z 378 stránek
Titul
I
II
III
IV
Einleitung
V
VI
VII
VIII
IX
X
XI
XII
XIII
XIV
XV
XVI
XVII
XVIII
XIX
XX
XXI
XXII
XXIII
XXIV
XXV
XXVI
XXVII
XXVIII
XXIX
XXX
XXXI
XXXII
XXXIII
XXXIV
XXXV
XXXVI
XXXVII
XXXVIII
XXXIX
XL
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XLIV
XLV
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Inhalt
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Edice
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Název:
Tristan (Gottfried von Straßburg), vol. I
Autor:
Bechstein, Reinhold
Rok vydání:
1873
Místo vydání:
Leipzig
Počet stran celkem:
378
Počet stran předmluvy plus obsahu:
L+328
Obsah:
- I: Titul
- V: Einleitung
- XLIX: Inhalt
- 1: Edice
upravit
Strana I
GOTTFRIED'S VON STRASSBURG TRISTAN. HERAUSGEGEBEN VON REINHOLD BECHSTEIN. ERSTER THEIL. ZWEITE AUFLAGE. LEIPZIG: F. A. BROCKHAUS. 1873.
GOTTFRIED'S VON STRASSBURG TRISTAN. HERAUSGEGEBEN VON REINHOLD BECHSTEIN. ERSTER THEIL. ZWEITE AUFLAGE. LEIPZIG: F. A. BROCKHAUS. 1873.
Strana II
DEUTSCHE CLASSIKER DES MITTELALTERS. MIT WORT- UND SACHERKLARUNGEN. BEGRÜNDET VON FRANZ PFEIFFER. SIEBENTER BAND. GOTTFRIED’S VON STRASSBURG TRISTAN. ERSTER THEIL. LEIPZIG: F. A. BROCKHAUS. 1873.
DEUTSCHE CLASSIKER DES MITTELALTERS. MIT WORT- UND SACHERKLARUNGEN. BEGRÜNDET VON FRANZ PFEIFFER. SIEBENTER BAND. GOTTFRIED’S VON STRASSBURG TRISTAN. ERSTER THEIL. LEIPZIG: F. A. BROCKHAUS. 1873.
Strana III
Strana IV
Strana V
EINLEITUNG. Anmuthig und von künstlerischer Schönheit wie keine zweite Romandichtung des deutschen Mittelalters ist der Tri- stan Gottfried's von Straßburg ; in keiner waltet ein solch wunderbarer und seelenvoller Einklang zwischen Inhalt und Form. Mangelt diesem Dichter die schlichte Einfachheit und edele Klarheit seines Genossen und Vorbildes Hartmann von Aue, ist er weit entfernt von der sittlich ernsten Strenge und großartigen Hoheit seines Widersachers Wolfram von Eschen- bach, so ist er einzig und unübertroffen im leichten Flusse der Rede, im geistreichen und zierlichen Spiele der Worte, Gedanken und Bilder, in der einschmeichelnden und zaube- risch ergreifenden Kunst der Seelenmalerei. Schon von den Zeitgenossen und nächsten Nachkommen wird sein Genius be- wundert und gepriesen, und über ein Jahrhundert lang findet seine Dichtersprache bewusste und unbewusste Nachahmung. Mit dem sinkenden Mittelalter wird sein Name vergessen, aber mit dem Erwachen der deutschen Studien feierte auch Gott- fried nach langem Schlummer seine Wiedergeburt. Nicht nur aus literargeschichtlichem Interesse und um der Beleh- rung willen vertiefen wir uns in sein Gedicht. Wer vor- urtheilslos sich ihm nähert, aber empfänglich ist für die Poesie unserer Vorzeit, der wird unwillkürlich in hohem Maße ge- fesselt und findet reichen ästhetischen Genußs. Ja Gottfried ist auch lebendig für die Gegenwart gewonnen; denn mancher Dichter hat sich ihn zum Vorbild auserkoren. Daß es dem Dichter des Tristan mit seiner ausgeprägten Eigenart zu seiner Zeit nicht an feindseligen Gegnern gefehlt habe, das dürfen wir auch ohne bestimmte äußere Zeugnisse annehmen und schließen es aus einzelnen Andeutungen. Auch
EINLEITUNG. Anmuthig und von künstlerischer Schönheit wie keine zweite Romandichtung des deutschen Mittelalters ist der Tri- stan Gottfried's von Straßburg ; in keiner waltet ein solch wunderbarer und seelenvoller Einklang zwischen Inhalt und Form. Mangelt diesem Dichter die schlichte Einfachheit und edele Klarheit seines Genossen und Vorbildes Hartmann von Aue, ist er weit entfernt von der sittlich ernsten Strenge und großartigen Hoheit seines Widersachers Wolfram von Eschen- bach, so ist er einzig und unübertroffen im leichten Flusse der Rede, im geistreichen und zierlichen Spiele der Worte, Gedanken und Bilder, in der einschmeichelnden und zaube- risch ergreifenden Kunst der Seelenmalerei. Schon von den Zeitgenossen und nächsten Nachkommen wird sein Genius be- wundert und gepriesen, und über ein Jahrhundert lang findet seine Dichtersprache bewusste und unbewusste Nachahmung. Mit dem sinkenden Mittelalter wird sein Name vergessen, aber mit dem Erwachen der deutschen Studien feierte auch Gott- fried nach langem Schlummer seine Wiedergeburt. Nicht nur aus literargeschichtlichem Interesse und um der Beleh- rung willen vertiefen wir uns in sein Gedicht. Wer vor- urtheilslos sich ihm nähert, aber empfänglich ist für die Poesie unserer Vorzeit, der wird unwillkürlich in hohem Maße ge- fesselt und findet reichen ästhetischen Genußs. Ja Gottfried ist auch lebendig für die Gegenwart gewonnen; denn mancher Dichter hat sich ihn zum Vorbild auserkoren. Daß es dem Dichter des Tristan mit seiner ausgeprägten Eigenart zu seiner Zeit nicht an feindseligen Gegnern gefehlt habe, das dürfen wir auch ohne bestimmte äußere Zeugnisse annehmen und schließen es aus einzelnen Andeutungen. Auch
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VI EINLEITUNG. in unsern Tagen ist er nicht ohne Anfechtung geblieben. Seine Lebensanschauung fand Tadel, der sittlich bedenkliche Stoff seines Liebesromans gab vor allem Anlaßs zu verwerfendem Urtheil. Auch philologische Bedenken wurden laut wider seine Verskunst. Solchen immer nur vereinzelten Ausstellungen gegenüber, die noch dazu meist einem grämlichen Gemüthe entstammten, hat die Literaturgeschichte doch ihr Urtheil dahin festgestellt, daß Gottfried von Straßburg als einer der her- vorragendsten Dichter, den Deutschland je geboren, in Ehren zu halten ist, als ein wirklicher Classiker unseres Alterthums. Wenn der Tristan auch auf heutige Leser noch einen wirk- lich ästhetischen Eindruck zu machen vermag, so verdanken sie dies gewiss vorzugsweise der unnachahmlichen Kunst des Dichters. Einigermaßsen wird auch das unbekannte franzö- sische Original solches Verdienst beanspruchen dürfen. Ein gut Theil aber dieser Wirkung kommt zugleich den allgemein menschlichen Motiven der Erzählung zu, welche uns das mittel- alterliche und insbesondere höfisch-ritterliche Costüm in Stoff und Darstellung fast ganz vergessen lassen. Gottfried's Ge- dicht war zu seiner Zeit gewiss ein echt modernes. Macht,es aber mit Abrechnung einiger Einzelheiten in der Erzählung und einiger geschichtlich charakteristischen Anschauungen nicht auch heute noch den Eindruck des Modernen? Auch daſs die Handlung im fernen Lande vor sich geht, stört uns nicht; diese Fremde blickt uns nicht fremd und seltsam an. Für die ästhetische Würdigung wird der jeweilige Ge- schmack immer maßsgebend sein. Beim Tristan können wir aus den angedeuteten Gründen ziemlich mühelos zu einer lebendigen Nachempfindung gelangen ähnlich wie bei Hart- mann’s Gregor und Armem Heinrich, während bei Schöpfungen wie z. B. bei Hartmann's Erec und Iwein, es vorerst der Ver- tiefung bedarf, ehe wir dem Gegenstande und der Kunst des Dichters gerecht werden. Erfüllt eine solche Anschauung that- sächlich die weiteren Kreise, so wird selbst der Fachmann sich ihrem Banne nicht ganz entziehen können, sobald er auf dem Standpunkt des geniessenden Lesers steht. Aber an sich, wissenschaftlich betrachtet, darf dies das literargeschichtliche Urtheil nicht bestimmen. Gedichte wie die zuletzt genannten hören darum nicht auf, Blüten der Kunst zu sein, weil sie vielleicht dem heutigen Geschmacke nicht ohne weiteres zu- sagen wollen. In dieser Beziehung werden die Erzeugnisse des Mittelalters gar zu leicht unterschätzt. Aber es will mich bedünken, als habe auch in der Behandlung der Literatur-
VI EINLEITUNG. in unsern Tagen ist er nicht ohne Anfechtung geblieben. Seine Lebensanschauung fand Tadel, der sittlich bedenkliche Stoff seines Liebesromans gab vor allem Anlaßs zu verwerfendem Urtheil. Auch philologische Bedenken wurden laut wider seine Verskunst. Solchen immer nur vereinzelten Ausstellungen gegenüber, die noch dazu meist einem grämlichen Gemüthe entstammten, hat die Literaturgeschichte doch ihr Urtheil dahin festgestellt, daß Gottfried von Straßburg als einer der her- vorragendsten Dichter, den Deutschland je geboren, in Ehren zu halten ist, als ein wirklicher Classiker unseres Alterthums. Wenn der Tristan auch auf heutige Leser noch einen wirk- lich ästhetischen Eindruck zu machen vermag, so verdanken sie dies gewiss vorzugsweise der unnachahmlichen Kunst des Dichters. Einigermaßsen wird auch das unbekannte franzö- sische Original solches Verdienst beanspruchen dürfen. Ein gut Theil aber dieser Wirkung kommt zugleich den allgemein menschlichen Motiven der Erzählung zu, welche uns das mittel- alterliche und insbesondere höfisch-ritterliche Costüm in Stoff und Darstellung fast ganz vergessen lassen. Gottfried's Ge- dicht war zu seiner Zeit gewiss ein echt modernes. Macht,es aber mit Abrechnung einiger Einzelheiten in der Erzählung und einiger geschichtlich charakteristischen Anschauungen nicht auch heute noch den Eindruck des Modernen? Auch daſs die Handlung im fernen Lande vor sich geht, stört uns nicht; diese Fremde blickt uns nicht fremd und seltsam an. Für die ästhetische Würdigung wird der jeweilige Ge- schmack immer maßsgebend sein. Beim Tristan können wir aus den angedeuteten Gründen ziemlich mühelos zu einer lebendigen Nachempfindung gelangen ähnlich wie bei Hart- mann’s Gregor und Armem Heinrich, während bei Schöpfungen wie z. B. bei Hartmann's Erec und Iwein, es vorerst der Ver- tiefung bedarf, ehe wir dem Gegenstande und der Kunst des Dichters gerecht werden. Erfüllt eine solche Anschauung that- sächlich die weiteren Kreise, so wird selbst der Fachmann sich ihrem Banne nicht ganz entziehen können, sobald er auf dem Standpunkt des geniessenden Lesers steht. Aber an sich, wissenschaftlich betrachtet, darf dies das literargeschichtliche Urtheil nicht bestimmen. Gedichte wie die zuletzt genannten hören darum nicht auf, Blüten der Kunst zu sein, weil sie vielleicht dem heutigen Geschmacke nicht ohne weiteres zu- sagen wollen. In dieser Beziehung werden die Erzeugnisse des Mittelalters gar zu leicht unterschätzt. Aber es will mich bedünken, als habe auch in der Behandlung der Literatur-
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EINLEITUNG. VII geschichte das historische Urtheil öfters unter dem Drucke von Vorliebe und Abneigung gelitten. Die Literaturgeschichte scheidet bekanntlich in der erzäh- lenden Dichtung des Mittelalters das Volksepos, die dichte- rische Verherrlichung der heimischen Heldensage, vom Kunst- epos oder, wie es mit Beschränkung auf seine kurze Blütezeit auch genannt wird, vom höfischen, vom ritterlichen Epos. Eine solche systematische Scheidung ist wohl nothig, ja auch zweckmäßsig, aber sie kann weder hinsichtlich der Form noch auch hinsichtlich des Inhaltes genau bis ins Einzelne durch- geführt werden. Ein Gegensatz zwischen der heimischen Dich- tung und der von außsen eingeführten, nach fremden Vor- bildern geschaffenen bestand allerdings und wird nie völlig geschwunden sein. Er war begründet in den gesellschaftlichen Verhältnissen und Unterschieden, ja er tritt auch historisch nach den Landschaften hervor. Allein so schroff, wie er oft dargestellt und unter Rubriken gebracht wird, war dieser Gegensatz niemals; die Zeit milderte ihn, sie glich ihn aus mit Hülfe des universalen, des kosmopolitischen Geistes, welcher das mittelalterliche Leben durchdrang und erfüllte. Wenn fremde Stoffe ebendeshalb, weil sie nicht vaterländisch waren, zunächst auch keine Volksthümlichkeit besaßsen, so wurden sie doch volksthümlich durch das allgemeine Bedürf- niss nach poetischer Anregung und Unterhaltung, sowie durch die Kunst hervorragender Meister. Gilt dies vor allen von den christlichen, biblischen Erzählungen, so wurden auch antike, romanische und keltische, selbst einzelne orientalische Sagenstoffe zu einem Gemeingute der abendländischen Welt und fanden namentlich in unserm Vaterlande, wo schon früh das Aneignungsvermögen dem fremden Geiste willig entgegen- kam, eine neue Heimat und ihre dichterische Verklärung, wie auch hinwiederum manche Dichtungen, die unserm heimischen Boden erwachsen waren, ihren Weg in andere Lande ge- nommen haben. Sagengestalten wie König Alexander, König Artus, Parzival und Tristan sind in der Blütezeit mittelalter- licher Poesie und noch lange darüber hinaus nahezu so volks- thümlich und in gewissem Sinne so national wie Siegfried und Dietrich von Bern. Die Sage von Tristan ist eine keltische, ihre Heimat Britannien und Irland. In England wird sie frühzeitig dich— terisch verwerthet, von da gelangt sie nach Frankreich, wo
EINLEITUNG. VII geschichte das historische Urtheil öfters unter dem Drucke von Vorliebe und Abneigung gelitten. Die Literaturgeschichte scheidet bekanntlich in der erzäh- lenden Dichtung des Mittelalters das Volksepos, die dichte- rische Verherrlichung der heimischen Heldensage, vom Kunst- epos oder, wie es mit Beschränkung auf seine kurze Blütezeit auch genannt wird, vom höfischen, vom ritterlichen Epos. Eine solche systematische Scheidung ist wohl nothig, ja auch zweckmäßsig, aber sie kann weder hinsichtlich der Form noch auch hinsichtlich des Inhaltes genau bis ins Einzelne durch- geführt werden. Ein Gegensatz zwischen der heimischen Dich- tung und der von außsen eingeführten, nach fremden Vor- bildern geschaffenen bestand allerdings und wird nie völlig geschwunden sein. Er war begründet in den gesellschaftlichen Verhältnissen und Unterschieden, ja er tritt auch historisch nach den Landschaften hervor. Allein so schroff, wie er oft dargestellt und unter Rubriken gebracht wird, war dieser Gegensatz niemals; die Zeit milderte ihn, sie glich ihn aus mit Hülfe des universalen, des kosmopolitischen Geistes, welcher das mittelalterliche Leben durchdrang und erfüllte. Wenn fremde Stoffe ebendeshalb, weil sie nicht vaterländisch waren, zunächst auch keine Volksthümlichkeit besaßsen, so wurden sie doch volksthümlich durch das allgemeine Bedürf- niss nach poetischer Anregung und Unterhaltung, sowie durch die Kunst hervorragender Meister. Gilt dies vor allen von den christlichen, biblischen Erzählungen, so wurden auch antike, romanische und keltische, selbst einzelne orientalische Sagenstoffe zu einem Gemeingute der abendländischen Welt und fanden namentlich in unserm Vaterlande, wo schon früh das Aneignungsvermögen dem fremden Geiste willig entgegen- kam, eine neue Heimat und ihre dichterische Verklärung, wie auch hinwiederum manche Dichtungen, die unserm heimischen Boden erwachsen waren, ihren Weg in andere Lande ge- nommen haben. Sagengestalten wie König Alexander, König Artus, Parzival und Tristan sind in der Blütezeit mittelalter- licher Poesie und noch lange darüber hinaus nahezu so volks- thümlich und in gewissem Sinne so national wie Siegfried und Dietrich von Bern. Die Sage von Tristan ist eine keltische, ihre Heimat Britannien und Irland. In England wird sie frühzeitig dich— terisch verwerthet, von da gelangt sie nach Frankreich, wo
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VIII EINLEITUNG. sie mit Vorliebe erfasst wird und manigfache Bearbeitung findet. Auch der fruchtbarste Romandichter Frankreichs. Chrestien de Troyes, dichtete, wie wir aus einem literari- schen Zeugnisse wissen, einen Tristan, aber sein Werk ist bisjetzt nicht aufgefunden. Von Autornamen begegnen in vorliegenden französischen Tristandichtungen namentlich fol- gende beide: Berox und Thomas. Von Frankreich aus ge- langen Sage und Dichtung zu uns. In dem langen Zeitraume vom Ende des 12. Jahrhunderts bis ins 16. finden wir den Roman von Tristan und Isolt ferner in der Provence, in Spa- nien, in Italien, im skandinavischen Norden, ja selbst in Böh- men und in Griechenland. Auch wird die Tristansage in Ver- bindung gebracht mit der Gral- und Artussage, zu der sie ursprünglich nicht gehörte. Den eigentlichen Denkmälern ge- sellen sich in den verschiedenen Ländern und zu verschiede- nen Zeiten vielfache Beziehungen und Anspielungen bei den Dichtern, zumal bei den Lyrikern, welche die Bekanntschaft mit der Tristansage voraussetzen und erweisen. Mit der Re- naissance schwindet die Theilnahme an der Dichtung; die Sage fristet nur in schlichten Volksbüchern ihr Dasein. Erst die neue Zeit hat den willkommenen Stoff zu künstlerischer Bearbeitung wieder hervorgesucht. Liebessagen wie die von Tristan und Isolt sind bei allen Völkern und in grauer Vorzeit anzutreffen. Die bekann- testen sind außerdem die von Pyramus und Thisbe, von Hero und Leander, von Romeo und Julie. Bekannt ist ferner die persische Erzählung von der Liebe des Ferhad zu Schirin, der Gemahlin des persischen Kaisers Chosroes. Eine an Romeo und Julie und zugleich an Tristan und Isolt erinnernde Sage ist die Erzählung von Adam und Durkhani. Wir finden hier Feindschaft der beiderseitigen Geschlechter, welche die Vermählung hindert. Die Jungfrau wird einem ungeliebten Manne gegeben, der in seiner Eifersucht den Geliebten der Frau verfolgt und in einem Kampfe verwundet. Er verkündet Adam’s Tod, und Durkhani stürzt bei dieser Nachricht ent seelt nieder. Darauf stirbt auch Adam, als er den Tod der Geliebten vernimmt. Aus ihren Gräbern spriefsen zwei Bäume empor, deren Zweige sich umarmen, ähnlich wie sich über Tristan’s und Isoldens Grab Rose und Rebe vereinen. Auch die Tristansage ist ursprünglich ein Mythus. Selbst in der jüngeren, vom modernen Geiste erfüllten Erzählung Gott. fried's blicken noch mythische Bestandtheile hindurch. Er- innert sei nur an die zauberkundige Heilkünstlerin Isolt, ar
VIII EINLEITUNG. sie mit Vorliebe erfasst wird und manigfache Bearbeitung findet. Auch der fruchtbarste Romandichter Frankreichs. Chrestien de Troyes, dichtete, wie wir aus einem literari- schen Zeugnisse wissen, einen Tristan, aber sein Werk ist bisjetzt nicht aufgefunden. Von Autornamen begegnen in vorliegenden französischen Tristandichtungen namentlich fol- gende beide: Berox und Thomas. Von Frankreich aus ge- langen Sage und Dichtung zu uns. In dem langen Zeitraume vom Ende des 12. Jahrhunderts bis ins 16. finden wir den Roman von Tristan und Isolt ferner in der Provence, in Spa- nien, in Italien, im skandinavischen Norden, ja selbst in Böh- men und in Griechenland. Auch wird die Tristansage in Ver- bindung gebracht mit der Gral- und Artussage, zu der sie ursprünglich nicht gehörte. Den eigentlichen Denkmälern ge- sellen sich in den verschiedenen Ländern und zu verschiede- nen Zeiten vielfache Beziehungen und Anspielungen bei den Dichtern, zumal bei den Lyrikern, welche die Bekanntschaft mit der Tristansage voraussetzen und erweisen. Mit der Re- naissance schwindet die Theilnahme an der Dichtung; die Sage fristet nur in schlichten Volksbüchern ihr Dasein. Erst die neue Zeit hat den willkommenen Stoff zu künstlerischer Bearbeitung wieder hervorgesucht. Liebessagen wie die von Tristan und Isolt sind bei allen Völkern und in grauer Vorzeit anzutreffen. Die bekann- testen sind außerdem die von Pyramus und Thisbe, von Hero und Leander, von Romeo und Julie. Bekannt ist ferner die persische Erzählung von der Liebe des Ferhad zu Schirin, der Gemahlin des persischen Kaisers Chosroes. Eine an Romeo und Julie und zugleich an Tristan und Isolt erinnernde Sage ist die Erzählung von Adam und Durkhani. Wir finden hier Feindschaft der beiderseitigen Geschlechter, welche die Vermählung hindert. Die Jungfrau wird einem ungeliebten Manne gegeben, der in seiner Eifersucht den Geliebten der Frau verfolgt und in einem Kampfe verwundet. Er verkündet Adam’s Tod, und Durkhani stürzt bei dieser Nachricht ent seelt nieder. Darauf stirbt auch Adam, als er den Tod der Geliebten vernimmt. Aus ihren Gräbern spriefsen zwei Bäume empor, deren Zweige sich umarmen, ähnlich wie sich über Tristan’s und Isoldens Grab Rose und Rebe vereinen. Auch die Tristansage ist ursprünglich ein Mythus. Selbst in der jüngeren, vom modernen Geiste erfüllten Erzählung Gott. fried's blicken noch mythische Bestandtheile hindurch. Er- innert sei nur an die zauberkundige Heilkünstlerin Isolt, ar
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EINLEITUNG. IX den Minnetrank, an den Drachen, an das Feenhündlein Petitcriu, an den Riesen Urgan. Einzelne historische Züge haben sich beigesellt, wie die Kämpfe zwischen Fürsten und Vasallen, die Besiegung des Landes durch fremde Eroberer. Die Erforschung dieser Elemente stöfst auf Schwierigkeiten, weil der ältere Sagengehalt nur dürftig oder gar nicht er- schlossen ist. Glücklicher konnte unsere deutsche Heldensage durch die entsprechende nordische Sagenüberlieferung auf ihren mythischen Kern zurückgeführt werden. Zwar wurde schon manches über den Mythus der Tristansage vorgebracht, allein was bisjetzt für diese sehr wichtige und interessante Frage geschah, erhebt sich nicht über die Hypothese. Es ist zu bedauern, daßs Männer wie Jakob Grimm und Ludwig Uhland die Tristansage nicht zum Gegenstand ihrer Forschung und ihres Nachdenkens gemacht haben. Jakob Grimm ist nur den verschiedenen literarischen Versionen der Sage nachge- gangen, wovon seine schöne Recension des Buches der Liebe von Büsching und von der Hagen (in der Leipziger Lite- raturzeitung vom Jahre 1812, Nr. 62—64) glänzendes Zeug- niss gibt. Für die literarische, mehr noch für die ästhetische Schätzung der Kunstdichtungen von Tristan und zumal des Meisterwerks Gottfried's von Straßsburg ist der mythische Hintergrund des Stoffes glücklicherweise gleichgültig. Weder in den Dichtern noch in den Hörern und Lesern lebt damals ein Bewusstsein mehr von dem mythischen Gehalte. Selbst der Zauber des Minnetranks, an den auch viel jüngere Zeiten glaubten, ist hier zum versöhnenden Motive gemildert. Der Mythus wurde auch hier zur Sage, die Sage zum Roman, das Märchen zur Novelle. Nur durch Gottfried's Kunst ist der Stoff wieder emporgehoben zu einem wirklichen Epos. Nach diesen allgemeinen Andeutungen wenden wir uns der Tristansage und den Tristangedichten in Deutschland zu. Ziemlich am Ende des Gottfriedischen Tristan findet sich eine charakteristische Stelle (V. 18447—70), aus welcher her- vorgeht, dafs dem Dichter mehr Einzelheiten vom Leben und von den Heldenthaten Tristan's bekannt waren, als in seiner Quelle, der er zunächst folgte und zu folgen brauchte, ver- zeichnet standen. Mit Absicht übergeht er sie, um nicht weitschweifig zu werden. Daſs er sie auch verwerfe, weil sie nicht wahr seien, kann aus dem Worte fabelen im Gegensatze zur wârheit (zur Quelle, s. Anmerk. zu 156) nicht geschlossen werden.
EINLEITUNG. IX den Minnetrank, an den Drachen, an das Feenhündlein Petitcriu, an den Riesen Urgan. Einzelne historische Züge haben sich beigesellt, wie die Kämpfe zwischen Fürsten und Vasallen, die Besiegung des Landes durch fremde Eroberer. Die Erforschung dieser Elemente stöfst auf Schwierigkeiten, weil der ältere Sagengehalt nur dürftig oder gar nicht er- schlossen ist. Glücklicher konnte unsere deutsche Heldensage durch die entsprechende nordische Sagenüberlieferung auf ihren mythischen Kern zurückgeführt werden. Zwar wurde schon manches über den Mythus der Tristansage vorgebracht, allein was bisjetzt für diese sehr wichtige und interessante Frage geschah, erhebt sich nicht über die Hypothese. Es ist zu bedauern, daßs Männer wie Jakob Grimm und Ludwig Uhland die Tristansage nicht zum Gegenstand ihrer Forschung und ihres Nachdenkens gemacht haben. Jakob Grimm ist nur den verschiedenen literarischen Versionen der Sage nachge- gangen, wovon seine schöne Recension des Buches der Liebe von Büsching und von der Hagen (in der Leipziger Lite- raturzeitung vom Jahre 1812, Nr. 62—64) glänzendes Zeug- niss gibt. Für die literarische, mehr noch für die ästhetische Schätzung der Kunstdichtungen von Tristan und zumal des Meisterwerks Gottfried's von Straßsburg ist der mythische Hintergrund des Stoffes glücklicherweise gleichgültig. Weder in den Dichtern noch in den Hörern und Lesern lebt damals ein Bewusstsein mehr von dem mythischen Gehalte. Selbst der Zauber des Minnetranks, an den auch viel jüngere Zeiten glaubten, ist hier zum versöhnenden Motive gemildert. Der Mythus wurde auch hier zur Sage, die Sage zum Roman, das Märchen zur Novelle. Nur durch Gottfried's Kunst ist der Stoff wieder emporgehoben zu einem wirklichen Epos. Nach diesen allgemeinen Andeutungen wenden wir uns der Tristansage und den Tristangedichten in Deutschland zu. Ziemlich am Ende des Gottfriedischen Tristan findet sich eine charakteristische Stelle (V. 18447—70), aus welcher her- vorgeht, dafs dem Dichter mehr Einzelheiten vom Leben und von den Heldenthaten Tristan's bekannt waren, als in seiner Quelle, der er zunächst folgte und zu folgen brauchte, ver- zeichnet standen. Mit Absicht übergeht er sie, um nicht weitschweifig zu werden. Daſs er sie auch verwerfe, weil sie nicht wahr seien, kann aus dem Worte fabelen im Gegensatze zur wârheit (zur Quelle, s. Anmerk. zu 156) nicht geschlossen werden.
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X EINLEITUNG. Dagegen finden sich mehrere Stellen, in welchen der Dich- ter sein kritisches Missfallen an bereits vorhandenen Versionen der Sage unverhohlen und mitunter nicht ohne Schärfe kund- gibt. So sagt er gleich im Eingange (V. 131—134), daßs viele die Geschichte Tristan's gelesen, aber nur wenige sie in der rechten Weise erzählt hätten. Er deutet somit auf die allge- meine Bekanntschaft der Sage im Volke hin und zugleich auf seine literarischen Vorgänger. Diese erste Bemerkung ist all- gemein, sie sagt uns nicht, in welcher Sprache jene Erzählungen verfasst wurden. Wenn Gottfried dann ferner (V. 146—154) sein Urtheil dahin erläutert, dafs die Erzähler sich nicht nach dem Vorbilde des Thomas von Britannie gerichtet hätten, so braucht auch hieraus nicht geschlossen zu werden, daßs die Getadel- ten ausschließlich Deutsche seien, wohl aber ergibt der ganze Zusammenhang der Stelle, daßs Gottfried hier auch an deutsche Vorgänger gedacht, ja daß er diese vorzugsweise im Auge ge- habt habe. Gleich im Beginne der Erzählung (V. 322—328) bietet sich dem Dichter Gelegenheit, auf eine Abweichung seiner Quelle von der andern populär gewordenen Tradition aufmerksam zu machen. Riwalin gilt als ein Lohnoisære, als ein König über das Land zu Lohnois, dagegen war er nach sicherer Uber- lieferung des Thomas ein Parmenier. — Sodann verwirft Gott- fried die entschieden poetische Erzählung von der Schwalbe und dem Frauenhaar und von Tristan's zielloser Fahrt (V. 8605 32). In dieser für unsern Sinn etwas nüchternen Auslassung des Dichters regt sich allerdings, wie Jakob Grimm treffend bemerkte, bereits das Gefühl der modernen Kritiker. — Ebenso leugnet Gottfried, dass Marke und Isolt den Minnetrank koste- ten (V. 12655—60), während ihn Brangæene in die See gewor- fen habe, wie uns auch Gottfried vorher (V. 11698 fg.) er- zählte. — Der Zwerg Melot war nach dem allgemeinen Glau- ben befähigt, Geheimnisse aus den Sternen zu lesen, dagegen schildert ihn die Quelle des Dichters nur als gewandt und listig (V. 14241—53). — Daßs in gleicher Weise, wie Gottfried es thut, auch andere die Uberlieferung der Tristansage mit kritischen Augen ansahen, darüber belehrt uns die polemische Außserung (V. 16913—26) gegen diejenigen, welche ein bloßses Liebeleben in der Wildniss ohne materielle Nahrung nicht glaubhaft und unsinnig finden. Zugleich ist die Stelle gegen vorliegende Versionen gerichtet, in welchen Tristan als Jager und Fischer geschildert wird, der durch seine Geschicklich- keit sich und seiner Geliebten das Leben fristet.
X EINLEITUNG. Dagegen finden sich mehrere Stellen, in welchen der Dich- ter sein kritisches Missfallen an bereits vorhandenen Versionen der Sage unverhohlen und mitunter nicht ohne Schärfe kund- gibt. So sagt er gleich im Eingange (V. 131—134), daßs viele die Geschichte Tristan's gelesen, aber nur wenige sie in der rechten Weise erzählt hätten. Er deutet somit auf die allge- meine Bekanntschaft der Sage im Volke hin und zugleich auf seine literarischen Vorgänger. Diese erste Bemerkung ist all- gemein, sie sagt uns nicht, in welcher Sprache jene Erzählungen verfasst wurden. Wenn Gottfried dann ferner (V. 146—154) sein Urtheil dahin erläutert, dafs die Erzähler sich nicht nach dem Vorbilde des Thomas von Britannie gerichtet hätten, so braucht auch hieraus nicht geschlossen zu werden, daßs die Getadel- ten ausschließlich Deutsche seien, wohl aber ergibt der ganze Zusammenhang der Stelle, daßs Gottfried hier auch an deutsche Vorgänger gedacht, ja daß er diese vorzugsweise im Auge ge- habt habe. Gleich im Beginne der Erzählung (V. 322—328) bietet sich dem Dichter Gelegenheit, auf eine Abweichung seiner Quelle von der andern populär gewordenen Tradition aufmerksam zu machen. Riwalin gilt als ein Lohnoisære, als ein König über das Land zu Lohnois, dagegen war er nach sicherer Uber- lieferung des Thomas ein Parmenier. — Sodann verwirft Gott- fried die entschieden poetische Erzählung von der Schwalbe und dem Frauenhaar und von Tristan's zielloser Fahrt (V. 8605 32). In dieser für unsern Sinn etwas nüchternen Auslassung des Dichters regt sich allerdings, wie Jakob Grimm treffend bemerkte, bereits das Gefühl der modernen Kritiker. — Ebenso leugnet Gottfried, dass Marke und Isolt den Minnetrank koste- ten (V. 12655—60), während ihn Brangæene in die See gewor- fen habe, wie uns auch Gottfried vorher (V. 11698 fg.) er- zählte. — Der Zwerg Melot war nach dem allgemeinen Glau- ben befähigt, Geheimnisse aus den Sternen zu lesen, dagegen schildert ihn die Quelle des Dichters nur als gewandt und listig (V. 14241—53). — Daßs in gleicher Weise, wie Gottfried es thut, auch andere die Uberlieferung der Tristansage mit kritischen Augen ansahen, darüber belehrt uns die polemische Außserung (V. 16913—26) gegen diejenigen, welche ein bloßses Liebeleben in der Wildniss ohne materielle Nahrung nicht glaubhaft und unsinnig finden. Zugleich ist die Stelle gegen vorliegende Versionen gerichtet, in welchen Tristan als Jager und Fischer geschildert wird, der durch seine Geschicklich- keit sich und seiner Geliebten das Leben fristet.
Strana XI
EINLEITUNG. XI Wirklich ist auch eine deutsche Erzählung von Tristan vorhanden, welche einmal zeitlich der Gottfriedischen voraus- geht, und sodann inhaltlich von dieser abweicht, aber dies nicht nur in den von Gottfried berührten Stellen, sondern auch noch in gar vielen Einzelheiten. Diese andere Tradition stimmt im Allgemeinen mit der französischen des Berox. In ihr «hängt die Fabel", wie Jakob Grimm wider ein abfälliges Ur- theil von Gervinus bemerkte (Göttingische gelehrte Anzeigen, 1835, 662; jetzt auch Kl. Schriften 5, 186), gegenüber der Erzählung von Gottfried «noch in festerer Fuge». Es ist dies der Tristan des Eilhart von Oberge, eines niedersächsischen, aus dem Hildesheimischen stammenden Ritters und Dienst- mannen Heinrich's des Löwen. Er erscheint urkundlich in den Jahren 1189—1207. Sein Gedicht ist wahrscheinlich nach einer französischen Quelle gearbeitet. Es ist in dem ein- fachen Erzählerton abgefasst, wie er vor Heinrich von Vel- deke allgemein war. Man setzt es daher um das Jahr 1170. Die Sprache des Dichters ist nicht das Niederdeutsch, son- dern das Hochdeutsch der mittleren Lande, das sogenannte Mitteldeutsch. Leider besitzen wir eine alte, noch dem 12. Jahrhundert angehörende Gestalt des Gedichtes nur in Bruchstücken. 1) Dagegen hat sich das ganze Werk erhal- ten in einer jüngeren Bearbeitung, welche in zwei Hand- schriften des 15. Jahrhunderts, einer Heidelberger, früher Vaticanischen, und einer Dresdener vorliegt. Im Einzelnen weichen beide Handschriften formal voneinander ab. Bisjetzt kennen wir von der Bearbeitung selbst nur einzelne kürzere oder längere Proben. 2) Es ist hohe Zeit, daß sie vollständig, wo möglich in einer Gegenüberstellung der beiden Texte sowie mit Berücksichtigung der alten Bruchstücke zur Ver- öffentlichung gelange. Daßs es aufser diesem einen Gedichte von Eilhart vor Gott- 1) I. In: Gottfried's von Straßsburg Werke von v. d. Hagen 2, 315 (1823), mitgetheilt von Hoffmann von Fallersleben mit den Ergänzungen aus der (Dresdener) jüngeren Bearbeitung ; wiederholt in Hoffmann’s Fundgruben 1, 232 (1830). — II. In: Bruchstücke aus Jansen's des Enenkels gereimter Weltchronik, S. 37 (1854) von Karl Roth. — III. In Pfeiffer's Germania 9, 155 (1864) mitgetheilt von K. A. Barack. 2) I. In Jakob Grimm's genannter Recension über das Buch der Liebe, Spalte 500 fg. (1812) aus der Dresdener Handschrift. — II. In v. d. Ha- gen's und Büsching's literarischem Grundrisse, S. 127—130 (1812) aus der Dresdener Hs. — III. In Groote's Ausgabe des Tristan (1821), S. XXIX Heidelb. Hs., S. 416 Dresdener Hs. — IV. S. obige Anmerkung 1) I (1823). — V. In einem Aufsatze Reinhold Köhler's in Pfeiffer's Germania 11, 389 fg. (1866) Heidelb. und Dresdener Hs. — VI. In einer Mittheilung R. Köhler's in Pf. Germania 14, 246 (1869) Dresdener Hs.
EINLEITUNG. XI Wirklich ist auch eine deutsche Erzählung von Tristan vorhanden, welche einmal zeitlich der Gottfriedischen voraus- geht, und sodann inhaltlich von dieser abweicht, aber dies nicht nur in den von Gottfried berührten Stellen, sondern auch noch in gar vielen Einzelheiten. Diese andere Tradition stimmt im Allgemeinen mit der französischen des Berox. In ihr «hängt die Fabel", wie Jakob Grimm wider ein abfälliges Ur- theil von Gervinus bemerkte (Göttingische gelehrte Anzeigen, 1835, 662; jetzt auch Kl. Schriften 5, 186), gegenüber der Erzählung von Gottfried «noch in festerer Fuge». Es ist dies der Tristan des Eilhart von Oberge, eines niedersächsischen, aus dem Hildesheimischen stammenden Ritters und Dienst- mannen Heinrich's des Löwen. Er erscheint urkundlich in den Jahren 1189—1207. Sein Gedicht ist wahrscheinlich nach einer französischen Quelle gearbeitet. Es ist in dem ein- fachen Erzählerton abgefasst, wie er vor Heinrich von Vel- deke allgemein war. Man setzt es daher um das Jahr 1170. Die Sprache des Dichters ist nicht das Niederdeutsch, son- dern das Hochdeutsch der mittleren Lande, das sogenannte Mitteldeutsch. Leider besitzen wir eine alte, noch dem 12. Jahrhundert angehörende Gestalt des Gedichtes nur in Bruchstücken. 1) Dagegen hat sich das ganze Werk erhal- ten in einer jüngeren Bearbeitung, welche in zwei Hand- schriften des 15. Jahrhunderts, einer Heidelberger, früher Vaticanischen, und einer Dresdener vorliegt. Im Einzelnen weichen beide Handschriften formal voneinander ab. Bisjetzt kennen wir von der Bearbeitung selbst nur einzelne kürzere oder längere Proben. 2) Es ist hohe Zeit, daß sie vollständig, wo möglich in einer Gegenüberstellung der beiden Texte sowie mit Berücksichtigung der alten Bruchstücke zur Ver- öffentlichung gelange. Daßs es aufser diesem einen Gedichte von Eilhart vor Gott- 1) I. In: Gottfried's von Straßsburg Werke von v. d. Hagen 2, 315 (1823), mitgetheilt von Hoffmann von Fallersleben mit den Ergänzungen aus der (Dresdener) jüngeren Bearbeitung ; wiederholt in Hoffmann’s Fundgruben 1, 232 (1830). — II. In: Bruchstücke aus Jansen's des Enenkels gereimter Weltchronik, S. 37 (1854) von Karl Roth. — III. In Pfeiffer's Germania 9, 155 (1864) mitgetheilt von K. A. Barack. 2) I. In Jakob Grimm's genannter Recension über das Buch der Liebe, Spalte 500 fg. (1812) aus der Dresdener Handschrift. — II. In v. d. Ha- gen's und Büsching's literarischem Grundrisse, S. 127—130 (1812) aus der Dresdener Hs. — III. In Groote's Ausgabe des Tristan (1821), S. XXIX Heidelb. Hs., S. 416 Dresdener Hs. — IV. S. obige Anmerkung 1) I (1823). — V. In einem Aufsatze Reinhold Köhler's in Pfeiffer's Germania 11, 389 fg. (1866) Heidelb. und Dresdener Hs. — VI. In einer Mittheilung R. Köhler's in Pf. Germania 14, 246 (1869) Dresdener Hs.
Strana XII
XII EINLEITUNG. fried's Zeit bei uns noch andere gegeben habe, dürfen wir schon daraus schließsen, dass Gottfried öfters geradezu mehrere nennt. Sollten aber nicht auch einzelne seiner polemischen Außserungen dies bestätigen? Gottfried spricht in jener Stelle nur von éiner Schwalbe, die Bearbeitung von Eilhart's Ge- dichte meldet von zwei Schwalben, die sich über den Besitz eines Frauenhaares stritten. Dort wird uns ferner erzählt, Tristan habe während seiner Verbannung gejagt und gefischt. Also kann diese Version nicht Anlaß zu den spöttischen Be- merkungen gegeben haben, gegen welche Gottfried eifert. Es mußs vielmehr eine Erzählung vorhanden gewesen sein, welche bei aller sonstigen Verschiedenheit von Gottfried's Quelle min- destens in diesem éinen Punkte mit ihr zusammenstimmte. Um das Jahr 1210 dichtete, was hier in Kürze voraus- genommen werden soll, Gottfried von Straßburg sein un- sterbliches Werk, hinterliefs es aber unvollendet. Fort- setzung und Schlußs lieferte um 1240 Ulrich von Türheim, einen ähnlichen Versuch wagte dann später um 1300 Hein- rich von Freiberg. Aus der jüngeren Bearbeitung von Eilhart's Gedichte gieng das prosaische Volksbuch hervor, welches zuerst 1498 in Augsburg erschien, in der Folgezeit öfters wiederholt wurde. dann auch im «Buch der Liebe» (zuerst Frankfurt 1587) Auf- nahme fand. 1) Neuerdings wurde das Volksbuch wiederholt und zum Theil modernisiert in Büsching's und v. d. Hagen’s Buch der Liebe und in den Volksbüchern von Simrock und Marbach. Aus dem Volksbuche schöpfte hinwiederum Hans Sachs bei Abfassung seiner Tragödie: Tristrant mit Isalde, vom 7. Februar 1553. Der neueren Versuche, die Tristansage episch oder dra- matisch zu bearbeiten, können wir hier nicht im Einzelnen gedenken. Es mag genügen, wenn an Immermann's herr- liches, leider unvollendetes Epos, an die schwungvolle Fort- setzung des Gottfriedischen Gedichts von Hermann Kurtz und an Richard Wagner's geistreiche, aber sprode Opern- dichtung erinnert wird. 2) 1) Bibliographische Nachweise der beiderlei Ausgaben in Jakob Grimm’s Recension, Sp. 491; in v. d. Hagen's Minnesingern 4, 588, Anmerk. 2; in Godeke's Mittelalter, S. 781, und Grundrifs 1, 115. 116. 2) Eine zusammenfassende Besprechung dieser neueren Versuche gedenkt der Herausgeber zu geben in einer Schrift, betitelt: Tristan und Isolt in deutschen Dichtungen der Neuzeit.
XII EINLEITUNG. fried's Zeit bei uns noch andere gegeben habe, dürfen wir schon daraus schließsen, dass Gottfried öfters geradezu mehrere nennt. Sollten aber nicht auch einzelne seiner polemischen Außserungen dies bestätigen? Gottfried spricht in jener Stelle nur von éiner Schwalbe, die Bearbeitung von Eilhart's Ge- dichte meldet von zwei Schwalben, die sich über den Besitz eines Frauenhaares stritten. Dort wird uns ferner erzählt, Tristan habe während seiner Verbannung gejagt und gefischt. Also kann diese Version nicht Anlaß zu den spöttischen Be- merkungen gegeben haben, gegen welche Gottfried eifert. Es mußs vielmehr eine Erzählung vorhanden gewesen sein, welche bei aller sonstigen Verschiedenheit von Gottfried's Quelle min- destens in diesem éinen Punkte mit ihr zusammenstimmte. Um das Jahr 1210 dichtete, was hier in Kürze voraus- genommen werden soll, Gottfried von Straßburg sein un- sterbliches Werk, hinterliefs es aber unvollendet. Fort- setzung und Schlußs lieferte um 1240 Ulrich von Türheim, einen ähnlichen Versuch wagte dann später um 1300 Hein- rich von Freiberg. Aus der jüngeren Bearbeitung von Eilhart's Gedichte gieng das prosaische Volksbuch hervor, welches zuerst 1498 in Augsburg erschien, in der Folgezeit öfters wiederholt wurde. dann auch im «Buch der Liebe» (zuerst Frankfurt 1587) Auf- nahme fand. 1) Neuerdings wurde das Volksbuch wiederholt und zum Theil modernisiert in Büsching's und v. d. Hagen’s Buch der Liebe und in den Volksbüchern von Simrock und Marbach. Aus dem Volksbuche schöpfte hinwiederum Hans Sachs bei Abfassung seiner Tragödie: Tristrant mit Isalde, vom 7. Februar 1553. Der neueren Versuche, die Tristansage episch oder dra- matisch zu bearbeiten, können wir hier nicht im Einzelnen gedenken. Es mag genügen, wenn an Immermann's herr- liches, leider unvollendetes Epos, an die schwungvolle Fort- setzung des Gottfriedischen Gedichts von Hermann Kurtz und an Richard Wagner's geistreiche, aber sprode Opern- dichtung erinnert wird. 2) 1) Bibliographische Nachweise der beiderlei Ausgaben in Jakob Grimm’s Recension, Sp. 491; in v. d. Hagen's Minnesingern 4, 588, Anmerk. 2; in Godeke's Mittelalter, S. 781, und Grundrifs 1, 115. 116. 2) Eine zusammenfassende Besprechung dieser neueren Versuche gedenkt der Herausgeber zu geben in einer Schrift, betitelt: Tristan und Isolt in deutschen Dichtungen der Neuzeit.
Strana XIII
EINLEITUNG. XIII Nicht allein die vorhandenen Denkmäler und diese in ver- schiedenen Handschriften, Bearbeitungen und Ausgaben geben uns vollwichtiges Zeugniss von der Beliebtheit der Tristan- sage in Deutschland während des Mittelalters und im Beginne der neuen Zeit, es stehen uns auch zur Ergänzung litera- rische Zeugnisse zu Gebote, welche auf die Vertrautheit mit der Sage und mit ihren Hauptfiguren schließsen lassen. Ein Theil derselben beziehen sich nur auf Gottfried's Tristan und sind daher besser an anderer Stelle zu berücksichtigen. Andere, die allgemein gehalten sind, wurden bisweilen, wie mir scheint zu voreilig, auch auf Gottfried gedeutet. Wenn nun auch nicht geleugnet werden soll, daß sein Gedicht wesentlich zur Verbreitung der Erzählung beigetragen hat, so kann doch im einzelnen Falle diese Kenntniss ebenso gut durch die andern Bearbeitungen vermittelt worden sein, ja manchmal beziehen sich die Anspielungen bei den Dichtern entschieden auf eine dieser letzteren. Besäßsen wir ein leicht zugängliches und handliches Werk, welches, wie es Wilhelm Grimm für die deutsche Heldensage gethan, die Zeugnisse über die außerdeutsche Sagenwelt in den deutschen Dichtungen des Mittelalters in knapper und kritisch sichtender Weise zusammenstellte, dann würde hier eine einfache Verweisung wohl am Platze sein. Wer diesen Dingen näher nachgehen will, muſs im vierten Theile von v. d. Hagen's Minnesingern sich die Stellen zusammensuchen. Eine vollständige Sammlung dieser Zeugnisse kann natürlich nicht in der Aufgabe einer einleitenden Betrachtung zu einer Ausgabe des Gottfriedischen Tristan liegen, doch möchte, weil dieselben auch noch in anderer Beziehung nicht unwichtig sind, wenigstens auf einige, auf die ältesten oder bezeichnend- sten ausdrücklich hinzuweisen sein. Vor Gottfried finden wir auf die Tristansage angespielt in einem Liede Heinrich's von Veldeke. Tristan musste un- freiwillig der Königin treu sein; ihn zwang der Minnetrank mehr als die Kraft der Minne; ich aber, setzt der Dichter hinzu, bedarf eines solchen Zaubers nicht, ich minne sie, die Geliebte, doch mehr als er die seine. (Minnesangs Frühling, 58, 35.) Wahrscheinlich ebenfalls noch vor Gottfried finden wir fast dasselbe Bild benutzt in einem Liede des Bernger von Horheim, eines schwäbischen Ritters, welcher 1190 mit Hein- rich VI. nach Apulien zog. Die betreffende Strophe ist er- weislich einem französischen Liede nachgebildet, nichtsdesto-
EINLEITUNG. XIII Nicht allein die vorhandenen Denkmäler und diese in ver- schiedenen Handschriften, Bearbeitungen und Ausgaben geben uns vollwichtiges Zeugniss von der Beliebtheit der Tristan- sage in Deutschland während des Mittelalters und im Beginne der neuen Zeit, es stehen uns auch zur Ergänzung litera- rische Zeugnisse zu Gebote, welche auf die Vertrautheit mit der Sage und mit ihren Hauptfiguren schließsen lassen. Ein Theil derselben beziehen sich nur auf Gottfried's Tristan und sind daher besser an anderer Stelle zu berücksichtigen. Andere, die allgemein gehalten sind, wurden bisweilen, wie mir scheint zu voreilig, auch auf Gottfried gedeutet. Wenn nun auch nicht geleugnet werden soll, daß sein Gedicht wesentlich zur Verbreitung der Erzählung beigetragen hat, so kann doch im einzelnen Falle diese Kenntniss ebenso gut durch die andern Bearbeitungen vermittelt worden sein, ja manchmal beziehen sich die Anspielungen bei den Dichtern entschieden auf eine dieser letzteren. Besäßsen wir ein leicht zugängliches und handliches Werk, welches, wie es Wilhelm Grimm für die deutsche Heldensage gethan, die Zeugnisse über die außerdeutsche Sagenwelt in den deutschen Dichtungen des Mittelalters in knapper und kritisch sichtender Weise zusammenstellte, dann würde hier eine einfache Verweisung wohl am Platze sein. Wer diesen Dingen näher nachgehen will, muſs im vierten Theile von v. d. Hagen's Minnesingern sich die Stellen zusammensuchen. Eine vollständige Sammlung dieser Zeugnisse kann natürlich nicht in der Aufgabe einer einleitenden Betrachtung zu einer Ausgabe des Gottfriedischen Tristan liegen, doch möchte, weil dieselben auch noch in anderer Beziehung nicht unwichtig sind, wenigstens auf einige, auf die ältesten oder bezeichnend- sten ausdrücklich hinzuweisen sein. Vor Gottfried finden wir auf die Tristansage angespielt in einem Liede Heinrich's von Veldeke. Tristan musste un- freiwillig der Königin treu sein; ihn zwang der Minnetrank mehr als die Kraft der Minne; ich aber, setzt der Dichter hinzu, bedarf eines solchen Zaubers nicht, ich minne sie, die Geliebte, doch mehr als er die seine. (Minnesangs Frühling, 58, 35.) Wahrscheinlich ebenfalls noch vor Gottfried finden wir fast dasselbe Bild benutzt in einem Liede des Bernger von Horheim, eines schwäbischen Ritters, welcher 1190 mit Hein- rich VI. nach Apulien zog. Die betreffende Strophe ist er- weislich einem französischen Liede nachgebildet, nichtsdesto-
Strana XIV
XIV EINLEITUNG. weniger wird dadurch die Bekanntschaft der Sage in Deutsch- land bezeugt. (Minnes. Fr. 112, 1.) In einem Gedichte des von Gliers in der Pariser Hand- schrift heißt es, es sei eine Noth, der Minne zu dienen. Mancher leide den Tod durch sie, der ihrer doch mit herzlicher Treue pflege; «so Tristan, der mich jammern muß». (v. d. Ha- gen's Minnesinger 1, 105, Strophe 7.) An den Minnetrank knüpft ebenfalls Reinmar von Zwe- ter, der bekannte Spruchdichter, an. Um der Treue willen zu einem geliebten Weibe litt Tristan den Tod; er trank diese Liebe aus einem Glase. Auch ich habe das getrunken aus meiner Herrin Augen. (Hagen, Minnes. 2, 181, Strophe 25.) Der Marner, ein Schwabe bürgerlichen Standes († 1287), benutzt ein ähnliches Motiv in einem Wächterliede. Troja ward einst zerstört, dem Tristan geschah viel Liebesweh um Isalden willen; auch jetzt noch hält die Minne manchen wer- then Mann gefangen. (Hagen, Minnes. 2, 237, Strophe 2.) In einem eingestreuten Liede, einer Tanzweise, in Ulrich's von Liechtenstein Frauendienst bittet der Dichter seine Ge- liebte, daßs sie ihn wie Isalde den Tristram trösten möge. Die Stelle ist auch formal wichtig: Mîn hend' ich válde mit triuwen algérnde ûf ir füeze, dáz s'als Isálde Tristrámen getrósten mich müeze. (Lachmann 394, 16, Strophe 3.) Die Form Isalde, welche hier durch den Reim gesichert ist, stammt aus der nieder- oder mitteldeutschen Tradition, die auch in Oberdeutschland allgemein war, während Gottfried im Nominativ nur Isolt oder Isôt sagt und in den andern Casus auch nur o und ô, niemals a verwendet. Auch Tristan's Altern werden erwähnt in einem Liede Konrad's von Würzburg. Der Dichter klagt, Amor sei durch Mars verdrängt worden. Liebende wie Riwalin und Blanscheflur gebe es nicht mehr. (Hagen, Minnes. 2, 312. II, Strophe 3.) Wie in Liedern, so wird auch in epischen Dichtungen auf die Tristansage angespielt. Wir gedenken nur der Stellen bei Wolfram von Eschenbach. Tristan wird in seinen Ge- dichten nicht genannt, dagegen erwähnt er den Morolt von Irland im Parzival (I, 1445. II, 263. 442. 705. 828), doch ohne Beziehung auf seine Schicksale in der Tristanerzählung. Riwalin, der minne gernde, wird ausdrücklich als König von Lohneis bezeichnet (II, 440), was wahrscheinlich schon in der Vorlage
XIV EINLEITUNG. weniger wird dadurch die Bekanntschaft der Sage in Deutsch- land bezeugt. (Minnes. Fr. 112, 1.) In einem Gedichte des von Gliers in der Pariser Hand- schrift heißt es, es sei eine Noth, der Minne zu dienen. Mancher leide den Tod durch sie, der ihrer doch mit herzlicher Treue pflege; «so Tristan, der mich jammern muß». (v. d. Ha- gen's Minnesinger 1, 105, Strophe 7.) An den Minnetrank knüpft ebenfalls Reinmar von Zwe- ter, der bekannte Spruchdichter, an. Um der Treue willen zu einem geliebten Weibe litt Tristan den Tod; er trank diese Liebe aus einem Glase. Auch ich habe das getrunken aus meiner Herrin Augen. (Hagen, Minnes. 2, 181, Strophe 25.) Der Marner, ein Schwabe bürgerlichen Standes († 1287), benutzt ein ähnliches Motiv in einem Wächterliede. Troja ward einst zerstört, dem Tristan geschah viel Liebesweh um Isalden willen; auch jetzt noch hält die Minne manchen wer- then Mann gefangen. (Hagen, Minnes. 2, 237, Strophe 2.) In einem eingestreuten Liede, einer Tanzweise, in Ulrich's von Liechtenstein Frauendienst bittet der Dichter seine Ge- liebte, daßs sie ihn wie Isalde den Tristram trösten möge. Die Stelle ist auch formal wichtig: Mîn hend' ich válde mit triuwen algérnde ûf ir füeze, dáz s'als Isálde Tristrámen getrósten mich müeze. (Lachmann 394, 16, Strophe 3.) Die Form Isalde, welche hier durch den Reim gesichert ist, stammt aus der nieder- oder mitteldeutschen Tradition, die auch in Oberdeutschland allgemein war, während Gottfried im Nominativ nur Isolt oder Isôt sagt und in den andern Casus auch nur o und ô, niemals a verwendet. Auch Tristan's Altern werden erwähnt in einem Liede Konrad's von Würzburg. Der Dichter klagt, Amor sei durch Mars verdrängt worden. Liebende wie Riwalin und Blanscheflur gebe es nicht mehr. (Hagen, Minnes. 2, 312. II, Strophe 3.) Wie in Liedern, so wird auch in epischen Dichtungen auf die Tristansage angespielt. Wir gedenken nur der Stellen bei Wolfram von Eschenbach. Tristan wird in seinen Ge- dichten nicht genannt, dagegen erwähnt er den Morolt von Irland im Parzival (I, 1445. II, 263. 442. 705. 828), doch ohne Beziehung auf seine Schicksale in der Tristanerzählung. Riwalin, der minne gernde, wird ausdrücklich als König von Lohneis bezeichnet (II, 440), was wahrscheinlich schon in der Vorlage
Strana XV
EINLEITUNG. XV stand. Von Parzival wird gesagt, er sei nicht von einem Kurvenal erzogen worden, er verstehe sich nicht auf Cour- toisie (III, 856). Parzival's Gattin, Konduiramur, heift es (IV, 247), überstrahle an Schönheit die beiden Isolden. Wichtiger sind aber einige Stellen in didaktischen Ge- dichten, weil diese das wirkliche Leben berühren. — Tho- masin von Zirclaria kommt in seinem Lehrgedichte, der wälsche Gast genannt (verfasst 1216), auf die Lektüre der Jugend zu sprechen (V. 1023—1078) und empfiehlt aus dem Gebiete der höfischen Dichtung eine Anzahl Personen als gute Vorbilder. Den Jungfrauen nennt er unter andern auch Blanscheflôr ; wahrscheinlich meint er die Mutter Tristan's, nicht die Geliebte Flore’s. Die Jungherren erhalten folgende Lehre : Juncherren suln von Gâwein hoeren, Clies, Érec, Iwein, und suln rihten sîn jugent gar nâch Gâweins reiner tugent. volgt Artûs dem künege hêr, der treit iu vor vil guote lêr, und habt ouch in iuwerm muot künic Karln den helt guot. lât niht verderben iuwer jugent. gedenket an Alexanders tugent, an gevuoc volgt ir Tristande, Seigrimos, Kâlogrîande. 1045 1050 1041 Ohne Zweifel hat hier Thomasin den Charakter Tristan's im Sinne, wie er von Gottfried geschildert ist. In Hugo's von Trimberg Renner, dem bekannten und einst vielgelesenen Lehrgedichte (verfasst um 1300), wird uns bei Gelegenheit einer Herzensergießsung des Dichters, daß man es unmöglich allen Leuten recht machen und alle Wünsche erfüllen könne, auch von der Verschiedenheit und Manig- faltigkeit des literarischen Geschmacks erzählt. Da heißt es von einem, er höre gern von Dietrich von Bern und von den alten Recken, ein anderer wolle von Herrn Ecken, ein dritter von der Reußen Sturm, der vierte wolle Siegfried's Wurm, der fünfte wil hern Tristerant u. s. w. (16154—70). 1043 sîn alterthümlich für ir; vgl. zu Tristan 559. — 1046 treit = trägt. vor tragen, zeigen. — iu dat. pl. = euch. — 1051 gevuoc st. masc., Schick- lichkeit, Anstand.
EINLEITUNG. XV stand. Von Parzival wird gesagt, er sei nicht von einem Kurvenal erzogen worden, er verstehe sich nicht auf Cour- toisie (III, 856). Parzival's Gattin, Konduiramur, heift es (IV, 247), überstrahle an Schönheit die beiden Isolden. Wichtiger sind aber einige Stellen in didaktischen Ge- dichten, weil diese das wirkliche Leben berühren. — Tho- masin von Zirclaria kommt in seinem Lehrgedichte, der wälsche Gast genannt (verfasst 1216), auf die Lektüre der Jugend zu sprechen (V. 1023—1078) und empfiehlt aus dem Gebiete der höfischen Dichtung eine Anzahl Personen als gute Vorbilder. Den Jungfrauen nennt er unter andern auch Blanscheflôr ; wahrscheinlich meint er die Mutter Tristan's, nicht die Geliebte Flore’s. Die Jungherren erhalten folgende Lehre : Juncherren suln von Gâwein hoeren, Clies, Érec, Iwein, und suln rihten sîn jugent gar nâch Gâweins reiner tugent. volgt Artûs dem künege hêr, der treit iu vor vil guote lêr, und habt ouch in iuwerm muot künic Karln den helt guot. lât niht verderben iuwer jugent. gedenket an Alexanders tugent, an gevuoc volgt ir Tristande, Seigrimos, Kâlogrîande. 1045 1050 1041 Ohne Zweifel hat hier Thomasin den Charakter Tristan's im Sinne, wie er von Gottfried geschildert ist. In Hugo's von Trimberg Renner, dem bekannten und einst vielgelesenen Lehrgedichte (verfasst um 1300), wird uns bei Gelegenheit einer Herzensergießsung des Dichters, daß man es unmöglich allen Leuten recht machen und alle Wünsche erfüllen könne, auch von der Verschiedenheit und Manig- faltigkeit des literarischen Geschmacks erzählt. Da heißt es von einem, er höre gern von Dietrich von Bern und von den alten Recken, ein anderer wolle von Herrn Ecken, ein dritter von der Reußen Sturm, der vierte wolle Siegfried's Wurm, der fünfte wil hern Tristerant u. s. w. (16154—70). 1043 sîn alterthümlich für ir; vgl. zu Tristan 559. — 1046 treit = trägt. vor tragen, zeigen. — iu dat. pl. = euch. — 1051 gevuoc st. masc., Schick- lichkeit, Anstand.
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XVI EINLEITUNG. Hieraus folgern wir, daſs diese Stoffe auch damals noch nicht blofs stumm gelesen, sondern auch angehört und vor- getragen wurden. Sodann ist die Stelle deshalb von Wichtig- keit, weil deutsche und nichtdeutsche Helden ganz auf éine Stufe gestellt werden: eine Anschauung, für die auch sonst noch Belege zu Gebote stehen. Eine zweite Stelle im Renner (V. 1253 fg.) gesellt ebenfalls britische Helden wie Erec, Iwein, Tristrant, Parzival und Wigoleis dem König Rother zu. Wichtiger aber scheint mir die Erwähnung dieser Namen zu sein wegen der Polemik, welche der etwas nüchterne und pedantische Hugo daran knüpft. Er verwirft diese über das deutsche Land bekann- ten Erzählungen wegen ihrer Unglaubwürdigkeit. Später (V. 21486 fg.) sagt er geradezu, daſs diese Bücher, die er vor- her genannt habe, gar Lügen voll seien. Aber doch seien sie bekannter und begehrter über manches Land als die Bibel und die Wunderthaten Gottes. — Einen so volksthümlichen, anziehenden und gestaltenreichen Stoff wie die Erzählung von Tristan und Isolt konnte die bildende Kunst nicht ungenutzt lassen. Wir gedenken hier der bisjetzt bekannt gewordenen Darstellungen, weil auch sie Zeugniss abgeben von der Beliebtheit des Romans und von seiner Aufnahme in Lebenskreisen, in denen man ihn heute nicht suchen würde. Von den Handschriften des Gottfriedischen Tristan sind drei mit Bildern geschmückt, die Münchner (M) und deren Nebenhandschrift, die Blankenheimer (B) sowie die des Grafen Rennes (R). Auch die Heidelberger Handschrift der jüngeren Bearbeitung des Eilhart enthält einige Bilder. Von hervorragender Bedeutung sind die reichen Fresco- Darstellungen aus der Tristansage, welche sich in Tirol aut dem Schlosse Runkelstein bei Bozen erhalten haben. Einen kurzen Bericht gab darüber I. V. Zingerle in Pfeiffer's Ger- mania 2, 467 (1857), dann folgte die ausführliche Beschrei- bung nebst Abbildung in dem Prachtwerke: «Fresken-Cyklus des Schlosses Runkelstein bei Bozen, gezeichnet und litho- graphiert von Ignaz Selos, erklärt von Dr. Ignaz Vincens Zin- gerle. Herausgegeben von dem Ferdinandeum in Innsbruck." Atlasfolio. (Vorrede datiert vom 20. Sept. 1857.) Die Bilder stammen aus dem Anfange des 15. Jahrhunderts. Aus Einzel- heiten der Darstellung geht hervor, dafs der Künstler sich die Tradition Gottfried's erwählte. Auch Stickereien sind bekannt geworden: zuerst ein
XVI EINLEITUNG. Hieraus folgern wir, daſs diese Stoffe auch damals noch nicht blofs stumm gelesen, sondern auch angehört und vor- getragen wurden. Sodann ist die Stelle deshalb von Wichtig- keit, weil deutsche und nichtdeutsche Helden ganz auf éine Stufe gestellt werden: eine Anschauung, für die auch sonst noch Belege zu Gebote stehen. Eine zweite Stelle im Renner (V. 1253 fg.) gesellt ebenfalls britische Helden wie Erec, Iwein, Tristrant, Parzival und Wigoleis dem König Rother zu. Wichtiger aber scheint mir die Erwähnung dieser Namen zu sein wegen der Polemik, welche der etwas nüchterne und pedantische Hugo daran knüpft. Er verwirft diese über das deutsche Land bekann- ten Erzählungen wegen ihrer Unglaubwürdigkeit. Später (V. 21486 fg.) sagt er geradezu, daſs diese Bücher, die er vor- her genannt habe, gar Lügen voll seien. Aber doch seien sie bekannter und begehrter über manches Land als die Bibel und die Wunderthaten Gottes. — Einen so volksthümlichen, anziehenden und gestaltenreichen Stoff wie die Erzählung von Tristan und Isolt konnte die bildende Kunst nicht ungenutzt lassen. Wir gedenken hier der bisjetzt bekannt gewordenen Darstellungen, weil auch sie Zeugniss abgeben von der Beliebtheit des Romans und von seiner Aufnahme in Lebenskreisen, in denen man ihn heute nicht suchen würde. Von den Handschriften des Gottfriedischen Tristan sind drei mit Bildern geschmückt, die Münchner (M) und deren Nebenhandschrift, die Blankenheimer (B) sowie die des Grafen Rennes (R). Auch die Heidelberger Handschrift der jüngeren Bearbeitung des Eilhart enthält einige Bilder. Von hervorragender Bedeutung sind die reichen Fresco- Darstellungen aus der Tristansage, welche sich in Tirol aut dem Schlosse Runkelstein bei Bozen erhalten haben. Einen kurzen Bericht gab darüber I. V. Zingerle in Pfeiffer's Ger- mania 2, 467 (1857), dann folgte die ausführliche Beschrei- bung nebst Abbildung in dem Prachtwerke: «Fresken-Cyklus des Schlosses Runkelstein bei Bozen, gezeichnet und litho- graphiert von Ignaz Selos, erklärt von Dr. Ignaz Vincens Zin- gerle. Herausgegeben von dem Ferdinandeum in Innsbruck." Atlasfolio. (Vorrede datiert vom 20. Sept. 1857.) Die Bilder stammen aus dem Anfange des 15. Jahrhunderts. Aus Einzel- heiten der Darstellung geht hervor, dafs der Künstler sich die Tradition Gottfried's erwählte. Auch Stickereien sind bekannt geworden: zuerst ein
Strana XVII
EINLEITUNG. XVII prachtvoller Teppich aus dem 14. Jahrhundert, der im Frauenkloster Wienhausen bei Celle aufbewahrt wird (Be- schreibung und Abbildung in Farben durch H. W. H. Mithoff im Archiv für Niedersachsens Kunstgeschichte, II. Abtheilung, Tafel 6 [Hannover 1853]; ferner kurze Beschreibung und Mittheilung der niederdeutschen Inschrift in Goedeke's Mittel- alter [1854], S. 818). Ein zweiter unscheinbarer Teppich, der wohl als Tafeltuch gedient haben mag, wurde vor nicht langer Zeit im Dome zu Erfurt aufgefunden (beschrieben mit Beigabe einer bruchstückweisen Abbildung von A. v. Eye im Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit, N. F., 13. Jahr gang 1866, Sp. 14 fg.). Die Inschrift auf diesem Erfurter Tep- pich, der in das 15. Jahrhundert gehört, ist mitteldeutsch (vgl. Pfeiffer’s Germania 12, 101), weshalb sein Ursprung wohl auch in Thüringen zu suchen ist. H. Kruspe in Erfurt, ein be- wahrter Kenner der Geschichte und Alterthümer seiner Vater stadt, glaubt, daßs dieser Teppich nebst verschiedenen andern, die neuerdings dort entdeckt wurden, im Ursulinerinnenkloster in Erfurt gestickt worden sei. Auf diesen beiden Teppichen folgt die Darstellung der Erzählung Eilhart's. Erwähnung verdient ferner auch ein außerdeutsches Kunst- werk, ein geschnitztes Elfenbeinkästchen, welches sich in einer Privatsammlung in England befindet (Beschreibung nebst Abbildung in Contour in der nochmals zu erwähnenden Samm- lung von Michel, I, LXXIII fg. ; ferner kurze Beschreibung in v d. Hagen's Minnesingern 4, 604). — Schließslich sei genannt ein Frauenkamm mit Reliefdarstellung der Scene am Brunnen. Der Kamm wurde oder wird auch noch heute im Dom zu Bamberg aufbewahrt und galt als Reliquie von der heiligen Kaiserin Kunigunde. Der Kamm gehört wohl dem 14. Jahr- hundert an ; die kurze Inschrift ist französisch. Eine Abbildung dieses immerhin interessanten Stückes ist bisjetzt, so viel wir wissen, nicht geliefert. Alle Dichtungen von Tristan, die einheimischen wie die frem- den, überstrahlt Gottfried's von Straßburg Meisterwerk. Ein eigenes Schicksal hat über dieser Perle unserer Literatur gewaltet. Es fehlt dem Gedichte der Schlußs, und darum fehlt auch der Name des Dichters. Gottfried hätte sich ge- wiss nach der Sitte der zeitgenössischen Erzähler wenigstens am Ende genannt, nachdem er es vorher unterlassen, nach- dem er auch Namen und Vorhaben nicht geheimnissvoll in GOTTFRIED VON STRASSBURG. 1. 2. Aufl. b
EINLEITUNG. XVII prachtvoller Teppich aus dem 14. Jahrhundert, der im Frauenkloster Wienhausen bei Celle aufbewahrt wird (Be- schreibung und Abbildung in Farben durch H. W. H. Mithoff im Archiv für Niedersachsens Kunstgeschichte, II. Abtheilung, Tafel 6 [Hannover 1853]; ferner kurze Beschreibung und Mittheilung der niederdeutschen Inschrift in Goedeke's Mittel- alter [1854], S. 818). Ein zweiter unscheinbarer Teppich, der wohl als Tafeltuch gedient haben mag, wurde vor nicht langer Zeit im Dome zu Erfurt aufgefunden (beschrieben mit Beigabe einer bruchstückweisen Abbildung von A. v. Eye im Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit, N. F., 13. Jahr gang 1866, Sp. 14 fg.). Die Inschrift auf diesem Erfurter Tep- pich, der in das 15. Jahrhundert gehört, ist mitteldeutsch (vgl. Pfeiffer’s Germania 12, 101), weshalb sein Ursprung wohl auch in Thüringen zu suchen ist. H. Kruspe in Erfurt, ein be- wahrter Kenner der Geschichte und Alterthümer seiner Vater stadt, glaubt, daßs dieser Teppich nebst verschiedenen andern, die neuerdings dort entdeckt wurden, im Ursulinerinnenkloster in Erfurt gestickt worden sei. Auf diesen beiden Teppichen folgt die Darstellung der Erzählung Eilhart's. Erwähnung verdient ferner auch ein außerdeutsches Kunst- werk, ein geschnitztes Elfenbeinkästchen, welches sich in einer Privatsammlung in England befindet (Beschreibung nebst Abbildung in Contour in der nochmals zu erwähnenden Samm- lung von Michel, I, LXXIII fg. ; ferner kurze Beschreibung in v d. Hagen's Minnesingern 4, 604). — Schließslich sei genannt ein Frauenkamm mit Reliefdarstellung der Scene am Brunnen. Der Kamm wurde oder wird auch noch heute im Dom zu Bamberg aufbewahrt und galt als Reliquie von der heiligen Kaiserin Kunigunde. Der Kamm gehört wohl dem 14. Jahr- hundert an ; die kurze Inschrift ist französisch. Eine Abbildung dieses immerhin interessanten Stückes ist bisjetzt, so viel wir wissen, nicht geliefert. Alle Dichtungen von Tristan, die einheimischen wie die frem- den, überstrahlt Gottfried's von Straßburg Meisterwerk. Ein eigenes Schicksal hat über dieser Perle unserer Literatur gewaltet. Es fehlt dem Gedichte der Schlußs, und darum fehlt auch der Name des Dichters. Gottfried hätte sich ge- wiss nach der Sitte der zeitgenössischen Erzähler wenigstens am Ende genannt, nachdem er es vorher unterlassen, nach- dem er auch Namen und Vorhaben nicht geheimnissvoll in GOTTFRIED VON STRASSBURG. 1. 2. Aufl. b
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XVIII EINLEITUNG. einem Akrostichon verewigte. So erfahren wir seine Autor- schaft zunächst nur durch die Fortsetzungen der genannten jüngeren Dichter, Ulrich’s und Heinrich’s, welche in mehreren Handschriften sich an das Hauptwerk unmittelbar anschließen. Vom älteren dieser Fortsetzer ist der von der Welt geschie- dene Dichter nur Meister Gottfried genannt, der jüngere fügt seinen Beinamen hinzu und nennt ihn Meister Gottfried von Straßburg. Seltsamerweise fehlt in den Handschriften, welche wir bis- jetzt vom Tristan kennen, irgendwelche Uberschrift, irgend- welcher Titel u. dgl., durch welche der Name des Verfassers auch ohne dessen Bekenntniss im Gedichte selbst und ohne die Angabe in der folgenden Fortsetzung kundgegeben würde. Dafür erscheint er ein paarmal als Autor in andern Hand- schriften, sogar auch mit Unrecht. Die Betrachtung dieser Zeugnisse führt uns zugleich auf eine andere Seite von Gott- fried's Dichterthätigkeit, auf seine Lyrik. In der großsen Pariser Liederhandschrift, die früher ohne Grund die Manessische genannt wurde, stehen drei Gedichte unter dem Namen Gottfried von Straßsburg; das Register fügt diesem Namen «Meister» hinzu. Diese Gedichte sind : ein Früh- lings- und Minnelied von 6 Strophen, ein umfangreicher Lob- gesang auf die heilige Jungfrau (63 Strophen) und ein Gedicht von der Armuth (13 Strophen). Außer dem letzteren Stücke, welches bisjetzt nur in der Pariser Handschrift vorliegt, finden sich die Gedichte auch anderwärts. Die ältere Heidelberger Handschrift enthält das Frühlingslied ebenfalls und zwar unter dem Namen Gottfried von Strafsburg. Hier sind es aber nur 5 Strophen. Der Lobgesang findet sich auch in der Wein- gartner Liederhandschrift, hier ohne Namen und nur in 36 Strophen und diese in anderer Ordnung. Elf Strophen aus diesem Lobgesange, darunter zwei bisher unbekannte, haben sich später in einer Karlsruher Pergamentsammelhandschrift des 14. Jahrhunderts gefunden, aber ebenfalls ohne Namen. Das Frühlings- und Minnelied ist uns zweimal unter dem Namen des Dichters überliefert. Diese Uberlieferungen diffe- rieren, wie angedeutet, um eine Strophe; ich glaube, daß nicht allein die sechste der Pariser Handschrift, sondern auch die fünfte, doppelt überlieferte unecht ist, kann aber die Gründe, welche R. Heinzel in seinem Aufsatze « Über Gottfried von Straßburg» (Zeitschr. f. d. österr. Gymn., 1868, VII. u. VIII. Heft, S. 559 fg.) gegen die Echtheit des ganzen Liedes vorbringt, nicht für stichhaltig finden.
XVIII EINLEITUNG. einem Akrostichon verewigte. So erfahren wir seine Autor- schaft zunächst nur durch die Fortsetzungen der genannten jüngeren Dichter, Ulrich’s und Heinrich’s, welche in mehreren Handschriften sich an das Hauptwerk unmittelbar anschließen. Vom älteren dieser Fortsetzer ist der von der Welt geschie- dene Dichter nur Meister Gottfried genannt, der jüngere fügt seinen Beinamen hinzu und nennt ihn Meister Gottfried von Straßburg. Seltsamerweise fehlt in den Handschriften, welche wir bis- jetzt vom Tristan kennen, irgendwelche Uberschrift, irgend- welcher Titel u. dgl., durch welche der Name des Verfassers auch ohne dessen Bekenntniss im Gedichte selbst und ohne die Angabe in der folgenden Fortsetzung kundgegeben würde. Dafür erscheint er ein paarmal als Autor in andern Hand- schriften, sogar auch mit Unrecht. Die Betrachtung dieser Zeugnisse führt uns zugleich auf eine andere Seite von Gott- fried's Dichterthätigkeit, auf seine Lyrik. In der großsen Pariser Liederhandschrift, die früher ohne Grund die Manessische genannt wurde, stehen drei Gedichte unter dem Namen Gottfried von Straßsburg; das Register fügt diesem Namen «Meister» hinzu. Diese Gedichte sind : ein Früh- lings- und Minnelied von 6 Strophen, ein umfangreicher Lob- gesang auf die heilige Jungfrau (63 Strophen) und ein Gedicht von der Armuth (13 Strophen). Außer dem letzteren Stücke, welches bisjetzt nur in der Pariser Handschrift vorliegt, finden sich die Gedichte auch anderwärts. Die ältere Heidelberger Handschrift enthält das Frühlingslied ebenfalls und zwar unter dem Namen Gottfried von Strafsburg. Hier sind es aber nur 5 Strophen. Der Lobgesang findet sich auch in der Wein- gartner Liederhandschrift, hier ohne Namen und nur in 36 Strophen und diese in anderer Ordnung. Elf Strophen aus diesem Lobgesange, darunter zwei bisher unbekannte, haben sich später in einer Karlsruher Pergamentsammelhandschrift des 14. Jahrhunderts gefunden, aber ebenfalls ohne Namen. Das Frühlings- und Minnelied ist uns zweimal unter dem Namen des Dichters überliefert. Diese Uberlieferungen diffe- rieren, wie angedeutet, um eine Strophe; ich glaube, daß nicht allein die sechste der Pariser Handschrift, sondern auch die fünfte, doppelt überlieferte unecht ist, kann aber die Gründe, welche R. Heinzel in seinem Aufsatze « Über Gottfried von Straßburg» (Zeitschr. f. d. österr. Gymn., 1868, VII. u. VIII. Heft, S. 559 fg.) gegen die Echtheit des ganzen Liedes vorbringt, nicht für stichhaltig finden.
Strana XIX
EINLEITUNG. XIX Der Lobgesang wurde von Moriz Haupt auf Grund der drei Handschriften kritisch herausgegeben in seiner Zeit- schrift 4, 513 fg. (1844). Dem allgemeinen Glauben folgend hegte er nicht den mindesten Zweifel an der Echtheit. Franz Pfeiffer wies aber in einem glänzenden, auch noch in vielen andern Dingen hochwichtigen Aufsatze in seiner Germania 3, 59 fg. (1858) 1) unwiderleglich nach, daß weder der Lob- gesang noch auch das Lied von der Armuth von Gottfried verfasst-sein können. Beide gehören einer jüngeren Zeit an, ihre Verfasser sind wohl Klostergeistliche gewesen. Hätte der Schreiber und Künstler der Pariser Handschrift diesen kritischen Scharfblick besessen, dann würde das allein übrigbleibende Frühlingslied für ihn sicher nicht Anlass genug gewesen sein, Gottfried auch im Bilde darzustellen. Wird somit die lyrische Production Gottfried's auf ein sehr geringes Maſs beschränkt, so wird für die abgesprochenen um- fangreicheren Gedichte doch ein ganz kleiner Ersatz gewährt, indem, wie wir sehen werden, dem Dichter, auf ein glaub- würdiges literarisches Zeugniss hin, zwei Strophen zuerkannt werden dürfen, welche die handschriftliche Überlieferung unter einen andern Autor stellte. Wie in der Pariser Handschrift, so erscheint auch in einer Strafsburger Sammelhandschrift Gottfried's Name mit Unrecht. Unter einer Anzahl kleiner Erzählungen befindet sich dort eine Märe von der Minne mit der Angabe in der Über- schrift, dals sie von Meister Gottfried von Straßburg gemacht sei. Auch im Texte zu Anfang wird dieser Name genannt. Es hat sich aber herausgestellt, daßs jene Stelle verdorben ist, daßs vielmehr Konrad von Würzburg diese Erzählung ver- fafit hat, welche gewöhnlich unter dem Name «das Herzmäre» 2) geht; der Dichter beruft sich hier auf die Autorität Gottfried's und bekennt sich als seinen Schüler. Jener Irrthum in der Pariser Handschrift und dieser in der Straßburger, der allerdings schon mehr das Gepräge ab- sichtlicher Fälschung trägt, sind gleichwohl historisch bedeut- sam in Hinblick auf Gottfried's Namen und Geltung. Die äußern literarischen Zeugnisse über Gottfried und sein Hauptwerk sind nicht in so grofer Anzahl vorhanden 1) Jetzt auch aufgenommen in: Freie Forschung. Kleine Schriften zur Geschichte der deutschen Literatur und Sprache von Franz Pfeiffer (Wien 1864, Nr. IV). 2) Herausgegeben von Franz Roth (Frankfurt a. M. 1846) und von Hans Lambel, Nr. VII der « Erzählungen und Schwänke» (12. Band dieser Sammlung, 1872). b *
EINLEITUNG. XIX Der Lobgesang wurde von Moriz Haupt auf Grund der drei Handschriften kritisch herausgegeben in seiner Zeit- schrift 4, 513 fg. (1844). Dem allgemeinen Glauben folgend hegte er nicht den mindesten Zweifel an der Echtheit. Franz Pfeiffer wies aber in einem glänzenden, auch noch in vielen andern Dingen hochwichtigen Aufsatze in seiner Germania 3, 59 fg. (1858) 1) unwiderleglich nach, daß weder der Lob- gesang noch auch das Lied von der Armuth von Gottfried verfasst-sein können. Beide gehören einer jüngeren Zeit an, ihre Verfasser sind wohl Klostergeistliche gewesen. Hätte der Schreiber und Künstler der Pariser Handschrift diesen kritischen Scharfblick besessen, dann würde das allein übrigbleibende Frühlingslied für ihn sicher nicht Anlass genug gewesen sein, Gottfried auch im Bilde darzustellen. Wird somit die lyrische Production Gottfried's auf ein sehr geringes Maſs beschränkt, so wird für die abgesprochenen um- fangreicheren Gedichte doch ein ganz kleiner Ersatz gewährt, indem, wie wir sehen werden, dem Dichter, auf ein glaub- würdiges literarisches Zeugniss hin, zwei Strophen zuerkannt werden dürfen, welche die handschriftliche Überlieferung unter einen andern Autor stellte. Wie in der Pariser Handschrift, so erscheint auch in einer Strafsburger Sammelhandschrift Gottfried's Name mit Unrecht. Unter einer Anzahl kleiner Erzählungen befindet sich dort eine Märe von der Minne mit der Angabe in der Über- schrift, dals sie von Meister Gottfried von Straßburg gemacht sei. Auch im Texte zu Anfang wird dieser Name genannt. Es hat sich aber herausgestellt, daßs jene Stelle verdorben ist, daßs vielmehr Konrad von Würzburg diese Erzählung ver- fafit hat, welche gewöhnlich unter dem Name «das Herzmäre» 2) geht; der Dichter beruft sich hier auf die Autorität Gottfried's und bekennt sich als seinen Schüler. Jener Irrthum in der Pariser Handschrift und dieser in der Straßburger, der allerdings schon mehr das Gepräge ab- sichtlicher Fälschung trägt, sind gleichwohl historisch bedeut- sam in Hinblick auf Gottfried's Namen und Geltung. Die äußern literarischen Zeugnisse über Gottfried und sein Hauptwerk sind nicht in so grofer Anzahl vorhanden 1) Jetzt auch aufgenommen in: Freie Forschung. Kleine Schriften zur Geschichte der deutschen Literatur und Sprache von Franz Pfeiffer (Wien 1864, Nr. IV). 2) Herausgegeben von Franz Roth (Frankfurt a. M. 1846) und von Hans Lambel, Nr. VII der « Erzählungen und Schwänke» (12. Band dieser Sammlung, 1872). b *
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XX EINLEITUNG. wie die über Walther von der Vogelweide und Wolfram von Eschenbach, aber immer geben sie uns genügende Kunde von der Bedeutung, welche ihm und seiner Kunst zugestanden wurde. Sie erstrecken sich bis in das ausgehende Mittelalter und zeichnen sich, wenn sie zugleich Urtheile enthalten, durch eine ungewöhnliche Innigkeit aus. Rudolf von Ems, der bekannte fruchtbare Erzähler, hat seinen Meister Gottfried zweimal verherrlicht, in seinem Alexander und in seinem Wilhelm. In beiden flicht er lite- rarische Stellen ein, die offenbar der berühmten Stelle in der Schwertleite Tristan's nachgebildet sind. Wir fassen zu- nächst die einfachere Stelle im Wilhelm ins Auge. 1) Zu dem Dichter tritt Frau Aventiure und bittet ihn, sich ihrer anzunehmen. Rudolf entgegnet: sie hätte sich an bessere Meister wenden sollen, und nimmt nun Gelegenheit, eine litera rische Umschau zu halten. Wie Gottfried in der Schwertleite, so nennt auch Rudolf zuerst den weisen von Veldeke, hierauf den Ouwæere und den von Eschenbach und fährt dann fort in seinem Rathe oder hætet iuch ergeben meister Gótfrides kunst von Strâzburc: hætet ir des gunst só wol sô Tristan unde Isôt, der liebe, der triuwe unde ir nôt der sô wol kunde wæhen mit wîsen worten spæhen: der hæte iu baz dan ich getân. Noch lauter und inniger ertönt Rudolf’s Lob über Gottfried und seine Dichtung von Tristan und Isot in dem früheren Ge- dichte, im Alexander. 2) 1) Das ganze Gedicht noch ungedruckt, eine Ausgabe war von Pfeiffer vorbereitet, sollte zuerst in diese Sammlung der Classiker des deutschen Mittelalters aufgenommen werden und wird nun von K. Bartsch für die Fortsetzung, für die «Deutschen Dichtungen des Mittelalters» vorbereitet. Die wichtige literarische Stelle dagegen findet sich öfters mitgetheilt. 4 sô wol sô = so wohl, in so hohem Grade wie. — 5 der relat. gen. pl. bezogen auf Tristan und Isôt. — ir setzt der Dichter, um der nicht zu häufen. — 6 der = Gotfrit. — wœhen swv., wœhe, kunstvoll machen, ver- schönen, verherrlichen. — 7 = mit wisen spœhen w. — wîs adj., (weise), ver- ständig, klug; hier insbesondere: sinnreich. — spœhe adj., kunstvoll; vgl. zu Tristan 2292. 2) Auch der Alexander ist noch ungedruckt; die literarische Stelle öfters. — Ueber die Frage nach der chronologischen Reihenfolge der bei- den Dichtungen vgJ. K. Bartsch, German. Studien (Wien 1872), 1, S. 3.
XX EINLEITUNG. wie die über Walther von der Vogelweide und Wolfram von Eschenbach, aber immer geben sie uns genügende Kunde von der Bedeutung, welche ihm und seiner Kunst zugestanden wurde. Sie erstrecken sich bis in das ausgehende Mittelalter und zeichnen sich, wenn sie zugleich Urtheile enthalten, durch eine ungewöhnliche Innigkeit aus. Rudolf von Ems, der bekannte fruchtbare Erzähler, hat seinen Meister Gottfried zweimal verherrlicht, in seinem Alexander und in seinem Wilhelm. In beiden flicht er lite- rarische Stellen ein, die offenbar der berühmten Stelle in der Schwertleite Tristan's nachgebildet sind. Wir fassen zu- nächst die einfachere Stelle im Wilhelm ins Auge. 1) Zu dem Dichter tritt Frau Aventiure und bittet ihn, sich ihrer anzunehmen. Rudolf entgegnet: sie hätte sich an bessere Meister wenden sollen, und nimmt nun Gelegenheit, eine litera rische Umschau zu halten. Wie Gottfried in der Schwertleite, so nennt auch Rudolf zuerst den weisen von Veldeke, hierauf den Ouwæere und den von Eschenbach und fährt dann fort in seinem Rathe oder hætet iuch ergeben meister Gótfrides kunst von Strâzburc: hætet ir des gunst só wol sô Tristan unde Isôt, der liebe, der triuwe unde ir nôt der sô wol kunde wæhen mit wîsen worten spæhen: der hæte iu baz dan ich getân. Noch lauter und inniger ertönt Rudolf’s Lob über Gottfried und seine Dichtung von Tristan und Isot in dem früheren Ge- dichte, im Alexander. 2) 1) Das ganze Gedicht noch ungedruckt, eine Ausgabe war von Pfeiffer vorbereitet, sollte zuerst in diese Sammlung der Classiker des deutschen Mittelalters aufgenommen werden und wird nun von K. Bartsch für die Fortsetzung, für die «Deutschen Dichtungen des Mittelalters» vorbereitet. Die wichtige literarische Stelle dagegen findet sich öfters mitgetheilt. 4 sô wol sô = so wohl, in so hohem Grade wie. — 5 der relat. gen. pl. bezogen auf Tristan und Isôt. — ir setzt der Dichter, um der nicht zu häufen. — 6 der = Gotfrit. — wœhen swv., wœhe, kunstvoll machen, ver- schönen, verherrlichen. — 7 = mit wisen spœhen w. — wîs adj., (weise), ver- ständig, klug; hier insbesondere: sinnreich. — spœhe adj., kunstvoll; vgl. zu Tristan 2292. 2) Auch der Alexander ist noch ungedruckt; die literarische Stelle öfters. — Ueber die Frage nach der chronologischen Reihenfolge der bei- den Dichtungen vgJ. K. Bartsch, German. Studien (Wien 1872), 1, S. 3.
