepeliri in cimiterio uel in alio communi loco sicut in agro ai) Ende der Frage in P.; es folgt: De veneratione reliquiarum. Signasti te signo crucis? Es osculatus reliquias sanctorum? Fortsetzung wie O (Es tu confirmatus?) aj) S. Crucis MB al) in P folgt ak) Aquisgraui, Pragae MB; fuisti Pragae in ostensione reliquarum P am) Ende von fol. 1777 P autem ad ostendarium solum ut non notareris? an) der 2. Satz fehlt in P und MB. ao) P setzt fort ceteris ornamentis ecclesiae et officiis, de studiis, religiosibus, processionibus? Visitasti nonas, missas presbyterorum? Es folgt ap) fehlt in MB darauf die Frage Quomodo placent tibi insigna episcoporum ... aq) Satz fehlt in MB : Transisti MB as) von hier bis tonsuras haberet in MB weggelassen at) Satz lautet in P: Ubi eligas magis sepeliri? An vel pocius excomunicari a tuo heresiarcha uel a papa, episcopo uel praelato nostro? Dem folgt unmittelbar die Frage nach dem Töten au) Wort fehlt in MB 273

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uel pomerio? Quid praedicauerunt tui de isto? Quid credis de excommunicacione papae et episcoporum et aliorum praelatorum, qui excomunicant insolentes? Velles potius excomunicari ab episcopo meo uel tuo, id est ab heresiarcha ? Quartusav) de non occidere, de quo sic interroga: Quid tibi videtur et quid credis: potest homo occidi sine peccato mortali? Peccat ne papa mittendo exercitus contra Sarracenosaw) et dando crucem contra rebelles alios? Peccant ne imperatores et reges condendo leges de occisione? Peccant ne iudicesax) et iurati, contempnando impios morte uel adiudicandoay) maleficos morti?"z) Quantus de iuramento. Interoga sic: Potest quis peccare, iurare sine peccato mortali, quantum peccauit, qui dixit: Vere vidi illum et non est mentitus. Sextus de fidei unitate sic interroga :ba) Credis esse unicam fidem Christianam sicut credis unum deum et unum baptisma? Quebb) est illa fides? Ista, quam tu huc usque habuisti uel quam ego et illiqui sunt pernotes homines? Orasti ne aliquociens pro pacis disturbio, ut tu et tuorum ami- corum obliuisceruntur, nec inquiremus, sicut iam factus? Si esses liberbe) et nemo alienorum, i. e. „di fremden“ sciret te esse illius secte, velles ad huc libentius moriri in secta tua quam in fide nostra sicut valuisti tamquam esses captus? Interroga de complicibus diligenter. Ecce reliquitur tuo arbitrio et voluntati si velis veraciter conuerti a tuis erroribus et ab illa et omni secta haeretica et amplius nunquam communicare nec participare et aliquibus hominibus illius secte, quam diu tales sunt et super hoc facies iuramen- tum et quod velis penitentiam peragere gratiosam.bd) Et iurabis ex te nomen taliter: Ich Hanns swere ayn ayt got dem almachtigem, meyn herren won Meinz und dem gegenburtigen herren an seyner stat an alles gefer, daz ich worpazbe) nie nymmer kumen wil zu den leyten, di sich nennen „di kunden“, Waldisser nach keyne gemey- nest hast haben wil, wedir mit en weder ern maistern, predigern, peychtigern, dy- weile ze alze synt. Auch worswerb ) ich allerlay ungelauben, der do ist wider den offenbarn gelauben, den man gemaynlaich yberal holt in der haylagen Romischien Kyrchen und Christenhait und daz ich mechtbg) wil gestellen an der pusze um meyn missetad, wenn man da micht darzuo wordert und wil dy pusze haldenbh) wye man myer se aufleget noch genaden alzo myer got half und sayne haylige martirb1) an meynen letzten czaiten (fol. 340v). av) dieser und der nächste Satz fehlen in MB aw) Rest der Frage fehlt in P es folgt exequendo; der Rest bis Potesta ne homo iurare sine peccato ... fehlt in P. ax) condemnando MB ay) in MB weitere Frage: Potest quis peccare sine peccato bb) Bis diligenter in MB ausgelassen ba) Satz ſehlt in P und MB mortali? be) bis “fremden“ in P weggelassen bd) in P folgt: et iurabis ex te ipso ut supra. bg) mich MB bf) iverschover MB bh) be) furdaz MB Ende der Hs. bi) muter MB; Döllinger II, S. 335 wie O, anstelle von Mainz Ende von S. 309 MB vor menniglich ax) 274