Strana XXI
EINLEITUNG. XXI Rudolf spricht mit Anerkennung von den kunstreichen Dichtern, die ihm vorausgegangen seien. Sagte Gottfried im Tristan, Heinrich von Veldeke habe das erste Reis in deut- scher Sprache geimpft, so verwendet auch Rudolf dieses Bild mit leiser Anderung. Heinrich von Veldeke ist der Stamm, auf ihm sind drei Reiser kunstreicher Blumen erwachsen: das erste steckte der weise Hartmann, der kunstreiche Ouwære, das zweite von Eschenbach Herr Wolfram. Dann zum dritten übergehend, fährt Rudolf mit gehobener Ausdrucksweise und mit Nachahmung, selbst mit Uberbietung des Gottfriedischen Stiles fort : Ob ich nu prîsen wolde, als ich von rehte solde daz dirte vollekomen rîs, sô müeste ich sîn an künsten wîs : daz ist sleht, spæhe, guot unde reht, sîn süeze bluot eben unde sleht, wæhe, reine, vollekomen. daz rîs ist eine und ûz genomen von künsterichen sinnen: wie seit ez sus von minnen ! wie süezet ez den herzen der süezen minne smerzen! wie güetet ez der guoten guot, der hôchgemuoten hôhen muot: daz stiez der wîse Gótfrít von Strâzburc, der nie valschen trit mit valsche in sîner rede getrat. wie ist ebensleht gesat sîn funt, wie ist sîn sin sô rîch ! 5 10 15 1 Ob = wenn. — 2 von rehte, mit Recht, von Rechts wegen, eigentlich. — 3 dirte = dritte. — 4 an künsten (pl.) wîs, in der Kunst erfahren. — 5 sleht adj., (schlicht), glatt. — spæhe adj., hier: fein, zierlich. — 6 bluot stf. = Blüte. — eben und sleht oft verbunden (vgl. zu Tristan 4659), eben und gerade, ebenmaßig und wohlgeglättet. — 7 wœhe adj., kunstvoll, schön. — 8 eine adj., einzig. — ûz genomen part., ausgezeichnet. — 9 von k. s., in künstlerischer Begabung. — 10 sus adv., so; es wird aber zu lesen sein suoz, suoze, adv., süſs. — 11 süezen swv., versüßen. — 13 güeten swv. trans., gut machen, an Güte erhöhen. — guol stn., das Gute, die Güte. — 15 stôzen stv., stecken; vgl. zu Tristan 929. — 17 valsch stm., eigentlich: falsches Geld, dann : Falschheit (Tristan 9579) ; hier mit valsche, mit Unüberlegtheit, leichtfertig. — getrat perf., getreten hat, gegangen ist. — 18 ebensleht adv., gleichmäßig. — gesat part. von setzen. — 19 dieser Vers nicht richtig überliefert. — funt stm., (dichterische) Erfindung, Dich- tung (vgl. zu Tristan 4741) ; das Wort scheint in jüngerer Zeit und auch hier geradezu für: dichterischer Ausdruck gebraucht zu werden; vgl. im zweiten Bande Eingang zu Heinrich's Tristan V. 3 und 35. —
EINLEITUNG. XXI Rudolf spricht mit Anerkennung von den kunstreichen Dichtern, die ihm vorausgegangen seien. Sagte Gottfried im Tristan, Heinrich von Veldeke habe das erste Reis in deut- scher Sprache geimpft, so verwendet auch Rudolf dieses Bild mit leiser Anderung. Heinrich von Veldeke ist der Stamm, auf ihm sind drei Reiser kunstreicher Blumen erwachsen: das erste steckte der weise Hartmann, der kunstreiche Ouwære, das zweite von Eschenbach Herr Wolfram. Dann zum dritten übergehend, fährt Rudolf mit gehobener Ausdrucksweise und mit Nachahmung, selbst mit Uberbietung des Gottfriedischen Stiles fort : Ob ich nu prîsen wolde, als ich von rehte solde daz dirte vollekomen rîs, sô müeste ich sîn an künsten wîs : daz ist sleht, spæhe, guot unde reht, sîn süeze bluot eben unde sleht, wæhe, reine, vollekomen. daz rîs ist eine und ûz genomen von künsterichen sinnen: wie seit ez sus von minnen ! wie süezet ez den herzen der süezen minne smerzen! wie güetet ez der guoten guot, der hôchgemuoten hôhen muot: daz stiez der wîse Gótfrít von Strâzburc, der nie valschen trit mit valsche in sîner rede getrat. wie ist ebensleht gesat sîn funt, wie ist sîn sin sô rîch ! 5 10 15 1 Ob = wenn. — 2 von rehte, mit Recht, von Rechts wegen, eigentlich. — 3 dirte = dritte. — 4 an künsten (pl.) wîs, in der Kunst erfahren. — 5 sleht adj., (schlicht), glatt. — spæhe adj., hier: fein, zierlich. — 6 bluot stf. = Blüte. — eben und sleht oft verbunden (vgl. zu Tristan 4659), eben und gerade, ebenmaßig und wohlgeglättet. — 7 wœhe adj., kunstvoll, schön. — 8 eine adj., einzig. — ûz genomen part., ausgezeichnet. — 9 von k. s., in künstlerischer Begabung. — 10 sus adv., so; es wird aber zu lesen sein suoz, suoze, adv., süſs. — 11 süezen swv., versüßen. — 13 güeten swv. trans., gut machen, an Güte erhöhen. — guol stn., das Gute, die Güte. — 15 stôzen stv., stecken; vgl. zu Tristan 929. — 17 valsch stm., eigentlich: falsches Geld, dann : Falschheit (Tristan 9579) ; hier mit valsche, mit Unüberlegtheit, leichtfertig. — getrat perf., getreten hat, gegangen ist. — 18 ebensleht adv., gleichmäßig. — gesat part. von setzen. — 19 dieser Vers nicht richtig überliefert. — funt stm., (dichterische) Erfindung, Dich- tung (vgl. zu Tristan 4741) ; das Wort scheint in jüngerer Zeit und auch hier geradezu für: dichterischer Ausdruck gebraucht zu werden; vgl. im zweiten Bande Eingang zu Heinrich's Tristan V. 3 und 35. —
Strana XXII
XXII EINLEITUNG. wie ist sô gar meisterlich sin Tristan! swer den ie gelas, der mac wol hoeren, daz er was ein schroter süezer worte und wîser sinne ein porte. wie kunde er sô wol tihten, getihten krümbe slihten, prîsen beider hande lip, beide man und werdiu wip! wie truoc im sô hôhe gunst, in tiutscher zungen rehte kunst, got, der kunst wol gunde, daz er sie sô wol kunde. 25 30 20 In Rudolf’s Alexander findet sich ferner noch eine Be- ziehung auf Gottfried, welche zuerst von Docen nachgewiesen wurde (v. d. Hagen’s Museum 1, 163). Die Stelle lautet: Der wîse meister Gotfrit sanc daz veste si bloede unde kranc; daz glesine gelücke ez breche in kleiniu stücke u. s. w. Daſs unter dem Meister Gottfried nur Gottfried von Straßs- burg und kein anderer Dichter des Namens Gottfried, wie G. von Neifen, G. von Dotzenbach, G. von Hohenlohe, ge- meint sei, bedarf keiner näheren Auseinandersetzung. Wichtig ist in dem Citate, daſs es heißt «sanc"; es ist also von einem lyrischen Gedichte die Rede. Wirklich findet sich in der Pariser Handschrift eine Strophe über das gläserne Glück, dessen Wortlaut mit der Anführung in Rudolf’s 21 swer correl. = nhd. wer. — ie adv. = je. — gelas = gelesen hat. — 23 schrœter stm., Schneider, der die Worte fein zuschneidet. — 24 ein (statt eine) porte, eine Pforte, Thor, bildlich, etwa wie unser : Mund gebraucht wird. Oder sollte der Dichter im Bilde bleibend ein borte swm., Kleider- besatz gemeint haben? — 26 die Uberlieferung wohl verdorben. — krümbe slihten, eine Krümmung gerade machen. — getihten ist zu fassen als gen. pl. oder auch als dat. pl. von getihte stf., (nicht stn.), Dichtung. Worauf soll diese Bemerkung gehen? War Gottfried ein Bearbeiter älterer un- modern gewordener Gedichte? Die Fähigkeit besaßs er gewiss wie kein anderer. (Fedor Bech vermuthet einen Fehler für: gerihten oder berikten swv.; in rîme gerihten sage Rudolf öfter; alsdann vor krümbe Komma.) — 27 beider hande lîp, beider Arten Leiber, d. h. beiderlei Personen. — 28 beide — und = sowohl — als auch. — man pl., Männer. — werdiu wîp. werthe Frauen. — einem gunst tragen, für einen günstige Gesinnung hegen. — 30 vorausgenommenes Object von V. 32 (= sic). — 31 gunnen mit dat. (kunst), einen begünstigen. 2 bleede adj., angstlich, kraftlos. — kranc adj., schwach. — 3 glesîn adj., gläsern.
XXII EINLEITUNG. wie ist sô gar meisterlich sin Tristan! swer den ie gelas, der mac wol hoeren, daz er was ein schroter süezer worte und wîser sinne ein porte. wie kunde er sô wol tihten, getihten krümbe slihten, prîsen beider hande lip, beide man und werdiu wip! wie truoc im sô hôhe gunst, in tiutscher zungen rehte kunst, got, der kunst wol gunde, daz er sie sô wol kunde. 25 30 20 In Rudolf’s Alexander findet sich ferner noch eine Be- ziehung auf Gottfried, welche zuerst von Docen nachgewiesen wurde (v. d. Hagen’s Museum 1, 163). Die Stelle lautet: Der wîse meister Gotfrit sanc daz veste si bloede unde kranc; daz glesine gelücke ez breche in kleiniu stücke u. s. w. Daſs unter dem Meister Gottfried nur Gottfried von Straßs- burg und kein anderer Dichter des Namens Gottfried, wie G. von Neifen, G. von Dotzenbach, G. von Hohenlohe, ge- meint sei, bedarf keiner näheren Auseinandersetzung. Wichtig ist in dem Citate, daſs es heißt «sanc"; es ist also von einem lyrischen Gedichte die Rede. Wirklich findet sich in der Pariser Handschrift eine Strophe über das gläserne Glück, dessen Wortlaut mit der Anführung in Rudolf’s 21 swer correl. = nhd. wer. — ie adv. = je. — gelas = gelesen hat. — 23 schrœter stm., Schneider, der die Worte fein zuschneidet. — 24 ein (statt eine) porte, eine Pforte, Thor, bildlich, etwa wie unser : Mund gebraucht wird. Oder sollte der Dichter im Bilde bleibend ein borte swm., Kleider- besatz gemeint haben? — 26 die Uberlieferung wohl verdorben. — krümbe slihten, eine Krümmung gerade machen. — getihten ist zu fassen als gen. pl. oder auch als dat. pl. von getihte stf., (nicht stn.), Dichtung. Worauf soll diese Bemerkung gehen? War Gottfried ein Bearbeiter älterer un- modern gewordener Gedichte? Die Fähigkeit besaßs er gewiss wie kein anderer. (Fedor Bech vermuthet einen Fehler für: gerihten oder berikten swv.; in rîme gerihten sage Rudolf öfter; alsdann vor krümbe Komma.) — 27 beider hande lîp, beider Arten Leiber, d. h. beiderlei Personen. — 28 beide — und = sowohl — als auch. — man pl., Männer. — werdiu wîp. werthe Frauen. — einem gunst tragen, für einen günstige Gesinnung hegen. — 30 vorausgenommenes Object von V. 32 (= sic). — 31 gunnen mit dat. (kunst), einen begünstigen. 2 bleede adj., angstlich, kraftlos. — kranc adj., schwach. — 3 glesîn adj., gläsern.
Strana XXIII
EINLEITUNG. XXIII Alexander fast ganz übereinstimmt. Die Strophe ist dort unter die Lieder Ulrich's von Liechtenstein eingereiht, fehlt aber in dessen Frauendienst. Jedenfalls besitzt das Zeugniss Rudolf’s mehr Gewicht als das des viel jüngeren Schreibers der Pariser Handschrift, der auch sonst in den Namen der Dichter sich vielfach geirrt hat. Die Strophe vom gläsernen Glück ist eine freie Bearbeitung eines Spruchs von Publius Syrus. Die Wahl einer solchen dichterischen Aufgabe ist eher von Gottfried als von Ulrich von Liechtenstein vorauszusetzen. Uberdies hat Gottfried auch im Tristan einen Spruch des Publius Syrus paraphrasiert (vgl. zu 18047 fg.). Daſs hier stucke mit gelücke reimt, während im Tristan stucke durch zucke, dat. von zuc, erwiesen ist (V. 7060), scheint mir nicht gegen die Autorschaft Gottfried's zu sprechen. Die Dichter bedienen sich eben der Nebenformen. — Mit dieser Strophe verbunden ist eine zweite in gleichem Tone über Mein und Dein, welche auch ähnlichen Charakter trägt. Wir können sie ohne Bedenken ebenfalls als Eigenthum Gottfried's an- erkennen. Ein weiteres Zeugniss über Gottfried aus einer etwas jün- geren Zeit, aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, findet sich im Eingange von Konrad's von Stoffeln Epos Gauriel von Montavel, der Ritter mit dem Bocke. Der Dichter be- klagt sich, daß seinen Helden keiner der bekannten Erzäh- ler, meister Gotfrit und her Wolfram und von Ouwe her Hartman, bisjetzt genannt habe, deshalb wolle er das Ver- säumte nachholen (Pfeiffer's Germania 6, 390). Wieder wärmer als diese einfache Erwähnung sind zwei Zeugnisse aus dem Ende des 13. Jahrhunderts. Gottfried's talentvollster Nachahmer, Konrad von Würzburg († 1287), hat in seinen zahlreichen Erzählungen nur einmal seines Meisters gedacht, in dem erwähnten «Herzmare". In einem seiner letzten Gedichte, in der sogenannten goldenen Schmiede, einem Lobgedichte auf die Jungfrau Maria, ist ihm durch die lyrische Haltung des Ganzen noch mehr Anlaßs und Gelegen- heit gegeben, den Meister voll Dankbarkeit und Begeisterung zu preisen. Ahnlich wie es Rudolf von Ems im Wilhelm gethan, bekennt Konrad seine Schwäche gegenüber der Meister- schaft Gottfried's. «Nachdem Konrad den Wunsch aus- gesprochen, der hohen Himmelskönigin in der Schmiede seines Herzens ein Lied aus Gold und Edelsteinen zu würken, ge- steht er, nicht diejenige Kunst und Meisterschaft zu besitzen, um sie nach voller Würdigkeit loben und preisen zu können.
EINLEITUNG. XXIII Alexander fast ganz übereinstimmt. Die Strophe ist dort unter die Lieder Ulrich's von Liechtenstein eingereiht, fehlt aber in dessen Frauendienst. Jedenfalls besitzt das Zeugniss Rudolf’s mehr Gewicht als das des viel jüngeren Schreibers der Pariser Handschrift, der auch sonst in den Namen der Dichter sich vielfach geirrt hat. Die Strophe vom gläsernen Glück ist eine freie Bearbeitung eines Spruchs von Publius Syrus. Die Wahl einer solchen dichterischen Aufgabe ist eher von Gottfried als von Ulrich von Liechtenstein vorauszusetzen. Uberdies hat Gottfried auch im Tristan einen Spruch des Publius Syrus paraphrasiert (vgl. zu 18047 fg.). Daſs hier stucke mit gelücke reimt, während im Tristan stucke durch zucke, dat. von zuc, erwiesen ist (V. 7060), scheint mir nicht gegen die Autorschaft Gottfried's zu sprechen. Die Dichter bedienen sich eben der Nebenformen. — Mit dieser Strophe verbunden ist eine zweite in gleichem Tone über Mein und Dein, welche auch ähnlichen Charakter trägt. Wir können sie ohne Bedenken ebenfalls als Eigenthum Gottfried's an- erkennen. Ein weiteres Zeugniss über Gottfried aus einer etwas jün- geren Zeit, aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, findet sich im Eingange von Konrad's von Stoffeln Epos Gauriel von Montavel, der Ritter mit dem Bocke. Der Dichter be- klagt sich, daß seinen Helden keiner der bekannten Erzäh- ler, meister Gotfrit und her Wolfram und von Ouwe her Hartman, bisjetzt genannt habe, deshalb wolle er das Ver- säumte nachholen (Pfeiffer's Germania 6, 390). Wieder wärmer als diese einfache Erwähnung sind zwei Zeugnisse aus dem Ende des 13. Jahrhunderts. Gottfried's talentvollster Nachahmer, Konrad von Würzburg († 1287), hat in seinen zahlreichen Erzählungen nur einmal seines Meisters gedacht, in dem erwähnten «Herzmare". In einem seiner letzten Gedichte, in der sogenannten goldenen Schmiede, einem Lobgedichte auf die Jungfrau Maria, ist ihm durch die lyrische Haltung des Ganzen noch mehr Anlaßs und Gelegen- heit gegeben, den Meister voll Dankbarkeit und Begeisterung zu preisen. Ahnlich wie es Rudolf von Ems im Wilhelm gethan, bekennt Konrad seine Schwäche gegenüber der Meister- schaft Gottfried's. «Nachdem Konrad den Wunsch aus- gesprochen, der hohen Himmelskönigin in der Schmiede seines Herzens ein Lied aus Gold und Edelsteinen zu würken, ge- steht er, nicht diejenige Kunst und Meisterschaft zu besitzen, um sie nach voller Würdigkeit loben und preisen zu können.
Strana XXIV
XXIV EINLEITUNG. Das wäre selbst dann unmöglich, wenn seine Rede wie ein Adler sich in die Höhe zu schwingen vermöchte. Nun sei aber seine Wortfügung ungelenk, er sei fremd in dem Früh- lingsgarten der Kunst, wo die (Rede-)Blumen gebrochen wer- den, wie sie zu einem ihrer würdigen Kranze gehören; der Glanz erhabener Gedanken lasse ihn ungeblendet, seltene Reime kommen bei ihm nicht zur Blüte und ebenso wenig klinge in ihm der ununterbrochene leise dahinrauschende Strom klarer Erfindung» [Worte Pfeiffer’s]. Dann fährt Kon- rad fort : Ich sitze ouch niht ûf grüenem klê von süezer rede touwes naz, dâ wirdeclîchen uffe saz von Strâzburg meister Gótfrít, der als ein wæher houbetsmit guldîn getihte worhte. der het ân' alle vorhte dich gerüemet, vrouwe, baz denn' ich, vil reinez tugentvaz, immer künne dich getuon. . 100 Man hat diese Stelle früher fälschlich auf das Vorhandensein einer geistlichen Dichtung von Gottfried bezogen und dann insbesondere auf den Lobgesang. Nach Pfeiffer's Nachweise in dem gedachten Aufsatze bezieht sie sich vielmehr auf eine Stelle im Tristan (V. 4851 fg.). Die Wiederholung des Bildes vom Klee (Tristan, V. 4919) deutet sicher darauf, daſ dem Konrad diese Stelle vorgeschwebt habe. Aus dem 15. Jahrhundert liegen zwei Zeugnisse vor. In dem bekannten Ehrenbriefe des Jakob Püterich aus Reicherz- hausen, einem dichterischen Verzeichnisse von Ritterbüchern, heißt es unter anderm in der 101. Strophe: von Strassburg 95 touwes naz, nalš vom Thaue. — 96 wirdeclichen adv., würdig, erhaben. — ûffe adv., mit dâ zu verbinden : darauf, worauf, auf welchem. — 99 gul- din getihte = ein g. (goldenes) get. — worhte præet. von würken swv., wirken, verfertigen. — 100 het ist conj. = hätte. — ân’ alle vorhte (Furcht) erklärt Wilhelm Grimm: "mit Zuversicht, ohne, wie ich, an seinen Gaben zu zw eifeln." Das ist nur unter der Voraussetzung richtig, dafs het Indi- cati v ist, wie früher allgemein geglaubt wurde. Vielmehr ist ân' alle corkte eine auf Ellipse beruhende formelhafte Wendung ; ich sage es ohne Furcht, ohne Scheu, es ist wahr, und insofern = ohne allen Zweifel, wie auch Pfeiffer erklärt Germ. 3, 78. — 101 baz compar., besser. — 102 tugentva: stn., eigentlich: Gefafs der Tugend, Vollkommenheit ; vaz wird häufig bildlich so gebraucht; es entspricht unserm: Inbegriff. — 103 immer adv., jemals. — künne conj. præs. = könne, im Stande sei. — getuon, verst. tuon, ver- tritt hier das Verbum: rüemen.
XXIV EINLEITUNG. Das wäre selbst dann unmöglich, wenn seine Rede wie ein Adler sich in die Höhe zu schwingen vermöchte. Nun sei aber seine Wortfügung ungelenk, er sei fremd in dem Früh- lingsgarten der Kunst, wo die (Rede-)Blumen gebrochen wer- den, wie sie zu einem ihrer würdigen Kranze gehören; der Glanz erhabener Gedanken lasse ihn ungeblendet, seltene Reime kommen bei ihm nicht zur Blüte und ebenso wenig klinge in ihm der ununterbrochene leise dahinrauschende Strom klarer Erfindung» [Worte Pfeiffer’s]. Dann fährt Kon- rad fort : Ich sitze ouch niht ûf grüenem klê von süezer rede touwes naz, dâ wirdeclîchen uffe saz von Strâzburg meister Gótfrít, der als ein wæher houbetsmit guldîn getihte worhte. der het ân' alle vorhte dich gerüemet, vrouwe, baz denn' ich, vil reinez tugentvaz, immer künne dich getuon. . 100 Man hat diese Stelle früher fälschlich auf das Vorhandensein einer geistlichen Dichtung von Gottfried bezogen und dann insbesondere auf den Lobgesang. Nach Pfeiffer's Nachweise in dem gedachten Aufsatze bezieht sie sich vielmehr auf eine Stelle im Tristan (V. 4851 fg.). Die Wiederholung des Bildes vom Klee (Tristan, V. 4919) deutet sicher darauf, daſ dem Konrad diese Stelle vorgeschwebt habe. Aus dem 15. Jahrhundert liegen zwei Zeugnisse vor. In dem bekannten Ehrenbriefe des Jakob Püterich aus Reicherz- hausen, einem dichterischen Verzeichnisse von Ritterbüchern, heißt es unter anderm in der 101. Strophe: von Strassburg 95 touwes naz, nalš vom Thaue. — 96 wirdeclichen adv., würdig, erhaben. — ûffe adv., mit dâ zu verbinden : darauf, worauf, auf welchem. — 99 gul- din getihte = ein g. (goldenes) get. — worhte præet. von würken swv., wirken, verfertigen. — 100 het ist conj. = hätte. — ân’ alle vorhte (Furcht) erklärt Wilhelm Grimm: "mit Zuversicht, ohne, wie ich, an seinen Gaben zu zw eifeln." Das ist nur unter der Voraussetzung richtig, dafs het Indi- cati v ist, wie früher allgemein geglaubt wurde. Vielmehr ist ân' alle corkte eine auf Ellipse beruhende formelhafte Wendung ; ich sage es ohne Furcht, ohne Scheu, es ist wahr, und insofern = ohne allen Zweifel, wie auch Pfeiffer erklärt Germ. 3, 78. — 101 baz compar., besser. — 102 tugentva: stn., eigentlich: Gefafs der Tugend, Vollkommenheit ; vaz wird häufig bildlich so gebraucht; es entspricht unserm: Inbegriff. — 103 immer adv., jemals. — künne conj. præs. = könne, im Stande sei. — getuon, verst. tuon, ver- tritt hier das Verbum: rüemen.
Strana XXV
EINLEITUNG. XXV Gotfrit Tristram hat besachet (d. h. geschaffen) ohne wei- teren Zusatz (Haupt's Zeitschrift 6, 50). Schließlich gedenken wir zweier Stellen in Ulrich Fürte- rer's großsem cyklischen Gedichte von der Tafelrunde, welches er im Auftrage Herzog Albrecht's von Baiern (1475 — 1508) verfasste. Zuerst heißt es : von Straspurg her Gotfrides kunst man mag mit warheit wol gerümen. Später wird gesagt: Gotfrid von Straspurg und Hartman von Awe, Rudolf (d. h. Rudolf von Ems), Wirrich (d. h. Wirnt von Grafenberg) und von Türlin Herr Albrecht seien mit dem Thau der Kunst benetzt gewesen. (v. d. Hagen's Minnes. 4, 620. 886.) Gegenüber dem schwärmerischen Lobe aus dem Munde zweier Dichter, die selbst Tüchtiges geleistet, wie Rudolf und Konrad, sind diese Zeugnisse weniger gewichtig, sie zeigen uns aber doch die nachhaltige Theilnahme, welche Gottfried und seinem Werke geschenkt wurde. Den betrachteten literarischen Zeugnissen reihen sich die beiden Fortsetzungen insofern an, als ihre Verfasser nicht ohne weiteres die Erzählung wieder aufnehmen, sondern vorerst des großen Verlustes gedenken, welcher das unvollen- dete Werk betroffen hat durch des Dichters Tod, und ihres Vorgängers hohe Meisterschaft bewundernd preisen. 1) Gottfried ist nicht nur von den Vertretern der Literatur auf lange Zeit gekannt und geschätzt gewesen, sein unvoll- endetes Werk wurde nicht nur abzuschließsen gesucht, son- dern er wirkte auch lebendig ein auf die Dichterwelt. Er hatte eine Schule. Den Einflußs, den seine Dichtersprache, seine Technik, sein zierlich spielender Stil auf die Kunst- jünger, auf Erzähler und Liederdichter ausübte, lässt sich bis ziemlich weit in das 14. Jahrhundert verfolgen. Es wird sich dies noch schärfer nachweisen lassen, wenn erst Gott- fried's Dichtersprache namentlich nach ihrer rhetorischen Seite hin im Zusammenhange dargestellt ist. Die Dichter, die ihn priesen und fortsetzten, waren auch seine Nachahmer ; selbst in geistlichen Dichtungen, wie z. B. im Passional, ist Gottfried's Art herauszufühlen. Es ist hier nicht der Ort, diesen lebendigen Einflußs darzulegen. Nur eins soll bemerkt werden. Der nun autorlos gewordene Lobgesang ist ein treff- 1) Vgl. den Wortlaut der Stellen im zweiten Bande.
EINLEITUNG. XXV Gotfrit Tristram hat besachet (d. h. geschaffen) ohne wei- teren Zusatz (Haupt's Zeitschrift 6, 50). Schließlich gedenken wir zweier Stellen in Ulrich Fürte- rer's großsem cyklischen Gedichte von der Tafelrunde, welches er im Auftrage Herzog Albrecht's von Baiern (1475 — 1508) verfasste. Zuerst heißt es : von Straspurg her Gotfrides kunst man mag mit warheit wol gerümen. Später wird gesagt: Gotfrid von Straspurg und Hartman von Awe, Rudolf (d. h. Rudolf von Ems), Wirrich (d. h. Wirnt von Grafenberg) und von Türlin Herr Albrecht seien mit dem Thau der Kunst benetzt gewesen. (v. d. Hagen's Minnes. 4, 620. 886.) Gegenüber dem schwärmerischen Lobe aus dem Munde zweier Dichter, die selbst Tüchtiges geleistet, wie Rudolf und Konrad, sind diese Zeugnisse weniger gewichtig, sie zeigen uns aber doch die nachhaltige Theilnahme, welche Gottfried und seinem Werke geschenkt wurde. Den betrachteten literarischen Zeugnissen reihen sich die beiden Fortsetzungen insofern an, als ihre Verfasser nicht ohne weiteres die Erzählung wieder aufnehmen, sondern vorerst des großen Verlustes gedenken, welcher das unvollen- dete Werk betroffen hat durch des Dichters Tod, und ihres Vorgängers hohe Meisterschaft bewundernd preisen. 1) Gottfried ist nicht nur von den Vertretern der Literatur auf lange Zeit gekannt und geschätzt gewesen, sein unvoll- endetes Werk wurde nicht nur abzuschließsen gesucht, son- dern er wirkte auch lebendig ein auf die Dichterwelt. Er hatte eine Schule. Den Einflußs, den seine Dichtersprache, seine Technik, sein zierlich spielender Stil auf die Kunst- jünger, auf Erzähler und Liederdichter ausübte, lässt sich bis ziemlich weit in das 14. Jahrhundert verfolgen. Es wird sich dies noch schärfer nachweisen lassen, wenn erst Gott- fried's Dichtersprache namentlich nach ihrer rhetorischen Seite hin im Zusammenhange dargestellt ist. Die Dichter, die ihn priesen und fortsetzten, waren auch seine Nachahmer ; selbst in geistlichen Dichtungen, wie z. B. im Passional, ist Gottfried's Art herauszufühlen. Es ist hier nicht der Ort, diesen lebendigen Einflußs darzulegen. Nur eins soll bemerkt werden. Der nun autorlos gewordene Lobgesang ist ein treff- 1) Vgl. den Wortlaut der Stellen im zweiten Bande.
Strana XXVI
XXVI EINLEITUNG. liches Beispiel einmal von der Verzerrung des Gottfriedischen Stiles, sodann von dem Bewusstsein, welches diesen stilistischen Charakter anerkannte. Der Schreiber der Pariser Handschrift verfuhr nicht gedankenlos, aber er verwechselte unkritisch das Original mit der verunglückten Copie. Und desselben Fehlers haben sich die Neueren schuldig gemacht, auch Pfeiffer nicht ausgenommen, denn es gab eine Zeit, wo auch er den allge- meinen Glauben von der Autorschaft Gottfried's theilte (s. Stuttgarter Ausgabe der Weingartner Liederhandschrift Nr. 30), bis die nähere Einsicht zum Zweifel und schliefslich zur Wahr- heit führte. Entlehnungen einzelner Wendungen werden wir immer bei den Epigonen finden, Gottfried's Tristan ist aber auch bisweilen geradezu geplündert worden (vgl. die Anmerkungen zu 842 fg. 10966 fg. 10991 fg). Aber nicht nur bei den Kunstgenossen fand Gottfried Theilnahme und Anerkennung, er hatte auch trotz einer Con- currenz Halt im Volke, in der Lesewelt. Das beweisen uns die Handschriften, die damaligen Bücher. Sie sind uns jetzt Quellen, sind das Material, welches uns befähigt, unsere alten Literaturdenkmäler in erneuter Gestalt wieder erstehen zu lassen, sie sind aber ebenso gut auch literarische Zeug- nisse von dem Einflusse eines Autors oder eines Werkes auf die Zeitgenossen und nächsten Nachkommen, und zwar recht sprechende. Die Zahl der Tristanhandschriften erreicht bei weitem nicht die von den Nibelungen und die vom Parzival, allein sie ist immer verhältnissmäßig eine ganz stattliche. Und wie manche mögen verloren gegangen oder vernichtet worden sein! Erhalten haben sich sechs vollständige Pergamenthandschrif- ten, von denen vier als Haupthandschriften zu gelten haben, dazu kommen zwei Papierhandschriften und vier größere oder kleinere Bruchstücke. Zu diesem Material sind noch zwei Handschriften ideell zu rechnen, die nach zuverlässiger Nach- richt ehedem vorhanden waren. Von der andauernden Be- liebtheit des Tristan gibt uns das Alter der Handschriften den Beweis. Mehrere gehören in das 14. und 15. Jahrhundert. Und fragen wir nach der örtlichen Verbreitung, so belehrt uns hierüber die Sprache oder vielmehr der Dialekt der Schrei- ber. Wir finden nicht allein oberdeutsches Idiom, sondern auch mitteldeutsches und niederdeutsches vertreten. Also in ganz Deutschland ist der Tristan zur Lektüre begehrt worden.
XXVI EINLEITUNG. liches Beispiel einmal von der Verzerrung des Gottfriedischen Stiles, sodann von dem Bewusstsein, welches diesen stilistischen Charakter anerkannte. Der Schreiber der Pariser Handschrift verfuhr nicht gedankenlos, aber er verwechselte unkritisch das Original mit der verunglückten Copie. Und desselben Fehlers haben sich die Neueren schuldig gemacht, auch Pfeiffer nicht ausgenommen, denn es gab eine Zeit, wo auch er den allge- meinen Glauben von der Autorschaft Gottfried's theilte (s. Stuttgarter Ausgabe der Weingartner Liederhandschrift Nr. 30), bis die nähere Einsicht zum Zweifel und schliefslich zur Wahr- heit führte. Entlehnungen einzelner Wendungen werden wir immer bei den Epigonen finden, Gottfried's Tristan ist aber auch bisweilen geradezu geplündert worden (vgl. die Anmerkungen zu 842 fg. 10966 fg. 10991 fg). Aber nicht nur bei den Kunstgenossen fand Gottfried Theilnahme und Anerkennung, er hatte auch trotz einer Con- currenz Halt im Volke, in der Lesewelt. Das beweisen uns die Handschriften, die damaligen Bücher. Sie sind uns jetzt Quellen, sind das Material, welches uns befähigt, unsere alten Literaturdenkmäler in erneuter Gestalt wieder erstehen zu lassen, sie sind aber ebenso gut auch literarische Zeug- nisse von dem Einflusse eines Autors oder eines Werkes auf die Zeitgenossen und nächsten Nachkommen, und zwar recht sprechende. Die Zahl der Tristanhandschriften erreicht bei weitem nicht die von den Nibelungen und die vom Parzival, allein sie ist immer verhältnissmäßig eine ganz stattliche. Und wie manche mögen verloren gegangen oder vernichtet worden sein! Erhalten haben sich sechs vollständige Pergamenthandschrif- ten, von denen vier als Haupthandschriften zu gelten haben, dazu kommen zwei Papierhandschriften und vier größere oder kleinere Bruchstücke. Zu diesem Material sind noch zwei Handschriften ideell zu rechnen, die nach zuverlässiger Nach- richt ehedem vorhanden waren. Von der andauernden Be- liebtheit des Tristan gibt uns das Alter der Handschriften den Beweis. Mehrere gehören in das 14. und 15. Jahrhundert. Und fragen wir nach der örtlichen Verbreitung, so belehrt uns hierüber die Sprache oder vielmehr der Dialekt der Schrei- ber. Wir finden nicht allein oberdeutsches Idiom, sondern auch mitteldeutsches und niederdeutsches vertreten. Also in ganz Deutschland ist der Tristan zur Lektüre begehrt worden.
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EINLEITUNG. XXVII Ein so vielgenannter, gepriesener und einflußreicher Dich- ter wie Gottfried von Straßburg, in dessen Schöpfung zudem eine scharf ausgeprägte Individualität hervortritt, wird immer auch ein persönliches Interesse erwecken. Aber leider sind wir auch hier wie bei so vielen Dichtern des Mittelalters ohne bestimmte historische Zeugnisse. Bei Walther von der Vogelweide hat es nahezu gelingen können, eine Biographie aus den eigenen Andeutungen herauszulesen und aufzubauen; bei Gottfried ist es nicht möglich. Der Tristan, soviel er auch lyrische Elemente enthält und Persönliches hindurchschimmern lässt, ist immer ein episches Gedicht, in welchem die Indivi- dualität des schaffenden Künstlers zurücktritt und in welchem kein Raum ist für Beziehungen auf äußsere Lebensschicksale, und der lyrischen Stücke sind es nur wenige, auch ist ihr Inhalt nicht politischer Natur. Der Ertrag, welchen uns die Dichtungen Gottfried's und mit ihnen die literarischen Zeugnisse für die Biographie ge- währen, ist nur ein geringer. Der Name Gottfried von Straßburg ist für den Dichter gesichert. Daß wir hier zu- nächst an die alte berühmte Bischofsstadt am Rheine denken werden, liegt auf der Hand. Man hat auch die Benutzung des Rheins zu einem dichterischen Bilde (V. 19439 fg.) auf die rheinische Heimat beziehen wollen; allein jenes ist auch von andern Dichtern geschehen, die erweislich aus anderer Gegend stammten. Geeigneter würde die Erwähnung des Sie- bengebirges (V. 12220) erscheinen, wenn diese Stelle über- haupt sicher wäre (s. die Anmerkung). Die literarischen Zeugnisse nennen den Dichter Meister Gottfried, oder mit dem vollen Namen Meister Gottfried von Straßburg, Rudolf von Ems auch den weisen Gottfried von Strafsburg. Niemals wird er in den älteren Zeugnissen «Herr» genannt. Nur bei dem späten Ulrich Fürterer heifst es her Gottfried. Hieraus hat man geschlossen, Gottfried sei nicht adelichen, sondern bürgerlichen Standes gewesen. Und dafs er auch wirklich für einen Bürgerlichen gegolten habe, soll sein Bild in der Pariser Handschrift bezeugen, weil es ihm kein Schwert, keinen Helm und keinen Wappenschild als Embleme beilegt. Aber der Titel Meister bezeichnet auch den gelehrten Stand. Und daßs der Dichter wirklich gelehrt war, bezeugt sein Tristan zur Genüge. Er sagt selbst, dafs er nach seiner Quelle in lateinischen und wälschen Büchern gesucht habe (155 fg.). In Stellen, die er nicht der Vorlage entlehnte, son-
EINLEITUNG. XXVII Ein so vielgenannter, gepriesener und einflußreicher Dich- ter wie Gottfried von Straßburg, in dessen Schöpfung zudem eine scharf ausgeprägte Individualität hervortritt, wird immer auch ein persönliches Interesse erwecken. Aber leider sind wir auch hier wie bei so vielen Dichtern des Mittelalters ohne bestimmte historische Zeugnisse. Bei Walther von der Vogelweide hat es nahezu gelingen können, eine Biographie aus den eigenen Andeutungen herauszulesen und aufzubauen; bei Gottfried ist es nicht möglich. Der Tristan, soviel er auch lyrische Elemente enthält und Persönliches hindurchschimmern lässt, ist immer ein episches Gedicht, in welchem die Indivi- dualität des schaffenden Künstlers zurücktritt und in welchem kein Raum ist für Beziehungen auf äußsere Lebensschicksale, und der lyrischen Stücke sind es nur wenige, auch ist ihr Inhalt nicht politischer Natur. Der Ertrag, welchen uns die Dichtungen Gottfried's und mit ihnen die literarischen Zeugnisse für die Biographie ge- währen, ist nur ein geringer. Der Name Gottfried von Straßburg ist für den Dichter gesichert. Daß wir hier zu- nächst an die alte berühmte Bischofsstadt am Rheine denken werden, liegt auf der Hand. Man hat auch die Benutzung des Rheins zu einem dichterischen Bilde (V. 19439 fg.) auf die rheinische Heimat beziehen wollen; allein jenes ist auch von andern Dichtern geschehen, die erweislich aus anderer Gegend stammten. Geeigneter würde die Erwähnung des Sie- bengebirges (V. 12220) erscheinen, wenn diese Stelle über- haupt sicher wäre (s. die Anmerkung). Die literarischen Zeugnisse nennen den Dichter Meister Gottfried, oder mit dem vollen Namen Meister Gottfried von Straßburg, Rudolf von Ems auch den weisen Gottfried von Strafsburg. Niemals wird er in den älteren Zeugnissen «Herr» genannt. Nur bei dem späten Ulrich Fürterer heifst es her Gottfried. Hieraus hat man geschlossen, Gottfried sei nicht adelichen, sondern bürgerlichen Standes gewesen. Und dafs er auch wirklich für einen Bürgerlichen gegolten habe, soll sein Bild in der Pariser Handschrift bezeugen, weil es ihm kein Schwert, keinen Helm und keinen Wappenschild als Embleme beilegt. Aber der Titel Meister bezeichnet auch den gelehrten Stand. Und daßs der Dichter wirklich gelehrt war, bezeugt sein Tristan zur Genüge. Er sagt selbst, dafs er nach seiner Quelle in lateinischen und wälschen Büchern gesucht habe (155 fg.). In Stellen, die er nicht der Vorlage entlehnte, son-
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XXVIII EINLEITUNG. dern die sein volles Eigenthum sind, zieht er die antike My- thologie heran (4851 fg.). Er benutzt, wie wir gesehen, ein- mal im Tristan den Publius Syrus, ebenso in dem ihm zu- erkannten Spruchgedichte. Dem geistlichen Stande kann Gottfried nicht angehört haben. Zwar die Wahl einer Liebessage für die dichterische Bearbeitung würde dies nicht unbedingt beweisen, aber sie macht es doch wahrscheinlich. Im Einzelnen kommen Auße- rungen vor, welche nur ein Laie thun konnte (vgl. V. 17947 fg.). Die oft angeführte Stelle im Gottesgericht vom tugendhaften Christ (V. 15736 fg.) ist keineswegs ein Zeugniss von des Dichters Gottlosigkeit und einer frevelhaften Gesinnung, son- dern richtet sich mit unerhörter Freisinnigkeit gegen die Hierarchie, welche mit dem Aberglauben spielte und heilige Handlungen zu bloßsen Farcen herabwürdigte und in solchen Weise ausnutzte. 1) Uber seine äußern Verhältnisse erfahren wir nichts im Tristan; aber aus der behaglichen Stimmung, die dort herrscht, aus dem Mangel an Klagen über persönliche Bedrängniss und über Kargheit der Gönner, die uns sonst so oft entgegen- tönen, dürfen wir schließen, daß sich Gottfried in günstiger Lebenslage befunden habe. Der Dichter war nach seinem eigenen Bekenntnisse schon herangereift, als er sich zum Tristan rüstete (V. 21 fg.). Er offenbart sich in bewunderungswürdiger Weise als ein Kenner des menschlichen Herzens; aber auch nur der, welcher der Liebe Lust und Leid genossen und erduldet hat, kann sie so ergreifend schildern. Uberdies sagt uns Gottfried selbst, dafs auch ihm die Liebe genaht sei (vgl. V. 16925 fg. 17104— 40). Aber wie sollen wir es deuten, wenn der Dichter be- kennt, daßs er das Ziel nicht erreicht habe? Stellt er sich dadurch in einen Gegensatz zu Tristan und Isolt? oder will er sagen, daſs er ehelos geblieben sei? Eine persönliche Beziehung finden wir ferner in einem Akrostichon, mit welchem das Gedicht anhebt. Mit Aus- nahme der allerersten ergeben die Anfangsbuchstaben der neun Eingangsstrophen den Namen Dieterich. Da der Name 1) Vgl. den Aufsatz von Hermann Kurtz: "Gottfried von Straßsburg und das Gottesurtheil seiner Zeit» in der Wochenausgabe der Augsburger Allgemeinen Zeitung (II. Jahrgang, 1868, Nr. 31—33), dann mit einem zwei- ten früher veröffentlichten (s. unten S. XXXI) vereinigt unter dem Titel: "Zum Leben Gottfried's von Strafsburg", in der Germania, 15. Jahrg. (1870), S. 207 fg. 322 fg.
XXVIII EINLEITUNG. dern die sein volles Eigenthum sind, zieht er die antike My- thologie heran (4851 fg.). Er benutzt, wie wir gesehen, ein- mal im Tristan den Publius Syrus, ebenso in dem ihm zu- erkannten Spruchgedichte. Dem geistlichen Stande kann Gottfried nicht angehört haben. Zwar die Wahl einer Liebessage für die dichterische Bearbeitung würde dies nicht unbedingt beweisen, aber sie macht es doch wahrscheinlich. Im Einzelnen kommen Auße- rungen vor, welche nur ein Laie thun konnte (vgl. V. 17947 fg.). Die oft angeführte Stelle im Gottesgericht vom tugendhaften Christ (V. 15736 fg.) ist keineswegs ein Zeugniss von des Dichters Gottlosigkeit und einer frevelhaften Gesinnung, son- dern richtet sich mit unerhörter Freisinnigkeit gegen die Hierarchie, welche mit dem Aberglauben spielte und heilige Handlungen zu bloßsen Farcen herabwürdigte und in solchen Weise ausnutzte. 1) Uber seine äußern Verhältnisse erfahren wir nichts im Tristan; aber aus der behaglichen Stimmung, die dort herrscht, aus dem Mangel an Klagen über persönliche Bedrängniss und über Kargheit der Gönner, die uns sonst so oft entgegen- tönen, dürfen wir schließen, daß sich Gottfried in günstiger Lebenslage befunden habe. Der Dichter war nach seinem eigenen Bekenntnisse schon herangereift, als er sich zum Tristan rüstete (V. 21 fg.). Er offenbart sich in bewunderungswürdiger Weise als ein Kenner des menschlichen Herzens; aber auch nur der, welcher der Liebe Lust und Leid genossen und erduldet hat, kann sie so ergreifend schildern. Uberdies sagt uns Gottfried selbst, dafs auch ihm die Liebe genaht sei (vgl. V. 16925 fg. 17104— 40). Aber wie sollen wir es deuten, wenn der Dichter be- kennt, daßs er das Ziel nicht erreicht habe? Stellt er sich dadurch in einen Gegensatz zu Tristan und Isolt? oder will er sagen, daſs er ehelos geblieben sei? Eine persönliche Beziehung finden wir ferner in einem Akrostichon, mit welchem das Gedicht anhebt. Mit Aus- nahme der allerersten ergeben die Anfangsbuchstaben der neun Eingangsstrophen den Namen Dieterich. Da der Name 1) Vgl. den Aufsatz von Hermann Kurtz: "Gottfried von Straßsburg und das Gottesurtheil seiner Zeit» in der Wochenausgabe der Augsburger Allgemeinen Zeitung (II. Jahrgang, 1868, Nr. 31—33), dann mit einem zwei- ten früher veröffentlichten (s. unten S. XXXI) vereinigt unter dem Titel: "Zum Leben Gottfried's von Strafsburg", in der Germania, 15. Jahrg. (1870), S. 207 fg. 322 fg.
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EINLEITUNG. XXIX des Dichters anderwärts belegt ist, so kann dieser Dieterich nur einen Gönner bezeichnen, welchem der Tristan gewidmet wurde. Der erste Buchstabe ist G ; man bezieht ihn auf Gott- fried; sollte er nicht zugleich auch den Titel des Gönners, also vielleicht grâve ausdrücken? Die folgenden Anfangsbuchstaben sind T und I, gewiss vom Dichter auf Tristan und Isolt bezogen. Welcher Zeit der Dichter und sein Werk angehört, lässt sich mit ziemlicher Sicherheit bestimmen. Schon die Sprache weist auf die gute, die classische Zeit des Mittelhochdeutschen hin. Genaueres ergibt die berühmte literarische Stelle in Tristan's Schwertleite (Abschnitt VIII). Von Hartmann von Aue wird gesprochen als von einem noch lebenden Zeit- genossen. Hartmann ist, wie wir wissen, um 1220 bereits todt; also fällt der Tristan früher. Bliker von Steinahe dichtete schon vor 1193. Diese Jahrzahl rückt die Abfassung des Tristan von 1220 schon näher an den Anfang des Jahr- hunderts. Heinrich von Veldeke ist bereits geschieden, auch die Nachtigall von Hagenau, unter welcher verhüllenden Be- zeichnung wir ohne Zweifel Reinmar den Alten zu verstehen haben. Nach dem Zusammenhang der Stelle kann Reinmar noch nicht lange gestorben sein ; die Nachtigall von der Vogel- weide soll an ihrer Statt von nun an das Banner tragen. Reinmar widmet noch im Jahre 1194 oder 1195 ein Klagelied seinem Gönner, dem Herzog Leopold VI. von Österreich († 1194). Also kann der Tristan nicht in das 12. Jahrhundert mehr ge- hören, wenigstens nicht tief hinein. Nach allgemeiner Berech- nung würde also die Abfassungszeit sich auf die ersten Jahre des 13. Jahrhunderts begrenzen lassen. Nehmen wir die An- nahme als gesichert an, dals Gottfried mit seiner Polemik gegen die vindare wilder mare auf Wolfram von Eschenbach und seinen Anhang und nicht, wie man wohl auch vermuthen könnte, auf die Erzähler der volksthümlichen abenteuerlichen Heldengeschichten hinziele, so fällt der Tristan nach 1203, um welche Zeit Wolfram den Parzival begann. Im Wilhelm hat Wolfram öfters sich polemisch geäußert, und diese Be- merkungen wurden dahin gedeutet, daßs sie Antworten auf die Angriffe Gottfried's seien (s. die Einleitung zur Über- tragung von H. Kurtz, S. LXXXIX fg.). Ich bekenne, daſs ich in diesen Dingen skeptischer Natur bin. Nur einer Stelle möchte ich eine directe Beziehung zuerkennen, nämlich der Außserung 4, 19—24:
EINLEITUNG. XXIX des Dichters anderwärts belegt ist, so kann dieser Dieterich nur einen Gönner bezeichnen, welchem der Tristan gewidmet wurde. Der erste Buchstabe ist G ; man bezieht ihn auf Gott- fried; sollte er nicht zugleich auch den Titel des Gönners, also vielleicht grâve ausdrücken? Die folgenden Anfangsbuchstaben sind T und I, gewiss vom Dichter auf Tristan und Isolt bezogen. Welcher Zeit der Dichter und sein Werk angehört, lässt sich mit ziemlicher Sicherheit bestimmen. Schon die Sprache weist auf die gute, die classische Zeit des Mittelhochdeutschen hin. Genaueres ergibt die berühmte literarische Stelle in Tristan's Schwertleite (Abschnitt VIII). Von Hartmann von Aue wird gesprochen als von einem noch lebenden Zeit- genossen. Hartmann ist, wie wir wissen, um 1220 bereits todt; also fällt der Tristan früher. Bliker von Steinahe dichtete schon vor 1193. Diese Jahrzahl rückt die Abfassung des Tristan von 1220 schon näher an den Anfang des Jahr- hunderts. Heinrich von Veldeke ist bereits geschieden, auch die Nachtigall von Hagenau, unter welcher verhüllenden Be- zeichnung wir ohne Zweifel Reinmar den Alten zu verstehen haben. Nach dem Zusammenhang der Stelle kann Reinmar noch nicht lange gestorben sein ; die Nachtigall von der Vogel- weide soll an ihrer Statt von nun an das Banner tragen. Reinmar widmet noch im Jahre 1194 oder 1195 ein Klagelied seinem Gönner, dem Herzog Leopold VI. von Österreich († 1194). Also kann der Tristan nicht in das 12. Jahrhundert mehr ge- hören, wenigstens nicht tief hinein. Nach allgemeiner Berech- nung würde also die Abfassungszeit sich auf die ersten Jahre des 13. Jahrhunderts begrenzen lassen. Nehmen wir die An- nahme als gesichert an, dals Gottfried mit seiner Polemik gegen die vindare wilder mare auf Wolfram von Eschenbach und seinen Anhang und nicht, wie man wohl auch vermuthen könnte, auf die Erzähler der volksthümlichen abenteuerlichen Heldengeschichten hinziele, so fällt der Tristan nach 1203, um welche Zeit Wolfram den Parzival begann. Im Wilhelm hat Wolfram öfters sich polemisch geäußert, und diese Be- merkungen wurden dahin gedeutet, daßs sie Antworten auf die Angriffe Gottfried's seien (s. die Einleitung zur Über- tragung von H. Kurtz, S. LXXXIX fg.). Ich bekenne, daſs ich in diesen Dingen skeptischer Natur bin. Nur einer Stelle möchte ich eine directe Beziehung zuerkennen, nämlich der Außserung 4, 19—24:
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XXX EINLEITUNG. Ich Wolfram von Eschenbach, swaz ich von Parzivâl gesprach, des sîn âventiur mich wiste, etslîch man daz prîste: ir was ouch vil, die’z smæhten und baz ir rede wæhten. 20 Wolfram spricht von vielen Tadlern; er wird auch persönlich von seinen Kunstgenossen bittere Bemerkungen vernommen haben. Wolfram’s Wilhelm ist um 1215 gedichtet. Der Tristan wird einige Jahre nach 1203 und einige Jahre vor 1215 zu setzen sein; in runder Summe erhalten wir somit als Ent- stehungszeit das Jahr 1210. Stellt sich für den Dichter Gottfried von Straßburg eine bestimmte Zeit heraus, so werden wir keinen Augenblick Be- denken tragen, einen urkundlichen Nachweis, welchen wir der Schrift E. H. Meyer's: «Walther von der Vogelweide identisch mit Schenk Walther von Schipfe» (Bremen 1863) verdanken, auf ihn zu beziehen. Dort nämlich (S. 5) wird auf eine Ur- kunde des Königs Philipp vom 18. Juni 1207 hingewiesen, deren Zeugenreihe ein Godofredus Rodelarius de Argentina beschließt. Demnach wäre Gottfried rotularius, Notar, Schrei- ber der Stadt Straßburg oder des dortigen Bischofs gewesen. Letzteres wohl weniger wegen seiner ungescheut an den Tag gelegten antihierarchischen Gesinnung. Der Stand eines Stadt- schreibers würde sich trefflich in Einklang bringen lassen mit der Gelehrsamkeit des Dichters. Vielen mag dieser Nach- weis zugleich ein weiterer Beleg gewesen sein für Gottfried's Bürgerthum. Auch stimmt der Besitz eines Amtes zu der innern Befriedigung, welche aus den Worten des Dichters herauszulesen ist. Neuerdings sind mit Anknüpfung an diesen urkundlichen Nachweis weitere Studien über Gottfried von Straßburg an- gestellt worden, welche zum Theil das Bild, welches wir uns von ihm machen durften, vervollständigen, zum Theil aber einigermaßsen verändern. 20 swaz correl. = was. — gesprach = gesprochen habe. — 21 wîsen swv. mit acc. (mich) und gen. (des), einen zu etwas weisen (stv.), veranlassen. — âventiur, âventiure stf., die in der Quelle vorgefundene Geschichte. — 22 etslîch man, (etlicher Mann), mancher Mann, mancher. — prîsen swv. = nhd. preisen stv. — 23 ir was vil, ihrer war viel (s. zu Tristan 9. 29), ihrer waren viele. — 24 baz adv. compar., besser. — wwhen swv., verschönen, baz wœhen, schöner einrichten.
XXX EINLEITUNG. Ich Wolfram von Eschenbach, swaz ich von Parzivâl gesprach, des sîn âventiur mich wiste, etslîch man daz prîste: ir was ouch vil, die’z smæhten und baz ir rede wæhten. 20 Wolfram spricht von vielen Tadlern; er wird auch persönlich von seinen Kunstgenossen bittere Bemerkungen vernommen haben. Wolfram’s Wilhelm ist um 1215 gedichtet. Der Tristan wird einige Jahre nach 1203 und einige Jahre vor 1215 zu setzen sein; in runder Summe erhalten wir somit als Ent- stehungszeit das Jahr 1210. Stellt sich für den Dichter Gottfried von Straßburg eine bestimmte Zeit heraus, so werden wir keinen Augenblick Be- denken tragen, einen urkundlichen Nachweis, welchen wir der Schrift E. H. Meyer's: «Walther von der Vogelweide identisch mit Schenk Walther von Schipfe» (Bremen 1863) verdanken, auf ihn zu beziehen. Dort nämlich (S. 5) wird auf eine Ur- kunde des Königs Philipp vom 18. Juni 1207 hingewiesen, deren Zeugenreihe ein Godofredus Rodelarius de Argentina beschließt. Demnach wäre Gottfried rotularius, Notar, Schrei- ber der Stadt Straßburg oder des dortigen Bischofs gewesen. Letzteres wohl weniger wegen seiner ungescheut an den Tag gelegten antihierarchischen Gesinnung. Der Stand eines Stadt- schreibers würde sich trefflich in Einklang bringen lassen mit der Gelehrsamkeit des Dichters. Vielen mag dieser Nach- weis zugleich ein weiterer Beleg gewesen sein für Gottfried's Bürgerthum. Auch stimmt der Besitz eines Amtes zu der innern Befriedigung, welche aus den Worten des Dichters herauszulesen ist. Neuerdings sind mit Anknüpfung an diesen urkundlichen Nachweis weitere Studien über Gottfried von Straßburg an- gestellt worden, welche zum Theil das Bild, welches wir uns von ihm machen durften, vervollständigen, zum Theil aber einigermaßsen verändern. 20 swaz correl. = was. — gesprach = gesprochen habe. — 21 wîsen swv. mit acc. (mich) und gen. (des), einen zu etwas weisen (stv.), veranlassen. — âventiur, âventiure stf., die in der Quelle vorgefundene Geschichte. — 22 etslîch man, (etlicher Mann), mancher Mann, mancher. — prîsen swv. = nhd. preisen stv. — 23 ir was vil, ihrer war viel (s. zu Tristan 9. 29), ihrer waren viele. — 24 baz adv. compar., besser. — wwhen swv., verschönen, baz wœhen, schöner einrichten.
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EINLEITUNG. XXXI Hermann Kurtz, der Übersetzer und Fortsetzer des Tri� stan, hat die Ergebnisse seiner Forschungen zuerst an einem Orte niedergelegt, wo sie der Fachmann nicht suchen und wohl auch nicht immer finden würde 1) ; um so dankenswerther ist die Veröffentlichung an einem zugänglicheren Orte. Wir verweisen auf die Ausführung des Einzelnen und heben nur die Hauptpunkte hervor. Auch nach der Ansicht von Kurtz ist jener Godefredus Rotularius de Argentina mit unserm Dichter ein und dieselbe Person. Er ist der Stadtschreiber, steht aber nicht im Dienste des Bischofs. Denn der vorletzte Zeuge in der Urkunde ist ein Rodulphus de Argentina und dieser erweist sich aus andern Zeugnissen als Schultheiß von Straßburg. Im Gegensatze zu der allgemeinen Annahme, daßs der bür- gerliche Gottfried von Straßburg seinen Zunamen habe, weil er von oder aus Straßburg stamme oder in Straßburg an- sässig sei, wird nun die Ansicht aufgestellt, daß Gottfried einem straßburgischen Adels- oder Patriciergeschlechte von Straßburg angehöre. In Schöpflin's Alsatia illustrata ist in den Jahren 1219 und 1220, also zu Gottfried's Zeit oder doch dieser Zeit höchst nahestehend, ein Angehöriger einer familia nobilis nachgewiesen, der sich abwechslungsweise Waltherus de Ar- gentina und Waltherus de Strazburg schrieb. Hier könnte immer der Beisatz de Argentina oder de Strazburg ein Mit- glied der Stadt Straßsburg bezeichnen. Nun findet sich aber in den alten Straßburger Rathsverzeichnissen, welche Schilter in seiner Vorrede zu Königshofen's Chronik mittheilt, beim Jahre 1220 ein Rathsherr Waltherus de Strazburg. «Es wird einleuchten, daß das Vorkommen dieses Namens im Schoße einer Versammlung, die aus lauter Straßburgern im strengsten Sinne des Wortes bestand, jede andere Erklärung ausschliefst: der Name kann nur ein Familienname sein.» In elsässischen Urkunden kommt seit den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts bis 1215, theils mit einem Bru- der Waltherus zusammen, theils allein, ein Rudolfus unter dem Titel Scultetus oder Causidicus, d. h. Schultheiß, vor. Im Jahre 1219 erscheint ein Waltherus de Argentina, der 1) Feuilleton der Wochenausgabe der Augsburger Allgemeinen Zei- tung, II. Jahrgang (1868), Nr. 23. 24, 25. 35 (vom 28. August), unter dem Titel : "Zum Leben Gottfried's von Straßburg" (vgl. die Anmerkung auf S. XXVIII); im neuen Abdrucke hat der Verfasser an einzelnen Stellen Zusätze gemacht oder leise geändert.
EINLEITUNG. XXXI Hermann Kurtz, der Übersetzer und Fortsetzer des Tri� stan, hat die Ergebnisse seiner Forschungen zuerst an einem Orte niedergelegt, wo sie der Fachmann nicht suchen und wohl auch nicht immer finden würde 1) ; um so dankenswerther ist die Veröffentlichung an einem zugänglicheren Orte. Wir verweisen auf die Ausführung des Einzelnen und heben nur die Hauptpunkte hervor. Auch nach der Ansicht von Kurtz ist jener Godefredus Rotularius de Argentina mit unserm Dichter ein und dieselbe Person. Er ist der Stadtschreiber, steht aber nicht im Dienste des Bischofs. Denn der vorletzte Zeuge in der Urkunde ist ein Rodulphus de Argentina und dieser erweist sich aus andern Zeugnissen als Schultheiß von Straßburg. Im Gegensatze zu der allgemeinen Annahme, daßs der bür- gerliche Gottfried von Straßburg seinen Zunamen habe, weil er von oder aus Straßburg stamme oder in Straßburg an- sässig sei, wird nun die Ansicht aufgestellt, daß Gottfried einem straßburgischen Adels- oder Patriciergeschlechte von Straßburg angehöre. In Schöpflin's Alsatia illustrata ist in den Jahren 1219 und 1220, also zu Gottfried's Zeit oder doch dieser Zeit höchst nahestehend, ein Angehöriger einer familia nobilis nachgewiesen, der sich abwechslungsweise Waltherus de Ar- gentina und Waltherus de Strazburg schrieb. Hier könnte immer der Beisatz de Argentina oder de Strazburg ein Mit- glied der Stadt Straßsburg bezeichnen. Nun findet sich aber in den alten Straßburger Rathsverzeichnissen, welche Schilter in seiner Vorrede zu Königshofen's Chronik mittheilt, beim Jahre 1220 ein Rathsherr Waltherus de Strazburg. «Es wird einleuchten, daß das Vorkommen dieses Namens im Schoße einer Versammlung, die aus lauter Straßburgern im strengsten Sinne des Wortes bestand, jede andere Erklärung ausschliefst: der Name kann nur ein Familienname sein.» In elsässischen Urkunden kommt seit den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts bis 1215, theils mit einem Bru- der Waltherus zusammen, theils allein, ein Rudolfus unter dem Titel Scultetus oder Causidicus, d. h. Schultheiß, vor. Im Jahre 1219 erscheint ein Waltherus de Argentina, der 1) Feuilleton der Wochenausgabe der Augsburger Allgemeinen Zei- tung, II. Jahrgang (1868), Nr. 23. 24, 25. 35 (vom 28. August), unter dem Titel : "Zum Leben Gottfried's von Straßburg" (vgl. die Anmerkung auf S. XXVIII); im neuen Abdrucke hat der Verfasser an einzelnen Stellen Zusätze gemacht oder leise geändert.
Strana XXXII
XXXII EINLEITUNG. weiterhin in einer Urkunde von 1220 und in der gleichzeitigen Rathsliste bei Schilter Waltherus de Strazburg heißt, da- zwischen aber, in einer Urkunde vom Anfang des Jahres 1220 Waltherus filius sculteti quondam genannt wird. «Der Name", sagt Kurtz weiter, "gehört somit einer schon vor dem 13. Jahrhundert in Straßburg ansässigen Familie an. Daßs es in Basel damals eine Familie dieses Namens gegeben, hat man längst gewusst, wie denn Wilhelm Wackernagel (Pfeiffer's Germania 3, 260) dieselbe für unsern Dichter ins Auge fasst, mit rühmlicher Entsagung jedoch zugibt, daſs seine Sprache nicht gestatte, in Gottfried einen Baseler zu erkennen. Um so merkwürdiger, daß noch niemand darauf gekommen ist, eine Verzweigung dieser Familie nach Straßburg zu ver muthen; denn die wahrscheinlichste Annahme ist doch wohl die, daſs ursprünglich ein Straßburger Geschlecht in Base einwanderte, wo es den Namen de Argentina erhielt, und daß ein Zweig dieses Geschlechts später mit dem feststehenden Familiennamen von Basel nach Straßburg zurückkam, dort also, nach neuerem genealogischem Brauch zu reden, eine Linie Straßburg-Straßburg bildete.» Dürfen wir annehmen, daß unser Gottfried von Straßburg dieser Familie angehörte und daf er das Amt eines Stadt schreibers bekleidete, so können wir vielleicht mit Kurtz aus einer urkundlichen Nachricht schließen, daſ er 1216 nicht mehr am Leben war. In einer Urkunde nämlich von diesem Jahre 1216 über den Verkauf eines stiftischen Zehntens an eins der herrschenden Geschlechter sind die Zeugen, vielleicht auch die Bürgen, lauter Collegen des Käufers, nämlich Raths- herren, und unter ihnen erscheint zuletzt ein Waltherus nota- rius, unter welchem wohl der Stadtschreiber zu verstehen ist Wenn Godefredus de Argentina nicht häufiger in Urkun- den erscheint, so sucht Kurtz den Erklärungsgrund in dem Umstande, daſs des Stadtschreibers Zeugniss immer als selbst- verständlich mit eingeschlossen gewesen sei, indem er es war, der für alle städtischen Zeugen das gemeinsame Stadtsiegel, das ihn stillschweigend repräsentierte, an die Urkunden hängte. Das Amt eines Stadtschreibers war in alterer Zeit viel bedeutender als heute und oft in den Händen des städtischen Adels. Schon in der Einleitung zu seiner Tristanübersetzung wies Kurtz in höchst sinnvoller Weise auf den charakteristischen Zug hin, wie der bürgerliche Meister Gottfried in stolzem
XXXII EINLEITUNG. weiterhin in einer Urkunde von 1220 und in der gleichzeitigen Rathsliste bei Schilter Waltherus de Strazburg heißt, da- zwischen aber, in einer Urkunde vom Anfang des Jahres 1220 Waltherus filius sculteti quondam genannt wird. «Der Name", sagt Kurtz weiter, "gehört somit einer schon vor dem 13. Jahrhundert in Straßburg ansässigen Familie an. Daßs es in Basel damals eine Familie dieses Namens gegeben, hat man längst gewusst, wie denn Wilhelm Wackernagel (Pfeiffer's Germania 3, 260) dieselbe für unsern Dichter ins Auge fasst, mit rühmlicher Entsagung jedoch zugibt, daſs seine Sprache nicht gestatte, in Gottfried einen Baseler zu erkennen. Um so merkwürdiger, daß noch niemand darauf gekommen ist, eine Verzweigung dieser Familie nach Straßburg zu ver muthen; denn die wahrscheinlichste Annahme ist doch wohl die, daſs ursprünglich ein Straßburger Geschlecht in Base einwanderte, wo es den Namen de Argentina erhielt, und daß ein Zweig dieses Geschlechts später mit dem feststehenden Familiennamen von Basel nach Straßburg zurückkam, dort also, nach neuerem genealogischem Brauch zu reden, eine Linie Straßburg-Straßburg bildete.» Dürfen wir annehmen, daß unser Gottfried von Straßburg dieser Familie angehörte und daf er das Amt eines Stadt schreibers bekleidete, so können wir vielleicht mit Kurtz aus einer urkundlichen Nachricht schließen, daſ er 1216 nicht mehr am Leben war. In einer Urkunde nämlich von diesem Jahre 1216 über den Verkauf eines stiftischen Zehntens an eins der herrschenden Geschlechter sind die Zeugen, vielleicht auch die Bürgen, lauter Collegen des Käufers, nämlich Raths- herren, und unter ihnen erscheint zuletzt ein Waltherus nota- rius, unter welchem wohl der Stadtschreiber zu verstehen ist Wenn Godefredus de Argentina nicht häufiger in Urkun- den erscheint, so sucht Kurtz den Erklärungsgrund in dem Umstande, daſs des Stadtschreibers Zeugniss immer als selbst- verständlich mit eingeschlossen gewesen sei, indem er es war, der für alle städtischen Zeugen das gemeinsame Stadtsiegel, das ihn stillschweigend repräsentierte, an die Urkunden hängte. Das Amt eines Stadtschreibers war in alterer Zeit viel bedeutender als heute und oft in den Händen des städtischen Adels. Schon in der Einleitung zu seiner Tristanübersetzung wies Kurtz in höchst sinnvoller Weise auf den charakteristischen Zug hin, wie der bürgerliche Meister Gottfried in stolzem
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EINLEITUNG. XXXIII Selbstbewusstsein mit seinen Brüdern in Apollo, die sämmt- lich Edelleute waren, wenig Umstände macht und sie einfach mit Namen nennt, ohne sie mit hêr zu titulieren. Dies hat auch jetzt noch seine Geltung, nur ist es anders aufzufassen. Gottfried als städtischer Edelmann und im Besitze einer hohen Stellung, die ihn von den Fahrenden scheidet, steht dem ritterlichen Adel ebenbürtig gegenüber. Den Gönner Dietrich findet Kurtz in einer dem Geschlechte Gottfried's verwandten burggräflichen Familie von Straßburg. Von den Beziehungen zu historischen Vorfällen, welche Kurtz aus dem Tristan herauszufinden geneigt ist, scheint mir nur die eine einigermaßsen begründet zu sein, deren in dem späteren Aufsatze über das Gottesgericht gedacht wird. Es ist wohl möglich, daßs der Dichter bei Erzählung des Gottesgerichtes an die Kanonisation der heiligen Kunigunde vom 3. April 1200 und an das grausame Ketzergericht zu Straßburg vom Jahre 1212 gedacht hat und namentlich durch letzteres zu dem heftigen Ausfalle getrieben worden ist. Be- hält diese Vermuthung Geltung, dann würde der Tristan nach 1212 vollendet oder vielmehr abgebrochen worden sein. Weshalb der Dichter das begonnene Werk nicht zu Ende führte, darüber besitzen wir keine gleichzeitigen Nachrichten. Ulrich von Türheim sagt uns, der Tod habe den Meister vor der Zeit hinweggerufen. Und in gleicher Weise äußert sich Heinrich von Freiberg. Wir sind wohl gerne geneigt, einen Seelenconflict des Dichters anzunehmen oder eine äußsere Ver- anlassung, die ihm Halt gebot; so lange wir aber nicht näher belehrt werden, müssen wir die Nachricht der beiden Fort- setzer gelten lassen. Die Beweise für das Bürgerthum Gottfried's könnten wider seinen Adel geltend gemacht werden. Der Titel «Meister" verträgt sich gewiss mit einem städtischen Amte, welches ge- lehrte Bildung bedingt und voraussetzt. Allein, wird man einwenden, bei einem adelichen Stadtschreiber wäre nichts- destoweniger der Titel «Herr» angewendet worden. Darauf möchte allerdings mit Kurtz zu erwidern sein, daßs mit den «Meistern" des 13. Jahrhunderts säuberlich verfahren werden müsse. Das Wort hatte zu Gottfried's Zeit keinen so be- schränkten Sinn, wie jetzt allgemein angenommen zu werden scheint. Tristan wird von Isolt mit «Meister" angeredet, als er das Amt des Schiffskapitäns und ihres Kammerherrn ver- waltete (V. 11574. 11603), und vom Dichter selbst öfters so GOTTFRIED VON STRASSBURG. I. 2. Aufl.
EINLEITUNG. XXXIII Selbstbewusstsein mit seinen Brüdern in Apollo, die sämmt- lich Edelleute waren, wenig Umstände macht und sie einfach mit Namen nennt, ohne sie mit hêr zu titulieren. Dies hat auch jetzt noch seine Geltung, nur ist es anders aufzufassen. Gottfried als städtischer Edelmann und im Besitze einer hohen Stellung, die ihn von den Fahrenden scheidet, steht dem ritterlichen Adel ebenbürtig gegenüber. Den Gönner Dietrich findet Kurtz in einer dem Geschlechte Gottfried's verwandten burggräflichen Familie von Straßburg. Von den Beziehungen zu historischen Vorfällen, welche Kurtz aus dem Tristan herauszufinden geneigt ist, scheint mir nur die eine einigermaßsen begründet zu sein, deren in dem späteren Aufsatze über das Gottesgericht gedacht wird. Es ist wohl möglich, daßs der Dichter bei Erzählung des Gottesgerichtes an die Kanonisation der heiligen Kunigunde vom 3. April 1200 und an das grausame Ketzergericht zu Straßburg vom Jahre 1212 gedacht hat und namentlich durch letzteres zu dem heftigen Ausfalle getrieben worden ist. Be- hält diese Vermuthung Geltung, dann würde der Tristan nach 1212 vollendet oder vielmehr abgebrochen worden sein. Weshalb der Dichter das begonnene Werk nicht zu Ende führte, darüber besitzen wir keine gleichzeitigen Nachrichten. Ulrich von Türheim sagt uns, der Tod habe den Meister vor der Zeit hinweggerufen. Und in gleicher Weise äußert sich Heinrich von Freiberg. Wir sind wohl gerne geneigt, einen Seelenconflict des Dichters anzunehmen oder eine äußsere Ver- anlassung, die ihm Halt gebot; so lange wir aber nicht näher belehrt werden, müssen wir die Nachricht der beiden Fort- setzer gelten lassen. Die Beweise für das Bürgerthum Gottfried's könnten wider seinen Adel geltend gemacht werden. Der Titel «Meister" verträgt sich gewiss mit einem städtischen Amte, welches ge- lehrte Bildung bedingt und voraussetzt. Allein, wird man einwenden, bei einem adelichen Stadtschreiber wäre nichts- destoweniger der Titel «Herr» angewendet worden. Darauf möchte allerdings mit Kurtz zu erwidern sein, daßs mit den «Meistern" des 13. Jahrhunderts säuberlich verfahren werden müsse. Das Wort hatte zu Gottfried's Zeit keinen so be- schränkten Sinn, wie jetzt allgemein angenommen zu werden scheint. Tristan wird von Isolt mit «Meister" angeredet, als er das Amt des Schiffskapitäns und ihres Kammerherrn ver- waltete (V. 11574. 11603), und vom Dichter selbst öfters so GOTTFRIED VON STRASSBURG. I. 2. Aufl.
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XXXIV EINLEITUNG. genannt (V. 11658. 11685), und Tristan war nicht blofs ade- licher, sondern fürstlicher Abkunft. Wir können hinzufügen, dafs selbst heute noch in Zusammensetzung das Wort Meister zur Bezeichnung von hohen Amtern dient, welche fast nur mit Adelichen besetzt zu werden pflegen, wie Forstmeister und Jägermeister. Diese Titel hätten nicht entstehen können, wenn nicht auch das einfache Meister der hohen Geburt gemäßs wäre. Der Jägermeister heißt im Tristan auch wirklich einmal einfach meister (3056). Die Charge einer Hofmeisterin oder in doppelter Zusammensetzung einer Oberhofmeisterin kommt auch heute nur einer Adelichen zu; im Tristan wird dafür einfach meisterinne gesagt (V. 4798), welches in die- sem Zusammenhange nicht abstract für leitarinne (V. 4810) sondern concret für ze hove kamerarîn steht. — Es werden sich gewiss noch anderwärts geschichtliche und literarische Belege finden lassen, daf das Wort «Meister» als Titel nicht blofs auf das Bürgerthum beschränkt war. Der Mangel eines Wappens auf dem Bilde Gottfried's in der Pariser Handschrift wird von Kurtz dahin gedeutet: der Künstler habe auf dem figurenreichen Bilde nicht gut die Wappen aller Dargestellten, die wohl Ebenbürtige des Dich- ters waren, anbringen können und so habe er lieber auch das der Hauptperson weggelassen. Das ist wohl möglich, aber ebenso denkbar ist, daßs der Schreiber der Handschrift, den beinahe ein Jahrhundert von Gottfried trennt, in dem Dich- ter eben wegen seines Titels «Meister" einen Bürgerlichen sah und sich darum nicht bemühte, sein Wappen zu erlangen. Das Bild beweist nicht gegen den Adel Gottfried's, ebenso- wenig als die Angabe bei Fürterer für ihn in Anspruch ge- nommen werden kann. Erneuter Forschung oder glücklichem Zufalle wird es hoffentlich noch gelingen, über Gottfried, über sein Leben und seine Lebenslage Genaueres zu erkunden. Die dankens- werthen Entdeckungen von Hermann Kurtz, die zum minde- sten den Stempel der Wahrscheinlichkeit tragen und gegen welche bisjetzt nichts Erhebliches eingewendet werden konnte, verändern die Gestalt des Dichters nur insoweit, als sie ihn bestimmt einem Geschlechte zuweisen und ihn zu einem de Argentina machen, ohne ihn der alten Stadt am Rheine zu berauben und ohne ihm seine Geburt als Argentinensis abzusprechen. Der feine Kenner des Ritterthums und der Courtoisie steht auf der Höhe des gesellschaftlichen Lebens, aber er hört darum nicht auf, ein Bürger zu sein.
XXXIV EINLEITUNG. genannt (V. 11658. 11685), und Tristan war nicht blofs ade- licher, sondern fürstlicher Abkunft. Wir können hinzufügen, dafs selbst heute noch in Zusammensetzung das Wort Meister zur Bezeichnung von hohen Amtern dient, welche fast nur mit Adelichen besetzt zu werden pflegen, wie Forstmeister und Jägermeister. Diese Titel hätten nicht entstehen können, wenn nicht auch das einfache Meister der hohen Geburt gemäßs wäre. Der Jägermeister heißt im Tristan auch wirklich einmal einfach meister (3056). Die Charge einer Hofmeisterin oder in doppelter Zusammensetzung einer Oberhofmeisterin kommt auch heute nur einer Adelichen zu; im Tristan wird dafür einfach meisterinne gesagt (V. 4798), welches in die- sem Zusammenhange nicht abstract für leitarinne (V. 4810) sondern concret für ze hove kamerarîn steht. — Es werden sich gewiss noch anderwärts geschichtliche und literarische Belege finden lassen, daf das Wort «Meister» als Titel nicht blofs auf das Bürgerthum beschränkt war. Der Mangel eines Wappens auf dem Bilde Gottfried's in der Pariser Handschrift wird von Kurtz dahin gedeutet: der Künstler habe auf dem figurenreichen Bilde nicht gut die Wappen aller Dargestellten, die wohl Ebenbürtige des Dich- ters waren, anbringen können und so habe er lieber auch das der Hauptperson weggelassen. Das ist wohl möglich, aber ebenso denkbar ist, daßs der Schreiber der Handschrift, den beinahe ein Jahrhundert von Gottfried trennt, in dem Dich- ter eben wegen seines Titels «Meister" einen Bürgerlichen sah und sich darum nicht bemühte, sein Wappen zu erlangen. Das Bild beweist nicht gegen den Adel Gottfried's, ebenso- wenig als die Angabe bei Fürterer für ihn in Anspruch ge- nommen werden kann. Erneuter Forschung oder glücklichem Zufalle wird es hoffentlich noch gelingen, über Gottfried, über sein Leben und seine Lebenslage Genaueres zu erkunden. Die dankens- werthen Entdeckungen von Hermann Kurtz, die zum minde- sten den Stempel der Wahrscheinlichkeit tragen und gegen welche bisjetzt nichts Erhebliches eingewendet werden konnte, verändern die Gestalt des Dichters nur insoweit, als sie ihn bestimmt einem Geschlechte zuweisen und ihn zu einem de Argentina machen, ohne ihn der alten Stadt am Rheine zu berauben und ohne ihm seine Geburt als Argentinensis abzusprechen. Der feine Kenner des Ritterthums und der Courtoisie steht auf der Höhe des gesellschaftlichen Lebens, aber er hört darum nicht auf, ein Bürger zu sein.
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EINLEITUNG. XXXV Der Tristan ist Gottfried's letztes Werk. Der Tod hin- derte ihn an der Vollendung. Gering an Zahl und Aus- dehnung sind die andern sichern Erzeugnisse seiner Dichter- kraft. Aber gewiss hat Gottfried mehr geschaffen. Rudolf von Ems sagt, er habe Männer und werthe Frauen ge- priesen. Das deutet auf lyrische Production. Lieder und Sprüche würden mehr von ihm bekannt und in die grofse Sammlung aufgenommen worden sein, wenn er der Dichter- zunft der Fahrenden angehört hätte. Der Schreiber der Pa- riser Handschrift liefs sich von der Nachahmung des Gott- friedischen Stiles im Lobgesange täuschen und hielt ihn für des Meisters eigenes Werk. Liegt hierin nicht aber zugleich auch eine Andeutung, dafs Gottfried sich auf dem Gebiete der geistlichen Liederdichtung versucht habe? Auch jene Fälschung in der Würzburger Handschrift führt auf die Ver- muthung, dafs Gottfried auch kleine Erzählungen, Novellen ohne seinen Namen verfasste. Ebenso weist hierauf die Ent- lehnung ganzer Stellen aus dem Tristan in einer solchen Novelle. Auch die etwas dunkele Aussage des Rudolf von Ems, daß Gottfried es verstanden habe, getihten krümbe zu slihten, bezieht sich auf eine Thätigkeit, von der wir die sichern Belege noch entbehren müssen. Aber der Tristan selbst belehrt uns, daf wir es mit keinem Anfänger zu thun haben. Eine solche Sprache, ein solcher Stil reift nicht ohne jahrelange Ubung heran. Und der Eingang mit seiner etwas herben Erörterung über Publikum und Kritik sieht nicht da- nach aus, als habe ein Dilettant, der dem literarischen Trei- ben bisjetzt fern gestanden, nun plötzlich den Entschlußs ge- fasst, sich auch einmal dichterisch zu versuchen. Es wird eine Aufgabe der Forschung sein, wenn auch keine leichte, Gottfried's Werke aus ihrer Namenlosigkeit hervorzusuchen. Nach meiner Uberzeugung, die aber hier nur als Vermuthung ausgesprochen sein soll, ist z. B. Hart- mann’s von Aue zweites Büchlein eine Jugendarbeit Gottfried's. Findet die Dichterthätigkeit Gottfried's mit dem Tristan ihren Abschlußs, so ist dieses letzte Werk, auch ohne daßs wir die vorausgegangenen alle kennen, ganz ohne Zweifel auch als sein Meisterwerk anzuerkennen. Nur der Tristan, der noch dazu ohne Verfassernamen in die Welt gieng, wird von den bewundernden Kunstjüngern genannt oder berührt. Mit künstlerischem und kritischem Bewusstsein schritt der Dichter an seine letzte grofse Aufgabe. Er wählt einen schon c*
EINLEITUNG. XXXV Der Tristan ist Gottfried's letztes Werk. Der Tod hin- derte ihn an der Vollendung. Gering an Zahl und Aus- dehnung sind die andern sichern Erzeugnisse seiner Dichter- kraft. Aber gewiss hat Gottfried mehr geschaffen. Rudolf von Ems sagt, er habe Männer und werthe Frauen ge- priesen. Das deutet auf lyrische Production. Lieder und Sprüche würden mehr von ihm bekannt und in die grofse Sammlung aufgenommen worden sein, wenn er der Dichter- zunft der Fahrenden angehört hätte. Der Schreiber der Pa- riser Handschrift liefs sich von der Nachahmung des Gott- friedischen Stiles im Lobgesange täuschen und hielt ihn für des Meisters eigenes Werk. Liegt hierin nicht aber zugleich auch eine Andeutung, dafs Gottfried sich auf dem Gebiete der geistlichen Liederdichtung versucht habe? Auch jene Fälschung in der Würzburger Handschrift führt auf die Ver- muthung, dafs Gottfried auch kleine Erzählungen, Novellen ohne seinen Namen verfasste. Ebenso weist hierauf die Ent- lehnung ganzer Stellen aus dem Tristan in einer solchen Novelle. Auch die etwas dunkele Aussage des Rudolf von Ems, daß Gottfried es verstanden habe, getihten krümbe zu slihten, bezieht sich auf eine Thätigkeit, von der wir die sichern Belege noch entbehren müssen. Aber der Tristan selbst belehrt uns, daf wir es mit keinem Anfänger zu thun haben. Eine solche Sprache, ein solcher Stil reift nicht ohne jahrelange Ubung heran. Und der Eingang mit seiner etwas herben Erörterung über Publikum und Kritik sieht nicht da- nach aus, als habe ein Dilettant, der dem literarischen Trei- ben bisjetzt fern gestanden, nun plötzlich den Entschlußs ge- fasst, sich auch einmal dichterisch zu versuchen. Es wird eine Aufgabe der Forschung sein, wenn auch keine leichte, Gottfried's Werke aus ihrer Namenlosigkeit hervorzusuchen. Nach meiner Uberzeugung, die aber hier nur als Vermuthung ausgesprochen sein soll, ist z. B. Hart- mann’s von Aue zweites Büchlein eine Jugendarbeit Gottfried's. Findet die Dichterthätigkeit Gottfried's mit dem Tristan ihren Abschlußs, so ist dieses letzte Werk, auch ohne daßs wir die vorausgegangenen alle kennen, ganz ohne Zweifel auch als sein Meisterwerk anzuerkennen. Nur der Tristan, der noch dazu ohne Verfassernamen in die Welt gieng, wird von den bewundernden Kunstjüngern genannt oder berührt. Mit künstlerischem und kritischem Bewusstsein schritt der Dichter an seine letzte grofse Aufgabe. Er wählt einen schon c*
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XXXVI EINLEITUNG. bekannten Stoff. Aber er will auch stofflich etwas Neues bringen, er hat Gründe, mit der landläufigen Erzählung von Tristan und Isolt unzufrieden zu sein. Er hatte es gewiss vermocht, das vorhandene unmodern gewordene Gedicht des Eilhart in eine neue Form umzugießsen. Ein Dichter unserer Tage würde, wenn ihm auch der Stoff nicht mehr zeitgemäß erschien, nach durchaus freiem Ermessen verändern, weglassen und zusetzen, verschiedene Traditionen vermischen, neue Mo- tive erfinden können. Das war für einen mittelalterlichen Dichter unmöglich. Auch Gottfried musste der Sitte folgen; er suchte nach einer Quelle, die ihm die bessere, die rechte schien. Er suchte nach der Erzählung eines Thomas von Bri- tannie in wälschen und lateinischen Büchern (V. 150 fg.). Der Dichter ist so glücklich, endlich auch die áventiure, daz wâre mœre zu finden. In seiner Polemik gegen die andere von ihm verschmähte und verworfene Tradition beruft er sich öfters auf seine Quelle, ja er nennt auch den Thomas noch- mals ausdrücklich (V. 326). Die Vorlage, nach welcher Gottfried arbeitete, war wälsch, französisch, d. h. nordfranzösisch. Als unmittelbare Beweise sollten früher die zahlreichen französischen Fremdwörter, die auch sonst in unserer ritterlichen Poesie vorkommen, sowie die nicht selten eingestreuten den Vers füllenden Redewen- dungen in französischer Sprache gelten. Dagegen hat sich, wie mir scheint mit Recht, Richard Heinzel erklärt 1); er sieht in diesen fromden Elementen nur einen Ausdruck des Zeitgeschmacks, der Mode und weist nach, daß insbesondere die französischen Verse bei Gottfried nicht dem Metrum des französischen Kunstepos entsprechen und darum vom deut- schen Dichter selbständig verfasst sein müssen. Dagegen möchte ich doch den Beweis für ein französisches Original, welches das Wortspiel mit lameir (V. 11986 fg.) darbietet, nicht preis- geben. Wie Hartmann bei seinem Erec und bei seinem Iwein dem Chrestien von Troyes nachdichtete. so könnte man auch Chre- stien's verlorenen Tristan als die Quelle vermuthen, wenn nicht der Thomas von Britannie als Gewährsmann genannt wäre. Das englische Gedicht in Strophenform Sir Tristrem 2), 1) Zu Anfang seines Aufsatzes «Tristan und seine Quelle" in Haupt's Zeitschrift 14 (1869), 272 fg. 2) Zuerst von Walter Scott 1811 veröffentlicht, wiederholt in v. d. Ha- gen's Tristanausgabe 2, 123.
XXXVI EINLEITUNG. bekannten Stoff. Aber er will auch stofflich etwas Neues bringen, er hat Gründe, mit der landläufigen Erzählung von Tristan und Isolt unzufrieden zu sein. Er hatte es gewiss vermocht, das vorhandene unmodern gewordene Gedicht des Eilhart in eine neue Form umzugießsen. Ein Dichter unserer Tage würde, wenn ihm auch der Stoff nicht mehr zeitgemäß erschien, nach durchaus freiem Ermessen verändern, weglassen und zusetzen, verschiedene Traditionen vermischen, neue Mo- tive erfinden können. Das war für einen mittelalterlichen Dichter unmöglich. Auch Gottfried musste der Sitte folgen; er suchte nach einer Quelle, die ihm die bessere, die rechte schien. Er suchte nach der Erzählung eines Thomas von Bri- tannie in wälschen und lateinischen Büchern (V. 150 fg.). Der Dichter ist so glücklich, endlich auch die áventiure, daz wâre mœre zu finden. In seiner Polemik gegen die andere von ihm verschmähte und verworfene Tradition beruft er sich öfters auf seine Quelle, ja er nennt auch den Thomas noch- mals ausdrücklich (V. 326). Die Vorlage, nach welcher Gottfried arbeitete, war wälsch, französisch, d. h. nordfranzösisch. Als unmittelbare Beweise sollten früher die zahlreichen französischen Fremdwörter, die auch sonst in unserer ritterlichen Poesie vorkommen, sowie die nicht selten eingestreuten den Vers füllenden Redewen- dungen in französischer Sprache gelten. Dagegen hat sich, wie mir scheint mit Recht, Richard Heinzel erklärt 1); er sieht in diesen fromden Elementen nur einen Ausdruck des Zeitgeschmacks, der Mode und weist nach, daß insbesondere die französischen Verse bei Gottfried nicht dem Metrum des französischen Kunstepos entsprechen und darum vom deut- schen Dichter selbständig verfasst sein müssen. Dagegen möchte ich doch den Beweis für ein französisches Original, welches das Wortspiel mit lameir (V. 11986 fg.) darbietet, nicht preis- geben. Wie Hartmann bei seinem Erec und bei seinem Iwein dem Chrestien von Troyes nachdichtete. so könnte man auch Chre- stien's verlorenen Tristan als die Quelle vermuthen, wenn nicht der Thomas von Britannie als Gewährsmann genannt wäre. Das englische Gedicht in Strophenform Sir Tristrem 2), 1) Zu Anfang seines Aufsatzes «Tristan und seine Quelle" in Haupt's Zeitschrift 14 (1869), 272 fg. 2) Zuerst von Walter Scott 1811 veröffentlicht, wiederholt in v. d. Ha- gen's Tristanausgabe 2, 123.