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B. 1428 Januar 3 Eger. 39 von einem nicht sicher zu ermittelnden Autor (wahrscheinlich Martin von Plan) überlieferte Artikel semikatharischer Waldenser. UB. Prag XIII. E. 5. fol. 182V — 183V, 21X15 cm, Sp. 17,5XII cm Papier. Gedruckt bei A. NEUMANN: České sekty ve století XIV. a XV. 1920, S. 56—61, Gering- fügige Abweichungen in der Lesart wurden nicht bes. gekennzeichnet. Anno Domini MCCCCXXVIII finita est reprobatio waldensium hereticorum in Egra, feria II in vigilia Epiphanii Domini. Amen. Articuli Waldensium. 1. se solos Christi ecclesiam et discipulos eius dicunt omnes 2. dicunt Apostolorum successores esse et auctoritatem ligandi et soluendi habere 3. dicunt Romanam ecclesiam esse meretricem babilonicam et omnes adherentes dampnari 4. dicunt omnes sequaces Silvestri pape esse damnatos 5. nulla miracula esse vera, quae fiunt in ecclesia 6. nulla statuta post Christum esse seruanda 7. nulla festa Sanctorum et ieiunia, nec officia ecclesie esse seruanda 8. Omniat alia a clero per sola auaritia esse instituta 9. est tunc hominem baptizari, quando in eorum sectam fuerit inductus 10. parvulis baptismum non valere, quousque credere non possunt 11. confirmacio non prodest, quousuqe ipsorum magistri manus confirmatis impo- nunt 12. episcopos, religioses et clericos ecclesie dicunt phariseos et scribas Apostolorum 13. in altari dicunt non esse verum corpus et sanguinem Christi, sed tantum panem et vinum, qui in figura et tocius Dei, sicut petra erat Christus (fol. 182v) 14. dicunt solum per bonos sacerdotes sacramentum confici corporis Christi 15. alii dicunt, quod omnes in secta sua, in omni mensa potest corpus Christi confici in memoriam Christi 16. sacerdordos peccator non potest ligare et soluere, qui solus est peccato ligatus 17. laycus bonus potest ligare et soluere et poenitentiam iniungere 18. unccionem extremam, chrisma, et oleum sanctum dicunt nihil valere, nisi sicud aliud oleum 19. omnes ordinationes et benedictiones clericorum sunt plus maledictiones et non sacramentum 20. ecclesie matrimonium dicunt fornicationem iuratam, nisi uiuant continenter 21. continentiam laudant, sed urenti libidini concedunt omnem satisfaccionem, praeter actum matrimonialem, dicentes, quod melius est nubere, quam uri 22. dicunt omnem iuramentum, eciam in veritate, esse illicitum, quia omnino non iurabis, sed permittes 23. pro euadenda morte, et ne prodat suam sectam, licet iurare et periurare 24. sectam suam proedere, dicunt, peccatum inexpiabile et in Spiritum Sanctum 25. nec maleficos licet occidere per iudicium seculare 275

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26. nec animalia bruta, nec pisces licet occidere, sed sumer, perseverari et sic com- medere 27. dicunt non esse purgatorium sed post mortem statim est transsitus in celum uel in infernum 28. suffragia moruorum nihil proderunt, quia in celis non indigent et in inferno non adiuuantur 29. misse defunctorum et offertoria non mortuis, sed clericis prosunt 30. oportet sanctorum suffragia inuocare, quia nos non audiunt 31. Spiritus in celsitudo celestibus gaudiis absorpte, nec nos curant, nec pro nobis astant orant (fol. 183) 32. ideo solempnitates, veneraciones et laudes sanctorum et festiuitates derident 33. ideo in festiuitatibus