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EINLEITUNG. XXXVII welches sich auf einen Thomas von Erceldoune beruft, kann aus verschiedenen Gründen, die hier nicht näher zu ent- wickeln sind, nicht die Quelle Gottfried's gewesen sein; es ist aber insofern für uns wichtig, als es trotz manigfacher Abweichungen im Einzelnen doch im Großsen und Ganzen mit der Tradition der Sage stimmt, zu welcher sich Gottfried be- kannte. Von den erhaltenen französischen Tristangedichten sind namentlich zwei zu beachten. Leider sind beide nur in Bruchstücken vorhanden. Das eine Gedicht trägt den Autor- namen eines Berox und stimmt im Großen und Ganzen mit der Tradition Eilhart's. Das zweite beruft sich auf einen Thomas (bei Michel 1) als erstes Stück des zweiten Bandes und als erstes und drittes Stück des dritten Bandes). Mit Gottfried's Tristan lassen sich diese Fragmente nicht ver- gleichen, wie man früher annahm, denn die Erzählung beginnt durch einen tückischen Zufall gerade da, wo Gottfried ab- bricht. Wohl aber stimmen die Fragmente des Thomas, wiederum im Großen und Ganzen, mit dem Schlusse des eng- lischen Tristrem. Der Rückschlußs lag nahe, daßs das fran- zösische Gedicht in seinem nicht erhaltenen vorderen Theile mit Gottfried's Tristan übereingestimmt haben werde. Somit konnte der Schlußs gezogen werden, daßs das fran- zösische Gedicht des Thomas, welches in seiner Ganzheit nur ideell vorhanden ist, wahrscheinlich die Vorlage Gottfried's war. Man könnte dies schließsen, auch wenn kein Autorname genannt wäre, auch wenn sich der Dichter nicht auf einen Thomas beriefe. Die Übereinstimmung beider Namen aber, zu denen sich noch ein dritter Thomas, der Thomas von Er- celdoune gesellt, erschien bedeutungsvoll. Sie erhöhte die Wahrscheinlichkeit der Vermuthung. Das Verhältniss übrigens des Thomas von Erceldoune zu dem französischen Thomas ist noch nicht völlig aufgeklärt, auch nach einer neueren Unter- suchung noch nicht, doch berührt dies nicht weiter die Frage nach der Quelle des Gottfriedischen Tristan. Neuerdings ist die Lösung der Quellenfrage um einen Schritt weiter gefördert worden. Ein junger französischer Gelehrter, 1) Der Titel der wichtigen Sammlung ist : Tristan. Recueil de ce qui reste de poëms rélatifs à ses aventures, composés en français, en anglo- normand et en grec dans les XII et XIII siècles, publié par Francisque Michel (Londres I, II, 1835; III, 1839).
EINLEITUNG. XXXVII welches sich auf einen Thomas von Erceldoune beruft, kann aus verschiedenen Gründen, die hier nicht näher zu ent- wickeln sind, nicht die Quelle Gottfried's gewesen sein; es ist aber insofern für uns wichtig, als es trotz manigfacher Abweichungen im Einzelnen doch im Großsen und Ganzen mit der Tradition der Sage stimmt, zu welcher sich Gottfried be- kannte. Von den erhaltenen französischen Tristangedichten sind namentlich zwei zu beachten. Leider sind beide nur in Bruchstücken vorhanden. Das eine Gedicht trägt den Autor- namen eines Berox und stimmt im Großen und Ganzen mit der Tradition Eilhart's. Das zweite beruft sich auf einen Thomas (bei Michel 1) als erstes Stück des zweiten Bandes und als erstes und drittes Stück des dritten Bandes). Mit Gottfried's Tristan lassen sich diese Fragmente nicht ver- gleichen, wie man früher annahm, denn die Erzählung beginnt durch einen tückischen Zufall gerade da, wo Gottfried ab- bricht. Wohl aber stimmen die Fragmente des Thomas, wiederum im Großen und Ganzen, mit dem Schlusse des eng- lischen Tristrem. Der Rückschlußs lag nahe, daßs das fran- zösische Gedicht in seinem nicht erhaltenen vorderen Theile mit Gottfried's Tristan übereingestimmt haben werde. Somit konnte der Schlußs gezogen werden, daßs das fran- zösische Gedicht des Thomas, welches in seiner Ganzheit nur ideell vorhanden ist, wahrscheinlich die Vorlage Gottfried's war. Man könnte dies schließsen, auch wenn kein Autorname genannt wäre, auch wenn sich der Dichter nicht auf einen Thomas beriefe. Die Übereinstimmung beider Namen aber, zu denen sich noch ein dritter Thomas, der Thomas von Er- celdoune gesellt, erschien bedeutungsvoll. Sie erhöhte die Wahrscheinlichkeit der Vermuthung. Das Verhältniss übrigens des Thomas von Erceldoune zu dem französischen Thomas ist noch nicht völlig aufgeklärt, auch nach einer neueren Unter- suchung noch nicht, doch berührt dies nicht weiter die Frage nach der Quelle des Gottfriedischen Tristan. Neuerdings ist die Lösung der Quellenfrage um einen Schritt weiter gefördert worden. Ein junger französischer Gelehrter, 1) Der Titel der wichtigen Sammlung ist : Tristan. Recueil de ce qui reste de poëms rélatifs à ses aventures, composés en français, en anglo- normand et en grec dans les XII et XIII siècles, publié par Francisque Michel (Londres I, II, 1835; III, 1839).
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XXXVIII EINLEITUNG. A. Bossert, unternahm es, jene französischen Bruchstücke des Thomas mit dem Ende des Gottfriedischen Tristan noch einmal genauer zu vergleichen 1), und er fand, dafs ein Stück, wenn auch nur ein geringes, wirklich gemeinsam sei, soweit nämlich eine freie Umdichtung mit einer Vorlage überhaupt übereinstimmen kann. Es entspricht die Stelle bei Gottfried V. 19478 bis zu Ende den Versen bei Thomas 5—20. 24—26. 83—90 im ersten Fragment des dritten Bandes der Michel'schen Sammlung. Hierauf stellte Richard Heinzel eine umfassende Unter- suchung an über die Quelle des Tristan.2) Die sorgsame Ver- gleichung der verschiedenen Traditionen liefert nur ein geringes Endergebniss, sie zeigt uns weniger wie die Quelle beschaffen gewesen sei, als wie sie nicht gewesen sei. Der Abweichungen auch in den sonst verwandten Überlieferungen sind so viele und bedeutende, daßs es ganz unmöglich ist, sich die wirk- liche Gestalt der Quelle zu construieren. Besonders wichtig erscheint in Heinzel's Aufsatze der Nachweis, dafs sich in den französischen Bruchstücken des Thomas Außserungen und Be- ziehungen finden, welche sich mit der Gottfriedischen Sagen- gestalt nicht vereinigen lassen. Sodann glaubt Heinzel aus einzelnen Wendungen in jenem Bruchstücke schließsen zu müssen, daſs der Dichter nicht die ganze Tristangeschichte, sondern nur den letzten Theil derselben, der anhebt mit der Ankunft Tristan's in der Bretagne (bei Gottfried in Arun- del), verfasste; somit habe von vornherein der französische Thomas nur einen Theil der Quelle Gottfried's ausmachen können. Hat diese Annahme Bestand, so fallen alle auf ein gröfseres und vollständiges Tristangedicht des Thomas bezüg- lichen Vermuthungen zu Boden. Die neue und seltsame Hypothese, mit welcher Heinzel seine Vergleichung der Sagen- traditionen einleitet, daßs Gottfried im Allgemeinen zwei Quellen gefolgt sei, einem lateinischen Chronikwerke des Thomas von Britannie und einer französischen Dichtung, wird sich schwer- lich der Zustimmung erfreuen können. Daß Gottfried seiner Quelle nicht sklavisch folgte, sondern 1) Tristan et Iseult, poème de Gotfrit de Strasbourg comparé à d'autres poèmes sur le même sujet. Thèse présentée à la faculté des lettres de Paris par A. Bossert (Paris, Franck, 1865). 2) In der vorher S. XXXVI Anmerk. 1) genannten Abhandlung. — Diese fleiſsige und ausführliche Arbeit wird leider durch eine allzugrofe Breite und durch den fühlbaren Mangel an Ubersichtlichkeit beeinträchtigt.
XXXVIII EINLEITUNG. A. Bossert, unternahm es, jene französischen Bruchstücke des Thomas mit dem Ende des Gottfriedischen Tristan noch einmal genauer zu vergleichen 1), und er fand, dafs ein Stück, wenn auch nur ein geringes, wirklich gemeinsam sei, soweit nämlich eine freie Umdichtung mit einer Vorlage überhaupt übereinstimmen kann. Es entspricht die Stelle bei Gottfried V. 19478 bis zu Ende den Versen bei Thomas 5—20. 24—26. 83—90 im ersten Fragment des dritten Bandes der Michel'schen Sammlung. Hierauf stellte Richard Heinzel eine umfassende Unter- suchung an über die Quelle des Tristan.2) Die sorgsame Ver- gleichung der verschiedenen Traditionen liefert nur ein geringes Endergebniss, sie zeigt uns weniger wie die Quelle beschaffen gewesen sei, als wie sie nicht gewesen sei. Der Abweichungen auch in den sonst verwandten Überlieferungen sind so viele und bedeutende, daßs es ganz unmöglich ist, sich die wirk- liche Gestalt der Quelle zu construieren. Besonders wichtig erscheint in Heinzel's Aufsatze der Nachweis, dafs sich in den französischen Bruchstücken des Thomas Außserungen und Be- ziehungen finden, welche sich mit der Gottfriedischen Sagen- gestalt nicht vereinigen lassen. Sodann glaubt Heinzel aus einzelnen Wendungen in jenem Bruchstücke schließsen zu müssen, daſs der Dichter nicht die ganze Tristangeschichte, sondern nur den letzten Theil derselben, der anhebt mit der Ankunft Tristan's in der Bretagne (bei Gottfried in Arun- del), verfasste; somit habe von vornherein der französische Thomas nur einen Theil der Quelle Gottfried's ausmachen können. Hat diese Annahme Bestand, so fallen alle auf ein gröfseres und vollständiges Tristangedicht des Thomas bezüg- lichen Vermuthungen zu Boden. Die neue und seltsame Hypothese, mit welcher Heinzel seine Vergleichung der Sagen- traditionen einleitet, daßs Gottfried im Allgemeinen zwei Quellen gefolgt sei, einem lateinischen Chronikwerke des Thomas von Britannie und einer französischen Dichtung, wird sich schwer- lich der Zustimmung erfreuen können. Daß Gottfried seiner Quelle nicht sklavisch folgte, sondern 1) Tristan et Iseult, poème de Gotfrit de Strasbourg comparé à d'autres poèmes sur le même sujet. Thèse présentée à la faculté des lettres de Paris par A. Bossert (Paris, Franck, 1865). 2) In der vorher S. XXXVI Anmerk. 1) genannten Abhandlung. — Diese fleiſsige und ausführliche Arbeit wird leider durch eine allzugrofe Breite und durch den fühlbaren Mangel an Ubersichtlichkeit beeinträchtigt.
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EINLEITUNG. XXXIX dals er, ähnlich wie Hartmann von Aue sich an Christian von Troyes anschloß, die Vorlage nur zu einem Wegweiser be- nutzte, das konnten wir von vornherein annehmen. So spricht und dichtet niemals ein Ubersetzer, sondern nur ein freier Künstler. Jetzt nach Bossert's Entdeckung sehen wir selbst an den wenigen Zeilen, wie Gottfried dichterisch schaffte. Er ist ausführlicher, selbst redseliger als sein Original, aber auch unendlich schwungvoller; er überragt den Franzosen himmelhoch. Dem unbekannten Originale danken wir in Gottfried's Ge- dichte in den Hauptzügen die dramatisch lebendige Compo- sition und die lebenswahre, seelenvolle Charakteristik. Na- mentlich an der Charakteristik hat aber auch der deutsche Dichter gewiss wesentlichen Antheil. Eine ästhetische Würdigung des Gedichtes kann hier nicht bezweckt werden, auch mußs der Herausgeber sich ver- sagen, die ethische Seite zu berühren. Nur das eine mag bemerkt werden, daß das Mittelalter in Tristan und Isolt kein verabscheuungswürdiges Liebespaar erblickte. Die beige- brachten Zeugnisse über die Beliebtheit der Tristansage sowie die über Gottfried's Tristan mögen auch hierfür beweisen. Namentlich gewichtig ist hier des strengen Sittenrichters Tho- masin von Zirclaria charakteristische Empfehlung des Tristan zur Jugendlektüre. Wenn es hier einmal gilt, historisch zu fühlen und das ewig junge Kunstwerk und seinen Schöpfer mit den Augen eines Zeitgenossen zu betrachten, so möge daran erinnert werden, daßs der Tristan in den Tagen des Minnesanges und des Frauencultus entstand, daß er zunächst für die vornehme Welt bestimmt war, welche bis auf den heu- tigen Tag eine größere Unbefangenheit und Duldsamkeit be- währt als jene beengteren Kreise, in welchen das Princip der Ehrbarkeit und Wohlanständigkeit nur zu leicht den Blick trübt bei der Anschauung der Kunst und bei Beurthei- lung des Genius. Erst ziemlich spät werden verdammende Urtheile laut, aber nicht gegen Gottfried, sondern gegen die Träger und den Inhalt des Romans. Auch bei jedem andern Epos würden wir die Nichtvollen- dung beklagen, hier aber ist sie doppelt beklagenswerth. Was seinen mittelalterlichen Fortsetzern nicht gelingen wollte, würde der beredte und seelenkundige Gottfried gewiss erreicht haben : die Lösung des Conflicts, die Sühne nach der tragischen und verhängnissvollen Schuld.
EINLEITUNG. XXXIX dals er, ähnlich wie Hartmann von Aue sich an Christian von Troyes anschloß, die Vorlage nur zu einem Wegweiser be- nutzte, das konnten wir von vornherein annehmen. So spricht und dichtet niemals ein Ubersetzer, sondern nur ein freier Künstler. Jetzt nach Bossert's Entdeckung sehen wir selbst an den wenigen Zeilen, wie Gottfried dichterisch schaffte. Er ist ausführlicher, selbst redseliger als sein Original, aber auch unendlich schwungvoller; er überragt den Franzosen himmelhoch. Dem unbekannten Originale danken wir in Gottfried's Ge- dichte in den Hauptzügen die dramatisch lebendige Compo- sition und die lebenswahre, seelenvolle Charakteristik. Na- mentlich an der Charakteristik hat aber auch der deutsche Dichter gewiss wesentlichen Antheil. Eine ästhetische Würdigung des Gedichtes kann hier nicht bezweckt werden, auch mußs der Herausgeber sich ver- sagen, die ethische Seite zu berühren. Nur das eine mag bemerkt werden, daß das Mittelalter in Tristan und Isolt kein verabscheuungswürdiges Liebespaar erblickte. Die beige- brachten Zeugnisse über die Beliebtheit der Tristansage sowie die über Gottfried's Tristan mögen auch hierfür beweisen. Namentlich gewichtig ist hier des strengen Sittenrichters Tho- masin von Zirclaria charakteristische Empfehlung des Tristan zur Jugendlektüre. Wenn es hier einmal gilt, historisch zu fühlen und das ewig junge Kunstwerk und seinen Schöpfer mit den Augen eines Zeitgenossen zu betrachten, so möge daran erinnert werden, daßs der Tristan in den Tagen des Minnesanges und des Frauencultus entstand, daß er zunächst für die vornehme Welt bestimmt war, welche bis auf den heu- tigen Tag eine größere Unbefangenheit und Duldsamkeit be- währt als jene beengteren Kreise, in welchen das Princip der Ehrbarkeit und Wohlanständigkeit nur zu leicht den Blick trübt bei der Anschauung der Kunst und bei Beurthei- lung des Genius. Erst ziemlich spät werden verdammende Urtheile laut, aber nicht gegen Gottfried, sondern gegen die Träger und den Inhalt des Romans. Auch bei jedem andern Epos würden wir die Nichtvollen- dung beklagen, hier aber ist sie doppelt beklagenswerth. Was seinen mittelalterlichen Fortsetzern nicht gelingen wollte, würde der beredte und seelenkundige Gottfried gewiss erreicht haben : die Lösung des Conflicts, die Sühne nach der tragischen und verhängnissvollen Schuld.
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XL EINLEITUNG. Haben wir in Gottfried's Tristan auch nur einen Torso erhalten, so ist er doch so mächtig und reich, daſs wir an ihm den Künstler völlig erkennen und bewundern können. Schönheiten der Darstellung lassen sich mehr fühlen als zer- gliedern und beschreiben. Darum hier nur einige Andeu- tungen über Gottfried's Dichtersprache, vor allen für die Leser, welche vielleicht zum erstenmal an den Tristan herantreten. Gottfried hat einen bestimmten Stil. Wir finden diesen Stil schon vorbereitet in der vorausgehenden Zeit, namentlich bei Hartmann von Aue. Wir finden ihn aber noch ausgepräg- ter in der französischen Dichtung. Von beiden Seiten ist Gottfried die Anregung geworden, aber er bildete das Uber- lieferte aus und erhob es zu seiner eigenen, zu einer origi- nalen Schöpfung. Dieser Stil besteht in der künstlerischen Verwendung und Bevorzugung des grammatischen und rühren- den Reimes, ferner der Wiederholung, der Antithese und des Wortspiels. Meist findet diese Dichtungsweise ihren Platz in den Betrachtungen, so namentlich im Eingange, aber sie er- streckt sich auch auf die Erzählung. Mitunter, das ist nicht zu leugnen, streift dieses zierliche Spiel an die Spielerei. Und darin liegt die Gefahr für diesen Stil, der unter der Hand der Nachahmer allzu leicht ausarten kann und wirklich auch ausgeartet und selbst zum Unschönen verzerrt worden ist. Ist dieser Stil ein künstlerisches Element und musste der Herausgeber schon um seiner selbst willen bei der Erklärung darauf aufmerksam machen, so ist er immer auch wesentlich für das Verständniss. Fast durchgängig findet bei dem Spiele gleicher Formen und Worte Verschiedenheit der Function und der Bedeutung statt. Natürlich konnten nicht alle und jede Fälle in den Anmerkungen berührt werden, der Leser wird sich des Dichters Eigenthümlichkeit ohnehin bald einprägen. Gottfried's stilistische Originalität besteht ferner unter anderm in der Wahl und Bildung von Worten, in der Vor- liebe für das Participium præsentis, in der Anwendung be- stimmter Phrasen und Formeln, in der Verbindung verschie- dener Tempora und in einer weit ausgedehnten Synonymik. Aber Gottfried’s Stil ist nicht nur rhetorischer, er ist auch technischer Natur. Zunächst ist der «grammatisch correcte» Bau seiner Verse wenigstens zu erwähnen, seine Anwendung voller ungekürzter Formen. Auch von der verschiedenen Gat- tung der Reime und von ihrer Reinheit, die bei Gottfried ge-
XL EINLEITUNG. Haben wir in Gottfried's Tristan auch nur einen Torso erhalten, so ist er doch so mächtig und reich, daſs wir an ihm den Künstler völlig erkennen und bewundern können. Schönheiten der Darstellung lassen sich mehr fühlen als zer- gliedern und beschreiben. Darum hier nur einige Andeu- tungen über Gottfried's Dichtersprache, vor allen für die Leser, welche vielleicht zum erstenmal an den Tristan herantreten. Gottfried hat einen bestimmten Stil. Wir finden diesen Stil schon vorbereitet in der vorausgehenden Zeit, namentlich bei Hartmann von Aue. Wir finden ihn aber noch ausgepräg- ter in der französischen Dichtung. Von beiden Seiten ist Gottfried die Anregung geworden, aber er bildete das Uber- lieferte aus und erhob es zu seiner eigenen, zu einer origi- nalen Schöpfung. Dieser Stil besteht in der künstlerischen Verwendung und Bevorzugung des grammatischen und rühren- den Reimes, ferner der Wiederholung, der Antithese und des Wortspiels. Meist findet diese Dichtungsweise ihren Platz in den Betrachtungen, so namentlich im Eingange, aber sie er- streckt sich auch auf die Erzählung. Mitunter, das ist nicht zu leugnen, streift dieses zierliche Spiel an die Spielerei. Und darin liegt die Gefahr für diesen Stil, der unter der Hand der Nachahmer allzu leicht ausarten kann und wirklich auch ausgeartet und selbst zum Unschönen verzerrt worden ist. Ist dieser Stil ein künstlerisches Element und musste der Herausgeber schon um seiner selbst willen bei der Erklärung darauf aufmerksam machen, so ist er immer auch wesentlich für das Verständniss. Fast durchgängig findet bei dem Spiele gleicher Formen und Worte Verschiedenheit der Function und der Bedeutung statt. Natürlich konnten nicht alle und jede Fälle in den Anmerkungen berührt werden, der Leser wird sich des Dichters Eigenthümlichkeit ohnehin bald einprägen. Gottfried's stilistische Originalität besteht ferner unter anderm in der Wahl und Bildung von Worten, in der Vor- liebe für das Participium præsentis, in der Anwendung be- stimmter Phrasen und Formeln, in der Verbindung verschie- dener Tempora und in einer weit ausgedehnten Synonymik. Aber Gottfried’s Stil ist nicht nur rhetorischer, er ist auch technischer Natur. Zunächst ist der «grammatisch correcte» Bau seiner Verse wenigstens zu erwähnen, seine Anwendung voller ungekürzter Formen. Auch von der verschiedenen Gat- tung der Reime und von ihrer Reinheit, die bei Gottfried ge-
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EINLEITUNG. XLI radezu bewunderungswürdig ist, soll hier nicht näher gehan- delt werden. Wichtiger scheint mir ein Princip, welches zuerst durch Gottfried in unserer erzählenden Poesie mit Bewusstsein zur Anwendung kam, das ist das lyrische Princip, die be- stimmte Abwechselung von Hebung und Senkung, oder die An- erkennung der Nothwendigkeit der Senkung. Noch aber ist die- ses Princip nicht systematisch streng durchgeführt, noch kann die Senkung, namentlich in zusammengesetzten Worten, fehlen. Später erst wird, was wir hier in seinen Anfängen sehen, zur festeren Regel, wie vor allen bei Konrad von Würzburg. Dann war es nur éin Schritt noch zur Silbenzählung, welche als metrisches Princip eine gar lange Zeit bei uns geherrscht hat. Gottfried brach nicht vollständig mit der Metrik seiner Vor- gänger und Zeitgenossen, aber sein Neues wandte er mit dem Alten an gleichsam wie Nebenformen. Er vermied durch die Auslassung der Senkungen nicht bloßs die ermüdende Weich- lichkeit der sonst regelmäßsig gebauten Verse, sondern außer der Malerei im einzelnen Ausdrucke benutzte er auch die bei- den Principien zur stilgemäßsen Charakteristik ganzer Stücke. Man lese die Betrachtungen, die Reden der einzelnen Perso� nen, man lese die Erzählung von Riwalin und Blanscheflur und vergleiche diese Abschnitte mit ihren leicht dahinschwe- benden Versen mit dem Drachenkampf, mit der Episode von Rotte und Harfe und man wird bald in der ganzen Art des Vortrags einen Unterschied herausfühlen. Daßs öfters keine Ma- lerei und kein besonderer Stil bezweckt wird, sondern daß die Senkungen rein zufällig fehlen, versteht sich von selbst. Ein zweites Princip in Gottfried's Metrik ist der jam- bische Rhythmus. Aber der Dichter vermeidet auch nicht trochäische Verse, sondern er wechselt mit ihnen ab und ver- fällt so nicht in die Eintönigkeit, an welcher der moderne Vers leidet. Eine Eigenthümlichkeit Gottfried's besteht ferner in der häufigen Anwendung des zweisilbigen Auftaktes. Auch da- durch wird der eintönige Silbenfall vermieden. Zugleich hängt der zweisilbige Auftakt zusammen mit dem Princip des jambischen Rhythmus, indem dadurch ein trochäisch angelegter Vers zu einem jambischen wird. Dieser Fall tritt namentlich ein in den dreimal gehobenen Versen mit klingendem Aus- gang, die öfters viermal gehoben und trochäisch sein würden, wenn nicht der zweisilbige Auftakt die Wandlung veranlasste. Kein einzigesmal kommt es bei Gottfried vor, daſ drei-
EINLEITUNG. XLI radezu bewunderungswürdig ist, soll hier nicht näher gehan- delt werden. Wichtiger scheint mir ein Princip, welches zuerst durch Gottfried in unserer erzählenden Poesie mit Bewusstsein zur Anwendung kam, das ist das lyrische Princip, die be- stimmte Abwechselung von Hebung und Senkung, oder die An- erkennung der Nothwendigkeit der Senkung. Noch aber ist die- ses Princip nicht systematisch streng durchgeführt, noch kann die Senkung, namentlich in zusammengesetzten Worten, fehlen. Später erst wird, was wir hier in seinen Anfängen sehen, zur festeren Regel, wie vor allen bei Konrad von Würzburg. Dann war es nur éin Schritt noch zur Silbenzählung, welche als metrisches Princip eine gar lange Zeit bei uns geherrscht hat. Gottfried brach nicht vollständig mit der Metrik seiner Vor- gänger und Zeitgenossen, aber sein Neues wandte er mit dem Alten an gleichsam wie Nebenformen. Er vermied durch die Auslassung der Senkungen nicht bloßs die ermüdende Weich- lichkeit der sonst regelmäßsig gebauten Verse, sondern außer der Malerei im einzelnen Ausdrucke benutzte er auch die bei- den Principien zur stilgemäßsen Charakteristik ganzer Stücke. Man lese die Betrachtungen, die Reden der einzelnen Perso� nen, man lese die Erzählung von Riwalin und Blanscheflur und vergleiche diese Abschnitte mit ihren leicht dahinschwe- benden Versen mit dem Drachenkampf, mit der Episode von Rotte und Harfe und man wird bald in der ganzen Art des Vortrags einen Unterschied herausfühlen. Daßs öfters keine Ma- lerei und kein besonderer Stil bezweckt wird, sondern daß die Senkungen rein zufällig fehlen, versteht sich von selbst. Ein zweites Princip in Gottfried's Metrik ist der jam- bische Rhythmus. Aber der Dichter vermeidet auch nicht trochäische Verse, sondern er wechselt mit ihnen ab und ver- fällt so nicht in die Eintönigkeit, an welcher der moderne Vers leidet. Eine Eigenthümlichkeit Gottfried's besteht ferner in der häufigen Anwendung des zweisilbigen Auftaktes. Auch da- durch wird der eintönige Silbenfall vermieden. Zugleich hängt der zweisilbige Auftakt zusammen mit dem Princip des jambischen Rhythmus, indem dadurch ein trochäisch angelegter Vers zu einem jambischen wird. Dieser Fall tritt namentlich ein in den dreimal gehobenen Versen mit klingendem Aus- gang, die öfters viermal gehoben und trochäisch sein würden, wenn nicht der zweisilbige Auftakt die Wandlung veranlasste. Kein einzigesmal kommt es bei Gottfried vor, daſ drei-
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XLII EINLEITUNG. und viermal gehobene Verse miteinander gebunden werden, was sich sonst auch gute Dichter gestatteten, und jeder scheinbar viermal gehobene Vers lässt sich leicht in einen dreimal gehobenen verändern. Diese Wahrnehmungen mussten natürlich bei der Text- herstellung sowie in dieser auch für weitere Kreise beabsich- tigten Ausgabe bei den Fingerzeigen zur Erleichterung des Lesens berücksichtigt und zur Anschauung gebracht werden. Die wissenschaftliche Begründung dieser Fälle sowie die Darlegung noch anderer Einzelheiten der metrischen Technik Gottfried's behält sich der Herausgeber an einem andern Orte vor. Gottfried hat sein Gedicht, welches wie die meisten Roman- dichtungen in den kurzen Reimpaaren abgefasst ist, mit einer Reihe von Strophen eröffnet. Und solche Strophen kehren bei Beginn größerer Abschnitte oder als Ruhepunkte in der Erzählung öfters wieder. Gegen das Ende hin werden sie seltener. Die Strophen bestehen aus vier Zeilen, eine jede ist viermal gehoben und hat stumpfen Ausgang. Der Rhythmus ist jambisch. Die Reime sind alle materiell gleich, je zwei sind als gleiche Worte sogenannte gleiche oder rüh- rende Reime. Diese Form ist eine volksthümliche, sprich- wortähnliche, welche der Dichter zu künstlerischem Spiele be- nutzte. Ohne Zweifel hat Gottfried durch diese Strophen dem lyrischen Charakter seines Werkes einen äußern sichtbaren Ausdruck verleihen wollen. — Diese Ausgabe enthält den fünften Abdruck von Gott- fried's Tristan. Zuerst wurde das Gedicht veröffentlicht im Jahre 1785 im zweiten Bande der Sammlung deutscher Ge- dichte aus dem 12., 13. und 14. Jahrhundert von Christoph Heinrich Müller (Myller), und zwar nach einer Züricher Ab- schrift des Florentiner Codex. An den Tristan schlofs sich die Fortsetzung Heinrich's. Im Jahre 1821 folgte die Ausgabe E. von Groote's mit Ulrich, 1823 die von der Hagen's mit Ulrich und Heinrich, 1843 die Maſsmann’s mit Ulrich. Franz Pfeiffer, der nun dahingeschiedene Herausgeber dieser Sammlung, wünschte und bestimmte anfänglich, daß ich auch einen der Fortsetzer be- arbeiten und anfügen solle und zwar den poesiereicheren Heinrich von Freiberg. Ich erklärte mich dagegen. Einmal hätte sich diese umfänglichere Fortsetzung nicht in den beiden für den Tristan bestimmten Bänden unterbringen lassen, sodann schien
XLII EINLEITUNG. und viermal gehobene Verse miteinander gebunden werden, was sich sonst auch gute Dichter gestatteten, und jeder scheinbar viermal gehobene Vers lässt sich leicht in einen dreimal gehobenen verändern. Diese Wahrnehmungen mussten natürlich bei der Text- herstellung sowie in dieser auch für weitere Kreise beabsich- tigten Ausgabe bei den Fingerzeigen zur Erleichterung des Lesens berücksichtigt und zur Anschauung gebracht werden. Die wissenschaftliche Begründung dieser Fälle sowie die Darlegung noch anderer Einzelheiten der metrischen Technik Gottfried's behält sich der Herausgeber an einem andern Orte vor. Gottfried hat sein Gedicht, welches wie die meisten Roman- dichtungen in den kurzen Reimpaaren abgefasst ist, mit einer Reihe von Strophen eröffnet. Und solche Strophen kehren bei Beginn größerer Abschnitte oder als Ruhepunkte in der Erzählung öfters wieder. Gegen das Ende hin werden sie seltener. Die Strophen bestehen aus vier Zeilen, eine jede ist viermal gehoben und hat stumpfen Ausgang. Der Rhythmus ist jambisch. Die Reime sind alle materiell gleich, je zwei sind als gleiche Worte sogenannte gleiche oder rüh- rende Reime. Diese Form ist eine volksthümliche, sprich- wortähnliche, welche der Dichter zu künstlerischem Spiele be- nutzte. Ohne Zweifel hat Gottfried durch diese Strophen dem lyrischen Charakter seines Werkes einen äußern sichtbaren Ausdruck verleihen wollen. — Diese Ausgabe enthält den fünften Abdruck von Gott- fried's Tristan. Zuerst wurde das Gedicht veröffentlicht im Jahre 1785 im zweiten Bande der Sammlung deutscher Ge- dichte aus dem 12., 13. und 14. Jahrhundert von Christoph Heinrich Müller (Myller), und zwar nach einer Züricher Ab- schrift des Florentiner Codex. An den Tristan schlofs sich die Fortsetzung Heinrich's. Im Jahre 1821 folgte die Ausgabe E. von Groote's mit Ulrich, 1823 die von der Hagen's mit Ulrich und Heinrich, 1843 die Maſsmann’s mit Ulrich. Franz Pfeiffer, der nun dahingeschiedene Herausgeber dieser Sammlung, wünschte und bestimmte anfänglich, daß ich auch einen der Fortsetzer be- arbeiten und anfügen solle und zwar den poesiereicheren Heinrich von Freiberg. Ich erklärte mich dagegen. Einmal hätte sich diese umfänglichere Fortsetzung nicht in den beiden für den Tristan bestimmten Bänden unterbringen lassen, sodann schien
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EINLEITUNG. XLIII es mir auch aus innern Gründen nicht füglich zu sein. Wie hoch ich auch den Heinrich und sein Gedicht schätze, und ich halte es für weitaus das beste aus der Epigonenzeit, so wenig scheint es mir doch in eine Sammlung zu gehören, welche unsern mittelalterlichen «Classikern" gewidmet ist.1) Ich habe daher mit Bewilligung meines verstorbenen Freundes, damit der Leser dichterisch nicht herabzusteigen brauche und doch sachlich einen Abschlußs finde, eine schlichte Nacherzäh- lung beider Fortsetzungen auf Gottfried's unvollendetes Werk folgen lassen. Der von mir dargebotene Text ist völlig neu bearbeitet; in der zweiten Auflage ist er nicht wesentlich geändert, son- dern nur in Einzelheiten verbessert worden. Wenn man ver- hältnissmälsig wenig Unterschiede mit den vorausgehenden Ausgaben bemerken wird, so hat dies seinen Grund in der im Ganzen trefflichen und einheitlichen Uberlieferung. Ist dieser günstige Umstand für den Herausgeber im Allgemeinen eine Erleichterung seiner Arbeit, so bietet er im Einzelnen und Feinen gerade recht viele Schwierigkeiten. Durch Pfeiffer’s Güte erhielt ich seine werthvollen, die Originale völlig er- setzenden Collationen der Münchener, Heidelberger und Wiener Handschrift. Für die Florentiner Handschrift benutzte ich aus von der Hagen's Nachlasse eine Collation des Müller'schen Abdrucks mit dem Florentiner Original. Für die Nebenhand- schriften verglich ich, wie mein Vorgänger Maßmann, die Lesarten bei Groote. Das umfangreichere, von Zingerle in den «Findlingen" veröffentlichte Bruchstück war für die Ver- gleichung wenigstens nicht unwichtig. Uber mein kritisches Verfahren gedenke ich in Pfeiffer's Germania das Nähere bei- zubringen, nur das eine sei hier im Voraus und im Allgemeinen bemerkt, daß ich aus Gründen die älteste Münchener Hand- schrift, welche Groote nicht kannte, von der Hagen unkritisch benutzte, Maßmann allzu sehr vernachlässigte, wieder mehr in den Vordergrund gestellt habe. Noch ehe ich dazu gelangen konnte, mein Verfahren theoretisch zu entwickeln, erschien eine verdienstvolle, die Tristankritik betreffende Abhandlung von Theodor von Hagen, auf welche ich unter «Berichtigungen und Zusätze» am Schlusse des 2. Bandes noch hinweisen konnte.2) 1) Heinrich's Gedicht wird nun in der zweiten Sammlung «Deutsche Dich- tungen des Mittelalters. Herausgegeben von Karl Bartsch" Aufnahme finden. 2) Kritische Beiträge zu Gottfried's von Strafsburg Tristan (Mühl hausen i. Th. 1868), Göttinger Doctordissertation.
EINLEITUNG. XLIII es mir auch aus innern Gründen nicht füglich zu sein. Wie hoch ich auch den Heinrich und sein Gedicht schätze, und ich halte es für weitaus das beste aus der Epigonenzeit, so wenig scheint es mir doch in eine Sammlung zu gehören, welche unsern mittelalterlichen «Classikern" gewidmet ist.1) Ich habe daher mit Bewilligung meines verstorbenen Freundes, damit der Leser dichterisch nicht herabzusteigen brauche und doch sachlich einen Abschlußs finde, eine schlichte Nacherzäh- lung beider Fortsetzungen auf Gottfried's unvollendetes Werk folgen lassen. Der von mir dargebotene Text ist völlig neu bearbeitet; in der zweiten Auflage ist er nicht wesentlich geändert, son- dern nur in Einzelheiten verbessert worden. Wenn man ver- hältnissmälsig wenig Unterschiede mit den vorausgehenden Ausgaben bemerken wird, so hat dies seinen Grund in der im Ganzen trefflichen und einheitlichen Uberlieferung. Ist dieser günstige Umstand für den Herausgeber im Allgemeinen eine Erleichterung seiner Arbeit, so bietet er im Einzelnen und Feinen gerade recht viele Schwierigkeiten. Durch Pfeiffer’s Güte erhielt ich seine werthvollen, die Originale völlig er- setzenden Collationen der Münchener, Heidelberger und Wiener Handschrift. Für die Florentiner Handschrift benutzte ich aus von der Hagen's Nachlasse eine Collation des Müller'schen Abdrucks mit dem Florentiner Original. Für die Nebenhand- schriften verglich ich, wie mein Vorgänger Maßmann, die Lesarten bei Groote. Das umfangreichere, von Zingerle in den «Findlingen" veröffentlichte Bruchstück war für die Ver- gleichung wenigstens nicht unwichtig. Uber mein kritisches Verfahren gedenke ich in Pfeiffer's Germania das Nähere bei- zubringen, nur das eine sei hier im Voraus und im Allgemeinen bemerkt, daß ich aus Gründen die älteste Münchener Hand- schrift, welche Groote nicht kannte, von der Hagen unkritisch benutzte, Maßmann allzu sehr vernachlässigte, wieder mehr in den Vordergrund gestellt habe. Noch ehe ich dazu gelangen konnte, mein Verfahren theoretisch zu entwickeln, erschien eine verdienstvolle, die Tristankritik betreffende Abhandlung von Theodor von Hagen, auf welche ich unter «Berichtigungen und Zusätze» am Schlusse des 2. Bandes noch hinweisen konnte.2) 1) Heinrich's Gedicht wird nun in der zweiten Sammlung «Deutsche Dich- tungen des Mittelalters. Herausgegeben von Karl Bartsch" Aufnahme finden. 2) Kritische Beiträge zu Gottfried's von Strafsburg Tristan (Mühl hausen i. Th. 1868), Göttinger Doctordissertation.
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XLIV EINLEITUNG. Sie liegt jetzt auch in theilweise umgearbeiteter Gestalt an einem zugänglicheren Orte vor. 1) Th. von Hagen versucht eine Classificierung der Tristanhandschriften und gelangt zu dem Ergebnisse, daß zwei Textrecensionen anzunehmen seien, nach welchen die Kritik bestimmt werden müsse. Sowohl gegen mein Verfahren wie gegen v. Hagen's Ausführungen ist eine nicht minder lobenswerthe Schrift von Hermann Paul gerichtet, in welcher eine wesentlich andere Norm für die Textkritik aufgestellt wird, indem drei verschiedene Handschriftenklassen nachgewiesen werden. 2) In beiden Schriften sind neben den kritischen Erwägungen auch Beiträge zur Stellenerklärung ge- geben, namentlich in der Schrift von Paul. Nach beiden Rich- tungen, nach der kritischen wie nach der hermeneutischen hin, werden mir diese zwei Arbeiten willkommenen Anlaßs zur Dis- cussion bieten. Wenn auch nach der Anlage dieser Ausgaben kritische Fragen unberücksichtigt bleiben müssen, so boten sich doch bisweilen Fälle dar, wo auch hier zu Gunsten der Erklärung die handschriftlichen Uberlieferungen heranzuziehen waren. In der außsern Einrichtung schlieft sich meine Ausgabe an die vorhergehenden in dieser Sammlung an. 3) In manchen Einzelheiten bin ich meinen eigenen Weg gegangen. Ich habe genau zwischen den beiden Mitteln, den Vocal schwächer zu machen oder zu tilgen, zwischen Punkt und Apostroph unter- schieden. Den Punkt wende ich an bei Synkope, wenn der Vocal im ersten Theile einer Senkung steht, den Apostroph bei Apokope, wenn der Vocal unmittelbar einer Hebung vor- ausgeht. Ausnahmen von dieser Regel kommen allerdings vor. An die gekürzte Negation oder vor dieselbe ist kein Apostroph gesetzt worden, also ern nicht er'n. Nach meinem Systeme ist er'n = er in (acc. von er). Nur wenn ein Missverständ- 1) In Bartsch's Germ. Studien I, (1872), 31 fg.: Die Handschriften des Tristan und ihre Bedeutung für die Kritik. 2) Zur Kritik und Erklärung von Gottfried's von Straßburg Tristan (Wien 1872), Leipziger Habilitationsschrift [Sonderabdruck aus der Ger- mania, 17. Jahrgang]. — Diese Schrift kam mir leider erst während des Druckes dieser Einleitung zu. 3) In der Verszählung stimmt meine Ausgabe mit der von der Hagen's. Da vielfach nach Maſsmann citiert wird, der sich nach der zufälligen Spalten- und Verszahl richtet, so ist hierauf Rücksicht genommen und die Spaltenzahl der Maßsmann'schen Ausgabe links in Klammern gesetzt wor- den. Die Verse sind danach leicht zu finden. Maſsmann hat auf jeder Spalte 40 Zeilen, auf der ersten und zweiten Spalte je 20 Zeilen, auf den letzten Spalten (Spalte 589 und 590) je 37 Zeilen.
XLIV EINLEITUNG. Sie liegt jetzt auch in theilweise umgearbeiteter Gestalt an einem zugänglicheren Orte vor. 1) Th. von Hagen versucht eine Classificierung der Tristanhandschriften und gelangt zu dem Ergebnisse, daß zwei Textrecensionen anzunehmen seien, nach welchen die Kritik bestimmt werden müsse. Sowohl gegen mein Verfahren wie gegen v. Hagen's Ausführungen ist eine nicht minder lobenswerthe Schrift von Hermann Paul gerichtet, in welcher eine wesentlich andere Norm für die Textkritik aufgestellt wird, indem drei verschiedene Handschriftenklassen nachgewiesen werden. 2) In beiden Schriften sind neben den kritischen Erwägungen auch Beiträge zur Stellenerklärung ge- geben, namentlich in der Schrift von Paul. Nach beiden Rich- tungen, nach der kritischen wie nach der hermeneutischen hin, werden mir diese zwei Arbeiten willkommenen Anlaßs zur Dis- cussion bieten. Wenn auch nach der Anlage dieser Ausgaben kritische Fragen unberücksichtigt bleiben müssen, so boten sich doch bisweilen Fälle dar, wo auch hier zu Gunsten der Erklärung die handschriftlichen Uberlieferungen heranzuziehen waren. In der außsern Einrichtung schlieft sich meine Ausgabe an die vorhergehenden in dieser Sammlung an. 3) In manchen Einzelheiten bin ich meinen eigenen Weg gegangen. Ich habe genau zwischen den beiden Mitteln, den Vocal schwächer zu machen oder zu tilgen, zwischen Punkt und Apostroph unter- schieden. Den Punkt wende ich an bei Synkope, wenn der Vocal im ersten Theile einer Senkung steht, den Apostroph bei Apokope, wenn der Vocal unmittelbar einer Hebung vor- ausgeht. Ausnahmen von dieser Regel kommen allerdings vor. An die gekürzte Negation oder vor dieselbe ist kein Apostroph gesetzt worden, also ern nicht er'n. Nach meinem Systeme ist er'n = er in (acc. von er). Nur wenn ein Missverständ- 1) In Bartsch's Germ. Studien I, (1872), 31 fg.: Die Handschriften des Tristan und ihre Bedeutung für die Kritik. 2) Zur Kritik und Erklärung von Gottfried's von Straßburg Tristan (Wien 1872), Leipziger Habilitationsschrift [Sonderabdruck aus der Ger- mania, 17. Jahrgang]. — Diese Schrift kam mir leider erst während des Druckes dieser Einleitung zu. 3) In der Verszählung stimmt meine Ausgabe mit der von der Hagen's. Da vielfach nach Maſsmann citiert wird, der sich nach der zufälligen Spalten- und Verszahl richtet, so ist hierauf Rücksicht genommen und die Spaltenzahl der Maßsmann'schen Ausgabe links in Klammern gesetzt wor- den. Die Verse sind danach leicht zu finden. Maſsmann hat auf jeder Spalte 40 Zeilen, auf der ersten und zweiten Spalte je 20 Zeilen, auf den letzten Spalten (Spalte 589 und 590) je 37 Zeilen.
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EINLEITUNG. XLV niss eintreten könnte, ist der Apostroph gesetzt worden, z. B. sin —sine, weil sin auch =nhd. Sinn ist. Der Punkt ist ein treffliches Zeichen, die handschriftliche Uberlieferung zu wahren und doch eine Hülfe für das Lesen zu bieten, sodaſs häßliche Kürzungen wie wârn, undr (die allerdings geboten sind, wenn sie bei ungewandten Dichtern unmittelbar vor einer Hebung stehen) vermieden werden können. In gleicher Weise der Accent, wenn er den zweisilbigen Auf- takt bezeichnet. Kürzungen wie iur anstatt iuwer, umb' (vor Consonant) statt umbe sind nicht nothig, zumal bei einem Dichter, der den zweisilbigen Auftakt so sehr bevorzugt. Der Gravis wurde gesetzt bei der sogenannten schweben- den Betonung. Man hat gegen diese schwebende Betonung mancherlei eingewendet, sie ist aber durch die Lyrik erwiesen. Wenn z. B. geschrieben steht hêrrè sprach er (5119), allè mil einem namen (6068), so ist nicht damit die Anweisung ge- geben, nun zu lesen hêrré, âllé, sondern es hat die Stamm- silbe ihre Betonung und die Endsilbe gleichfalls, weil es der Rhythmus verlangt. Ein guter Declamator wird auch niemals den öfters citierten Vers aus Schiller's Tell anheben: Stérběn 1st nichts, sondern er wird auch die jambische Betonung durchschimmern lassen: Stérbén ist nichts. Die Anwendung des Accents zur Bezeichnung des jambi- schen und trochäischen Rhythmus, des zweisilbigen Auftaktes sowie der Hebungen bei fehlender oder zweisilbiger Senkung geschah zunächst, um das Lesen zu erleichtern. Zugleich sollten dadurch äußerlich diejenigen Verse Gottfried's hervor- gehoben werden, die nicht in unserm Sinne regelmäßig sind, in denen sich sein Festhalten an dem überkommenen und zeit genössischen Gebrauche offenbart. Im ersten Bande wurde deshalb die Accentbezeichnung durchgeführt, im zweiten Bande dagegen kam sie nur im Interesse der Lektüre und nur spar- sam zur Anwendung, da vorauszusetzen ist, daß bis dahin der Leser sich hinlänglich geübt haben wird. Drei Worte, die anceps sind, wurden je nach Hebung und Senkung als Länge oder als Kürze genommen, nämlich sî und si (nhd. sie, nicht sei), nû und nu (nhd. nun, Nu [im Nu], nicht nau), dû und du (nhd. du, nicht dau). Ein Zugeständniss an den Gebrauch der Herausgeber ist es, wenn ich um der Metrik willen kein für dehein in beiden Bedeutungen für: ein und für: kein angesetzt habe. Der Anfänger möge sich durch dieses kein nicht irre machen lassen.
EINLEITUNG. XLV niss eintreten könnte, ist der Apostroph gesetzt worden, z. B. sin —sine, weil sin auch =nhd. Sinn ist. Der Punkt ist ein treffliches Zeichen, die handschriftliche Uberlieferung zu wahren und doch eine Hülfe für das Lesen zu bieten, sodaſs häßliche Kürzungen wie wârn, undr (die allerdings geboten sind, wenn sie bei ungewandten Dichtern unmittelbar vor einer Hebung stehen) vermieden werden können. In gleicher Weise der Accent, wenn er den zweisilbigen Auf- takt bezeichnet. Kürzungen wie iur anstatt iuwer, umb' (vor Consonant) statt umbe sind nicht nothig, zumal bei einem Dichter, der den zweisilbigen Auftakt so sehr bevorzugt. Der Gravis wurde gesetzt bei der sogenannten schweben- den Betonung. Man hat gegen diese schwebende Betonung mancherlei eingewendet, sie ist aber durch die Lyrik erwiesen. Wenn z. B. geschrieben steht hêrrè sprach er (5119), allè mil einem namen (6068), so ist nicht damit die Anweisung ge- geben, nun zu lesen hêrré, âllé, sondern es hat die Stamm- silbe ihre Betonung und die Endsilbe gleichfalls, weil es der Rhythmus verlangt. Ein guter Declamator wird auch niemals den öfters citierten Vers aus Schiller's Tell anheben: Stérběn 1st nichts, sondern er wird auch die jambische Betonung durchschimmern lassen: Stérbén ist nichts. Die Anwendung des Accents zur Bezeichnung des jambi- schen und trochäischen Rhythmus, des zweisilbigen Auftaktes sowie der Hebungen bei fehlender oder zweisilbiger Senkung geschah zunächst, um das Lesen zu erleichtern. Zugleich sollten dadurch äußerlich diejenigen Verse Gottfried's hervor- gehoben werden, die nicht in unserm Sinne regelmäßig sind, in denen sich sein Festhalten an dem überkommenen und zeit genössischen Gebrauche offenbart. Im ersten Bande wurde deshalb die Accentbezeichnung durchgeführt, im zweiten Bande dagegen kam sie nur im Interesse der Lektüre und nur spar- sam zur Anwendung, da vorauszusetzen ist, daß bis dahin der Leser sich hinlänglich geübt haben wird. Drei Worte, die anceps sind, wurden je nach Hebung und Senkung als Länge oder als Kürze genommen, nämlich sî und si (nhd. sie, nicht sei), nû und nu (nhd. nun, Nu [im Nu], nicht nau), dû und du (nhd. du, nicht dau). Ein Zugeständniss an den Gebrauch der Herausgeber ist es, wenn ich um der Metrik willen kein für dehein in beiden Bedeutungen für: ein und für: kein angesetzt habe. Der Anfänger möge sich durch dieses kein nicht irre machen lassen.
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XLVI EINLEITUNG. War es beim Beginn der Sammlung nothig, auch Formen- erklärung unter dem Texte zu geben, so war nunmehr im Allgemeinen davon abzusehen. Pfeiffer hat schon in seinem Walther solch rein materielle Dinge in das Wortverzeichniss verwiesen, wie z. B. ôre, daz, Ohr; sunne, diu, Sonne, ohne jegliche Stellenangabe. Dies habe ich weiter ausgedehnt und die Worte und Formen, welche nur in ihrer äufsern Erschei- nung von der jetzigen Sprachgestalt abweichen, hinten in das Verzeichniss gebracht. Auch auf die Unterschiede im Ge- schlechte ist dort Rücksicht genommen. Eine vollständige alphabetisch geordnete Grammatik wird man aber natürlich nicht erwarten dürfen. Im Allgemeinen war mein Grundsatz bei der Erklärung, das nicht zu berücksichtigen, was auch ein moderner Dichter sagen könnte. Pfeiffer’s Wunsch war es auch, daßs seine Mit- arbeiter mit dem Fortschreiten der Sammlung in den Erklä- rungen enthaltsamer sein sollten. Ich meine, man mußs den Lesern auch etwas zutrauen. Nach der Einrichtung dieser Ausgaben, die eines Glossars entbehren, ist die Erklärung zunächst auf die erste Stelle hingewiesen, in welcher das betreffende Wort mit seiner vom Neuhochdeutschen abweichenden Bedeutung vorkommt. Damit ist ein Ubelstand verknüpft. Die erste Stelle ist näm- lich nicht immer auch die geeignetste für die Erklärung Deshalb schien es mir nöthig, öfters Verweisungen auf Parallel- stellen zu geben. Ein Wort wird durch ein anderes beige- setztes Wort, durch ein Synonym, durch seine Stelle im Reime u. dgl. öfters schärfer gezeichnet als da, wo es zufällig zuerst begegnet. Wer zunächst um des literarischen und ästhetischen Interesses willen den Tristan lesen und genießsen will, der möge sich um meine Verweisungen nicht weiter kümmern. Ich hoffe aber denen, welche tiefer eindringen wollen, damit einen Dienst geleistet zu haben, auch werden die Fachgenossen in dieser Zugabe die zusammenhangende Arbeit nicht verkennen. Wie von einer Stelle auf eine spätere verwiesen wird, so musste auch öfters an vorhergehende erinnert werden. 1st auf solche Weise öfters das Gedicht gewissermaßsen aus sich selbst heraus erklärt worden, so habe ich von Parallel- stellen aus andern Werken abgesehen und nur ganz ver- einzelt bei schwierigen oder charakteristischen Worten und Stellen solche beigefügt. Silberhell ist Gottfried's Sprache. Kein epischer Kunst-
XLVI EINLEITUNG. War es beim Beginn der Sammlung nothig, auch Formen- erklärung unter dem Texte zu geben, so war nunmehr im Allgemeinen davon abzusehen. Pfeiffer hat schon in seinem Walther solch rein materielle Dinge in das Wortverzeichniss verwiesen, wie z. B. ôre, daz, Ohr; sunne, diu, Sonne, ohne jegliche Stellenangabe. Dies habe ich weiter ausgedehnt und die Worte und Formen, welche nur in ihrer äufsern Erschei- nung von der jetzigen Sprachgestalt abweichen, hinten in das Verzeichniss gebracht. Auch auf die Unterschiede im Ge- schlechte ist dort Rücksicht genommen. Eine vollständige alphabetisch geordnete Grammatik wird man aber natürlich nicht erwarten dürfen. Im Allgemeinen war mein Grundsatz bei der Erklärung, das nicht zu berücksichtigen, was auch ein moderner Dichter sagen könnte. Pfeiffer’s Wunsch war es auch, daßs seine Mit- arbeiter mit dem Fortschreiten der Sammlung in den Erklä- rungen enthaltsamer sein sollten. Ich meine, man mußs den Lesern auch etwas zutrauen. Nach der Einrichtung dieser Ausgaben, die eines Glossars entbehren, ist die Erklärung zunächst auf die erste Stelle hingewiesen, in welcher das betreffende Wort mit seiner vom Neuhochdeutschen abweichenden Bedeutung vorkommt. Damit ist ein Ubelstand verknüpft. Die erste Stelle ist näm- lich nicht immer auch die geeignetste für die Erklärung Deshalb schien es mir nöthig, öfters Verweisungen auf Parallel- stellen zu geben. Ein Wort wird durch ein anderes beige- setztes Wort, durch ein Synonym, durch seine Stelle im Reime u. dgl. öfters schärfer gezeichnet als da, wo es zufällig zuerst begegnet. Wer zunächst um des literarischen und ästhetischen Interesses willen den Tristan lesen und genießsen will, der möge sich um meine Verweisungen nicht weiter kümmern. Ich hoffe aber denen, welche tiefer eindringen wollen, damit einen Dienst geleistet zu haben, auch werden die Fachgenossen in dieser Zugabe die zusammenhangende Arbeit nicht verkennen. Wie von einer Stelle auf eine spätere verwiesen wird, so musste auch öfters an vorhergehende erinnert werden. 1st auf solche Weise öfters das Gedicht gewissermaßsen aus sich selbst heraus erklärt worden, so habe ich von Parallel- stellen aus andern Werken abgesehen und nur ganz ver- einzelt bei schwierigen oder charakteristischen Worten und Stellen solche beigefügt. Silberhell ist Gottfried's Sprache. Kein epischer Kunst-
Strana XLVII
EINLEITUNG. XLVII dichter aus der classischen Zeit unseres Mittelalters erschliefst sich so leicht wie er dem Verständnisse des heutigen Lesers oder scheint sich zu erschließsen. Daher auch ist die An- sicht weit verbreitet, und auch ich habe sie einst getheilt, als sei Gottfried überhaupt ein leichter Schriftsteller, sein Tristan ein durchaus klares Gedicht. Das aber ist keineswegs der Fall. Seine Betrachtungen namentlich, seine lyrischen Er- güsse sind reich an Schwierigkeiten, auch in die Erzählung trägt seine gewählte Sprache bisweilen tiefere Beziehungen, die nicht auf der Oberfläche liegen. Nicht immer, dess bin ich mir wohl bewusst, ist es mir gelungen, den Schleier zu heben. Die zu Gebote stehenden Hülfsmittel habe ich nach Mög- lichkeit benutzt. Von den älteren Herausgebern bot nament- lich Groote öfters schätzenswerthe Fingerzeige. Bin ich vor allen dem mittelhochdeutschen Wörterbuche, in welchem auf Gottfried's Tristan in ausgedehnter Weise Rücksicht genom- men ist, dankbar, so fehlte es doch auch nicht an Gelegen- heit, seinen Angaben eine andere Auffassung entgegenzuhalten. Auch die Ubersetzer, Kurtz und Simrock, sind mitunter heran- gezogen worden, theils um ihnen irgend einen schönen dichte- rischen Ausdruck zu entlehnen, theils um ihnen zu wider- sprechen. Auf die neueren Bemühungen, auf die Arbeiten Heinzel's und v. Hagen’s habe ich für diese zweite Auflage nicht minder Rücksicht genommen; die Erklärungen Paul's, welche unabhängig sind von der Textherstellung, sollen für den zweiten Band benutzt werden, soweit ich ihnen beipflichten kann. Leider entbehrte ich bei meiner Arbeit nach der kritischen wie nach der hermeneutischen Seite hin den Rath und den Beistand des Mannes, welcher diese Sammlung begründet und eröffnet und in ihrem Fortschreiten mit seiner Fürsorge be- gleitet hat. Nur einen geringen Theil der Textbearbeitung konnte er noch prüfen und mit seinen Bemerkungen versehen. Dem begonnenen Drucke vermochte sein ermüdetes Auge nicht mehr zu folgen. Nun ist er geschieden, und sein Blick fällt nicht mehr auf dén Dichter in seiner Sammlung, dem er, nächst Walther von der Vogelweide, vor allen zugethan war, den er wie kein anderer kannte und verstand, für dessen Ehre er ein so gewichtiges Wort gesprochen hatte. Von Herzen sei auch hier meinem Freunde Fedor Bech Dank gesagt für die aufopfernde Hülfe, welche er auch dieser meiner letzten Arbeit angedeihen ließ, nachdem er schon
EINLEITUNG. XLVII dichter aus der classischen Zeit unseres Mittelalters erschliefst sich so leicht wie er dem Verständnisse des heutigen Lesers oder scheint sich zu erschließsen. Daher auch ist die An- sicht weit verbreitet, und auch ich habe sie einst getheilt, als sei Gottfried überhaupt ein leichter Schriftsteller, sein Tristan ein durchaus klares Gedicht. Das aber ist keineswegs der Fall. Seine Betrachtungen namentlich, seine lyrischen Er- güsse sind reich an Schwierigkeiten, auch in die Erzählung trägt seine gewählte Sprache bisweilen tiefere Beziehungen, die nicht auf der Oberfläche liegen. Nicht immer, dess bin ich mir wohl bewusst, ist es mir gelungen, den Schleier zu heben. Die zu Gebote stehenden Hülfsmittel habe ich nach Mög- lichkeit benutzt. Von den älteren Herausgebern bot nament- lich Groote öfters schätzenswerthe Fingerzeige. Bin ich vor allen dem mittelhochdeutschen Wörterbuche, in welchem auf Gottfried's Tristan in ausgedehnter Weise Rücksicht genom- men ist, dankbar, so fehlte es doch auch nicht an Gelegen- heit, seinen Angaben eine andere Auffassung entgegenzuhalten. Auch die Ubersetzer, Kurtz und Simrock, sind mitunter heran- gezogen worden, theils um ihnen irgend einen schönen dichte- rischen Ausdruck zu entlehnen, theils um ihnen zu wider- sprechen. Auf die neueren Bemühungen, auf die Arbeiten Heinzel's und v. Hagen’s habe ich für diese zweite Auflage nicht minder Rücksicht genommen; die Erklärungen Paul's, welche unabhängig sind von der Textherstellung, sollen für den zweiten Band benutzt werden, soweit ich ihnen beipflichten kann. Leider entbehrte ich bei meiner Arbeit nach der kritischen wie nach der hermeneutischen Seite hin den Rath und den Beistand des Mannes, welcher diese Sammlung begründet und eröffnet und in ihrem Fortschreiten mit seiner Fürsorge be- gleitet hat. Nur einen geringen Theil der Textbearbeitung konnte er noch prüfen und mit seinen Bemerkungen versehen. Dem begonnenen Drucke vermochte sein ermüdetes Auge nicht mehr zu folgen. Nun ist er geschieden, und sein Blick fällt nicht mehr auf dén Dichter in seiner Sammlung, dem er, nächst Walther von der Vogelweide, vor allen zugethan war, den er wie kein anderer kannte und verstand, für dessen Ehre er ein so gewichtiges Wort gesprochen hatte. Von Herzen sei auch hier meinem Freunde Fedor Bech Dank gesagt für die aufopfernde Hülfe, welche er auch dieser meiner letzten Arbeit angedeihen ließ, nachdem er schon
Strana XLVIII
XLVIII EINLEITUNG. meine vorhergehende, mein Evangelienbuch, mit seinen lexi- kalischen Schätzen ausstattete. Die Fachgenossen werden später noch näher erfahren, wie viel nicht allein der Heraus- geber, sondern überhaupt die Erklärung des Tristan der freundlichen Theilnahme Bech's verdankt. Zum Schlusse sei mir vergönnt, den Wunsch, mit welchem ich die erste Auflage hinausgehen ließ, zu wiederholen, daß meine Bemühungen für dieses goldene Gedicht dazu beitragen möchten, seine Freunde ihm noch näher zu verbinden und neue Bewunderer ihm zu gewinnen. ROSTOCK, im October 1872. REINHOLD BECHSTEIN.
XLVIII EINLEITUNG. meine vorhergehende, mein Evangelienbuch, mit seinen lexi- kalischen Schätzen ausstattete. Die Fachgenossen werden später noch näher erfahren, wie viel nicht allein der Heraus- geber, sondern überhaupt die Erklärung des Tristan der freundlichen Theilnahme Bech's verdankt. Zum Schlusse sei mir vergönnt, den Wunsch, mit welchem ich die erste Auflage hinausgehen ließ, zu wiederholen, daß meine Bemühungen für dieses goldene Gedicht dazu beitragen möchten, seine Freunde ihm noch näher zu verbinden und neue Bewunderer ihm zu gewinnen. ROSTOCK, im October 1872. REINHOLD BECHSTEIN.
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INHALT. Seite Einleitung . . . . . . . I. Eingang. II. Riwalin und Blanscheflur III. Rual li foitenant IV. Die Entführung V. Die Jagd . . VI. Der junge Künstler VII. Wiedersehen. VIII. Tristan's Schwertleite IX. Heimfahrt und Rache X. Morold XI. Tantris XII. Die Brautfahrt XIII. Der Kampf mit dem Drachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a . . 3 16 69 81 102 122 135 158 178 203 245 275 296 GOTTFRIED VON STRASSBURG. I. 2. Aufl.
INHALT. Seite Einleitung . . . . . . . I. Eingang. II. Riwalin und Blanscheflur III. Rual li foitenant IV. Die Entführung V. Die Jagd . . VI. Der junge Künstler VII. Wiedersehen. VIII. Tristan's Schwertleite IX. Heimfahrt und Rache X. Morold XI. Tantris XII. Die Brautfahrt XIII. Der Kampf mit dem Drachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a . . 3 16 69 81 102 122 135 158 178 203 245 275 296 GOTTFRIED VON STRASSBURG. I. 2. Aufl.
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TRISTAN. GOTTFRIED VON STRASSBURG. I. 2. Auf.
TRISTAN. GOTTFRIED VON STRASSBURG. I. 2. Auf.
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I. In der Betrachtung, mit welcher Gottfried seine Erzählung von Tristan eröffnet, berührt er zuerst das Verhältniss des Dichters zur Lesewelt und zur Kritik. Nur im dankbaren Angedenken findet das Verdienst seine Dauer, und Unrecht ist es, das Verdienst nicht wohlwollend zu schätzen. Mehr als die Tadelsucht, die selbst dem begehrten Werke entgegentritt, ziemt Lob und Hingabe. Das abwägende Urtheil ist von Werth, aber nur durch Anerkennung gedeiht die Kunst. Der Vergessenheit fällt anheim, was nicht Anerkennung findet. Absprechende oder beschönigende Beurthei- lung schadet mehr als sie nützt, und gehässige Verkleinerungssucht er- todtet vollends die Gabe des Urtheils. Wohl dem, der in solch schwie- riger Lage zur Bedeutung gelangt ist ! Ich will, fährt der Dichter auf seine Person übergehend fort, bei meiner Lebensreife und Erfahrung nicht müßsig bleiben. Der Welt, aber nur der edeln, nicht der leichtlebigen Welt zu Liebe habe ich mir eine Aufgabe gestellt : ich will mit einer Er- zählung denen, welche der Kummer der Liebe bedrückt, Zerstreuung und Erleichterung gewähren. Zwar heißst es, dass die Vertiefung in einen Lie- besroman den Kummer mehren helfe. Jedoch in diesem Weh liegt so viel Herzensfreude, daf ein edeles Herz nicht darauf verzichten mag. Wer rein und edel liebt, der wünscht sich solche Dichtung. Und die- sen Genufs will ich den Liebenden bieten in meiner Erzählung von Tri� stan und Isolt. Es gibt Erzählungen von Tristan, die nicht die rechten sind, ich aber habe die rechte gefunden, ich folge dem Thomas von Bri- tannie. Dieser Roman soll edele Herzen erfreuen und veredeln und ihnen ein leuchtendes Vorbild sein. Diese Liebenden haben mit den Freuden der Liebe auch der Liebe Leid gekostet, ja selbst um der Liebe willen den Tod erlitten. Darum leben sie fort in unserer Erinnerung. (1) Gedæhte man ir ze guote niht, von den der werlde guot geschiht, sô wære ez allez alse niht, swaz guotes in der werlt geschiht. 1— 4 Auf die stilistischen Eigenthümlichkeiten in den Eingangs- strophen soll zuerst aufmerksam gemacht werden: 1 niht Negation; 3 niht 2 werlt stf., Menschheit; 4 werlt, Erde. — 1 ze guote subst. = nichts. — (von guot stn.), im Guten, in Güte, mit Wohlwollen [vgl. zu Gute thun, halten]; 2 guot stn., Gutes. — 3 alse (= alsô, als) adv. Partikel, wie. — 4 swaz (= so war), wenn etwas, correlativ = nhd. was : was, wie viel auch des Guten. *
I. In der Betrachtung, mit welcher Gottfried seine Erzählung von Tristan eröffnet, berührt er zuerst das Verhältniss des Dichters zur Lesewelt und zur Kritik. Nur im dankbaren Angedenken findet das Verdienst seine Dauer, und Unrecht ist es, das Verdienst nicht wohlwollend zu schätzen. Mehr als die Tadelsucht, die selbst dem begehrten Werke entgegentritt, ziemt Lob und Hingabe. Das abwägende Urtheil ist von Werth, aber nur durch Anerkennung gedeiht die Kunst. Der Vergessenheit fällt anheim, was nicht Anerkennung findet. Absprechende oder beschönigende Beurthei- lung schadet mehr als sie nützt, und gehässige Verkleinerungssucht er- todtet vollends die Gabe des Urtheils. Wohl dem, der in solch schwie- riger Lage zur Bedeutung gelangt ist ! Ich will, fährt der Dichter auf seine Person übergehend fort, bei meiner Lebensreife und Erfahrung nicht müßsig bleiben. Der Welt, aber nur der edeln, nicht der leichtlebigen Welt zu Liebe habe ich mir eine Aufgabe gestellt : ich will mit einer Er- zählung denen, welche der Kummer der Liebe bedrückt, Zerstreuung und Erleichterung gewähren. Zwar heißst es, dass die Vertiefung in einen Lie- besroman den Kummer mehren helfe. Jedoch in diesem Weh liegt so viel Herzensfreude, daf ein edeles Herz nicht darauf verzichten mag. Wer rein und edel liebt, der wünscht sich solche Dichtung. Und die- sen Genufs will ich den Liebenden bieten in meiner Erzählung von Tri� stan und Isolt. Es gibt Erzählungen von Tristan, die nicht die rechten sind, ich aber habe die rechte gefunden, ich folge dem Thomas von Bri- tannie. Dieser Roman soll edele Herzen erfreuen und veredeln und ihnen ein leuchtendes Vorbild sein. Diese Liebenden haben mit den Freuden der Liebe auch der Liebe Leid gekostet, ja selbst um der Liebe willen den Tod erlitten. Darum leben sie fort in unserer Erinnerung. (1) Gedæhte man ir ze guote niht, von den der werlde guot geschiht, sô wære ez allez alse niht, swaz guotes in der werlt geschiht. 1— 4 Auf die stilistischen Eigenthümlichkeiten in den Eingangs- strophen soll zuerst aufmerksam gemacht werden: 1 niht Negation; 3 niht 2 werlt stf., Menschheit; 4 werlt, Erde. — 1 ze guote subst. = nichts. — (von guot stn.), im Guten, in Güte, mit Wohlwollen [vgl. zu Gute thun, halten]; 2 guot stn., Gutes. — 3 alse (= alsô, als) adv. Partikel, wie. — 4 swaz (= so war), wenn etwas, correlativ = nhd. was : was, wie viel auch des Guten. *
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4 I. EINGANG. Der guote man, swaz der in guot und niwan der werlt ze guote tuot, swer daz iht anders wan in guot vernemen wil, der missetuot. 5 Ich hoere es velschen harte vil, daz man doch gerne haben wil : dâ ist des lützelen ze vil, dâ wil man, des man niht enwil. Ez zimet dem man ze lobene wol, des er iedoch bedürfen sol, und lâze ez ime gevallen wol, die wîle ez ime gevallen sol. 10 15 5— 8: 5 in guot (= in guote), in Güte, subjectiv: in guter Absicht: 7 in guot, objectiv und elliptisch: in Güte gethan, für etwas Gutes. — 6 tuon transitiv, schaffen, wirken; 8 tuon in Zusammensetzung misse- tuon intrans., übel thun, unrecht handeln. Die Bildung misse- liebt Gott- fried. — 5 der guote man, der wackere Mensch, nicht, wie unser: guter Mann, auf die Herzensgüte zu beziehen. — Solche Inversionen finden sich im Tristan sehr häufig, vgl. z. B. 33. 39. 103. 111. 1383. 3147. 3211. — 6 niwan (niwan einsilbig) adv. (daneben niuwan, niwán), nur. — ze guote = unserm: zu Gute, zum Besten. — 7 swer (s. zu V. 4) correl., wer. — — iht anders (adv. gen.), in irgendeiner Weise sonst. — wan adv., ausser. als. — 8 vernemen stv., auf-, hinnehmen, anerkennen. 9 — 12: 10 wil in Verbindung mit haben; 12 wil selbständig. — 9 es gen. neutr. von ez, nhd. ersetzt durch den Gen. von daz: dessen, abhängig von vil. — velschen swv., für valsch, schlecht erklären, ganz wie unser: schlecht machen, herb und ungerecht kritisieren. — harte adv. zur Verstärkung von Adject. und Adverb., gar, sehr. — vil, im Mhd. nicht adjectivisch, sondern immer substantivischer Singular. — 10 dâ de- monstr. pron. adv., im Mhd. immer örtlich (vgl. 303). dâ— dâ, hier—da. — 11 lützel adj., hier subst. neutr., klein, wenig. — 12 des gen. abh. von niht. — en- proklitische Negationspartikel. Zwei Negationen (niht und en-) verstärken einander, heben sich nicht auf. — Der Wortlaut der 3. Strophe ist klar, aber die beiden letzten Zeilen lassen verschiedene Deutung zu. Auch das ersehnte Werk verschont die Kritik nicht. Hier ist des Unbe- deutenden zu viel, urtheilen die einen, d. h. da hat der Dichter zu viel Mühe auf einen interesselosen Gegenstand gewandt ; oder heifst es : auch das kurze Gedicht ist ihnen zu lang ? — 12 auf der andern Seite will man (der eine), was man (der andere) nicht will; oder soll gesagt werden: heute ist der Geschmack so, morgen anders? oder endlich : sind hier ver- steckt die sittlich bedenklichen Stoffe gemeint? man begehrt sie im Grunde des Herzens, gibt sich aber den Anschein, sie verwerflich zu finden. Kämen die Worte aus eines heutigen Dichters Munde, so würde man ebenfalls zu rathen haben. 13 — 16: 13 wol adv., gar wohl, sine dubio; 15 wol adv., direct zu gevallen gehörig, bene. — 14 sol = mußs; 16 sol auxiliar=wird, mag. — 15 ime, ihm reflexiv = sich; 16 ime rein demonstrativ = ihm. — 15 gevallen stv.=nhd.; 16 gevallen, zufallen, zu Theil werden. — 13 zimet 3. pers. præes. von zemen stv. = ziemen swv., geziemen (obgleich diese Worte eine mehr ethische Bedeutung gewonnen haben), anstehen, schön stehen; vgl. 711. — 14 iedoch adv., nicht: jedoch, sondern: doch, ja doch, doch ein- mal. — 15 lâze conj., elliptisch = lâze er, möge er lassen. — 16 die wile adv. acc., die Zeit, dieweil, so lange. Einem literarischen Bedürfnisse freund lich entgegenzukommen, ist anständig; man soll sich ein neues Werk so lange gefallen lassen, als es angeht; d. h. so lange, als es nicht durch ein neueres abgelöst und überboten wird.
4 I. EINGANG. Der guote man, swaz der in guot und niwan der werlt ze guote tuot, swer daz iht anders wan in guot vernemen wil, der missetuot. 5 Ich hoere es velschen harte vil, daz man doch gerne haben wil : dâ ist des lützelen ze vil, dâ wil man, des man niht enwil. Ez zimet dem man ze lobene wol, des er iedoch bedürfen sol, und lâze ez ime gevallen wol, die wîle ez ime gevallen sol. 10 15 5— 8: 5 in guot (= in guote), in Güte, subjectiv: in guter Absicht: 7 in guot, objectiv und elliptisch: in Güte gethan, für etwas Gutes. — 6 tuon transitiv, schaffen, wirken; 8 tuon in Zusammensetzung misse- tuon intrans., übel thun, unrecht handeln. Die Bildung misse- liebt Gott- fried. — 5 der guote man, der wackere Mensch, nicht, wie unser: guter Mann, auf die Herzensgüte zu beziehen. — Solche Inversionen finden sich im Tristan sehr häufig, vgl. z. B. 33. 39. 103. 111. 1383. 3147. 3211. — 6 niwan (niwan einsilbig) adv. (daneben niuwan, niwán), nur. — ze guote = unserm: zu Gute, zum Besten. — 7 swer (s. zu V. 4) correl., wer. — — iht anders (adv. gen.), in irgendeiner Weise sonst. — wan adv., ausser. als. — 8 vernemen stv., auf-, hinnehmen, anerkennen. 9 — 12: 10 wil in Verbindung mit haben; 12 wil selbständig. — 9 es gen. neutr. von ez, nhd. ersetzt durch den Gen. von daz: dessen, abhängig von vil. — velschen swv., für valsch, schlecht erklären, ganz wie unser: schlecht machen, herb und ungerecht kritisieren. — harte adv. zur Verstärkung von Adject. und Adverb., gar, sehr. — vil, im Mhd. nicht adjectivisch, sondern immer substantivischer Singular. — 10 dâ de- monstr. pron. adv., im Mhd. immer örtlich (vgl. 303). dâ— dâ, hier—da. — 11 lützel adj., hier subst. neutr., klein, wenig. — 12 des gen. abh. von niht. — en- proklitische Negationspartikel. Zwei Negationen (niht und en-) verstärken einander, heben sich nicht auf. — Der Wortlaut der 3. Strophe ist klar, aber die beiden letzten Zeilen lassen verschiedene Deutung zu. Auch das ersehnte Werk verschont die Kritik nicht. Hier ist des Unbe- deutenden zu viel, urtheilen die einen, d. h. da hat der Dichter zu viel Mühe auf einen interesselosen Gegenstand gewandt ; oder heifst es : auch das kurze Gedicht ist ihnen zu lang ? — 12 auf der andern Seite will man (der eine), was man (der andere) nicht will; oder soll gesagt werden: heute ist der Geschmack so, morgen anders? oder endlich : sind hier ver- steckt die sittlich bedenklichen Stoffe gemeint? man begehrt sie im Grunde des Herzens, gibt sich aber den Anschein, sie verwerflich zu finden. Kämen die Worte aus eines heutigen Dichters Munde, so würde man ebenfalls zu rathen haben. 13 — 16: 13 wol adv., gar wohl, sine dubio; 15 wol adv., direct zu gevallen gehörig, bene. — 14 sol = mußs; 16 sol auxiliar=wird, mag. — 15 ime, ihm reflexiv = sich; 16 ime rein demonstrativ = ihm. — 15 gevallen stv.=nhd.; 16 gevallen, zufallen, zu Theil werden. — 13 zimet 3. pers. præes. von zemen stv. = ziemen swv., geziemen (obgleich diese Worte eine mehr ethische Bedeutung gewonnen haben), anstehen, schön stehen; vgl. 711. — 14 iedoch adv., nicht: jedoch, sondern: doch, ja doch, doch ein- mal. — 15 lâze conj., elliptisch = lâze er, möge er lassen. — 16 die wile adv. acc., die Zeit, dieweil, so lange. Einem literarischen Bedürfnisse freund lich entgegenzukommen, ist anständig; man soll sich ein neues Werk so lange gefallen lassen, als es angeht; d. h. so lange, als es nicht durch ein neueres abgelöst und überboten wird.
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I. EINGANG. 5 Tiur’ unde wert ist mir der man, der guot und übel betrahten kan, der mich und iegelîchen man nâch sînem werde erkennen kan. 20 (2) Er' unde lop diu schephent list, dâ list ze lobe geschaffen ist: swâ er mit lobe geblüemet ist, dâ blüejet aller slahte list. Reht' als daz dinc ze unruoche gât, daz lobes noch êre niene hât, als liebet daz, daz êre hât und sînes lobes niht irre gât. 25 Ir ist sô vil, die des nu pflegent, daz sî daz guote z' übele wegent, daz übel wider ze guote wegent: die pflegent niht, si widerpflegent. 30 17—20: 17 man subst. nom.; 19 man halb pronominal und acc. iege- lîchen man, jeglichen Mann, jeden Mann, jedermann. — 17 wert adj.; 20 werde von wert stn. (nhd. stm.) — 18 betrahten swv., mit trahte (Be- dacht) erwagen. 21—24: 21 list acc.; 24 list nom. — 21 diu pl. neutr. bezogen auf die Subst. verschiedener Geschlechter ; vgl. 34. — schephen swv., schaffen, schöpferisch hervorbringen, befördern. — list stm., nur selten im Sinne von unserm: List stf. (vgl. 2032 u. zu 13742), Klugheit, Weisheit, insbesondere: Kunst, Kunstbetrieb (die Zusammensetzungen mit list brauchen nicht alle ange- führt zu werden). — 22 dâ hier relativ: wo, wenn, sobald, vorausgesetzt daſs. — list ist hier wohl innerlich zu fassen: Kunstbegabung. — ze lobe, auf lobenswerthe Weise. Wenn wirkliches Talent von der Natur beschie- den ist, dann regt die Anerkennung zu dichterischer Production an. — 23 swâ (= sô wâ) correl., wenn wo =nhd. wo. — er (nicht êr’, êre) d. h. list. — 24 slaht, auch slahte stf., Art; aller slahte (gen. sing.) jede Art; auf aller liegt ein Nachdruck. Der Dichter will die Einschränkung in V. 22 auf ein weites Gebiet ausdehnen. Wenn das Talent mit Lob geblümt, wie mit Blumen geschmückt wird, dann ist eine allgemeine Kunstblüte möglich. 25—28: 25 als hier relativ; reht' als, ganz in derselben Weise wie. — dinc stn. öfters durch das Synonym: Sache zu übertragen. — unruoch stm., Vernachlässigung (wie 4002), dann Gleichgültigkeit; ze unruoche gân, zur Bedeutungslosigkeit gelangen, vergessen werden. — 26 niene doppelte Negation (ob aus niht und ne oder aus nie und ne noch fraglich), ent- spricht ziemlich unserm nicht localen: nirgends. — 27 als = alsô, ganz so, ebenso. — lieben swv. intrans. (ahd. liobém), belieben, behagen, gefallen; vgl. das andere lieben in V. 174. — irre (hier wohl adverbial) gân eines dinges, eines Dinges verlustig gehen, es (wie durch irre gehen) verfehlen verlieren. 29—32: 29 pflegen trans.; 32 pflegen in Zusammensetzung und in- trans. — 29 ir ist vil s. zu V. 9, nhd.: ihrer sind viel oder viele. — nu adv., nun, jetzt, in unsern Tagen. — pftegen stv. mit gen., etwas betrei- ben, darauf aus sein. — 30. 31 wegen stv., abwägen. Gemeint sind die ab- sprechenden und unterschätzenden, auf der andern Seite die allzu milden und überschätzenden Beurtheiler. — 32 pfegen intrans., hier in etwas spe- ciellerer Bedeutung als in V. 29: pflegen, Fürsorge haben. — widerpflegen, das Gegentheil von pflegen, entgegenwirken. Solche ungerechte und un- zuverlässige Beurtheiler meinen es nicht wohl mit der Kunst, sie verderben sie. "Der treibt's nicht wohl, der hintertreibt.» Hermann Kurtz.
I. EINGANG. 5 Tiur’ unde wert ist mir der man, der guot und übel betrahten kan, der mich und iegelîchen man nâch sînem werde erkennen kan. 20 (2) Er' unde lop diu schephent list, dâ list ze lobe geschaffen ist: swâ er mit lobe geblüemet ist, dâ blüejet aller slahte list. Reht' als daz dinc ze unruoche gât, daz lobes noch êre niene hât, als liebet daz, daz êre hât und sînes lobes niht irre gât. 25 Ir ist sô vil, die des nu pflegent, daz sî daz guote z' übele wegent, daz übel wider ze guote wegent: die pflegent niht, si widerpflegent. 30 17—20: 17 man subst. nom.; 19 man halb pronominal und acc. iege- lîchen man, jeglichen Mann, jeden Mann, jedermann. — 17 wert adj.; 20 werde von wert stn. (nhd. stm.) — 18 betrahten swv., mit trahte (Be- dacht) erwagen. 21—24: 21 list acc.; 24 list nom. — 21 diu pl. neutr. bezogen auf die Subst. verschiedener Geschlechter ; vgl. 34. — schephen swv., schaffen, schöpferisch hervorbringen, befördern. — list stm., nur selten im Sinne von unserm: List stf. (vgl. 2032 u. zu 13742), Klugheit, Weisheit, insbesondere: Kunst, Kunstbetrieb (die Zusammensetzungen mit list brauchen nicht alle ange- führt zu werden). — 22 dâ hier relativ: wo, wenn, sobald, vorausgesetzt daſs. — list ist hier wohl innerlich zu fassen: Kunstbegabung. — ze lobe, auf lobenswerthe Weise. Wenn wirkliches Talent von der Natur beschie- den ist, dann regt die Anerkennung zu dichterischer Production an. — 23 swâ (= sô wâ) correl., wenn wo =nhd. wo. — er (nicht êr’, êre) d. h. list. — 24 slaht, auch slahte stf., Art; aller slahte (gen. sing.) jede Art; auf aller liegt ein Nachdruck. Der Dichter will die Einschränkung in V. 22 auf ein weites Gebiet ausdehnen. Wenn das Talent mit Lob geblümt, wie mit Blumen geschmückt wird, dann ist eine allgemeine Kunstblüte möglich. 25—28: 25 als hier relativ; reht' als, ganz in derselben Weise wie. — dinc stn. öfters durch das Synonym: Sache zu übertragen. — unruoch stm., Vernachlässigung (wie 4002), dann Gleichgültigkeit; ze unruoche gân, zur Bedeutungslosigkeit gelangen, vergessen werden. — 26 niene doppelte Negation (ob aus niht und ne oder aus nie und ne noch fraglich), ent- spricht ziemlich unserm nicht localen: nirgends. — 27 als = alsô, ganz so, ebenso. — lieben swv. intrans. (ahd. liobém), belieben, behagen, gefallen; vgl. das andere lieben in V. 174. — irre (hier wohl adverbial) gân eines dinges, eines Dinges verlustig gehen, es (wie durch irre gehen) verfehlen verlieren. 29—32: 29 pflegen trans.; 32 pflegen in Zusammensetzung und in- trans. — 29 ir ist vil s. zu V. 9, nhd.: ihrer sind viel oder viele. — nu adv., nun, jetzt, in unsern Tagen. — pftegen stv. mit gen., etwas betrei- ben, darauf aus sein. — 30. 31 wegen stv., abwägen. Gemeint sind die ab- sprechenden und unterschätzenden, auf der andern Seite die allzu milden und überschätzenden Beurtheiler. — 32 pfegen intrans., hier in etwas spe- ciellerer Bedeutung als in V. 29: pflegen, Fürsorge haben. — widerpflegen, das Gegentheil von pflegen, entgegenwirken. Solche ungerechte und un- zuverlässige Beurtheiler meinen es nicht wohl mit der Kunst, sie verderben sie. "Der treibt's nicht wohl, der hintertreibt.» Hermann Kurtz.