sanctorum, ubi possunt, occulte laborant 34. dicunt deus non gaudet in affliccionibus seruorum suorum 35. ideo in quadragesima et aliis ieiuniis carnes comedunt et non ieiunant 36. sed quando ieiunant et affligunt, hoc faciunt ut simulent sanctitatem 37. Vetus Testamentum non credunt, sed dicunt, Evangelio superveniente, omnia uetera iam transierunt. Si tamen aliqua Judei accipiunt, hoc non faciunt, nisi ut alios inpinguent, sicut similiter faciunt de dictis nostrorum sanctorum doc- torum qui sunt perfecti eorum, sunt aliorum doctores et confessores et dicunt se Apostolorum successores. Alii vocantur Apostolici et sunt nihil proprium haben- tes, eciam nec coniuges. Ideo dicuntur pauperes de Gluduno aut pouer lion, qui semper per mundum circumierunt, suos, uisitantes et confortantes, docentes Nowum Testamentum in wlgari et confessiones audientes et papam et clerum, qui diuicias habent, condempnantes et ipsos hereticos appellantes alii imperfectis proprium habent et perfectos fouent et instruunt et collectas pro hiis faciunt et pauperibus nullum mendicari permittentes, qui secretissimas con uenciones faciunt et signa sue noticie habent occulta et ne prodantur, omnia nobiscum sacramenta tenent et faciunt, simulate missas visitant, communicant, offerunt, decimas dant, confitentur, ieiunant, festiuant publice et cetera omnia nobiscum faciunt, sed inter se hac omnia derident et omnes in wlgari discunt Nowum Testamentum. Item, si de aliquo habes suspicionem contra item Waldensium et vis experiri, tunc porige sibi potum et dumque bibit in nomine sancti Martini. Et videbis mutationem sui wltus in paliditatem et non bibet, ut canitur de sancto Martino: Omnis hereticus ugiat palidus. (fol. 183v) 38. 39. 276

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C. 1411 Juni 12 Cambrais. 18 falsche, irrige und ketzerische Thesen des Karmelitermönches Wilhelm von Hildernissen aus Brüssel. Universitätsbibliothek Olmüz (Olomouce) M II 130, fol, 109v, 31X21,5, Sp. 20X19,5, dunkelbraune Tinte, Papier Kopie. Unter zur Grundlegung einer Pariser Hs. (Hs. MS. Colleg. Navarrici Parrisiensis) gedruckt bei Baluze: „Miscellanea“ II, 277—297. Nach Baluze übernommen von P. Fredericq: „Corpus documentorum inqusitionis“ I, S. 267—279; 273—274. Die Abweichungen zur Pariser HS. beziehen sich auf diese Edition und werden mit P gekennzeichnet. Isti sunta) proposiciones false, erronee et heretice per me fratrem Wilhelmum de Hildernissen in forma quae sequitur revocande. Prima proposicio est, quod omnes Christiani, Judai, paganib) salvabuntur omnes- que ad Deum revertentur et erit unum ovile et unus pastor, et finaliter erit una gene- ralis saluatio. Proptereac) quia Christus satisfecit pro omnibus. Item quodd) omnes sunt benedictie) in Christo, et benedictio Dei manebit. Ergo finaliter omnes saluabuntur in Christo. Hanc reuoco tanquam falsam, erroneam et hereticam, quia est contra evangelii: Multi sunt vocati pauci vero electi (Matth. 20,16; 22,14). Item multi decedunt in mortali peccatof) et tales non salvantur. Item de Judeis et paganis patet per illud evangeliis) : Nisi quis renatus fuerith) (Joh. 3,5). Secundam proposicionem, quae sequitur ex praemissis, aliquando infernus non erit, reuoco tanquam falsam et erroneam1), quia est contra illud evangelii: Ibunt hii in vitam eternam, hii autem in ignem eternum (Matth. 25,46). Tertia') proposicio est, quod dicuntk) se homines habere velle, nichil, est, Deus totum facit siue bona siue mala, fiunt voluntate divina et conueniunt ita essel) propheta dictus celebrare quod Deus aeque facit potentiam prius ut opera. Reuoco tanquam falsam, hereticam, perversamm) et piarum aurium offensiuam. Quarta proposicio est, quod nullus homo purus in vitan) actibus suis meretur ali- quid vite eterne, sed Christus solum, qui in cruce omnia meruit, revoco tanquam male sonantem, piarum aurium offensiuam atque erroneam et hereticam. Quinta proposicio, quod illud quod homo agit, non cedit sibi ad meritum°), nec ad saluationem uel damnationem, sed passio Christi satisfecit pro omnibus hanc reuoco tanquam falsam, periculosam, scandalosam, erroneam atque hereticam. Sexta proposicio est quod homo exterior non maculat interiorem, reuoco tan- quam falsam et male sonantem. Septima proposicio quod homo interior non dampnabitur, similiter reuoco tan- quam falsam et male sonantem. b) et etiam diaboli P a) Sequuntur P c) probari P e) benedictae P d) fehlt in P g) scripturae sacrae P *) peccato mortali P h) in P folgt: ex aqua et Spiritu Sancto, non intrabit in regnum coelorum 1) haereti- j) von hier ab ist in P proposicio weggelassen k) se habere velle, nihil est, cam P 1) der Zusatz von propheta bis opera fehlt Deus enim totum facit, et omnia sive... P m) fehlt in P n) via P o) vel demeritum P in P 19 277

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Octaua proposicio est, quod in culpap) vestium nulla est culpa, reuoco tanquam malesonantem et male edificante'm), quia licet in ornatu vestium non sit peccatum potest tamen ornatus vestium esse causa uel occasio peccati. Nona proposicio est, quod reprehendentes peccatores uel eos iudicantes plus pec- cant quam reprehensi non iudicandir) reuoco tanquam falsam et male sonantem totiusque fraterne correctionis destructivam. Decima proposicio quod praedicationess) antiquorum sanctorumt) doctorum cessabunt et superueniunt noue, et quod scripture clarius reuelabitur quam hucusque notificate fueruntu), et quod Spiritus Sanctus clarius illuminabit intellectum homi- num") quam hucusque fecerit eciam in apostolis, quia non habuerunt nisi corticem. Et quod instabit tempus quo reuelanda erit") lex spiritualisl ibertates et in*) hii erit- illa lex proprie sancta et tunc praesens lex cessabit, istam reuoco tanquam erroneam, temerariam et hereticam. Undecima p roposicio quod presbyteri audientes confessiones non remittunt pe- cata sed Christus, ex eo quod peccator non potest dimittere peccata, reuoco tanquam erroneam.)) Duodecima proposicio quod pluries asserui me habuisse reuelationem et2) a Deo me fuisse amplexatum et illuminatum etab) tunc habui gaudium et securitatem de eter- nitateac) et licet hoc ad) gaudium cito transsierit, tamen in me mansitae) securitas de eternitate, et quod extunc clarius et aliter intellexi sacram Scripturam quam antea, autemaf) quandoque asserui quod mallem praedicareas) et non in sensum proprium et intellectum meum quem est in Scripturam: Ista reuoco tanquam periculose et praesumtiose assertum et piis auribus male sonantem. Et est verisimileah) quod ista mihi fuerunt aliorum errorum occasio. Tertiam decimam, quod Deus est ubique in lapidibusa1), in membris hominis et in inferno, sicut in sacramento altarisa]) specialiori tamen modo, utpote in sacramento sacramentaliter existit, quo modo non existit in aliis rebus. Ista reuoco etc. Quarta decima proposicio, quod nullus potest sacram Scripturama1) intelligere, nisi Sanctus Spiritus esset in eo. Reuoco tanquam falsamak), quia constatal) quod aliqui peccatores doctiam) melius intelligunt sacram Scripturam quam multi simplices habentes Spiritum Sanctum uel graciam Spiritus Sancti. Quinta decima proposicio, quod resurrectio amplius non eritan) futura, quia illa erat facta in Christo et ex eoao) sumus Christi membra et non surrexit caput sine