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6 I. EINGANG. Chunst unde nâhe sehender sin, swie wol diu schînen under in, geherbérget danne nît zuo z'in, er leschet kúnst únde sin. Hei, tugent, wie smal sint dine stege, wie kumberlîch sint dine wege! die dîne stege, die dîne wege, wol ime, der si wege und stege 35 40 (3) Trib' ich die zit vergebene hin. sô zîtec ich ze lebene bin, sone váre ich in der werlt sus hin niht sô gewerldet, alse ich bin. 33—36: 33 sin nom.; 36 sin acc. — 34 in dat. pl. reflexiv: sich; 35 in demonstrativ. — 33 chunst =kunst stf., Können und Wissen, ent- spricht hier unserm: Kunst im Sinne von: Kunstübung. — nâhe adv., in der Nähe, genau. nâhe sehender sin, genau zusehender, aufmerksamer Sinn, strenge Kritik; vgl. nâhe merkende spehe 6510. — 34 swie (= sé wie) adv. correl., wie auch. — schînen conj. præs. von schînen stv., scheinen, sich zeigen. — under in, untereinander. Kunst und Kritik vertragen sich wohl miteinander. — 35 herbergen swv., Wohnung nehmen, sich gesellen ge- ist hier wie so oft in Gottfried's Sprache Verstärkung des einfachen Zeitworts, hier mit der bestimmten Function von: mit (vgl. cum, con-), zusammen, doch kann auch ge- die Function des Perfects oder besser des Aorists haben: hat sich gesellt; s. zu 145. — danne adv., dann, alsdann aber dann; im Reime (:manne) 11618. — nît stm., Verkleinerungssucht, kritische Schelsucht. — zuo 2’ (in), verstärkte Præposition. — 36 leschen swv., löschen, vertilgen, zerstören. — kunst, hier im andern Sinne als V. 33. näm- lich : Verständniss. — sin stm., ein Lieblingswort Gottfried's ; sin, wie unser Sinn vieldeutig, ist öfters durch Synonymen wie Verstand, Inhalt u. dgl. zu geben. sin, hier: Fähigkeit der Beurtheilung. Wird die Kritik persön- lich, dann ist sie keine Kritik mehr. 37—40: 37 stege pl. von stec, Steg, wenn nicht im Gegensatz zu stege in V. 39 zugleich ein Wortspiel gesucht ist: stege pl. von stege stf. (sonst auch swf.), Stiege, Treppe, steile Bahn; 40 stege conj. præes. von stegen swv., einen Steg bereiten, dann bildl.: erstreben. — 38. 39 wege pl. von wec; wege in V. 38 vielleicht auch zugleich pl. von wege stf., Bahn (aller- dings seltenes Wort); 40 wege conj. præes. von wegen swv., einen Weg bereiten, zugleich ist wege conj. von wegen wie V. 30. 31, abwägen, schätzen. Nicht éine Bedeutung ist in diesen Fallen anzunehmen, sondern die Worte haben bei unserm Dichter wirklich den Doppelsinn; es sind eben Wort- spiele, die wir leider nicht nachahmen können. — 37 hei interj. hat nicht immer die Bedeutung des fröhlichen Aufjauchzens, sondern auch die de€ Klage = ach. — tugent stf., vieldeutiges Wort: Tüchtigkeit, Vollkommen- heit. Eine Reminiscenz an Matth. 7, 14 ist hier woll anzunehmen. — 38 kumberlich adj., (kümmerlich), kummervoll, beschwerlich. Zur Voll- kommenheit, zur Gröfse zu gelangen, ist schwer und nur wenigen vergönnt.— 39 die dîne: im Mhd. vor dem Possessivpron. auch der Artikel. — Glücklicl. der, welcher zu den Auserkorenen, allgemein Anerkannten gehört. 41— 44: 41 hin gehört zu trîbe: hintreiben, hinleben, verbringen, 43 hin nicht zu vare zu ziehen (hinfahren, hinleben), sondern ist mit vas (synonym von sô, vgl. 670) éin Begriff; sus hin = sodann, fernerhin, wie in V. 4393. 6303. — 41 Dieser Vers benutzt als Anfang des Schwanks von Häslein, Hagen's Gesammtabenteuer Nr. XXI. — trîh' und vare in V 43 præs. in der Function des Conj. præt.; vgl. 135 fg. — cît in der Regel wie nhd. stf.; vgl. zu 18892. — vergebene adv. hat wie das nhd.: umsonst die doppelte Bedeutung frustra (= nhd. vergebens) und gratis ; hier frustra, ohne etwas zu schaffen; vgl. zu 12398. — 42 cîtec adj., zeitig, reif. — 86
6 I. EINGANG. Chunst unde nâhe sehender sin, swie wol diu schînen under in, geherbérget danne nît zuo z'in, er leschet kúnst únde sin. Hei, tugent, wie smal sint dine stege, wie kumberlîch sint dine wege! die dîne stege, die dîne wege, wol ime, der si wege und stege 35 40 (3) Trib' ich die zit vergebene hin. sô zîtec ich ze lebene bin, sone váre ich in der werlt sus hin niht sô gewerldet, alse ich bin. 33—36: 33 sin nom.; 36 sin acc. — 34 in dat. pl. reflexiv: sich; 35 in demonstrativ. — 33 chunst =kunst stf., Können und Wissen, ent- spricht hier unserm: Kunst im Sinne von: Kunstübung. — nâhe adv., in der Nähe, genau. nâhe sehender sin, genau zusehender, aufmerksamer Sinn, strenge Kritik; vgl. nâhe merkende spehe 6510. — 34 swie (= sé wie) adv. correl., wie auch. — schînen conj. præs. von schînen stv., scheinen, sich zeigen. — under in, untereinander. Kunst und Kritik vertragen sich wohl miteinander. — 35 herbergen swv., Wohnung nehmen, sich gesellen ge- ist hier wie so oft in Gottfried's Sprache Verstärkung des einfachen Zeitworts, hier mit der bestimmten Function von: mit (vgl. cum, con-), zusammen, doch kann auch ge- die Function des Perfects oder besser des Aorists haben: hat sich gesellt; s. zu 145. — danne adv., dann, alsdann aber dann; im Reime (:manne) 11618. — nît stm., Verkleinerungssucht, kritische Schelsucht. — zuo 2’ (in), verstärkte Præposition. — 36 leschen swv., löschen, vertilgen, zerstören. — kunst, hier im andern Sinne als V. 33. näm- lich : Verständniss. — sin stm., ein Lieblingswort Gottfried's ; sin, wie unser Sinn vieldeutig, ist öfters durch Synonymen wie Verstand, Inhalt u. dgl. zu geben. sin, hier: Fähigkeit der Beurtheilung. Wird die Kritik persön- lich, dann ist sie keine Kritik mehr. 37—40: 37 stege pl. von stec, Steg, wenn nicht im Gegensatz zu stege in V. 39 zugleich ein Wortspiel gesucht ist: stege pl. von stege stf. (sonst auch swf.), Stiege, Treppe, steile Bahn; 40 stege conj. præes. von stegen swv., einen Steg bereiten, dann bildl.: erstreben. — 38. 39 wege pl. von wec; wege in V. 38 vielleicht auch zugleich pl. von wege stf., Bahn (aller- dings seltenes Wort); 40 wege conj. præes. von wegen swv., einen Weg bereiten, zugleich ist wege conj. von wegen wie V. 30. 31, abwägen, schätzen. Nicht éine Bedeutung ist in diesen Fallen anzunehmen, sondern die Worte haben bei unserm Dichter wirklich den Doppelsinn; es sind eben Wort- spiele, die wir leider nicht nachahmen können. — 37 hei interj. hat nicht immer die Bedeutung des fröhlichen Aufjauchzens, sondern auch die de€ Klage = ach. — tugent stf., vieldeutiges Wort: Tüchtigkeit, Vollkommen- heit. Eine Reminiscenz an Matth. 7, 14 ist hier woll anzunehmen. — 38 kumberlich adj., (kümmerlich), kummervoll, beschwerlich. Zur Voll- kommenheit, zur Gröfse zu gelangen, ist schwer und nur wenigen vergönnt.— 39 die dîne: im Mhd. vor dem Possessivpron. auch der Artikel. — Glücklicl. der, welcher zu den Auserkorenen, allgemein Anerkannten gehört. 41— 44: 41 hin gehört zu trîbe: hintreiben, hinleben, verbringen, 43 hin nicht zu vare zu ziehen (hinfahren, hinleben), sondern ist mit vas (synonym von sô, vgl. 670) éin Begriff; sus hin = sodann, fernerhin, wie in V. 4393. 6303. — 41 Dieser Vers benutzt als Anfang des Schwanks von Häslein, Hagen's Gesammtabenteuer Nr. XXI. — trîh' und vare in V 43 præs. in der Function des Conj. præt.; vgl. 135 fg. — cît in der Regel wie nhd. stf.; vgl. zu 18892. — vergebene adv. hat wie das nhd.: umsonst die doppelte Bedeutung frustra (= nhd. vergebens) und gratis ; hier frustra, ohne etwas zu schaffen; vgl. zu 12398. — 42 cîtec adj., zeitig, reif. — 86
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I. EINGANG. Ich hân mir eine unmüezekeit der werlt ze liebe vür geleit und edelen herzen z'einer hage, den herzen, den ich herze trage, der werlde, in die mîn herze siht. ich meine ir aller werlde niht als die, von der ich hoere sagen, diu dehéine sware müge getragen und niwan in fröuden welle sweben: die lâze ouch got mit fröuden leben! Dèr werlde und diseme lebene enkumt mîn rede niht ebene: ir leben und mînez zweient sich. ein ander werlt die meine ich, diu sament in einem herzen treit ir süeze sûr, ir liebez leit, ir herzeliep, ir senede nôt, ir liebez leben, ir leiden tôt, ir lieben tôt, ir leidez leben: dèm lebene si mîn leben ergeben, dèr werlt wil ich gewerldet wesen, mit ir verderben oder genesen. 50 55 60 45 65 relat., wie sehr. — 43 sone = só-ne enklit. Negation. — varen stv., gehen, leben. — 44 gewerldet, eine Gottfriedische Bildung wie noch in V. 65, ähnlich wie: geschult; etwa: welterfüllt. 45 unmüezekeit stf., Unmusse, Arbeit, Aufgabe. — 46 vür legen, vor- setzen, auferlegen. — 47 hage stf., Behagen, Freude. — 48 herze tragen mit dat., einem Herz, Neigung entgegentragen, für einen Neigung hegen, ebenso fröude tr. 251; muot tr. 3404; vgl. zu 773. — 50 ihrer aller Welt, die allgemeine Welt meine ich nicht ; werlde ist wohl nicht = der werlde gen. sing. abh. von niht (alsdann =nichts), sondern entweder = die werlde plur. acc., wie werlt öfter gebraucht wird, wogegen freilich V. 58 spricht, oder die werlde sing. acc., Nebenform von werlt: s. zu 10868. — 51 als = alsô, wie zum Beispiel. — die ich nur von Hörensagen, nicht aus eigener Erfahrung kenne. — 52 dehein, daneben einsilbig kein, adj. pron. =lat. ullus, irgendein oder kein; hier : kein. — swœre stf., Beschwerde, Kummer. — getragen stv., verstärktes tragen, ertragen. — 54 schalkhafte Bemerkung: diese Leichtlebigen und Vergnügungssüchtigen sind zwar nicht nach meinem Geschmacke, aber meinethalben: möge es ihnen nur immer gut gehen. — mit fröuden, hier im stilistischen Gegensatz zu in fröuden nicht = nhd. mit Freuden, sondern = mit hulden; vgl. zu 251. 56 rede stf. ist hier wohl noch nicht bestimmt die dichterische Rede, die Erzählung, sondern im Allgemeinen die Sache, die in Rede steht, das Vorhaben. — ebene adv., bequem, passend, gelegen. — 57 zweien swv., trennen [noch in: entzweien]. — 59 sament (Nebenform samet s. zu 3170) adv., zusammen. — 60 derselbe Vers in Rudolf's von Ems Barlaam V. 5156 (130,16). — sücze = süczez. — sůr adj. subst. stn., das Saure, Bittere. — 61 herzeliep stn., Herzensfreude, wie in V. 185. 232 dem herzeleit entgegen- gesetzt. — senede part. = senende; s. nôt, Sehnsucht, Liebesnoth. — 62 leit adj., leid, selten mehr attributiv, dafür: leidig; trüb; vgl. 1750. — 65 ge- werldet mußs hier den Begriff haben: der Welt zugesellt, darum dabei der Dativ. — wesen stv., sein. — 66 genesen stv., am Leben bleiben. verderben oder genesen = unserm: leben oder sterben. —
I. EINGANG. Ich hân mir eine unmüezekeit der werlt ze liebe vür geleit und edelen herzen z'einer hage, den herzen, den ich herze trage, der werlde, in die mîn herze siht. ich meine ir aller werlde niht als die, von der ich hoere sagen, diu dehéine sware müge getragen und niwan in fröuden welle sweben: die lâze ouch got mit fröuden leben! Dèr werlde und diseme lebene enkumt mîn rede niht ebene: ir leben und mînez zweient sich. ein ander werlt die meine ich, diu sament in einem herzen treit ir süeze sûr, ir liebez leit, ir herzeliep, ir senede nôt, ir liebez leben, ir leiden tôt, ir lieben tôt, ir leidez leben: dèm lebene si mîn leben ergeben, dèr werlt wil ich gewerldet wesen, mit ir verderben oder genesen. 50 55 60 45 65 relat., wie sehr. — 43 sone = só-ne enklit. Negation. — varen stv., gehen, leben. — 44 gewerldet, eine Gottfriedische Bildung wie noch in V. 65, ähnlich wie: geschult; etwa: welterfüllt. 45 unmüezekeit stf., Unmusse, Arbeit, Aufgabe. — 46 vür legen, vor- setzen, auferlegen. — 47 hage stf., Behagen, Freude. — 48 herze tragen mit dat., einem Herz, Neigung entgegentragen, für einen Neigung hegen, ebenso fröude tr. 251; muot tr. 3404; vgl. zu 773. — 50 ihrer aller Welt, die allgemeine Welt meine ich nicht ; werlde ist wohl nicht = der werlde gen. sing. abh. von niht (alsdann =nichts), sondern entweder = die werlde plur. acc., wie werlt öfter gebraucht wird, wogegen freilich V. 58 spricht, oder die werlde sing. acc., Nebenform von werlt: s. zu 10868. — 51 als = alsô, wie zum Beispiel. — die ich nur von Hörensagen, nicht aus eigener Erfahrung kenne. — 52 dehein, daneben einsilbig kein, adj. pron. =lat. ullus, irgendein oder kein; hier : kein. — swœre stf., Beschwerde, Kummer. — getragen stv., verstärktes tragen, ertragen. — 54 schalkhafte Bemerkung: diese Leichtlebigen und Vergnügungssüchtigen sind zwar nicht nach meinem Geschmacke, aber meinethalben: möge es ihnen nur immer gut gehen. — mit fröuden, hier im stilistischen Gegensatz zu in fröuden nicht = nhd. mit Freuden, sondern = mit hulden; vgl. zu 251. 56 rede stf. ist hier wohl noch nicht bestimmt die dichterische Rede, die Erzählung, sondern im Allgemeinen die Sache, die in Rede steht, das Vorhaben. — ebene adv., bequem, passend, gelegen. — 57 zweien swv., trennen [noch in: entzweien]. — 59 sament (Nebenform samet s. zu 3170) adv., zusammen. — 60 derselbe Vers in Rudolf's von Ems Barlaam V. 5156 (130,16). — sücze = süczez. — sůr adj. subst. stn., das Saure, Bittere. — 61 herzeliep stn., Herzensfreude, wie in V. 185. 232 dem herzeleit entgegen- gesetzt. — senede part. = senende; s. nôt, Sehnsucht, Liebesnoth. — 62 leit adj., leid, selten mehr attributiv, dafür: leidig; trüb; vgl. 1750. — 65 ge- werldet mußs hier den Begriff haben: der Welt zugesellt, darum dabei der Dativ. — wesen stv., sein. — 66 genesen stv., am Leben bleiben. verderben oder genesen = unserm: leben oder sterben. —
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8 I. EINGANG. (4) ich bin mit ir biz her beliben und hân mit ir die tage vertriben, die mir ûf nâhe gêndem leben lêr' unde geleite solten geben: der hân ich mîne unmüezekeit ze kurzewîle vür geleit, daz sî mit mînem mære ir nâhe gênde swære ze halber senfte bringe, ir nôt dâ mite geringe. wan swer des iht vor ougen hât, dâ mite der muot ze unmuoze gât, daz entsórget sorgehaften muot, daz ist ze herzesorgen guot. ir aller volge diu ist dar an: swâ sô der müezíge man mit senedem schaden si überladen, dâ mêre muoze seneden schaden. bî senedem leide müezekeit, dâ wahset iemer senede leit. durch daz ist guot, swer herzeklage und senede nôt ze herzen trage, daz er mit allem ruoche 70 75 80 85 68 ich habe mit ihr die (prüfungsreichen) Tage hingebracht, verlebt. — 69 nâhe gên, ans Herz greifen. nâhe génde, je nach dem Zusammenhang: lieb oder wie hier : leidvoll (V. 74. 918 = nhd.); compar. nâher gén in V. 2378, nâher gênde 13057. — ûf præp. mit dat., selten zeitlich : während [vgl. auf der Reise]. — 72 ze kurzewîle stf., zur Kurzweil, doch in etwas edlerem Sinne als das Wort heute gewöhnlich gebraucht wird: zur Ergötzung. — vür legen, hier in etwas anderm Sinne als V. 46: vorlegen, bestimmen. — 73 maere stn., Märe stf., Erzählung, Gedicht; das Wort auch bei G. häufig und vieldeutig. — 75 senfte stf., (Sanftheit) Ruhe; wir sagen : halb zur Ruhe. — 76 geringen swv., verringern erleichtern. — 77 wan = wande conj. demonstr., denn; s. zu 286. — 78 dâ hier relativ: womit. — muot stm., überhaupt: Sinn, Herz. — ze unmuoze stf. gân, zu einer Beschäftigung gelangen. — 79 entsorgen swv., von Sorgen befreien; wieder ein Wort in Gottfried's Stile. — sorgehaft (sonst sorchaft wie z. B. V. 8636) adj., mit Sorgen behaftet, bekümmert. Von Simrock hübsch getroffen: «das ent- bürdet bürdeschweren Muth.» — 80 ze præp.. für, gegen; ze öfters in solcher Weise zu vertauschen nach dem modernen Sprachgebrauch. — herzesorge stf., unser: Herzenssorge (nhd. Wechsel: herze� = mhd. oder häufiger herzens-). Der Dichter liebt diese Zusammensetzungen ungemein ; sie brauchen nicht immer angeführt zu werden. — 81 volge stf. (Folge, Folgerung), Zustimmung, übereinstimmende Ansicht; diese Bedeutung bei G. fast durchaus, nur hier und da schattiert; vgl. zu 4641. — 82 swâ sô, Verstärkung der Conditionalconjunction: wenn alsdann, wenn nämlich. — 83 (der) senede schade, Liebesnoth. — 86 senede (vgl. zu V. 61) = senedez. — 87 durch præp., wegen, um willen; durch daz, deshalb. — herzeklage stf., Herzeleid; s. zu 198. — 89 ruoch stm., Bedacht, vorsätzlicher Wille; bei G. auch ruoche stf. 10439. —
8 I. EINGANG. (4) ich bin mit ir biz her beliben und hân mit ir die tage vertriben, die mir ûf nâhe gêndem leben lêr' unde geleite solten geben: der hân ich mîne unmüezekeit ze kurzewîle vür geleit, daz sî mit mînem mære ir nâhe gênde swære ze halber senfte bringe, ir nôt dâ mite geringe. wan swer des iht vor ougen hât, dâ mite der muot ze unmuoze gât, daz entsórget sorgehaften muot, daz ist ze herzesorgen guot. ir aller volge diu ist dar an: swâ sô der müezíge man mit senedem schaden si überladen, dâ mêre muoze seneden schaden. bî senedem leide müezekeit, dâ wahset iemer senede leit. durch daz ist guot, swer herzeklage und senede nôt ze herzen trage, daz er mit allem ruoche 70 75 80 85 68 ich habe mit ihr die (prüfungsreichen) Tage hingebracht, verlebt. — 69 nâhe gên, ans Herz greifen. nâhe génde, je nach dem Zusammenhang: lieb oder wie hier : leidvoll (V. 74. 918 = nhd.); compar. nâher gén in V. 2378, nâher gênde 13057. — ûf præp. mit dat., selten zeitlich : während [vgl. auf der Reise]. — 72 ze kurzewîle stf., zur Kurzweil, doch in etwas edlerem Sinne als das Wort heute gewöhnlich gebraucht wird: zur Ergötzung. — vür legen, hier in etwas anderm Sinne als V. 46: vorlegen, bestimmen. — 73 maere stn., Märe stf., Erzählung, Gedicht; das Wort auch bei G. häufig und vieldeutig. — 75 senfte stf., (Sanftheit) Ruhe; wir sagen : halb zur Ruhe. — 76 geringen swv., verringern erleichtern. — 77 wan = wande conj. demonstr., denn; s. zu 286. — 78 dâ hier relativ: womit. — muot stm., überhaupt: Sinn, Herz. — ze unmuoze stf. gân, zu einer Beschäftigung gelangen. — 79 entsorgen swv., von Sorgen befreien; wieder ein Wort in Gottfried's Stile. — sorgehaft (sonst sorchaft wie z. B. V. 8636) adj., mit Sorgen behaftet, bekümmert. Von Simrock hübsch getroffen: «das ent- bürdet bürdeschweren Muth.» — 80 ze præp.. für, gegen; ze öfters in solcher Weise zu vertauschen nach dem modernen Sprachgebrauch. — herzesorge stf., unser: Herzenssorge (nhd. Wechsel: herze� = mhd. oder häufiger herzens-). Der Dichter liebt diese Zusammensetzungen ungemein ; sie brauchen nicht immer angeführt zu werden. — 81 volge stf. (Folge, Folgerung), Zustimmung, übereinstimmende Ansicht; diese Bedeutung bei G. fast durchaus, nur hier und da schattiert; vgl. zu 4641. — 82 swâ sô, Verstärkung der Conditionalconjunction: wenn alsdann, wenn nämlich. — 83 (der) senede schade, Liebesnoth. — 86 senede (vgl. zu V. 61) = senedez. — 87 durch præp., wegen, um willen; durch daz, deshalb. — herzeklage stf., Herzeleid; s. zu 198. — 89 ruoch stm., Bedacht, vorsätzlicher Wille; bei G. auch ruoche stf. 10439. —
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I. EINGANG. 9 dem libe unmuoze suoche: dâ mite sô müezeget der muot und ist dem muote ein michel guot; und gerâte ich niemer doch dar an, daz iemer liebe gernde man deheine solhe unmuoze im neme, diu reiner liebe missezeme: ein senelîchez mære daz tribe ein senedære mit herzen und mit munde und senfte sô die stunde. 95 90 100 Nu ist ab einer jehe vil, der ich vil nâch gevolgen wil: der senede muot, sô der ie mê mit seneden mæeren umbe gê, 2 sô sîner swære ie mêre si. der selben jehe der stüende ich bî, 105 90 dem libe, für den Leib, doch nicht wörtlich zu nehmen, sondern im Allgemeinen: äußerlich im Gegensatze zur Trauer im Herzen. — 91 sô ähnlich verstärkend wie in V. 82, alsdann. — müezegen swv., müslig wer- den. — muot stm., das Innere, dem lîbe entgegengesetzt. Wenn der Mensch sich äußerlich beschäftigt, dann hat das gequälte Herz Ruhe. — 92 michel adj. unflect. (häufig im Mhd., insbesondere beim Neutrum) = michelez: eine grofse Wohlthat. — 93 und, mit doch zu verbinden, drückt hier Gegensatz und Einschränkung aus: jedoch. — gerâten stv., verstärk- tes râten; oder ge- als perf. zu fassen? jedoch habe ich damit durchaus nicht gerathen, wie wir sagen : ich will damit nicht gerathen haben. dar an kann in Bezug auf das Folgende heißsen: dazu; eher scheint es mir auf den vorausgehenden Rath zu gehen: dabei, damit. Der Dichter erklärt sich deutlicher, um wegen seines Ausdrucks dem lîbe unmuoze nicht miss- verstanden zu werden, als habe er rein leibliches Ergötzen vorgeschlagen. — 94 iemer adv., hier: jemals. — liebe stf. hat hier, was beide Ubersetzer verfehlt haben, entschieden die ursprüngliche Bedeutung: Freude, Lust, wie auch in V. 19485 der leide stf. entgegengesetzt; ein Liebe begehrender Mann kann nicht gemeint sein, weil schon von einem Verliebten die Rede, und weil es stilistisch unmöglich ist, indem in V. 96 liebe die heutige Be- deutung synonym von minne hat, welche bei Gottfried vorherrscht. Ein liebe gernder Mann ist der, welcher, des Dichters Rath befolgend, Freude sucht, um sich von seinem Kummer zu erholen. — 95 fg. er soll sich aber nicht etwa irgendwelche derartige (deheine solhe) Beschäftigung nehmen, die reiner Liebe übel anstehe (missezeme). — 97 und dieses Me- dicament ist ein senelîchez (verliebtes) mœre (= senede mœre 104, senemœre 168), eine Liebesgeschichte. — 98 trîben stv. mit acc. entspricht hier ziem- lich unserm : treiben, sich mit etwas beschäftigen ; das Verbum wird von Gottfried mit einer gewissen Vorliebe angewandt und ist öfters durch andere Ausdrücke im Nhd. zu ersetzen. — senedare stm. (fem. senedœrîn V. 122. 16404), der Liebende; ein Gottfriedisches Wort. — 100 senften swv. mit acc., angenehm machen. — die stunde wohl acc. sing., nhd. die Stun- den, die Zeit, das Leben. 101 jehe stf., Sage, Aussage, Ausspruch, Ansicht. — 102 vil nách adv., gevolgen swv., verst. volgen, zustimmen. — beinahe, zum Theil; vgl. 1325. — 103. 105 sô ie me — só ie mêre, je mehr — desto mehr; im Nhd. sparen wir s6 (wenn) — sô (so); vgl. V. 112—114. — 105 sîner sware gen. part. — sî in der Bedeutung von werde. — 106 bî stûn, beitreten, beipflichten. —
I. EINGANG. 9 dem libe unmuoze suoche: dâ mite sô müezeget der muot und ist dem muote ein michel guot; und gerâte ich niemer doch dar an, daz iemer liebe gernde man deheine solhe unmuoze im neme, diu reiner liebe missezeme: ein senelîchez mære daz tribe ein senedære mit herzen und mit munde und senfte sô die stunde. 95 90 100 Nu ist ab einer jehe vil, der ich vil nâch gevolgen wil: der senede muot, sô der ie mê mit seneden mæeren umbe gê, 2 sô sîner swære ie mêre si. der selben jehe der stüende ich bî, 105 90 dem libe, für den Leib, doch nicht wörtlich zu nehmen, sondern im Allgemeinen: äußerlich im Gegensatze zur Trauer im Herzen. — 91 sô ähnlich verstärkend wie in V. 82, alsdann. — müezegen swv., müslig wer- den. — muot stm., das Innere, dem lîbe entgegengesetzt. Wenn der Mensch sich äußerlich beschäftigt, dann hat das gequälte Herz Ruhe. — 92 michel adj. unflect. (häufig im Mhd., insbesondere beim Neutrum) = michelez: eine grofse Wohlthat. — 93 und, mit doch zu verbinden, drückt hier Gegensatz und Einschränkung aus: jedoch. — gerâten stv., verstärk- tes râten; oder ge- als perf. zu fassen? jedoch habe ich damit durchaus nicht gerathen, wie wir sagen : ich will damit nicht gerathen haben. dar an kann in Bezug auf das Folgende heißsen: dazu; eher scheint es mir auf den vorausgehenden Rath zu gehen: dabei, damit. Der Dichter erklärt sich deutlicher, um wegen seines Ausdrucks dem lîbe unmuoze nicht miss- verstanden zu werden, als habe er rein leibliches Ergötzen vorgeschlagen. — 94 iemer adv., hier: jemals. — liebe stf. hat hier, was beide Ubersetzer verfehlt haben, entschieden die ursprüngliche Bedeutung: Freude, Lust, wie auch in V. 19485 der leide stf. entgegengesetzt; ein Liebe begehrender Mann kann nicht gemeint sein, weil schon von einem Verliebten die Rede, und weil es stilistisch unmöglich ist, indem in V. 96 liebe die heutige Be- deutung synonym von minne hat, welche bei Gottfried vorherrscht. Ein liebe gernder Mann ist der, welcher, des Dichters Rath befolgend, Freude sucht, um sich von seinem Kummer zu erholen. — 95 fg. er soll sich aber nicht etwa irgendwelche derartige (deheine solhe) Beschäftigung nehmen, die reiner Liebe übel anstehe (missezeme). — 97 und dieses Me- dicament ist ein senelîchez (verliebtes) mœre (= senede mœre 104, senemœre 168), eine Liebesgeschichte. — 98 trîben stv. mit acc. entspricht hier ziem- lich unserm : treiben, sich mit etwas beschäftigen ; das Verbum wird von Gottfried mit einer gewissen Vorliebe angewandt und ist öfters durch andere Ausdrücke im Nhd. zu ersetzen. — senedare stm. (fem. senedœrîn V. 122. 16404), der Liebende; ein Gottfriedisches Wort. — 100 senften swv. mit acc., angenehm machen. — die stunde wohl acc. sing., nhd. die Stun- den, die Zeit, das Leben. 101 jehe stf., Sage, Aussage, Ausspruch, Ansicht. — 102 vil nách adv., gevolgen swv., verst. volgen, zustimmen. — beinahe, zum Theil; vgl. 1325. — 103. 105 sô ie me — só ie mêre, je mehr — desto mehr; im Nhd. sparen wir s6 (wenn) — sô (so); vgl. V. 112—114. — 105 sîner sware gen. part. — sî in der Bedeutung von werde. — 106 bî stûn, beitreten, beipflichten. —
Strana 10
10 I. EINGANG. wan ein dinc, daz mir widerstât: swer innecliche liebe hât, doch ez im wê von herzen tuo, daz herze stêt doch ie dar zuo. der inneclîche minnenmuot, sô der in sîner senegluot ie mêre und mêre brinnet, sô er ie sêrer minnet. diz leit ist liebes alse vol, daz übel daz tuot sô herzewol, daz es kein edele herze enbirt, sît ez hie von geherzet wirt. ich weiz ez wârez alse den tôt und erkénne ez bî der selben nôt: (5) der edele senedære der minnet senediu mære. von diu swer seneder mare ger, derne vár niht verrer danne her: ich wil in wol bemæren von edelen senedæren, 110 115 120 125 107 wan conj., nisi, elliptisch: wenn ein Ding, ein Umstand nicht ware. — widerstan, hier nicht im nhd. Sinne : zuwider sein oder Widerstand leisten, sondern: entgegenstehen, einen Gegensatz bilden, etwa: dagegen sprechen. — 109. 110 das erste doch relativ wie noch in V. 11677. 14236, wenn auch, obgleich (mhd. im Ganzen nicht häufig, bei Gottfried nur vereinzelt, nhd. abgekommen), das zweite doch demonstr. = nhd. — 110 ie adv., immer. Das Herz hält doch immer daran, an der Liebe fest. — 111 minnenmuot fasse ich als Zusammensetzung: Liebesmuth, Liebessinn. — 112 senegluot stf., Sehn- suchtsglut, Liebesglut. — 113 brinnen stv. =nhd. brennen swv., entzündet sein, glühen. — 114 sêrer compar. von sêre, heftiger. — 115 liebes, wohl nicht gen. von liep adj. subst., des Erfreuenden, sondern von liep stn. (dem leit entgegengesetzt), die Freude wie in V. 221.—116 herzewol, herzlich wohl. — 117 enbern stv. mit gen. (es), (etwas entbehren), auf etwas verzichten. — 118 sît conj., (seit), nachdem, sobald einmal. — geherzet part. von herzen. geherzen wie in V. 6152, ermuthigen, erfrischen. Die reiche Freude, welche zugleich im Liebesschmerze liegt, stärkt das Herz, läßt es nicht brechen. Man kann aber auch geherzet im Stile Gottfried's als direct von herze abge- leitet ansehen, dann wäre geherzet part. defect. soviel wie: herzerfüllt (vgl. gewerldet V. 44). — 119 warez starke Flexion, wörtlich: als etwas so Wah- res. Gewisses. Diese betheuernde Wendung bei Gottfried ziemlich häufig z. B. 5837. 9432. 10492. 17751; veränderte Formel in V. 14417; dieselben oder ähnliche Ausdrücke auch bei andern Dichtern, vgl. Haupt zu Engel- hard 2102 und Sommer zu Flore 3756. — 120 ich erkenne es, d. h. ich habe es kennen gelernt bî, an derselben Noth; ich weißs es aus eigener Erfahrung. — 121 auf edele liegt der Nachdruck. — 123 von diu (instru- mentalis), deshalb. — 124 varen, varn stv., (fahren), überhaupt: gehen. — verrer compar. von verre adv., ferner, weiter. — danne adv. hier nach compar., denn, als. — her adv., bis hierher. Der suche nicht weit herum. — 125 be- maren swv. findet sich ferner in V. 17231 im Sinne von: besprechen, er- zählen, ähnlich in Ulrich’s von Türheim Tristan in V. 2115 (550,15) ; steht dasselbe Wort auch hier, dann ist in nach dem Sinne dat. pl.: ich will ihnen erzählen. Gottfried's Eigenart gemäßer ist hier bemaren mit acc. (ihn), einen mit mare, mit einer Erzählung, verschen. —
10 I. EINGANG. wan ein dinc, daz mir widerstât: swer innecliche liebe hât, doch ez im wê von herzen tuo, daz herze stêt doch ie dar zuo. der inneclîche minnenmuot, sô der in sîner senegluot ie mêre und mêre brinnet, sô er ie sêrer minnet. diz leit ist liebes alse vol, daz übel daz tuot sô herzewol, daz es kein edele herze enbirt, sît ez hie von geherzet wirt. ich weiz ez wârez alse den tôt und erkénne ez bî der selben nôt: (5) der edele senedære der minnet senediu mære. von diu swer seneder mare ger, derne vár niht verrer danne her: ich wil in wol bemæren von edelen senedæren, 110 115 120 125 107 wan conj., nisi, elliptisch: wenn ein Ding, ein Umstand nicht ware. — widerstan, hier nicht im nhd. Sinne : zuwider sein oder Widerstand leisten, sondern: entgegenstehen, einen Gegensatz bilden, etwa: dagegen sprechen. — 109. 110 das erste doch relativ wie noch in V. 11677. 14236, wenn auch, obgleich (mhd. im Ganzen nicht häufig, bei Gottfried nur vereinzelt, nhd. abgekommen), das zweite doch demonstr. = nhd. — 110 ie adv., immer. Das Herz hält doch immer daran, an der Liebe fest. — 111 minnenmuot fasse ich als Zusammensetzung: Liebesmuth, Liebessinn. — 112 senegluot stf., Sehn- suchtsglut, Liebesglut. — 113 brinnen stv. =nhd. brennen swv., entzündet sein, glühen. — 114 sêrer compar. von sêre, heftiger. — 115 liebes, wohl nicht gen. von liep adj. subst., des Erfreuenden, sondern von liep stn. (dem leit entgegengesetzt), die Freude wie in V. 221.—116 herzewol, herzlich wohl. — 117 enbern stv. mit gen. (es), (etwas entbehren), auf etwas verzichten. — 118 sît conj., (seit), nachdem, sobald einmal. — geherzet part. von herzen. geherzen wie in V. 6152, ermuthigen, erfrischen. Die reiche Freude, welche zugleich im Liebesschmerze liegt, stärkt das Herz, läßt es nicht brechen. Man kann aber auch geherzet im Stile Gottfried's als direct von herze abge- leitet ansehen, dann wäre geherzet part. defect. soviel wie: herzerfüllt (vgl. gewerldet V. 44). — 119 warez starke Flexion, wörtlich: als etwas so Wah- res. Gewisses. Diese betheuernde Wendung bei Gottfried ziemlich häufig z. B. 5837. 9432. 10492. 17751; veränderte Formel in V. 14417; dieselben oder ähnliche Ausdrücke auch bei andern Dichtern, vgl. Haupt zu Engel- hard 2102 und Sommer zu Flore 3756. — 120 ich erkenne es, d. h. ich habe es kennen gelernt bî, an derselben Noth; ich weißs es aus eigener Erfahrung. — 121 auf edele liegt der Nachdruck. — 123 von diu (instru- mentalis), deshalb. — 124 varen, varn stv., (fahren), überhaupt: gehen. — verrer compar. von verre adv., ferner, weiter. — danne adv. hier nach compar., denn, als. — her adv., bis hierher. Der suche nicht weit herum. — 125 be- maren swv. findet sich ferner in V. 17231 im Sinne von: besprechen, er- zählen, ähnlich in Ulrich’s von Türheim Tristan in V. 2115 (550,15) ; steht dasselbe Wort auch hier, dann ist in nach dem Sinne dat. pl.: ich will ihnen erzählen. Gottfried's Eigenart gemäßer ist hier bemaren mit acc. (ihn), einen mit mare, mit einer Erzählung, verschen. —
Strana 11
I. EINGANG. 11 die reine sene wol tâten schîn: ein senedære, ein senedærin, ein man, ein wip; ein wip, ein man, Tristan, Isot; Isot, Tristan. 130 Ich weiz wol, ir ist vil gewesen, die von Tristande hânt gelesen; und ist ir doch niht vil gewesen, die von im rehte haben gelesen. Tuon aber ich diu gelîche nuo und schephe miniu wort dar zuo, daz mir ir iegelîches sage von disem mæere missehage, sô wirbe ich anders, danne ich sol. ich entúon es niht: si sprâchen wol und niwan ûz edelem muote mir unde der werlt ze guote. benamen si tâten ez in guot: und swaz der man in guot getuot, daz ist ouch guot und wol getán. aber als ich gesprochen hân, daz sî niht rehte haben gelesen, daz ist, als ich iu sage, gewesen: sine sprâchen in der rihte niht, als Thômas von Britanje giht, 135 140 145 150 127 sene stf., (Sehnsucht), Liebespein, oft geradezu synonym mit liebe und minne. — schîn adj., offenbar. schîn tuon mit acc., klar machen, offen- baren, zeigen. — 128 senedarîn stf. s. zu 98. 132. 134 beide lesen stilgemäfs verschieden; das erste=nlid. lesen, das zweite = vortragen, berichten, erzählen; vgl. si sprâchen in V. 140 und lesen in V. 230. Vgl. auch zu 2650. — 134 rehte adv., auf rechte Weise; im Worte liegt der Doppelsinn : richtig und gut, den Gottfried gleich nach- — haben (im Gegensatz von hànt 132) conj., her in V. 146 fg. aufklärt. haben mogen. 135 div (instrument. wie in V. 123) gelîche (adv.), desgleichen, glei- cher Maßen. Die Worte an sich sind klar; beziehen sie sich auf das vorhergehende Urtheil: fahre ich in gleicher Weise mit meinem Tadel fort? oder: erwähle ich ebenfalls den Roman von Tristan, werde ich Concurrent meiner Vorgänger? — 136 schephen swv., hier bestimmter als in V. 21: bilden, gestalten. Spräche ich mich aufserdem sogar dahin aus. — 137 sage stf., Aussage; die Darstellung (aller Erzähler). — 138 misse- hagen swv. = missbehagen. — 139 werben stv., handeln. — 144 in getuot ist ge- wohl das Perfect: gethan hat; öfters kann man schwanken, ob ge- so zu erklären ist, oder ob es das Verbum verstärkt. Der Herausgeber wird noch einige derartige Fälle berühren, im Ubrigen dem Leser die Be- urtheilung der Perfect-Function überlassen; vgl. zu 35. — 143 benamen (aus bî namen) adv., in Wahrheit, eigentlich ; hat bei Gottfried öfters wie hier ziemlich den Charakter einer Betheuerung. — 149 rihte stf., Rich- tung, rechte Weise. — 150 giht 3. pers. præs. von jehen stv., sprechen. —
I. EINGANG. 11 die reine sene wol tâten schîn: ein senedære, ein senedærin, ein man, ein wip; ein wip, ein man, Tristan, Isot; Isot, Tristan. 130 Ich weiz wol, ir ist vil gewesen, die von Tristande hânt gelesen; und ist ir doch niht vil gewesen, die von im rehte haben gelesen. Tuon aber ich diu gelîche nuo und schephe miniu wort dar zuo, daz mir ir iegelîches sage von disem mæere missehage, sô wirbe ich anders, danne ich sol. ich entúon es niht: si sprâchen wol und niwan ûz edelem muote mir unde der werlt ze guote. benamen si tâten ez in guot: und swaz der man in guot getuot, daz ist ouch guot und wol getán. aber als ich gesprochen hân, daz sî niht rehte haben gelesen, daz ist, als ich iu sage, gewesen: sine sprâchen in der rihte niht, als Thômas von Britanje giht, 135 140 145 150 127 sene stf., (Sehnsucht), Liebespein, oft geradezu synonym mit liebe und minne. — schîn adj., offenbar. schîn tuon mit acc., klar machen, offen- baren, zeigen. — 128 senedarîn stf. s. zu 98. 132. 134 beide lesen stilgemäfs verschieden; das erste=nlid. lesen, das zweite = vortragen, berichten, erzählen; vgl. si sprâchen in V. 140 und lesen in V. 230. Vgl. auch zu 2650. — 134 rehte adv., auf rechte Weise; im Worte liegt der Doppelsinn : richtig und gut, den Gottfried gleich nach- — haben (im Gegensatz von hànt 132) conj., her in V. 146 fg. aufklärt. haben mogen. 135 div (instrument. wie in V. 123) gelîche (adv.), desgleichen, glei- cher Maßen. Die Worte an sich sind klar; beziehen sie sich auf das vorhergehende Urtheil: fahre ich in gleicher Weise mit meinem Tadel fort? oder: erwähle ich ebenfalls den Roman von Tristan, werde ich Concurrent meiner Vorgänger? — 136 schephen swv., hier bestimmter als in V. 21: bilden, gestalten. Spräche ich mich aufserdem sogar dahin aus. — 137 sage stf., Aussage; die Darstellung (aller Erzähler). — 138 misse- hagen swv. = missbehagen. — 139 werben stv., handeln. — 144 in getuot ist ge- wohl das Perfect: gethan hat; öfters kann man schwanken, ob ge- so zu erklären ist, oder ob es das Verbum verstärkt. Der Herausgeber wird noch einige derartige Fälle berühren, im Ubrigen dem Leser die Be- urtheilung der Perfect-Function überlassen; vgl. zu 35. — 143 benamen (aus bî namen) adv., in Wahrheit, eigentlich ; hat bei Gottfried öfters wie hier ziemlich den Charakter einer Betheuerung. — 149 rihte stf., Rich- tung, rechte Weise. — 150 giht 3. pers. præs. von jehen stv., sprechen. —
Strana 12
12 I. EINGANG. (6) der âventiure meister was und an britünschen buochen las aller der lanthêrren leben und ez úns ze künde hât gegeben. Als dér von Tristánde seit, die rihte und die wârhéit begunde ich sêre suochen in beider hande buochen walschen und latinen, und begunde mich des pînen, daz ich in sîner rihte rihte dise tihte. sus treip ich manege suoche, unz ich an einem buoche alle sîne jehe gelas, wie dirre âventiure was. waz aber mîn lesen dô wære von disem senemære: daz lege ich mîner willekür allen edelen herzen vür, daz sî dâ mite unmüezic wesen: ez ist in sêre guot gelesen. guot? jâ, inneclîche guot: 155 160 165 170 151 âventiure stf., eines der vieldeutigsten Worte, hier : Erzählung, Roman. — meister stm., hier: Dichter. âventiure kann gen. plur. sein, dann all- gemein: Dichter von Romanen; oder gen. sing., dann : Dichter der vorliegen- den Erzählung. der âventiure meister ist aber nicht, wie Heinzel in Haupt's Zeitschr. 14, 272 will: Chronist. — 152 an præp. bei lesen = nhd. in. — lesen, hier höchst wahrscheinlich wieder: erzählen. — britûnsch, britûnisch adj., bretonisch. — 153 der ist wohl nicht bloßer Artikel, sondern Demonstrativ : aller jener (der bekannten) Landherren, Landesfürsten, einheimischen Ade- lichen. Die Zusammensetzungen mit lant-=nhd. Land- oder = nhd. Lan- des-, Lands�, nie im Gegensatz zur Stadt oder zum Meer und öfters die Allgemeinheit bezeichnend, sind bei Gottfried recht häufig. — 154 ze künde stf. (nhd. Kunde) geben, bekannt machen. 156 wârheit stf., die rechte Quelle. — 158 hande gen. pl. von hant in der Bedeutung : Art (während die regelmäfige Form hende lautet); beider hande, beider Arten, beider Art; ferner zweier hande 1332, welcher hande 3540 (s. die Bemerkung), sogar jœmerlîcher hande 7277 [nhd. erhalten in: allerhand]. — 159 walsch (auch wälsch) adj., wälsch, romanisch. — latîn adj., lateinisch. — 160 beginnen im Mhd. neben ze mit Infinitiv auch mit blofsem Infinitiv, bei Gottfried wiegt letzteres vor; vgl. Gr. 4,95. 108. — pînen swv. refl. mit gen., (peinigen), sich um etwas bemühen. — 162 rihte præt. = rihtete (nicht præes.) von rihten swv., einrichten, ausführen. — tihte stf., Dichtung, aber nicht körperlich zu fassen; getihte stn. ist da- gegen meist das fertig vorliegende Gedicht. — 163 suoche stf., das Suchen, Nachsuchung, Forschung. — 164 unze, unz adv. conj. und præp., bis. — 165 gelesen, verst. lesen. — 166 dirre âventiure (gen.): wie es um diese Ge- schichte stand. — 169 mîner willekür adv. gen., nach meinem freien Ent- schlusse. — 172 nach ez ist mir guot, liep stebt mhd. in der Regel das Partic. præt., wo wir Infinitiv mit zu setzen; vgl. Gr. 4,129. —
12 I. EINGANG. (6) der âventiure meister was und an britünschen buochen las aller der lanthêrren leben und ez úns ze künde hât gegeben. Als dér von Tristánde seit, die rihte und die wârhéit begunde ich sêre suochen in beider hande buochen walschen und latinen, und begunde mich des pînen, daz ich in sîner rihte rihte dise tihte. sus treip ich manege suoche, unz ich an einem buoche alle sîne jehe gelas, wie dirre âventiure was. waz aber mîn lesen dô wære von disem senemære: daz lege ich mîner willekür allen edelen herzen vür, daz sî dâ mite unmüezic wesen: ez ist in sêre guot gelesen. guot? jâ, inneclîche guot: 155 160 165 170 151 âventiure stf., eines der vieldeutigsten Worte, hier : Erzählung, Roman. — meister stm., hier: Dichter. âventiure kann gen. plur. sein, dann all- gemein: Dichter von Romanen; oder gen. sing., dann : Dichter der vorliegen- den Erzählung. der âventiure meister ist aber nicht, wie Heinzel in Haupt's Zeitschr. 14, 272 will: Chronist. — 152 an præp. bei lesen = nhd. in. — lesen, hier höchst wahrscheinlich wieder: erzählen. — britûnsch, britûnisch adj., bretonisch. — 153 der ist wohl nicht bloßer Artikel, sondern Demonstrativ : aller jener (der bekannten) Landherren, Landesfürsten, einheimischen Ade- lichen. Die Zusammensetzungen mit lant-=nhd. Land- oder = nhd. Lan- des-, Lands�, nie im Gegensatz zur Stadt oder zum Meer und öfters die Allgemeinheit bezeichnend, sind bei Gottfried recht häufig. — 154 ze künde stf. (nhd. Kunde) geben, bekannt machen. 156 wârheit stf., die rechte Quelle. — 158 hande gen. pl. von hant in der Bedeutung : Art (während die regelmäfige Form hende lautet); beider hande, beider Arten, beider Art; ferner zweier hande 1332, welcher hande 3540 (s. die Bemerkung), sogar jœmerlîcher hande 7277 [nhd. erhalten in: allerhand]. — 159 walsch (auch wälsch) adj., wälsch, romanisch. — latîn adj., lateinisch. — 160 beginnen im Mhd. neben ze mit Infinitiv auch mit blofsem Infinitiv, bei Gottfried wiegt letzteres vor; vgl. Gr. 4,95. 108. — pînen swv. refl. mit gen., (peinigen), sich um etwas bemühen. — 162 rihte præt. = rihtete (nicht præes.) von rihten swv., einrichten, ausführen. — tihte stf., Dichtung, aber nicht körperlich zu fassen; getihte stn. ist da- gegen meist das fertig vorliegende Gedicht. — 163 suoche stf., das Suchen, Nachsuchung, Forschung. — 164 unze, unz adv. conj. und præp., bis. — 165 gelesen, verst. lesen. — 166 dirre âventiure (gen.): wie es um diese Ge- schichte stand. — 169 mîner willekür adv. gen., nach meinem freien Ent- schlusse. — 172 nach ez ist mir guot, liep stebt mhd. in der Regel das Partic. præt., wo wir Infinitiv mit zu setzen; vgl. Gr. 4,129. —
Strana 13
I. EINGANG. 13 ez liebet liebe und edelt muot, ez stætet triuwe und tugendet leben, ez kan wol lebene tugende geben; wan swâ man hoeret oder list daz von sô reinen triuwen ist, dâ liebent dem getriuwen man triuwe und ander tugende van liebe, triuwe, stæter muot, êre und ander manic guot, daz geliebet niemer anderswâ sô sêre noch sô wol sô dâ, dâ man von herzeliebe saget und herzeleit ûz liebe klaget. lieb' ist ein alsô sælec dinc, ein alsô sæleclîch gerinc, daz niemen âne ir lêre noch tugende hât noch êre. sô manec wert leben, sô liebe frumet, sô vil sô tugende von ir kumet, owê daz allez, daz der lebet, nâch herzeliebe niene strebet, daz ich sô lützel vinde der, 180 185 190 175 195 174 lieben swv., hier trans. (ahd. liubju), lieb, angenehm machen wie noch in V. 8297. (Das Wort erhalten nur in der andern Bedeutung amare, lieb haben, und dieses bei Gottfried nur mit dem Acc. der Sache wie in V. 12351. 18982 ; eine Person lieben ist minnen; vgl. zu 27. 492.) — edelen, edeln swv., veredeln. — 175 staten swv., stätigen, stätig machen. — tugenden swv., mit Tugenden zieren, werthvoll machen; das Wort, auch sonst ver- einzelt gebraucht, passt recht in Gottfried's Redeweise; vgl. 17975. — 176 tugent steht häufig im Plural; tugende hier: Vorzüge, Zierden. — 179 lieben swv. intrans. (wie in V. 27) hier mit dat. der Person. — 180 dâ im vorhergehenden Vers gehört zu van. van = von, eine Alterthümlich- keit (keine dialektische Besonderheit), bei Gottfried sehr häufig, aber nur als Abverb und im Reime. — 181 stœte adj., beständig, fest, synonym mit triuwe; vgl. 12941. 16404. — 183 geliebet perf., hat beliebt, ist lieb geworden. — niemer — noch (184) = nhd. nimmer — und. — 184 sô—sô— só = s0 — so — wie. — 185 herzeliebe nicht dat. von -liebe stf., was schon liebe (186) sti- listisch verbietet, sondern von herzeliep stn.; vgl. zu 61. — 186 hier ist klagen swv. mit acc. nicht: beklagen, sondern: etwas klagen [nhd. von Krankheiten gesagt], innerlicher und passiv gefasst: etwas schmerzlich em- pfinden ; vgl. zu 198. — 187 sœlec adj., (selig), gesegnet. — 188 sœleclîch adj., synonyme Bildung von sœlec, hier im Gegensatze subjectiv zu fassen: segen- bringend, beglückend. — gerinc stm., Ringen, Bemühen. — 190 noch—noch =nhd. weder—noch. — 191 wert adj. unflect. = werdez, werth, glücklich. —liebe ist nom. — frumen swy., schaffen, bewirken. — sô vertritt das Object: wie es die L. schafft oder: welches u. s. w. — 192 = sô vil tugende (gen. pl.) sô . . . — 193 der aus dâr pron. adv., da, noch jetzt nach dem Relativum, namentlich in der Bibelsprache. Dieselbe Wendung in V. 1410; collectiv für : alle, die da leben. — 195 lützel adj., wenig, klein ; hier neutr. subst. (ähnlich wie vil), wenig. —
I. EINGANG. 13 ez liebet liebe und edelt muot, ez stætet triuwe und tugendet leben, ez kan wol lebene tugende geben; wan swâ man hoeret oder list daz von sô reinen triuwen ist, dâ liebent dem getriuwen man triuwe und ander tugende van liebe, triuwe, stæter muot, êre und ander manic guot, daz geliebet niemer anderswâ sô sêre noch sô wol sô dâ, dâ man von herzeliebe saget und herzeleit ûz liebe klaget. lieb' ist ein alsô sælec dinc, ein alsô sæleclîch gerinc, daz niemen âne ir lêre noch tugende hât noch êre. sô manec wert leben, sô liebe frumet, sô vil sô tugende von ir kumet, owê daz allez, daz der lebet, nâch herzeliebe niene strebet, daz ich sô lützel vinde der, 180 185 190 175 195 174 lieben swv., hier trans. (ahd. liubju), lieb, angenehm machen wie noch in V. 8297. (Das Wort erhalten nur in der andern Bedeutung amare, lieb haben, und dieses bei Gottfried nur mit dem Acc. der Sache wie in V. 12351. 18982 ; eine Person lieben ist minnen; vgl. zu 27. 492.) — edelen, edeln swv., veredeln. — 175 staten swv., stätigen, stätig machen. — tugenden swv., mit Tugenden zieren, werthvoll machen; das Wort, auch sonst ver- einzelt gebraucht, passt recht in Gottfried's Redeweise; vgl. 17975. — 176 tugent steht häufig im Plural; tugende hier: Vorzüge, Zierden. — 179 lieben swv. intrans. (wie in V. 27) hier mit dat. der Person. — 180 dâ im vorhergehenden Vers gehört zu van. van = von, eine Alterthümlich- keit (keine dialektische Besonderheit), bei Gottfried sehr häufig, aber nur als Abverb und im Reime. — 181 stœte adj., beständig, fest, synonym mit triuwe; vgl. 12941. 16404. — 183 geliebet perf., hat beliebt, ist lieb geworden. — niemer — noch (184) = nhd. nimmer — und. — 184 sô—sô— só = s0 — so — wie. — 185 herzeliebe nicht dat. von -liebe stf., was schon liebe (186) sti- listisch verbietet, sondern von herzeliep stn.; vgl. zu 61. — 186 hier ist klagen swv. mit acc. nicht: beklagen, sondern: etwas klagen [nhd. von Krankheiten gesagt], innerlicher und passiv gefasst: etwas schmerzlich em- pfinden ; vgl. zu 198. — 187 sœlec adj., (selig), gesegnet. — 188 sœleclîch adj., synonyme Bildung von sœlec, hier im Gegensatze subjectiv zu fassen: segen- bringend, beglückend. — gerinc stm., Ringen, Bemühen. — 190 noch—noch =nhd. weder—noch. — 191 wert adj. unflect. = werdez, werth, glücklich. —liebe ist nom. — frumen swy., schaffen, bewirken. — sô vertritt das Object: wie es die L. schafft oder: welches u. s. w. — 192 = sô vil tugende (gen. pl.) sô . . . — 193 der aus dâr pron. adv., da, noch jetzt nach dem Relativum, namentlich in der Bibelsprache. Dieselbe Wendung in V. 1410; collectiv für : alle, die da leben. — 195 lützel adj., wenig, klein ; hier neutr. subst. (ähnlich wie vil), wenig. —
Strana 14
14 I. EINGANG. die lûterlîche herzeger durch friunt ze herzen wellen tragen niwan durch daz vil arme klagen, daz hie bi z'etelîcher zît verborgen in dem herzen lît. 200 War umbe enlite ein edeler muot niht gerne ein übel durch tûsent guot, durch manege froude ein ungemach? swem nie von liebe leit geschach, dem geschách ouch liep von liebe nie. liep unde leit diu waren ie an minnen ungescheiden. man muoz mit disen beiden êr' unde lop erwerben oder âne si verderben. von den diz senemære seit, und hæten die durch liebe leit, durch herzewunne senedez klagen in einem herzen niht getragen, sone ware ir name und ir geschiht sô manegem edelen herzen niht ze sælden noch ze liebe komen. uns ist noch hiute liep vernomen, süeze und iemer niuwe ir inneclîchiu triuwe, ir liep, ir leit, ir wunne, ir nôt; 205 210 215 (7) 220 196 lûterlîch adj., lauter. — herzeger stf., Herzenssehnsucht, Herzensnei- gung. — 198 wir sagen: und nur. — vil adv. zur Verstärkung, gar, sehr. — arm adj., gering (wohl nicht: erbärmlich, wie es Benecke zu fassen scheint zu Iwein 2847). — klagen subst. inf. stn., hier nicht das laute Kla- gen, der Schmerzausdruck, sondern die Schmerzempfindung, das Leid. — 199 hie bî nämlich bei der herzeger. — etelîch, auch eteslîch = etlich, manch ; z'etelîcher zît, bisweilen. — 191—200 Der Dichter beklagt, daß trotz des Glückes der Liebe und ihrer schönen Wirkungen doch so wenige lieben wollen und zwar nur um das ganz geringe Leid, welches unmerk- lich mit der Liebe verbunden ist, zu vermeiden. 202 guot ist Plural: Wohlthaten, wohlthuende Empfindungen. — 207 un- gescheiden part. adj., ungeschieden: in, bei der Minne vereint. — 211 ab- hängig von die in V. 212. — 212 und mit folg. Conj. conditional; wir können dieses und vielfach gerade so setzen, in der Regel reicht der Con- junctiv aus: hätten die u. s. w. Gottfried liebt dies conditionale und, vgl. z. B. V. 222. 2376. 6062. 13724. — 215 geschicht stf., Geschichte, Schick- sal. — 217 salden dat. pl. von salde stf., Glück, Heil; häufig wie hier im Plural gebraucht. — 218 vernomen s. zu 172; ähnliche Wendung in V. 5175. — 219 Apposition zu liep in V. 218. — niuwe adj., frisch und er- frischend, etwa: anziehend. —
14 I. EINGANG. die lûterlîche herzeger durch friunt ze herzen wellen tragen niwan durch daz vil arme klagen, daz hie bi z'etelîcher zît verborgen in dem herzen lît. 200 War umbe enlite ein edeler muot niht gerne ein übel durch tûsent guot, durch manege froude ein ungemach? swem nie von liebe leit geschach, dem geschách ouch liep von liebe nie. liep unde leit diu waren ie an minnen ungescheiden. man muoz mit disen beiden êr' unde lop erwerben oder âne si verderben. von den diz senemære seit, und hæten die durch liebe leit, durch herzewunne senedez klagen in einem herzen niht getragen, sone ware ir name und ir geschiht sô manegem edelen herzen niht ze sælden noch ze liebe komen. uns ist noch hiute liep vernomen, süeze und iemer niuwe ir inneclîchiu triuwe, ir liep, ir leit, ir wunne, ir nôt; 205 210 215 (7) 220 196 lûterlîch adj., lauter. — herzeger stf., Herzenssehnsucht, Herzensnei- gung. — 198 wir sagen: und nur. — vil adv. zur Verstärkung, gar, sehr. — arm adj., gering (wohl nicht: erbärmlich, wie es Benecke zu fassen scheint zu Iwein 2847). — klagen subst. inf. stn., hier nicht das laute Kla- gen, der Schmerzausdruck, sondern die Schmerzempfindung, das Leid. — 199 hie bî nämlich bei der herzeger. — etelîch, auch eteslîch = etlich, manch ; z'etelîcher zît, bisweilen. — 191—200 Der Dichter beklagt, daß trotz des Glückes der Liebe und ihrer schönen Wirkungen doch so wenige lieben wollen und zwar nur um das ganz geringe Leid, welches unmerk- lich mit der Liebe verbunden ist, zu vermeiden. 202 guot ist Plural: Wohlthaten, wohlthuende Empfindungen. — 207 un- gescheiden part. adj., ungeschieden: in, bei der Minne vereint. — 211 ab- hängig von die in V. 212. — 212 und mit folg. Conj. conditional; wir können dieses und vielfach gerade so setzen, in der Regel reicht der Con- junctiv aus: hätten die u. s. w. Gottfried liebt dies conditionale und, vgl. z. B. V. 222. 2376. 6062. 13724. — 215 geschicht stf., Geschichte, Schick- sal. — 217 salden dat. pl. von salde stf., Glück, Heil; häufig wie hier im Plural gebraucht. — 218 vernomen s. zu 172; ähnliche Wendung in V. 5175. — 219 Apposition zu liep in V. 218. — niuwe adj., frisch und er- frischend, etwa: anziehend. —
Strana 15
I. EINGANG. 15 al eine und sîn si lange tôt, ir süezer name der lebet iedoch, und sol ir tôt der werlde noch ze guote lange und iemer leben, den triuwe gernden triuwe geben, den êre gernden êre: ir tôt muoz iemer mêre uns lebenden leben und niuwe wesen; wan swâ man noch gehoret lesen ir triuwe, ir triuwen reinekeit, ir herzeliep, ir herzeleit, 225 230 Deist aller edelen herzen brôt. hie mite sô lebet ir beider tôt. wir lesen ir leben, wir lesen ir tôt: und ist uns daz süez' alse brôt. 235 Ir leben, ir tôt sint unser brôt. sus lebet ir leben, sus lebet ir tôt. sus lebent si noch und sint doch tôt, und ist ir tôt der lebenden brôt. [240] (8) Und swer nu ger, daz man im sage ir leben, ir tôt, ir fröude, ir klage, der biete herze und ôren her: er vindet alle sîne ger. 240 222 al eine adv. conj., (allein), obgleich. und als Conditionalpart. tritt verstärkend hinzu [vgl. nhd. wenn auch, obgleich auch]. — 230 noch adv., noch fernerhin, in Zukunft. — gehoren, verstärktes hœren; bei Gottfried öfter. 233— [240]. In Hagen's Ausgabe sind 2 Verse nicht mitgezählt. — Diese beiden Strophen mit der spielenden Wiederholung derselben Reime machen keinen künstlerischen Eindruck. Sie auf eine zu reducieren, macht Schwierigkeiten. Ich gebe Hermann Kurtz recht, wenn er in seinen An- merkungen S. 586 sagt: «Sollten diese Zeilen je von Gottfried herrühren, so müsste man doch annehmen, daf sie versuchsweise auf den ersten Wurf in sein Manuscript kamen und der späteren Uberarbeitung beson- ders vorbehalten blieben.» 240 klage stf., hier (wie klagen in V. 198) der fröude entgegengesetzt: der Schmerz. — 242 ger stf., Begehren, Wunsch; hier objectiv: was er wünscht; vgl. zn 452.
I. EINGANG. 15 al eine und sîn si lange tôt, ir süezer name der lebet iedoch, und sol ir tôt der werlde noch ze guote lange und iemer leben, den triuwe gernden triuwe geben, den êre gernden êre: ir tôt muoz iemer mêre uns lebenden leben und niuwe wesen; wan swâ man noch gehoret lesen ir triuwe, ir triuwen reinekeit, ir herzeliep, ir herzeleit, 225 230 Deist aller edelen herzen brôt. hie mite sô lebet ir beider tôt. wir lesen ir leben, wir lesen ir tôt: und ist uns daz süez' alse brôt. 235 Ir leben, ir tôt sint unser brôt. sus lebet ir leben, sus lebet ir tôt. sus lebent si noch und sint doch tôt, und ist ir tôt der lebenden brôt. [240] (8) Und swer nu ger, daz man im sage ir leben, ir tôt, ir fröude, ir klage, der biete herze und ôren her: er vindet alle sîne ger. 240 222 al eine adv. conj., (allein), obgleich. und als Conditionalpart. tritt verstärkend hinzu [vgl. nhd. wenn auch, obgleich auch]. — 230 noch adv., noch fernerhin, in Zukunft. — gehoren, verstärktes hœren; bei Gottfried öfter. 233— [240]. In Hagen's Ausgabe sind 2 Verse nicht mitgezählt. — Diese beiden Strophen mit der spielenden Wiederholung derselben Reime machen keinen künstlerischen Eindruck. Sie auf eine zu reducieren, macht Schwierigkeiten. Ich gebe Hermann Kurtz recht, wenn er in seinen An- merkungen S. 586 sagt: «Sollten diese Zeilen je von Gottfried herrühren, so müsste man doch annehmen, daf sie versuchsweise auf den ersten Wurf in sein Manuscript kamen und der späteren Uberarbeitung beson- ders vorbehalten blieben.» 240 klage stf., hier (wie klagen in V. 198) der fröude entgegengesetzt: der Schmerz. — 242 ger stf., Begehren, Wunsch; hier objectiv: was er wünscht; vgl. zn 452.
Strana 16
II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. Ein junger Fürst in Parmenien, Riwalin mit Namen und mit dem Beinamen Kanelengres, zieht gegen den bretonischen Herzog Morgan, von dem er ein Lehen besaßs, zu Felde. Mit wechselndem Glücke wird der Krieg geführt. Endlich schließen sie auf ein Jahr lang Friede, und Ri- walin kehrt voll Befriedigung in sein Land zurück. Kanel rüstet sich zu einer neuen, aber friedlichen Fahrt an den Hof Marke's, des jungen weitberühmten Königs von Kurnewal und Engeland. Parmenien vertraut er der Obhut seines Marschalls Rual li foitenant. König Marke empfängt den Gast mit allen Ehren. Beim lieblichen Maienfeste in Tintajoel's Nähe werden Ritterspiele gehalten, in welchen sich Riwalin glänzend hervorthut und aller Frauen Wohlgefallen erregt. Er sieht Marke's schöne Schwester Blanscheflur und begrüßt sie. Bald vereint beide eine glühende Neigung. Nach Beendigung des Festes bricht ein Feind in Marke's Land. Ri- walin im Heere der Landesvertheidiger wird auf den Tod verwundet. Nie- mand trägt gröfseres Leid als Blanscheflur. In Verkleidung sucht sie den Todtwunden in seiner Einsamkeit auf und ergibt sich ihm in inniger Um- armung, nicht ahnend, dafs sie mit dem empfangenen Kinde den Tod em- pfangen sollte. Riwalin gesundet, und die Liebenden geniessen in traulichem Umgange des höchsten Erdenglücks. Nicht lange danach kommt Riwalin die Kunde, Morgan bedrohe sein Land, und er rüstet sich zur Heimkehr. Sein Scheiden betrauert Blansche- flur aufs tiefste. Beim Abschiede gesteht sie ihm ihre drohende Schande. Riwalin tröstet und überredet sie, mit ihm das Land zu verlassen. Nach der Ankunft in Parmenien entbietet er seinen Marschall Rual zu sich, auf dessen Rath er sich mit Blanscheflur ehelich verbindet. In sicherer Obhut lässt er sein Weib zurück und zieht mit Rual gegen den Feind. In har- tem Kampfe findet Riwalin den Tod. Blanscheflur wird vom Schmerze überwältigt, gebiert ein Söhnlein und stirbt.
II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. Ein junger Fürst in Parmenien, Riwalin mit Namen und mit dem Beinamen Kanelengres, zieht gegen den bretonischen Herzog Morgan, von dem er ein Lehen besaßs, zu Felde. Mit wechselndem Glücke wird der Krieg geführt. Endlich schließen sie auf ein Jahr lang Friede, und Ri- walin kehrt voll Befriedigung in sein Land zurück. Kanel rüstet sich zu einer neuen, aber friedlichen Fahrt an den Hof Marke's, des jungen weitberühmten Königs von Kurnewal und Engeland. Parmenien vertraut er der Obhut seines Marschalls Rual li foitenant. König Marke empfängt den Gast mit allen Ehren. Beim lieblichen Maienfeste in Tintajoel's Nähe werden Ritterspiele gehalten, in welchen sich Riwalin glänzend hervorthut und aller Frauen Wohlgefallen erregt. Er sieht Marke's schöne Schwester Blanscheflur und begrüßt sie. Bald vereint beide eine glühende Neigung. Nach Beendigung des Festes bricht ein Feind in Marke's Land. Ri- walin im Heere der Landesvertheidiger wird auf den Tod verwundet. Nie- mand trägt gröfseres Leid als Blanscheflur. In Verkleidung sucht sie den Todtwunden in seiner Einsamkeit auf und ergibt sich ihm in inniger Um- armung, nicht ahnend, dafs sie mit dem empfangenen Kinde den Tod em- pfangen sollte. Riwalin gesundet, und die Liebenden geniessen in traulichem Umgange des höchsten Erdenglücks. Nicht lange danach kommt Riwalin die Kunde, Morgan bedrohe sein Land, und er rüstet sich zur Heimkehr. Sein Scheiden betrauert Blansche- flur aufs tiefste. Beim Abschiede gesteht sie ihm ihre drohende Schande. Riwalin tröstet und überredet sie, mit ihm das Land zu verlassen. Nach der Ankunft in Parmenien entbietet er seinen Marschall Rual zu sich, auf dessen Rath er sich mit Blanscheflur ehelich verbindet. In sicherer Obhut lässt er sein Weib zurück und zieht mit Rual gegen den Feind. In har- tem Kampfe findet Riwalin den Tod. Blanscheflur wird vom Schmerze überwältigt, gebiert ein Söhnlein und stirbt.
Strana 17
II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. 17 Ein hêrre in Parmenie was, der járe ein kint, als ich ez las: der was, als uns diu wârhéit an sîner âventiure seit, wol an gebürte künege genôz, an lande fürsten ebengrôz, des libes schœne und wunneclich, getriuwe, küene, milte, rîch; und den er froude solte tragen, den was der hêrre in sînen tagen ein fröude berndiu sunne. er was der werlde ein wunne, der ritterschefte ein lêre, sîner mâge ein êre, sînes landes zuoversiht: an ime brast aller tugende niht, der hêrre haben solde, wan daz er ze verre wolde in sînes herzen lusten sweben und niwan nâch sînem willen leben; daz ime ouch sît ze leide ergie. wan leider diz ist und was ie : ûf gêndiu jugent und vollez guot, diu zwei diu füerent übermuot. 245 250 255 260 265 243 hérre swm. mit é: die Kürze bei G. nicht erwiesen. Das vieldeu- tige Wort kann in den meisten Fällen durch: Herr wiedergegeben wer- den, indem auch im neuen Worte, poetisch gefasst, die Begriffe wie Gott, Ritter, Fürst u. s. w. enthalten sind. Erklärungen im Einzelnen daher nicht geboten. — 244 ein kint, überhaupt: jung, ein Jüngling, Knabe. — 246 âventiure stf. synonym mit geschiht, hier: Geschichte. — 248 ebengrôz adj., gleich an Größe, Macht [vgl. ebenbürtig] : G. liebt diese Bildungen mit eben ; s. auch zu 10874. — 247. 248 künec geht hier auf die Geburt, fürste auf die Herrschaft, darum folgt der letztere Vergleich als Steigerung an zweiter Stelle. — 250 stilgemäßer ist milte, rîch, als milte rich, mildreich, reich an Milde, sehr freigebig (vgl. vier Bezeichnungen ohne Copula in éiner Zeile z. B. in V. 2915). — milte adj., mild oder: freigebig. — unter rîch (volle Form rîche in V. 745) adj. kann nicht reich, mächtig verstanden sein, was schon vorher gesagt ist, und weil hier Tugenden genannt werden; man könnte denken: charaktervoll, von mächtiger Persönlichkeit; wahrschein- licher ist rîch im Sinne von freigebig, Steigerung von milte, und dieses wäre in unserm Sinne mild, voll Herzensgüte; vgl. zu 4469. — 251 fröude steht hier synonym mit muot, hulde; vgl. zu 54. 773. — 253 bern stv., bringen, auch hervorbringen, gewähren; ein edeles, poetisches, bei G. besonders beliebtes Wort. fröude bernde, freudebringend, erfreuend. — 256 mâc stm., gen. müges, Verwandter. — 258 bresten stv. mit gen., hier in übertragener Bedeutung: gebrechen, an etwas fehlen. — 259 Attraction möglich = der tugende die; eher der gen. part., quarum; vgl. 2543. — hérre=ein hêrre. — 260 wan daz, nur daſs. — ze verre adv., zu weit, allzusehr. — 263 sit adv., seitdem, einst. — 266 ähnlich V. 8406. — bei übermuot wie in V. 340 nicht ersichtlich, ob stm. oder stf.; s. zu 297. 582. — GOTTFRIED VON STRASSEURG. 1. 2. Aufl.
II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. 17 Ein hêrre in Parmenie was, der járe ein kint, als ich ez las: der was, als uns diu wârhéit an sîner âventiure seit, wol an gebürte künege genôz, an lande fürsten ebengrôz, des libes schœne und wunneclich, getriuwe, küene, milte, rîch; und den er froude solte tragen, den was der hêrre in sînen tagen ein fröude berndiu sunne. er was der werlde ein wunne, der ritterschefte ein lêre, sîner mâge ein êre, sînes landes zuoversiht: an ime brast aller tugende niht, der hêrre haben solde, wan daz er ze verre wolde in sînes herzen lusten sweben und niwan nâch sînem willen leben; daz ime ouch sît ze leide ergie. wan leider diz ist und was ie : ûf gêndiu jugent und vollez guot, diu zwei diu füerent übermuot. 245 250 255 260 265 243 hérre swm. mit é: die Kürze bei G. nicht erwiesen. Das vieldeu- tige Wort kann in den meisten Fällen durch: Herr wiedergegeben wer- den, indem auch im neuen Worte, poetisch gefasst, die Begriffe wie Gott, Ritter, Fürst u. s. w. enthalten sind. Erklärungen im Einzelnen daher nicht geboten. — 244 ein kint, überhaupt: jung, ein Jüngling, Knabe. — 246 âventiure stf. synonym mit geschiht, hier: Geschichte. — 248 ebengrôz adj., gleich an Größe, Macht [vgl. ebenbürtig] : G. liebt diese Bildungen mit eben ; s. auch zu 10874. — 247. 248 künec geht hier auf die Geburt, fürste auf die Herrschaft, darum folgt der letztere Vergleich als Steigerung an zweiter Stelle. — 250 stilgemäßer ist milte, rîch, als milte rich, mildreich, reich an Milde, sehr freigebig (vgl. vier Bezeichnungen ohne Copula in éiner Zeile z. B. in V. 2915). — milte adj., mild oder: freigebig. — unter rîch (volle Form rîche in V. 745) adj. kann nicht reich, mächtig verstanden sein, was schon vorher gesagt ist, und weil hier Tugenden genannt werden; man könnte denken: charaktervoll, von mächtiger Persönlichkeit; wahrschein- licher ist rîch im Sinne von freigebig, Steigerung von milte, und dieses wäre in unserm Sinne mild, voll Herzensgüte; vgl. zu 4469. — 251 fröude steht hier synonym mit muot, hulde; vgl. zu 54. 773. — 253 bern stv., bringen, auch hervorbringen, gewähren; ein edeles, poetisches, bei G. besonders beliebtes Wort. fröude bernde, freudebringend, erfreuend. — 256 mâc stm., gen. müges, Verwandter. — 258 bresten stv. mit gen., hier in übertragener Bedeutung: gebrechen, an etwas fehlen. — 259 Attraction möglich = der tugende die; eher der gen. part., quarum; vgl. 2543. — hérre=ein hêrre. — 260 wan daz, nur daſs. — ze verre adv., zu weit, allzusehr. — 263 sit adv., seitdem, einst. — 266 ähnlich V. 8406. — bei übermuot wie in V. 340 nicht ersichtlich, ob stm. oder stf.; s. zu 297. 582. — GOTTFRIED VON STRASSEURG. 1. 2. Aufl.
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18 II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. vertragen, daz doch vil manic man in michelem gewalte kan, dar an gedâhte er selten; übel mit übele gelten, kraft erzeigen wider kraft: dar zuo was er gedancháft. 270 (9) Nune lóufet ez die lenge niht, der allez daz, daz ime geschiht, mit Karles lôte gelten wil. weiz got, der man muoz harte vil an disem borge übersehen oder ime muoz dicke schade geschehen. swer dehéinen schaden vertragen kan, dâ wahsent dicke schaden an, und ist ein véiclîcher site: hie vâhet man den beren mite, der richet éinzéle schaden, unz er mit schaden wirt beladen. ich wæne, ouch ime alsam geschach, wan er sich alse vil gerach, 275 280 285 267 vertragen inf. subst., verträglich geschehen lassen. — 268 selbst bei groffer Gewalt, Macht. — 269 selten adv. [das Adj. neueren Ursprungs] könnte jetzt ebenfalls in solcher Verbindung gesagt werden; ebenso V. 4421. selten hat meist die Bedeutung : niemals; vgl. 4418. 12819. Eine Ironie liegt aber hierin keineswegs, wie vom Begriff des modernen Adjectivs aus gelehrt wird, sondern selten ist einfach schwächer geworden und hat den Charakter der Negation eingebüßt; vgl. zu 322. — 270 gelten stv., vergelten. — 271 kraft stf., Gewalt, Gewaltthat. — 272 gedanchaft adj., auf etwas denkend, be- dacht; ein von G. gern gebrauchtes Wort, sonst äufserst selten. 273 G. liebt die Fortführung der Erzählung mit nu, demonstrativ und relativ, mit folgendem Præsens wie mit folgendem Præet.; vgl. z. B. 534. 1636. 3251. 3377 und zu 333. 435. — die lenge loufen = nhd. die Länge, auf die Länge, Dauer gehen. — 274 der = swer. — 275 wörtl.: mit Karl's (des großen Kaisers) Loth (Gewicht) vergelten (abwägen), eine im Mhd. beliebte formelhafte Wendung: «etwas nach der gröfsten Strenge erwidern, dem Andern nicht das Geringste übersehen oder zu Gute halten.» Benecke. — 276 weiz gót oder wéizgot gehört zu den häufigsten Betheuerungen im Tristan. — der man, hier wie man ; vgl. Gr. 4, 459. — 277 borc stm., das Er- borgte, dann überhaupt: das Zugefügte (vgl. das übertragene vergelten); borc als Wort von Kurtz gut gegeben durch : «Handel ".— 280 an wahsen, daraus erwachsen. — dicke adv., oft ; compar. dicker 6440, superl. dickest 5076. — schade swm. hier im Plural (wie in V. 283), Schäden, Verluste; ähn- liche Wendungen in V. 1065. 1239. — 281 veiclîch adj., (eigentlich: zum Tode bestimmt), unselig. — site stm., Sitte stf., Brauch, im Allgemeinen auch : Art und Weise ; site bei G. im Ganzen nicht häufig, mit Vorliebe dagegen in Compositionen angewandt wie bastsite, hovesite u. s. w. — 283 gemeint sind die einzelnen Bienenstiche. — 285 wœnen swv., über- haupt: glauben, meinen. — alsam (al-sam s. zu 8490) adv., ganz so, eben- so. — 286 wan = wande conj. im Nebensatze, weil; s. zu 77. — gerach wohl nicht præt. von gerechen wie in V. 10213, verstärktes rechen, son- dern ge- drückt die Gewohnheit aus: sich zu rächen pflegte; das Plus- quamperfect dagegen in V. 18932. —
18 II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. vertragen, daz doch vil manic man in michelem gewalte kan, dar an gedâhte er selten; übel mit übele gelten, kraft erzeigen wider kraft: dar zuo was er gedancháft. 270 (9) Nune lóufet ez die lenge niht, der allez daz, daz ime geschiht, mit Karles lôte gelten wil. weiz got, der man muoz harte vil an disem borge übersehen oder ime muoz dicke schade geschehen. swer dehéinen schaden vertragen kan, dâ wahsent dicke schaden an, und ist ein véiclîcher site: hie vâhet man den beren mite, der richet éinzéle schaden, unz er mit schaden wirt beladen. ich wæne, ouch ime alsam geschach, wan er sich alse vil gerach, 275 280 285 267 vertragen inf. subst., verträglich geschehen lassen. — 268 selbst bei groffer Gewalt, Macht. — 269 selten adv. [das Adj. neueren Ursprungs] könnte jetzt ebenfalls in solcher Verbindung gesagt werden; ebenso V. 4421. selten hat meist die Bedeutung : niemals; vgl. 4418. 12819. Eine Ironie liegt aber hierin keineswegs, wie vom Begriff des modernen Adjectivs aus gelehrt wird, sondern selten ist einfach schwächer geworden und hat den Charakter der Negation eingebüßt; vgl. zu 322. — 270 gelten stv., vergelten. — 271 kraft stf., Gewalt, Gewaltthat. — 272 gedanchaft adj., auf etwas denkend, be- dacht; ein von G. gern gebrauchtes Wort, sonst äufserst selten. 273 G. liebt die Fortführung der Erzählung mit nu, demonstrativ und relativ, mit folgendem Præsens wie mit folgendem Præet.; vgl. z. B. 534. 1636. 3251. 3377 und zu 333. 435. — die lenge loufen = nhd. die Länge, auf die Länge, Dauer gehen. — 274 der = swer. — 275 wörtl.: mit Karl's (des großen Kaisers) Loth (Gewicht) vergelten (abwägen), eine im Mhd. beliebte formelhafte Wendung: «etwas nach der gröfsten Strenge erwidern, dem Andern nicht das Geringste übersehen oder zu Gute halten.» Benecke. — 276 weiz gót oder wéizgot gehört zu den häufigsten Betheuerungen im Tristan. — der man, hier wie man ; vgl. Gr. 4, 459. — 277 borc stm., das Er- borgte, dann überhaupt: das Zugefügte (vgl. das übertragene vergelten); borc als Wort von Kurtz gut gegeben durch : «Handel ".— 280 an wahsen, daraus erwachsen. — dicke adv., oft ; compar. dicker 6440, superl. dickest 5076. — schade swm. hier im Plural (wie in V. 283), Schäden, Verluste; ähn- liche Wendungen in V. 1065. 1239. — 281 veiclîch adj., (eigentlich: zum Tode bestimmt), unselig. — site stm., Sitte stf., Brauch, im Allgemeinen auch : Art und Weise ; site bei G. im Ganzen nicht häufig, mit Vorliebe dagegen in Compositionen angewandt wie bastsite, hovesite u. s. w. — 283 gemeint sind die einzelnen Bienenstiche. — 285 wœnen swv., über- haupt: glauben, meinen. — alsam (al-sam s. zu 8490) adv., ganz so, eben- so. — 286 wan = wande conj. im Nebensatze, weil; s. zu 77. — gerach wohl nicht præt. von gerechen wie in V. 10213, verstärktes rechen, son- dern ge- drückt die Gewohnheit aus: sich zu rächen pflegte; das Plus- quamperfect dagegen in V. 18932. —
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II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. 19 biz er den schaden dar an genam. daz aber er ie ze schaden kam, daz enkóm von árchéite niht, dâ von doch manegem schade geschiht: ez kom von dem geleite sîner kinthéite, daz er in sîner blüenden jugent mit jugentlîcher hêrren tugent wider sîn selbes saelden streit. daz geschúof sîn spilndiu kinthéit, diu mit ir übermuote in sînem herzen bluote. er tete vil rehte als elliu kint, diu selten vorbesihtec sint: er nam vür sich niht sorgen war, wan lebete und lebete und lebte êt dar. dô sîn leben ze lebene vienc, ûf alse der tagesterne gienc und lachende in die werlde sach, dô wânde er, des doch niene geschach, daz er iemer alsô solte leben und in der lebenden süeze sweben. 290 295 300 305 Nein sines lébenés begin der gie mit kurzem lebene hin; diu morgenlîche sunne sîner wérltwunne, dô diu von êrste spiln began, dô viel sin gæher âbent an, der ime vor was verborgen, und laschte im sînen morgen. 310 315 287 genemen = nemen. — 289 archeit stf., Bosheit, arge, übele Gesinnung. — 291 geleite stn. mit gen. poetisch umschreibend =von seiner Jugend (s. zu 244); vgl. 2068. — 293 daz conj., indem, weil. — 294 tugent, hier: Strebsam- keit (die sich in Thatenlust zeigt). — 295 wider præp. im Mhd. vorzugs- weise mit dat.; erwiesen im Reime z. B. in V. 14051. — sîn selbes, sui ipsius ; wir sagen: sein eigen. — 296 geschaffen = schaffen. — spiln swv., (spielen), sich erfreuen; spilnde part., vergnügt, heiter. — 297 übermuote dat. von übermuot stm., Hochgefühl, stolzer Sinn; vgl. zu 582. — 300 vorbesihtec adj., vorsichtig, vorsorglich. — 302 wan adv. conj., hier nach Negation: sondern. — êt (aus eht) adv., eben, einmal, dem oberd. halt, halter ent- sprechend, von G. wirksam angewandt. — dar adv., dahin. — 303 dó conj. = da (immer zeitlich und causal); in V. 306 dô adv.; vgl. zu 11. 470. — vâhen stv., hier: anfangen. — 304 tagesterne swm.=Morgenstern. — 308 in der lebenden Süssigkeit, im süßen Dasein. 313 von êrste, zuerst. — spiln swv., hier: funkeln. — 314 gœhe adj., jäh, plötzlich. — an vallen, hereinfallen, anbrechen. — 315 vor adv., vor- her; vgl. zu 2070. — 2
II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. 19 biz er den schaden dar an genam. daz aber er ie ze schaden kam, daz enkóm von árchéite niht, dâ von doch manegem schade geschiht: ez kom von dem geleite sîner kinthéite, daz er in sîner blüenden jugent mit jugentlîcher hêrren tugent wider sîn selbes saelden streit. daz geschúof sîn spilndiu kinthéit, diu mit ir übermuote in sînem herzen bluote. er tete vil rehte als elliu kint, diu selten vorbesihtec sint: er nam vür sich niht sorgen war, wan lebete und lebete und lebte êt dar. dô sîn leben ze lebene vienc, ûf alse der tagesterne gienc und lachende in die werlde sach, dô wânde er, des doch niene geschach, daz er iemer alsô solte leben und in der lebenden süeze sweben. 290 295 300 305 Nein sines lébenés begin der gie mit kurzem lebene hin; diu morgenlîche sunne sîner wérltwunne, dô diu von êrste spiln began, dô viel sin gæher âbent an, der ime vor was verborgen, und laschte im sînen morgen. 310 315 287 genemen = nemen. — 289 archeit stf., Bosheit, arge, übele Gesinnung. — 291 geleite stn. mit gen. poetisch umschreibend =von seiner Jugend (s. zu 244); vgl. 2068. — 293 daz conj., indem, weil. — 294 tugent, hier: Strebsam- keit (die sich in Thatenlust zeigt). — 295 wider præp. im Mhd. vorzugs- weise mit dat.; erwiesen im Reime z. B. in V. 14051. — sîn selbes, sui ipsius ; wir sagen: sein eigen. — 296 geschaffen = schaffen. — spiln swv., (spielen), sich erfreuen; spilnde part., vergnügt, heiter. — 297 übermuote dat. von übermuot stm., Hochgefühl, stolzer Sinn; vgl. zu 582. — 300 vorbesihtec adj., vorsichtig, vorsorglich. — 302 wan adv. conj., hier nach Negation: sondern. — êt (aus eht) adv., eben, einmal, dem oberd. halt, halter ent- sprechend, von G. wirksam angewandt. — dar adv., dahin. — 303 dó conj. = da (immer zeitlich und causal); in V. 306 dô adv.; vgl. zu 11. 470. — vâhen stv., hier: anfangen. — 304 tagesterne swm.=Morgenstern. — 308 in der lebenden Süssigkeit, im süßen Dasein. 313 von êrste, zuerst. — spiln swv., hier: funkeln. — 314 gœhe adj., jäh, plötzlich. — an vallen, hereinfallen, anbrechen. — 315 vor adv., vor- her; vgl. zu 2070. — 2
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20 II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. wie er áber genennet ware, daz kündet uns diz mæere; (10) sin âventiure tuot ez schîn: sin rehter name was Riwalin, sîn ânam was Kanêlengres. genuoge jehent und wanent des: der selbe hêrre er wære ein Lóhnoîsâre, künec über daz lant ze Lohnoís: nu tuot uns aber Thômas gewis, der ez an den âventiuren las, daz er von Parmenîe was unde hæte ein sunderz lant von eines Brítûnes hant und solte dem sîn untertân: der selbe hiez liduc Morgân. Nu daz der hêrre Riwalin wol und nâch grôzen êren sin wol driu jar ritter was gewesen und hæte wol hin heim gelesen ganzliche kunst ze ritterschaft, ze urliug' vollecliche kraft, er hæte lant, liut' unde guot. weder éz dô nôt ald' übermuot geschüefe, des enweiz ich niht, wan als sîn âventiure giht, 320 325 330 335 340 321 anam, àname swm., Beiname, Spitzname. — 322 genuoc adj. flect., wäh- rend nhd. genug nur im Singular unflectiert steht; mhd. genuoc selten = hinreichend, meist = viel, grofs. Eine Ironie ist ebenso wenig wie bei selten (s. zu 269) vorhanden; der moderne Begriff verleitete zu der An- nahme. — des nicht direct abhängig von den Verben (jehen mit gen., wœenen mit acc.), sondern = deshalb, darüber, in dieser Sache. — 326 gewis tuon = gewiss machen, versichern. — 329 ein sunderz lant, ein besonderes Land, abgesondert vom Stammsitz Parmenien, insofern ein Lehen, was die folgenden Verse erläutern; vgl. sunderlant 5623. — 330 Britún stm., Breton. — 332 li französischer Artikel: vgl. 467. 3752. duc = neufran- zösisch ; liduc hier gewissermaßen als Name aufgefasst. 333 Nu daz, nachdem, sehr häufige relative Satzverbindung zur Weiter- führung der Erzählung bei G.; vgl. z. B. 407. 731. 2786. 5742. 6626 und zu 273. 435. — 336 hin heim, hin nach Hause, eine beliebte Wendung Gott- fried's. h. h. lesen, einheimsen, zu seinem Besten erwerben. — 337 gan:- lich adj., (gänzlich), vollkommen; bei G. nur adj. — 338 urliuge stn. Krieg. — 340 weder — alde (Nebenform von oder), ob — oder. — 342 wan hier elliptisch: das weiß ich nicht, aber nur so viel weißs ich, daf . . sô in V. 343 fasst zusammen; dieses wan etwa unserm: genug ent- sprechend, mit dem wir bei ausgesprochenem Zweifel die Behauptung fol- gen lassen, wenn wir mit: nur, aber, jedoch nicht ausreichen; vgl. 3170. —
20 II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. wie er áber genennet ware, daz kündet uns diz mæere; (10) sin âventiure tuot ez schîn: sin rehter name was Riwalin, sîn ânam was Kanêlengres. genuoge jehent und wanent des: der selbe hêrre er wære ein Lóhnoîsâre, künec über daz lant ze Lohnoís: nu tuot uns aber Thômas gewis, der ez an den âventiuren las, daz er von Parmenîe was unde hæte ein sunderz lant von eines Brítûnes hant und solte dem sîn untertân: der selbe hiez liduc Morgân. Nu daz der hêrre Riwalin wol und nâch grôzen êren sin wol driu jar ritter was gewesen und hæte wol hin heim gelesen ganzliche kunst ze ritterschaft, ze urliug' vollecliche kraft, er hæte lant, liut' unde guot. weder éz dô nôt ald' übermuot geschüefe, des enweiz ich niht, wan als sîn âventiure giht, 320 325 330 335 340 321 anam, àname swm., Beiname, Spitzname. — 322 genuoc adj. flect., wäh- rend nhd. genug nur im Singular unflectiert steht; mhd. genuoc selten = hinreichend, meist = viel, grofs. Eine Ironie ist ebenso wenig wie bei selten (s. zu 269) vorhanden; der moderne Begriff verleitete zu der An- nahme. — des nicht direct abhängig von den Verben (jehen mit gen., wœenen mit acc.), sondern = deshalb, darüber, in dieser Sache. — 326 gewis tuon = gewiss machen, versichern. — 329 ein sunderz lant, ein besonderes Land, abgesondert vom Stammsitz Parmenien, insofern ein Lehen, was die folgenden Verse erläutern; vgl. sunderlant 5623. — 330 Britún stm., Breton. — 332 li französischer Artikel: vgl. 467. 3752. duc = neufran- zösisch ; liduc hier gewissermaßen als Name aufgefasst. 333 Nu daz, nachdem, sehr häufige relative Satzverbindung zur Weiter- führung der Erzählung bei G.; vgl. z. B. 407. 731. 2786. 5742. 6626 und zu 273. 435. — 336 hin heim, hin nach Hause, eine beliebte Wendung Gott- fried's. h. h. lesen, einheimsen, zu seinem Besten erwerben. — 337 gan:- lich adj., (gänzlich), vollkommen; bei G. nur adj. — 338 urliuge stn. Krieg. — 340 weder — alde (Nebenform von oder), ob — oder. — 342 wan hier elliptisch: das weiß ich nicht, aber nur so viel weißs ich, daf . . sô in V. 343 fasst zusammen; dieses wan etwa unserm: genug ent- sprechend, mit dem wir bei ausgesprochenem Zweifel die Behauptung fol- gen lassen, wenn wir mit: nur, aber, jedoch nicht ausreichen; vgl. 3170. —
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I. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. 21 sô greif er Mórgânen an als einen schuldigen man. er kom geriten in sîn lant mit alse kréftiger hant, daz er im mit gewalte genuoge bürge valte; die stete muosen sich ergeben und leesen ir guot unde ir leben, reht’ alse liep als ez in was, unz er zesámené gelas gült' unde gúotés die kraft, daz er sîne ritterschaft sô stárké gemêrte, swar er mit her gekêrte, ez waeren bürge oder stete, daz er vil sînes willen tete. (11) ouch nam er dicke schaden dar an. er galt mit manegem biderben man; wan Morgân was an sîner wer, der bestúont in ófté mit her und tete in dicke schadehaft; wan z' urling' und ze ritterschaft hoerèt verlust únde gewin: hie mite sô gânt urliuge hin; verliesen unde gewinnen daz treit die kriege hinnen. ich wæne, im Morgân alsam tete ; er valte im ouch bürg' unde stete und brach im underwîlen abe sîne liute und sîne habe und tete im, swaz er mohte, daz doch niht vil entohte, 350 355 360 365 370 345 351 s. zu 6896. — 353 gülte stf., Zahlung, Zins. — kraft stf., hier: Menge.— 354 fg. Construction: 354. 355 (s6). 358 (daz). 356. 357 (swar, ez waren b. o. st., er mit h. gek.). — 355 gemêren swv., verst. mêren, vermehren. — 356 swar (sô-war) adv. correl., wohin. — kêren swv., sich wenden. ge- Function des Plusquamperf. — 360 gelten stv., hier: entgelten, büßen. — biderbe adj., tüchtig, tapfer. — 361 auf seiner Hut, zu seiner Wehr, Vertheidigung bereit. — 363 schadehaft tuon, schadhaft machen [nhd. nur noch von Sachen], in Schaden bringen; vgl. 762. — 365 hœren swv. = gehören. — 368 hinnen tragen heißt wohl: hinziehen, verlängern. — 371 underwilen (= under wilen dat. pl. von wîle) adv., zu Zeiten, bisweilen, öfters. — abe brechen mit dat. und acc., einem an etwas Abbruch thun. — 373 mohte nicht= nhd. mochte, wünschte, sondern = vermochte, konnte; mugen nur selten mit: mögen zu geben. — 374 tugen anom. v., taugen, nützen. —
I. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. 21 sô greif er Mórgânen an als einen schuldigen man. er kom geriten in sîn lant mit alse kréftiger hant, daz er im mit gewalte genuoge bürge valte; die stete muosen sich ergeben und leesen ir guot unde ir leben, reht’ alse liep als ez in was, unz er zesámené gelas gült' unde gúotés die kraft, daz er sîne ritterschaft sô stárké gemêrte, swar er mit her gekêrte, ez waeren bürge oder stete, daz er vil sînes willen tete. (11) ouch nam er dicke schaden dar an. er galt mit manegem biderben man; wan Morgân was an sîner wer, der bestúont in ófté mit her und tete in dicke schadehaft; wan z' urling' und ze ritterschaft hoerèt verlust únde gewin: hie mite sô gânt urliuge hin; verliesen unde gewinnen daz treit die kriege hinnen. ich wæne, im Morgân alsam tete ; er valte im ouch bürg' unde stete und brach im underwîlen abe sîne liute und sîne habe und tete im, swaz er mohte, daz doch niht vil entohte, 350 355 360 365 370 345 351 s. zu 6896. — 353 gülte stf., Zahlung, Zins. — kraft stf., hier: Menge.— 354 fg. Construction: 354. 355 (s6). 358 (daz). 356. 357 (swar, ez waren b. o. st., er mit h. gek.). — 355 gemêren swv., verst. mêren, vermehren. — 356 swar (sô-war) adv. correl., wohin. — kêren swv., sich wenden. ge- Function des Plusquamperf. — 360 gelten stv., hier: entgelten, büßen. — biderbe adj., tüchtig, tapfer. — 361 auf seiner Hut, zu seiner Wehr, Vertheidigung bereit. — 363 schadehaft tuon, schadhaft machen [nhd. nur noch von Sachen], in Schaden bringen; vgl. 762. — 365 hœren swv. = gehören. — 368 hinnen tragen heißt wohl: hinziehen, verlängern. — 371 underwilen (= under wilen dat. pl. von wîle) adv., zu Zeiten, bisweilen, öfters. — abe brechen mit dat. und acc., einem an etwas Abbruch thun. — 373 mohte nicht= nhd. mochte, wünschte, sondern = vermochte, konnte; mugen nur selten mit: mögen zu geben. — 374 tugen anom. v., taugen, nützen. —
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22 II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. (12) wan in tet iemer Riwalin mit grôzem schaden wider in und treip des mit im alse vil, unz er in brâhte uf daz zil, daz er sich nihtes kunde erwern noch sich niender trûte ernern niwan in sînen vesten, den sterkesten unde den besten. die selben besáz Ríwalîn und gap im ûz voller hant dar în bataljen unde strîten. er tete in z'allen ziten strackes rehte unz in diu tor. ouch hæte er dícké dâ vor turneie und rîche ritterschaft. alsus lac er im obe mit kraft und herte in in dem lande mit roube und mit brande, unz sich Morgân ze tage dô bôt und daz erwarp mit aller nôt, daz ez getaget wart under in zwein und ein jaâr fride getragen enein, und wart der von in beiden mit bürgen und mit eiden gestætet, alse er solte sîn. hie mite sô kêrte Riwalîn mit den sînen heim rîch unde frô. ûz milter hant lônt' er in dô 380 385 390 395 400 375 375 în tuon, hinein (in die Burgen zurück) treiben, einschließen. — 378 ûf daz zil, an das Ende, endlich dahin. — 379 nihtes adv. gen., durchaus nicht, keineswegs; bei G. selten; subst. gen.=nhd. nichts z. B. in V. 9504. — 380 niender adv., nirgend. — trůwen (vgl. 9534) swv. = getrauen, sich. getrauen. sich gehört zu ernern swv., (ernähren), erretten. — 383 besilzen stv., belagern. — 384 geben nhd. zu übersetzen: bieten, liefern. — 385 ba- taljen swv. subst. inf. Fremdwort, scharmützeln. — 389 turneie pl. von turnei stm., Turnier, Ritterspiel. — rîche adj., allgemein: herrlich. — 390 obe ligen mit dat., einen besiegen. — 391 heren swv. mit acc., einen mit einem Heer, mit Krieg überziehen [erhalten in: verheeren], sodann: einem durch den Krieg Schaden zufügen (rauben und brandschatzen). — 393 sich ze tage bieten, sich zu einer Frist erbieten oder stilgemäßer tac = Unterhandlung? — 395 tagen swv., vertagen. — 396 ein jar fride = nhd., d. h. ein, auf ein Jahr lang Friede; Zusammensetzung jarfride nicht ge- boten. — enein (= in ein) s. zu 820. enein trayen mit acc., etwas zusam- men, zu Stande bringen; vgl. 10507. — 399 staten swv., bestätigen. — 400 hie mite, auch hie mite sô liebt unter den Epikern besonders G. zur Weiterführung der Erzählung, namentlich am Anfang neuerer gröfferer Abschnitte, z. B. 2551. 3440. 4021. 4211. — 401 rích und V. 403 nicht: reich (etwa mit Beute beladen), sondern: glücklich; vgl. zu 745. —
22 II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. (12) wan in tet iemer Riwalin mit grôzem schaden wider in und treip des mit im alse vil, unz er in brâhte uf daz zil, daz er sich nihtes kunde erwern noch sich niender trûte ernern niwan in sînen vesten, den sterkesten unde den besten. die selben besáz Ríwalîn und gap im ûz voller hant dar în bataljen unde strîten. er tete in z'allen ziten strackes rehte unz in diu tor. ouch hæte er dícké dâ vor turneie und rîche ritterschaft. alsus lac er im obe mit kraft und herte in in dem lande mit roube und mit brande, unz sich Morgân ze tage dô bôt und daz erwarp mit aller nôt, daz ez getaget wart under in zwein und ein jaâr fride getragen enein, und wart der von in beiden mit bürgen und mit eiden gestætet, alse er solte sîn. hie mite sô kêrte Riwalîn mit den sînen heim rîch unde frô. ûz milter hant lônt' er in dô 380 385 390 395 400 375 375 în tuon, hinein (in die Burgen zurück) treiben, einschließen. — 378 ûf daz zil, an das Ende, endlich dahin. — 379 nihtes adv. gen., durchaus nicht, keineswegs; bei G. selten; subst. gen.=nhd. nichts z. B. in V. 9504. — 380 niender adv., nirgend. — trůwen (vgl. 9534) swv. = getrauen, sich. getrauen. sich gehört zu ernern swv., (ernähren), erretten. — 383 besilzen stv., belagern. — 384 geben nhd. zu übersetzen: bieten, liefern. — 385 ba- taljen swv. subst. inf. Fremdwort, scharmützeln. — 389 turneie pl. von turnei stm., Turnier, Ritterspiel. — rîche adj., allgemein: herrlich. — 390 obe ligen mit dat., einen besiegen. — 391 heren swv. mit acc., einen mit einem Heer, mit Krieg überziehen [erhalten in: verheeren], sodann: einem durch den Krieg Schaden zufügen (rauben und brandschatzen). — 393 sich ze tage bieten, sich zu einer Frist erbieten oder stilgemäßer tac = Unterhandlung? — 395 tagen swv., vertagen. — 396 ein jar fride = nhd., d. h. ein, auf ein Jahr lang Friede; Zusammensetzung jarfride nicht ge- boten. — enein (= in ein) s. zu 820. enein trayen mit acc., etwas zusam- men, zu Stande bringen; vgl. 10507. — 399 staten swv., bestätigen. — 400 hie mite, auch hie mite sô liebt unter den Epikern besonders G. zur Weiterführung der Erzählung, namentlich am Anfang neuerer gröfferer Abschnitte, z. B. 2551. 3440. 4021. 4211. — 401 rích und V. 403 nicht: reich (etwa mit Beute beladen), sondern: glücklich; vgl. zu 745. —
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II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. 23 und machte s' alle rîche. er lie si frôlîche und wol nach sînen êren wider z'ir heimuote kêren. 405 Nu daz Kanéle alsus gelanc, nu was dâ nâch vil harte unlanc, unz daz er aber einer vart durch banekie eneine wart und er sich aber ûz reite mit grôzer rîchéite, alsô der éregire tuot. al daz geræte und al daz guot, des er bedürfen wolte und ein jâr haben solte, daz wart im an ein schif getragen. er hæte vil gehoeret sagen, wie hövesch und wie êrbære der junge künic ware von Kurnewâle Marke, des êre wuohs dô starke : der hæte dô ze sîner hant Kurnewal und Engelant. Kurnewál was aber sin erbe dô. umb' Engelande stuont ez sô: daz hæte er sît des mâles, daz die Sáhsén von Gâles die Britûne dâ vertriben und si dâ hêrrén beliben, von den ez ouch den namen verliez 410 415 420 425 430 406 heimuote dat. von heimuot stn. oder heimuote stf. und stn., Heimat; von heimuot stf. müsste wie in Handschr. W heimücte steben. 407 mir gelinget unpers., nhd. mir gelingt etwas, ich habe Glück. — 408 vil harte unlanc, nicht gar sehr lang, bald. — 409 aber adv., wiederum. — 410 eneine (nach den beiden ältesten Hss.) ausnahmsweise für enein (s. zu 820). enein werden mit gen. (V. 1656 umbe) , einig werden über etwas, beschließen. — banekie stf. Fremdwort , Ergötzung, etwa unser: Amusement. — 411 reite = reitete. ûz reiten, ausrüsten. — 412 rîcheit stf., Reichthum, Pracht. — 413 êregir adj. subst., ehrbegierig, ehrgeizig. — 419 hövesch adj., vieldeutiges Wort im Mhd., (höfisch), fein gesittet. — êrbore adj., (ehr- bar), auf Ehre bedacht, edel. — 422 êre ist hier: Ansehen, Macht. — 427 sît des mâles, (sintemal), seit der Zeit, seitdem. — 429 s. Namenverzeichniss. — 431 verlâzen stv., von G. in den verschiedensten Bedeutungen und Wendungen gebraucht, hier: zurücklassen, aufgeben, nicht länger be- halten. —
II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. 23 und machte s' alle rîche. er lie si frôlîche und wol nach sînen êren wider z'ir heimuote kêren. 405 Nu daz Kanéle alsus gelanc, nu was dâ nâch vil harte unlanc, unz daz er aber einer vart durch banekie eneine wart und er sich aber ûz reite mit grôzer rîchéite, alsô der éregire tuot. al daz geræte und al daz guot, des er bedürfen wolte und ein jâr haben solte, daz wart im an ein schif getragen. er hæte vil gehoeret sagen, wie hövesch und wie êrbære der junge künic ware von Kurnewâle Marke, des êre wuohs dô starke : der hæte dô ze sîner hant Kurnewal und Engelant. Kurnewál was aber sin erbe dô. umb' Engelande stuont ez sô: daz hæte er sît des mâles, daz die Sáhsén von Gâles die Britûne dâ vertriben und si dâ hêrrén beliben, von den ez ouch den namen verliez 410 415 420 425 430 406 heimuote dat. von heimuot stn. oder heimuote stf. und stn., Heimat; von heimuot stf. müsste wie in Handschr. W heimücte steben. 407 mir gelinget unpers., nhd. mir gelingt etwas, ich habe Glück. — 408 vil harte unlanc, nicht gar sehr lang, bald. — 409 aber adv., wiederum. — 410 eneine (nach den beiden ältesten Hss.) ausnahmsweise für enein (s. zu 820). enein werden mit gen. (V. 1656 umbe) , einig werden über etwas, beschließen. — banekie stf. Fremdwort , Ergötzung, etwa unser: Amusement. — 411 reite = reitete. ûz reiten, ausrüsten. — 412 rîcheit stf., Reichthum, Pracht. — 413 êregir adj. subst., ehrbegierig, ehrgeizig. — 419 hövesch adj., vieldeutiges Wort im Mhd., (höfisch), fein gesittet. — êrbore adj., (ehr- bar), auf Ehre bedacht, edel. — 422 êre ist hier: Ansehen, Macht. — 427 sît des mâles, (sintemal), seit der Zeit, seitdem. — 429 s. Namenverzeichniss. — 431 verlâzen stv., von G. in den verschiedensten Bedeutungen und Wendungen gebraucht, hier: zurücklassen, aufgeben, nicht länger be- halten. —
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24 II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. (13) daz lant, daz ê Britanje hiez, und wart ouch iesâ dô genant nâch den von Gâles Engelant. Nu die daz lant besâzen und ez únder sich gemâzen, dô wolten s' alle künegelîn und hêrren von in selben sîn: diz wart ir aller ungewin. sus begúnden sî sich under in slahen únde morden starke und befulhen ouch dô Marke sich und daz lant in sîne pflege: sît her dient’ ez im alle wege sô sêre und sô vorhtlîche, daz nie kein künicrîche einem künege mê gediente baz. ouch saget di istôrje von im daz, daz allen den bîlanden, diu sinen namen erkanden, dehein künec sô werder was als er. dâ hin was Riwalînes ger. aldâ dâht' er belîben, ein jâr mit ime vertrîben und von im werden tugenthaft und lernen niuwe ritterschaft und ebenen sîne site baz. sin edelez herze seite im daz: erkande er fremeder lande site, dâ bézzerte ér die sîne mite und würde selbe erkant dervan. 435 440 445 450 455 460 433 iesà (ie-sà) adv., sogleich. 435 Nu (ohne daz) hier relativ ; auch diese Satzverbindung bei G. haufig ; vgl. 471. 1449. 1583. 2129 und zu 273. 333. — besitzen stv., hier: in Besitz nehmen. — 436 gemâzen = gemessen hatten. — 442 befulhen præt. pl. von be- velhen stv., befehlen, empfehlen, in den Schutz eines übergeben. — 443 pftege stf., mehr als unser : Pflege; Obhut, Schirm und Schutz. — 445 vorhtlîche adv., mit Furcht, Gehorsam. — 447 baz compar. zu wol, besser (öfters auch: mehr, weiter). — gediente = gedient hat. — 448 istôrje stf., Historie, verwendet der Dichter einigemal (V. 5884. 15919) neben âventiure, warheit, geste. — 449 bîlant stm., Nebenland, Nachbarland. — 450 name steht hier umschreibend für die Person, aber geistig gefasst ; sînen n. = ihn ; vgl. zu 1058. — erkennen swv., kennen, kennen lernen. — 451 werder starke Flexion. — 452 ger stf., hier subjectiv: wünschte er; vgl. 242. — 455 tugent- haft adj., wohl erzogen, fein gebildet; vgl. zu 11164. — 457 ebenen swv., gleichmäßig machen, glätten, ausbilden [vgl. feilen, Schliff]. — 461 erkant part. steht nahezu adjectivisch im Sinne von V. 451: bekannt, berühmt.