membris: Reuoco tanquam hereticam et erroneam. P) u r) vel judicati P q) aedificativam P s) et doctrinae P t) et ornatu P w) illa lex Spiritus Sancti et P X) tunc V) humanum P notificata sit P y) et piorum aurium offensivam P zz) in ea me a praesens lex cessabit P ad) illud P ab) quod tunc P ac) securitate aeternitatis, et quod ... P Deo ...P a8) secundum scripturam. Ista... P af) unde et P ah) be Fre- ae) remansit P ai) lapide Paj) in P folgt: et dericq verdruckt virisimile; hier auch asserta und sonantia. ideo quilibet habet Deum perfecte antequam communicet, reuoco tanquam falsam etsu persti- tiosam; quia, licet Deus sit ubique et in qualibet re secundum ejus essentiam, verumtame aj1) perfecte P ak) et erroneam P in sacramento altaris ... Fortsetzung wie O. °) quod eingeschoben P an) esset P am) das Wort fehlt in P al) stat P 278

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Sexta decima proposicio, quod asserui meap) reuelationes habuisse contra pres- byteros et audiuisse vocesa ) mihi dicentes: Ego veni ad mortificandum presbyteros. Revoco tanquam puram superstitiosam et scandalosam. Septima decima proposicio, quod si nunquamar) homines confiteor, nichilominus tantum unum a peccatiis absolveritur, reuoco tanquam male sonantem, erroneam.as) Octaua decima proposicio, quod corrupta, si non haberet curam in ecclesiaat) temporalem uel virum, esset huismodoau) meriti sicut virgo : Reuocoav) etc. a p) fehlt in P aq) vocem dicentem P ob hoc salvarentur pauciores homines, reuoco... au) ejusdem P at) in ecclesia fehlt in P sonantem P ar) P hat weiter praedicaretur, non tamen as) et piarum aurium offensivam P av) tanquam falsam et erroneam et male 19.

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D. 1399, Mai/Juni Cham (Oberpfalz). Irrtümer häretischer Begarden und Beginen, Vernehmung eines Begarden durch Martin v. Prag. Universitätsbibliothek Prag, XIII.E. 7, fol. 1787—179. 15X21 cm. Sp. 11X161/2, Papier. Unter Zugrundelegung einer Hs. des cod. Michelstedt, fol. 2237—2247 von H. Haupt in der ZfK 12, 1891, S. 88—90 gedruckt. Alle Abweichungen der Prager Version zu dieser Edition sind mit H. gekennzeichnet. Hic habentur errores Beghardorum.a) Consequenter noto errores Beghardorum et Beginarum de voluntaria paupertate. Primo credunt se habere et tenereb) perfectiorem statum omnium religiosorum et mendicancium excellenciorem. Probant hoc et dicunt, quod Christus servavit uitame) eorum et visitauitd) ac sanctificavit una cum beatis apostolis eandem, reli- quas vero religiones quamque invenerunte) Dominicus, Franciseus. Item dicuntf) mendicasse hostiatim, sed nichil probant de eodem, propterea ne dicants) hostiatim et non indigentes de pane, tantum ut satisfaciant Christi sequele et sue religioni. Clarum est istud, quia transeunt et incedunt de loco ad locum, utrum detur aliquid uel negetur, nihil curant. Item quando volunt aliquem in fratrem assumere, praedicant sibi huiusmodi vite perfeccionem et sanctitatem, propter quam opportebat ipsum infinitas persecuciones sustinered), precipue a sacerdotibus, qui nolunt attingere hunc gradum perfeccionis Christum imitando ut ipsi, sed pocius vivere voluptiose et inordinate in scandalum plurimorum. Item inducunt ipsum, quod promittit dominus1) et seniorum castita- tem, obedienciam voluntariam1) et mendicitatem. Item quod nichil proprium habeantk) nec proprium nominent sed commune. Item quod conformet se aliis in habitis prout moris est Beghardorum. Item hisl) prohibitis tonduntm) eum vel eam, si prius fuerunt intonsi"), et deponunt sicut°) secularem habitum et proprium sui status inducunt, ut in antea unus ex ipsis habeatur et