24 II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. (13) daz lant, daz ê Britanje hiez, und wart ouch iesâ dô genant nâch den von Gâles Engelant. Nu die daz lant besâzen und ez únder sich gemâzen, dô wolten s' alle künegelîn und hêrren von in selben sîn: diz wart ir aller ungewin. sus begúnden sî sich under in slahen únde morden starke und befulhen ouch dô Marke sich und daz lant in sîne pflege: sît her dient’ ez im alle wege sô sêre und sô vorhtlîche, daz nie kein künicrîche einem künege mê gediente baz. ouch saget di istôrje von im daz, daz allen den bîlanden, diu sinen namen erkanden, dehein künec sô werder was als er. dâ hin was Riwalînes ger. aldâ dâht' er belîben, ein jâr mit ime vertrîben und von im werden tugenthaft und lernen niuwe ritterschaft und ebenen sîne site baz. sin edelez herze seite im daz: erkande er fremeder lande site, dâ bézzerte ér die sîne mite und würde selbe erkant dervan. 435 440 445 450 455 460 433 iesà (ie-sà) adv., sogleich. 435 Nu (ohne daz) hier relativ ; auch diese Satzverbindung bei G. haufig ; vgl. 471. 1449. 1583. 2129 und zu 273. 333. — besitzen stv., hier: in Besitz nehmen. — 436 gemâzen = gemessen hatten. — 442 befulhen præt. pl. von be- velhen stv., befehlen, empfehlen, in den Schutz eines übergeben. — 443 pftege stf., mehr als unser : Pflege; Obhut, Schirm und Schutz. — 445 vorhtlîche adv., mit Furcht, Gehorsam. — 447 baz compar. zu wol, besser (öfters auch: mehr, weiter). — gediente = gedient hat. — 448 istôrje stf., Historie, verwendet der Dichter einigemal (V. 5884. 15919) neben âventiure, warheit, geste. — 449 bîlant stm., Nebenland, Nachbarland. — 450 name steht hier umschreibend für die Person, aber geistig gefasst ; sînen n. = ihn ; vgl. zu 1058. — erkennen swv., kennen, kennen lernen. — 451 werder starke Flexion. — 452 ger stf., hier subjectiv: wünschte er; vgl. 242. — 455 tugent- haft adj., wohl erzogen, fein gebildet; vgl. zu 11164. — 457 ebenen swv., gleichmäßig machen, glätten, ausbilden [vgl. feilen, Schliff]. — 461 erkant part. steht nahezu adjectivisch im Sinne von V. 451: bekannt, berühmt.
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II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. 25 mit disen sinnen huob er an: er beválch sîn líut únd sîn lant an sînes márschálkes hant, eines hêrren von dem lande, an dem er triuwe erkande, der hiez Rûal li foitenant. sus kêrte Riwalîn zehant mit zwelf gesellen über sê: er bedórfte dô deheines mê, er hæte her hie mite genuoc. 465 470 (14) Nu sich diu zit alsô getruoc, daz er ze Kurnewâle kam und ûf dem mer aldâ vernam, daz Márké der mære ze Tintajôle wære, dâ kêrte er sîne reise hin. dâ stiez er ûz, dà vant er in und wart des inneclîche frô. sich und die sîne kleite er dô rilîche und alse im wol gezam. nu daz er dô ze hove kam, Marke der tugenderîche der enpfieng in tugentlîche und mit im al die sîne. man bôt dâ Riwalîne den antphanc und die êre, daz ez íme dâ vor nie mêre ze dehéinen zîten anderswâ sô werde erboten wart sô dâ 475 480 485 490 462 mit disen sinnen, in solcher verständigen Weise. — 463 liut stn., Volk. 467 foitenant Fremdwort, (der Treue haltende), der Getreue: ständiger Beiname Rual’s; vgl. 1588 fg. 5110; wirklicher Name Foitenant in V. 1640 und öfters. — 468 zehant adv., (zur Hand), sogleich.— 470 dô, hier wie in V. 306 demonstr., aber rein adverbial =jetzt; vgl. zu 11. 303. — 471 her stn., (Heer) , Schaar, Mannschaft, Gefolge; ebenso von einer kleinen Zahl in V. 18372. 472 sich getragen, sich zutragen, sich fügen. — 475 maere adj., be- ruhmt. — 477 hin gehört zunächst zu dá. — 478 ûz stôzen (elliptisch ge- dacht: ans Land stoßen, um auszusteigen?), landen. — 480 die sîne (:Ri- waline 485) stark flect.=nhd. schwach: die Seinen. — 481 rîlîche= rich- liche adv., kostbar. — 487 ántphanc (= M, anphanc H W) stm., Empfang, speciell Terminus aus dem Hofleben, die feierliche Begrüfung der Gäste; vgl. 18628. — êre stf., Ehrenbezeugung, die Honneurs. — 488 dà vor s. zu 315. — nie mêre, niemals, noch niemals. — 490 werde adv., werth, wür- dig, herrlich ; oder geht es auf den Eindruck des Empfangs : so wohl- thuend? —
II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. 25 mit disen sinnen huob er an: er beválch sîn líut únd sîn lant an sînes márschálkes hant, eines hêrren von dem lande, an dem er triuwe erkande, der hiez Rûal li foitenant. sus kêrte Riwalîn zehant mit zwelf gesellen über sê: er bedórfte dô deheines mê, er hæte her hie mite genuoc. 465 470 (14) Nu sich diu zit alsô getruoc, daz er ze Kurnewâle kam und ûf dem mer aldâ vernam, daz Márké der mære ze Tintajôle wære, dâ kêrte er sîne reise hin. dâ stiez er ûz, dà vant er in und wart des inneclîche frô. sich und die sîne kleite er dô rilîche und alse im wol gezam. nu daz er dô ze hove kam, Marke der tugenderîche der enpfieng in tugentlîche und mit im al die sîne. man bôt dâ Riwalîne den antphanc und die êre, daz ez íme dâ vor nie mêre ze dehéinen zîten anderswâ sô werde erboten wart sô dâ 475 480 485 490 462 mit disen sinnen, in solcher verständigen Weise. — 463 liut stn., Volk. 467 foitenant Fremdwort, (der Treue haltende), der Getreue: ständiger Beiname Rual’s; vgl. 1588 fg. 5110; wirklicher Name Foitenant in V. 1640 und öfters. — 468 zehant adv., (zur Hand), sogleich.— 470 dô, hier wie in V. 306 demonstr., aber rein adverbial =jetzt; vgl. zu 11. 303. — 471 her stn., (Heer) , Schaar, Mannschaft, Gefolge; ebenso von einer kleinen Zahl in V. 18372. 472 sich getragen, sich zutragen, sich fügen. — 475 maere adj., be- ruhmt. — 477 hin gehört zunächst zu dá. — 478 ûz stôzen (elliptisch ge- dacht: ans Land stoßen, um auszusteigen?), landen. — 480 die sîne (:Ri- waline 485) stark flect.=nhd. schwach: die Seinen. — 481 rîlîche= rich- liche adv., kostbar. — 487 ántphanc (= M, anphanc H W) stm., Empfang, speciell Terminus aus dem Hofleben, die feierliche Begrüfung der Gäste; vgl. 18628. — êre stf., Ehrenbezeugung, die Honneurs. — 488 dà vor s. zu 315. — nie mêre, niemals, noch niemals. — 490 werde adv., werth, wür- dig, herrlich ; oder geht es auf den Eindruck des Empfangs : so wohl- thuend? —
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26 II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. hie spilten sîne gedanke mite. diz liebete ime den hovesite. er dâhte dicke wider sich: «benamen, got selbe der hât mich ze diseme lantgesinde brâht! mîn sæelde hât mich wol bedâht : swaz ich von Markes tugenden ie gehôrte sagen, deist allez hie. sîn lében daz ist höfsch unde guot.» sus seite er Marke sînen muot, war umbe er komen wære. nu Marke sîniu mære und sînen múot hâte vernomen, er sprach : «got und mir willekomen ! lîp unde guot und swaz ich hân, daz sol ze iuwerm gebote stân.» 495 500 505 Kanêlengres der was dâ wol des hoves, der hof der was sîn vol: arm' unde rîche hæten in liep unde werden under in, und wart nie gast geminnet baz. ouch kunde er wol geschulden daz: der tugenthafte Riwalîn der was und kunde wol gesin mit libe und mit guote, mit gesélleclîchem muote ze ir áller diensté bereit. 510 515 492 lieben (vgl. 174) hier mit dat. der Person, acc. der Sache, einem etwas angenehm machen. Das Præt. liebete (in allen alten Hss. statt liebte) eigentlich nicht grammatisch correct; doch ist überhaupt zu Gottfried's Zeit die schwache Conj. schon in Unordnung gerathen; vgl. Lachmann zu Iwein 45. — hovesite stm., Hofgebrauch, überhaupt: Hofleben. — 495 lantgesinde stm. (wie Hausgesinde), das Gesinde, die Bewohnerschaft des (dieses) Landes. — 496 bedenken [wie unser: einen mit einem Ge- schenke bedenken], für etwas sorgen: mein Glück (hier sœlde halb perso- nificiert) hat es wohl mit mir gemeint ; völlig vom Nhd. abweichende Bedeu- tung von bedenken in V. 14803. — 500 muot stm., hier: Absicht. Dieses viel- deutige Wort bei Gottfried sehr häufig und unmöglich an allen Stellen in seinen Schattierungen zu erklären; es bieten sich Synonyma, falls Muth nicht passt, Gemüth, Sinn, Gesinnung, Gedanke und dgl. und erklärt sich vielfach durch beigesetzte Adjectiva und synonyme Substantiva. 507 wol wesen (sîn) mit gen., erfreut sein über etwas. — 508 vol wesen mit gen. (sîn sui, ejus), von einem voll, erfüllt sein [vgl. von seinem Lobe, seines Lobes voll sein]. Die Wendung kehrt öfters wieder, z. B. 16409. — 512 geschulden swv., verschulden, verdienen. — 514 gesîn ofters im Interesse des Verses für das einfache sîn. — 516 geselleclîch adj., freund- schaftlich. —
26 II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. hie spilten sîne gedanke mite. diz liebete ime den hovesite. er dâhte dicke wider sich: «benamen, got selbe der hât mich ze diseme lantgesinde brâht! mîn sæelde hât mich wol bedâht : swaz ich von Markes tugenden ie gehôrte sagen, deist allez hie. sîn lében daz ist höfsch unde guot.» sus seite er Marke sînen muot, war umbe er komen wære. nu Marke sîniu mære und sînen múot hâte vernomen, er sprach : «got und mir willekomen ! lîp unde guot und swaz ich hân, daz sol ze iuwerm gebote stân.» 495 500 505 Kanêlengres der was dâ wol des hoves, der hof der was sîn vol: arm' unde rîche hæten in liep unde werden under in, und wart nie gast geminnet baz. ouch kunde er wol geschulden daz: der tugenthafte Riwalîn der was und kunde wol gesin mit libe und mit guote, mit gesélleclîchem muote ze ir áller diensté bereit. 510 515 492 lieben (vgl. 174) hier mit dat. der Person, acc. der Sache, einem etwas angenehm machen. Das Præt. liebete (in allen alten Hss. statt liebte) eigentlich nicht grammatisch correct; doch ist überhaupt zu Gottfried's Zeit die schwache Conj. schon in Unordnung gerathen; vgl. Lachmann zu Iwein 45. — hovesite stm., Hofgebrauch, überhaupt: Hofleben. — 495 lantgesinde stm. (wie Hausgesinde), das Gesinde, die Bewohnerschaft des (dieses) Landes. — 496 bedenken [wie unser: einen mit einem Ge- schenke bedenken], für etwas sorgen: mein Glück (hier sœlde halb perso- nificiert) hat es wohl mit mir gemeint ; völlig vom Nhd. abweichende Bedeu- tung von bedenken in V. 14803. — 500 muot stm., hier: Absicht. Dieses viel- deutige Wort bei Gottfried sehr häufig und unmöglich an allen Stellen in seinen Schattierungen zu erklären; es bieten sich Synonyma, falls Muth nicht passt, Gemüth, Sinn, Gesinnung, Gedanke und dgl. und erklärt sich vielfach durch beigesetzte Adjectiva und synonyme Substantiva. 507 wol wesen (sîn) mit gen., erfreut sein über etwas. — 508 vol wesen mit gen. (sîn sui, ejus), von einem voll, erfüllt sein [vgl. von seinem Lobe, seines Lobes voll sein]. Die Wendung kehrt öfters wieder, z. B. 16409. — 512 geschulden swv., verschulden, verdienen. — 514 gesîn ofters im Interesse des Verses für das einfache sîn. — 516 geselleclîch adj., freund- schaftlich. —
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II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. 27 (15) als lebete er in der werdekeit und in der rehten güete, die er in sin gemüete mit tägelîchen tugenden nam, unz Markes hôhgezît dô kam. die hôhzit hæte Marke besetzet alsô starke, sô mit gebote sô mit bete: swenn’ er in sînen boten tete, sô kom diu ritterschaft zehant von dem künicrîche z' Engelant in dem jâre z'einem mâle gevarn ze Kurnewâle. die selben brâhten mit in dar manege süeze frouwen schar und ander manege schônhéit. 520 525 530 Nu was diu hôhgezit geleit, benennet unde besprochen die blüenden vier wóchen, sô der vil süeze meie in gât unz an daz, dâ er ende hât, bi Tintajôl sô nâhen daz sî sich undersâhen, in die schonsten ouwe, die dehéines ougen schouwe 535 540 518 werdekeit stf., Würde, ehrenvolles Ansehen. — 521 nemen stv., aufneh- men, fassen. — 522 hôhgezît stf. = hôhzît, hôchzît, Fest, insbesondere das Maifest. — 524 besetzen swv., eigentlich: mit Gästen besetzen, dazu ein- laden oder in der andern Bedeutung: festsetzen, anberaumen? — 525 só — sô = so — wie, sowohl — als auch ; steht gerne in Formeln; vgl. z. B. 1342. — mit gebote und (xô) mit bete, öfters angewandte formelhafte Wen- dung, in der gebot nicht als strenger Befehl aufzufassen ist; vgl. zu 6252. — bete stf. = nhd. Bitte (bite mhd. äußerst selten). — 526 boten tuon wie V. 18163; unser: einen Boten senden trifft den Begriff nicht ganz, die Wendung ist abstracter; eher: Botschaft senden; boten tuon = bieten, entbieten, kund thun. — 529 mâl stn. bei G. nur mit einer Aus- nahme (V. 4532) von der Zeit gebraucht; z'einem mâle, zu einer Zeit, unser: einmal. — 533 schônheit stf. ist hier wohl collectiv zu fassen = schœne pl.; es bezieht sich auf die Schönheit der Damen des Gefolges (frouwen in V. 532 die edeln Frauen, die Herrinnen); wir würden es pro- saisch ausdrücken : und manch andere Schönheiten; vgl. zu 627. 534 legen stv., verlegen, festsetzen; vgl. tac legen 9262. — 535 benennen swv., bestimmen, anberaumen. — besprechen stv. = nhd., verabreden; vgl. V. 6463, in V. 15313 dagegen gesprochen. — 536 nicht Obj. von V. 535, sondern adverb. Acc., auf die vier Wochen. — 537 gân öfters mit Synonymen zu ver- tauschen; în g.=an g., einziehen. — 540 sich undersehen, sich unter ein- ander, wechselseitig sehen [vgl. sich unterhalten, unterreden]; diese Zu- sammensetzungen mit under- in verschiedenen Functionen bei G. häufig. — 541 abhängig von V. 534. 535. — 542 schouwe stf., Anschauen, Blick. —
II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. 27 (15) als lebete er in der werdekeit und in der rehten güete, die er in sin gemüete mit tägelîchen tugenden nam, unz Markes hôhgezît dô kam. die hôhzit hæte Marke besetzet alsô starke, sô mit gebote sô mit bete: swenn’ er in sînen boten tete, sô kom diu ritterschaft zehant von dem künicrîche z' Engelant in dem jâre z'einem mâle gevarn ze Kurnewâle. die selben brâhten mit in dar manege süeze frouwen schar und ander manege schônhéit. 520 525 530 Nu was diu hôhgezit geleit, benennet unde besprochen die blüenden vier wóchen, sô der vil süeze meie in gât unz an daz, dâ er ende hât, bi Tintajôl sô nâhen daz sî sich undersâhen, in die schonsten ouwe, die dehéines ougen schouwe 535 540 518 werdekeit stf., Würde, ehrenvolles Ansehen. — 521 nemen stv., aufneh- men, fassen. — 522 hôhgezît stf. = hôhzît, hôchzît, Fest, insbesondere das Maifest. — 524 besetzen swv., eigentlich: mit Gästen besetzen, dazu ein- laden oder in der andern Bedeutung: festsetzen, anberaumen? — 525 só — sô = so — wie, sowohl — als auch ; steht gerne in Formeln; vgl. z. B. 1342. — mit gebote und (xô) mit bete, öfters angewandte formelhafte Wen- dung, in der gebot nicht als strenger Befehl aufzufassen ist; vgl. zu 6252. — bete stf. = nhd. Bitte (bite mhd. äußerst selten). — 526 boten tuon wie V. 18163; unser: einen Boten senden trifft den Begriff nicht ganz, die Wendung ist abstracter; eher: Botschaft senden; boten tuon = bieten, entbieten, kund thun. — 529 mâl stn. bei G. nur mit einer Aus- nahme (V. 4532) von der Zeit gebraucht; z'einem mâle, zu einer Zeit, unser: einmal. — 533 schônheit stf. ist hier wohl collectiv zu fassen = schœne pl.; es bezieht sich auf die Schönheit der Damen des Gefolges (frouwen in V. 532 die edeln Frauen, die Herrinnen); wir würden es pro- saisch ausdrücken : und manch andere Schönheiten; vgl. zu 627. 534 legen stv., verlegen, festsetzen; vgl. tac legen 9262. — 535 benennen swv., bestimmen, anberaumen. — besprechen stv. = nhd., verabreden; vgl. V. 6463, in V. 15313 dagegen gesprochen. — 536 nicht Obj. von V. 535, sondern adverb. Acc., auf die vier Wochen. — 537 gân öfters mit Synonymen zu ver- tauschen; în g.=an g., einziehen. — 540 sich undersehen, sich unter ein- ander, wechselseitig sehen [vgl. sich unterhalten, unterreden]; diese Zu- sammensetzungen mit under- in verschiedenen Functionen bei G. häufig. — 541 abhängig von V. 534. 535. — 542 schouwe stf., Anschauen, Blick. —
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28 II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. (16) ie überlúhte ê oder sît. diu senfte süeze sumerzît diu hæte ir süeze unmüezekeit mit süezem flize an sî geleit. diu kleinen wáltvógelîn, diu des ôren froude sulen sîn, bluomen, gras, loup unde bluot und swaz dem ougen sanfte tuot und edele herze erfröuwen sol, des was diu sumerouwe vol: man vant dâ, swaz man wolte, daz der méie bringen solte: den schate bî der sunnen, die linden bî dem brunnen, die senften linden winde, die Markes ingesinde sîn wesen engegene macheten. die liehten bluomen lacheten ûz dem betouwétem grase. des meien friunt, der grüene wase, der hæte ûz bluomen ane geleit sô wunneclîchiu sumerkleit, daz si den lieben gesten in ir óugen widerglesten. diu süeze boumbluot sach den man sô rehte suoze lachende an, daz sich daz herze und al der muot wider an die lachende bluot mit spilnden ougen machete und ir állez widerlachete. daz senfte vogelgedeene, daz süezé, daz schoene, daz ôren unde muote vil dicke kumet ze guote, daz fulte dâ berc unde tal. 550 555 560 565 570 545 575 543 überliuhten swv., überstrahlen, überblicken. — 558— 559 die relat. be- zogen auf die drei vorhergehenden Subst. — ingesinde dat. — sîn steht hier, worauf Fedor Bech aufmerksam macht, nachdem es kein Erklärer bis jetzt erkannt hat, in alter Weise neutral für jedes Geschlecht und für jeden Numerus; hier insbesondere für ir in der Bedeutung suum quidque : die jedes in seiner Art (wesen) entgegenkamen, sich darboten; vgl. Gr. 4, 341 (nur zwei Beispiele). Frommann zu Herbort 2202. Rückert zu Tho- masin 38. — 562 wase swm., Rasen. — 566 widerglesten swv., zurückglänzen. — 572 allez adv. acc., durchaus, immer. — wider-, re-, entgegen. —
28 II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. (16) ie überlúhte ê oder sît. diu senfte süeze sumerzît diu hæte ir süeze unmüezekeit mit süezem flize an sî geleit. diu kleinen wáltvógelîn, diu des ôren froude sulen sîn, bluomen, gras, loup unde bluot und swaz dem ougen sanfte tuot und edele herze erfröuwen sol, des was diu sumerouwe vol: man vant dâ, swaz man wolte, daz der méie bringen solte: den schate bî der sunnen, die linden bî dem brunnen, die senften linden winde, die Markes ingesinde sîn wesen engegene macheten. die liehten bluomen lacheten ûz dem betouwétem grase. des meien friunt, der grüene wase, der hæte ûz bluomen ane geleit sô wunneclîchiu sumerkleit, daz si den lieben gesten in ir óugen widerglesten. diu süeze boumbluot sach den man sô rehte suoze lachende an, daz sich daz herze und al der muot wider an die lachende bluot mit spilnden ougen machete und ir állez widerlachete. daz senfte vogelgedeene, daz süezé, daz schoene, daz ôren unde muote vil dicke kumet ze guote, daz fulte dâ berc unde tal. 550 555 560 565 570 545 575 543 überliuhten swv., überstrahlen, überblicken. — 558— 559 die relat. be- zogen auf die drei vorhergehenden Subst. — ingesinde dat. — sîn steht hier, worauf Fedor Bech aufmerksam macht, nachdem es kein Erklärer bis jetzt erkannt hat, in alter Weise neutral für jedes Geschlecht und für jeden Numerus; hier insbesondere für ir in der Bedeutung suum quidque : die jedes in seiner Art (wesen) entgegenkamen, sich darboten; vgl. Gr. 4, 341 (nur zwei Beispiele). Frommann zu Herbort 2202. Rückert zu Tho- masin 38. — 562 wase swm., Rasen. — 566 widerglesten swv., zurückglänzen. — 572 allez adv. acc., durchaus, immer. — wider-, re-, entgegen. —
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I1. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. 29 (17) diu sâlíge nahtegal, daz liebe süeze vogelin, daz iemer süeze müeze sin, daz kallete ûz der blüete mit solher übermüete, daz dâ manc edele herze van fröud’ unde hôhen muot gewan. Dâ hæte diu geselleschaft frô unde sêre fröudehaft gehütet ûf daz grüene gras, als iegelîches wille was. dâ nâch, als iegelîches ger ze frouden stuont, dâ nâch lac er: die rîchen lâgen rîche, die höveschen hövischlîche. dise lâgen under sîden dâ, jene únder bluomen anderswâ. diu linde was genuoger dach ; genuoge man gehütet sach mit lóupgrüenen esten. von gesinde noch von gesten wárt gehérbérget nie sô wunneclîchen alse hie. ouch vant man dâ rât über rât, als man ze hôhgezîten hât, an spîse unde an wæte, des iegelicher hæte ze wunsche sich gewarnet dar. dar zuo sô nam ir Marke war sô grôze und alsô rîche, 585 590 595 600 580 605 578 stlic adj. als Epitheton meist in schwächerer Bedeutung als : glücklich, glückbringend; unser: lieb passt dafür, wenn es auch sœelic nicht erreicht ; vgl. zu 1218. 1452. — 580 in Wunschsätzen mhd. müezen = nhd. mögen; vgl. Gr. 4, 80. — 581 kallen swv., laut schwatzen und singen, schmettern. — 582 übermüete dat. von übermuot stf. oder übermüete stf.; vgl. zu 297. 586 fröudehaft adj., fröhlich. — 587 hüten (mit einfachem t nach 3 Hss. wie biten und bitten) swv., eine Hütte aufschlagen, unter Hütten, Zelten Wohnung nehmen, sich lagern. — 592 die höveschen, hier vielleicht nicht abstract: die Feinen, sondern die zum Hofe Gehörigen, im Gegen- satz zu den rîchen in V. 591, die Mächtigen, die Herren. — hövischlîche adv., hofgemäſ. — 593 under sîden (wohl dat. plur.; vgl. zu 667), unter Seidenstoffen, unter aufgespannten Seidentüchern. — 596 gehütet, hier wegen des folgenden mit =mit Hütten versehen. — 599 herbergen hier unpers.: ward gewohnt. — 601 rât stm., Vorrath, Zurüstung. — 603 = V. 8601. — 605 ze wunsche, nach Wunsch, nach Kräften. — warnen swv., vorbereiten, rüsten. — 607 gróze adv. zu gróz, in hohem Maſše; im Ganzen selten gebraucht. —
I1. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. 29 (17) diu sâlíge nahtegal, daz liebe süeze vogelin, daz iemer süeze müeze sin, daz kallete ûz der blüete mit solher übermüete, daz dâ manc edele herze van fröud’ unde hôhen muot gewan. Dâ hæte diu geselleschaft frô unde sêre fröudehaft gehütet ûf daz grüene gras, als iegelîches wille was. dâ nâch, als iegelîches ger ze frouden stuont, dâ nâch lac er: die rîchen lâgen rîche, die höveschen hövischlîche. dise lâgen under sîden dâ, jene únder bluomen anderswâ. diu linde was genuoger dach ; genuoge man gehütet sach mit lóupgrüenen esten. von gesinde noch von gesten wárt gehérbérget nie sô wunneclîchen alse hie. ouch vant man dâ rât über rât, als man ze hôhgezîten hât, an spîse unde an wæte, des iegelicher hæte ze wunsche sich gewarnet dar. dar zuo sô nam ir Marke war sô grôze und alsô rîche, 585 590 595 600 580 605 578 stlic adj. als Epitheton meist in schwächerer Bedeutung als : glücklich, glückbringend; unser: lieb passt dafür, wenn es auch sœelic nicht erreicht ; vgl. zu 1218. 1452. — 580 in Wunschsätzen mhd. müezen = nhd. mögen; vgl. Gr. 4, 80. — 581 kallen swv., laut schwatzen und singen, schmettern. — 582 übermüete dat. von übermuot stf. oder übermüete stf.; vgl. zu 297. 586 fröudehaft adj., fröhlich. — 587 hüten (mit einfachem t nach 3 Hss. wie biten und bitten) swv., eine Hütte aufschlagen, unter Hütten, Zelten Wohnung nehmen, sich lagern. — 592 die höveschen, hier vielleicht nicht abstract: die Feinen, sondern die zum Hofe Gehörigen, im Gegen- satz zu den rîchen in V. 591, die Mächtigen, die Herren. — hövischlîche adv., hofgemäſ. — 593 under sîden (wohl dat. plur.; vgl. zu 667), unter Seidenstoffen, unter aufgespannten Seidentüchern. — 596 gehütet, hier wegen des folgenden mit =mit Hütten versehen. — 599 herbergen hier unpers.: ward gewohnt. — 601 rât stm., Vorrath, Zurüstung. — 603 = V. 8601. — 605 ze wunsche, nach Wunsch, nach Kräften. — warnen swv., vorbereiten, rüsten. — 607 gróze adv. zu gróz, in hohem Maſše; im Ganzen selten gebraucht. —
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30 II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. daz si álle rîlîche lebeten unde wâren frô. sus huop diu hôhgezît sich dô: und swes der gerne sehende man ze sehene guoten muot gewan, daz lie diu state dâ wol geschehen; man sach dâ, swaz man wolte sehen: dise fúoren sehen frouwen, jene ander tanzen schouwen; dise sâhen buhurdieren; jene ánder jústíeren. swâ zuo den man sîn wille truoc, des alles vant er dâ genuoc. wan alle, die dâ wâren, von fröudebæren jâren, die flizzen sich enwiderstrît ze frouden an der hôhgezît. und Márké der guote, der hövesche hôhgemuote ân' ander frouwen schônhéit, die er hâte an sînen rinc geleit, sô hæte er doch besunder ein sunderlîchez wunder, Blanscheflûr sîn swester dâ: ein maget, daz dâ noch anderswâ schoener wip nie wart gesehen. wir hoeren von ihr schone jehen, sin' gesâhe nie kein lebende man mit inneclîchen ougen an, ern minnete dâ nâch iemer mê wîp unde tugende baz dan ê. 615 620 625 630 635 610 610 sich heben stv., anheben, beginnen. — 613 state stf., Gelegenheit. — 617 buhurdieren swv. Fremdwort deutschen Stammes, den Buhurt reiten; s. zu 650. — 618 justieren swv. Fremdwort = tjostieren, die Tjost kämpfen; s. zu 9214. — 622 fröudebare adj., erfreuend. — 623 sich flizen stv. mit gen.= nhd. (V. 8540), hier mit ze, sich befleifsigen, bedacht sein. — enwiderstrît adv., um die Wette; öfters mit enwette (s. zu 16897) verbunden. — 626 hôhgemuor adj., hochgesinnt [wie noch jetzt in poetischer Rede zulässig]; von G. sparsam verwendet. — 627 âne præp., ohne, außer. — schônheit, hier wieder collectiv wie V. 533 für: außer den andern schönen Frauen. — 628 rinc stm., Gesellschaftskreis, Umgebung, synonym mit hof (vgl. V. 4985). — legen swv. im Mhd. ausgedehnter als heute; hier in ähnlicher Bedeu- tung wie unser: die Besatzung wohin legen, etwa: versammeln; vgl. be- setzen in V. 524. — 629 besunder adv., besonders, namentlich. — 630 sun- derlîch adj., besonders, ausgezeichnet. — 635 gesehen öfters = sehen; hier ge- wohl plusquamperf.: kein Mann hätte sie angesehen, ohne u. s. W. — 637 iemer mé, hier: immer fort, fortan.
30 II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. daz si álle rîlîche lebeten unde wâren frô. sus huop diu hôhgezît sich dô: und swes der gerne sehende man ze sehene guoten muot gewan, daz lie diu state dâ wol geschehen; man sach dâ, swaz man wolte sehen: dise fúoren sehen frouwen, jene ander tanzen schouwen; dise sâhen buhurdieren; jene ánder jústíeren. swâ zuo den man sîn wille truoc, des alles vant er dâ genuoc. wan alle, die dâ wâren, von fröudebæren jâren, die flizzen sich enwiderstrît ze frouden an der hôhgezît. und Márké der guote, der hövesche hôhgemuote ân' ander frouwen schônhéit, die er hâte an sînen rinc geleit, sô hæte er doch besunder ein sunderlîchez wunder, Blanscheflûr sîn swester dâ: ein maget, daz dâ noch anderswâ schoener wip nie wart gesehen. wir hoeren von ihr schone jehen, sin' gesâhe nie kein lebende man mit inneclîchen ougen an, ern minnete dâ nâch iemer mê wîp unde tugende baz dan ê. 615 620 625 630 635 610 610 sich heben stv., anheben, beginnen. — 613 state stf., Gelegenheit. — 617 buhurdieren swv. Fremdwort deutschen Stammes, den Buhurt reiten; s. zu 650. — 618 justieren swv. Fremdwort = tjostieren, die Tjost kämpfen; s. zu 9214. — 622 fröudebare adj., erfreuend. — 623 sich flizen stv. mit gen.= nhd. (V. 8540), hier mit ze, sich befleifsigen, bedacht sein. — enwiderstrît adv., um die Wette; öfters mit enwette (s. zu 16897) verbunden. — 626 hôhgemuor adj., hochgesinnt [wie noch jetzt in poetischer Rede zulässig]; von G. sparsam verwendet. — 627 âne præp., ohne, außer. — schônheit, hier wieder collectiv wie V. 533 für: außer den andern schönen Frauen. — 628 rinc stm., Gesellschaftskreis, Umgebung, synonym mit hof (vgl. V. 4985). — legen swv. im Mhd. ausgedehnter als heute; hier in ähnlicher Bedeu- tung wie unser: die Besatzung wohin legen, etwa: versammeln; vgl. be- setzen in V. 524. — 629 besunder adv., besonders, namentlich. — 630 sun- derlîch adj., besonders, ausgezeichnet. — 635 gesehen öfters = sehen; hier ge- wohl plusquamperf.: kein Mann hätte sie angesehen, ohne u. s. W. — 637 iemer mé, hier: immer fort, fortan.
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II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. 31 Diu sælege ougenweide diu machete ûf der heide vil manegen man frech unde fruot, manec édele herze hôchgemuot. dar zuo was in der ouwe manec ander schoniu frouwe, der iegelîchiu mohte sîn von schoene ein rîchiu künigîn, die muot und fröude ouch bâren den allen, die dâ wâren, und macheten manic herze frô. hie mite huop sich der buhurt dô von gesinde und ouch von gesten: die wérdesten und die besten die riten dâ zuo wâ unde wâ. ouch was der werde Marke dâ und sîn geselle Riwalîn ân' ander ingesinde sîn, die sich óuch geflizzen hæten, wie sî'z dâ sô getæten, daz ez dâ sagebære und wol ze lobene ware. man sach dâ ze dem mâle von pfelle und von zendâle manec órs bedact ze flîze, manege décke snêwîze, gel, brûn, rôt, grüen' unde blâ, sô sach man ander anderswâ von edelen sîden wol gebriten, jene ander manegen wîs zesniten, gevêhet und géparrieret, 645 650 655 660 665 (18) 640 641 frech adj., kühn, lebendig. — fruot adj., munter, fröhlich. — 642 hoch- gemuot, hier : hochgestimmt, freudig. — 647 die pl. nach dem Sinne auf den Sing. manec fr. folgend. — 650 buhurt stm., Turnierspiel von Schaar gegen Schaar. — 653 wa unde wâ, hier und da, überall, auch je nach dem Zusammen- hange: hierhin und dorthin ; im Mhd. häufige Wendung , insbesondere zu Gottfried's Stile passend; s. zu 12214. — 658 getuon=tuon. — 659 sagebare adj., (erzählbar), lobenswerth ; von G. in verschiedener Nüancierung angewandt. — 661 ze dem mâle, zu der Zeit, damals. — 662 pfelle stm., kostbarer Seiden- stoff. — zendâl, auch zindâl (aus sindon?) stm., ebenfalls ein Seidenstoff. — 663 ors stn.=ros, namentlich das Streitross. — ze flize, mit Fleißs, Sorgfalt. — 665 brûn adj., nicht immer unsere dunkele braune Farbe gemeint, sondern : dunkelroth und violett; vgl. 11125 fg. und purpurbrûn 15841.— 667 side stf. und swf., bei G. nach den Hss. swf. 2199; hier deutlich Plural, Seidenstoffe (vgl. 593). — briten stv., weben. — 668 manegen wîs, manege wîs 4615, in manege wîs 2350, auf manche Weise. — zesnîden stv. s. zu 673. — 669 véhen swv., bunt machen. — parrieren swv. Fremdwort, abstechend machen. —
II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. 31 Diu sælege ougenweide diu machete ûf der heide vil manegen man frech unde fruot, manec édele herze hôchgemuot. dar zuo was in der ouwe manec ander schoniu frouwe, der iegelîchiu mohte sîn von schoene ein rîchiu künigîn, die muot und fröude ouch bâren den allen, die dâ wâren, und macheten manic herze frô. hie mite huop sich der buhurt dô von gesinde und ouch von gesten: die wérdesten und die besten die riten dâ zuo wâ unde wâ. ouch was der werde Marke dâ und sîn geselle Riwalîn ân' ander ingesinde sîn, die sich óuch geflizzen hæten, wie sî'z dâ sô getæten, daz ez dâ sagebære und wol ze lobene ware. man sach dâ ze dem mâle von pfelle und von zendâle manec órs bedact ze flîze, manege décke snêwîze, gel, brûn, rôt, grüen' unde blâ, sô sach man ander anderswâ von edelen sîden wol gebriten, jene ander manegen wîs zesniten, gevêhet und géparrieret, 645 650 655 660 665 (18) 640 641 frech adj., kühn, lebendig. — fruot adj., munter, fröhlich. — 642 hoch- gemuot, hier : hochgestimmt, freudig. — 647 die pl. nach dem Sinne auf den Sing. manec fr. folgend. — 650 buhurt stm., Turnierspiel von Schaar gegen Schaar. — 653 wa unde wâ, hier und da, überall, auch je nach dem Zusammen- hange: hierhin und dorthin ; im Mhd. häufige Wendung , insbesondere zu Gottfried's Stile passend; s. zu 12214. — 658 getuon=tuon. — 659 sagebare adj., (erzählbar), lobenswerth ; von G. in verschiedener Nüancierung angewandt. — 661 ze dem mâle, zu der Zeit, damals. — 662 pfelle stm., kostbarer Seiden- stoff. — zendâl, auch zindâl (aus sindon?) stm., ebenfalls ein Seidenstoff. — 663 ors stn.=ros, namentlich das Streitross. — ze flize, mit Fleißs, Sorgfalt. — 665 brûn adj., nicht immer unsere dunkele braune Farbe gemeint, sondern : dunkelroth und violett; vgl. 11125 fg. und purpurbrûn 15841.— 667 side stf. und swf., bei G. nach den Hss. swf. 2199; hier deutlich Plural, Seidenstoffe (vgl. 593). — briten stv., weben. — 668 manegen wîs, manege wîs 4615, in manege wîs 2350, auf manche Weise. — zesnîden stv. s. zu 673. — 669 véhen swv., bunt machen. — parrieren swv. Fremdwort, abstechend machen. —
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32 II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. (19) sus únd só géfeitieret. diu ritterschaft diu fuorte kleit mit wunderlicher rîchéit zersniten und zerhouwen. ouch lie der sumer wol schouwen, daz er dâ mit Marke wolte sîn: manec wúnneclîch schapelekîn von bluomen sach man an der schar, diu er im ze stiure brâhte dar. In dirre süezen sumerkraft huop sich ein süeziu ritterschaft: diu schar sich dâ dick’ underwar. si zogeten sich her unde dar und triben des vil und sô genuoc, biz sich der buhurt dar getruoc, dâ Blanscheflûr diu werde, ein wunder ûf der erde, und manc ander schoeniu frouwe sâzen an ir schouwe; wan dise die riten sô rîche, sô rehte keiserliche, daz ez manc ouge gerne sach. swaz aber von iemen dâ geschach, sô was der hövesche Riwalîn und muose ez ouch benamen sin, der ez des tages und an der stete ze wunsche vor in allen tete. ouch nâmen sîn die frouwen war 675 680 685 690 670 695 670 feitieren swv. Fremdw., schmücken. — 672 wunderlîch adj., wunder- bar. — 673 hier die Synonymen zersnîden und zerhouwen zusammengestellt: sie bezeichnen das Aufschneiden, Schlitzen des Kleides, d. h. des Ober- kleides, wie es in verschiedenen Perioden Mode war, zersnîden in V. 668 scheint dagegen auf die ausgeschnittenen Zacken in den Pferdedecken zu gehen, deren Enden öfters mit Schellen geziert waren. — 676 schapelekîn stn. demin. (niederd., insbesondere flämische Form) von schapel (3149), Kränzlein (zur Zierde des Hauptes.) — 678 stiure stf., Beisteuer, Gabe. 679 sumerkraft stf., etwa: Sommerfülle. — 680 ritterschaft stf., hier: Ritterleben, Ritterspiele. — 681 underwerren stv. refl., sich untereinander wirren (swv.), hin- und hertreiben. — 682 zogen swv., verstärktes ziehen. — 684 sich getragen, sich hinziehen. — 688 schouwe stf., hier: Schauplatz. — 689 rîche adv., reich, kostbar (äußerlich), köstlich (innerlich); hier wohl das letztere. — 690 keiserlîche adv. hier vereinzelt, das Adjectiv häufiger: s. zu 708. — 695 an der stete (dat. von stat), auf der Stelle, sogleich, wie V. 7428; könnte hier nicht im Gegensatze zu des tages der Ort gemeint sein: zur Stelle, hier? — 696 vor (præp.) in allen tete, wir sagen: ihnen allen vor (adv.) that; derartige Vertauschungen von Præp. und Adv. sind öfters nothig bei der Ubertragung; s. zu 730 und vgl. 997. —
32 II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. (19) sus únd só géfeitieret. diu ritterschaft diu fuorte kleit mit wunderlicher rîchéit zersniten und zerhouwen. ouch lie der sumer wol schouwen, daz er dâ mit Marke wolte sîn: manec wúnneclîch schapelekîn von bluomen sach man an der schar, diu er im ze stiure brâhte dar. In dirre süezen sumerkraft huop sich ein süeziu ritterschaft: diu schar sich dâ dick’ underwar. si zogeten sich her unde dar und triben des vil und sô genuoc, biz sich der buhurt dar getruoc, dâ Blanscheflûr diu werde, ein wunder ûf der erde, und manc ander schoeniu frouwe sâzen an ir schouwe; wan dise die riten sô rîche, sô rehte keiserliche, daz ez manc ouge gerne sach. swaz aber von iemen dâ geschach, sô was der hövesche Riwalîn und muose ez ouch benamen sin, der ez des tages und an der stete ze wunsche vor in allen tete. ouch nâmen sîn die frouwen war 675 680 685 690 670 695 670 feitieren swv. Fremdw., schmücken. — 672 wunderlîch adj., wunder- bar. — 673 hier die Synonymen zersnîden und zerhouwen zusammengestellt: sie bezeichnen das Aufschneiden, Schlitzen des Kleides, d. h. des Ober- kleides, wie es in verschiedenen Perioden Mode war, zersnîden in V. 668 scheint dagegen auf die ausgeschnittenen Zacken in den Pferdedecken zu gehen, deren Enden öfters mit Schellen geziert waren. — 676 schapelekîn stn. demin. (niederd., insbesondere flämische Form) von schapel (3149), Kränzlein (zur Zierde des Hauptes.) — 678 stiure stf., Beisteuer, Gabe. 679 sumerkraft stf., etwa: Sommerfülle. — 680 ritterschaft stf., hier: Ritterleben, Ritterspiele. — 681 underwerren stv. refl., sich untereinander wirren (swv.), hin- und hertreiben. — 682 zogen swv., verstärktes ziehen. — 684 sich getragen, sich hinziehen. — 688 schouwe stf., hier: Schauplatz. — 689 rîche adv., reich, kostbar (äußerlich), köstlich (innerlich); hier wohl das letztere. — 690 keiserlîche adv. hier vereinzelt, das Adjectiv häufiger: s. zu 708. — 695 an der stete (dat. von stat), auf der Stelle, sogleich, wie V. 7428; könnte hier nicht im Gegensatze zu des tages der Ort gemeint sein: zur Stelle, hier? — 696 vor (præp.) in allen tete, wir sagen: ihnen allen vor (adv.) that; derartige Vertauschungen von Præp. und Adv. sind öfters nothig bei der Ubertragung; s. zu 730 und vgl. 997. —
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II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. 33 (20) und jâhen des, daz in der schar nieman nâch ritterlîchem site alsô behendecliche rite, und lobeten alle sîniu dinc. «seht», sprâchen si «der jungelinc der ist ein sâliger man: wie sælecliche stêt im an allez daz, daz er begât! wie gar sin lip ze wunsche stât! wie gânt im sô geliche enein diu sîniu keiserlîchen bein! wie rehte sîn schilt z'aller zit an sîner stat gelimet lit! wie zimet der schaft in siner hant! wie wol stât allez sin gewant! wie stât sin houbet und sîn hâr! wie süeze ist aller sîn gebâr! wie sæleclîche stât sîn lip! ô wol si sâligez wip, der froude an ime beliben sol!» nu marcte ir aller mære wol Blanscheflûr diu guote, wan si in ouch in ir muote, swaz ir deheiniu tæte, ze hôhem werde hæte; si hæte in in ir muot genomen, er was ir in ir herze komen; er truoc gewaltecliche 700 705 710 715 720 725 700 behendeclîche adv., behend, geschickt. — 701 alle siniu dinc, häufige formelhafte Umschreibung = alles an, von ihm, sein ganzes Wesen; vgl. zu 1238. — 706 ze wunsche, hier: auf erwünschte Weise, erwünscht. — stân, beschaffen sein, ebenso V. 715. — 707 gelîche enein gân, auf gleiche Weise zusammengehen, d. h. zusammenstimmen, gleichmäßig gewachsen sein; vgl. das Gegentheil in V. 19304. — 708 keiserlîch adj. (das Adv. in V. 690) wen- det Gottfried öfters an in der Bedeutung : gleich einem Kaiser, wie sonst göttlich, königlich, fürstlich steht, hier sogar in durchaus übertragener Weise von den Beinen gesagt. Beispiele von keiserlîch bei andern, auch althochd. Dichtern, zumal aber bei Gottfried's Nachahmer, Konrad von Würzburg, sind von Haupt zusammengestellt zu Engelhard 863. Unhöfisch ist das Wort nicht, sondern im Gegentheil ein höfisches Modewort, welches wieder abkam, sich aber beim Volke lange erhielt. Sollte es nicht durch den schönen König Philipp und die glänzende Krönung zu Mainz im Jahre 1198 in Schwang gekommen sein? — 710 gelîmet part. adj., geleimt, bild- lich wie unser: angegossen; dasselbe Bild in V. 6625. — 714 gebar stm., Gebahren, Benehmen. — 716 si personalpron. vor subst. (wie heute noch bei ich und du), wofür nhd. das Demonstrativpr. eintritt; Gr. 4, 349. — 718 mœre stn., hier : Gespräch. — 722 in hohem Werthe hielt, sehr werth hielt. haben öfters durch: halten (aestimare) zu geben; vgl. z. B. 5417. 15413. — GOTTFRIED VON STRASSBURG. I. 2. Aufl. 3
II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. 33 (20) und jâhen des, daz in der schar nieman nâch ritterlîchem site alsô behendecliche rite, und lobeten alle sîniu dinc. «seht», sprâchen si «der jungelinc der ist ein sâliger man: wie sælecliche stêt im an allez daz, daz er begât! wie gar sin lip ze wunsche stât! wie gânt im sô geliche enein diu sîniu keiserlîchen bein! wie rehte sîn schilt z'aller zit an sîner stat gelimet lit! wie zimet der schaft in siner hant! wie wol stât allez sin gewant! wie stât sin houbet und sîn hâr! wie süeze ist aller sîn gebâr! wie sæleclîche stât sîn lip! ô wol si sâligez wip, der froude an ime beliben sol!» nu marcte ir aller mære wol Blanscheflûr diu guote, wan si in ouch in ir muote, swaz ir deheiniu tæte, ze hôhem werde hæte; si hæte in in ir muot genomen, er was ir in ir herze komen; er truoc gewaltecliche 700 705 710 715 720 725 700 behendeclîche adv., behend, geschickt. — 701 alle siniu dinc, häufige formelhafte Umschreibung = alles an, von ihm, sein ganzes Wesen; vgl. zu 1238. — 706 ze wunsche, hier: auf erwünschte Weise, erwünscht. — stân, beschaffen sein, ebenso V. 715. — 707 gelîche enein gân, auf gleiche Weise zusammengehen, d. h. zusammenstimmen, gleichmäßig gewachsen sein; vgl. das Gegentheil in V. 19304. — 708 keiserlîch adj. (das Adv. in V. 690) wen- det Gottfried öfters an in der Bedeutung : gleich einem Kaiser, wie sonst göttlich, königlich, fürstlich steht, hier sogar in durchaus übertragener Weise von den Beinen gesagt. Beispiele von keiserlîch bei andern, auch althochd. Dichtern, zumal aber bei Gottfried's Nachahmer, Konrad von Würzburg, sind von Haupt zusammengestellt zu Engelhard 863. Unhöfisch ist das Wort nicht, sondern im Gegentheil ein höfisches Modewort, welches wieder abkam, sich aber beim Volke lange erhielt. Sollte es nicht durch den schönen König Philipp und die glänzende Krönung zu Mainz im Jahre 1198 in Schwang gekommen sein? — 710 gelîmet part. adj., geleimt, bild- lich wie unser: angegossen; dasselbe Bild in V. 6625. — 714 gebar stm., Gebahren, Benehmen. — 716 si personalpron. vor subst. (wie heute noch bei ich und du), wofür nhd. das Demonstrativpr. eintritt; Gr. 4, 349. — 718 mœre stn., hier : Gespräch. — 722 in hohem Werthe hielt, sehr werth hielt. haben öfters durch: halten (aestimare) zu geben; vgl. z. B. 5417. 15413. — GOTTFRIED VON STRASSBURG. I. 2. Aufl. 3
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34 II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. in ir hérzen künicrîche den zepter und die krône: daz si doch alsô schône und alsô tougenlîchen hal, daz sî'z in allen vor verstal. 730 Nu daz der buhurt dô zergie und sich diu ritterschaft zerlie und iegelîcher kêrte, dar in sîn muot gelêrte, nu kóm ez von âventiure alsô, daz Riwalîn gekêrte dô, dâ Blanscheflur diu schoene saz. hie mite gesprancte er nâher baz und als er ir under ougen sach, vil minneclîche er zuo ir sprach: «â, dê vûs sal, la bêle!» «merzî!» dît la buzêle und sprach vil schämelîche : «hêrre got der rîche, der elliu herze rîche tuot, der rîche iu herze unde muot! und iu sî grôzé genigen, und aber des rehtes unverzigen, des ich an iuch ze redene hân.» 735 740 745 729 tougenlîchen adv., heimlich. — 730 verstelen, verhehlen. in allen vor (adv.) verstal = vor (præp.) ihnen allen verhehlte; auch diese Art der Ver- tauschung von Adv. und Præp. öfters geboten; s. zu 696 und vgl. 2078. 731 zergân, auseinander gehen, aufhören. — 732 zerlâzen stv. refl., sich trennen, sich zerstreuen; ähnliche Wendung 1117 fg. — 734 gelêren = lêren; fast derselbe Vers 2344. — 735 von aventiure, von ungefähr, zu- fällig; vgl. geschiht 2421. — 736 gekêren = kêren, sich wenden. — 738 ge- sprengen = sprengen. — 739 under ougen sehen = ins Antlitz sehen. — 741 de = deus, dieu [erhalten im volksthüml. Ade, s. V. 3856] ; andere For- men sind dêus und déû. — vûs = vos, vous. — sal = salue, lat. salveat; vgl. 2679 fg. und zu 13301. — bêle = belle. Der Artikel la beim Vocativ wie 742 merzî = merci. — dît = dixit, neufr. auch im Mhd.; vgl. zu 744. — dit. — buzéle = neufr. pucelle. — 743 schämelîche adv., verschämt. — 744 der Artikel beim Vocativ im Mhd. zu beachten; vgl. Gr. 4, 564 [vgl. das alter- thümliche judische: Gott der Gerechte]. — 745 rîche, auch hier: glücklich, froh; vgl. 401. 5199. — tuon = machen, wie überhaupt der Gebrauch von tuon durch das Synon. machen sehr beschränkt ist; vgl. 363. — 746 rîchen swv. trans., (bereichern), beglücken; vgl. 5676. Hier das Wortspiel nicht im Wechsel der Bedeutung, sondern in dem der Form, abges. von V. 744 (rîche adj., mächtig, grofs), V. 745 rîche adj., 746 rîche conj. optat. — 747 nîgen stv. mit dat., einem sich verneigend Dank sagen. — 748 und aber, wiewohl, jedoch; vgl. 1170. 10317. — unverzigen part. adj., (unverziehen), unversagt, unverzichtet: ohne auf das Recht zu verzichten. Solche Wen- dungen öfters bei Gottfried. — 749 reden swv. mit gen. d. S. an einen, von einem etwas in Anspruch nehmen. —
34 II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. in ir hérzen künicrîche den zepter und die krône: daz si doch alsô schône und alsô tougenlîchen hal, daz sî'z in allen vor verstal. 730 Nu daz der buhurt dô zergie und sich diu ritterschaft zerlie und iegelîcher kêrte, dar in sîn muot gelêrte, nu kóm ez von âventiure alsô, daz Riwalîn gekêrte dô, dâ Blanscheflur diu schoene saz. hie mite gesprancte er nâher baz und als er ir under ougen sach, vil minneclîche er zuo ir sprach: «â, dê vûs sal, la bêle!» «merzî!» dît la buzêle und sprach vil schämelîche : «hêrre got der rîche, der elliu herze rîche tuot, der rîche iu herze unde muot! und iu sî grôzé genigen, und aber des rehtes unverzigen, des ich an iuch ze redene hân.» 735 740 745 729 tougenlîchen adv., heimlich. — 730 verstelen, verhehlen. in allen vor (adv.) verstal = vor (præp.) ihnen allen verhehlte; auch diese Art der Ver- tauschung von Adv. und Præp. öfters geboten; s. zu 696 und vgl. 2078. 731 zergân, auseinander gehen, aufhören. — 732 zerlâzen stv. refl., sich trennen, sich zerstreuen; ähnliche Wendung 1117 fg. — 734 gelêren = lêren; fast derselbe Vers 2344. — 735 von aventiure, von ungefähr, zu- fällig; vgl. geschiht 2421. — 736 gekêren = kêren, sich wenden. — 738 ge- sprengen = sprengen. — 739 under ougen sehen = ins Antlitz sehen. — 741 de = deus, dieu [erhalten im volksthüml. Ade, s. V. 3856] ; andere For- men sind dêus und déû. — vûs = vos, vous. — sal = salue, lat. salveat; vgl. 2679 fg. und zu 13301. — bêle = belle. Der Artikel la beim Vocativ wie 742 merzî = merci. — dît = dixit, neufr. auch im Mhd.; vgl. zu 744. — dit. — buzéle = neufr. pucelle. — 743 schämelîche adv., verschämt. — 744 der Artikel beim Vocativ im Mhd. zu beachten; vgl. Gr. 4, 564 [vgl. das alter- thümliche judische: Gott der Gerechte]. — 745 rîche, auch hier: glücklich, froh; vgl. 401. 5199. — tuon = machen, wie überhaupt der Gebrauch von tuon durch das Synon. machen sehr beschränkt ist; vgl. 363. — 746 rîchen swv. trans., (bereichern), beglücken; vgl. 5676. Hier das Wortspiel nicht im Wechsel der Bedeutung, sondern in dem der Form, abges. von V. 744 (rîche adj., mächtig, grofs), V. 745 rîche adj., 746 rîche conj. optat. — 747 nîgen stv. mit dat., einem sich verneigend Dank sagen. — 748 und aber, wiewohl, jedoch; vgl. 1170. 10317. — unverzigen part. adj., (unverziehen), unversagt, unverzichtet: ohne auf das Recht zu verzichten. Solche Wen- dungen öfters bei Gottfried. — 749 reden swv. mit gen. d. S. an einen, von einem etwas in Anspruch nehmen. —
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II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. 35 «ach, süeze, waz hân ich getân?" sprach aber der hövesche Riwalîn. si sprach: «an einem friunde min, dem besten, den ich ie gewan, dâ habet ir mich beswæret an.» «jâ hêrre", dâhte er wider sich « waz mære ist diz? od waz hân ich begangen wider ir hulden? waz gît si mir ze schulden?" (21) und wânde, daz er etewen ir mâge, disen oder den, unwizzende an der ritterschaft gemachet hæte schadehaft, dâ von ir herze sware und ime erbolgen wære. 755 760 750 Nein, der friunt, des si gewuoc, daz was ir herze, in dem si truoc, von sînen schulden ungemach, daz was der friunt, von dem si sprach. iedoch enweste er niht hie mite. nâch sînem allîchem site sprach er vil minneclîche z'ir: «schoen', ich enwil niht, daz ir mir haz oder argen willen traget; wan ist ez wâr, als ir mir saget, sô rihtet selbe über mich: swaz ir gebietet, daz tuon ich.» 770 775 765 754 beswaeren swv., in Beschwerniss versetzen, beleidigen. — 755 jâ hêrre ! Ausruf wie : ach Gott! solche Interjectionen bei Gottfried beliebt z. B. 10804. ouwé hêrre 2607. nu hêrre 10708, einfach hêrre 12893. 17768. — 756 mœre gen. pl. abhängig von waz, wörtlich: was der Geschichten, der Dinge ist dies ; was der Dinge sind das ; was ist das. Gottfried braucht diese Wen- dungen öfters; vgl. 1597. 7626. 8690. 9223 und zu 1668. — 757 hulde stf., Huld, Gnade, im Mhd. oft im Plural. — 758 ze schulden, wir sagen einfach : schuld. — 759 etewer pron., etwelcher, irgend wer, irgend ein. — 761 un- wizzende part., unwissentlich, aber verbaler: ohne (ihn) zu wissen, zu ken- nen; vgl. 3378 ohne (es) zu wissen. — an der ritterschaft, nicht: unter den Rittern, sondern wie in V. 680 beim Ritterspiel, im Turnier. — 762 vgl. 363. — 764 erbelgen stv. mit dat., zornig werden über einen; das Part. præt. steht hier adjectivisch, etwa: gram. 765 gewuoc præt. von gewahen (kommt bei Gottfried im Infin. und Præs. nicht vor) stv. mit gen., erwähnen [dies aus gewähenen swv. in V. 13774], gedenken. — 767 von sînen schulden, um seinetwillen. — 769 hie mite (selten bei wizzen) = davon. — 770 ällîch (von al) adj., allgemein, gewöhnlich. — 773 wille swm. ist im Nhd. oft unserm: Gesinnung ent- sprechend, insofern Synon. von muot; vgl. 4536. — tragen, auch hier = — hegen wie in V. 48. 3 *
II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. 35 «ach, süeze, waz hân ich getân?" sprach aber der hövesche Riwalîn. si sprach: «an einem friunde min, dem besten, den ich ie gewan, dâ habet ir mich beswæret an.» «jâ hêrre", dâhte er wider sich « waz mære ist diz? od waz hân ich begangen wider ir hulden? waz gît si mir ze schulden?" (21) und wânde, daz er etewen ir mâge, disen oder den, unwizzende an der ritterschaft gemachet hæte schadehaft, dâ von ir herze sware und ime erbolgen wære. 755 760 750 Nein, der friunt, des si gewuoc, daz was ir herze, in dem si truoc, von sînen schulden ungemach, daz was der friunt, von dem si sprach. iedoch enweste er niht hie mite. nâch sînem allîchem site sprach er vil minneclîche z'ir: «schoen', ich enwil niht, daz ir mir haz oder argen willen traget; wan ist ez wâr, als ir mir saget, sô rihtet selbe über mich: swaz ir gebietet, daz tuon ich.» 770 775 765 754 beswaeren swv., in Beschwerniss versetzen, beleidigen. — 755 jâ hêrre ! Ausruf wie : ach Gott! solche Interjectionen bei Gottfried beliebt z. B. 10804. ouwé hêrre 2607. nu hêrre 10708, einfach hêrre 12893. 17768. — 756 mœre gen. pl. abhängig von waz, wörtlich: was der Geschichten, der Dinge ist dies ; was der Dinge sind das ; was ist das. Gottfried braucht diese Wen- dungen öfters; vgl. 1597. 7626. 8690. 9223 und zu 1668. — 757 hulde stf., Huld, Gnade, im Mhd. oft im Plural. — 758 ze schulden, wir sagen einfach : schuld. — 759 etewer pron., etwelcher, irgend wer, irgend ein. — 761 un- wizzende part., unwissentlich, aber verbaler: ohne (ihn) zu wissen, zu ken- nen; vgl. 3378 ohne (es) zu wissen. — an der ritterschaft, nicht: unter den Rittern, sondern wie in V. 680 beim Ritterspiel, im Turnier. — 762 vgl. 363. — 764 erbelgen stv. mit dat., zornig werden über einen; das Part. præt. steht hier adjectivisch, etwa: gram. 765 gewuoc præt. von gewahen (kommt bei Gottfried im Infin. und Præs. nicht vor) stv. mit gen., erwähnen [dies aus gewähenen swv. in V. 13774], gedenken. — 767 von sînen schulden, um seinetwillen. — 769 hie mite (selten bei wizzen) = davon. — 770 ällîch (von al) adj., allgemein, gewöhnlich. — 773 wille swm. ist im Nhd. oft unserm: Gesinnung ent- sprechend, insofern Synon. von muot; vgl. 4536. — tragen, auch hier = — hegen wie in V. 48. 3 *
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36 II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. diu süeze sprach: «durch dise geschiht enhazze ich iuch ze sêre niht; i'ne minne iuch ouch niht umbe daz. ich wil iuch aber versuochen baz, wie ir mir ze buoze wellet stán umbe dáz, daz ir mir habet getân.» 780 (22) Sus neig er ir und wolte dan, und sî, diu schoene, ersûfte in an vil tougenlichen unde sprach úz inneclîchem herzen: «ach, friunt lieber, got gesegene dich !» dô alrêrste huob ez sich mit gedanken under in. Kanêlengres der kêrte hin in maneger slahte trahte: er trahte maneger slahte, waz Blanschefliure sware und dirre maere wære. ir gruoz, ir rede betrahte er gar, ir sûft, ir segen, al ir gebár daz marcte er al besunder und begúnde iedoch hier under ir siuften unde ir süezen segen úf den wec der minne wegen: er kom benamen an den wân, diu zwei diu wârén getân durch niht niwan durch minne. daz enzúnte ouch sîne sinne, daz sî sâ wider fuoren und nâmen Blanschefluoren und fuorten sî mit in zehant 785 790 795 800 805 779 umbe daz, darum, deshalb — 781 ze buoze stân mit dat., einem Klage. gegenüber Bußse, Genugthuung leisten, sich rechtfertigen. 783 nîgen mit dat., hier ursprüngl. Bedeutung: sich vor einem ver- neigen. — dan (= danne, dannen) adv., von dannen, weg ; Gottfried wech— selt zwischen dan und von dan. — 784 ersiuften swv. =nhd. erseufzen, an ers. fehlt nhd., nur: anseufzen. — 787 gesegenen = segenen; vgl. 1062s. — 788 alrêrste (=aller êrste) adv., nun erst. — 791 trahte stf., Trachten, Betrachtung, Grübelei. — 792 trahten swv., (betrachten), bedenken. — 793 sware, wohl nicht gen. (52) abhängig von waz, sondern conj. von swern stv., (schwären swv.), wehe thun, schmerzen. — Blanschefliure ist wohl dat., nicht acc.; vgl. zu 12250. — 795 gar adv., gänzlich, durchaus (sonst auch garwe s. zu 1297). — 796 sûft stm., Seufzer. — 798 hier under, hierbei, während dem; vgl. zu 1606. — 799 siuften subst. infin., das Seufzen oder auch acc. von siufte swm., Seufzer. — 800 wegen stv., erwägen, deuten. 801 wan stm., überhaupt: Glaube, Gedanke. — 805 sâ adv., sogleich. —
36 II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. diu süeze sprach: «durch dise geschiht enhazze ich iuch ze sêre niht; i'ne minne iuch ouch niht umbe daz. ich wil iuch aber versuochen baz, wie ir mir ze buoze wellet stán umbe dáz, daz ir mir habet getân.» 780 (22) Sus neig er ir und wolte dan, und sî, diu schoene, ersûfte in an vil tougenlichen unde sprach úz inneclîchem herzen: «ach, friunt lieber, got gesegene dich !» dô alrêrste huob ez sich mit gedanken under in. Kanêlengres der kêrte hin in maneger slahte trahte: er trahte maneger slahte, waz Blanschefliure sware und dirre maere wære. ir gruoz, ir rede betrahte er gar, ir sûft, ir segen, al ir gebár daz marcte er al besunder und begúnde iedoch hier under ir siuften unde ir süezen segen úf den wec der minne wegen: er kom benamen an den wân, diu zwei diu wârén getân durch niht niwan durch minne. daz enzúnte ouch sîne sinne, daz sî sâ wider fuoren und nâmen Blanschefluoren und fuorten sî mit in zehant 785 790 795 800 805 779 umbe daz, darum, deshalb — 781 ze buoze stân mit dat., einem Klage. gegenüber Bußse, Genugthuung leisten, sich rechtfertigen. 783 nîgen mit dat., hier ursprüngl. Bedeutung: sich vor einem ver- neigen. — dan (= danne, dannen) adv., von dannen, weg ; Gottfried wech— selt zwischen dan und von dan. — 784 ersiuften swv. =nhd. erseufzen, an ers. fehlt nhd., nur: anseufzen. — 787 gesegenen = segenen; vgl. 1062s. — 788 alrêrste (=aller êrste) adv., nun erst. — 791 trahte stf., Trachten, Betrachtung, Grübelei. — 792 trahten swv., (betrachten), bedenken. — 793 sware, wohl nicht gen. (52) abhängig von waz, sondern conj. von swern stv., (schwären swv.), wehe thun, schmerzen. — Blanschefliure ist wohl dat., nicht acc.; vgl. zu 12250. — 795 gar adv., gänzlich, durchaus (sonst auch garwe s. zu 1297). — 796 sûft stm., Seufzer. — 798 hier under, hierbei, während dem; vgl. zu 1606. — 799 siuften subst. infin., das Seufzen oder auch acc. von siufte swm., Seufzer. — 800 wegen stv., erwägen, deuten. 801 wan stm., überhaupt: Glaube, Gedanke. — 805 sâ adv., sogleich. —
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II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. 37 in Riwalînes herzen lant und krônden si dar inne im z'einer küniginne. jâ Blanscheflûr und Riwalin, der künec, diu süeze künigîn, die teilten wol gelîche ir herzen künicriche: daz ir wart Riwalîne, da wider wart ir daz sine ; und wiste iedoch dewederz niht umbe des anderen geschiht. si hæten sich wol under in zwein einmüeteclîche und rehte enein mit ir gedanken undernomen. dâ was wol reht ze rehte komen: si lag ouch ime ze herzen mit dem selben smerzen, den si von sînen schulden leit. und wande er aber gewishéit ir willen niene hate, in welher wîs si'z tæte, durch haz od aber durch minne, daz machete sîne sinne in zwîvéle wanken: er wancte mit gedanken wilen abe und wilen an. iezuo wolt’ er benamen dan und al zehant sô wolte er dar, unz er sich alse gar verwar in den stricken sîner trahte, daz er dánnen niene mahte. 815 820 825 830 835 810 (23) Der gedáncháfte Riwalîn der tete wol an im selben schîn, 840 817 dewedert neutr. von deweder pron., keiner von beiden. — 819 under in zwein (neben under in) bei Gottfried sehr häufig, untereinander, beider- seitig. — 820 enein (= in ein) adv., zusammen, überein; häufig eng mit Verben verbunden (vgl. 396. 410), seltener wie hier in selbständig adver- bialer Weise ; hier wie unser: einig. — 821 undernemen stv. refl., sich intereinander nehmen; d. h. gegenseitig fesseln. — 827 ir willen gen. abh. von gewisheit. — 833 wîlen (eigentlich dat. pl. von wîle; vgl. under- wilen 371) adv., zuweilen. w. — w., bald — bald. — abe und an, ab und zu, hin und her; vgl. 890. 15154. — 834 iezuo (ie-zuo) adv., jetzt (jetzo). — 836 verwerren stv. [nhd. nur noch part. verworren] = verwirren swv., ver- wickeln; vgl. zu 13835. — 838 dannen adv., nhd. nur: von dannen.
II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. 37 in Riwalînes herzen lant und krônden si dar inne im z'einer küniginne. jâ Blanscheflûr und Riwalin, der künec, diu süeze künigîn, die teilten wol gelîche ir herzen künicriche: daz ir wart Riwalîne, da wider wart ir daz sine ; und wiste iedoch dewederz niht umbe des anderen geschiht. si hæten sich wol under in zwein einmüeteclîche und rehte enein mit ir gedanken undernomen. dâ was wol reht ze rehte komen: si lag ouch ime ze herzen mit dem selben smerzen, den si von sînen schulden leit. und wande er aber gewishéit ir willen niene hate, in welher wîs si'z tæte, durch haz od aber durch minne, daz machete sîne sinne in zwîvéle wanken: er wancte mit gedanken wilen abe und wilen an. iezuo wolt’ er benamen dan und al zehant sô wolte er dar, unz er sich alse gar verwar in den stricken sîner trahte, daz er dánnen niene mahte. 815 820 825 830 835 810 (23) Der gedáncháfte Riwalîn der tete wol an im selben schîn, 840 817 dewedert neutr. von deweder pron., keiner von beiden. — 819 under in zwein (neben under in) bei Gottfried sehr häufig, untereinander, beider- seitig. — 820 enein (= in ein) adv., zusammen, überein; häufig eng mit Verben verbunden (vgl. 396. 410), seltener wie hier in selbständig adver- bialer Weise ; hier wie unser: einig. — 821 undernemen stv. refl., sich intereinander nehmen; d. h. gegenseitig fesseln. — 827 ir willen gen. abh. von gewisheit. — 833 wîlen (eigentlich dat. pl. von wîle; vgl. under- wilen 371) adv., zuweilen. w. — w., bald — bald. — abe und an, ab und zu, hin und her; vgl. 890. 15154. — 834 iezuo (ie-zuo) adv., jetzt (jetzo). — 836 verwerren stv. [nhd. nur noch part. verworren] = verwirren swv., ver- wickeln; vgl. zu 13835. — 838 dannen adv., nhd. nur: von dannen.
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38 II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. dáz der mínnénde muot reht' alse der frie vogel tuot, der durch die friheit, die er hât, uf daz gelimde zwi gestât; als er des lîmes danne entsebet und er sich ûf ze flühte hebet, sô klebet er mit den füezen an. sus reget er vedern und wil dan. dâ mite gerüeret er daz zwî an dehéiner stat, swie kúm ez si ezn binde in unde mache in haft; sô sleht er danne ûz aller kraft dar unde dar und aber dar, unz er ze júngéste gar sich selben vehtende übersiget und gelîmet an dem zwige liget. reht’ in der selben wîse tuot der unbetwúngéne muot: sô der in senede trahte kumet und liebe an ime ir wunder frumet mit senelîcher swære, sô wil der senedære ze sîner frîhéite wider; sô ziuhet in diu süeze nider der gelimeten minne. 845 850 855 860 865 841—851 fast wörtlich entlehnt vom Dichter des Schwankes von Ari- stoteles und Phillis. Ges.-Abent. Nr. II. V. 309—319. — 844 zwi stn., gen. zwîges, Zweig stm. daz gelîmde, gelîmete zwî, die Leimruthe. — gestân = sich stellen, sich niederlassen. — 845 entseben stv. mit gen., merken. — 848 vedern, vederen sw. pl., (die Federn), die Fittige, Flügel. — 849 gerüeren, verstärktes rüeren, berühren. — 850 dehein = kein: an keiner Stelle, nir- gends. — kům adj. (zu adv. kůme, unser: kaum), schwach; seltenes Wort. — 851 haft adj., haftend, fest. — een binde = ezne binde, ez enbinde: wir wenden für solche beschränkende Sätze am besten: ohne daf an. 849—851 damit (mit den Flügeln) berührt der Vogel die Ruthe an keiner Stelle, ohne dafs sie, die Ruthe, wie schwach und dünn sie auch sei, ihn nicht fessele (durch den Leim) ; positiv gefasst: überall, wo der Vogel mit den Flügeln die Ruthe berührt, fesselt sie ihn trotz ihrer Schwäche. Die Erklärung im mhd. Wb. unter kûm I, 908 «wiewohl es beinahe unmöglich ist, daß es ihn nicht binde» trifft den Sinn nicht. Die Ubersetzer beziehen swie kûm ez sî auf die Schwäche der Berührung, was mit der Natur des Vogels nicht zusammenstimmt. — 854 ze júngéste, auch ze jungest adverbiale Wendung, zuletzt. — 855 übersigen swv., überwältigen, schwächen. Die Zusammen- setzungen mit über- in Verben, Adj. und Subst. und hier in verschiedenen Functionen liebt der Dichter; in der 2. Hälfte sind sie häufiger. — 865 dieses Bild würde uns jetzt sehr trivial klingen, aber in alter Zeit war lîmen in der allgemeinen Bedeutung: befestigen, fesseln durchaus edel. Ob hier diu gelîmete minne auf diese allgemeine Bedeutung zurückgeht oder das Bild von dem Vogel auf der Leimruthe zu Grunde liegt, wie Benecke zu Iwein 5328 glaubt, ist fraglich; vgl. zu 11814. —
38 II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. dáz der mínnénde muot reht' alse der frie vogel tuot, der durch die friheit, die er hât, uf daz gelimde zwi gestât; als er des lîmes danne entsebet und er sich ûf ze flühte hebet, sô klebet er mit den füezen an. sus reget er vedern und wil dan. dâ mite gerüeret er daz zwî an dehéiner stat, swie kúm ez si ezn binde in unde mache in haft; sô sleht er danne ûz aller kraft dar unde dar und aber dar, unz er ze júngéste gar sich selben vehtende übersiget und gelîmet an dem zwige liget. reht’ in der selben wîse tuot der unbetwúngéne muot: sô der in senede trahte kumet und liebe an ime ir wunder frumet mit senelîcher swære, sô wil der senedære ze sîner frîhéite wider; sô ziuhet in diu süeze nider der gelimeten minne. 845 850 855 860 865 841—851 fast wörtlich entlehnt vom Dichter des Schwankes von Ari- stoteles und Phillis. Ges.-Abent. Nr. II. V. 309—319. — 844 zwi stn., gen. zwîges, Zweig stm. daz gelîmde, gelîmete zwî, die Leimruthe. — gestân = sich stellen, sich niederlassen. — 845 entseben stv. mit gen., merken. — 848 vedern, vederen sw. pl., (die Federn), die Fittige, Flügel. — 849 gerüeren, verstärktes rüeren, berühren. — 850 dehein = kein: an keiner Stelle, nir- gends. — kům adj. (zu adv. kůme, unser: kaum), schwach; seltenes Wort. — 851 haft adj., haftend, fest. — een binde = ezne binde, ez enbinde: wir wenden für solche beschränkende Sätze am besten: ohne daf an. 849—851 damit (mit den Flügeln) berührt der Vogel die Ruthe an keiner Stelle, ohne dafs sie, die Ruthe, wie schwach und dünn sie auch sei, ihn nicht fessele (durch den Leim) ; positiv gefasst: überall, wo der Vogel mit den Flügeln die Ruthe berührt, fesselt sie ihn trotz ihrer Schwäche. Die Erklärung im mhd. Wb. unter kûm I, 908 «wiewohl es beinahe unmöglich ist, daß es ihn nicht binde» trifft den Sinn nicht. Die Ubersetzer beziehen swie kûm ez sî auf die Schwäche der Berührung, was mit der Natur des Vogels nicht zusammenstimmt. — 854 ze júngéste, auch ze jungest adverbiale Wendung, zuletzt. — 855 übersigen swv., überwältigen, schwächen. Die Zusammen- setzungen mit über- in Verben, Adj. und Subst. und hier in verschiedenen Functionen liebt der Dichter; in der 2. Hälfte sind sie häufiger. — 865 dieses Bild würde uns jetzt sehr trivial klingen, aber in alter Zeit war lîmen in der allgemeinen Bedeutung: befestigen, fesseln durchaus edel. Ob hier diu gelîmete minne auf diese allgemeine Bedeutung zurückgeht oder das Bild von dem Vogel auf der Leimruthe zu Grunde liegt, wie Benecke zu Iwein 5328 glaubt, ist fraglich; vgl. zu 11814. —
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II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. 39 (24) da verwirret er sich inne sô sêre, daz er sich von dan noch sus noch sô verrihten kan. als ergieng ez Riwalîne, den ouch die trahte sîne verwurren in der minne sînes hérzen küniginne. in hæte wol beworrenheit in wunderlîch pârât geleit; wan er enwiste, weder ir muot wider in wæer' übel oder guot; ern erkánde dannoch diz noch daz, weder ir minne noch ir haz. ern sach noch trôst noch zwîvel an, daz enliez ouch in noch dar noch dan. trôst unde zwivel fuorten in unendeclîchen under in: trôst seite im minne, zwivel haz. durch disen kriec und umbe daz, sone móhte er sînen vesten wân an ir dewederez verlân, an haz noch ouch an minne. sus swebeten sîne sinne in einer ungewissen habe : trôst truog in an und zwîvel abe. ern vant niht stætes an in zwein. si gehúllen sô noch sus enein: sô zwîvel kom und seite im, daz sîn Blanscheflur wær’ ime gehaz, sô wancte er unde wolte dan. zehant kom trôst und truog in an 870 875 880 885 890 895 868 verrihten swv. refl., sich wieder in die richtige Verfassung bringen; hier das Loswinden gemeint; ähnliches Bild in V. 16502. — 873 beworren- heit stf., Verwirrung. — 874 parât stf. Fremdw., Wechsel ; hier wohl ähn- lich wie zwivel in V. 831. — 882 unendeclîchen adv., unentschieden. — 886 verlân stv., hier: an etwas hingeben. — 888 sweben swv., nicht bloß von der schaukelnden Bewegung in der Luft, von Gang und Flug, son- dern auch vom Schwimmen, Fließen (9082) gebraucht, dient den Dichtern öfters zum Bild; bei Gottfried vereinzelt. — 889 habe stf., Hafen, gerne im Bild gebraucht; vgl. 1593. — 890 das Bild von den Wellen genommen: Trost trug, brachte ihn (im Schiffe sitzenden) heran (ans Ufer, ans feste Land der Gewissheit), Zweifel entfernte ihn, trieb ihn weiter in die See hinaus. — 892 gehellen stv., zusammentönen, zusammenstimmen. enein geh., übereinstimmen; in V. 11848 under in geh., untereinander zusammen- stimmen. — 895 wancte swv. præt. von wanken (:gedanken 831) oder auch von wenken (:bedenken 15117). — 896 an tragen stv. mit doppeltem Acc. öfters bei Gottfried, einem etwas bringen; vgl. 2583 und zu 2142. —
II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. 39 (24) da verwirret er sich inne sô sêre, daz er sich von dan noch sus noch sô verrihten kan. als ergieng ez Riwalîne, den ouch die trahte sîne verwurren in der minne sînes hérzen küniginne. in hæte wol beworrenheit in wunderlîch pârât geleit; wan er enwiste, weder ir muot wider in wæer' übel oder guot; ern erkánde dannoch diz noch daz, weder ir minne noch ir haz. ern sach noch trôst noch zwîvel an, daz enliez ouch in noch dar noch dan. trôst unde zwivel fuorten in unendeclîchen under in: trôst seite im minne, zwivel haz. durch disen kriec und umbe daz, sone móhte er sînen vesten wân an ir dewederez verlân, an haz noch ouch an minne. sus swebeten sîne sinne in einer ungewissen habe : trôst truog in an und zwîvel abe. ern vant niht stætes an in zwein. si gehúllen sô noch sus enein: sô zwîvel kom und seite im, daz sîn Blanscheflur wær’ ime gehaz, sô wancte er unde wolte dan. zehant kom trôst und truog in an 870 875 880 885 890 895 868 verrihten swv. refl., sich wieder in die richtige Verfassung bringen; hier das Loswinden gemeint; ähnliches Bild in V. 16502. — 873 beworren- heit stf., Verwirrung. — 874 parât stf. Fremdw., Wechsel ; hier wohl ähn- lich wie zwivel in V. 831. — 882 unendeclîchen adv., unentschieden. — 886 verlân stv., hier: an etwas hingeben. — 888 sweben swv., nicht bloß von der schaukelnden Bewegung in der Luft, von Gang und Flug, son- dern auch vom Schwimmen, Fließen (9082) gebraucht, dient den Dichtern öfters zum Bild; bei Gottfried vereinzelt. — 889 habe stf., Hafen, gerne im Bild gebraucht; vgl. 1593. — 890 das Bild von den Wellen genommen: Trost trug, brachte ihn (im Schiffe sitzenden) heran (ans Ufer, ans feste Land der Gewissheit), Zweifel entfernte ihn, trieb ihn weiter in die See hinaus. — 892 gehellen stv., zusammentönen, zusammenstimmen. enein geh., übereinstimmen; in V. 11848 under in geh., untereinander zusammen- stimmen. — 895 wancte swv. præt. von wanken (:gedanken 831) oder auch von wenken (:bedenken 15117). — 896 an tragen stv. mit doppeltem Acc. öfters bei Gottfried, einem etwas bringen; vgl. 2583 und zu 2142. —
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40 II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. ir minne und einen lieben wân: sus muose er aber dâ bestân. mit disem kriege enwiste er war: ern mohte weder dan noch dar. sô er ie sêrer dannen ranc, sô minne ie mêre wider twanc. sô er ie harter dannen flôch, sô minne ie vaster wider zôch. sus treip ez minne mit im an, biz doch der trôst den sige gewan und er den zwivel gar vertreip, und Riwalin gewis beleip, sîn Blanscheflûr diu minnet' in: des was sin herze und al sîn sin einbærelîche an sî geleit, daz niemen dô dâ wider streit. 900 905 910 (25) Nu daz diu süeze minne sîn herze und sîne sinne al nach ir willen hæete brâht, dannoch was ime vil ungedâht, daz herzeliebe wære sô nâhe gênde ein sware. do er dâ sîn âventiure von sîner Blanschefliure von ende her betrahte und allez sunder ahte: ir hâr, ir stirne, ir tinne, ir wange, ir munt, ir kinne, den fröuderîchen ôstertac, der lachende in ir ougen lac, dô kom diu rehte minne, diu wâre fiuræerinne und stiez ir senefiuwer an, 915 920 925 897 wan in der Bedeutung von Hoffnung meist mit liep verbunden; be€ Gottfried einmal noch sœleclîcher w. 6201. — 899 war adv., wohin, relativ zu dar.— 903 harter compar. adv., mehr, entschiedener. — 904 vaster compar. adv. (vgl. 8869), fester, stärker. — 911 einbœrelîche adv., übereinstimmend. durch und durch. 916 dannoch (= unserm: dennoch) adv., hier: noch damals, noch. — ungedaht part. adj., unvermuthet, unbewusst. — 922 sunder adv., beson- ders, im Einzelnen; häufig bei Gottfried. — ahten swv. mit acc., beach- ten. — 923 tinne stn., Schlaf (an der Stirne), hier wohl plur. — 928 fiura- rinne stf., wörtlich etwa : Anfeurerin ; ein Gottfriedisches Wort. — 929 stôzen stv. wird wie hier in vielen Wendungen durch unser: stecken ersetzt; ein anderes an stozen in V. 1581. — senefiuwer stn., Liebesfeuer. —
40 II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. ir minne und einen lieben wân: sus muose er aber dâ bestân. mit disem kriege enwiste er war: ern mohte weder dan noch dar. sô er ie sêrer dannen ranc, sô minne ie mêre wider twanc. sô er ie harter dannen flôch, sô minne ie vaster wider zôch. sus treip ez minne mit im an, biz doch der trôst den sige gewan und er den zwivel gar vertreip, und Riwalin gewis beleip, sîn Blanscheflûr diu minnet' in: des was sin herze und al sîn sin einbærelîche an sî geleit, daz niemen dô dâ wider streit. 900 905 910 (25) Nu daz diu süeze minne sîn herze und sîne sinne al nach ir willen hæete brâht, dannoch was ime vil ungedâht, daz herzeliebe wære sô nâhe gênde ein sware. do er dâ sîn âventiure von sîner Blanschefliure von ende her betrahte und allez sunder ahte: ir hâr, ir stirne, ir tinne, ir wange, ir munt, ir kinne, den fröuderîchen ôstertac, der lachende in ir ougen lac, dô kom diu rehte minne, diu wâre fiuræerinne und stiez ir senefiuwer an, 915 920 925 897 wan in der Bedeutung von Hoffnung meist mit liep verbunden; be€ Gottfried einmal noch sœleclîcher w. 6201. — 899 war adv., wohin, relativ zu dar.— 903 harter compar. adv., mehr, entschiedener. — 904 vaster compar. adv. (vgl. 8869), fester, stärker. — 911 einbœrelîche adv., übereinstimmend. durch und durch. 916 dannoch (= unserm: dennoch) adv., hier: noch damals, noch. — ungedaht part. adj., unvermuthet, unbewusst. — 922 sunder adv., beson- ders, im Einzelnen; häufig bei Gottfried. — ahten swv. mit acc., beach- ten. — 923 tinne stn., Schlaf (an der Stirne), hier wohl plur. — 928 fiura- rinne stf., wörtlich etwa : Anfeurerin ; ein Gottfriedisches Wort. — 929 stôzen stv. wird wie hier in vielen Wendungen durch unser: stecken ersetzt; ein anderes an stozen in V. 1581. — senefiuwer stn., Liebesfeuer. —
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II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. 41 930 daz fiur, dâ von sîn herze enbran, daz sînem libe sâ zestunt schînbærelîche tete kunt, waz nahe gêndiu swære und senediu sorge wære. wan er greif in ein ander leben: ein niuwe leben wart ime gegeben. er verwandelte dâ mite al sine sinne und sîne site und wart mitalle ein ander man; wan allez daz, des er began, daz was mit wunderlichen siten und mit blintheit undersniten. sin ane geborne sinne die wâren von der minne als wilde und alse unstæte, als er si erbeten hæte. sin leben begunde swachen von rehtem herzelachen: des er dâ vor was wol gewon, dà zôch er sich mitalle von. swigen unde wesen unfrô daz was sîn beste leben dô, wan elliu sîn gemúothéit was gar in senede nôt geleit. 935 940 945 960 Ouch vergíe sîn senelîch geschiht die seneden Blanschefliure niht: diu was ouch mit dem selben schaden durch in, als er durch sî, beladen. (26) diu gewáltærinne Minne 955 932 sckinoaretiche adv., sichtbar, deutlich. — 935 grifen stv. mit præp. in c. acc., etwas angreifen, ergreifen, beginnen. — 939 mitalle adv., gänz- fich. — 942 undersniden stv., bunt, manigfaltig machen (zunächst von der Tracht gesagt). Wir können in ähnlichem Bilde etwa übersetzen: ver- brämt; vgl. 2126. 4694. — 946 erbeten der Hss. gibt keinen Sinn, und Er- klärungen von: erbitten befriedigen nicht. Vielleicht erweten in der Be- deutung von entweten (von ich entwite), aus dem Joche gelassen ; das einfache geweten in V. 15243. Zur Bestätigung meiner Vermuthung weist F. Bech auf Pseudo-Conrad Troj. Krieg 47632. Meine Conjectur, welcher auch Lexer im mhd. Handwb. 2, 616 eine Stelle angewiesen, scheint vielseitige Zustim- mung gefunden zu haben; dennoch ist sie nicht in den Text zu setzen. — 947 swachen swv., schwach werden. — 948 an rechter Herzensfreude. — 953 gemuotheit stf., Frohsinn. 955 mich vergât etew., mich flieht, mir entgeht etwas, bleibe von etwas verschont. — 959 gewaltarinne stf., Gewalthaberin ; ein Gottfriedisches Wort. — Minne swf. hier personificiert. —
II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. 41 930 daz fiur, dâ von sîn herze enbran, daz sînem libe sâ zestunt schînbærelîche tete kunt, waz nahe gêndiu swære und senediu sorge wære. wan er greif in ein ander leben: ein niuwe leben wart ime gegeben. er verwandelte dâ mite al sine sinne und sîne site und wart mitalle ein ander man; wan allez daz, des er began, daz was mit wunderlichen siten und mit blintheit undersniten. sin ane geborne sinne die wâren von der minne als wilde und alse unstæte, als er si erbeten hæte. sin leben begunde swachen von rehtem herzelachen: des er dâ vor was wol gewon, dà zôch er sich mitalle von. swigen unde wesen unfrô daz was sîn beste leben dô, wan elliu sîn gemúothéit was gar in senede nôt geleit. 935 940 945 960 Ouch vergíe sîn senelîch geschiht die seneden Blanschefliure niht: diu was ouch mit dem selben schaden durch in, als er durch sî, beladen. (26) diu gewáltærinne Minne 955 932 sckinoaretiche adv., sichtbar, deutlich. — 935 grifen stv. mit præp. in c. acc., etwas angreifen, ergreifen, beginnen. — 939 mitalle adv., gänz- fich. — 942 undersniden stv., bunt, manigfaltig machen (zunächst von der Tracht gesagt). Wir können in ähnlichem Bilde etwa übersetzen: ver- brämt; vgl. 2126. 4694. — 946 erbeten der Hss. gibt keinen Sinn, und Er- klärungen von: erbitten befriedigen nicht. Vielleicht erweten in der Be- deutung von entweten (von ich entwite), aus dem Joche gelassen ; das einfache geweten in V. 15243. Zur Bestätigung meiner Vermuthung weist F. Bech auf Pseudo-Conrad Troj. Krieg 47632. Meine Conjectur, welcher auch Lexer im mhd. Handwb. 2, 616 eine Stelle angewiesen, scheint vielseitige Zustim- mung gefunden zu haben; dennoch ist sie nicht in den Text zu setzen. — 947 swachen swv., schwach werden. — 948 an rechter Herzensfreude. — 953 gemuotheit stf., Frohsinn. 955 mich vergât etew., mich flieht, mir entgeht etwas, bleibe von etwas verschont. — 959 gewaltarinne stf., Gewalthaberin ; ein Gottfriedisches Wort. — Minne swf. hier personificiert. —
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42 II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. diu was ouch in ir sinne ein teil ze sturmelîche komen und hæte ir mit gewalte genomen den besten teil ir mâze. sine wás an ir gelâze ir selber noch der welt niht mite nâch ir gewónlîchem site: swaz sî sich fröuden an genam, swaz schimpfes ir ê wol gezam, daz missestuont ir allez dô. ir leben enschuof sich niuwan sô, als ez ir an der nôt gewac, diu nâhen an ir herzen lac. und alles des, des si geleit von senelîcher arebeit, sone wíste si niht, waz ir war. wan si wart nie dâ vor gewar, waz sus getâniu swære und herzesorge wæere, und sprach vil dicke wider sich: «owê got hêrre, wie leb ich ! wie unde waz ist mir geschehen? ich hân doch manegen man gesehen, von dem mir nie kein leit geschach ; und sit ich disen man gesach, sît wart mîn herze niemer mê noch frî noch fröudehaft als ê. 965 970 975 980 900 985 961 ein teil adv. acc., etwas. — sturmelîche adv., stürmisch. — 963 mäze stf., die gleichmäßige Stimmung und gleichmässige Haltung und Gebärde, galt als ein besonderer Vorzug und wird bei den Dichtern öfters gepriesen und empfohlen und wie andere Tugenden auch personificiert ; bei Gottfried vgl. 18012 fg. 2737 fg. Hier ist mâze der Gleichmuth, die Seelenruhe. — 964 gelâz stm., Benehmen. — 965 mite wesen mit dat., einem zugesellt sein wie in V. 13479; sie gehörte sich und der Welt nicht mehr an. — 966 ge- wonlîch adj., gewöhnlich, gebräuchlich. — 967 sich an nemen (genam plus- quamperf.) einen oder eines oder auch von Sachen sich an nemen ein dinc oder eines dinges häufiger und ausgedehnter als unser: sich annehmen (nur mit gen.), öfters durch andern Ausdruck zu ersetzen; hier: sich hin- geben. — 968 schimpf stm., Scherz, Kurzweil. — Auch gezam plusquamperf. von zemen. — 969 missestân, übel anstehen. — 970 schaffen refl., sich ge- stalten. — 971 gewegen stv. intrans., Gewicht haben, ausschlagen, sich fügen, angemessen sein. — 973 gelîden stv., verst. lîden, erleiden. — 974 arebeit, arbeit stf., Mühe, Trübsal. — 975 war præt. von werren stv. mit dat. der Person, Kummer verursachen, meist entsprechend unserm: fehlen; öfters die Frage: waz wirret dir z. B. 11969. — 977 sus getân part. adj., so beschaffen, solch [vgl. das veraltete sothan]. —
42 II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. diu was ouch in ir sinne ein teil ze sturmelîche komen und hæte ir mit gewalte genomen den besten teil ir mâze. sine wás an ir gelâze ir selber noch der welt niht mite nâch ir gewónlîchem site: swaz sî sich fröuden an genam, swaz schimpfes ir ê wol gezam, daz missestuont ir allez dô. ir leben enschuof sich niuwan sô, als ez ir an der nôt gewac, diu nâhen an ir herzen lac. und alles des, des si geleit von senelîcher arebeit, sone wíste si niht, waz ir war. wan si wart nie dâ vor gewar, waz sus getâniu swære und herzesorge wæere, und sprach vil dicke wider sich: «owê got hêrre, wie leb ich ! wie unde waz ist mir geschehen? ich hân doch manegen man gesehen, von dem mir nie kein leit geschach ; und sit ich disen man gesach, sît wart mîn herze niemer mê noch frî noch fröudehaft als ê. 965 970 975 980 900 985 961 ein teil adv. acc., etwas. — sturmelîche adv., stürmisch. — 963 mäze stf., die gleichmäßige Stimmung und gleichmässige Haltung und Gebärde, galt als ein besonderer Vorzug und wird bei den Dichtern öfters gepriesen und empfohlen und wie andere Tugenden auch personificiert ; bei Gottfried vgl. 18012 fg. 2737 fg. Hier ist mâze der Gleichmuth, die Seelenruhe. — 964 gelâz stm., Benehmen. — 965 mite wesen mit dat., einem zugesellt sein wie in V. 13479; sie gehörte sich und der Welt nicht mehr an. — 966 ge- wonlîch adj., gewöhnlich, gebräuchlich. — 967 sich an nemen (genam plus- quamperf.) einen oder eines oder auch von Sachen sich an nemen ein dinc oder eines dinges häufiger und ausgedehnter als unser: sich annehmen (nur mit gen.), öfters durch andern Ausdruck zu ersetzen; hier: sich hin- geben. — 968 schimpf stm., Scherz, Kurzweil. — Auch gezam plusquamperf. von zemen. — 969 missestân, übel anstehen. — 970 schaffen refl., sich ge- stalten. — 971 gewegen stv. intrans., Gewicht haben, ausschlagen, sich fügen, angemessen sein. — 973 gelîden stv., verst. lîden, erleiden. — 974 arebeit, arbeit stf., Mühe, Trübsal. — 975 war præt. von werren stv. mit dat. der Person, Kummer verursachen, meist entsprechend unserm: fehlen; öfters die Frage: waz wirret dir z. B. 11969. — 977 sus getân part. adj., so beschaffen, solch [vgl. das veraltete sothan]. —
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II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. 43 (27) diz sehen, daz ich in hân getân, daz ist ein dinc, dâ von ich hân erworben nâhe gêndiu leit. mîn herze, daz nie nôt geleit, daz ist dâ von versêret; ez hât mich gar verkêret an muote unde an libe. sol iegelîchem wibe, diu in gehœret unde gesiht, geschehen, alse mir geschiht, und ist ez danne an ime geborn, so ist michel schoene an ime verlorn und ist unnütze lebende ein man. ist aber, daz er von lêre kan deheiner slahte zouberlist, dâ von diz fremede wunder ist und disiu wunderliche nót, sô wære er maneges bezzer tôt und ensólte in niemer wip gesehen. durch got, wie’st mir von ime geschehen sô leide und alsô swâre! nun' gesách ich doch zewâre noch in noch nie deheinen man mit vientlîchen ougen an noch getruoc nie manne haz: wâ mite mac ich geschulden daz, daz mir von iemen leit geschehe, den ich mit friundes ougen sehe? Waz wize ich aber dem guoten man? er ist hie lihte unschuldec an. swaz herzesorge ich mir von im 990 995 1000 1005 1010 1015 987 tuon hier Verbum vertretend, darum der Acc. in (von sehen); daz fasse ich nicht als Relativ zu sehen subst. inf. stn., sondern als Conj. der Anblick (das heifst, setzt sie erklärend hinzu), daß ich ihn gerade erblickt habe, das ist u. s. w. — 991 versêren swv., in edeler Sprache noch gebräuchlich: verletzen. — 997 an ime geborn = ime an geborn wie in V. 17936 = nhd. — 998 verlorn part., vergeblich; die Wendung etwa = an, auf ihn verschwendet. — 999 nhd. Schachtelung nothig: ein unütze l. m. — unnütze adv., hier mit gesteigertem Begriff: schädlich. — 1002 fremede, fremde adj., seltsam. — 1004 maneges adv. gen., um manches, viel; vgl. 1474. — 1007 swâre adv., schwer, schmerzlich. — 1008 zewâre (ze wâre), zwâre adv., in Wahrheit [zwar, quidem jünger]. 1015 wîzen stv. mit dat., einem einen Verweis ertheilen, einen schel- ten. —
II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. 43 (27) diz sehen, daz ich in hân getân, daz ist ein dinc, dâ von ich hân erworben nâhe gêndiu leit. mîn herze, daz nie nôt geleit, daz ist dâ von versêret; ez hât mich gar verkêret an muote unde an libe. sol iegelîchem wibe, diu in gehœret unde gesiht, geschehen, alse mir geschiht, und ist ez danne an ime geborn, so ist michel schoene an ime verlorn und ist unnütze lebende ein man. ist aber, daz er von lêre kan deheiner slahte zouberlist, dâ von diz fremede wunder ist und disiu wunderliche nót, sô wære er maneges bezzer tôt und ensólte in niemer wip gesehen. durch got, wie’st mir von ime geschehen sô leide und alsô swâre! nun' gesách ich doch zewâre noch in noch nie deheinen man mit vientlîchen ougen an noch getruoc nie manne haz: wâ mite mac ich geschulden daz, daz mir von iemen leit geschehe, den ich mit friundes ougen sehe? Waz wize ich aber dem guoten man? er ist hie lihte unschuldec an. swaz herzesorge ich mir von im 990 995 1000 1005 1010 1015 987 tuon hier Verbum vertretend, darum der Acc. in (von sehen); daz fasse ich nicht als Relativ zu sehen subst. inf. stn., sondern als Conj. der Anblick (das heifst, setzt sie erklärend hinzu), daß ich ihn gerade erblickt habe, das ist u. s. w. — 991 versêren swv., in edeler Sprache noch gebräuchlich: verletzen. — 997 an ime geborn = ime an geborn wie in V. 17936 = nhd. — 998 verlorn part., vergeblich; die Wendung etwa = an, auf ihn verschwendet. — 999 nhd. Schachtelung nothig: ein unütze l. m. — unnütze adv., hier mit gesteigertem Begriff: schädlich. — 1002 fremede, fremde adj., seltsam. — 1004 maneges adv. gen., um manches, viel; vgl. 1474. — 1007 swâre adv., schwer, schmerzlich. — 1008 zewâre (ze wâre), zwâre adv., in Wahrheit [zwar, quidem jünger]. 1015 wîzen stv. mit dat., einem einen Verweis ertheilen, einen schel- ten. —
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44 II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. (28) und ouch durch sînen willen nim, daz wizze got, deist allermeist mîn selbes herzen vólléist. ich sach dâ manegen man und in: waz mag er mir des, daz mîn sin vor den andern allen an in éinen ist gevallen? dô ich sô vil manc edele wîp den sînen keiserlîchen lip und sînen ritterlîchen prîs mit lobe gehôrte in ballen wîs als umbe trîben unde tragen und sînes lobes sô vil gesagen, und ich mit ougen selbe sach die tugende, der man von im jach, und allez in mîn herze las, swaz lobelîches an im was : dâ von ergouchete mir mîn sin, hie von geviel mîn herze an in. entriuwen, daz erblante mich, daz was daz zouber, dâ von ich mîn selber sus vergezzen hân. ern hât mir leides niht getân, der liebe man, von dem ich klage, den ich mit klage ze mære trage. min tumber meisterlôser muot, der ist, der mir dâ leide tuot, der ist, der mînen schaden wil. 1020 1025 1030 1035 1040 1045 1018 nemen stv. im Mlid. und namentlich von Gottfried in Verbindung mit Subst. sehr häufig angewandt; dafür nhd. annehmen und Synon. fassen, finden u. dgl. oder die zu den Subst. gehörigen Verben; hier: wie viel ich mich um ihn herzlich absorge; vgl. 18575. — 1020 volleist stm. stf., (völlige Leistung), Hülfe, Ursache; hier unentschieden, stf. in V. 19409. — 1022 mugen mit gen. der Sache (des) und öfters mit gemüthl. Dativ = dazu, dafür können; vgl. 9932. 17786 (wer kann für diese seine Blindheit was?). — 1028 in ballen wîs, nach Art eines Balles ; Walther v. d. Vogelw. Pfeiffer 176, 2 : in balles wîs. ballen gen. von balle swm. (= nhd. Ballen) in der Bedeutung: Ball. — 1035 ergouchen swv. intrans., gouch (Narr, eigentl. Kukuk) werden, sich bethören. — 1036 gevallen, verst. vallen, verfallen au€ (an) einen, sich neigen zu einem; ein Lieblingswort des Dichters. — 1037 entriuwen (= in triuwen) adv., in Treuen, traun (aus trûwen, trůn). — erblante præt. von erblenden swv., verblenden. — 1041 von, die Ursache be- zeichnend. — klagen, hier wohl wie in V. 186, aber intrans.: durch den ich Schmerz empfinde. — 1042 klage stf. dagegen =querela. — ze mare tragen, eigentlich zur Sprache bringen, erwähnen, gedenken. — 1043 tump adj., unverständig [dumm, stultus jünger]. — meisterlôs adj., führerlos, un- gezügelt. — 1044 vgl. zu 12409. —
44 II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. (28) und ouch durch sînen willen nim, daz wizze got, deist allermeist mîn selbes herzen vólléist. ich sach dâ manegen man und in: waz mag er mir des, daz mîn sin vor den andern allen an in éinen ist gevallen? dô ich sô vil manc edele wîp den sînen keiserlîchen lip und sînen ritterlîchen prîs mit lobe gehôrte in ballen wîs als umbe trîben unde tragen und sînes lobes sô vil gesagen, und ich mit ougen selbe sach die tugende, der man von im jach, und allez in mîn herze las, swaz lobelîches an im was : dâ von ergouchete mir mîn sin, hie von geviel mîn herze an in. entriuwen, daz erblante mich, daz was daz zouber, dâ von ich mîn selber sus vergezzen hân. ern hât mir leides niht getân, der liebe man, von dem ich klage, den ich mit klage ze mære trage. min tumber meisterlôser muot, der ist, der mir dâ leide tuot, der ist, der mînen schaden wil. 1020 1025 1030 1035 1040 1045 1018 nemen stv. im Mlid. und namentlich von Gottfried in Verbindung mit Subst. sehr häufig angewandt; dafür nhd. annehmen und Synon. fassen, finden u. dgl. oder die zu den Subst. gehörigen Verben; hier: wie viel ich mich um ihn herzlich absorge; vgl. 18575. — 1020 volleist stm. stf., (völlige Leistung), Hülfe, Ursache; hier unentschieden, stf. in V. 19409. — 1022 mugen mit gen. der Sache (des) und öfters mit gemüthl. Dativ = dazu, dafür können; vgl. 9932. 17786 (wer kann für diese seine Blindheit was?). — 1028 in ballen wîs, nach Art eines Balles ; Walther v. d. Vogelw. Pfeiffer 176, 2 : in balles wîs. ballen gen. von balle swm. (= nhd. Ballen) in der Bedeutung: Ball. — 1035 ergouchen swv. intrans., gouch (Narr, eigentl. Kukuk) werden, sich bethören. — 1036 gevallen, verst. vallen, verfallen au€ (an) einen, sich neigen zu einem; ein Lieblingswort des Dichters. — 1037 entriuwen (= in triuwen) adv., in Treuen, traun (aus trûwen, trůn). — erblante præt. von erblenden swv., verblenden. — 1041 von, die Ursache be- zeichnend. — klagen, hier wohl wie in V. 186, aber intrans.: durch den ich Schmerz empfinde. — 1042 klage stf. dagegen =querela. — ze mare tragen, eigentlich zur Sprache bringen, erwähnen, gedenken. — 1043 tump adj., unverständig [dumm, stultus jünger]. — meisterlôs adj., führerlos, un- gezügelt. — 1044 vgl. zu 12409. —
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II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. 45 er wil und wil joch alze vil, des er niht wellen solte, ob er bedenken wolte, waz fuoge wære und êre. nune síht ab er niht mêre niwan sin selbes willen an an disem sâligen man, an den er in sô kurzer frist sô rehte gar gevallen ist. und semir got, ich wane wol, ob ich es mit êren wæenen sol, und sol ich mich der rede niht schamen durch mînen magetlîchen namen, sô dunket mich, diu herzeklage, die ich durch in ze herzen trage, diu ensî niwan von minnen: des wirde ich hier an innen, daz ich im sô gerne wæere bî. und swaz sô dirre mære sî, mir wahset etewaz hier an, daz minne meinet unde man. wan swaz ich allen mînen lip umbe réhte minnéndiu wîp und umbe liebe hân vernomen, daz ist mir an mîn herze komen: der süeze herzesmerze, der vil manc edele herze quelt mit süezem smerzen, der liget in mînem herzen." 1050 1055 1060 1065 1070 Nu daz diu hövesche guote mit gánzlîchem muote 1075 1046 joch adv., auch, aber auch. — 1048 obe, ob, op conj. wie noch in dich- terischer Sprache= wenn. — 1049 fuoge stf., Schicklichkeit, Anstand ; das Wort auch im Plural in V. 1261. 5256. — 1055 semir (= sem, sam mir) got. eigentlich so mir Gott (vgl. s6 dir got 7070), hinzugedacht: helfe. Diese aus einem Schwur gekürzte Betheuerung ziemlich häufig bei Gottfried. — 1058 magetlích adj. (zu maget, Mädchen), jungfräulich. — name swm., hier nicht Name, Ehre, guter Ruf, sondern die Person und Eigenschaft um- schreibend: m. n. = magetuom, Jungfräulichkeit in Bezug auf die Scham- haftigkeit. — 1062 innen =nhd. inne; ferner im Reime 10447. — 1067 líp stm. synon. von leben: mein Lebtag. — 1068 umbe præp., in Betreff, über. von; im Mhd. von bedeutenderem Umfang als das nhd. um. 1076 ganclîch adj., hier: ganz. —
II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. 45 er wil und wil joch alze vil, des er niht wellen solte, ob er bedenken wolte, waz fuoge wære und êre. nune síht ab er niht mêre niwan sin selbes willen an an disem sâligen man, an den er in sô kurzer frist sô rehte gar gevallen ist. und semir got, ich wane wol, ob ich es mit êren wæenen sol, und sol ich mich der rede niht schamen durch mînen magetlîchen namen, sô dunket mich, diu herzeklage, die ich durch in ze herzen trage, diu ensî niwan von minnen: des wirde ich hier an innen, daz ich im sô gerne wæere bî. und swaz sô dirre mære sî, mir wahset etewaz hier an, daz minne meinet unde man. wan swaz ich allen mînen lip umbe réhte minnéndiu wîp und umbe liebe hân vernomen, daz ist mir an mîn herze komen: der süeze herzesmerze, der vil manc edele herze quelt mit süezem smerzen, der liget in mînem herzen." 1050 1055 1060 1065 1070 Nu daz diu hövesche guote mit gánzlîchem muote 1075 1046 joch adv., auch, aber auch. — 1048 obe, ob, op conj. wie noch in dich- terischer Sprache= wenn. — 1049 fuoge stf., Schicklichkeit, Anstand ; das Wort auch im Plural in V. 1261. 5256. — 1055 semir (= sem, sam mir) got. eigentlich so mir Gott (vgl. s6 dir got 7070), hinzugedacht: helfe. Diese aus einem Schwur gekürzte Betheuerung ziemlich häufig bei Gottfried. — 1058 magetlích adj. (zu maget, Mädchen), jungfräulich. — name swm., hier nicht Name, Ehre, guter Ruf, sondern die Person und Eigenschaft um- schreibend: m. n. = magetuom, Jungfräulichkeit in Bezug auf die Scham- haftigkeit. — 1062 innen =nhd. inne; ferner im Reime 10447. — 1067 líp stm. synon. von leben: mein Lebtag. — 1068 umbe præp., in Betreff, über. von; im Mhd. von bedeutenderem Umfang als das nhd. um. 1076 ganclîch adj., hier: ganz. —
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46 II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. sich in ir herzen des entstuont, als die minnénden alle tuont, daz ir geselle Riwalîn ir herzen fröude müese sîn, ir meister trôst, ir beste leben: si begúnde im ouge und ouge geben und sach in, swâ s'in mohte sehen. swenn’ ez diu fuoge lie geschehen, sô gruozte si in vil tougen mit inneclîchen ougen. ir senelîche blicke die sâhen in vil dicke lang' unde minneclîchen an. dô daz der minnénde man, ir friunt, begunde merken, alrêrste begunde in sterken diu minne und ouch sîn trôst an ir; alrêrste enbran sîn herzegir, und sach der süezen allez sider baltlîcher unde süezer wider, dan er ie dâ vor getæte. swenn’ er die state hæte, sô gruozte ouch er mit ougen dar. nu sîn diu schoene wart gewar, daz er si meinde als si in, dô was ir meistiu sorge hin; wan si wând’ allez ê, daz er hin z'ir enhæte deheine ger. nu wiste ab sî wol, daz sin muot hin z'ir was süeze und alse guot, als liebes muot ze liebe sol. 1080 1085 1090 1095 1160 (29) 1105 1077 entstàn, auch enstân refl. mit gen. der Sache, sich auf etwas ver- stehen, etwas verstehen, merken. — 1082 die Wiederholung von ouge drückt die fortgesetzten Blicke (wie in V. 1086) aus, bezieht sich nicht körperlich auf die beiden Augen, das eine und das andere ; solche Wieder- holungen zur Verstärkung des Ausdrucks gehören zu Gottfried's Stile; vgl. zu 12214. ouge ist hier wohl Plural statt des regelmäßigen ougen. o. geben = Blicke schenken [vgl. Winke geben]. — 1084 swenne (= sô wenne) correl. conj., sobald. — fuoge stf., hier: schickliche Zeit , Gelegen- heit. — 1085 tougen adv., heimlich. — 1092 alrêrste adv., hier: nun erst recht. — 1095 sider (compar. zu sît) adv., danach. — 1096 baltlîcher adv. compar., kühner. — wider zu sehen. der süezen ist dat.: sah ihr entgegen, sah sie an. — 1101 meinen swv., im Sinne haben, hier synonym mit minnen; vgl. 7501. — 1107 liebes gen. und liebe dat. von liep stn., das Lieb, Liebchen, der Geliebte. —
46 II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. sich in ir herzen des entstuont, als die minnénden alle tuont, daz ir geselle Riwalîn ir herzen fröude müese sîn, ir meister trôst, ir beste leben: si begúnde im ouge und ouge geben und sach in, swâ s'in mohte sehen. swenn’ ez diu fuoge lie geschehen, sô gruozte si in vil tougen mit inneclîchen ougen. ir senelîche blicke die sâhen in vil dicke lang' unde minneclîchen an. dô daz der minnénde man, ir friunt, begunde merken, alrêrste begunde in sterken diu minne und ouch sîn trôst an ir; alrêrste enbran sîn herzegir, und sach der süezen allez sider baltlîcher unde süezer wider, dan er ie dâ vor getæte. swenn’ er die state hæte, sô gruozte ouch er mit ougen dar. nu sîn diu schoene wart gewar, daz er si meinde als si in, dô was ir meistiu sorge hin; wan si wând’ allez ê, daz er hin z'ir enhæte deheine ger. nu wiste ab sî wol, daz sin muot hin z'ir was süeze und alse guot, als liebes muot ze liebe sol. 1080 1085 1090 1095 1160 (29) 1105 1077 entstàn, auch enstân refl. mit gen. der Sache, sich auf etwas ver- stehen, etwas verstehen, merken. — 1082 die Wiederholung von ouge drückt die fortgesetzten Blicke (wie in V. 1086) aus, bezieht sich nicht körperlich auf die beiden Augen, das eine und das andere ; solche Wieder- holungen zur Verstärkung des Ausdrucks gehören zu Gottfried's Stile; vgl. zu 12214. ouge ist hier wohl Plural statt des regelmäßigen ougen. o. geben = Blicke schenken [vgl. Winke geben]. — 1084 swenne (= sô wenne) correl. conj., sobald. — fuoge stf., hier: schickliche Zeit , Gelegen- heit. — 1085 tougen adv., heimlich. — 1092 alrêrste adv., hier: nun erst recht. — 1095 sider (compar. zu sît) adv., danach. — 1096 baltlîcher adv. compar., kühner. — wider zu sehen. der süezen ist dat.: sah ihr entgegen, sah sie an. — 1101 meinen swv., im Sinne haben, hier synonym mit minnen; vgl. 7501. — 1107 liebes gen. und liebe dat. von liep stn., das Lieb, Liebchen, der Geliebte. —
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II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. 47 daz selbe wiste er an ir wol. daz selbe enzunde ir beider sin. dâ von begunden s' under in sich meinen unde minnen mit herzenlîchen sinnen. ez ergienc in rehte, alsô man giht: swâ liep in liebes ouge siht, daz ist der minnen fiure ein wáhséndiu stiure. 1110 1115 Nu Markes hôhgezît zergie und sich diu hêrschaft gar zerlie, (30) dô kômen Marke mære, daz ein sîn vîent wære, ein künec, geriten in sîn lant mit alsô kréftiger hant, der in niht schiere tæte wider, er bræche im allez daz dernider, daz er berîten kunde. zehant und an der stunde besande Marke ein michel her und kom in an mit starker wer. er vaht mit ime und sigete im an und sluog und vienc sô manegen man, daz ez von grôzen sælden was, der dannen kom od dâ genas. dâ wart der werde Riwalîn mit einem sper zer sîten în gestochen und sô sêre wunt, daz in die sîne sâ zestunt 1120 1125 1130 1135 1111 meinen unde minnen beliebte allitterierende Tautologie; auch minnen und (noch) meinen bei Gottfried in V. 19154. — 1114 fg. Paraphrase eines Sprichwortes. — 1115 fiure ist dat. — 1116 stiure stf., hier: Beihülfe. 1118 hêrschaft stf., die Gesellschaft der Hehren, der Adel, der Hof [nhd. pl. Herrschaften]. — 1120 ein Feind von ihm ; mhd. das Possessivpr. (eigentlich gen. des Personalpr.) öfters zwischen Artikel und Subst.; vgl. 1198. — 1123 der = swer, wenn der, wenn einer, wenn man. — schiere adv., bald. — wider tuon mit acc., einen zurückbringen, vertreiben. — 1124 freie Construction in Folge des eingeschobenen Satzes V. 1123; er brœche für daz er brœche, abh. von alsô. — im = Marke. — 1125 berîten stv., (zu Rosse) erreichen. — 1127 besenden swv., durch entsendete Boten aufbieten lassen, eine Art Terminus für Einberufung des Heeres und der Vasallen, dann überhaupt: holen lassen. — 1128 an komen mit acc. = an einen komen, d. h. einem (freundlich oder feindlich) entgegentreten; hier: einen an- greifen; vgl. 2172. — 1129 an sigen mit dat., an einem, über einen den Sieg gewinnen. — 1136 zestunt (ze stunde) adv., zur Stunde, sogleich, oft mit sâ (805) verbunden. —
II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. 47 daz selbe wiste er an ir wol. daz selbe enzunde ir beider sin. dâ von begunden s' under in sich meinen unde minnen mit herzenlîchen sinnen. ez ergienc in rehte, alsô man giht: swâ liep in liebes ouge siht, daz ist der minnen fiure ein wáhséndiu stiure. 1110 1115 Nu Markes hôhgezît zergie und sich diu hêrschaft gar zerlie, (30) dô kômen Marke mære, daz ein sîn vîent wære, ein künec, geriten in sîn lant mit alsô kréftiger hant, der in niht schiere tæte wider, er bræche im allez daz dernider, daz er berîten kunde. zehant und an der stunde besande Marke ein michel her und kom in an mit starker wer. er vaht mit ime und sigete im an und sluog und vienc sô manegen man, daz ez von grôzen sælden was, der dannen kom od dâ genas. dâ wart der werde Riwalîn mit einem sper zer sîten în gestochen und sô sêre wunt, daz in die sîne sâ zestunt 1120 1125 1130 1135 1111 meinen unde minnen beliebte allitterierende Tautologie; auch minnen und (noch) meinen bei Gottfried in V. 19154. — 1114 fg. Paraphrase eines Sprichwortes. — 1115 fiure ist dat. — 1116 stiure stf., hier: Beihülfe. 1118 hêrschaft stf., die Gesellschaft der Hehren, der Adel, der Hof [nhd. pl. Herrschaften]. — 1120 ein Feind von ihm ; mhd. das Possessivpr. (eigentlich gen. des Personalpr.) öfters zwischen Artikel und Subst.; vgl. 1198. — 1123 der = swer, wenn der, wenn einer, wenn man. — schiere adv., bald. — wider tuon mit acc., einen zurückbringen, vertreiben. — 1124 freie Construction in Folge des eingeschobenen Satzes V. 1123; er brœche für daz er brœche, abh. von alsô. — im = Marke. — 1125 berîten stv., (zu Rosse) erreichen. — 1127 besenden swv., durch entsendete Boten aufbieten lassen, eine Art Terminus für Einberufung des Heeres und der Vasallen, dann überhaupt: holen lassen. — 1128 an komen mit acc. = an einen komen, d. h. einem (freundlich oder feindlich) entgegentreten; hier: einen an- greifen; vgl. 2172. — 1129 an sigen mit dat., an einem, über einen den Sieg gewinnen. — 1136 zestunt (ze stunde) adv., zur Stunde, sogleich, oft mit sâ (805) verbunden. —
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48 II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. (31) vür einen hálptôten man mit manegem jâmer fuorten dan hin heim ze Tintajôle wider. dâ leiten si'n tôtsleken nider. zehant erschullen mære, Kanêlengres der wære tôtwunt und in dem strîte erslagen: des wart ein jæmerlîchez klagen in dem hóve und in dem lande. swer sine tugende erkande, dem was sîn schade von herzen leit. si klageten, daz sîn frumekeit, sîn schoener lîp, sîn süeziu jugent, sîn wol gelobetiu hêrrentugent sô schiere solte an ime zergân und ein sô früejez ende hân. sîn friunt der künic Marke der klagte in alsô starke, daz er durch nie deheinen man sô nâhe gênde klage gewan. in weinde manic edel wip, manec frouwe klagete sinen lip; und swer in ie dâ vor gesach, den erbármete sin ungemach. swaz aber ir aller sware umbe sînen schaden wære, sô was ez iemer eine sîn Blanscheflůr, diu reine, diu hövesché, diu guote, diu mit durnähtem muote, mit ougen und mit herzen ir herzeliebes smerzen 1140 1145 1150 1155 1160 1165 1140 totsleken nach Hs. M; Hs. H totslegen; totsiechen, wie nach Hs. W und F in der 1. Auflage geschrieben wurde, ist doch gewagt. sleken flect. acc. von einem Adj. slec=slac, wie es im Alts. heißt und im Ahd. u. Mhd. in der Form slah, slach vorkommt, mit der Bedeutung: schwach, schlaff. Wahrscheinlich hatte die Vorlage von M totslahen, welches für slechen ge- lesen und worin ch für k genommen wurde, was dem bairischen Schreiber nicht fremd war, denn die Form mit k ist als eine bairische nachgewiesen. Gottfried schrieb wohl totslachen, was aber nicht in den Text zu setzen ist. Zusammensetzungen mit tôt bei G. sind tôtwunt 1143. tôtsiech 1287. — 1143 er- slagen nicht = nhd. todtgeschlagen (denn er lebt ja noch), sondern nieder- geschlagen, verwundet; in V. 1675 = nhd. — 1148 frumekeit stf., Tüchtig- keit, Tapferkeit [Frömmigkeit, pietas jünger]. — 1154 klagen trans., hier: beklagen. — 1157 weinen mit acc. = beweinen. — 1163 eine adj., öfters in der Bedeutung: allein, ganz besonders. — 1166 durnähte (ahd. duruhnohti) adj., eigentlich: durch und durch genügend, dann: vollkommen, aufrichtig. 1168 herceliep stn. s. zu 1107. —
48 II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. (31) vür einen hálptôten man mit manegem jâmer fuorten dan hin heim ze Tintajôle wider. dâ leiten si'n tôtsleken nider. zehant erschullen mære, Kanêlengres der wære tôtwunt und in dem strîte erslagen: des wart ein jæmerlîchez klagen in dem hóve und in dem lande. swer sine tugende erkande, dem was sîn schade von herzen leit. si klageten, daz sîn frumekeit, sîn schoener lîp, sîn süeziu jugent, sîn wol gelobetiu hêrrentugent sô schiere solte an ime zergân und ein sô früejez ende hân. sîn friunt der künic Marke der klagte in alsô starke, daz er durch nie deheinen man sô nâhe gênde klage gewan. in weinde manic edel wip, manec frouwe klagete sinen lip; und swer in ie dâ vor gesach, den erbármete sin ungemach. swaz aber ir aller sware umbe sînen schaden wære, sô was ez iemer eine sîn Blanscheflůr, diu reine, diu hövesché, diu guote, diu mit durnähtem muote, mit ougen und mit herzen ir herzeliebes smerzen 1140 1145 1150 1155 1160 1165 1140 totsleken nach Hs. M; Hs. H totslegen; totsiechen, wie nach Hs. W und F in der 1. Auflage geschrieben wurde, ist doch gewagt. sleken flect. acc. von einem Adj. slec=slac, wie es im Alts. heißt und im Ahd. u. Mhd. in der Form slah, slach vorkommt, mit der Bedeutung: schwach, schlaff. Wahrscheinlich hatte die Vorlage von M totslahen, welches für slechen ge- lesen und worin ch für k genommen wurde, was dem bairischen Schreiber nicht fremd war, denn die Form mit k ist als eine bairische nachgewiesen. Gottfried schrieb wohl totslachen, was aber nicht in den Text zu setzen ist. Zusammensetzungen mit tôt bei G. sind tôtwunt 1143. tôtsiech 1287. — 1143 er- slagen nicht = nhd. todtgeschlagen (denn er lebt ja noch), sondern nieder- geschlagen, verwundet; in V. 1675 = nhd. — 1148 frumekeit stf., Tüchtig- keit, Tapferkeit [Frömmigkeit, pietas jünger]. — 1154 klagen trans., hier: beklagen. — 1157 weinen mit acc. = beweinen. — 1163 eine adj., öfters in der Bedeutung: allein, ganz besonders. — 1166 durnähte (ahd. duruhnohti) adj., eigentlich: durch und durch genügend, dann: vollkommen, aufrichtig. 1168 herceliep stn. s. zu 1107. —
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1I. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. 49 beklagete und ouch beweinete und aber, dô si vereinete und sî ze klage state gewan, sô gie si sich mit handen an: die sluoc si tûsent stunde dar und niuwan dar, da ez ir dâ war, da engégene, dâ daz herze lac, dar tete diu schoene manegen slac. sus quelte daz vil süeze wîp ir jungen, schoenen, süezen lîp mit alse klägelîcher nôt, daz si einen andern tôt, der niht von minnen wære komen, dô hæte vür ir leben genomen und ware iedoch verdorben und in dem leide erstorben, wan daz si dér trôst labete und der gedinge ûf habete, daz sî in benamen wolte sehen, swie sô ez möhté geschehen; und als si in gesæhe, swaz ir dar nâch geschæhe, daz si daz allez gerne lite. hie friste si daz leben mite, unz daz si wider ze sinnen kam und in ir trahte dô genam, wie si in gesehen möhte, als ez ir leide töhte. 1175 1180 1185 1190 1170 1195 Sus kom ir in ir sinne umb' eine ir meisterinne, (32) diu si álle zît und alle wege hæt' in ir lêre und in ir pflege und si ûz ir huote nie verlie: 1200 1170 vereinen swv. intrans., vereinsamen, allein sein. — 1172 an gân mit acc., einen angreifen, Hand an einen legen. — 1186 gedinge swm. (s. 9182 auf’er Reim), Hoffnung. — haben swv., præt. habete [vgl. sich ge- haben], halten. ûf h.=unserm: aufrecht erhalten. — 1188 swie s6 Ver- stärkung der correl. Conj. (s. zu 34), wie auch dann. — 1196 leide dat. von leit stn. oder von leide stf.: ihrem Leide taugte, angemessen wäre. 1197 Unpersönliche Construction: (ez) kam ihr in ihren Sinn (mhd. plur.). — 1198 umbe præep., in Betreff (wie 1068), wie wenn vorher ein ein- ziges Verbum, etwa gedenken, stünde. — meisterinne (meisterîn 1215) stf., Erzieherin , wie aus dem Folgenden hervorgeht. — COTTFRIED VON STRASSBURG. 1. 2. Aufl.
1I. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. 49 beklagete und ouch beweinete und aber, dô si vereinete und sî ze klage state gewan, sô gie si sich mit handen an: die sluoc si tûsent stunde dar und niuwan dar, da ez ir dâ war, da engégene, dâ daz herze lac, dar tete diu schoene manegen slac. sus quelte daz vil süeze wîp ir jungen, schoenen, süezen lîp mit alse klägelîcher nôt, daz si einen andern tôt, der niht von minnen wære komen, dô hæte vür ir leben genomen und ware iedoch verdorben und in dem leide erstorben, wan daz si dér trôst labete und der gedinge ûf habete, daz sî in benamen wolte sehen, swie sô ez möhté geschehen; und als si in gesæhe, swaz ir dar nâch geschæhe, daz si daz allez gerne lite. hie friste si daz leben mite, unz daz si wider ze sinnen kam und in ir trahte dô genam, wie si in gesehen möhte, als ez ir leide töhte. 1175 1180 1185 1190 1170 1195 Sus kom ir in ir sinne umb' eine ir meisterinne, (32) diu si álle zît und alle wege hæt' in ir lêre und in ir pflege und si ûz ir huote nie verlie: 1200 1170 vereinen swv. intrans., vereinsamen, allein sein. — 1172 an gân mit acc., einen angreifen, Hand an einen legen. — 1186 gedinge swm. (s. 9182 auf’er Reim), Hoffnung. — haben swv., præt. habete [vgl. sich ge- haben], halten. ûf h.=unserm: aufrecht erhalten. — 1188 swie s6 Ver- stärkung der correl. Conj. (s. zu 34), wie auch dann. — 1196 leide dat. von leit stn. oder von leide stf.: ihrem Leide taugte, angemessen wäre. 1197 Unpersönliche Construction: (ez) kam ihr in ihren Sinn (mhd. plur.). — 1198 umbe præep., in Betreff (wie 1068), wie wenn vorher ein ein- ziges Verbum, etwa gedenken, stünde. — meisterinne (meisterîn 1215) stf., Erzieherin , wie aus dem Folgenden hervorgeht. — COTTFRIED VON STRASSBURG. 1. 2. Aufl.
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50 II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. die nam si sunder unde gie, dâ niemen was niwan si zwô, und huop ir klage hin z'ir alsô, als si ie tâten und noch tuont, den ir dinc stât, als ez ir stuont. ir ougen über wielen, die heizen trähene vielen gedihteclîche und ange über ir vil liehtiu wange; ir hende sî zesamene vielt, flêhlîche sî die vür sich hielt: «ach mînes libes!» si dô sprach, «ach», sprach si «mînes libes, ach, ach, herzeliebiu meisterîn, nu tuo mir dîne triuwe schîn, der vil und wunder an dir ist ! und sît du nû sô salic bist, daz al mîn sæelde und al mîn rât niwan an dînem râte stât, sô klage ich dir mîn herzeleit ûf alle dîne sælekeit: dune hélfes mir, sô bin ich tôt.» «nu, frouwe, waz ist iuwer nôt und iuwer klägelîchez klagen?" «ei, trût, getar ich dir'z gesagen?" “jâ, liebiu frouwe, sprechet an !» «mich totet dirre tôte man, von Parmenîe Riwalîn: den sæhe ich gerne, möhte ez sîn, und weste ich wie ich’z erwürbe, 1205 1210 1215 1220 1225 1230 1202 sunder adv., hier: abgesondert, bei Seite. — 1206 ir dinc hier Singu- lar, ihre Sache, Angelegenheit. — 1209 gedihteclîche adv., dicht; vgl. 13054. — ange adv., eigentlich: enge (wie in V. 18201), dicht, öfters wortspielend mit ancliche verbunden; ein Lieblingswort des Dichters. — 1210 wange starker Plural statt wangen, ebenso dat. sing. st. in V. 1304, demnach das Wort bei G. stn. statt swn. (nhd. sing. stf.) — 1212 ftêhlîche, flêhelîche adv., flehentlich. — 1217 wunder stn. steht öfters gleichsam adverbial, eine wunderbare Menge, sehr viel. — 1218 sœelic adj. hat hier deutlich die Be- deutung : lieb und gut; ebenso sclekeit V. 1222 Gnade, Güte; vgl. zu 578. — 1219. 1220 rât in Gottfried's Weise in beiden Versen verschieden: 1) Rettung, 2) guter Rath, consilium, doch kann auch hier: Hülfe ver- standen sein wegen V. 1223. — 1226 trût subst. zu trût adj., traut, lieb; das Geschlecht wechselt zwischen masc. (V. 1308) und neutr. ; hier in der Anrede an ein Weib natürlich neutr. (wie das Lieb, Trautchen), Freun- din. — geturren anom. v., verst. turren, wagen, dürfen. — gesagen = sagen. — 1227 sprechet an = saget an. — 1231 erwerben stv., erlangen, durch- setzen. —
50 II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. die nam si sunder unde gie, dâ niemen was niwan si zwô, und huop ir klage hin z'ir alsô, als si ie tâten und noch tuont, den ir dinc stât, als ez ir stuont. ir ougen über wielen, die heizen trähene vielen gedihteclîche und ange über ir vil liehtiu wange; ir hende sî zesamene vielt, flêhlîche sî die vür sich hielt: «ach mînes libes!» si dô sprach, «ach», sprach si «mînes libes, ach, ach, herzeliebiu meisterîn, nu tuo mir dîne triuwe schîn, der vil und wunder an dir ist ! und sît du nû sô salic bist, daz al mîn sæelde und al mîn rât niwan an dînem râte stât, sô klage ich dir mîn herzeleit ûf alle dîne sælekeit: dune hélfes mir, sô bin ich tôt.» «nu, frouwe, waz ist iuwer nôt und iuwer klägelîchez klagen?" «ei, trût, getar ich dir'z gesagen?" “jâ, liebiu frouwe, sprechet an !» «mich totet dirre tôte man, von Parmenîe Riwalîn: den sæhe ich gerne, möhte ez sîn, und weste ich wie ich’z erwürbe, 1205 1210 1215 1220 1225 1230 1202 sunder adv., hier: abgesondert, bei Seite. — 1206 ir dinc hier Singu- lar, ihre Sache, Angelegenheit. — 1209 gedihteclîche adv., dicht; vgl. 13054. — ange adv., eigentlich: enge (wie in V. 18201), dicht, öfters wortspielend mit ancliche verbunden; ein Lieblingswort des Dichters. — 1210 wange starker Plural statt wangen, ebenso dat. sing. st. in V. 1304, demnach das Wort bei G. stn. statt swn. (nhd. sing. stf.) — 1212 ftêhlîche, flêhelîche adv., flehentlich. — 1217 wunder stn. steht öfters gleichsam adverbial, eine wunderbare Menge, sehr viel. — 1218 sœelic adj. hat hier deutlich die Be- deutung : lieb und gut; ebenso sclekeit V. 1222 Gnade, Güte; vgl. zu 578. — 1219. 1220 rât in Gottfried's Weise in beiden Versen verschieden: 1) Rettung, 2) guter Rath, consilium, doch kann auch hier: Hülfe ver- standen sein wegen V. 1223. — 1226 trût subst. zu trût adj., traut, lieb; das Geschlecht wechselt zwischen masc. (V. 1308) und neutr. ; hier in der Anrede an ein Weib natürlich neutr. (wie das Lieb, Trautchen), Freun- din. — geturren anom. v., verst. turren, wagen, dürfen. — gesagen = sagen. — 1227 sprechet an = saget an. — 1231 erwerben stv., erlangen, durch- setzen. —
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II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. 51 ê danne er volle erstürbe; wan leider ern mac niht genesen. maht dû mir dar zuo guot gewesen, ich engân dir niemer nihtes abe, die wile und ich daz leben habe.» 1235 Diu meisterinne gedâhte dô: "gestate ich dirre dinge alsô, (33) waz mac dâ schaden gewahsen an? wan dirre hálptôte man der stirbet morgen oder noch: sô hân ich mîner frouwen doch gefristet lip und êre und bin ir iemer mêre lieber danne ein ander wîp.» «trût frouwe", sprach si «lieber lip, iuwer klage ist mir von herzen leit und swâ ich iuwer arebeit mit mînem libe erwenden kan, dâ gezwivelt niemer an. ich sol selbe gân dar nider und in gesehen und iesâ wider. ich sol die state erkunnen dâ, 1240 1245 1250 1232 volle adv. (zu vol), völlig, vollends. — ersterben stv., absterben, über- haupt: sterben. — 1234 guot , hier in der Bedeutung: nützlich, hülfreich; vgl. 5029. — gewesen, verst. wesen wegen des erweiterten Reimes wie noch V. 4427. — 1235 abe gân mit dat. der Person, gen. der Sache, einem etwas versagen; fast dieselbe Wendung in V. 6964. — 1236 unde steht öfters in Vertretung des Relativs, namentlich in dieser Wendung: die Zeit, in der; so lange als; vgl. z. B. 1755. 1870. 11433. 13515. 1238 gestaten in der Regel mit gen., nhd. gestatten mit acc. — dirre dinge gen. pl.; wir begnügen uns oft mit dem Singular. dinc sing. und pl. im Mhd. in Verbindung mit Adjectiven und adject. Pronomen umschreibt Substantiva und subst. Pronomina; öfters bieten sich dafür Adverbia. Nicht alle diese Wendungen brauchen im Einzelnen berücksichtigt zu wer- den; vgl. zu 701. — 1239 gewahsen stv., verst. wahsen, erwachsen; vgl. 280. — 1241 derselbe Vers 7655. Die Wendung ist nicht ohne Weiteres zu er- klären; steht noch elliptisch für: noch heute ? oder ist hier eine bestimmte Redensart mit oder anzunehmen =unserm : morgen noch, noch morgen ? oder ist auch hier der Gebrauch Gottfried's wirksam, die specielle Angabe der allgemeinen vorausgehen zu lassen: er stirbt morgen oder (überhaupt) noch statt: er stirbt noch, vielleicht schon morgen? vgl. zu 2510. 3039. 3320. — 1243 fristen swv., hier: Frist geben, erhalten (V. 1192 =nhd). — lîp (Leben) und êre (Glück) steht formelhaft. — 1244 iemer mêre s. zu 637. — 1249 erwenden swv., abwenden. — 1250 gezwiveln = zwîreln. — 1251 suln im Mhd. das hauptsächl. Hülfsverbum für das Futurum, nhd. vielfach beizu- behalten oder zu vertauschen wie hier mit: wollen oder mit: werden. — 1252 und iesâ wider an gân anzuschließen. — 1253 erkunnen swv., kennen lernen, erforschen. — state stf., hier überhaupt: die Verhältnisse, die Ge- legenheit (in weiterem Siune), wie wir auch noch sagen. — 4 *)
II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. 51 ê danne er volle erstürbe; wan leider ern mac niht genesen. maht dû mir dar zuo guot gewesen, ich engân dir niemer nihtes abe, die wile und ich daz leben habe.» 1235 Diu meisterinne gedâhte dô: "gestate ich dirre dinge alsô, (33) waz mac dâ schaden gewahsen an? wan dirre hálptôte man der stirbet morgen oder noch: sô hân ich mîner frouwen doch gefristet lip und êre und bin ir iemer mêre lieber danne ein ander wîp.» «trût frouwe", sprach si «lieber lip, iuwer klage ist mir von herzen leit und swâ ich iuwer arebeit mit mînem libe erwenden kan, dâ gezwivelt niemer an. ich sol selbe gân dar nider und in gesehen und iesâ wider. ich sol die state erkunnen dâ, 1240 1245 1250 1232 volle adv. (zu vol), völlig, vollends. — ersterben stv., absterben, über- haupt: sterben. — 1234 guot , hier in der Bedeutung: nützlich, hülfreich; vgl. 5029. — gewesen, verst. wesen wegen des erweiterten Reimes wie noch V. 4427. — 1235 abe gân mit dat. der Person, gen. der Sache, einem etwas versagen; fast dieselbe Wendung in V. 6964. — 1236 unde steht öfters in Vertretung des Relativs, namentlich in dieser Wendung: die Zeit, in der; so lange als; vgl. z. B. 1755. 1870. 11433. 13515. 1238 gestaten in der Regel mit gen., nhd. gestatten mit acc. — dirre dinge gen. pl.; wir begnügen uns oft mit dem Singular. dinc sing. und pl. im Mhd. in Verbindung mit Adjectiven und adject. Pronomen umschreibt Substantiva und subst. Pronomina; öfters bieten sich dafür Adverbia. Nicht alle diese Wendungen brauchen im Einzelnen berücksichtigt zu wer- den; vgl. zu 701. — 1239 gewahsen stv., verst. wahsen, erwachsen; vgl. 280. — 1241 derselbe Vers 7655. Die Wendung ist nicht ohne Weiteres zu er- klären; steht noch elliptisch für: noch heute ? oder ist hier eine bestimmte Redensart mit oder anzunehmen =unserm : morgen noch, noch morgen ? oder ist auch hier der Gebrauch Gottfried's wirksam, die specielle Angabe der allgemeinen vorausgehen zu lassen: er stirbt morgen oder (überhaupt) noch statt: er stirbt noch, vielleicht schon morgen? vgl. zu 2510. 3039. 3320. — 1243 fristen swv., hier: Frist geben, erhalten (V. 1192 =nhd). — lîp (Leben) und êre (Glück) steht formelhaft. — 1244 iemer mêre s. zu 637. — 1249 erwenden swv., abwenden. — 1250 gezwiveln = zwîreln. — 1251 suln im Mhd. das hauptsächl. Hülfsverbum für das Futurum, nhd. vielfach beizu- behalten oder zu vertauschen wie hier mit: wollen oder mit: werden. — 1252 und iesâ wider an gân anzuschließen. — 1253 erkunnen swv., kennen lernen, erforschen. — state stf., hier überhaupt: die Verhältnisse, die Ge- legenheit (in weiterem Siune), wie wir auch noch sagen. — 4 *)
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52 11. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. (34) wie er dâ lige oder wâ, und ouch der liute nemen war.» sus kóm si in den gebæerden dar, als sî sîn angest wolte klagen und begúnde im tougenlîche sagen, ir frouwe wolte in gerne sehen, daz er ez liezé geschehen nâch fuogen und nâch êren. sus begúnde si dô kêren mit disen maeren wider dan. si nam die maget und leite ir an eines armen betewibes kleit. ir ántlützes schônhéit mit dicken rîsen sî verbant und nam ir frouwen an die hant und kom ze Riwalîne. nu hæte ouch er die sîne al besunder ûz getriben und was al éiné beliben. er sagete in allen unde jach, einoede ware sîn gemach. ouch jach diu meisterinne, si bræehte ein arzâtinne, und erwárp, daz man si zuo im liez. daz slôz si vür die tür dô stiez: «nu frouwe", sprach si «sehet in !» und sî, diu schoene, diu gie hin und dô si im under ougen sach, «ach», sprach si «hiute und iemer ach, owê daz ich ie wart geborn : wie ist mîn trôst alsus verlorn!" 1200 1265 1270 1275 1280 1255 1257 als conj., hier: als, wie wenn. — angest (Geschlecht bei G. unbe- stimmt), hier nicht: Angst in unserm Sinne, sondern: der beängstigende, gefahrvolle Zustand, Leid und Schmerz. — 1259 frouwe swf., hier die eigent- liche Bedeutung: Herrin. — 1264 s. zu 1058. — 1265 betewîp (von beten, bit- ten, betteln) stn., Bettelweib. — 1267 die Bedeutungen von dicke, dick und dicht kommen hier nah zusammen. — rîse fem. (st. u. sw.), Schleier. Kopftuch. — verbinden stv., s. zu 16283. — 1271 al besunder adv., eigentl.: ganz abgesondert, besonders, jedes für sich, hat im Mhd. ofters die Be- deutung: jedes einzelne, dann: alle nacheinander. — 1272 al eine, ganz einsam, unser: allein. — 1274 einoede (Geschlecht unbestimmt), Einsam- keit. — gemach stn. (s. V. 16356), Gemächlichkeit, Ruhe (4430), Erholung (gemach ist hier nicht und überhaupt nicht : Wunsch, wohl aber steigert sich der Begriff zu: Vergnügen; vgl. 15803. 16356; synonym mit froude 15785). — 1278 slôz stn., nicht: Schüsselschlofs, sondern: der beschliefsende Riegel. — stozen stv., hier: schieben.
52 11. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. (34) wie er dâ lige oder wâ, und ouch der liute nemen war.» sus kóm si in den gebæerden dar, als sî sîn angest wolte klagen und begúnde im tougenlîche sagen, ir frouwe wolte in gerne sehen, daz er ez liezé geschehen nâch fuogen und nâch êren. sus begúnde si dô kêren mit disen maeren wider dan. si nam die maget und leite ir an eines armen betewibes kleit. ir ántlützes schônhéit mit dicken rîsen sî verbant und nam ir frouwen an die hant und kom ze Riwalîne. nu hæte ouch er die sîne al besunder ûz getriben und was al éiné beliben. er sagete in allen unde jach, einoede ware sîn gemach. ouch jach diu meisterinne, si bræehte ein arzâtinne, und erwárp, daz man si zuo im liez. daz slôz si vür die tür dô stiez: «nu frouwe", sprach si «sehet in !» und sî, diu schoene, diu gie hin und dô si im under ougen sach, «ach», sprach si «hiute und iemer ach, owê daz ich ie wart geborn : wie ist mîn trôst alsus verlorn!" 1200 1265 1270 1275 1280 1255 1257 als conj., hier: als, wie wenn. — angest (Geschlecht bei G. unbe- stimmt), hier nicht: Angst in unserm Sinne, sondern: der beängstigende, gefahrvolle Zustand, Leid und Schmerz. — 1259 frouwe swf., hier die eigent- liche Bedeutung: Herrin. — 1264 s. zu 1058. — 1265 betewîp (von beten, bit- ten, betteln) stn., Bettelweib. — 1267 die Bedeutungen von dicke, dick und dicht kommen hier nah zusammen. — rîse fem. (st. u. sw.), Schleier. Kopftuch. — verbinden stv., s. zu 16283. — 1271 al besunder adv., eigentl.: ganz abgesondert, besonders, jedes für sich, hat im Mhd. ofters die Be- deutung: jedes einzelne, dann: alle nacheinander. — 1272 al eine, ganz einsam, unser: allein. — 1274 einoede (Geschlecht unbestimmt), Einsam- keit. — gemach stn. (s. V. 16356), Gemächlichkeit, Ruhe (4430), Erholung (gemach ist hier nicht und überhaupt nicht : Wunsch, wohl aber steigert sich der Begriff zu: Vergnügen; vgl. 15803. 16356; synonym mit froude 15785). — 1278 slôz stn., nicht: Schüsselschlofs, sondern: der beschliefsende Riegel. — stozen stv., hier: schieben.
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II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. 53 1285 Alsus neic ir dô Riwalîn vil kúme, als ez dô mohte sîn von einem tôtsiechen man. ouch sach si daz vil lützel an und nam es harte kleine war, wan saz êt blintlîchen dar und leite Riwalîne ir wange an daz sîne, biz daz ir aber dô beide von liebe und ouch von leide ir libes kraft dâ von gesweich: ir rôsevarwer munt wart bleich, ir lîch diu kom vil garwe von der vil liehten varwe, diu dâ vor an ir lîbe lac; ir klâren ougen wart der tac trüeb' unde vinster als diu naht. sus lac si in der únmáht und âne sinne lange, ir wange an sînem wange gelîche als ob si waere tôt. nu daz si dô von dirre nôt ein lützel wider ze krefte kam, ir trût si an ir arm dô nam und leite ir munt an sînen munt und kuste in hundert tûsent stunt in einer kleinen stunde, unz ime ir munt enzunde sinn’ unde kraft zer minne, wan minne was dar inne: ir munt der tete in fröudehaft, ir munt der brâhte im eine kraft, daz er daz keiserlîche wîp an sinen hâlptôten lîp 1290 1295 1300 1305 1310 1315 1286 kůme adv. (zu kům 850), kaum (aber nicht zeitlich); vil k., nur mit grofer Mühe. — 1290 sitzen stv., sich setzen. — blintlichen adv., blind- lings. — 1293 beide (auch st. flect. beidiu) — und = engl. both — and, sowohl — als auch. — 1295 geswichen stv., entweichen, verloren gehen. — 1297 lích (erhalten in Leiche) stf., der Leib, dann : körperliches Aussehen, nament- lich wie hier: die Gesichtsfarbe, welche Bedeutung bei G. vorherrscht ; vgl. zu 10914. — garwe adv. (zu gar adj. 5956), ganz und gar, durchaus; vgl. gar adv. 795, begarwe 7773. — 1304 = Vers 18202. — 1308 an den arm (auch an dem arme) = in den Arm (im Arme). — 1310 stunt (auch volle Form stunde) stf., hier=mal, 1311 stende=Zeit, Zeitraum. —
II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. 53 1285 Alsus neic ir dô Riwalîn vil kúme, als ez dô mohte sîn von einem tôtsiechen man. ouch sach si daz vil lützel an und nam es harte kleine war, wan saz êt blintlîchen dar und leite Riwalîne ir wange an daz sîne, biz daz ir aber dô beide von liebe und ouch von leide ir libes kraft dâ von gesweich: ir rôsevarwer munt wart bleich, ir lîch diu kom vil garwe von der vil liehten varwe, diu dâ vor an ir lîbe lac; ir klâren ougen wart der tac trüeb' unde vinster als diu naht. sus lac si in der únmáht und âne sinne lange, ir wange an sînem wange gelîche als ob si waere tôt. nu daz si dô von dirre nôt ein lützel wider ze krefte kam, ir trût si an ir arm dô nam und leite ir munt an sînen munt und kuste in hundert tûsent stunt in einer kleinen stunde, unz ime ir munt enzunde sinn’ unde kraft zer minne, wan minne was dar inne: ir munt der tete in fröudehaft, ir munt der brâhte im eine kraft, daz er daz keiserlîche wîp an sinen hâlptôten lîp 1290 1295 1300 1305 1310 1315 1286 kůme adv. (zu kům 850), kaum (aber nicht zeitlich); vil k., nur mit grofer Mühe. — 1290 sitzen stv., sich setzen. — blintlichen adv., blind- lings. — 1293 beide (auch st. flect. beidiu) — und = engl. both — and, sowohl — als auch. — 1295 geswichen stv., entweichen, verloren gehen. — 1297 lích (erhalten in Leiche) stf., der Leib, dann : körperliches Aussehen, nament- lich wie hier: die Gesichtsfarbe, welche Bedeutung bei G. vorherrscht ; vgl. zu 10914. — garwe adv. (zu gar adj. 5956), ganz und gar, durchaus; vgl. gar adv. 795, begarwe 7773. — 1304 = Vers 18202. — 1308 an den arm (auch an dem arme) = in den Arm (im Arme). — 1310 stunt (auch volle Form stunde) stf., hier=mal, 1311 stende=Zeit, Zeitraum. —
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54 11. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. (35) vil nâhe und innecliche twanc. dâ nâch sô was vil harte unlanc, unz daz ir beider wille ergie: und daz vil süeze wip enpfie ein kint von sînem libe. ouch was er von dem wibe und von der minne vil nâch tôt; wan daz im got half ûz der nôt, sone kúnde er niemer sîn genesen: sus genás er, wande ez solte wesen. 1320 1325 Sus was, daz Riwalin genas ; und Blanscheflûr diu schone was von ime entladen unde beladen mit zweier hande herzeschaden: grôz leit lie si bî dem man unde truoc daz groezer dan; si lie dâ senede herzenôt und truoc mit ir von dan den tôt: die nôt si mit der minne lie, den tôt si mit dem kinde enpfie. und iedoch, swie sô sî genas, in swelher wise sô si was von ime entladen unde beladen sô mit frumen sô mit schaden, sone sách si doch niht anders an wan liebe liebe und lieben man. weder kint noch tôdes ungeschiht enwiste s' an ir libe niht : minn’ unde mán wiste s' wol und tete, reht' alse der lebende sol und alse der minnénde tuot: ir herze, ir sin, ir gernder muot lac niwan an Riwalîne. dâ wider lac ouch der sîne 1335 1340 1345 1350 1330 1319 twingen stv., zwingen, drücken, wird haufig von der Umarmung und vom Kusse gesagt; vgl. 12599. 12669. — 1321 der wille (Wunsch ergat (ge- schieht, wird erfüllt), eine edele dichterische Wendung für die Erreichung des Liebesziels. — 1327 wir sagen: so hätte er nimmer genesen können. 1329 Sus was — so war es, so geschah es. — 1339 swie sô conj. correl. (s. zu 34), wiewohl auch. — 1342 frume, frome swm. (vgl. 10475, sonst auch bei G. stf. 5942 , Frommen. Nutzen, Gewinn; vgl. zu 3040. — 1345 ungeschilt stf., Unheil, Missgeschick. —
54 11. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. (35) vil nâhe und innecliche twanc. dâ nâch sô was vil harte unlanc, unz daz ir beider wille ergie: und daz vil süeze wip enpfie ein kint von sînem libe. ouch was er von dem wibe und von der minne vil nâch tôt; wan daz im got half ûz der nôt, sone kúnde er niemer sîn genesen: sus genás er, wande ez solte wesen. 1320 1325 Sus was, daz Riwalin genas ; und Blanscheflûr diu schone was von ime entladen unde beladen mit zweier hande herzeschaden: grôz leit lie si bî dem man unde truoc daz groezer dan; si lie dâ senede herzenôt und truoc mit ir von dan den tôt: die nôt si mit der minne lie, den tôt si mit dem kinde enpfie. und iedoch, swie sô sî genas, in swelher wise sô si was von ime entladen unde beladen sô mit frumen sô mit schaden, sone sách si doch niht anders an wan liebe liebe und lieben man. weder kint noch tôdes ungeschiht enwiste s' an ir libe niht : minn’ unde mán wiste s' wol und tete, reht' alse der lebende sol und alse der minnénde tuot: ir herze, ir sin, ir gernder muot lac niwan an Riwalîne. dâ wider lac ouch der sîne 1335 1340 1345 1350 1330 1319 twingen stv., zwingen, drücken, wird haufig von der Umarmung und vom Kusse gesagt; vgl. 12599. 12669. — 1321 der wille (Wunsch ergat (ge- schieht, wird erfüllt), eine edele dichterische Wendung für die Erreichung des Liebesziels. — 1327 wir sagen: so hätte er nimmer genesen können. 1329 Sus was — so war es, so geschah es. — 1339 swie sô conj. correl. (s. zu 34), wiewohl auch. — 1342 frume, frome swm. (vgl. 10475, sonst auch bei G. stf. 5942 , Frommen. Nutzen, Gewinn; vgl. zu 3040. — 1345 ungeschilt stf., Unheil, Missgeschick. —
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II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. 55 (36) an ir und an ir minnen. si hæten in ir sinnen beid' eine liebe und eine ger: sus was er sî, und si was er, er was ir, und si was sîn ; dâ Blanscheflůr, dâ Riwalîn, dâ Riwalin, dâ Blanscheflûr: dâ beide, dâ lêal amúr. ir leben was vil gemeine dô, si wâren mit ein ander frô und hôhten ir gemüete mit vil gemeiner güete. und swenne sî mit fuogen ir state enein getruogen, sô was ir wérltwúnne vol, sô was in sanfte und alse wol, daz si enhæten niht ir leben umbè kein künicrîche gegeben. 1355 1360 1365 1370 Doch werte daz unlange, wan in ir anevange, do si állerbeste lebeten und in dem wunsche swebeten, dô kômen Riwalîne boten: Morgân sin vient hæte geboten ein starke samenung' in sîn lant. mit disem mære und al zehant wart Riwalîne ein schif bereit und al sîn dinc dar an geleit, spîs' unde ros, daz allez wart zehant bereitet an die vart. 1375 1380 1360 lêal adj. Fremdwort, lat. legalis, neufr. loyal, treu, innig; deutlicher in V. 3752. — amůr (:Blanscheftůr) subst. Fremdwort, lat. amor, Aus- sprache = neufr. amour. — Die Kurze des a beweist das Wortspiel mit lameir 11990 fg. — 1361 gemeine adj., gemeinsam; das Wort wendet G. namentlich im 2. Theile des Gedichts mit Vorliebe an. — 1363 hôhen swv., erhöhen, freudig erheben. — 1365 sî , die Liebenden, ist Subject. — 1366 state stf., hier speciell : die Gelegenheit der Zusammenkunft, Umgang. — getragen =tragen. enein getragen: vgl. zu 396. — 1368 sanfte adv., angenehm, wohl. (1370 in der Lesart kein ander (künicrîche, himelrîche) ist ander nicht = nhd. ander, sondern das ander der Vergleichung; vgl. zu 6683.) 1373 allerbeste adv., am allerbesten. — 1374 wunsch stm., die höchste Vollkommenheit, Seligkeit. — 1376 gebieten stv., durch Befehl entbieten, aufbieten. — 1377 samenunge stf., Versammlung, Heeresmacht. — 1382 an præp. mit acc. = auf, für.
II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. 55 (36) an ir und an ir minnen. si hæten in ir sinnen beid' eine liebe und eine ger: sus was er sî, und si was er, er was ir, und si was sîn ; dâ Blanscheflůr, dâ Riwalîn, dâ Riwalin, dâ Blanscheflûr: dâ beide, dâ lêal amúr. ir leben was vil gemeine dô, si wâren mit ein ander frô und hôhten ir gemüete mit vil gemeiner güete. und swenne sî mit fuogen ir state enein getruogen, sô was ir wérltwúnne vol, sô was in sanfte und alse wol, daz si enhæten niht ir leben umbè kein künicrîche gegeben. 1355 1360 1365 1370 Doch werte daz unlange, wan in ir anevange, do si állerbeste lebeten und in dem wunsche swebeten, dô kômen Riwalîne boten: Morgân sin vient hæte geboten ein starke samenung' in sîn lant. mit disem mære und al zehant wart Riwalîne ein schif bereit und al sîn dinc dar an geleit, spîs' unde ros, daz allez wart zehant bereitet an die vart. 1375 1380 1360 lêal adj. Fremdwort, lat. legalis, neufr. loyal, treu, innig; deutlicher in V. 3752. — amůr (:Blanscheftůr) subst. Fremdwort, lat. amor, Aus- sprache = neufr. amour. — Die Kurze des a beweist das Wortspiel mit lameir 11990 fg. — 1361 gemeine adj., gemeinsam; das Wort wendet G. namentlich im 2. Theile des Gedichts mit Vorliebe an. — 1363 hôhen swv., erhöhen, freudig erheben. — 1365 sî , die Liebenden, ist Subject. — 1366 state stf., hier speciell : die Gelegenheit der Zusammenkunft, Umgang. — getragen =tragen. enein getragen: vgl. zu 396. — 1368 sanfte adv., angenehm, wohl. (1370 in der Lesart kein ander (künicrîche, himelrîche) ist ander nicht = nhd. ander, sondern das ander der Vergleichung; vgl. zu 6683.) 1373 allerbeste adv., am allerbesten. — 1374 wunsch stm., die höchste Vollkommenheit, Seligkeit. — 1376 gebieten stv., durch Befehl entbieten, aufbieten. — 1377 samenunge stf., Versammlung, Heeresmacht. — 1382 an præp. mit acc. = auf, für.
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56 II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. (37) Diu minnecliche Blanschefluor, dô si diu leiden mæere erfuor umbe dén vil herzelieben man, alrêrste gieng ir kumber an: von herzeleide ir aber geschach, daz síne gehôrte noch gesach. ir lich wart an ir libe als einem tôten wîbe. ûz ir munde gie niht mê wan daz vil arme wort «owê!» daz eine sprach si und ouch niht mé. «owê!» sprach sî vil lange «owê! owê nu minne und ouwê man! wie sît ir mich gevallen an mit alsô maneger arebeit! minn’, al der werlde unsælekeit, sô kurziu fröude als an dir ist, sô rehte unstæte sô du bist, waz minnet al diu werlt an dir? ich sihe doch wol, du lônest ir, als der vil válscháfte tuot: dîn ende daz ist niht sô guot, als dû der werlde geheizest, sô dû si von êrste reizest mit kurzem liebe ûf langez leit. dîn gespénstígiu trügeheit, diu in sô valscher süeze swebet, diu triuget allez, daz der lebet: daz ist an mir wol worden schîn. daz al mîn froude solte sîn, da von hân ich nû niht mêre wan tôtlîch herzesêre : mîn trôst vert hin und lât mich hie.» 1390 1395 1400 1405 1410 1385 1413 In disem klagemære gie ir trûtgeselle Riwalîn 1396 an vallen mit acc., nhd. mit dat. (vgl. 5213), einem zufallen; hier bildlich : Minne und Geliebter werden wie ein Erbe, wie ein unfreiwilliger Erwerb aufgefasst. — 1398 unsalekeit stf., Unheil. — 1403 valschafi =: valschhaft adj. subst., mit valsch (9579) behaftet, trügerisch. — 1405 ge- heizen stv., hier: verheißsen. — 1406 reizen (lies reißsen wie heißsen) swv.. reizen, locken. — 1408 gespenstic adj., zauberisch, verführerisch. — trügeheit, auch trügenheit stf., Trügerei, Falschheit. — 1414 herresêre stf.. Herzeleid. 1416 klagemare stn., Klagerede [vgl. Klagelied]. — 1417 trût geselle, trauter, lieber Freund (vgl. 2835. 3741), hier cher trûtgeselle, Trautgeselle
56 II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. (37) Diu minnecliche Blanschefluor, dô si diu leiden mæere erfuor umbe dén vil herzelieben man, alrêrste gieng ir kumber an: von herzeleide ir aber geschach, daz síne gehôrte noch gesach. ir lich wart an ir libe als einem tôten wîbe. ûz ir munde gie niht mê wan daz vil arme wort «owê!» daz eine sprach si und ouch niht mé. «owê!» sprach sî vil lange «owê! owê nu minne und ouwê man! wie sît ir mich gevallen an mit alsô maneger arebeit! minn’, al der werlde unsælekeit, sô kurziu fröude als an dir ist, sô rehte unstæte sô du bist, waz minnet al diu werlt an dir? ich sihe doch wol, du lônest ir, als der vil válscháfte tuot: dîn ende daz ist niht sô guot, als dû der werlde geheizest, sô dû si von êrste reizest mit kurzem liebe ûf langez leit. dîn gespénstígiu trügeheit, diu in sô valscher süeze swebet, diu triuget allez, daz der lebet: daz ist an mir wol worden schîn. daz al mîn froude solte sîn, da von hân ich nû niht mêre wan tôtlîch herzesêre : mîn trôst vert hin und lât mich hie.» 1390 1395 1400 1405 1410 1385 1413 In disem klagemære gie ir trûtgeselle Riwalîn 1396 an vallen mit acc., nhd. mit dat. (vgl. 5213), einem zufallen; hier bildlich : Minne und Geliebter werden wie ein Erbe, wie ein unfreiwilliger Erwerb aufgefasst. — 1398 unsalekeit stf., Unheil. — 1403 valschafi =: valschhaft adj. subst., mit valsch (9579) behaftet, trügerisch. — 1405 ge- heizen stv., hier: verheißsen. — 1406 reizen (lies reißsen wie heißsen) swv.. reizen, locken. — 1408 gespenstic adj., zauberisch, verführerisch. — trügeheit, auch trügenheit stf., Trügerei, Falschheit. — 1414 herresêre stf.. Herzeleid. 1416 klagemare stn., Klagerede [vgl. Klagelied]. — 1417 trût geselle, trauter, lieber Freund (vgl. 2835. 3741), hier cher trûtgeselle, Trautgeselle
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II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. 57 mit wéinéndem herzen in und wolte nemen urloup von ir. «frouwè», sprach er «gebietet mir, ich sol und muoz ze lande varn; iuch, schoene, müeze got bewarn: weset iemer sælec unde gesunt!» alsus geswant ir anderstunt, aber viel si von der herzenôt vor ime in unmaht und vür tôt in ir meisterinne schôz. der ir getriuwe senegenôz, dô der daz michel ungemach an sînem herzeliebe ersach, er leiste ir wol gesellekeit; wan er nam sich ir senede leit vil inneclîche mit ir an. sîn varwe und al sîn kraft began an sînem libe swachen. nâch klägelîchen sachen gesaz er riuweclîchen nider und erbéite kûme, daz si wider (38) und alse vil ze kreften kam, daz er sî dô mit handen nam und hielt daz fröudelôse wîp vil suozeclîche an sînen lip und kuste ie z' etelîcher stunt ir wange, ir ougen unde ir munt und trûte sî sus unde sô, biz si ze júngéste dô 1420 1425 1430 1435 1440 1445 — (vgl. trůtherre 5860); ebenso trütgesellîn 16774. G. liebt dic Zusammen- setzungen mit geselle. — 1418 ähnliche Personification des Herzens in V 11696: mit totem herzen, in V. 4680: daz herze lache dar. — 1419 urlonp stm., Erlaubniss (zu gehen), Urlaub, dann überhaupt die persönliche Ver- abschiedung. — 1420 gebietet mir, Höflichkeitsformel beim Urlaub und Abschied: ich stehe zu Befehl, dann überhaupt: lebt wohl. — 1421 ze lande, nach dem (Vater-) Lande, heim. — 1424 mir geswindet (stv.), mir schwindet das Bewusstsein [nhd. mir schwindelt]. — anderstunt adv. acc., zum andernmal, wiederum. — 1428 senegenôz stm., Genosse in der Liebe und im Liebesleid, « Leidgenosse». Simrock. — 1431 gesellekeit leisten [vgl. Gesellschaft leisten], hier: Freundschaft, Liebe bewähren. — 1436 nách præp., den Umständen nach, gemäſs. — sache stf. sing. u. pl., oft in Um- schreibung gebraucht (wie dinc, vgl. zu 1238). nach klägelîchen sachen. wie es in solchen traurigen Verhältnissen und Augenblicken zu gescheben pflegt. — 1437 rinwecliche adv., mit riuwe (vgl. zu 1789), schmerzvoli. — 1438 erbeiten swv., erwarten. — 1442 snoreclîche adv., süßs. lieblich, mit Innigkeit. — 1445 trûte prat. von triuten swv., trût, lieb haben, lieb- kosen.
II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. 57 mit wéinéndem herzen in und wolte nemen urloup von ir. «frouwè», sprach er «gebietet mir, ich sol und muoz ze lande varn; iuch, schoene, müeze got bewarn: weset iemer sælec unde gesunt!» alsus geswant ir anderstunt, aber viel si von der herzenôt vor ime in unmaht und vür tôt in ir meisterinne schôz. der ir getriuwe senegenôz, dô der daz michel ungemach an sînem herzeliebe ersach, er leiste ir wol gesellekeit; wan er nam sich ir senede leit vil inneclîche mit ir an. sîn varwe und al sîn kraft began an sînem libe swachen. nâch klägelîchen sachen gesaz er riuweclîchen nider und erbéite kûme, daz si wider (38) und alse vil ze kreften kam, daz er sî dô mit handen nam und hielt daz fröudelôse wîp vil suozeclîche an sînen lip und kuste ie z' etelîcher stunt ir wange, ir ougen unde ir munt und trûte sî sus unde sô, biz si ze júngéste dô 1420 1425 1430 1435 1440 1445 — (vgl. trůtherre 5860); ebenso trütgesellîn 16774. G. liebt dic Zusammen- setzungen mit geselle. — 1418 ähnliche Personification des Herzens in V 11696: mit totem herzen, in V. 4680: daz herze lache dar. — 1419 urlonp stm., Erlaubniss (zu gehen), Urlaub, dann überhaupt die persönliche Ver- abschiedung. — 1420 gebietet mir, Höflichkeitsformel beim Urlaub und Abschied: ich stehe zu Befehl, dann überhaupt: lebt wohl. — 1421 ze lande, nach dem (Vater-) Lande, heim. — 1424 mir geswindet (stv.), mir schwindet das Bewusstsein [nhd. mir schwindelt]. — anderstunt adv. acc., zum andernmal, wiederum. — 1428 senegenôz stm., Genosse in der Liebe und im Liebesleid, « Leidgenosse». Simrock. — 1431 gesellekeit leisten [vgl. Gesellschaft leisten], hier: Freundschaft, Liebe bewähren. — 1436 nách præp., den Umständen nach, gemäſs. — sache stf. sing. u. pl., oft in Um- schreibung gebraucht (wie dinc, vgl. zu 1238). nach klägelîchen sachen. wie es in solchen traurigen Verhältnissen und Augenblicken zu gescheben pflegt. — 1437 rinwecliche adv., mit riuwe (vgl. zu 1789), schmerzvoli. — 1438 erbeiten swv., erwarten. — 1442 snoreclîche adv., süßs. lieblich, mit Innigkeit. — 1445 trûte prat. von triuten swv., trût, lieb haben, lieb- kosen.