frater nominetur. Item geniculantur penes ipsum ad modum ceremonie et orant ferventer pro sue confirmacione.") Item instruunt") ipsum, quomodo debeat per opposita feverer) propriam volunta- tem, videlicet quando habet appetitum commedendi, bibendi, dormiendi, ad eccle- tiam eundi ets) actibus humanis, ita quod teneat oppositum per omnia in predictis: 2) Satz fehlt bei H. c) Wort fehlt bei H ; er ergänzt religionem b) Wort fehlt bei H f) Christum H d) instituit H g) mendicant H e) invenerint H 1) promittat deo et patri domus et seniori... H j) voluntariam pau- 1) subire H n) m) ei eum H k) habeat H non fuerunt tonsi H 1) hiis P pertatem H 1) von H verbessert facere o) sibi H P) q) instituunt H et communione H proprie voluntati Hs. Michelst. = P 280

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Item quod habeat exercicia corporalia in cibis et potibus, viliora delectabiliboribus preponendo in tantum, quod interdum utatur cadaveribus glirium, canum, cathorum et porcorum. Item habent murmuralem modum orandi de vespere ante dormicionem compo- nendo pedes et manus extendendo et dimittendo.t) Item perfectiores inter ipsos non orant verbaliter sed, cordialiter tantum, dicentes, quod eque") bene det in celis mentem sicut verbum. Unde illiv) multum perfecti ipsorum ignorant pater noster. Presidente noster") expertum est nostri et tantum prae fiducia in examine cuius- dam beghardi in Cambia domino duce olim presente et aliis pluribus personis fide dignis. Requisitus fuit*), utrum sciat7) (fol. 1787) dominicam orationem, primum subrisit, deinde2) me grauius instante, ut diceret, extensis manibus et eleuatis oculis in celum clamauit: „ach got, mein got, wy hastu mich verlassen“ et penitus non nouit prin- cipium neque finem. Et pro hac secteaa) sunt cognoscendi in ecclesia inter orantes, quia aliis mouentibus labia, ipsi geniculantur ore aperto absque motu labiorum. Item nullus ipsorumab) audet se in habitu christianis conformari, sedac) omnem, ut sit omnimode distinctus apparenter. Item laborant ad quandam equalitatem, quam habuerunt in statu innocentie primi parentes, ut per exercicia grauia sensualitatem subiciantad) ratione. Quo facto licet ex sensualitate extinctase) omnibus uti delectabilibus absque timore, quamvis caro delectatur. Confirmant errorem suum dicto apostolico: „ubi spiritus domini, ibi libertas“ (2. Kor. 3, 17). Item infra eleuationem corporis Christi non mouent se de loco orationis ad uiden- dum oculis corporalibus corpus Christi, dicentes, quod beacius et excellenciusaf oculis materialibus deum contemplari, ut in Clementinae adinventumag) (lib. V, tit. III, cap. III, 2). Item non reuelantur ista secreta nisi perfectisad), ideo multi reperiuntur inter eos simplices, quibus de istis nichil constat. Item superiorem suumai) vocant patrem et mulierem" ) Martham. Communiter alie omnes secundum officia dicuntur Marthe, exempli gracia obriste Martha, Bitel- Marthaak), Schu-Martha, Keler-Martha, Cher-Marthaal), Cuchen-Marthaam) (fol. 179). 1) deus ita bene intelligit mentem sicut verba H s) ceteris H t) dicendo H v) ibi H W) Presidente me examini cuiusdam bechardi in Cambio H *) fuerit H z) demum H ab) eorum H aa) et perfacile sunt cognoscendi H 7) sciret H ad) co- ac) sed operatur Hs. oret), quod omnimode ab aliis sit distinctus ut antea H af) pre- ae) sensualitate extincta H, Hs. M = Hs.P erceant (Hs. sorerciant) H a5) in M verderbt: ut in tale ad irrui, von H weggelassen ah) istis excellencius H aj) mulierem superiorem H a1) fehlt bei H ak) Bethel-Martha H perfectis H al) Becher-Martha H am) Tuchen-Martha H 281

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