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58 II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. ze ir sélber kom baz unde baz und ûfreht von ir selber saz. Nu Blanscheflůr ze ir selber kam und aber ir friundes war genam, si sach in jæemerlîchen an: «ach», sprach si «sâliger man, wie ist mir sô leide an iu geschehen ! hêrrè, wie hân ich iuch gesehen ze sô vil maneger herzeklage, als ich an mînem herzen trage von iu, von iuwern schulden! getorste ich ez mit hulden hin z'iu gereden, sô möhtet ir friuntlicher tuon und baz ze mir. hêrr' unde friunt, ich hân von iu manec léit und vor den allen driu, diu toedec unde unwendec sint: daz eine ist, daz ich trage ein kint; des entrûwe ich niemér genesen, got enwélle min gehelfe wesen. daz ander deist noch mêrre : mîn bruoder und mîn hêrre, sô der an mir dis ungeschiht und ouch sin selbes laster siht, der heizet mich verderben und lästerlîche ersterben. daz dritte ist aber diu meiste nôt und maneges erger danne der tôt: ich weiz wol, obe daz wol ergât, daz mich mîn bruoder leben lât und er mich niht ersterbet, daz er mich aber enterbet (39) und nimet mir guot und êre, 1455 1460 1465 1470 1475 1450 1451 jœemerlîchen adv., mit Jammer. — 1452 salic in der Anrede häufig; vgl. zu 1218. — 1453 an præep., hier: durch, von. — 1454 wie adv., hier in der Bedeutung: warum [nhd. beschränkter]; vgl. 3136 = nhd. — 1455 ze præp. bezeichnet Ziel und Zweck; für: warum habe ich euch sehen, kennen lernen müssen, um so manigfaches Herzeleid davon- zutragen, wie ich (wirklich) um euertwillen im Herzen trage. — 1459 ge- reden, verst. reden. — 1463 todec adj., todbringend. — unwendec adv., un- abwendbar. — 1466 Bedingungssatz mit Conjunctiv, nhd. Indicativ: will Gott nicht u. s. w. — gehelfe swm., Mithelfer, Retter. — 1470 laster stn., Schmach, Schande. — 1472 lästerlîche adv., schmählich. — ersterben swv., sterben lassen, tödten. —
58 II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. ze ir sélber kom baz unde baz und ûfreht von ir selber saz. Nu Blanscheflůr ze ir selber kam und aber ir friundes war genam, si sach in jæemerlîchen an: «ach», sprach si «sâliger man, wie ist mir sô leide an iu geschehen ! hêrrè, wie hân ich iuch gesehen ze sô vil maneger herzeklage, als ich an mînem herzen trage von iu, von iuwern schulden! getorste ich ez mit hulden hin z'iu gereden, sô möhtet ir friuntlicher tuon und baz ze mir. hêrr' unde friunt, ich hân von iu manec léit und vor den allen driu, diu toedec unde unwendec sint: daz eine ist, daz ich trage ein kint; des entrûwe ich niemér genesen, got enwélle min gehelfe wesen. daz ander deist noch mêrre : mîn bruoder und mîn hêrre, sô der an mir dis ungeschiht und ouch sin selbes laster siht, der heizet mich verderben und lästerlîche ersterben. daz dritte ist aber diu meiste nôt und maneges erger danne der tôt: ich weiz wol, obe daz wol ergât, daz mich mîn bruoder leben lât und er mich niht ersterbet, daz er mich aber enterbet (39) und nimet mir guot und êre, 1455 1460 1465 1470 1475 1450 1451 jœemerlîchen adv., mit Jammer. — 1452 salic in der Anrede häufig; vgl. zu 1218. — 1453 an præep., hier: durch, von. — 1454 wie adv., hier in der Bedeutung: warum [nhd. beschränkter]; vgl. 3136 = nhd. — 1455 ze præp. bezeichnet Ziel und Zweck; für: warum habe ich euch sehen, kennen lernen müssen, um so manigfaches Herzeleid davon- zutragen, wie ich (wirklich) um euertwillen im Herzen trage. — 1459 ge- reden, verst. reden. — 1463 todec adj., todbringend. — unwendec adv., un- abwendbar. — 1466 Bedingungssatz mit Conjunctiv, nhd. Indicativ: will Gott nicht u. s. w. — gehelfe swm., Mithelfer, Retter. — 1470 laster stn., Schmach, Schande. — 1472 lästerlîche adv., schmählich. — ersterben swv., sterben lassen, tödten. —
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II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. 59 1480 sô muoz ich iemer mêre unwert und swaches namen sîn. dar zuo muoz ich mîn kindelîn, daz einen lebenden vater hât, ziehen âne vater rât. und enwólte ich niemer daz geklagen, solt' ich daz laster eine tragen, daz min vil hôch geslehte und der künic mîn bruoder mehte des itewizes unde mîn mit êren ledec und âne sîn. swenn’ aber alle, die nu sint, diu mare sagent, ich habe ein kint erworben kebeslîche, deist disem und jenem rîche, Kurnewâle und Engelande ein offenbæeriu schande. und ouwê, swenne daz geschiht, daz man mich mit den ougen siht, daz zwei lant von den schulden mîn genidert unde geswachet sîn, sô wære ich eine bezzer tôt. seht, hêrre", sprach si «deist diu nôt, daz ist diu wernde herzeklage, in der ich alle mîne tage mit lebendem libe sterben muoz. herr', iuwer helfe diu entuoz, und got enfüege ez danne alsô, sone wirde ich niemer mêre frô.» 1485 1490 1495 1500 1505 «Trût frouwe", sprach er dô ze ir «habet ir deheine nôt von mir, die sol ich büezen, obe ich mac, 1510 1481 man kann schwanken, ob swach = niedrig oder ethischer gefasst = geschändet ist; ähnlich birgt unser: verachtet den Doppelsinn. — name steht hier wohl wieder umschreibend (vgl. zu 1058), swaches namen = swach, sonst bezeichnet name auch den Stand. — 1484 rât stm., Beihülfe. — vater ist Genetiv. — 1485 geklagen, verst. klagen, beklagen. — 1486 eine adj., allein. — 1489 itewi2 stm., Vorwurf, Schande. — 1490 âne erscheint in solchen Wendungen als unflect. Adjectiv und Synonym von ledic, frei, los [los und ledig]. — 1493 kebeslîche adv., nach Art eines Kebsweibes, unehelich. — 1500 nidern swv., erniedrigen. — swachen (vgl. 8299) swv. trans., swach machen, beschimpfen. — 1503 wernde, werende part. adj., fortwährend, beständig; vgl. 11678. — 1506 entuoz = entuo'z, entuo ez. 1511 büezen swv., nicht: büßsen, Strafe leiden, sondern: wieder gut machen, vergelten; öfters betcern und b.; vgl. 5234. —
II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. 59 1480 sô muoz ich iemer mêre unwert und swaches namen sîn. dar zuo muoz ich mîn kindelîn, daz einen lebenden vater hât, ziehen âne vater rât. und enwólte ich niemer daz geklagen, solt' ich daz laster eine tragen, daz min vil hôch geslehte und der künic mîn bruoder mehte des itewizes unde mîn mit êren ledec und âne sîn. swenn’ aber alle, die nu sint, diu mare sagent, ich habe ein kint erworben kebeslîche, deist disem und jenem rîche, Kurnewâle und Engelande ein offenbæeriu schande. und ouwê, swenne daz geschiht, daz man mich mit den ougen siht, daz zwei lant von den schulden mîn genidert unde geswachet sîn, sô wære ich eine bezzer tôt. seht, hêrre", sprach si «deist diu nôt, daz ist diu wernde herzeklage, in der ich alle mîne tage mit lebendem libe sterben muoz. herr', iuwer helfe diu entuoz, und got enfüege ez danne alsô, sone wirde ich niemer mêre frô.» 1485 1490 1495 1500 1505 «Trût frouwe", sprach er dô ze ir «habet ir deheine nôt von mir, die sol ich büezen, obe ich mac, 1510 1481 man kann schwanken, ob swach = niedrig oder ethischer gefasst = geschändet ist; ähnlich birgt unser: verachtet den Doppelsinn. — name steht hier wohl wieder umschreibend (vgl. zu 1058), swaches namen = swach, sonst bezeichnet name auch den Stand. — 1484 rât stm., Beihülfe. — vater ist Genetiv. — 1485 geklagen, verst. klagen, beklagen. — 1486 eine adj., allein. — 1489 itewi2 stm., Vorwurf, Schande. — 1490 âne erscheint in solchen Wendungen als unflect. Adjectiv und Synonym von ledic, frei, los [los und ledig]. — 1493 kebeslîche adv., nach Art eines Kebsweibes, unehelich. — 1500 nidern swv., erniedrigen. — swachen (vgl. 8299) swv. trans., swach machen, beschimpfen. — 1503 wernde, werende part. adj., fortwährend, beständig; vgl. 11678. — 1506 entuoz = entuo'z, entuo ez. 1511 büezen swv., nicht: büßsen, Strafe leiden, sondern: wieder gut machen, vergelten; öfters betcern und b.; vgl. 5234. —
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60 II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. (40) und ouch bewarn vür disen tac, daz iu durch mîne schulde iht mê leit oder laster ûf erstê. ich hân, swaz her nâch süle geschehen, sô lieben tac an iu gesehen, daz ez unbillîch wære, ob ir deheine swære mit mînem willen soltet tragen. frouwe, ich wil in rehte sagen : mîn herze und allen mînen muot, leit unde liep, übel unde guot und allez daz, daz iu geschiht, dâ von enscheide ich mich niht: dâ wil ich iemer wesen bî, swie kumberlîch ez danne sî; und biute iu zweier dinge kür, diu leget iuwerm herzen vür: weder ich belibe oder var. hier under nemet selbe war: welt ir daz, daz ich hie bestê und sehe, wie iuwer dinc ergê, daz sî. geruochet aber ir heim unde hinnen varn mit mir, ich selbe und allez, daz ich hân, daz ist iu iemer undertân. ir erbútet mir ez hie sô wol, daz ich es wol gedenken sol mit aller slahte guote. swes iu nu sî ze muote, frouwe, des bewîset mich, wan swaz ir welt, daz wil ouch ich.» 1515 1520 1525 1530 1535 1540 1512 bewarn swv., hier intrans.: abwenden, verhüten. — vür disen tac, von diesem Tage an, von nun an. — 1519 mil minem willen = durch m. w.. um meinetwillen. — 1520 rehte adv., hier: gerade heraus, aufrichtig. — 1525 bî wesen, (hülfreich) nahe sein. — 1527 kür stf., Wahl. — bre- ten stv., anbieten, überlassen. bieten ein Lieblingswort Gottfried's. — 1529 weder—oder hier in directem Satze (vgl. zu 340), entweder— oder. wir können auch weder sparen. — 1530 war stf., Acht, Aufmerksamkeit. war nemen=wahrnehmen, hier : mit Aufmerksamkeit beachten. — 1531 bestan anom. v., bleiben. — 1533 geruochen swv. =nhd. geruhen, wünschen, be- gehren. — 1537 erbieten mit dat. der Person, acc. der Sache (ez), einem eine (gute oder übele) Behandlung angedeihen lassen, sich einem erweisen ebenso bieten in V. 1544. — 1541 hewîsen swv. mit gen. und acc., belehren bescheiden.
60 II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. (40) und ouch bewarn vür disen tac, daz iu durch mîne schulde iht mê leit oder laster ûf erstê. ich hân, swaz her nâch süle geschehen, sô lieben tac an iu gesehen, daz ez unbillîch wære, ob ir deheine swære mit mînem willen soltet tragen. frouwe, ich wil in rehte sagen : mîn herze und allen mînen muot, leit unde liep, übel unde guot und allez daz, daz iu geschiht, dâ von enscheide ich mich niht: dâ wil ich iemer wesen bî, swie kumberlîch ez danne sî; und biute iu zweier dinge kür, diu leget iuwerm herzen vür: weder ich belibe oder var. hier under nemet selbe war: welt ir daz, daz ich hie bestê und sehe, wie iuwer dinc ergê, daz sî. geruochet aber ir heim unde hinnen varn mit mir, ich selbe und allez, daz ich hân, daz ist iu iemer undertân. ir erbútet mir ez hie sô wol, daz ich es wol gedenken sol mit aller slahte guote. swes iu nu sî ze muote, frouwe, des bewîset mich, wan swaz ir welt, daz wil ouch ich.» 1515 1520 1525 1530 1535 1540 1512 bewarn swv., hier intrans.: abwenden, verhüten. — vür disen tac, von diesem Tage an, von nun an. — 1519 mil minem willen = durch m. w.. um meinetwillen. — 1520 rehte adv., hier: gerade heraus, aufrichtig. — 1525 bî wesen, (hülfreich) nahe sein. — 1527 kür stf., Wahl. — bre- ten stv., anbieten, überlassen. bieten ein Lieblingswort Gottfried's. — 1529 weder—oder hier in directem Satze (vgl. zu 340), entweder— oder. wir können auch weder sparen. — 1530 war stf., Acht, Aufmerksamkeit. war nemen=wahrnehmen, hier : mit Aufmerksamkeit beachten. — 1531 bestan anom. v., bleiben. — 1533 geruochen swv. =nhd. geruhen, wünschen, be- gehren. — 1537 erbieten mit dat. der Person, acc. der Sache (ez), einem eine (gute oder übele) Behandlung angedeihen lassen, sich einem erweisen ebenso bieten in V. 1544. — 1541 hewîsen swv. mit gen. und acc., belehren bescheiden.
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II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. 61 (41) «Genâde, hêrre», sprach si dô «ir redet und bietet mir'z alsô, als iu got lônen müeze, und alse ich iuwer füeze iemer gerne suochen sol. friunt unde hêrre, ir wizzet wol, belîbens mac hie niht gesîn: mîn angest umbe mîn kindelin die enmág ich leider niht verheln; wan möhte êt ich mich hin versteln: daz ware nû der beste rât nâch dem dinge, als ez mir stât. friunt hêrre, dar zuo râtet ir.» «nu frouwe», sprach er «volget mir : ze naht, als ich ze schiffe gê, sô füeget ir daz, daz ir ê vil tougenlîche dar sît komen; biz daz hân ich urloup genomen, daz ich iuch danne vinde bî mînem ingesinde. sus werbet! alsô muoz ez sîn.» 1545 1550 1555 1560 Mit dirre rede kom Riwalîn ze Marke und seite im mære, waz ime enboten wære umbè sîn liut und umbe sîn lant. urloup nam er von ime zehant, dâ nâch von al den sînen. die klageten Riwalînen, daz er die klage ê nie gesach, diu dô und dâ nâch ime geschach: 1565 1570 1543 Genade stf., aufer Gnade, Huld auch wie hier: Dank. — 1545 als logisch richtig an alsó angeschlossen; wir lassen dafür: dafs folgen. — 1546 fg. Höflichkeitsformel [vgl. zu Füßsen legen, Hand küssen]: innigst in Gedanken fußsfallig) danken. — 1550 nicht Angst um das Kindlein, sondern die (eigene drohende) Gefahr wegen des (künftigen) Kindleins. — 1552 wan steht öfters zur Eröffnung von Wunschsätzen wie utinam (r. 4, 79); wir müssen unser: nur in die Mitte des Satzes nach dem Per- sonalpronomen stellen; bei G. selten: vgl. 2590. — 1553—55 hier wieder wie in V. 1219—20 verschiedene Bedeutung von rât und râten: 1) Rettung, Ausweg, 2) helfen. — 1555 friunt hêrre, nicht fr. h. = fr. unde h. wie in V. 1548, sondern = nhd. Herr Freund; hêrre in dieser Weise nachgesetzt ferner: got h. 1715. 1726. 2358. — 1558 füegen swv., einrichten, bewerk- stelligen. 1564 Mit præp. gewinnt öfters die Bedeutung: sogleich nach; vgl. hie mite 400. — 1565 mœre sagen, eine beliebte Wendung, überhaupt: mit- theilen. — 1572 hier dô und dâ, jetzt und hier, nebeneinander. — nâch ime = um ihn.
II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. 61 (41) «Genâde, hêrre», sprach si dô «ir redet und bietet mir'z alsô, als iu got lônen müeze, und alse ich iuwer füeze iemer gerne suochen sol. friunt unde hêrre, ir wizzet wol, belîbens mac hie niht gesîn: mîn angest umbe mîn kindelin die enmág ich leider niht verheln; wan möhte êt ich mich hin versteln: daz ware nû der beste rât nâch dem dinge, als ez mir stât. friunt hêrre, dar zuo râtet ir.» «nu frouwe», sprach er «volget mir : ze naht, als ich ze schiffe gê, sô füeget ir daz, daz ir ê vil tougenlîche dar sît komen; biz daz hân ich urloup genomen, daz ich iuch danne vinde bî mînem ingesinde. sus werbet! alsô muoz ez sîn.» 1545 1550 1555 1560 Mit dirre rede kom Riwalîn ze Marke und seite im mære, waz ime enboten wære umbè sîn liut und umbe sîn lant. urloup nam er von ime zehant, dâ nâch von al den sînen. die klageten Riwalînen, daz er die klage ê nie gesach, diu dô und dâ nâch ime geschach: 1565 1570 1543 Genade stf., aufer Gnade, Huld auch wie hier: Dank. — 1545 als logisch richtig an alsó angeschlossen; wir lassen dafür: dafs folgen. — 1546 fg. Höflichkeitsformel [vgl. zu Füßsen legen, Hand küssen]: innigst in Gedanken fußsfallig) danken. — 1550 nicht Angst um das Kindlein, sondern die (eigene drohende) Gefahr wegen des (künftigen) Kindleins. — 1552 wan steht öfters zur Eröffnung von Wunschsätzen wie utinam (r. 4, 79); wir müssen unser: nur in die Mitte des Satzes nach dem Per- sonalpronomen stellen; bei G. selten: vgl. 2590. — 1553—55 hier wieder wie in V. 1219—20 verschiedene Bedeutung von rât und râten: 1) Rettung, Ausweg, 2) helfen. — 1555 friunt hêrre, nicht fr. h. = fr. unde h. wie in V. 1548, sondern = nhd. Herr Freund; hêrre in dieser Weise nachgesetzt ferner: got h. 1715. 1726. 2358. — 1558 füegen swv., einrichten, bewerk- stelligen. 1564 Mit præp. gewinnt öfters die Bedeutung: sogleich nach; vgl. hie mite 400. — 1565 mœre sagen, eine beliebte Wendung, überhaupt: mit- theilen. — 1572 hier dô und dâ, jetzt und hier, nebeneinander. — nâch ime = um ihn.
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62 II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. manec segen wart im nâch gegeben, daz got sîn êre und sin leben geruochte in sînem schirme hân. nu ez án die naht begunde gân, und er ze sînem schiffe kam und al sîn dinc dar an genam, dô vander sîne frouwen dâ, die schonen Blanscheflûr: ie sâ sô wart daz schif gestôzen an. alsus sô fuoren sî von dan. 1575 1580 (42) Nu Riwalin ze lande kam und die vil grôzen nôt vernam, die Morgân hæte ûf in gewant mit überkrefteclicher hant, sînen márschalc er besande, an dem er triuwe erkande, an dem sîn meister trôst dô lac, der aller sîner êren pflac über sîn liut und über sîn lant: daz was Rûal li foitenant, der êren unde der triuwe ein habe, der nie gewancte an triuwen abe: der seite im aller hande, als er ez wol erkande, waz ängeslicher sware dem lande erstanden ware. «doch», sprach er «sît daz ir enzît ze trôste uns allen komen sît und iuch got wider gesendet hât, sô sol sîn alles werden rât, und mugen vil harte wol genesen; wir suln nu hôhes muotes wesen, unser ángest sol nu kleine sin.» 1585 1590 1595 1600 1605 1581 an stôzen (elliptisch an, in, daz mer), das Gegentheil von ûz stôzen. — 1586 überkrefteclich adj., übermächtig. — 1590 eines êren (gen. pl.) pflegen. ein bestimmter Terminus für die Repräsentation und Stellvertretung in der Herrschaft. — 1594 gewancte = gewankt war. — 1597 ängeslîch, auch angeslîch = angestlîch adj., (angstlich), gefahrvoll. — 1599 enzit (= in zât) adv., zur Zeit, zu rechter Zeit. — 1602 sín gen. neutr. = es. — rât werden mit gen., Rath, Hülfe in einer Sache geschafft werden. — 1603 im Mhd. wird oft das Personalpronomen gespart; vgl. 1628. — 1604 hôhes muotes = hôchgemuot, fröhlichen Sinnes [vgl. gutes Muthes]. — 1605 sol im Gegen- satz zu suln (sollen, wollen) in V. 1604 Auxiliar des Futurums = wird.
62 II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. manec segen wart im nâch gegeben, daz got sîn êre und sin leben geruochte in sînem schirme hân. nu ez án die naht begunde gân, und er ze sînem schiffe kam und al sîn dinc dar an genam, dô vander sîne frouwen dâ, die schonen Blanscheflûr: ie sâ sô wart daz schif gestôzen an. alsus sô fuoren sî von dan. 1575 1580 (42) Nu Riwalin ze lande kam und die vil grôzen nôt vernam, die Morgân hæte ûf in gewant mit überkrefteclicher hant, sînen márschalc er besande, an dem er triuwe erkande, an dem sîn meister trôst dô lac, der aller sîner êren pflac über sîn liut und über sîn lant: daz was Rûal li foitenant, der êren unde der triuwe ein habe, der nie gewancte an triuwen abe: der seite im aller hande, als er ez wol erkande, waz ängeslicher sware dem lande erstanden ware. «doch», sprach er «sît daz ir enzît ze trôste uns allen komen sît und iuch got wider gesendet hât, sô sol sîn alles werden rât, und mugen vil harte wol genesen; wir suln nu hôhes muotes wesen, unser ángest sol nu kleine sin.» 1585 1590 1595 1600 1605 1581 an stôzen (elliptisch an, in, daz mer), das Gegentheil von ûz stôzen. — 1586 überkrefteclich adj., übermächtig. — 1590 eines êren (gen. pl.) pflegen. ein bestimmter Terminus für die Repräsentation und Stellvertretung in der Herrschaft. — 1594 gewancte = gewankt war. — 1597 ängeslîch, auch angeslîch = angestlîch adj., (angstlich), gefahrvoll. — 1599 enzit (= in zât) adv., zur Zeit, zu rechter Zeit. — 1602 sín gen. neutr. = es. — rât werden mit gen., Rath, Hülfe in einer Sache geschafft werden. — 1603 im Mhd. wird oft das Personalpronomen gespart; vgl. 1628. — 1604 hôhes muotes = hôchgemuot, fröhlichen Sinnes [vgl. gutes Muthes]. — 1605 sol im Gegen- satz zu suln (sollen, wollen) in V. 1604 Auxiliar des Futurums = wird.
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II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. 63 Hier under seite im Riwalîn die lieben âventiure umbe sîne Blanschefliure. des wart er inneclîche frô: "ich sihe wol, hêrre», sprach er dô «iuwer êre wähset alle wis, iuwer wérdekeit und iuwer prîs, iuwer froude und iuwer wunne, diu stîget als diu sunne. irne möhtet ûf der erden von wîbe niemer werden sô hôhes namen als von ir. von danne, hêrre, volget mir: habe si wol ze iu getân, des sult ir sî geniezen lân. so wir únser dinc nu genden, die nôt von uns gewenden, diu uns nu sô ze rucke lît, so gebietet eine hôhgezît wol hêrlîch unde rîche : dâ nemet si offenlîche vor mâgen und vor mannen z'è. und râte zwâre, daz ir ê ze kirchen ir geruochet jehen, da ez pfáffen unde leien sehen, der ê nâch kristenlichem site: dâ saeleget ir iuch selben mite. und wizzet wârlîchen daz, iuwer dinc sol iemer deste baz ze êren und ze guote ergân.» 1610 1615 1620 1625 1630 1635 Nu daz geschach, daz was getân, daz er des alles vollekam; 1606 Hier under adv. (vgl. zu 798) dient öfters zur Anknüpfung in der Erzählung; vgl. z. B. 2162. 3698. — 1611 alle wîs adv. acc., auch in alle wîs 12943, auf alle Weise, in jeder Hinsicht ; bei G. häufig. — 1617 name, hier: Würde, Ansehen. — 1618 von danne adv., hier causal, verschieden von dem örtlichen von dan: deshalb; von dannen 9362. — 1621 genden = geenden swv., verst. enden, beenden, zu gutem Ende führen. — 1622 ge- wenden=wenden; vgl. 4921. — 1623 ze rucke stm., auf dem Rücken (als schwere Bürde); [daraus: zurück]. — 1629 jehen stv. mit dat. der Person (ir) und gen. der Sache (der é V. 1631), einem etwas geloben. — ze kirchen, rein örtlich: in der Kirche. Dieses Gelöbniss ist aber noch nicht die Trauung; vgl. Grimm's Rechtsalterthümer, S. 434 fg. — 1632 sœlegen swv., beseligen, beglücken. — 1633 weerlîchen adv., wahrlich, fürwahr. 1637 vollekomen stv. mit gen. der Sache, (vollends kommen), et was. erreichen; bei G: meist vollen, seltener vol. —
II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. 63 Hier under seite im Riwalîn die lieben âventiure umbe sîne Blanschefliure. des wart er inneclîche frô: "ich sihe wol, hêrre», sprach er dô «iuwer êre wähset alle wis, iuwer wérdekeit und iuwer prîs, iuwer froude und iuwer wunne, diu stîget als diu sunne. irne möhtet ûf der erden von wîbe niemer werden sô hôhes namen als von ir. von danne, hêrre, volget mir: habe si wol ze iu getân, des sult ir sî geniezen lân. so wir únser dinc nu genden, die nôt von uns gewenden, diu uns nu sô ze rucke lît, so gebietet eine hôhgezît wol hêrlîch unde rîche : dâ nemet si offenlîche vor mâgen und vor mannen z'è. und râte zwâre, daz ir ê ze kirchen ir geruochet jehen, da ez pfáffen unde leien sehen, der ê nâch kristenlichem site: dâ saeleget ir iuch selben mite. und wizzet wârlîchen daz, iuwer dinc sol iemer deste baz ze êren und ze guote ergân.» 1610 1615 1620 1625 1630 1635 Nu daz geschach, daz was getân, daz er des alles vollekam; 1606 Hier under adv. (vgl. zu 798) dient öfters zur Anknüpfung in der Erzählung; vgl. z. B. 2162. 3698. — 1611 alle wîs adv. acc., auch in alle wîs 12943, auf alle Weise, in jeder Hinsicht ; bei G. häufig. — 1617 name, hier: Würde, Ansehen. — 1618 von danne adv., hier causal, verschieden von dem örtlichen von dan: deshalb; von dannen 9362. — 1621 genden = geenden swv., verst. enden, beenden, zu gutem Ende führen. — 1622 ge- wenden=wenden; vgl. 4921. — 1623 ze rucke stm., auf dem Rücken (als schwere Bürde); [daraus: zurück]. — 1629 jehen stv. mit dat. der Person (ir) und gen. der Sache (der é V. 1631), einem etwas geloben. — ze kirchen, rein örtlich: in der Kirche. Dieses Gelöbniss ist aber noch nicht die Trauung; vgl. Grimm's Rechtsalterthümer, S. 434 fg. — 1632 sœlegen swv., beseligen, beglücken. — 1633 weerlîchen adv., wahrlich, fürwahr. 1637 vollekomen stv. mit gen. der Sache, (vollends kommen), et was. erreichen; bei G: meist vollen, seltener vol. —
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64 II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. (43) und alse er si dô z'è genam, er beválch si hant von hande dem getriuwen Foitenande. der fuorte si ze Kanoêl úf daz selbe kástěl, nâch dem sîn hêrre, als ich ez las, Kanêlengres genennet was, Kanel nâch Kanoéle. úf dem sélben kástêle hæte er dô sîn selbes wip, ein wîp, diu múot únde lip mit wîplicher stæte der werlt gewirdet hæte. der bevâlch er sîne frouwen dô und schuof ir ir gemach alsô, als ez ir namen wol gezam. 1640 1645 1650 Nu Rual wider zem hêrren kam, dô wurden si zwèn’ under in zwein umbe ir ángést enein, alse ez in dô was gewant. si sanden über al ir lant und samenten ir ritterschaft; alle ir state und alle ir kraft die kêrten si niwan ze wer. alsus kômen si mit her Morgâne engégené geriten. ouch wart ir harte wol gebiten von Morgâne und von den sînen: si enpfiengen Riwalînen mit einer herten vehte. hei waz dâ guoter knehte 160.) 1660 1665 1639 hant von hande ferner in V. 11403, wie von hande ce hunde 15033, von Hand zu Hand, aus einer Hand in die andere, d. h. ohne Zwischenperson. unmittelbar. — 1650 werlt dat. — wirden swv. trans., würdigen, verehren [wie unser verehren im Sinne von: darbringen, weihen]. 1657 ez ist mir (oder auch wie in V. 5121 umbe mich) gewant (= ge- wendet), eine häufige und auch bei G. sehr beliebte Redensart, welche in der modernen Sprache durch verschiedene Wendungen zu geben ist: es hat eine Bewandtniss mit mir, es entspricht meinen Verhältnissen, es ist mir angemessen, es gereicht mir, es steht mit mir u. dgl.; vgl. zu 1874. — 1660 state stf. hat auch öfters die Bedeutung: die augenblicklich zu Ge- bote stehende Macht; vgl. zu 7393. — 1661 keren swv. trans., wenden, ver- wenden. — 1664 gebiten part. præt. von bîten stv. mit gen., auf einen war- ten. — 1667 velte stf., Gefecht stn. — 1668 wat mit gen., hier = wie viel. — guoter kneht ist eine Art Terminus, namentlich in Anreden, für: Ritter, chne daſ gaet eine ethische Bedeutung hat; vgl. zu 5416. —
64 II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. (43) und alse er si dô z'è genam, er beválch si hant von hande dem getriuwen Foitenande. der fuorte si ze Kanoêl úf daz selbe kástěl, nâch dem sîn hêrre, als ich ez las, Kanêlengres genennet was, Kanel nâch Kanoéle. úf dem sélben kástêle hæte er dô sîn selbes wip, ein wîp, diu múot únde lip mit wîplicher stæte der werlt gewirdet hæte. der bevâlch er sîne frouwen dô und schuof ir ir gemach alsô, als ez ir namen wol gezam. 1640 1645 1650 Nu Rual wider zem hêrren kam, dô wurden si zwèn’ under in zwein umbe ir ángést enein, alse ez in dô was gewant. si sanden über al ir lant und samenten ir ritterschaft; alle ir state und alle ir kraft die kêrten si niwan ze wer. alsus kômen si mit her Morgâne engégené geriten. ouch wart ir harte wol gebiten von Morgâne und von den sînen: si enpfiengen Riwalînen mit einer herten vehte. hei waz dâ guoter knehte 160.) 1660 1665 1639 hant von hande ferner in V. 11403, wie von hande ce hunde 15033, von Hand zu Hand, aus einer Hand in die andere, d. h. ohne Zwischenperson. unmittelbar. — 1650 werlt dat. — wirden swv. trans., würdigen, verehren [wie unser verehren im Sinne von: darbringen, weihen]. 1657 ez ist mir (oder auch wie in V. 5121 umbe mich) gewant (= ge- wendet), eine häufige und auch bei G. sehr beliebte Redensart, welche in der modernen Sprache durch verschiedene Wendungen zu geben ist: es hat eine Bewandtniss mit mir, es entspricht meinen Verhältnissen, es ist mir angemessen, es gereicht mir, es steht mit mir u. dgl.; vgl. zu 1874. — 1660 state stf. hat auch öfters die Bedeutung: die augenblicklich zu Ge- bote stehende Macht; vgl. zu 7393. — 1661 keren swv. trans., wenden, ver- wenden. — 1664 gebiten part. præt. von bîten stv. mit gen., auf einen war- ten. — 1667 velte stf., Gefecht stn. — 1668 wat mit gen., hier = wie viel. — guoter kneht ist eine Art Terminus, namentlich in Anreden, für: Ritter, chne daſ gaet eine ethische Bedeutung hat; vgl. zu 5416. —
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II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. 65 (44) gevellet unde geveiget wart! wie lützel der dâ wart gespart! wie manic man kom dâ ze nôt, und wie vil maneger lac dâ tôt und wunt von ietwéderm her! an dirre veigen lántwér wart der vil klagebare erslagen, den al diu werlt wol solte klagen, ob klägelichiu swære nâch tôde nütze ware. Kanêlengres der guote, der ritterlîchem muote noch hêrren tugende an keiner stete nie fuoz noch halben wanc getete, der lac dâ jæemerlîchen tôt. iedoch in aller dirre nôt kômèn die sîne über in und brâhten in mit noeten hin: mit maneger klage si'n fuorten dan und bestâtten in als einen man, der minnér noch mêre niwan ir aller êre mit ime dô fuorte hin ze grabe. daz ich nu vil von ungehabe und von ir jâmer sagete, waz iegelîcher klagete, waz solte daz? es wære unnôt. si wâren alle mit im tôt an êren unde an guote, an állém dem muote, der guoten liuten solte geben sald' unde sæleclîchez leben. 1675 1680 1685 1690 1695 1670 1700 1669 veigen swv., veige (1674) machen, dem Tode weihen, tödten; vgl. zu 6456. — 1673 ietweder pron. adj., jedweder, jeder von beiden. — 1674 veige adj. dem Tode geweiht, dann : furchtbar, unglückselig [nhd. feige, timidus jünger]. G. liebt das Wort. — lantwer stf., (Landwehr), abstract : Landes- vertheidigung; vgl. zu 1877. 1878. — 1675 klagebare adj. subst., beklagens- werth. — 1682 fuorz adv. acc., eine Maßsbezeichnung, einen Fußs breit; vgl. fuoc treten in V. 7373. Die Wendung fuoz noch halben elliptisch =(einen) fuoz noch halben (fuoz); vgl. wort noch halbez in V. 11228. — wanc stm. tuon, eine zurückweichende oder seitwärts gerichtete Bewegung machen, wanken, weichen. — getete plusquamperf., gethan hatte. In der Regel bei wanc tuon die Præp. von, hier der Dat., als stünde wanken oder wenken, nhd. wanken, weichen von..., entweichen mit dat. — 1686 mit nœten, nur mit großer Noth, kaum. — 1689 minner noch mêre niwan (wan) = unserm : nicht mehr und nicht weniger als. — 1692 ungehabe stf., Leid- wesen, Klage. — 1695 unnot = unnöthig, aber unnôt ist wohl subst. GOTTFRIED VON STRASSBURG. 1. 2. Aufl. 5
II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. 65 (44) gevellet unde geveiget wart! wie lützel der dâ wart gespart! wie manic man kom dâ ze nôt, und wie vil maneger lac dâ tôt und wunt von ietwéderm her! an dirre veigen lántwér wart der vil klagebare erslagen, den al diu werlt wol solte klagen, ob klägelichiu swære nâch tôde nütze ware. Kanêlengres der guote, der ritterlîchem muote noch hêrren tugende an keiner stete nie fuoz noch halben wanc getete, der lac dâ jæemerlîchen tôt. iedoch in aller dirre nôt kômèn die sîne über in und brâhten in mit noeten hin: mit maneger klage si'n fuorten dan und bestâtten in als einen man, der minnér noch mêre niwan ir aller êre mit ime dô fuorte hin ze grabe. daz ich nu vil von ungehabe und von ir jâmer sagete, waz iegelîcher klagete, waz solte daz? es wære unnôt. si wâren alle mit im tôt an êren unde an guote, an állém dem muote, der guoten liuten solte geben sald' unde sæleclîchez leben. 1675 1680 1685 1690 1695 1670 1700 1669 veigen swv., veige (1674) machen, dem Tode weihen, tödten; vgl. zu 6456. — 1673 ietweder pron. adj., jedweder, jeder von beiden. — 1674 veige adj. dem Tode geweiht, dann : furchtbar, unglückselig [nhd. feige, timidus jünger]. G. liebt das Wort. — lantwer stf., (Landwehr), abstract : Landes- vertheidigung; vgl. zu 1877. 1878. — 1675 klagebare adj. subst., beklagens- werth. — 1682 fuorz adv. acc., eine Maßsbezeichnung, einen Fußs breit; vgl. fuoc treten in V. 7373. Die Wendung fuoz noch halben elliptisch =(einen) fuoz noch halben (fuoz); vgl. wort noch halbez in V. 11228. — wanc stm. tuon, eine zurückweichende oder seitwärts gerichtete Bewegung machen, wanken, weichen. — getete plusquamperf., gethan hatte. In der Regel bei wanc tuon die Præp. von, hier der Dat., als stünde wanken oder wenken, nhd. wanken, weichen von..., entweichen mit dat. — 1686 mit nœten, nur mit großer Noth, kaum. — 1689 minner noch mêre niwan (wan) = unserm : nicht mehr und nicht weniger als. — 1692 ungehabe stf., Leid- wesen, Klage. — 1695 unnot = unnöthig, aber unnôt ist wohl subst. GOTTFRIED VON STRASSBURG. 1. 2. Aufl. 5
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66 II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. (45) Diz ist geschehen, ez muoz nu sîn: er ist tôt der guote Riwalîn; dane héret nû niht mêre zuo wan eine, daz man umbe in tuo, als mit réhte umb' einen tôten man. da eníst doch nů niht anders an: man sol und muoz sich sîn bewegen, und sol sîn got von himele pflegen, der edeler herzen nie vergaz! und suln wir sprechen vürbáz, wie ez umb' Blanschefliure kam : dô diu vil schéné vernam diu klagebæren mæere, wie dô ir herzen ware? got hêrre, daz solt dû bewarn, daz wir daz iemer suln ervarn. ich enhân dâ keinen zwîvel an, gewan ie wip durch lieben man tôtlîchen herzesmerzen, derne ware ouch in ir herzen. daz was tôtliches leides vol. si bewarte al der werlde wol, daz ir sîn tôt ze herzen gie. ir ougen diu enwurden nie in allem disem leide naz. jâ, got hêrre, wie kom daz, daz dâ niht wart geweinet? dâ was ir herze ersteinet: dane wás niht lebenes inne niwan diu lebende minne und daz vil lebelîche leit, daz lebende uf ir leben streit. geklágete s' áber ir hêrren iht mit klageworten? nein si niht: si erstúmmete an der stunde, 1705 1710 1715 1720 1725 1730 1735 1704 tuon umbe einen = verfahren mit einem. — 1707 bewegen stv. refl. mit gen., sich eines Dinges (oder auch einer Person) begeben, sich über etwas trösten. — 1708 sol im Wunschsatz: moge. — 1710 vürbaz (baz vür, weiter vorwärts) adv., weiterhin [unser: fürbaßs fast nur noch örtlich]. — 1720 abhängig von V. 1717; die Negation (-ne) steht mhd. nach niht zwîveln ähnlich wie im Lat., wo wir nhd. sie sparen; in diesen Fallen mhd. meist conj., nhd. indic. — 1728 ersteinen swv., versteinen. — 1731 lebelîch adj., im Gegensatz zu tôtlîches leides in V. 1720, lebendig, lebhaft. — 1732 ûf præp., gegen. — 1735 erstummen swv. = verstummen ; die Zusammensetzungen mit er- liebt der Dichter. —
66 II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. (45) Diz ist geschehen, ez muoz nu sîn: er ist tôt der guote Riwalîn; dane héret nû niht mêre zuo wan eine, daz man umbe in tuo, als mit réhte umb' einen tôten man. da eníst doch nů niht anders an: man sol und muoz sich sîn bewegen, und sol sîn got von himele pflegen, der edeler herzen nie vergaz! und suln wir sprechen vürbáz, wie ez umb' Blanschefliure kam : dô diu vil schéné vernam diu klagebæren mæere, wie dô ir herzen ware? got hêrre, daz solt dû bewarn, daz wir daz iemer suln ervarn. ich enhân dâ keinen zwîvel an, gewan ie wip durch lieben man tôtlîchen herzesmerzen, derne ware ouch in ir herzen. daz was tôtliches leides vol. si bewarte al der werlde wol, daz ir sîn tôt ze herzen gie. ir ougen diu enwurden nie in allem disem leide naz. jâ, got hêrre, wie kom daz, daz dâ niht wart geweinet? dâ was ir herze ersteinet: dane wás niht lebenes inne niwan diu lebende minne und daz vil lebelîche leit, daz lebende uf ir leben streit. geklágete s' áber ir hêrren iht mit klageworten? nein si niht: si erstúmmete an der stunde, 1705 1710 1715 1720 1725 1730 1735 1704 tuon umbe einen = verfahren mit einem. — 1707 bewegen stv. refl. mit gen., sich eines Dinges (oder auch einer Person) begeben, sich über etwas trösten. — 1708 sol im Wunschsatz: moge. — 1710 vürbaz (baz vür, weiter vorwärts) adv., weiterhin [unser: fürbaßs fast nur noch örtlich]. — 1720 abhängig von V. 1717; die Negation (-ne) steht mhd. nach niht zwîveln ähnlich wie im Lat., wo wir nhd. sie sparen; in diesen Fallen mhd. meist conj., nhd. indic. — 1728 ersteinen swv., versteinen. — 1731 lebelîch adj., im Gegensatz zu tôtlîches leides in V. 1720, lebendig, lebhaft. — 1732 ûf præp., gegen. — 1735 erstummen swv. = verstummen ; die Zusammensetzungen mit er- liebt der Dichter. —
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II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. 67 ir klage starp in ir munde; ir zunge, ir munt, ir herze, ir sin, daz was allez dô dâ hin. diu schone enklagete dô niht mê: sine sprách dô weder ach noch wê; si seig êt nider unde lac quelnde unz an den vierden tac erbärmeclîcher danne ie wîp ; si want sich unde brach ir lip sus unde sô, her unde dar und treip daz an, biz sî gebar ein sunelîn mit maneger nôt. seht, daz genas und lac si tôt. 1740 1745 Owê der ougenweide, dâ man nâch leidem leide mit léidérem leide siht leider ougenweide! 1750 Der êre an Riwalîne lac, der er nâch grôzen êren pflac, die wîle und ez got wolte, daz er ir pflegen solte: der leit was leider alze grôz und alles leides übergenôz; (46) wan al ir trôst und al ir kraft, ir tuon und al ir ritterschaft, ir êre und al ir werdekeit, daz allez was dô hin geleit. 1755 1760 1741 sigen stv., sich niederwärts bewegen, sinken. nider sîgen, Verstärkung: niedersinken. — 1742 quelnde part. nicht von quelen, queln swv., quälen trans., sondern von quelen stv. (quil, qual) intrans. [nhd. aufgegeben], sich quälen, Schmerz erdulden; vgl. 19390 und zu 5093. — 1743 erbärmeclîcher compar. adj. (oder adv.), erbarmenswerther. — 1744 sînen lîp brechen, wohl nicht gleichstehend mit: Bein brechen, sondern activer= sich brechen im Sinne: sich krampfhaft krümmen. — 1746 an triben stv., weiter treiben. — 1748 mhd. Wortstellung lac si =nhd. sie lag; vgl. 18555. 1749 ougenweide stf., überhaupt: Anblick. — 1751 mit, zugleich mit. — leider adj. compar. — 1752 leider nicht adv. interj., sondern adj. acc. com- par.=leidere. Noch deutlicher wäre die Steigerung, wenn der Superl. leideste stünde. Das leidige Leid (1750) : Riwalin’s Tod. Das traurigere Leid (1751): Blanscheflur’s Tod. Der (noch) traurigere Anblick (1752): Tristan's Geburt, die ihn der Mutter beraubte. 1753 Der relat., ea cujus. — 1757 der demonstr. — 1758 übergenôz stm., eigentlich der Genosse von höherem Ansehen; abstract und prosaisch ausgedrückt : Extrem oder die höhere Potenz; das Wort wird im Mhd. ziemlich häufig zu poetischen Vergleichen benutzt. — 1762 hin legen, bei Seite legen, aufgeben; hier passivisch: zu Ende sein; vgl. 1889. — 5*
II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. 67 ir klage starp in ir munde; ir zunge, ir munt, ir herze, ir sin, daz was allez dô dâ hin. diu schone enklagete dô niht mê: sine sprách dô weder ach noch wê; si seig êt nider unde lac quelnde unz an den vierden tac erbärmeclîcher danne ie wîp ; si want sich unde brach ir lip sus unde sô, her unde dar und treip daz an, biz sî gebar ein sunelîn mit maneger nôt. seht, daz genas und lac si tôt. 1740 1745 Owê der ougenweide, dâ man nâch leidem leide mit léidérem leide siht leider ougenweide! 1750 Der êre an Riwalîne lac, der er nâch grôzen êren pflac, die wîle und ez got wolte, daz er ir pflegen solte: der leit was leider alze grôz und alles leides übergenôz; (46) wan al ir trôst und al ir kraft, ir tuon und al ir ritterschaft, ir êre und al ir werdekeit, daz allez was dô hin geleit. 1755 1760 1741 sigen stv., sich niederwärts bewegen, sinken. nider sîgen, Verstärkung: niedersinken. — 1742 quelnde part. nicht von quelen, queln swv., quälen trans., sondern von quelen stv. (quil, qual) intrans. [nhd. aufgegeben], sich quälen, Schmerz erdulden; vgl. 19390 und zu 5093. — 1743 erbärmeclîcher compar. adj. (oder adv.), erbarmenswerther. — 1744 sînen lîp brechen, wohl nicht gleichstehend mit: Bein brechen, sondern activer= sich brechen im Sinne: sich krampfhaft krümmen. — 1746 an triben stv., weiter treiben. — 1748 mhd. Wortstellung lac si =nhd. sie lag; vgl. 18555. 1749 ougenweide stf., überhaupt: Anblick. — 1751 mit, zugleich mit. — leider adj. compar. — 1752 leider nicht adv. interj., sondern adj. acc. com- par.=leidere. Noch deutlicher wäre die Steigerung, wenn der Superl. leideste stünde. Das leidige Leid (1750) : Riwalin’s Tod. Das traurigere Leid (1751): Blanscheflur’s Tod. Der (noch) traurigere Anblick (1752): Tristan's Geburt, die ihn der Mutter beraubte. 1753 Der relat., ea cujus. — 1757 der demonstr. — 1758 übergenôz stm., eigentlich der Genosse von höherem Ansehen; abstract und prosaisch ausgedrückt : Extrem oder die höhere Potenz; das Wort wird im Mhd. ziemlich häufig zu poetischen Vergleichen benutzt. — 1762 hin legen, bei Seite legen, aufgeben; hier passivisch: zu Ende sein; vgl. 1889. — 5*
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68 II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. sin tôt was aber wol lobelich, der ir ze sêre erbärmeclich. swie schädelîch diu sware liut' unde lande ware, diu von ir hêrren tôde kam, ez enwás doch niht sô klagesam, sô daz man dise quelende nôt und den erbärmeclîchen tôt an dem vil süezen wîbe sach: ir jâmer unde ir ungemach beklage ein ieclîch sælec man: und swer von wîbe ie muot gewan oder iemer wil gewinnen, der trahte in sînen sinnen, wie lîhte misselinge an sus getânem dinge guoten liuten ûf erstât, wie lîhte ez in ze leide ergât an frouden unde an lîbe; und sî dem reinen wîbe genâden wünschende umbe got, daz sîn güete und sin gebot ir helfe, ir trôst geruoche sin ! und sagen wir umbe daz kindelîn, daz vater noch muoter hæte, waz got mit deme getæte. 1765 1770 1775 1780 1785 1763 vgl. zu 1743. — lobelích adj., löblich, ehrenvoll (als Heldenthat). — 1768 klagesam adj., beklagenswerth ; G. liebt die Bildungen mit -sam, vor- zugsweise; die Fälle bei ihm und andern Dichtern sind in grofer Menge zusammengestellt von Haupt zu Engelhard 1185; unhöfisch scheinen mir diese Adjectiva nicht, sie machen im Gegentheil den Eindruck des Ge- wählten; bei G. zumal sind einige, wie dieses klagesam, sicher original, seiner ganzen Art angemessen, und Konrad von Würzburg hat es dem Meister abgesehen. — 1769 wie das war, daf man u. s. w.; wir können übersetzen: so wie. — quelende scheint part. von quelen swy. trans., die quälende, marternde Noth; es ist aber part. von quelen stv. nach Analogie von klagende nôt, partic. præs. act. mit passiver Bedeutung; vgl. Gr. 4, 65 fg. — 1774 muot stm., hier alleinstehend mit der sichern Bedeutung: Frohsinn, Freude, Glück. — 1777 misselinge stf., Misslingen, Missgeschick. — 1783 genaden gen. pl., abh. von wünschen (sonst bei wünschen der Acc.). genâde, hier: Segen, gnädige Aufnahme. — si wünschende = wünsche: im Mhd. und insbesondere bei G. beliebte Umschreibung (Gr. 4, 6), günstig für den Dichter, in jüngerer Zeit ins Abgeschmackte ausartend; vgl. bei G. z. B. 1899. 5501. 13967 und zu 5511. — umbe præp. = bei.
68 II. RIWALIN UND BLANSCHEFLUR. sin tôt was aber wol lobelich, der ir ze sêre erbärmeclich. swie schädelîch diu sware liut' unde lande ware, diu von ir hêrren tôde kam, ez enwás doch niht sô klagesam, sô daz man dise quelende nôt und den erbärmeclîchen tôt an dem vil süezen wîbe sach: ir jâmer unde ir ungemach beklage ein ieclîch sælec man: und swer von wîbe ie muot gewan oder iemer wil gewinnen, der trahte in sînen sinnen, wie lîhte misselinge an sus getânem dinge guoten liuten ûf erstât, wie lîhte ez in ze leide ergât an frouden unde an lîbe; und sî dem reinen wîbe genâden wünschende umbe got, daz sîn güete und sin gebot ir helfe, ir trôst geruoche sin ! und sagen wir umbe daz kindelîn, daz vater noch muoter hæte, waz got mit deme getæte. 1765 1770 1775 1780 1785 1763 vgl. zu 1743. — lobelích adj., löblich, ehrenvoll (als Heldenthat). — 1768 klagesam adj., beklagenswerth ; G. liebt die Bildungen mit -sam, vor- zugsweise; die Fälle bei ihm und andern Dichtern sind in grofer Menge zusammengestellt von Haupt zu Engelhard 1185; unhöfisch scheinen mir diese Adjectiva nicht, sie machen im Gegentheil den Eindruck des Ge- wählten; bei G. zumal sind einige, wie dieses klagesam, sicher original, seiner ganzen Art angemessen, und Konrad von Würzburg hat es dem Meister abgesehen. — 1769 wie das war, daf man u. s. w.; wir können übersetzen: so wie. — quelende scheint part. von quelen swy. trans., die quälende, marternde Noth; es ist aber part. von quelen stv. nach Analogie von klagende nôt, partic. præs. act. mit passiver Bedeutung; vgl. Gr. 4, 65 fg. — 1774 muot stm., hier alleinstehend mit der sichern Bedeutung: Frohsinn, Freude, Glück. — 1777 misselinge stf., Misslingen, Missgeschick. — 1783 genaden gen. pl., abh. von wünschen (sonst bei wünschen der Acc.). genâde, hier: Segen, gnädige Aufnahme. — si wünschende = wünsche: im Mhd. und insbesondere bei G. beliebte Umschreibung (Gr. 4, 6), günstig für den Dichter, in jüngerer Zeit ins Abgeschmackte ausartend; vgl. bei G. z. B. 1899. 5501. 13967 und zu 5511. — umbe præp. = bei.
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III. RUAL LI FOITENANT. Nach Riwalin’s Fall bestimmt der treue Rual die Landesherren, mit Herzog Morgan Frieden zu schließen. Um Riwalin's und Blanscheflur's Söhnlein vor dessen Anschlägen zu sichern, gibt er das Kind für sein eigenes aus im Einverständnisse mit seiner Gemahlin Floræte, welche die Wöchnerin spielt und nach der üblichen Frist ihren Kirchgang hält. Das Kind empfängt durch Rual in der Taufe den beziehungsreichen Namen Tristan. Die sieben ersten Jahre ist Tristan in seiner Mutter Pflege, dann wird er mit einem Erzieher in die Fremde gesandt, wo er in den Sprachen und in allen schönen und ritterlichen Künsten unterrichtet wird. Mit dem vierzehnten Jahre nimmt ihn Rual zu weiterer Ausbildung wieder nach Hause. Riuw’ unde stætiu triuwe nâch friundes tôde ie niuwe, dâ ist der friunt ie niuwe: daz ist diu meiste triuwe. 1790 (47) Swer nâch dem friunde riuwe hât, nâch tôde triuwe an ime begât, daz ist vor allem lône, deist aller triuwe ein krône. mit der selben krône was gekronet dô, als ich ez las, der marschalc und sîn sælec wîp, die beide ein triuwe unde ein lip gote unde der werlde wâren, des sî guot bilde bâren 1795 1800 1789 Riuwe stf., nicht: Reue, sondern: Trauer (über einen Verlust). — 1790 — 91 das 1. niuwe = erneut, das 2. = frisch, unvergänglich. 1802 des gen. neutr. rel., davon. — bilde stn., Vorbild, Beispiel. — bern stv., hier: gewähren. —
III. RUAL LI FOITENANT. Nach Riwalin’s Fall bestimmt der treue Rual die Landesherren, mit Herzog Morgan Frieden zu schließen. Um Riwalin's und Blanscheflur's Söhnlein vor dessen Anschlägen zu sichern, gibt er das Kind für sein eigenes aus im Einverständnisse mit seiner Gemahlin Floræte, welche die Wöchnerin spielt und nach der üblichen Frist ihren Kirchgang hält. Das Kind empfängt durch Rual in der Taufe den beziehungsreichen Namen Tristan. Die sieben ersten Jahre ist Tristan in seiner Mutter Pflege, dann wird er mit einem Erzieher in die Fremde gesandt, wo er in den Sprachen und in allen schönen und ritterlichen Künsten unterrichtet wird. Mit dem vierzehnten Jahre nimmt ihn Rual zu weiterer Ausbildung wieder nach Hause. Riuw’ unde stætiu triuwe nâch friundes tôde ie niuwe, dâ ist der friunt ie niuwe: daz ist diu meiste triuwe. 1790 (47) Swer nâch dem friunde riuwe hât, nâch tôde triuwe an ime begât, daz ist vor allem lône, deist aller triuwe ein krône. mit der selben krône was gekronet dô, als ich ez las, der marschalc und sîn sælec wîp, die beide ein triuwe unde ein lip gote unde der werlde wâren, des sî guot bilde bâren 1795 1800 1789 Riuwe stf., nicht: Reue, sondern: Trauer (über einen Verlust). — 1790 — 91 das 1. niuwe = erneut, das 2. = frisch, unvergänglich. 1802 des gen. neutr. rel., davon. — bilde stn., Vorbild, Beispiel. — bern stv., hier: gewähren. —
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70 III. RUAL LI FOITENANT. beidiu der werlde unde gote, wan si wol nâch gotes gebote ganzlicher triuwe wielten und ouch die wol behielten ân' alle missewende unz an ir beider ende. solt' iemen ûf der erden von triuwen halben werden künic oder künigîn, benamen daz möhten si wol sîn, als ich iu von in beiden wærlîche mac bescheiden, wie er gefuor und sî gewarp. dô Blanscheflûr, ir frouwe, erstarp und Riwalîn begraben was, des weisen dinc, der dâ genas, daz gefúor nâch ungenâden wol als des, der vürbaz komen sol. der marschalc und diu marschalkîn nâmèn daz kleine weiselîn und burgen ez vil tougen den liuten von den ougen. si sageten unde hiezen sagen, ir frouwe hæte ein kint getragen; daz wære in ir und mit ir tôt. von der gedrîéten nôt wart aber des landes klage dô mê; ir klage wart aber dô mê dan ê: klage, daz Riwalîn erstarp, klage, daz Blanscheflûr verdarp, klage úmbe ir beider kindelîn, an dem ir trôst dô solde sîn, 1810 1815 1820 1825 1830 1805 1805 walten stv. [nhd. swv., im Gebrauch sehr beschränkt] mit gen., pfle- gen, besitzen. — 1807 missewende stf., (Misserfolg), Tadel, Schande. an’ alle m. auch âne m. gehört zu den mhd. Formeln; bei Gottfried nur hier. — 1810 halben dat. von halbe swf., Hälfte, Seite. von halben = von Seiten, wegen, durch; vgl. von gotes halben 4128. — 1815 gevarn stv., verfahren, handeln. — gewerben, verst. werben. — 1818 weise swm. (nhd. stf.), der Verwaiste. — 1819 gevarn stv., hier: ergehen, ausschlagen. — ungenade stf., ungünstiges Geschick, Unglück. nâch ungenâden, nicht : zeitlich nach dem Unglück, das ihn betroffen, sondern: im Verhältnisse zu dem Un- glück seines Verwaistseins gestaltete sich sein dinc, sein Schicksal gün- stig. — 1820 als eines solchen, der vürba2, vorwärts, emporkommen soll, dem ein günstiges Geschick bestimmt ist. — 1822 weiselîn stn. dimin. von weise. — 1828 gedriet part. adj., verdreifacht, dreifach. —
70 III. RUAL LI FOITENANT. beidiu der werlde unde gote, wan si wol nâch gotes gebote ganzlicher triuwe wielten und ouch die wol behielten ân' alle missewende unz an ir beider ende. solt' iemen ûf der erden von triuwen halben werden künic oder künigîn, benamen daz möhten si wol sîn, als ich iu von in beiden wærlîche mac bescheiden, wie er gefuor und sî gewarp. dô Blanscheflûr, ir frouwe, erstarp und Riwalîn begraben was, des weisen dinc, der dâ genas, daz gefúor nâch ungenâden wol als des, der vürbaz komen sol. der marschalc und diu marschalkîn nâmèn daz kleine weiselîn und burgen ez vil tougen den liuten von den ougen. si sageten unde hiezen sagen, ir frouwe hæte ein kint getragen; daz wære in ir und mit ir tôt. von der gedrîéten nôt wart aber des landes klage dô mê; ir klage wart aber dô mê dan ê: klage, daz Riwalîn erstarp, klage, daz Blanscheflûr verdarp, klage úmbe ir beider kindelîn, an dem ir trôst dô solde sîn, 1810 1815 1820 1825 1830 1805 1805 walten stv. [nhd. swv., im Gebrauch sehr beschränkt] mit gen., pfle- gen, besitzen. — 1807 missewende stf., (Misserfolg), Tadel, Schande. an’ alle m. auch âne m. gehört zu den mhd. Formeln; bei Gottfried nur hier. — 1810 halben dat. von halbe swf., Hälfte, Seite. von halben = von Seiten, wegen, durch; vgl. von gotes halben 4128. — 1815 gevarn stv., verfahren, handeln. — gewerben, verst. werben. — 1818 weise swm. (nhd. stf.), der Verwaiste. — 1819 gevarn stv., hier: ergehen, ausschlagen. — ungenade stf., ungünstiges Geschick, Unglück. nâch ungenâden, nicht : zeitlich nach dem Unglück, das ihn betroffen, sondern: im Verhältnisse zu dem Un- glück seines Verwaistseins gestaltete sich sein dinc, sein Schicksal gün- stig. — 1820 als eines solchen, der vürba2, vorwärts, emporkommen soll, dem ein günstiges Geschick bestimmt ist. — 1822 weiselîn stn. dimin. von weise. — 1828 gedriet part. adj., verdreifacht, dreifach. —
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III. RUAL LI FOITENANT. 71 1835 (48) daz daz verdorben wære. zuo aller dirre swære gienc in diu starke vorhte, die Morgân an in worhte, als nâhen alse ir hêrren tôt. wan diz daz ist diu meiste nôt, die man zer werlde haben mac swâ sô der man naht unde tac den tôtvînt vor ougen hât, daz ist diu nôt, diu nâhen gât und ist ein lebelîcher tôt. in aller dirre lebenden nôt wart Blanscheflûr ze grabe getragen. michel jâmer unde klagen daz wart begangen ob ir grabe. ir muget wol wizzen, ungehabe der was dâ vil und alze vil. nune sól ich aber noch enwil iuwer ôren niht beswæren mit z'erbärmeclîchen mæeren, wan ez den ôren missehaget, swâ man von klage ze vil gesaget; und ist vil lützel iht sô guot, ez enswáche, der’s ze vil getuot. von diu sô lâzen langez klagen und flizen uns, wie wir gesagen umbe dáz verwéiséte kint, von dem diu mare erhaben sint. Sich treit der werlde sache vil ofte z' ungemache und aber von ungemache ie wider ze guoter sache. 184 1845 1850 1855 1860 1865 1838 würken swv. anom., bewirken, verursachen. — 1855—58 wieder Para- phrase einer sprichwörtlichen Redensart. — 1857 vil lützel iht, gar wenig etwas, d. h. nichts. — 1858 ez'n swache (vgl. zu 947), ohne daſs es gering werde, abnehme; wir wenden in diesem Falle Relativsatz an: das nicht ab- nehme, seine Wirkung verliere, wenn man u. s. w. — 1859 fg. lâzen, vlîzen conj. opt., lassen wir! bemühen wir! die altere Sprache kann das Personal- pronomen entbehren; vgl. Gr. 4, 206 fg. — 1862 erheben stv., anheben, be- ginnen, aber nicht in dem Sinne : von dem früher die Rede war (denn das Kind ist ja kaum erst erwähnt), sondern : welches dieses Gedicht veranlasst hat, welches der eigentliche Gegenstand des Gedichtes ist. 1863 tragen refl., sich wenden, fügen. — der werlde in der modernen Sprache concreter zu geben als in V. 2: der Menschen.
III. RUAL LI FOITENANT. 71 1835 (48) daz daz verdorben wære. zuo aller dirre swære gienc in diu starke vorhte, die Morgân an in worhte, als nâhen alse ir hêrren tôt. wan diz daz ist diu meiste nôt, die man zer werlde haben mac swâ sô der man naht unde tac den tôtvînt vor ougen hât, daz ist diu nôt, diu nâhen gât und ist ein lebelîcher tôt. in aller dirre lebenden nôt wart Blanscheflûr ze grabe getragen. michel jâmer unde klagen daz wart begangen ob ir grabe. ir muget wol wizzen, ungehabe der was dâ vil und alze vil. nune sól ich aber noch enwil iuwer ôren niht beswæren mit z'erbärmeclîchen mæeren, wan ez den ôren missehaget, swâ man von klage ze vil gesaget; und ist vil lützel iht sô guot, ez enswáche, der’s ze vil getuot. von diu sô lâzen langez klagen und flizen uns, wie wir gesagen umbe dáz verwéiséte kint, von dem diu mare erhaben sint. Sich treit der werlde sache vil ofte z' ungemache und aber von ungemache ie wider ze guoter sache. 184 1845 1850 1855 1860 1865 1838 würken swv. anom., bewirken, verursachen. — 1855—58 wieder Para- phrase einer sprichwörtlichen Redensart. — 1857 vil lützel iht, gar wenig etwas, d. h. nichts. — 1858 ez'n swache (vgl. zu 947), ohne daſs es gering werde, abnehme; wir wenden in diesem Falle Relativsatz an: das nicht ab- nehme, seine Wirkung verliere, wenn man u. s. w. — 1859 fg. lâzen, vlîzen conj. opt., lassen wir! bemühen wir! die altere Sprache kann das Personal- pronomen entbehren; vgl. Gr. 4, 206 fg. — 1862 erheben stv., anheben, be- ginnen, aber nicht in dem Sinne : von dem früher die Rede war (denn das Kind ist ja kaum erst erwähnt), sondern : welches dieses Gedicht veranlasst hat, welches der eigentliche Gegenstand des Gedichtes ist. 1863 tragen refl., sich wenden, fügen. — der werlde in der modernen Sprache concreter zu geben als in V. 2: der Menschen.
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72 III. RUAL LI FOITENANT. (49) Reht’ in den noeten sol der frume, ze swelhem ende ez danne kume, bedenken, wie sîn werde rât: die wîle und er daz leben hât, sô sol er mit den lebenden leben, im selben trôst ze lebene geben. als tete der marschalc Foitenant: wan ez im ze sorgen was gewant, do bedâhte er mitten in der nôt des landes schaden, sin selbes tôt; wan ime diu wer niht tohte noch sich mit wer enmohte wider den vint gefristen, dô friste er sich mit listen. er sprach die hêrren al zehant über állez sînes hêrren lant und brâhte sî ze suone. wan in was niht ze tuone wan flêhen unde sich ergeben: si ergâben gúot únde leben an Mórgânes hulde. die házlîchen schulde undèr Morgâne und under in die legeten sî mit listen hin und nerten ir liut unde ir lant. Der getriuwe marschalc Foitenant fuor heim und sprach sîn sælic wîp und beválch ir verre und an den lîp, daz sî sich în léite nâch der gewoneheite, als ein wîp kindes inne lît, 1870 1875 1880 885 1890 1895 1867 frum adj. subst., wacker, tüchtig; vgl. zu 1148. — 1874 wan= wande (Hs. W.), weil, da. — ze wegen des Begriffs der Bewegung in wen- den; wir übertragen solche Zusätze bei mir ist gewant (vgl. zu 1657) am besten durch ein entsprechendes Adverb: weil es mit ihm besorglich stand. — 1877 wer stf., hier abstract: Vertheidigung. — 1878 wer, hier concret: Heeresmacht; vgl. 1128 [vgl. unser: Landwehr]. — 1879 gefristen swv., verst. fristen. — 1880 list ofters im Plural. — 1881 sprechen stv. mit acc. der Person, sich mit einem besprechen und berathen; vgl. 1978 und zu 9303 (gleichgültiger =nhd. einen sprechen in V. 3939). — 1883 suone stf., (Sühne), Versöhnung, Friedensvertrag. — 1888 häzlich, hazlích adj., gehässig, feindselig. — schulde stf., hier pl., Verschuldung, Vergehen. — 1891 neren, nern swv., (nähren), retten. 1895. 1897 sich în legen, sich zu Bette legen ; inne ligen, zu Bette liegen ; beides speciell vom Wochenbette gesagt. — kindes gen. wie noch in V. 1930; wir sagen: mit einem Kinde; vgl. Gr. 4, 671.
72 III. RUAL LI FOITENANT. (49) Reht’ in den noeten sol der frume, ze swelhem ende ez danne kume, bedenken, wie sîn werde rât: die wîle und er daz leben hât, sô sol er mit den lebenden leben, im selben trôst ze lebene geben. als tete der marschalc Foitenant: wan ez im ze sorgen was gewant, do bedâhte er mitten in der nôt des landes schaden, sin selbes tôt; wan ime diu wer niht tohte noch sich mit wer enmohte wider den vint gefristen, dô friste er sich mit listen. er sprach die hêrren al zehant über állez sînes hêrren lant und brâhte sî ze suone. wan in was niht ze tuone wan flêhen unde sich ergeben: si ergâben gúot únde leben an Mórgânes hulde. die házlîchen schulde undèr Morgâne und under in die legeten sî mit listen hin und nerten ir liut unde ir lant. Der getriuwe marschalc Foitenant fuor heim und sprach sîn sælic wîp und beválch ir verre und an den lîp, daz sî sich în léite nâch der gewoneheite, als ein wîp kindes inne lît, 1870 1875 1880 885 1890 1895 1867 frum adj. subst., wacker, tüchtig; vgl. zu 1148. — 1874 wan= wande (Hs. W.), weil, da. — ze wegen des Begriffs der Bewegung in wen- den; wir übertragen solche Zusätze bei mir ist gewant (vgl. zu 1657) am besten durch ein entsprechendes Adverb: weil es mit ihm besorglich stand. — 1877 wer stf., hier abstract: Vertheidigung. — 1878 wer, hier concret: Heeresmacht; vgl. 1128 [vgl. unser: Landwehr]. — 1879 gefristen swv., verst. fristen. — 1880 list ofters im Plural. — 1881 sprechen stv. mit acc. der Person, sich mit einem besprechen und berathen; vgl. 1978 und zu 9303 (gleichgültiger =nhd. einen sprechen in V. 3939). — 1883 suone stf., (Sühne), Versöhnung, Friedensvertrag. — 1888 häzlich, hazlích adj., gehässig, feindselig. — schulde stf., hier pl., Verschuldung, Vergehen. — 1891 neren, nern swv., (nähren), retten. 1895. 1897 sich în legen, sich zu Bette legen ; inne ligen, zu Bette liegen ; beides speciell vom Wochenbette gesagt. — kindes gen. wie noch in V. 1930; wir sagen: mit einem Kinde; vgl. Gr. 4, 671.
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III. RUAL LI FOITENANT. 73 (50) und daz si nâch der selben zît jæh' unde jehende wære, daz sî daz kint gebære, daz ir junchêrre solte sîn. diu sâlige marschalkîn, diu gúoté, diu stæte, diu reine Flóráte, diu wîbes êre ein spiegelglas und rehter güete ein gimme was, diu was des lîhté gemant, daz ir doch z'êren was gewant: si stalte ir muot und al ir lîp ze klage und rehte alse ein wîp, diu eines kindes sol genesen. si hiez ir kamere unde ir wesen stellen unde machen ze héinlîchen sachen; und wande s' ouch erkande wol, wie man hie zuo gebâren sol, dô nam si ir willeklage hier abe : si gelïchsente grôz ungehabe an muote unde an lîbe, gelîch éinem wîbe, diu ze solhen noeten gât, diu al ir dinc gestellet hât ze sus getâner arebeit. sus wart daz kint zuo z'ir geleit vil tougenlîchen unde alsô, daz ez vil lützel iemen dô ân' eine ir ámmén bevant. 1905 1910 1915 1920 1900 1925 1901 sin (wesen) suln, meist sîn solte, eine Umschreibung, deren Gottfried sich öfters bedient für einen Begriff, der zwischen: sein und: nicht sein inne liegt; dieser neue Begriff gestaltet sich verschieden, je nachdem das Nichtsein in den Verhältnissen oder in der Vorstellung beruht, darum öfters in dem einen sîn solte scheinbar das Gegentheil vom andern. Hier: das sonst ihr Jungherr, Prinz, sein sollte, gewesen wäre; wir können übersetzen: das ceigentlich» ihr Herr war; vgl. zu 1954. 2210. — 1906 gimme (lat. gemma) swf., Edelstein. — 1907 manen swv., mahnen, hier mit gen. und der Bed.: um etwas bitten. — 1909 stalte præt. von stellen mit acc., richten, einrichten, gestalten. — 1912 wesen stn., hier : Leben, Aufenthalt, Aufenthaltsort [vgl. Anwesen, Heimwesen]. — 1916 gebâren swv., sich be- nehmen, sich anstellen. — 1917 hiervon, von ihrer Kenntniss des Kind- bettes, nahm sie ab, ahmte sie nach ihre willeklage, ihren freiwilligen, ver- stellten Schmerz. — 1918 gelîchsenen, gelichsen swv., heucheln. — 1927 be- vinden stv., erfahren.
III. RUAL LI FOITENANT. 73 (50) und daz si nâch der selben zît jæh' unde jehende wære, daz sî daz kint gebære, daz ir junchêrre solte sîn. diu sâlige marschalkîn, diu gúoté, diu stæte, diu reine Flóráte, diu wîbes êre ein spiegelglas und rehter güete ein gimme was, diu was des lîhté gemant, daz ir doch z'êren was gewant: si stalte ir muot und al ir lîp ze klage und rehte alse ein wîp, diu eines kindes sol genesen. si hiez ir kamere unde ir wesen stellen unde machen ze héinlîchen sachen; und wande s' ouch erkande wol, wie man hie zuo gebâren sol, dô nam si ir willeklage hier abe : si gelïchsente grôz ungehabe an muote unde an lîbe, gelîch éinem wîbe, diu ze solhen noeten gât, diu al ir dinc gestellet hât ze sus getâner arebeit. sus wart daz kint zuo z'ir geleit vil tougenlîchen unde alsô, daz ez vil lützel iemen dô ân' eine ir ámmén bevant. 1905 1910 1915 1920 1900 1925 1901 sin (wesen) suln, meist sîn solte, eine Umschreibung, deren Gottfried sich öfters bedient für einen Begriff, der zwischen: sein und: nicht sein inne liegt; dieser neue Begriff gestaltet sich verschieden, je nachdem das Nichtsein in den Verhältnissen oder in der Vorstellung beruht, darum öfters in dem einen sîn solte scheinbar das Gegentheil vom andern. Hier: das sonst ihr Jungherr, Prinz, sein sollte, gewesen wäre; wir können übersetzen: das ceigentlich» ihr Herr war; vgl. zu 1954. 2210. — 1906 gimme (lat. gemma) swf., Edelstein. — 1907 manen swv., mahnen, hier mit gen. und der Bed.: um etwas bitten. — 1909 stalte præt. von stellen mit acc., richten, einrichten, gestalten. — 1912 wesen stn., hier : Leben, Aufenthalt, Aufenthaltsort [vgl. Anwesen, Heimwesen]. — 1916 gebâren swv., sich be- nehmen, sich anstellen. — 1917 hiervon, von ihrer Kenntniss des Kind- bettes, nahm sie ab, ahmte sie nach ihre willeklage, ihren freiwilligen, ver- stellten Schmerz. — 1918 gelîchsenen, gelichsen swv., heucheln. — 1927 be- vinden stv., erfahren.
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74 III. RUAL LI FOITENANT. Hie wart ein mære sâ zehant: diu guote marschalkinne laeg' eines sunes inne. ez was ouch wâr, si tete alsô: si lac des sunes inne dô, der ir sunlicher triuwe pflac unz an ir beider endetac. daz selbe süeze kint truoc ir als süezlîche kindes gir, als ein kint sîner muoter sol: und was daz billîch unde wol. si leite ouch állén ir sin mit muoterlicher liebe an in und was des alse stæte, als ob si in selbe hæte undèr ir brüstén getragen. als wir daz maere hoeren sagen, son' geschách ez weder sit noch ê, daz ein man unde ein wîp ie mê mit solher liebe ir hêrren zugen, als wir her nâch erkennen mugen an disem selben maere, wie väterlîche sware und wie vil manege arebeit der getriuwe marschalc durch in leit. 1930 1935 1940 1945 1950 Nu daz diu guote marschalkîn der nôt genesen solte sîn und nâch ir séhs wóchen, als den frouwen ist gesprochen, des suns ze kirchen solte gân, von dem ich her gesaget hân, (51) si selbe in an ir árm nám und truog in suoze, als ir gezam, 1955 1260 1933 sunlîch [nhd. aufgegeben] adj., kindlich. — pflegen mit dat. der Person (ir), gen. der Sache (s. tr.), einem etwas gewähren; vgl. 3738. — 1934 endetac stm., letzter Tag. Gottfried liebt das Wort ende in Bildungen und Zusammensetzungen. — 1936 süezlîch adj., süſs, zart, innig. — 1946 ie mê, jemals wieder. 1954 (vgl. zu 1901) hier können wir solte = videbatur, dicebatur bei- behalten, um auszudrücken: (im Sinne, nach dem Glauben der Leute) wieder gesund war. (Fedor Bech dagegen: " solte g. s.= nach dem Gang der Dinge musste wieder genesen sein».) — 1956 gesprochen, ähnlich wie in V. 535 besprochen, zur Bedingung, zur Pflicht gemacht. — 1957 dieses solte stilistisch verschieden von dem in V. 1954; hier: pflichtgemäß sollte, musste. — des suns, vgl. zu 1897. — 1958 her adv., bisher. —
74 III. RUAL LI FOITENANT. Hie wart ein mære sâ zehant: diu guote marschalkinne laeg' eines sunes inne. ez was ouch wâr, si tete alsô: si lac des sunes inne dô, der ir sunlicher triuwe pflac unz an ir beider endetac. daz selbe süeze kint truoc ir als süezlîche kindes gir, als ein kint sîner muoter sol: und was daz billîch unde wol. si leite ouch állén ir sin mit muoterlicher liebe an in und was des alse stæte, als ob si in selbe hæte undèr ir brüstén getragen. als wir daz maere hoeren sagen, son' geschách ez weder sit noch ê, daz ein man unde ein wîp ie mê mit solher liebe ir hêrren zugen, als wir her nâch erkennen mugen an disem selben maere, wie väterlîche sware und wie vil manege arebeit der getriuwe marschalc durch in leit. 1930 1935 1940 1945 1950 Nu daz diu guote marschalkîn der nôt genesen solte sîn und nâch ir séhs wóchen, als den frouwen ist gesprochen, des suns ze kirchen solte gân, von dem ich her gesaget hân, (51) si selbe in an ir árm nám und truog in suoze, als ir gezam, 1955 1260 1933 sunlîch [nhd. aufgegeben] adj., kindlich. — pflegen mit dat. der Person (ir), gen. der Sache (s. tr.), einem etwas gewähren; vgl. 3738. — 1934 endetac stm., letzter Tag. Gottfried liebt das Wort ende in Bildungen und Zusammensetzungen. — 1936 süezlîch adj., süſs, zart, innig. — 1946 ie mê, jemals wieder. 1954 (vgl. zu 1901) hier können wir solte = videbatur, dicebatur bei- behalten, um auszudrücken: (im Sinne, nach dem Glauben der Leute) wieder gesund war. (Fedor Bech dagegen: " solte g. s.= nach dem Gang der Dinge musste wieder genesen sein».) — 1956 gesprochen, ähnlich wie in V. 535 besprochen, zur Bedingung, zur Pflicht gemacht. — 1957 dieses solte stilistisch verschieden von dem in V. 1954; hier: pflichtgemäß sollte, musste. — des suns, vgl. zu 1897. — 1958 her adv., bisher. —
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III. RUAL LI FOITENANT. 75 mit ir zem gotes hûse alsô. und als si ir înleite dô gotelîche hæte enpfangen und von ópfer was gegangen mit schoenem ingesinde, dô was dem kleinen kinde der héilíge touf bereit, durch daz ez sîne kristenheit in gotes namen enpfienge, swie’z ime dar nâch ergienge, daz er doch kristen wære. nu daz sîn tóufáre alles sînes dinges was bereit nâch tóuflîcher gewoneheit, er frâgete umbe daz kindelîn, wie sin name solte sîn. diu hövesche marschalkîn gie dan und sprach vil tougenlîche ir man und frâgte in, wie er wolte, daz man ez nennen solte. der marschale der sweic lange, er trahte ange und ange, waz namen ime gebære nâch sînen dingen wære. hier under sô betrahte er des kindes dinc von ende her, reht' alse er hâté vernomen, wie sîn dinc allez dar was komen: «seht», sprach er «frouwe, als ich vernam von sînem vater, wie ez dem kam umbe sîne Blanschefliure, 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1962 inleite stf., wörtlich: Einführung (vgl. brůtleite, swertleite), speciell und terminologisch: der erste feierliche Kirchgang der Wöchnerinnen. — 1963 das mhd. Wörterbuch, I, 558 erklärt gotelîche adv. ethisch: auf gottes- fürchtige Weise; ich ziehe vor: (göttlich), christlich, kirchlich, feierlich ; vgl. zu 15659. — enpfangen: mit diesem Kirchgange ist zugleich Einsegnung, purificatio, verbunden; daher die înleite enpfangen. — 1964 opfer stn., die Opferung, die übliche Opferspende (nicht die Messe). — 1968 kristenheit stf. = Christenthum. — 1971 kristen adj. (aus christianus, christlich) subst. masc., Christ. — 1972 toufœre stm.=Täufer, der die Taufe vollziehende Geistliche (das Wort als Beiname des heil. Johannes lebendig und ge- läufig, scheint in der vom Dichter gebrauchten allgemeinen Anwendung auch früher nicht vorzukommen). — 1974 touflîch adj., was zur Taufe ge- hört; vgl. 2025. — 1982 ange adv., hier: mit sorgfältiger Mühe. — 1983 ge- bœre adj. mit dat. (allein V. 11388), angemessen; ein Lieblingswort Gott- fried's. — 1990 mir kumet umbe = es ergeht mir mit; vgl. 1711. —
III. RUAL LI FOITENANT. 75 mit ir zem gotes hûse alsô. und als si ir înleite dô gotelîche hæte enpfangen und von ópfer was gegangen mit schoenem ingesinde, dô was dem kleinen kinde der héilíge touf bereit, durch daz ez sîne kristenheit in gotes namen enpfienge, swie’z ime dar nâch ergienge, daz er doch kristen wære. nu daz sîn tóufáre alles sînes dinges was bereit nâch tóuflîcher gewoneheit, er frâgete umbe daz kindelîn, wie sin name solte sîn. diu hövesche marschalkîn gie dan und sprach vil tougenlîche ir man und frâgte in, wie er wolte, daz man ez nennen solte. der marschale der sweic lange, er trahte ange und ange, waz namen ime gebære nâch sînen dingen wære. hier under sô betrahte er des kindes dinc von ende her, reht' alse er hâté vernomen, wie sîn dinc allez dar was komen: «seht», sprach er «frouwe, als ich vernam von sînem vater, wie ez dem kam umbe sîne Blanschefliure, 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1962 inleite stf., wörtlich: Einführung (vgl. brůtleite, swertleite), speciell und terminologisch: der erste feierliche Kirchgang der Wöchnerinnen. — 1963 das mhd. Wörterbuch, I, 558 erklärt gotelîche adv. ethisch: auf gottes- fürchtige Weise; ich ziehe vor: (göttlich), christlich, kirchlich, feierlich ; vgl. zu 15659. — enpfangen: mit diesem Kirchgange ist zugleich Einsegnung, purificatio, verbunden; daher die înleite enpfangen. — 1964 opfer stn., die Opferung, die übliche Opferspende (nicht die Messe). — 1968 kristenheit stf. = Christenthum. — 1971 kristen adj. (aus christianus, christlich) subst. masc., Christ. — 1972 toufœre stm.=Täufer, der die Taufe vollziehende Geistliche (das Wort als Beiname des heil. Johannes lebendig und ge- läufig, scheint in der vom Dichter gebrauchten allgemeinen Anwendung auch früher nicht vorzukommen). — 1974 touflîch adj., was zur Taufe ge- hört; vgl. 2025. — 1982 ange adv., hier: mit sorgfältiger Mühe. — 1983 ge- bœre adj. mit dat. (allein V. 11388), angemessen; ein Lieblingswort Gott- fried's. — 1990 mir kumet umbe = es ergeht mir mit; vgl. 1711. —
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76 III. RUAL LI FOITENANT. (52) mit wie vil maneger triure ir gernder wille an ime ergie, wie si diz kint mit triure enpfie, mit welher triure si'z gewan, sô nennen wir in Tristán.» nu heizet triste triure: und von der âventiure sô wart daz kint Tristan genant, Tristan getoufet al zehant. von triste Tristan was sîn nam. der name was ime gevallesam und alle wîs gebære ; daz kiesen an dem mæere: sehen wie trûreclîch ez was, dâ sîn sin múotér genas; sehen wie fruo im arebeit und nôt ze rucke wart geleit; sehen wie trûreclîch ein leben ime ze lebene wart gegeben; sehen án den trûreclîchen tôt, der alle sîne herzenôt mit einem éndé beslôz, der alles tôdes übergenôz und aller triure ein galle was. diz mæere, der daz ie gelas, der erkénnet sich wol, daz der nam dem lebene was gehellesam: er was reht’, alse er hiez, ein man und hiez reht’, alse er was, Tristan; und swer nu gerne hæte erkant, durch welhe liste Foitenant daz hieze sagen ze mære, daz Tristan daz kint wære 1995 2000 2005 2010 2015 2020 1992 triure (ferner: aventiure 14383. 15793) stf. =trůre, Trauer. — 1997 triste franz., schriftgemaß zweisilbig ferner noch in V. 2001.— 2002 gevallesam adj., schicklich. — 2004 kiesen stv., sehen, ersehen. kiesen= kiesen wir, ebenso sehen in den folgenden Versen; vgl. zu 1859. — 2005 trûreclîch adj., traurig. — 2013 mit einem ende verstärkt den Begriff besliezen. — 2015 galle swf. vielfach bei mhd. Dichtern bildlich gebraucht für Bitteres, Böses, Haß u. dgl.; vgl. bei Gottfried 12956. 13900 und Zusammensetzungen wie herzegalle 10243, zorngalle 14150, nîtgalle 15690. — 2017 erkennen refl., öfters bei Gottfried: einsehen, eine Uberzeugung gewinnen [refl. nhd. aufgegeben, doch noch: sich auskennen]. — 2018 gehellesam adj., übereinstimmend, entsprechend. — 2019—20 die Nebensätze mit alse in prosaischer Ubertragung an das Ende zu stellen. —
76 III. RUAL LI FOITENANT. (52) mit wie vil maneger triure ir gernder wille an ime ergie, wie si diz kint mit triure enpfie, mit welher triure si'z gewan, sô nennen wir in Tristán.» nu heizet triste triure: und von der âventiure sô wart daz kint Tristan genant, Tristan getoufet al zehant. von triste Tristan was sîn nam. der name was ime gevallesam und alle wîs gebære ; daz kiesen an dem mæere: sehen wie trûreclîch ez was, dâ sîn sin múotér genas; sehen wie fruo im arebeit und nôt ze rucke wart geleit; sehen wie trûreclîch ein leben ime ze lebene wart gegeben; sehen án den trûreclîchen tôt, der alle sîne herzenôt mit einem éndé beslôz, der alles tôdes übergenôz und aller triure ein galle was. diz mæere, der daz ie gelas, der erkénnet sich wol, daz der nam dem lebene was gehellesam: er was reht’, alse er hiez, ein man und hiez reht’, alse er was, Tristan; und swer nu gerne hæte erkant, durch welhe liste Foitenant daz hieze sagen ze mære, daz Tristan daz kint wære 1995 2000 2005 2010 2015 2020 1992 triure (ferner: aventiure 14383. 15793) stf. =trůre, Trauer. — 1997 triste franz., schriftgemaß zweisilbig ferner noch in V. 2001.— 2002 gevallesam adj., schicklich. — 2004 kiesen stv., sehen, ersehen. kiesen= kiesen wir, ebenso sehen in den folgenden Versen; vgl. zu 1859. — 2005 trûreclîch adj., traurig. — 2013 mit einem ende verstärkt den Begriff besliezen. — 2015 galle swf. vielfach bei mhd. Dichtern bildlich gebraucht für Bitteres, Böses, Haß u. dgl.; vgl. bei Gottfried 12956. 13900 und Zusammensetzungen wie herzegalle 10243, zorngalle 14150, nîtgalle 15690. — 2017 erkennen refl., öfters bei Gottfried: einsehen, eine Uberzeugung gewinnen [refl. nhd. aufgegeben, doch noch: sich auskennen]. — 2018 gehellesam adj., übereinstimmend, entsprechend. — 2019—20 die Nebensätze mit alse in prosaischer Ubertragung an das Ende zu stellen. —
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III. RUAL LI FOITENANT. 77 von der geburteclichen nôt in sîner tôten muoter tôt, den sulen wir ez wizzen lân: ez wart durch triuwé getân. der getriuwe tete ez umbe daz: er vorhte Mórgânes haz: ob er daz kint dâ wiste, daz er ez sô mit liste só mit gewalte verdarbte, daz lant an ime entarbte. durch daz nam der getriuwe man ze kinde sich den weisen an und zôch ez alse schône, daz ime diu werlt ze lône (53) der gotes genâden wünschen sol: daz verdiente er an dem weisen wol. Nu daz daz kint getoufet wart, nâch kristenlîchem site bewart, diu tugenderiche marschalkîn nam aber ir liebez kindelîn in ir vil héinlîche pflege: si wolte wizzen alle wege und sehen, ob ime sîn sache stüende ze gemache. sîn süeziu muoter leite an in mit alsô süezem flîze ir sin, daz si im des niht engunde, daz er ze keiner stunde unsanfte nider getræte. nu sî daz mit im hæte getriben unz an sîn sibende jâr, daz er wol rede und ouch gebâr 2030 2035 2040 2045 2050 2025 2055 2025 geburteclîch adj., die Geburt anlangend ; von der Noth bei der Geburt, infolge der Geburtswehen; vgl. 1974. — 2032 list stm., hier: Hinterlist. — 2034 enterben swv., hier nicht das gewöhnliche enterben wie in V. 1478: des Erbes berauben, sondern: des Erben, des rechtmässigen Herrn berau- ben. — 2036 (vgl. zu 967) hier: annehmen (ohne sich) mit acc. ze kinde, als Kind, an Kindesstatt. 2042 bewarn swv., hier: mit dem Sakrament versehen. — 2045 hein- lich = heimlîch adj., vertraut, liebevoll; vom Dichter gerne gebraucht. — 2047 fg. ob sein Befinden ein gemächliches, behagliches sei. — 2051 gunnen swy. anom. mit gen. und dat. = gönnen, doch decken sich beide Wörter nicht ; hier wäre gönnen nicht am Platze; wohlwollend gestattete sie ihm nicht. — 2053 getreten stv., verst. treten. — 2056 gebâr ist wohl hier die aufere Haltung und Umgangsform, wie sie auch dem Kinde schon eigen ist, nicht die menschliche Gebärde in unserm Sinne ; vgl. 3814 und zu 8031. —
III. RUAL LI FOITENANT. 77 von der geburteclichen nôt in sîner tôten muoter tôt, den sulen wir ez wizzen lân: ez wart durch triuwé getân. der getriuwe tete ez umbe daz: er vorhte Mórgânes haz: ob er daz kint dâ wiste, daz er ez sô mit liste só mit gewalte verdarbte, daz lant an ime entarbte. durch daz nam der getriuwe man ze kinde sich den weisen an und zôch ez alse schône, daz ime diu werlt ze lône (53) der gotes genâden wünschen sol: daz verdiente er an dem weisen wol. Nu daz daz kint getoufet wart, nâch kristenlîchem site bewart, diu tugenderiche marschalkîn nam aber ir liebez kindelîn in ir vil héinlîche pflege: si wolte wizzen alle wege und sehen, ob ime sîn sache stüende ze gemache. sîn süeziu muoter leite an in mit alsô süezem flîze ir sin, daz si im des niht engunde, daz er ze keiner stunde unsanfte nider getræte. nu sî daz mit im hæte getriben unz an sîn sibende jâr, daz er wol rede und ouch gebâr 2030 2035 2040 2045 2050 2025 2055 2025 geburteclîch adj., die Geburt anlangend ; von der Noth bei der Geburt, infolge der Geburtswehen; vgl. 1974. — 2032 list stm., hier: Hinterlist. — 2034 enterben swv., hier nicht das gewöhnliche enterben wie in V. 1478: des Erbes berauben, sondern: des Erben, des rechtmässigen Herrn berau- ben. — 2036 (vgl. zu 967) hier: annehmen (ohne sich) mit acc. ze kinde, als Kind, an Kindesstatt. 2042 bewarn swv., hier: mit dem Sakrament versehen. — 2045 hein- lich = heimlîch adj., vertraut, liebevoll; vom Dichter gerne gebraucht. — 2047 fg. ob sein Befinden ein gemächliches, behagliches sei. — 2051 gunnen swy. anom. mit gen. und dat. = gönnen, doch decken sich beide Wörter nicht ; hier wäre gönnen nicht am Platze; wohlwollend gestattete sie ihm nicht. — 2053 getreten stv., verst. treten. — 2056 gebâr ist wohl hier die aufere Haltung und Umgangsform, wie sie auch dem Kinde schon eigen ist, nicht die menschliche Gebärde in unserm Sinne ; vgl. 3814 und zu 8031. —
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78 III. RUAL LI FOITENANT. (54) vernemen kunde und ouch vernam, sîn vater, der marschale, in dô nam und beválch in einem wîsen man: mit dem sant' er in iesâ dan durch fremede sprâche in fremediu lant, und daz er aber al zehant der buoche lêre an vienge und den ouch mite gienge vor aller slahte lêre. daz was sîn êrstiu kêre ûz sîner frîhéite: dô trat er in daz geleite betwungenlîcher sorgen, die ime dâ vor verborgen und vor behalten wâren. in den ûf blüenden jâren, dô al sîn wunne solte erstân, dô er mit fröuden solte gân in sînes lébenés begin, dô was sîn beste leben hin : dô er mit fröuden blüen began, dô viel der sorgen rîfe in an, der maneger jugent schaden tuot, und darte im sîner frouden bluot. in sîner êrsten frîhéit wart al sin friheit hin geleit. der buoche lêre und ir getwanc was sîner sorgen anevanc; und iedoch, dô er ir began, dô leite er sînen sin dar an und sînen flîz sô sêre, daz er der buoche mêre gelernete in sô kurzer zît dán kein kint ê oder sît. 2060 2065 2070 2975 2080 2085 2090 2063 der buoche lére, zunächst: der Unterricht im Lesen, dann: Wissen- schaft. — 2064 einem oder einem dinge mite gân = mit einem gehen, d. h. einem folgen, sich nach einem richten (wie V. 3617); Gottfried hat eine Vorliebe für diese Wendung. — 2066 kêre stf., Wendung, Gang. — 2069 betwungenlich adj., erzwungen, unfreiwillig. — 2070—71 Spiel mit vor. 1) vor zu dâ, davor, vorher. 2) vor zu behalten synon. mit verbergen, be- wahren, wie: vorenthalten. — 2083 getwanc stm., Zwang, Last. — 2085 be- ginnen im Mhd. mit gen.; vgl. Gr. 4, 667. — 2089 gelernen swv., verst. lernen, erlernen, d. h. überhaupt: lesen, studieren.
78 III. RUAL LI FOITENANT. (54) vernemen kunde und ouch vernam, sîn vater, der marschale, in dô nam und beválch in einem wîsen man: mit dem sant' er in iesâ dan durch fremede sprâche in fremediu lant, und daz er aber al zehant der buoche lêre an vienge und den ouch mite gienge vor aller slahte lêre. daz was sîn êrstiu kêre ûz sîner frîhéite: dô trat er in daz geleite betwungenlîcher sorgen, die ime dâ vor verborgen und vor behalten wâren. in den ûf blüenden jâren, dô al sîn wunne solte erstân, dô er mit fröuden solte gân in sînes lébenés begin, dô was sîn beste leben hin : dô er mit fröuden blüen began, dô viel der sorgen rîfe in an, der maneger jugent schaden tuot, und darte im sîner frouden bluot. in sîner êrsten frîhéit wart al sin friheit hin geleit. der buoche lêre und ir getwanc was sîner sorgen anevanc; und iedoch, dô er ir began, dô leite er sînen sin dar an und sînen flîz sô sêre, daz er der buoche mêre gelernete in sô kurzer zît dán kein kint ê oder sît. 2060 2065 2070 2975 2080 2085 2090 2063 der buoche lére, zunächst: der Unterricht im Lesen, dann: Wissen- schaft. — 2064 einem oder einem dinge mite gân = mit einem gehen, d. h. einem folgen, sich nach einem richten (wie V. 3617); Gottfried hat eine Vorliebe für diese Wendung. — 2066 kêre stf., Wendung, Gang. — 2069 betwungenlich adj., erzwungen, unfreiwillig. — 2070—71 Spiel mit vor. 1) vor zu dâ, davor, vorher. 2) vor zu behalten synon. mit verbergen, be- wahren, wie: vorenthalten. — 2083 getwanc stm., Zwang, Last. — 2085 be- ginnen im Mhd. mit gen.; vgl. Gr. 4, 667. — 2089 gelernen swv., verst. lernen, erlernen, d. h. überhaupt: lesen, studieren.
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III. RUAL LI FOITENANT. 79 Under disen zwein lernungen der buoche unde der zungen so vertéte er sîner stunde vil an iegelîchem seitespil: dâ kêrte er spâte unde fruo sîn emzekeit sô sêre zuo, biz er es wunder kunde. er lernete alle stunde hiute diz und morgen daz, hiure wol, ze jâre baz. über diz allez lernet' er mit dem schilte und mit dem sper behendeclîche riten, daz ors ze beiden sîten bescheidenlîche rüeren. von sprunge ez freche füeren, turnieren und leisiren, mit schenkelen sambelieren reht' und nâch ritterlîchem site. hie bankete er sich ofte mite. wol schirmen, starke ringen, wol loufen, sêre springen, dâr zuo schiezén den schaft, daz tete er wol nâch sîner kraft. ouch hoere wir diz mare sagen, ez gelernete birsen unde jagen 2095 2100 2105 2110 2115 2091 lernunge stf., Studium. — 2092 zunge swf.=Sprache. — 2093 ver- tuon, aufwenden. — 2100 ze jâre, übers Jahr. — 2105 bescheidenlîche adv., verständig, kunstgemass. — rüeren swv., terminus technicus in der Reit- kunst, zunächst wohl vom Schenkeldruck und vom Sporn genommen; allgemein heift es : antreiben, dann elliptisch und intransitiv: daher spren- gen; vgl. V. 8736; einen an rüeren=ansprengen 6981. An unserer Stelle soll wohl gesagt werden, dafs Tristan lernte das Ross nach rechts und links zu dirigieren ohne Zügel. — 2106 von sprunge, im Sprunge, d. h. im Hochsprung, nicht im Galop, der eine leichte Gangart ist. — freche adv., kühn, dreist. — 2107 turnieren swv., Fremdwort vom franz. tourner, hier in ursprüngl. Bedeutung: wenden. — leisieren, laisiren (die Hss. wechseln) Fremdwort vom franz. laissier = laisser, lat. laxare, das Ross mit ver- hängtem Zügel laufen lassen. — 2108 sambelieren swv., Fremdwort, mit gamba, gambegla verwandt, dem Rosse die Schenkel (eigentlich das Knie) geben; mit schenkelen tritt verdeutlichend hinzu. — 2110 banken = baneken swv., sich erlustigen; vgl. banekîe V. 410. — 2111 für schirmen haben wir das fremde : parieren eingeführt. — 2113 schaft stm., Lanze (einschließlich der Spitze); in V. 9172 =nhd. Speerstange. — 2116 birsen unde jagen, die beiden Jagdarten; die Wendung steht beinahe formelhaft. birsen, die Jagd mit dem Spürhund oder der einsame Jagdgang, und jagen, falls der Ausdruck nicht allgemein das Jagen bezeichnet, die Treibjagd. Die dritte Art, daz beizen, die Falkenjagd, wird in Gottfried's Gedichte niemals ge- nannt. —
III. RUAL LI FOITENANT. 79 Under disen zwein lernungen der buoche unde der zungen so vertéte er sîner stunde vil an iegelîchem seitespil: dâ kêrte er spâte unde fruo sîn emzekeit sô sêre zuo, biz er es wunder kunde. er lernete alle stunde hiute diz und morgen daz, hiure wol, ze jâre baz. über diz allez lernet' er mit dem schilte und mit dem sper behendeclîche riten, daz ors ze beiden sîten bescheidenlîche rüeren. von sprunge ez freche füeren, turnieren und leisiren, mit schenkelen sambelieren reht' und nâch ritterlîchem site. hie bankete er sich ofte mite. wol schirmen, starke ringen, wol loufen, sêre springen, dâr zuo schiezén den schaft, daz tete er wol nâch sîner kraft. ouch hoere wir diz mare sagen, ez gelernete birsen unde jagen 2095 2100 2105 2110 2115 2091 lernunge stf., Studium. — 2092 zunge swf.=Sprache. — 2093 ver- tuon, aufwenden. — 2100 ze jâre, übers Jahr. — 2105 bescheidenlîche adv., verständig, kunstgemass. — rüeren swv., terminus technicus in der Reit- kunst, zunächst wohl vom Schenkeldruck und vom Sporn genommen; allgemein heift es : antreiben, dann elliptisch und intransitiv: daher spren- gen; vgl. V. 8736; einen an rüeren=ansprengen 6981. An unserer Stelle soll wohl gesagt werden, dafs Tristan lernte das Ross nach rechts und links zu dirigieren ohne Zügel. — 2106 von sprunge, im Sprunge, d. h. im Hochsprung, nicht im Galop, der eine leichte Gangart ist. — freche adv., kühn, dreist. — 2107 turnieren swv., Fremdwort vom franz. tourner, hier in ursprüngl. Bedeutung: wenden. — leisieren, laisiren (die Hss. wechseln) Fremdwort vom franz. laissier = laisser, lat. laxare, das Ross mit ver- hängtem Zügel laufen lassen. — 2108 sambelieren swv., Fremdwort, mit gamba, gambegla verwandt, dem Rosse die Schenkel (eigentlich das Knie) geben; mit schenkelen tritt verdeutlichend hinzu. — 2110 banken = baneken swv., sich erlustigen; vgl. banekîe V. 410. — 2111 für schirmen haben wir das fremde : parieren eingeführt. — 2113 schaft stm., Lanze (einschließlich der Spitze); in V. 9172 =nhd. Speerstange. — 2116 birsen unde jagen, die beiden Jagdarten; die Wendung steht beinahe formelhaft. birsen, die Jagd mit dem Spürhund oder der einsame Jagdgang, und jagen, falls der Ausdruck nicht allgemein das Jagen bezeichnet, die Treibjagd. Die dritte Art, daz beizen, die Falkenjagd, wird in Gottfried's Gedichte niemals ge- nannt. —
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80 III. RUAL LI FOITENANT. nie kein man sô wol sô er, ez ware dirre oder der. aller hande hovespil diu tete er wol und kunde ir vil. ouch was er an dem libe, daz jungelinc von wibe nie sæleclîcher wart geborn. sîn dinc was allez ûz erkorn beid' an dem muote und an den siten. nu was áber diu sælde undersniten mit werndem schaden, als ich ez las, wan er léider arbeitsælic was. Nu sîn vierzehende jâr vür kam, der marschalc in hin heim dô nam und hiez in z'allen zîten varen unde rîten, erkunnen liute unde lant, durch daz im rehte würde erkant, wie des landes site wære. diz tete der lobebære sô lobelîchen unde alsô, daz in den ziten unde dó in állém dem rîche nie kint sô tugentlîche gelebete alse Trístán. al diu werlt diu truog in an friundes ouge und holden muot, als man dem billîche tuot, des muot niwan ze tugende stât, der alle untugende unmæere hât. 2120 2125 2130 2135 2140 (55) 2145 2119 hovespil stn. = höreschez spil: gemeint sind die andern, nicht speciell ritterlichen, Künste und nobeln Passionen: Gesang, Waldhorn, (Saiten- spiel ist schon genannt V. 2094), Schachzabelspiel, Parlieren verschiedener Sprachen. — 2128 arbeitsœlic adj., "bei steter Mühsal oder durch stete Mühsal selig". Sommer; in einem Worte etwa: leidbeglückt. Ahnliche Bildungen mit -sœlic vgl. Sommer zu Flore 1753. 2129 vür komen gebraucht Gottfried öfters in verschiedener Bedeutung; hier: herankommen; ähnlich in V. 4203 = unserm: auskommen; vgl. zu V. 6295. — 2136 lobebare adj. subst., lobenswerth, löblich. — 2138 formel- hafte öfters wiederkehrende Wendung; vgl. 2147. — 2142 hier steht in der Wendung an tragen mit doppeltem Accus. (vgl. zu 896) wohl in an = an in = dem Dativ ime; vgl. zu 48. — 2146 unmare adj., unlieb, unwerth; un- mœre hân wie liep hân (nhd. auch gerne h., dagegen werth halten); hier wegen des auslaut. e die Construction nicht sichtbar; vgl. zu 19160.
80 III. RUAL LI FOITENANT. nie kein man sô wol sô er, ez ware dirre oder der. aller hande hovespil diu tete er wol und kunde ir vil. ouch was er an dem libe, daz jungelinc von wibe nie sæleclîcher wart geborn. sîn dinc was allez ûz erkorn beid' an dem muote und an den siten. nu was áber diu sælde undersniten mit werndem schaden, als ich ez las, wan er léider arbeitsælic was. Nu sîn vierzehende jâr vür kam, der marschalc in hin heim dô nam und hiez in z'allen zîten varen unde rîten, erkunnen liute unde lant, durch daz im rehte würde erkant, wie des landes site wære. diz tete der lobebære sô lobelîchen unde alsô, daz in den ziten unde dó in állém dem rîche nie kint sô tugentlîche gelebete alse Trístán. al diu werlt diu truog in an friundes ouge und holden muot, als man dem billîche tuot, des muot niwan ze tugende stât, der alle untugende unmæere hât. 2120 2125 2130 2135 2140 (55) 2145 2119 hovespil stn. = höreschez spil: gemeint sind die andern, nicht speciell ritterlichen, Künste und nobeln Passionen: Gesang, Waldhorn, (Saiten- spiel ist schon genannt V. 2094), Schachzabelspiel, Parlieren verschiedener Sprachen. — 2128 arbeitsœlic adj., "bei steter Mühsal oder durch stete Mühsal selig". Sommer; in einem Worte etwa: leidbeglückt. Ahnliche Bildungen mit -sœlic vgl. Sommer zu Flore 1753. 2129 vür komen gebraucht Gottfried öfters in verschiedener Bedeutung; hier: herankommen; ähnlich in V. 4203 = unserm: auskommen; vgl. zu V. 6295. — 2136 lobebare adj. subst., lobenswerth, löblich. — 2138 formel- hafte öfters wiederkehrende Wendung; vgl. 2147. — 2142 hier steht in der Wendung an tragen mit doppeltem Accus. (vgl. zu 896) wohl in an = an in = dem Dativ ime; vgl. zu 48. — 2146 unmare adj., unlieb, unwerth; un- mœre hân wie liep hân (nhd. auch gerne h., dagegen werth halten); hier wegen des auslaut. e die Construction nicht sichtbar; vgl. zu 19160.
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IV. DIE ENTFUHRUNG. Zu dieser Zeit landet ein norwegisches Handelsschiff bei Kanoel. Der Marschall geht mit Tristan und seinen andern Söhnen nach dem Schiffe, um die Waaren zu beschauen und um Einkäufe zu machen. Tristan er- blickt in dem Schiffe ein schönes Schachbret hangen und beginnt mit einem der Kaufleute ein Spiel. Vater und Brüder begeben sich wieder nach Hause, nur Kurvenal, sein Meister, bleibt bei ihm zurück. Die Kaufleute finden an dem schönen, hochbegabten und liebenswürdigen Knaben solches Gefallen, daſ sie ihn zu rauben beschließsen. Unmerklich wird das Schiff vom Lande abgestoßsen. Wie Tristan und Kurvenal diese Entführung und den Entschluss der Fremden in Erfahrung bringen, er- Leben sie laute Klage. Kurvenal darf zurückkehren; in einem Bote fährt er wieder heim und berichtet den trauernden und wehklagenden Altern den unglückseligen Vorfall. Die Norweger haben einen furchtbaren acht Tage währenden Sturm zu bestehen. Sie erkennen darin den Zorn und die Strafe Gottes und wollen Tristan an das Land setzen. Darauf be- ruhigt sich Meer und Wind. Tristan befindet sich in Kurneval. In ein- samer Wildniss sucht er einen Weg und gelangt endlich auf eine Straßse. Dort gesellt er sich zwei Pilgern zu, mit denen er unter dem Vorgeben. er sei aus diesem Lande und habe sich auf der Jagd verirrt, eine Strecke zusammen wandert. In den ziten unde dô kom ez von âventiure alsô, daz von Norwæge über sê ein koufschif unde deheinez mé in daz lánt ze Parmenîe kam und sîn gelende dâ genam und úz gestiez ze Kanoêl 2150 2149 Norwœge st. subst. (Geschlecht unbestimmt), Norwegen; vgl. Nor- waege Volksname 2400. — 2150 dichterische Wendung für: ein einzelnes Handelsschiff; ebenso 7483 dehein me = einzig, 8597 = nur. — 2152 gelende stn., Landung. — 2153 ûz gestôzen, verst. ûz stôzen (V. 478). — GOTTFRIED VON STRASSBURG. I. 2. Aufl. 6
IV. DIE ENTFUHRUNG. Zu dieser Zeit landet ein norwegisches Handelsschiff bei Kanoel. Der Marschall geht mit Tristan und seinen andern Söhnen nach dem Schiffe, um die Waaren zu beschauen und um Einkäufe zu machen. Tristan er- blickt in dem Schiffe ein schönes Schachbret hangen und beginnt mit einem der Kaufleute ein Spiel. Vater und Brüder begeben sich wieder nach Hause, nur Kurvenal, sein Meister, bleibt bei ihm zurück. Die Kaufleute finden an dem schönen, hochbegabten und liebenswürdigen Knaben solches Gefallen, daſ sie ihn zu rauben beschließsen. Unmerklich wird das Schiff vom Lande abgestoßsen. Wie Tristan und Kurvenal diese Entführung und den Entschluss der Fremden in Erfahrung bringen, er- Leben sie laute Klage. Kurvenal darf zurückkehren; in einem Bote fährt er wieder heim und berichtet den trauernden und wehklagenden Altern den unglückseligen Vorfall. Die Norweger haben einen furchtbaren acht Tage währenden Sturm zu bestehen. Sie erkennen darin den Zorn und die Strafe Gottes und wollen Tristan an das Land setzen. Darauf be- ruhigt sich Meer und Wind. Tristan befindet sich in Kurneval. In ein- samer Wildniss sucht er einen Weg und gelangt endlich auf eine Straßse. Dort gesellt er sich zwei Pilgern zu, mit denen er unter dem Vorgeben. er sei aus diesem Lande und habe sich auf der Jagd verirrt, eine Strecke zusammen wandert. In den ziten unde dô kom ez von âventiure alsô, daz von Norwæge über sê ein koufschif unde deheinez mé in daz lánt ze Parmenîe kam und sîn gelende dâ genam und úz gestiez ze Kanoêl 2150 2149 Norwœge st. subst. (Geschlecht unbestimmt), Norwegen; vgl. Nor- waege Volksname 2400. — 2150 dichterische Wendung für: ein einzelnes Handelsschiff; ebenso 7483 dehein me = einzig, 8597 = nur. — 2152 gelende stn., Landung. — 2153 ûz gestôzen, verst. ûz stôzen (V. 478). — GOTTFRIED VON STRASSBURG. I. 2. Aufl. 6
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82 IV. DIE ENTFUHRUNG. (56) vür daz selbe kástêl, da der márschálc ze stæte sîn wesen ûfe hæte und sîn junchêrre Tristán. nu daz die fremeden koufmán ir market hæten ûz geleit, vil schiere wart ze hove geseit, waz dâ koufrâtes wæere. hier under kômen maere Tristande ze unheile : dâ waeren valken veile und ander schoene vederspil; und wart des mares alse vil, bis zwei des márschálkes kint, wan kint der dinge fiizec sint, under in zwein wúrdén enein, daz sî Tristanden zuo z'in zwein, ir wânbrúoder, nâmen und an ir vater kâmen und bâten den behanden, daz er in durch Tristanden der valken koufen hieze. der edele Rûal lieze und hæte ez nôté verlân, ez enmüese allez vür sich gân, des sîn friunt Tristan bæte, wan er in werder hæte und bôt ez baz im einem dan aller der deheinem von lande od von gesinde. 2160 2165 2170 2175 2180 2155 2155 ze state, (in Beständigkeit), für gewöhnlich. — 2161 koufrát stm. (Vorrath zum Verkaufen), Waare. — 2165 vederspil stn. [vgl. Windspiel], zur Jagd abgerichtete Vögel. — 2168 flîzec sîn mit gen., sich einer Sache befleissigen, auf etwas Bedacht nehmen; auch persönlich wie in V. 2185: sich jemandem mit Aufmerksamkeit hingeben. — 2171 wânbruoder stm., vermeintlicher Bruder; vgl. vaterwân 4229. — 2172 an einen komen (ähnlich wie einen an k. in V. 1128), wie unser: einen angehen, einem anliegen. — 1273 behanden (= bi handen) adv., eigentlich: bei der Hand, sogleich (vgl. mhd. zehant, nhd. behend). — 2175 der valken gen. part. — 2176—78 lâzen hier synonym mit dem folgenden verlâzen, unterlassen. — nôte adv., mit Noth, ungern; das Wort gewissermaßen Negation vertretend gehört auch zu lieze; ebenso ez. — nach lân und verlân wird der folgende Satz im Mhd. hypothetisch und negativ gewendet. Rual würde nicht im Stande gewesen sein, etwas zu lassen und zu unterlassen, was Tristan erbat, ohne daß es wirklich ausgeführt wurde (vgl. 6236). Jeden Wunsch erfüllte er ihm. — 2180 werder compar. —
82 IV. DIE ENTFUHRUNG. (56) vür daz selbe kástêl, da der márschálc ze stæte sîn wesen ûfe hæte und sîn junchêrre Tristán. nu daz die fremeden koufmán ir market hæten ûz geleit, vil schiere wart ze hove geseit, waz dâ koufrâtes wæere. hier under kômen maere Tristande ze unheile : dâ waeren valken veile und ander schoene vederspil; und wart des mares alse vil, bis zwei des márschálkes kint, wan kint der dinge fiizec sint, under in zwein wúrdén enein, daz sî Tristanden zuo z'in zwein, ir wânbrúoder, nâmen und an ir vater kâmen und bâten den behanden, daz er in durch Tristanden der valken koufen hieze. der edele Rûal lieze und hæte ez nôté verlân, ez enmüese allez vür sich gân, des sîn friunt Tristan bæte, wan er in werder hæte und bôt ez baz im einem dan aller der deheinem von lande od von gesinde. 2160 2165 2170 2175 2180 2155 2155 ze state, (in Beständigkeit), für gewöhnlich. — 2161 koufrát stm. (Vorrath zum Verkaufen), Waare. — 2165 vederspil stn. [vgl. Windspiel], zur Jagd abgerichtete Vögel. — 2168 flîzec sîn mit gen., sich einer Sache befleissigen, auf etwas Bedacht nehmen; auch persönlich wie in V. 2185: sich jemandem mit Aufmerksamkeit hingeben. — 2171 wânbruoder stm., vermeintlicher Bruder; vgl. vaterwân 4229. — 2172 an einen komen (ähnlich wie einen an k. in V. 1128), wie unser: einen angehen, einem anliegen. — 1273 behanden (= bi handen) adv., eigentlich: bei der Hand, sogleich (vgl. mhd. zehant, nhd. behend). — 2175 der valken gen. part. — 2176—78 lâzen hier synonym mit dem folgenden verlâzen, unterlassen. — nôte adv., mit Noth, ungern; das Wort gewissermaßen Negation vertretend gehört auch zu lieze; ebenso ez. — nach lân und verlân wird der folgende Satz im Mhd. hypothetisch und negativ gewendet. Rual würde nicht im Stande gewesen sein, etwas zu lassen und zu unterlassen, was Tristan erbat, ohne daß es wirklich ausgeführt wurde (vgl. 6236). Jeden Wunsch erfüllte er ihm. — 2180 werder compar. —
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IV. DIE ENTFÜHRUNG. 83 sîner eigenen kinde was er sô flizec niht sô sin. dar an tet er der werlde schin, wie vollekomener triuwe er pflac. waz tugende und êren an im lac. 2185 (57) Er stúont úf unde nam zehant sînen sún Tristanden an die hant nâch vil vaterlîchem site. sîn ander süne die giengen mite und dâ zuo hovegesindes vil, die sô durch ernest sô durch spil in volgeten unz an den kiel und swáz iemánne dâ geviel, dâ in sîn wille zuo getruoc, des vant er umbe kouf genuoc, kleinoede, sîden, edele wât: des was dâ rât über rât. ouch was dâ schoene vederspil, valken bilgerîne vil, smírlîn und spärwære, habeche (müzáre und ouch in rôten vederen): von disen ietwéderen 2190 2195 2200 2205 2186 fg. diese Bemerkung bezieht sich nicht auf die Gegenwart, da das eigentliche Verhältniss zwischen Rual und Tristan der Welt verborgen war, sondern deutet im voraus auf die künftige Entdeckung des Geheimnisses. — 2188 ligen an einem, häufige mhd. Wendung, nur durch Umschrei- bung wiederzugeben; hier: sich an einem, bei einem finden; vgl. zu 5098. 2198 umbe kouf, zum Kaufen, für Geld, feil. — 2199 kleingede stn., zier- liches Kunstwerk, Bijouteriewaare. kl. hier pl., ebenso sîden pl., Seiden- stoffe; vgl. zu 667. — wât, hier collectiv: Garderobe. — 2202 bilgerîn (lat. peregrinus, franz. pelerin) stm., hier wohl in directer Entlehnung adjecti- visch: valken pilgerîne pl. gen. von vil abh., falcones peregrini, Wander- falken. (Auch pilgrimvalke kommt vor.) — 2203 smirlîn (falco smirillus, franz. emerillon) stn. (hier pl.), Lerchenfalke. — 2204. 2205 die Klammer soll die Apposition zu den vorhergehenden Vogelnamen andeuten (nicht bloß auf habeche zu beziehen). Von zweierlei Art waren die zum Verkauf ausgestellten Vögel: mûzœre stm. pl., Maußer, d. h. die die Maußser über- standen haben, also ausgewachsene, und zweitens welche in rothen Federn, also noch junge (s. Bech in Pf. Germania 7, 437). Heinrich Mynsinger in seinem Buch von den Falken, Pferden und Hunden schreibt im 2. Kapitel (S. 4): So ist dunckelfar der schwantz (bei den Falken), vnd darnach an der prust vnd an den andern stetten, so ist er veech, Also das ain taile, besunder in dem ersten Jar, ist gestreiffelt schwartz, vnd das ander tail dunkelrott , vnd darnach so wirt die selb rötte von Jar zu Jar ye weißter nach dem ond sich der falck ye mer maußset. — 2206 hier Plural von ietweder, von beiden Arten; Haupt zu Erec (2. Ausgabe) 8371 bezieht ietwederen nicht auf die Maufer und die rothgefiederten, sondern nimmt das Wort in all- gemeinerer, nicht auf zwei beschränkter Bedeutung: jeder, all, was aller- dings hier vorzuziehen ist. Der Ausdruck bezieht sich also wie die Be- merkung in der Klammer auf alle vorhergenannten Vogelarten. — 6 *)
IV. DIE ENTFÜHRUNG. 83 sîner eigenen kinde was er sô flizec niht sô sin. dar an tet er der werlde schin, wie vollekomener triuwe er pflac. waz tugende und êren an im lac. 2185 (57) Er stúont úf unde nam zehant sînen sún Tristanden an die hant nâch vil vaterlîchem site. sîn ander süne die giengen mite und dâ zuo hovegesindes vil, die sô durch ernest sô durch spil in volgeten unz an den kiel und swáz iemánne dâ geviel, dâ in sîn wille zuo getruoc, des vant er umbe kouf genuoc, kleinoede, sîden, edele wât: des was dâ rât über rât. ouch was dâ schoene vederspil, valken bilgerîne vil, smírlîn und spärwære, habeche (müzáre und ouch in rôten vederen): von disen ietwéderen 2190 2195 2200 2205 2186 fg. diese Bemerkung bezieht sich nicht auf die Gegenwart, da das eigentliche Verhältniss zwischen Rual und Tristan der Welt verborgen war, sondern deutet im voraus auf die künftige Entdeckung des Geheimnisses. — 2188 ligen an einem, häufige mhd. Wendung, nur durch Umschrei- bung wiederzugeben; hier: sich an einem, bei einem finden; vgl. zu 5098. 2198 umbe kouf, zum Kaufen, für Geld, feil. — 2199 kleingede stn., zier- liches Kunstwerk, Bijouteriewaare. kl. hier pl., ebenso sîden pl., Seiden- stoffe; vgl. zu 667. — wât, hier collectiv: Garderobe. — 2202 bilgerîn (lat. peregrinus, franz. pelerin) stm., hier wohl in directer Entlehnung adjecti- visch: valken pilgerîne pl. gen. von vil abh., falcones peregrini, Wander- falken. (Auch pilgrimvalke kommt vor.) — 2203 smirlîn (falco smirillus, franz. emerillon) stn. (hier pl.), Lerchenfalke. — 2204. 2205 die Klammer soll die Apposition zu den vorhergehenden Vogelnamen andeuten (nicht bloß auf habeche zu beziehen). Von zweierlei Art waren die zum Verkauf ausgestellten Vögel: mûzœre stm. pl., Maußer, d. h. die die Maußser über- standen haben, also ausgewachsene, und zweitens welche in rothen Federn, also noch junge (s. Bech in Pf. Germania 7, 437). Heinrich Mynsinger in seinem Buch von den Falken, Pferden und Hunden schreibt im 2. Kapitel (S. 4): So ist dunckelfar der schwantz (bei den Falken), vnd darnach an der prust vnd an den andern stetten, so ist er veech, Also das ain taile, besunder in dem ersten Jar, ist gestreiffelt schwartz, vnd das ander tail dunkelrott , vnd darnach so wirt die selb rötte von Jar zu Jar ye weißter nach dem ond sich der falck ye mer maußset. — 2206 hier Plural von ietweder, von beiden Arten; Haupt zu Erec (2. Ausgabe) 8371 bezieht ietwederen nicht auf die Maufer und die rothgefiederten, sondern nimmt das Wort in all- gemeinerer, nicht auf zwei beschränkter Bedeutung: jeder, all, was aller- dings hier vorzuziehen ist. Der Ausdruck bezieht sich also wie die Be- merkung in der Klammer auf alle vorhergenannten Vogelarten. — 6 *)
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84 IV. DIE ENTFUHRUNG. vant man vollen market dá. Tristande hiez man koufen sâ valken unde smírlîn. die sîne bruoder solten sîn, den wart gekoufet ouch durch in. man gewan in allen drin, swes iegelîcher gerte. 2210 Nu man si dô gewerte alles, des si wolten, und dannen kêren solten, von âventiure ez dô geschach, daz Tristan in dem schiffe ersach ein schâchzábel hangen, an brete und an den spangen vil schône und wol gezieret, ze wunsche géfeitieret. dâ bî hienc ein gesteine von edelem helfenbeine ergraben wol meisterlîche. Tristan der tugenderîche der sach ez flîzeclîchen an. «ei», sprach er «edelen kóufmán, sô helfe iu got! und kunnet ir schâchzábelspil? daz saget mir!» und sprach daz in ir zungen. nu sâhen si den jungen aber noch flîzeclîcher an, dô er ir sprâche reden began, die lützel iemen kunde dâ. sus begúnden s' an dem jungen sâ merken elliu sîniu dinc. nu gedûhte sî nie jungelinc 5.)20 2225 2220 2235 2215 2210 sîn suln hier =nhd.; hauptsächlich noch in Mundarten der bestimmte Ausdruck für: vorstellen (ebenso in V. 13534: das sein Bette in der Vor- stellung des Traumes war); vgl. zu 1901. 2214 geweren, gewern mit acc. der Person, gen. der Sache = einem etwas gewähren. — 2219 schâchzabel (aus lat. tabula, Zwillingswort von: Tafel) stn., Schachbret. — 2223 ein gesteine stn., collectiv für: Steine, die zum Brete gehörigen Spielfiguren. — 2225 ergraben part., eingegraben, graviert, geschnitten; der Ausdruck ist allgemein : wahrscheinlich soll blofs die kunstvolle Schnitzerei angedeutet werden, nicht die Gravierung der Details. — meisterlîche adv., meisterhaft, künstlerisch. — 2227 flizeclíchen adv., (fleissig), aufmerksam. — 2229 sô helfe iu got! (auch öfters gekürzt wie einmal in der Hs. M. self iu gol), häufiger Zuruf der Uberraschung = wahr- haftig ! bei Gott! oder unserm: wohlan! entsprechend; vgl. 4656. — 2238 ge- dunken anom. v., verst. dunken. —
84 IV. DIE ENTFUHRUNG. vant man vollen market dá. Tristande hiez man koufen sâ valken unde smírlîn. die sîne bruoder solten sîn, den wart gekoufet ouch durch in. man gewan in allen drin, swes iegelîcher gerte. 2210 Nu man si dô gewerte alles, des si wolten, und dannen kêren solten, von âventiure ez dô geschach, daz Tristan in dem schiffe ersach ein schâchzábel hangen, an brete und an den spangen vil schône und wol gezieret, ze wunsche géfeitieret. dâ bî hienc ein gesteine von edelem helfenbeine ergraben wol meisterlîche. Tristan der tugenderîche der sach ez flîzeclîchen an. «ei», sprach er «edelen kóufmán, sô helfe iu got! und kunnet ir schâchzábelspil? daz saget mir!» und sprach daz in ir zungen. nu sâhen si den jungen aber noch flîzeclîcher an, dô er ir sprâche reden began, die lützel iemen kunde dâ. sus begúnden s' an dem jungen sâ merken elliu sîniu dinc. nu gedûhte sî nie jungelinc 5.)20 2225 2220 2235 2215 2210 sîn suln hier =nhd.; hauptsächlich noch in Mundarten der bestimmte Ausdruck für: vorstellen (ebenso in V. 13534: das sein Bette in der Vor- stellung des Traumes war); vgl. zu 1901. 2214 geweren, gewern mit acc. der Person, gen. der Sache = einem etwas gewähren. — 2219 schâchzabel (aus lat. tabula, Zwillingswort von: Tafel) stn., Schachbret. — 2223 ein gesteine stn., collectiv für: Steine, die zum Brete gehörigen Spielfiguren. — 2225 ergraben part., eingegraben, graviert, geschnitten; der Ausdruck ist allgemein : wahrscheinlich soll blofs die kunstvolle Schnitzerei angedeutet werden, nicht die Gravierung der Details. — meisterlîche adv., meisterhaft, künstlerisch. — 2227 flizeclíchen adv., (fleissig), aufmerksam. — 2229 sô helfe iu got! (auch öfters gekürzt wie einmal in der Hs. M. self iu gol), häufiger Zuruf der Uberraschung = wahr- haftig ! bei Gott! oder unserm: wohlan! entsprechend; vgl. 4656. — 2238 ge- dunken anom. v., verst. dunken. —
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IV. DIE ENTFUHRUNG. 85 (58) sô sæleclîche sîn getân noch alsô schone site hân. «jâ», sprach ir einer «friunt, ir ist under úns genuoc, die disen list wol kunnen; wellet ir’z besehen, sô mag ez harte wol geschehen: wol her, sô wil ich iuch bestân !» Tristan der sprach: «daz si getân!» sus sâzen si zwên' über daz spil. der marschalc sprach : «Tristan, ich wil wider üf ze hérbérgen gân; wil dû, du maht wol hie bestân. mîn ander süne die gên mit mir; sô sî dîn meister hie bî dir, der neme dîn war und hüete din.» 2240 2245 2250 Sus gie der marschalc wider in und sîn liut al gemeine wan Tristán al eine und sîn meister, der sîn pflac, von dem ich iu wol sagen mac vür wâr, als uns diz mære seit, daz knappe nie von hövescheit und von edeles herzen art baz noch schôner gedelt wart; und was der Kurvenal genant. er hæte manege tugende erkant, als er dem wol ze lêre kam, der ouch von siner lêre nam vil manegiu tugentlîchiu dinc. der tugentrîche jungelinc, der wol gezogene Tristán 2255 2260 2265 2243 besehen stv., versuchen, erproben. — 2245 wol her adv. interj., wie unser : wohlan! wohlauf! bei Gottfried öfters auch wol hin z. B. 3077. — 2249 herberge stf. öfters im Plural; ze h. nach Hause; vgl. 18409. — 2252 meister stm., hier im Sinne von: Lehrmeister, Hofmeister. 2255 gemeine hier adv. wie in V. 11613. al gem., eigentlich: durchaus gemeinsam; zusammen. — 2260 hövescheit (=Höfischheit) stf., feiner An- stand; Ubertragung von courtoisie. — 2263 der nicht Artikel zu Kurvenal, sondern demonstr. dieser, derselbe [nhd. und der war]; vgl. 3909. 16653. Gr. 4, 405. — 2264 tugent ist auch das, was zu einer guten Erziehung ge- hört; vgl. zu 11164. — 2265 als vertritt hier Relativbegriff von tugent abh.: mit welcher er demjenigen als Lehrer trefflich half, der u. s. w. — 2266 ne- men stv., hier: annehmen, lernen; vgl. 3290. —
IV. DIE ENTFUHRUNG. 85 (58) sô sæleclîche sîn getân noch alsô schone site hân. «jâ», sprach ir einer «friunt, ir ist under úns genuoc, die disen list wol kunnen; wellet ir’z besehen, sô mag ez harte wol geschehen: wol her, sô wil ich iuch bestân !» Tristan der sprach: «daz si getân!» sus sâzen si zwên' über daz spil. der marschalc sprach : «Tristan, ich wil wider üf ze hérbérgen gân; wil dû, du maht wol hie bestân. mîn ander süne die gên mit mir; sô sî dîn meister hie bî dir, der neme dîn war und hüete din.» 2240 2245 2250 Sus gie der marschalc wider in und sîn liut al gemeine wan Tristán al eine und sîn meister, der sîn pflac, von dem ich iu wol sagen mac vür wâr, als uns diz mære seit, daz knappe nie von hövescheit und von edeles herzen art baz noch schôner gedelt wart; und was der Kurvenal genant. er hæte manege tugende erkant, als er dem wol ze lêre kam, der ouch von siner lêre nam vil manegiu tugentlîchiu dinc. der tugentrîche jungelinc, der wol gezogene Tristán 2255 2260 2265 2243 besehen stv., versuchen, erproben. — 2245 wol her adv. interj., wie unser : wohlan! wohlauf! bei Gottfried öfters auch wol hin z. B. 3077. — 2249 herberge stf. öfters im Plural; ze h. nach Hause; vgl. 18409. — 2252 meister stm., hier im Sinne von: Lehrmeister, Hofmeister. 2255 gemeine hier adv. wie in V. 11613. al gem., eigentlich: durchaus gemeinsam; zusammen. — 2260 hövescheit (=Höfischheit) stf., feiner An- stand; Ubertragung von courtoisie. — 2263 der nicht Artikel zu Kurvenal, sondern demonstr. dieser, derselbe [nhd. und der war]; vgl. 3909. 16653. Gr. 4, 405. — 2264 tugent ist auch das, was zu einer guten Erziehung ge- hört; vgl. zu 11164. — 2265 als vertritt hier Relativbegriff von tugent abh.: mit welcher er demjenigen als Lehrer trefflich half, der u. s. w. — 2266 ne- men stv., hier: annehmen, lernen; vgl. 3290. —
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86 IV DIE ENTFÜHRUNG. 2270 2 (59) saz unde spilte vür sich an sô schône und sô hoflîche, daz in geméinlîche die fremeden aber an sâhen und in ir herzen jâhen, sin' gesâéhen nie deheine jugent gezieret mit sô maneger tugent. swaz fuoge er aber an der stete mit gebârden oder mit spil getete, daz was in dâ wider alse ein wint: si nam des wunder, daz ein kint sô manege sprâche kunde: die fluzzen ime ze munde, daz si'z ê nie vernâmen, an swelhe stat si kâmen. der hövesche hovebære lie sîniu hovemære und fremediu zabelwortelîn underwîlen fliegen in: diu sprach er wol und kunde ir vil, dâ mite sô zierte er in sîn spil. ouch sang er wol ze prise schanzûne und spæhe wîse, refloit und stampenie. alsolher cûrtôsie 2275 2280 2285 2290 2 2270 vür sich, nicht: still für sich, sondern: vorwärts, weiter; vgl. 10124. — an spiln (wie ansetzen, anheben), zu spielen beginnen, welche Function an namentlich bei Gottfried öfters hat. Tristan setzte sich (wieder) und begann weiter zu spielen, weil das Spiel durch Rual's Ansprache und Weggang unterbrochen worden war. — 2271 hoflîche, hovelîche adv., hof- gemäss, artig. — 2272 gemeinlîche adv., gemeinsam, zusammen. — 2275 jugent stf., hier abstract für: Jüngling; ebenso V. 3126 in der Anrede; dem Fran- zösischen nachgebildet in V. 3139. — 2279 dà wider, nämlich gegen die im Folgenden erwähnte Sprachfertigkeit. — alse ein wint, poetische For- mel für: wie ein Nichts, gering und unbedeutend. — 2282 ze munde = im Munde, dann dem Sinne nach = unserm: vom Munde. — 2285 hovebœre adj., höfisch, gesittet. — 2286 hovemare stn., Hofrede, feine Ausdrucks- weise. — 2287 zabelwortelîn stn., zierlicher Schachausdruck. — 2290 in dat. pl., für sie. — 2291 ze prîse, mit dem Erfolg des Preises, lobenswerth, trefflich. — 2292 schanzûne pl. von schanzûn (bei Gottfried nur im Pl.) stf., Fremdwort, franz. chanson, Gesang, Lied, wahrscheinlich im Gegensatz zu spœhe wîse von einfachem Bau. — wîse stf., gemeinhin: die Tonweise, Me- lodie; hier liegt der Nachdruck auf spœhe adj., kunstvoll. — 2293 refoi! stn., Fremdwort, altfranz. reflet. mittellat. reflectum, eine Liedergattung, ohne Zweifel mit Refrain; vgl. zu 19216. — stampenîe stf., Fremdwort, altfranz. estampie, eine Liedergattung heitern Inhalts, gewöhnlich zur Fiedel ge- sungen ; bei Hans Sachs heißt eine schwankähnliche Dichtung noch Stam- paney. — 2294 cûrtôsîe (nach den ältesten Hss. statt cûrtoisîe) stf., Fremd- wort, courtoisie, hofgemässes Benehmen. —
86 IV DIE ENTFÜHRUNG. 2270 2 (59) saz unde spilte vür sich an sô schône und sô hoflîche, daz in geméinlîche die fremeden aber an sâhen und in ir herzen jâhen, sin' gesâéhen nie deheine jugent gezieret mit sô maneger tugent. swaz fuoge er aber an der stete mit gebârden oder mit spil getete, daz was in dâ wider alse ein wint: si nam des wunder, daz ein kint sô manege sprâche kunde: die fluzzen ime ze munde, daz si'z ê nie vernâmen, an swelhe stat si kâmen. der hövesche hovebære lie sîniu hovemære und fremediu zabelwortelîn underwîlen fliegen in: diu sprach er wol und kunde ir vil, dâ mite sô zierte er in sîn spil. ouch sang er wol ze prise schanzûne und spæhe wîse, refloit und stampenie. alsolher cûrtôsie 2275 2280 2285 2290 2 2270 vür sich, nicht: still für sich, sondern: vorwärts, weiter; vgl. 10124. — an spiln (wie ansetzen, anheben), zu spielen beginnen, welche Function an namentlich bei Gottfried öfters hat. Tristan setzte sich (wieder) und begann weiter zu spielen, weil das Spiel durch Rual's Ansprache und Weggang unterbrochen worden war. — 2271 hoflîche, hovelîche adv., hof- gemäss, artig. — 2272 gemeinlîche adv., gemeinsam, zusammen. — 2275 jugent stf., hier abstract für: Jüngling; ebenso V. 3126 in der Anrede; dem Fran- zösischen nachgebildet in V. 3139. — 2279 dà wider, nämlich gegen die im Folgenden erwähnte Sprachfertigkeit. — alse ein wint, poetische For- mel für: wie ein Nichts, gering und unbedeutend. — 2282 ze munde = im Munde, dann dem Sinne nach = unserm: vom Munde. — 2285 hovebœre adj., höfisch, gesittet. — 2286 hovemare stn., Hofrede, feine Ausdrucks- weise. — 2287 zabelwortelîn stn., zierlicher Schachausdruck. — 2290 in dat. pl., für sie. — 2291 ze prîse, mit dem Erfolg des Preises, lobenswerth, trefflich. — 2292 schanzûne pl. von schanzûn (bei Gottfried nur im Pl.) stf., Fremdwort, franz. chanson, Gesang, Lied, wahrscheinlich im Gegensatz zu spœhe wîse von einfachem Bau. — wîse stf., gemeinhin: die Tonweise, Me- lodie; hier liegt der Nachdruck auf spœhe adj., kunstvoll. — 2293 refoi! stn., Fremdwort, altfranz. reflet. mittellat. reflectum, eine Liedergattung, ohne Zweifel mit Refrain; vgl. zu 19216. — stampenîe stf., Fremdwort, altfranz. estampie, eine Liedergattung heitern Inhalts, gewöhnlich zur Fiedel ge- sungen ; bei Hans Sachs heißt eine schwankähnliche Dichtung noch Stam- paney. — 2294 cûrtôsîe (nach den ältesten Hss. statt cûrtoisîe) stf., Fremd- wort, courtoisie, hofgemässes Benehmen. —
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IV. DIE ENTFUHRUNG. 87 der treip er vil und sô vil an, biz áber die wérbénden man ze râte wurden under in: kundèn si in iemer bringen hin mit dehéiner slahte sinnen, si möhten sin gewinnen grôzen frumen und êre. und biten ouch dô niht mêre, si gebúten ir ruoderæeren, daz si bereite wæren, und zugen si selbe ir anker in, als ez der rede niht solte sîn. si stiezen an und fuoren dan: sô lise, daz es Trístán noch Kurvenal nie wart gewar, unz sî si hæten von dem var wol eine grôze mîle brâht. wan jene die wârén verdâht an ir spil sô sêre, daz si dô nihtes mêre niwan ir spils gedâhten. 2300 2305 2310 2295 2315 (60) Nu si'z dô vollebrâhten, sô daz Tristan daz spil gewan, und er sich umbe sehen began, dô sach er wol, wie’z was gevarn. nu gesâhet ir nie muoterbarn sô rehte leidegen als in: ûf sprang er und stuont under in, «ach», sprach er «edelen koufmán, durch got waz gêt ir mit mir an? 2320 2296 werben. hier: Handelschaft treiben. die v. m., die Kaufleute. — 2297 ze ràte werden, übereinkommen. — 2299 sin und namentlich pl. sinne hat wie hier öfters die Bedeutung von unserm: List ; vgl. 9110 und zu 13883. — 2300 sîn = es, damit, dadurch. — 2306 wie wenn es etwas Gleich- gültiges wäre. — 2307 an stôzen hier intransitiv und doppelt elliptisch (vgl. zu 1581), entspr. unserm: in See stechen wie in V. 11535; dann auch von den Schiffen, die als lebende Wesen gedacht werden, selbst gesagt in V. 11879. — 2309 nie, öfters verstärkte Negation: durchaus nicht. — 2310 var stn., Fähre, Landungsplatz. — 2312 verdâht part. adj., (in Gedanken) ver- tieft. — 2319 gevarn = gegangen, geschehen. — 2320 muoterbarn stn., (Mutterkind), häufige Umschreibung für: Mensch, jemand [vgl. Menschen- kind]. — 2321 leidec adj., in Leiden, schmerzvoll. — 2322 stán = sich stellen, treten; under in alsdann = unter sie. — 2324 an gan mit einem = anfangen mit einem. —
IV. DIE ENTFUHRUNG. 87 der treip er vil und sô vil an, biz áber die wérbénden man ze râte wurden under in: kundèn si in iemer bringen hin mit dehéiner slahte sinnen, si möhten sin gewinnen grôzen frumen und êre. und biten ouch dô niht mêre, si gebúten ir ruoderæeren, daz si bereite wæren, und zugen si selbe ir anker in, als ez der rede niht solte sîn. si stiezen an und fuoren dan: sô lise, daz es Trístán noch Kurvenal nie wart gewar, unz sî si hæten von dem var wol eine grôze mîle brâht. wan jene die wârén verdâht an ir spil sô sêre, daz si dô nihtes mêre niwan ir spils gedâhten. 2300 2305 2310 2295 2315 (60) Nu si'z dô vollebrâhten, sô daz Tristan daz spil gewan, und er sich umbe sehen began, dô sach er wol, wie’z was gevarn. nu gesâhet ir nie muoterbarn sô rehte leidegen als in: ûf sprang er und stuont under in, «ach», sprach er «edelen koufmán, durch got waz gêt ir mit mir an? 2320 2296 werben. hier: Handelschaft treiben. die v. m., die Kaufleute. — 2297 ze ràte werden, übereinkommen. — 2299 sin und namentlich pl. sinne hat wie hier öfters die Bedeutung von unserm: List ; vgl. 9110 und zu 13883. — 2300 sîn = es, damit, dadurch. — 2306 wie wenn es etwas Gleich- gültiges wäre. — 2307 an stôzen hier intransitiv und doppelt elliptisch (vgl. zu 1581), entspr. unserm: in See stechen wie in V. 11535; dann auch von den Schiffen, die als lebende Wesen gedacht werden, selbst gesagt in V. 11879. — 2309 nie, öfters verstärkte Negation: durchaus nicht. — 2310 var stn., Fähre, Landungsplatz. — 2312 verdâht part. adj., (in Gedanken) ver- tieft. — 2319 gevarn = gegangen, geschehen. — 2320 muoterbarn stn., (Mutterkind), häufige Umschreibung für: Mensch, jemand [vgl. Menschen- kind]. — 2321 leidec adj., in Leiden, schmerzvoll. — 2322 stán = sich stellen, treten; under in alsdann = unter sie. — 2324 an gan mit einem = anfangen mit einem. —
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88 IV. DIE ENTFUHRUNG. saget, wâ wellet ir mich hin ? «seht, friunt», sprach einer under in «diz enmác nu niemán bewarn, ir enmüezet hinnen mit uns varn. gehábet iuch wól únd sît frô!» Tristan der arme der huop dô sô jæemerlichez klagen an, daz Kurvenal sin friunt began mit ime von herzen weinen und solhe klage erscheinen, daz al daz kielgesinde von ime und von dem kinde unmuotic wart und sêre unfrô. Kurvenâlen sáztén si dô in ein vil kleine schiffelîn und leiten zúo z'ime dar in ein ruoder unde ein kleine brôt ze der vérte und ze der hungers nôt und sprâchen, daz er kêrte, swar in sîn muot gelêrte; Tristan der müese hin mit in. mit der rede si fuoren hin und liezen in dâ swebenden, in manegen sorgen lebenden. 2330 2335 2340 2345 2325 Kurvènal swebete uf dem sê. in manege wîs sô was im wê: wê umbe daz michel ungemach, daz er an Tristande sach; wê umbe sîn sélbes nôt, durch daz er vórhté den tôt, wan er niht varen kunde noch es níe dâ vor begunde. und klagende sprach er wider sich: «got hêrre, wie gewirbe ich ? (61) i’ne wárt alsus besorget nie. 2350 2355 2325 Verbalellipse, zu ergänzen : thun oder bringen [nhd. noch: wo wollt ihr mit mir hin ?]; vgl. Gr. 4, 135 fg. — 2334 erscheinen swv., sehen lassen, zeigen, äußern. — 2341 für das Bedürfniss des Hungers, also: für den Hunger. — 2347 lâzen häufig mit dem Part., statt mit dem Inf. verbunden, gewöhnlicher mit dem Part. præt. als præs.; diese Construction in der Regel bei vinden und sehen; vgl. Gr. 4, 126. 2359 besorget sin, werden stärker als unser: besorgt sein; in Angsten sein. —
88 IV. DIE ENTFUHRUNG. saget, wâ wellet ir mich hin ? «seht, friunt», sprach einer under in «diz enmác nu niemán bewarn, ir enmüezet hinnen mit uns varn. gehábet iuch wól únd sît frô!» Tristan der arme der huop dô sô jæemerlichez klagen an, daz Kurvenal sin friunt began mit ime von herzen weinen und solhe klage erscheinen, daz al daz kielgesinde von ime und von dem kinde unmuotic wart und sêre unfrô. Kurvenâlen sáztén si dô in ein vil kleine schiffelîn und leiten zúo z'ime dar in ein ruoder unde ein kleine brôt ze der vérte und ze der hungers nôt und sprâchen, daz er kêrte, swar in sîn muot gelêrte; Tristan der müese hin mit in. mit der rede si fuoren hin und liezen in dâ swebenden, in manegen sorgen lebenden. 2330 2335 2340 2345 2325 Kurvènal swebete uf dem sê. in manege wîs sô was im wê: wê umbe daz michel ungemach, daz er an Tristande sach; wê umbe sîn sélbes nôt, durch daz er vórhté den tôt, wan er niht varen kunde noch es níe dâ vor begunde. und klagende sprach er wider sich: «got hêrre, wie gewirbe ich ? (61) i’ne wárt alsus besorget nie. 2350 2355 2325 Verbalellipse, zu ergänzen : thun oder bringen [nhd. noch: wo wollt ihr mit mir hin ?]; vgl. Gr. 4, 135 fg. — 2334 erscheinen swv., sehen lassen, zeigen, äußern. — 2341 für das Bedürfniss des Hungers, also: für den Hunger. — 2347 lâzen häufig mit dem Part., statt mit dem Inf. verbunden, gewöhnlicher mit dem Part. præt. als præs.; diese Construction in der Regel bei vinden und sehen; vgl. Gr. 4, 126. 2359 besorget sin, werden stärker als unser: besorgt sein; in Angsten sein. —
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IV. DIE ENTFUHRUNG. 89 2360 nu bin ich âne liute hie und kan ouch selbe niht gevarn. got hêrre, dû solt mich bewarn und mîn geverte hinnen sîn! ich wil ûf die genâde dîn, des ich nie began, beginnen: wis mîn geleite hinnen!» hie mite greif er sîn ruoder an: in gotes namen fuor er dan und kom in kurzer stunde, als es im got gegunde, wider héim und seite mære, wie ez gevaren ware. der marschale und sîn sælic wip, diu beide leiten an ir lîp sô jæmerliche klagenôt, und ware er vor ir ougen tôt, daz in diu selbe swære niht nâher gangen wære. sus giengen si dô beide in ir gemeinem leide und al ir ingesinde nâch ir verlornem kinde weinen ûf des meres stat. manec zunge dâ mit triuwen bat, daz got sîn helfe wære. dâ wart manc klagemære : ir klage was sus, ir klage was sô; und alse ez an den âbent dô und an ein scheiden muose gân, ir klage, diu ê was undertân, diu wart dô gar einbære: si triben dâ niwan ein mâre, 2365 2370 2375 2380 2385 2390 2363 geverte swm., hier im poetischen Ausdrucke ursprüngliche Bedeutung : Gefährte, Mitfahrender zugleich mit dem Anklange an: Fahrender, Steuer- mann; deutlicher geleite swm., Führer. — 2366 hinnen adv. = von hinnen, von hier weg; vgl. 10737. — 2370 gegunnen anom. v. mit dat. und gen., verst. gunnen: wie es Gott über ihn verfügte. — 2375 klagenôt stf., schmerz- liche Trauer. — 2383 stat stm. u. stn. (nach vorwiegenden Lesarten bei Gottfried stn.), gen. stades, Gestade, Ufer. — 2385 helfe vielleicht nicht stf., Hülfe, sondern swm., Helfer (vgl. gehelfe in V. 1466), was sich an ge- leite in V. 2366 gut anschließen würde. — 2390 undertân part., eigentlich dazwischengethan, untermischt, verschieden. — 2391 einbœre adj., ein- hellig. —
IV. DIE ENTFUHRUNG. 89 2360 nu bin ich âne liute hie und kan ouch selbe niht gevarn. got hêrre, dû solt mich bewarn und mîn geverte hinnen sîn! ich wil ûf die genâde dîn, des ich nie began, beginnen: wis mîn geleite hinnen!» hie mite greif er sîn ruoder an: in gotes namen fuor er dan und kom in kurzer stunde, als es im got gegunde, wider héim und seite mære, wie ez gevaren ware. der marschale und sîn sælic wip, diu beide leiten an ir lîp sô jæmerliche klagenôt, und ware er vor ir ougen tôt, daz in diu selbe swære niht nâher gangen wære. sus giengen si dô beide in ir gemeinem leide und al ir ingesinde nâch ir verlornem kinde weinen ûf des meres stat. manec zunge dâ mit triuwen bat, daz got sîn helfe wære. dâ wart manc klagemære : ir klage was sus, ir klage was sô; und alse ez an den âbent dô und an ein scheiden muose gân, ir klage, diu ê was undertân, diu wart dô gar einbære: si triben dâ niwan ein mâre, 2365 2370 2375 2380 2385 2390 2363 geverte swm., hier im poetischen Ausdrucke ursprüngliche Bedeutung : Gefährte, Mitfahrender zugleich mit dem Anklange an: Fahrender, Steuer- mann; deutlicher geleite swm., Führer. — 2366 hinnen adv. = von hinnen, von hier weg; vgl. 10737. — 2370 gegunnen anom. v. mit dat. und gen., verst. gunnen: wie es Gott über ihn verfügte. — 2375 klagenôt stf., schmerz- liche Trauer. — 2383 stat stm. u. stn. (nach vorwiegenden Lesarten bei Gottfried stn.), gen. stades, Gestade, Ufer. — 2385 helfe vielleicht nicht stf., Hülfe, sondern swm., Helfer (vgl. gehelfe in V. 1466), was sich an ge- leite in V. 2366 gut anschließen würde. — 2390 undertân part., eigentlich dazwischengethan, untermischt, verschieden. — 2391 einbœre adj., ein- hellig. —
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90 IV. DIE ENTFUHRUNG. si riefen hie, si riefen dort niht anders wan daz eine wort: «bêâs Tristant, cûrtois Tristant, tun cors, ta vie a dê comant! dîn schoener lîp, dîn süeze leben daz sî hiute gote ergeben!" 2395 In disen dingen fuorten in die Nórwagen allez hin und hæten ez alsô bedâht, si hæten an im vollebrâht ir willen allen unde ir ger. dô widerschuof ez allez der, der elliu dinc beslihtet, beslihtende berihtet, dem winde, mer und elliu kraft bibende sint dienesthaft. alsô der wolte und der gebôt, dô huop sich ein sô michel nôt von stúrmwétere ûf dem sê, daz si álle samet in selben mê enmohten niht ze staten gestân, wan daz si ir schif êt liezen gân, dar ez die wilden winde triben und si sélbe âne trôst beliben umbe ir lîp und umbe ir leben: si hæten sich mitalle ergeben an die vil armen stiure, diu da héizet âventiure: si liezen ez an die geschiht, weder sî genæren oder niht, 2405 2410 2415 2420 (62) 2400 2395 béâs (auch béâ ohne Unterschied der Function in V. 10721) adj., lat. bellus, franz. beault, beau. — cûrtois adj. = neufr. courtois. — 2396 cors = corps. — a dé = à dieu. — vie (lat. vita) = neufr., doch ie wohl nicht = î, sondern Diphthong mit hörbarem e, also = mhd. ie; vgl. 19218. — comant = commendand ..mit Ellipse des Hulfsverbs. 2399 In (auch unter) disen dingen, öfters wiederkehrende Wendung: währenddem (unterdessen). — 2400 Norwage swm., der Norweger. — 2401 hœten indic. — 2402 hœten conj. — 2404 widerschaffen stv., entgegen- wirken, rückgängig machen. — 2405 beslihten swv., schlichten, ausglei- chen. — 2406 berihten swv., einrichten, ordnen. — 2408 dienesthaft adj., untergeben, ergeben, gehorsam. — 2407. 2408 Reminiscenz an Matth. 8, 27. — 2413 ze staten gestân mit dat. (in selben = sich selbst), häufige Redewendung [vgl. zu Statten kommen], einem zu Hülfe kommen, helfen. — 2419 stiure stf. kommt hier der Bedeutung: trôst nahe. — 2421 geschiht stf. öfters = âventiure (vgl. zu 735), Zufall; vgl. von geschihte 2569. — lâzen an einen oder an etew., einem überlassen, einem anheimgeben; vgl. 10651. —
90 IV. DIE ENTFUHRUNG. si riefen hie, si riefen dort niht anders wan daz eine wort: «bêâs Tristant, cûrtois Tristant, tun cors, ta vie a dê comant! dîn schoener lîp, dîn süeze leben daz sî hiute gote ergeben!" 2395 In disen dingen fuorten in die Nórwagen allez hin und hæten ez alsô bedâht, si hæten an im vollebrâht ir willen allen unde ir ger. dô widerschuof ez allez der, der elliu dinc beslihtet, beslihtende berihtet, dem winde, mer und elliu kraft bibende sint dienesthaft. alsô der wolte und der gebôt, dô huop sich ein sô michel nôt von stúrmwétere ûf dem sê, daz si álle samet in selben mê enmohten niht ze staten gestân, wan daz si ir schif êt liezen gân, dar ez die wilden winde triben und si sélbe âne trôst beliben umbe ir lîp und umbe ir leben: si hæten sich mitalle ergeben an die vil armen stiure, diu da héizet âventiure: si liezen ez an die geschiht, weder sî genæren oder niht, 2405 2410 2415 2420 (62) 2400 2395 béâs (auch béâ ohne Unterschied der Function in V. 10721) adj., lat. bellus, franz. beault, beau. — cûrtois adj. = neufr. courtois. — 2396 cors = corps. — a dé = à dieu. — vie (lat. vita) = neufr., doch ie wohl nicht = î, sondern Diphthong mit hörbarem e, also = mhd. ie; vgl. 19218. — comant = commendand ..mit Ellipse des Hulfsverbs. 2399 In (auch unter) disen dingen, öfters wiederkehrende Wendung: währenddem (unterdessen). — 2400 Norwage swm., der Norweger. — 2401 hœten indic. — 2402 hœten conj. — 2404 widerschaffen stv., entgegen- wirken, rückgängig machen. — 2405 beslihten swv., schlichten, ausglei- chen. — 2406 berihten swv., einrichten, ordnen. — 2408 dienesthaft adj., untergeben, ergeben, gehorsam. — 2407. 2408 Reminiscenz an Matth. 8, 27. — 2413 ze staten gestân mit dat. (in selben = sich selbst), häufige Redewendung [vgl. zu Statten kommen], einem zu Hülfe kommen, helfen. — 2419 stiure stf. kommt hier der Bedeutung: trôst nahe. — 2421 geschiht stf. öfters = âventiure (vgl. zu 735), Zufall; vgl. von geschihte 2569. — lâzen an einen oder an etew., einem überlassen, einem anheimgeben; vgl. 10651. —
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IV. DIE ENTFUHRUNG. 91 (63) wande ir dinges was nie mê, wan daz si mit dem wilden sê ûf als in den himel stigen und iesâ wider nider sigen als in daz ápgründe. si triben die tobenden ünde wilen uf und wilen nider, iezuo dar uud iesâ wider. ir aller keiner kunde noch enmóhte deheine stunde ûf sînen füezén gestân. alsus sô was ir leben getân wol ahte tage und ahte naht. hie von sô hæten s' alle ir maht vil nâch verloren unde ir sin. nu sprach ir einer under in: «ir hêrren alle, semir got, mich dunket, diz si gotes gebot umb' unser angeslîchez leben : daz wir sô kûme lebende sweben in disen tobenden ünden, deist niuwan von den sünden und von den úntriuwen komen, daz wir Tristanden hân genomen sînen friunden róuplîche.» «jâ», sprâchen s' al gelîche «sich, dû hâst wâr, ez ist alsô.» 2425 2430 2435 2440 2445 Hie mite berieten sî sich dô: möhtèn si stille vinden an wazzer unde an winden, daz sî ze stade gestiezen, daz si in vil gerne liezen frîlîche, swar er wolte, gân. und iesâ, dô diz was getân, 2450 2455 2427 apgründe stn., Abgrund, insbesondere die Hölle (Gegensatz von himel 2425). — 2428 ünde stf. = lat. unda, Welle, Woge. — 2436 maht stf., Kraft [vgl. Ohnmacht]; vgl. 9073. — 2447 rouplîche adv., räuberisch. — 2448 al gelîche adv., (ganz gleich), gemeinsam, zusammen ; in der Bedeutung zwi- schen al gelîche und alle (pl. subst.) gelîche meist kein Unterschied. — 2449 wâr haben = recht haben. 2451 stille stf. [nhd. beschränkt], Ruhe. — 2455 frîlîche adv., frei, un- behindert. —
IV. DIE ENTFUHRUNG. 91 (63) wande ir dinges was nie mê, wan daz si mit dem wilden sê ûf als in den himel stigen und iesâ wider nider sigen als in daz ápgründe. si triben die tobenden ünde wilen uf und wilen nider, iezuo dar uud iesâ wider. ir aller keiner kunde noch enmóhte deheine stunde ûf sînen füezén gestân. alsus sô was ir leben getân wol ahte tage und ahte naht. hie von sô hæten s' alle ir maht vil nâch verloren unde ir sin. nu sprach ir einer under in: «ir hêrren alle, semir got, mich dunket, diz si gotes gebot umb' unser angeslîchez leben : daz wir sô kûme lebende sweben in disen tobenden ünden, deist niuwan von den sünden und von den úntriuwen komen, daz wir Tristanden hân genomen sînen friunden róuplîche.» «jâ», sprâchen s' al gelîche «sich, dû hâst wâr, ez ist alsô.» 2425 2430 2435 2440 2445 Hie mite berieten sî sich dô: möhtèn si stille vinden an wazzer unde an winden, daz sî ze stade gestiezen, daz si in vil gerne liezen frîlîche, swar er wolte, gân. und iesâ, dô diz was getân, 2450 2455 2427 apgründe stn., Abgrund, insbesondere die Hölle (Gegensatz von himel 2425). — 2428 ünde stf. = lat. unda, Welle, Woge. — 2436 maht stf., Kraft [vgl. Ohnmacht]; vgl. 9073. — 2447 rouplîche adv., räuberisch. — 2448 al gelîche adv., (ganz gleich), gemeinsam, zusammen ; in der Bedeutung zwi- schen al gelîche und alle (pl. subst.) gelîche meist kein Unterschied. — 2449 wâr haben = recht haben. 2451 stille stf. [nhd. beschränkt], Ruhe. — 2455 frîlîche adv., frei, un- behindert. —
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92 IV. DIE ENTFUHRUNG. daz diz ir aller wille wart, dô wart ir kumberlîchiu vart gesenftet an der stunde: wint unde wâc begunde sich sâ zerloesen und zerlân, daz mer begunde nider gân, diu sunne schînen liehte als ê. hie mite entbíten s' ouch dô nimê, wan der wint hæte si geslagen innerhalp den ahte tagen in daz lánt ze Kurnewâle und wâren ze dem mâle bî dem stade sô nâhen, daz si bereite sâhen, und stiezen ûz ze lande aldâ. Tristanden nâmén si sâ und sazten den ûz an daz lant und gâben ime brôt an die hant und ander ir spîse ein teil. «friunt», sprâchen sî “got gebe dir heil und müeze dînes libes pflegen!» hie mite sô buten s' im alle ir segen (64) und kêrten iesâ wider dan. 2460 2465 2470 2475 2480 Nu wie gewarp dô Tristán?" Tristán der éllénde? jâ da saz er unde weinde aldâ; wan kint enkunnen anders niht wan weinen, alse in iht geschiht. der trôstelôse ellénde der vielt ûf sîne hende ze gote vil inneclîche: «ei», sprach er «got der rîche, sô rîche dû genâden bist, sô vil sô güete als an dir ist, 2485 2490 2459 senften swv., hier: besänftigen, beruhigen. — 2461 zerlœesen swv. refl., sich auflösen, aufhören. — 2464 nimé (aus nie mé, aber verschieden von diesem) adv., nicht mehr, nicht länger. — 2468 vgl. zu 661. — 2469. 2470 sô, hier verstärkend [vgl. alsobald, alsbald, sogleich] und das folgende dat relat. — bereite adv., hier: nahe. 2481 ellende adj. und adj. subst., hier in der eigentlichen Bedeutung: von der Heimat entfernt, fremd ; öfters streift der Begriff bei Gottfried an den heutigen an: verlassen, elend. —
92 IV. DIE ENTFUHRUNG. daz diz ir aller wille wart, dô wart ir kumberlîchiu vart gesenftet an der stunde: wint unde wâc begunde sich sâ zerloesen und zerlân, daz mer begunde nider gân, diu sunne schînen liehte als ê. hie mite entbíten s' ouch dô nimê, wan der wint hæte si geslagen innerhalp den ahte tagen in daz lánt ze Kurnewâle und wâren ze dem mâle bî dem stade sô nâhen, daz si bereite sâhen, und stiezen ûz ze lande aldâ. Tristanden nâmén si sâ und sazten den ûz an daz lant und gâben ime brôt an die hant und ander ir spîse ein teil. «friunt», sprâchen sî “got gebe dir heil und müeze dînes libes pflegen!» hie mite sô buten s' im alle ir segen (64) und kêrten iesâ wider dan. 2460 2465 2470 2475 2480 Nu wie gewarp dô Tristán?" Tristán der éllénde? jâ da saz er unde weinde aldâ; wan kint enkunnen anders niht wan weinen, alse in iht geschiht. der trôstelôse ellénde der vielt ûf sîne hende ze gote vil inneclîche: «ei», sprach er «got der rîche, sô rîche dû genâden bist, sô vil sô güete als an dir ist, 2485 2490 2459 senften swv., hier: besänftigen, beruhigen. — 2461 zerlœesen swv. refl., sich auflösen, aufhören. — 2464 nimé (aus nie mé, aber verschieden von diesem) adv., nicht mehr, nicht länger. — 2468 vgl. zu 661. — 2469. 2470 sô, hier verstärkend [vgl. alsobald, alsbald, sogleich] und das folgende dat relat. — bereite adv., hier: nahe. 2481 ellende adj. und adj. subst., hier in der eigentlichen Bedeutung: von der Heimat entfernt, fremd ; öfters streift der Begriff bei Gottfried an den heutigen an: verlassen, elend. —
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IV. DIE ENTFüHRUNG. 93 vil süezer got, sô bite ich dich, daz dû genâde wider mich und dîne güete noch begâst, sît daz du des verhenget hâst, daz ich alsus verfüeret bin; und wîse mich doch noch dâ hin, dâ ich bî liuten müge gesîn. nu warte ich allenthalben mîn und sihe niht lebendes umbe mich. dise grôze wilde die fürht’ich: swar ich mîn ougen wende, da ist mir der werlde ein ende; swâ ich mich hin gekêre, dane síhe ich ie nimêre niwan ein toup gevilde und wüeste unde wilde, wilde velse und wilden sê. disiu vorhte tuot mir wê; über daz allez sô fürht'ich, wolv’ unde tier diu frezzen mich, swelhen ende ich kêre. ouch siget der tac sêre gegen der âbentzîte. swaz ich nu mê gebîte, daz ich von hinnen niht engân, daz ist vil übelé getân; ich enîle hinnen balde, ich benáhte in disem walde (65) und wirt mîn danne niemer rât. nu sihe ich, daz hie bî mir stât hôher velse und berge vil: 2495 2500 2505 2510 2515 2520 2495 verfüeren swv., irre führen [vgl. verschlagen]. — 2498 warten swv., sich umschauen, umherblicken. — mîn gen. nicht abh. von warten (wel- ches auch den Gen. nach sich hat wie in V. 13679), sondern von allent- halben adv.: auf allen Seiten von mir, überall um mich her; vgl. 11189. — 2500 wilde stf., Wildniss. — 2504 nimêre adv. s. zu 2464. — 2505 toup adj., (taub), öde. — 2510 unter den Thieren haben wir hier keine besondere Gattung von Wild zu verstehen: Wölfe und (überhaupt andere wilde) Thiere. Es ist diese Weise, die bestimmte Bezeichnung vorauszustellen und die allgemeine nachfolgen zu lassen, öfters bei Gottfried zu finden, und zwar ist sie der volksthümlichen Rede abgelauscht; vgl. zu 1241. — 2511 swelhen ende (ebenso allen e., manigen e.) adv. acc., nach welcher Richtung hin (correlativ). — 2514 swaz pron. correl., hier: wenn irgend. — gebîten stv., verst. bîten, warten, hinzögern. — 2517 Conditionalsatz: eile ich nicht. — 2518 dann übernachte ich, dann muß ich übernachten. — 2519 rât werden hier mit persönl. Gen. und in negativem Satze: und dann bin ich verloren; vgl. zu 1602. —
IV. DIE ENTFüHRUNG. 93 vil süezer got, sô bite ich dich, daz dû genâde wider mich und dîne güete noch begâst, sît daz du des verhenget hâst, daz ich alsus verfüeret bin; und wîse mich doch noch dâ hin, dâ ich bî liuten müge gesîn. nu warte ich allenthalben mîn und sihe niht lebendes umbe mich. dise grôze wilde die fürht’ich: swar ich mîn ougen wende, da ist mir der werlde ein ende; swâ ich mich hin gekêre, dane síhe ich ie nimêre niwan ein toup gevilde und wüeste unde wilde, wilde velse und wilden sê. disiu vorhte tuot mir wê; über daz allez sô fürht'ich, wolv’ unde tier diu frezzen mich, swelhen ende ich kêre. ouch siget der tac sêre gegen der âbentzîte. swaz ich nu mê gebîte, daz ich von hinnen niht engân, daz ist vil übelé getân; ich enîle hinnen balde, ich benáhte in disem walde (65) und wirt mîn danne niemer rât. nu sihe ich, daz hie bî mir stât hôher velse und berge vil: 2495 2500 2505 2510 2515 2520 2495 verfüeren swv., irre führen [vgl. verschlagen]. — 2498 warten swv., sich umschauen, umherblicken. — mîn gen. nicht abh. von warten (wel- ches auch den Gen. nach sich hat wie in V. 13679), sondern von allent- halben adv.: auf allen Seiten von mir, überall um mich her; vgl. 11189. — 2500 wilde stf., Wildniss. — 2504 nimêre adv. s. zu 2464. — 2505 toup adj., (taub), öde. — 2510 unter den Thieren haben wir hier keine besondere Gattung von Wild zu verstehen: Wölfe und (überhaupt andere wilde) Thiere. Es ist diese Weise, die bestimmte Bezeichnung vorauszustellen und die allgemeine nachfolgen zu lassen, öfters bei Gottfried zu finden, und zwar ist sie der volksthümlichen Rede abgelauscht; vgl. zu 1241. — 2511 swelhen ende (ebenso allen e., manigen e.) adv. acc., nach welcher Richtung hin (correlativ). — 2514 swaz pron. correl., hier: wenn irgend. — gebîten stv., verst. bîten, warten, hinzögern. — 2517 Conditionalsatz: eile ich nicht. — 2518 dann übernachte ich, dann muß ich übernachten. — 2519 rât werden hier mit persönl. Gen. und in negativem Satze: und dann bin ich verloren; vgl. zu 1602. —
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94 IV. DIE ENTFUHRUNG. ich wæne, ich ûf ir einen wil klimmen, ob ich iemer mac, und sehen, die wîle ich hân den tac, ob dehéiner slahte bû hie sî eintweder verre od nâhen bî, dâ ich liute vinde, ze den ich mich gesinde, mit den ich aber vürbaz genese, in swelher wîse ez danne wese.» Sus stuont er ûf und kêrte dan. roc unde mantel hæte er an von einem pfelle, der was rîch und an gewürhte wunderlîch: er was von Sarrazînen mit kleinen bortelînen in fremdeclîchem prîse nâch heidenischer wîse wol underworht und underbriten, und was der alse wol gesniten nâch sînem schoenem lîbe, daz von manne noch von wîbe enwurden edeler kleider nie baz gesniten danne die. dar zuo seit uns daz mære, der selbe pfelle er wære ingrüener danne ein meiesch gras, und dâ mit er gefüllet was, daz was sô rehte wiz härmîn, daz ez niht wîzer kunde sîn. 2525 2530 2535 2540 2545 2550 2525 bû stm., gen. bûwes, Bau, Wohnung. — 2528 gesinden swv. refl., sich gesellen. — 2529 genesen stv., hier überhaupt: in gutem Wohlbefinden leben. 2534 gewürhte (von würken, wirken) stn., Gewebe. — 2535 Sarrazin stm., Sarazene, doch mit allgemeiner Bedeutung: Orientale, Heide, d. h. Mohammedaner. — 2537 fremdeclîch adj., fremdartig, insofern auch wunder- bar. — prîs stm., hier objectiv: Vortrefflichkeit. (Zarncke's Erklärung im mhd. Wb. II, 1,532,43 : „so wie man im Auslande Ehrenkleider verfertiget" scheint mir zu viel in die Wendung zu legen); vgl. V. 6563. — 2538 hei- denisch adj., unchristlich, orientalisch; selten und nur bedingt dogma- tisch. — 2539 underwürken (-wirken) swv. anom., dazwischenwirken, durch- weben. — underbrîten stv. hat ähnliche Bedeutung: durchsticken; vgl. undersnîden in V. 942. — 2547 ingrüene adj., sehr grün, echt grün. — meiesch adj. zu meie [nhd. aufgegeben]. Solche Adjectivwendungen statt der Substantivzusammensetzungen bei Gottfried öfters; vgl. Gr. 4, 258 fg. — 2548 füllen swv., der alte Ausdruck für unser: füttern, insbesondere vom Pelzfutter gesagt; vgl. vol 11124. — 2549 härmin adj. zu harm, von Hermelin.
94 IV. DIE ENTFUHRUNG. ich wæne, ich ûf ir einen wil klimmen, ob ich iemer mac, und sehen, die wîle ich hân den tac, ob dehéiner slahte bû hie sî eintweder verre od nâhen bî, dâ ich liute vinde, ze den ich mich gesinde, mit den ich aber vürbaz genese, in swelher wîse ez danne wese.» Sus stuont er ûf und kêrte dan. roc unde mantel hæte er an von einem pfelle, der was rîch und an gewürhte wunderlîch: er was von Sarrazînen mit kleinen bortelînen in fremdeclîchem prîse nâch heidenischer wîse wol underworht und underbriten, und was der alse wol gesniten nâch sînem schoenem lîbe, daz von manne noch von wîbe enwurden edeler kleider nie baz gesniten danne die. dar zuo seit uns daz mære, der selbe pfelle er wære ingrüener danne ein meiesch gras, und dâ mit er gefüllet was, daz was sô rehte wiz härmîn, daz ez niht wîzer kunde sîn. 2525 2530 2535 2540 2545 2550 2525 bû stm., gen. bûwes, Bau, Wohnung. — 2528 gesinden swv. refl., sich gesellen. — 2529 genesen stv., hier überhaupt: in gutem Wohlbefinden leben. 2534 gewürhte (von würken, wirken) stn., Gewebe. — 2535 Sarrazin stm., Sarazene, doch mit allgemeiner Bedeutung: Orientale, Heide, d. h. Mohammedaner. — 2537 fremdeclîch adj., fremdartig, insofern auch wunder- bar. — prîs stm., hier objectiv: Vortrefflichkeit. (Zarncke's Erklärung im mhd. Wb. II, 1,532,43 : „so wie man im Auslande Ehrenkleider verfertiget" scheint mir zu viel in die Wendung zu legen); vgl. V. 6563. — 2538 hei- denisch adj., unchristlich, orientalisch; selten und nur bedingt dogma- tisch. — 2539 underwürken (-wirken) swv. anom., dazwischenwirken, durch- weben. — underbrîten stv. hat ähnliche Bedeutung: durchsticken; vgl. undersnîden in V. 942. — 2547 ingrüene adj., sehr grün, echt grün. — meiesch adj. zu meie [nhd. aufgegeben]. Solche Adjectivwendungen statt der Substantivzusammensetzungen bei Gottfried öfters; vgl. Gr. 4, 258 fg. — 2548 füllen swv., der alte Ausdruck für unser: füttern, insbesondere vom Pelzfutter gesagt; vgl. vol 11124. — 2549 härmin adj. zu harm, von Hermelin.
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IV. DIE ENTFÜHRUNG. 95 (66) Hie mite bereite er sich dô weinende unde sêre unfrô úf sîne kumberliche vart. dô ime diu vart unwendic wart, under sînen gürtel zôher sînen róc ein lützel hôher; den mantel want ér enein und leite in ûf sîn ahselbein und streich ûf gegen der wilde durch walt und durch gevilde. ern hæte weder wec noch pfat wan alse er sélbé getrat. mit sînen füezen wegeter, mit sînen handen stegeter: er reit sîn arme und sîniu bein. über stoc und über stein wider berc er allez klam, unz er ûf eine hohe kam: dâ vant er von geschihte einen wáltstîc âne slihte mit grase verwahsen unde smal; den kêrte er anderhalp ze tal: der trüege in eine rihte hin; in kurzer wîle brâhte er in ûf eine schoene strâze, diu was ze guoter mâze breit unde geriten hin únde her. an dem selben wege saz er durch ruowe wéinénde nider. nu truoc in ie sîn herze wider 2555 2560 2565 2570 2575 2580 2557 enein winden, zusammenwickeln. — 2558 ahselbein stn., über- haupt: Achsel, Schulter. — 2559 strîchen stv. wird häufig wie ziehen von der Bewegung, zumal der eiligen, gesagt, wie ûz strîchet balde 11579; bei Gottfried wie hier meist mit Adverbien, einfach z. B. in V. 3865. ûf str., bergan eilen. — 2563 wegen swv., hier im eigentlichen Sinne: Weg berei- ten. — 2564 stegen swv., ebenso: Steg bereiten. — 2565 rîten stv. gilt nicht allein speciell vom Reiten: er bewegte gewaltsam Arme und Beine, ge- brauchte sie zum Vorwärtsdringen; eine Metapher: er brauchte «statt Rosses» u. s. w. liegt nicht in dem Ausdruck, ebenso wenig ein Scherz; vgl. zu 9173. — 2570 waltstic stm. s. zu 2700. — slihte stf., Geradheit: einen ungeraden, gewundenen Waldsteig. — 2572 anderhalp adv. acc., auf die andere Seite, jenseits. — 2573 trüege (nach den ältesten Hss.) conj. im Sinne Tristan’s : der würde, wie er glaubte, wohl hinführen auf eine rihte stf., auf einen geraden Weg, d. h. auf einen Hauptweg. — 2576 ze guoter mâze, in gutem Verhältnisse, hinreichend; vgl. ze mâze 3191. — 2577 geriten part. adj. nicht bloßs speciell vom Reiten, sondern = begangen, fahrbar, gebahnt.
IV. DIE ENTFÜHRUNG. 95 (66) Hie mite bereite er sich dô weinende unde sêre unfrô úf sîne kumberliche vart. dô ime diu vart unwendic wart, under sînen gürtel zôher sînen róc ein lützel hôher; den mantel want ér enein und leite in ûf sîn ahselbein und streich ûf gegen der wilde durch walt und durch gevilde. ern hæte weder wec noch pfat wan alse er sélbé getrat. mit sînen füezen wegeter, mit sînen handen stegeter: er reit sîn arme und sîniu bein. über stoc und über stein wider berc er allez klam, unz er ûf eine hohe kam: dâ vant er von geschihte einen wáltstîc âne slihte mit grase verwahsen unde smal; den kêrte er anderhalp ze tal: der trüege in eine rihte hin; in kurzer wîle brâhte er in ûf eine schoene strâze, diu was ze guoter mâze breit unde geriten hin únde her. an dem selben wege saz er durch ruowe wéinénde nider. nu truoc in ie sîn herze wider 2555 2560 2565 2570 2575 2580 2557 enein winden, zusammenwickeln. — 2558 ahselbein stn., über- haupt: Achsel, Schulter. — 2559 strîchen stv. wird häufig wie ziehen von der Bewegung, zumal der eiligen, gesagt, wie ûz strîchet balde 11579; bei Gottfried wie hier meist mit Adverbien, einfach z. B. in V. 3865. ûf str., bergan eilen. — 2563 wegen swv., hier im eigentlichen Sinne: Weg berei- ten. — 2564 stegen swv., ebenso: Steg bereiten. — 2565 rîten stv. gilt nicht allein speciell vom Reiten: er bewegte gewaltsam Arme und Beine, ge- brauchte sie zum Vorwärtsdringen; eine Metapher: er brauchte «statt Rosses» u. s. w. liegt nicht in dem Ausdruck, ebenso wenig ein Scherz; vgl. zu 9173. — 2570 waltstic stm. s. zu 2700. — slihte stf., Geradheit: einen ungeraden, gewundenen Waldsteig. — 2572 anderhalp adv. acc., auf die andere Seite, jenseits. — 2573 trüege (nach den ältesten Hss.) conj. im Sinne Tristan’s : der würde, wie er glaubte, wohl hinführen auf eine rihte stf., auf einen geraden Weg, d. h. auf einen Hauptweg. — 2576 ze guoter mâze, in gutem Verhältnisse, hinreichend; vgl. ze mâze 3191. — 2577 geriten part. adj. nicht bloßs speciell vom Reiten, sondern = begangen, fahrbar, gebahnt.
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96 IV. DIE ENTFUHRUNG. zen friunden und zem lande, dâ er die liute erkande: diz truog in grôzen jâmer an. vil jæemerlîche er aber began ze gote klagen sîn ungemach; ze himel er inneclîche sach: 2585 (67) « Got», sprach er «hêrre guoter, mîn vater und mîn muoter wie hânt si mich alsus verlorn ! owê, wan hæte ich verborn mîn veigez schâchzábelspil, daz ich iemer hazzen wil ! spärwære, valken, smirlîn die lâze got unsælic sîn! die hânt mich mînem vater benomen. von der schulden bin ich komen von friunden und von kunden; und alle, die mir gunden gelückes unde guotes, die sint nu swæres muotes und sêre trûric umbe mich. ach, süeziu muoter, wie du dich mit klage nu quelest, daz weiz ich wol ; vater, din herze ist leides vol: ich weiz wol, ir sît beide sêr' überladen mit leide. und, ouwê hêrre, wiste ich doch, daz ir daz wistet, daz ich noch mit wol gesundem libe lebe, daz wære ein michel gotes gebe iu beiden unde dâ nâch mir. wan zwâre ich weiz vil wol, daz ir kûm' oder niemer werdet frô, ezn gefüege danne got alsô, daz ir bevindet, daz ich lebe. 2590 2595 2600 2605 2610 2615 2590 verbern stv. (berührt sich mit enbern s. zu 117) mit acc., unter- lassen, vermeiden, einem entsagen; vgl. 17723. — 2591 veige adj., hier noch stärker als in V. 1674: unselig, verwünscht. — 2595 benemen stv., entziehen, entreißen. — 2597 kunde adj. subst. swm., der Bekannte, meist im Plural [nhd. Kunde beschränkter]. In V. 2817 die kunden = die Einheimischen den gesten gegenübergestellt. — 2610 gche stf., Gabe. —
96 IV. DIE ENTFUHRUNG. zen friunden und zem lande, dâ er die liute erkande: diz truog in grôzen jâmer an. vil jæemerlîche er aber began ze gote klagen sîn ungemach; ze himel er inneclîche sach: 2585 (67) « Got», sprach er «hêrre guoter, mîn vater und mîn muoter wie hânt si mich alsus verlorn ! owê, wan hæte ich verborn mîn veigez schâchzábelspil, daz ich iemer hazzen wil ! spärwære, valken, smirlîn die lâze got unsælic sîn! die hânt mich mînem vater benomen. von der schulden bin ich komen von friunden und von kunden; und alle, die mir gunden gelückes unde guotes, die sint nu swæres muotes und sêre trûric umbe mich. ach, süeziu muoter, wie du dich mit klage nu quelest, daz weiz ich wol ; vater, din herze ist leides vol: ich weiz wol, ir sît beide sêr' überladen mit leide. und, ouwê hêrre, wiste ich doch, daz ir daz wistet, daz ich noch mit wol gesundem libe lebe, daz wære ein michel gotes gebe iu beiden unde dâ nâch mir. wan zwâre ich weiz vil wol, daz ir kûm' oder niemer werdet frô, ezn gefüege danne got alsô, daz ir bevindet, daz ich lebe. 2590 2595 2600 2605 2610 2615 2590 verbern stv. (berührt sich mit enbern s. zu 117) mit acc., unter- lassen, vermeiden, einem entsagen; vgl. 17723. — 2591 veige adj., hier noch stärker als in V. 1674: unselig, verwünscht. — 2595 benemen stv., entziehen, entreißen. — 2597 kunde adj. subst. swm., der Bekannte, meist im Plural [nhd. Kunde beschränkter]. In V. 2817 die kunden = die Einheimischen den gesten gegenübergestellt. — 2610 gche stf., Gabe. —
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IV. DIE ENTFUHRUNG. 97 (ČS) aller sórgare râtgébe, got hérre, nû gefüege daz!" Under diu, dô er sô saz klagende, als ich gesaget hân, do gesách er zuo von verre gán zwên' alte wállare, die wâren gote gebare : getaget unde gejàret, gebartet unde gehâret, also diu wâren gotes kint und wâllire dicke sint. die selben wâllénden man die truogen unde hæeten an linkappen unde solhe wât, diu wálláren rehte stât, und ûzen an ir wate mermuschelen genæte und fremeder zéichén genuoc. ir ietwedérré der truoc cinen wállestap an siner hant. ir hücte unde ir beingewant daz stuont wol nâch ir rehte. die selben gotes knehte die truogen an ir schenkelen linhosen, die obe ir enkelen wol einer hende erwunden, 2620 2625 2630 2635 2640 2016 retgebe swm., Rathgeber, Tröster. — sorgare stm. = Sorger, [ulid. nur: Versorger], der Unglückliche; fem. sorgerin in V. 14490. 2618 Under din (instrumentalis), unterdessen, während. — 2621 wallwre stm., Waller, Pilger [vgl. Wallfahrt, dagegen nur: Pilgerstab für rallo- Stup 2635]. — 2622 gote gebare (s. zu 1983), mit Gott, mit der Heiligkeit ubereinstimmend, ihr Auferes verrieth ihre beilige Stellung. — 2623. 2624 ge- tane part. adj. u. s. w. = be-tagt u. s. w. — 2625 gotes kint häufiges Bei- wort (ebenso gotes kneht in V. 2638) für Geistliche, Pilger und Gottes- furchtige ; dagegen in V. 3356 gotes kint = Christus. — 2629 lînkappe swt., Kappe, talarartiges Oberkleid mit Kapuze, von Leinen. — 2632 genwte wird part. flect. sein, dem Subst. nachgesetzt: angenähte Meermuscheln (acc.), doch ist möglicherweise genwte stn. (= nât) anzunehmen: von Meer- muscheln (gen.) eine Stickerei, wenn nur das Wort überhaupt sonst vor- kame. Auf alten Bildern werden die Pilger auch stets mit Muscheln auf dem Kragen dargestellt. — 2633 die Abzeichen, außer den Muscheln, welche die Fahrt in die Fremde oder die Rückkunft aus der Fremde an- deuten sollen. — 2637 reht stn., hier: Stand. — 2640 enkel stm., Fuſs- knöchel. — 2641 einer hende adv. gen. (Nominalellipse), eine Hand breit ; anderhalber hende 2902. — erwunden pl. praet. von erwinden stv. intrans., eigentlich : an einem bestimmten Punkte umwenden, aufhören. — GOTTFRIED VON STRASSPURG. 1 2. Aufl.
IV. DIE ENTFUHRUNG. 97 (ČS) aller sórgare râtgébe, got hérre, nû gefüege daz!" Under diu, dô er sô saz klagende, als ich gesaget hân, do gesách er zuo von verre gán zwên' alte wállare, die wâren gote gebare : getaget unde gejàret, gebartet unde gehâret, also diu wâren gotes kint und wâllire dicke sint. die selben wâllénden man die truogen unde hæeten an linkappen unde solhe wât, diu wálláren rehte stât, und ûzen an ir wate mermuschelen genæte und fremeder zéichén genuoc. ir ietwedérré der truoc cinen wállestap an siner hant. ir hücte unde ir beingewant daz stuont wol nâch ir rehte. die selben gotes knehte die truogen an ir schenkelen linhosen, die obe ir enkelen wol einer hende erwunden, 2620 2625 2630 2635 2640 2016 retgebe swm., Rathgeber, Tröster. — sorgare stm. = Sorger, [ulid. nur: Versorger], der Unglückliche; fem. sorgerin in V. 14490. 2618 Under din (instrumentalis), unterdessen, während. — 2621 wallwre stm., Waller, Pilger [vgl. Wallfahrt, dagegen nur: Pilgerstab für rallo- Stup 2635]. — 2622 gote gebare (s. zu 1983), mit Gott, mit der Heiligkeit ubereinstimmend, ihr Auferes verrieth ihre beilige Stellung. — 2623. 2624 ge- tane part. adj. u. s. w. = be-tagt u. s. w. — 2625 gotes kint häufiges Bei- wort (ebenso gotes kneht in V. 2638) für Geistliche, Pilger und Gottes- furchtige ; dagegen in V. 3356 gotes kint = Christus. — 2629 lînkappe swt., Kappe, talarartiges Oberkleid mit Kapuze, von Leinen. — 2632 genwte wird part. flect. sein, dem Subst. nachgesetzt: angenähte Meermuscheln (acc.), doch ist möglicherweise genwte stn. (= nât) anzunehmen: von Meer- muscheln (gen.) eine Stickerei, wenn nur das Wort überhaupt sonst vor- kame. Auf alten Bildern werden die Pilger auch stets mit Muscheln auf dem Kragen dargestellt. — 2633 die Abzeichen, außer den Muscheln, welche die Fahrt in die Fremde oder die Rückkunft aus der Fremde an- deuten sollen. — 2637 reht stn., hier: Stand. — 2640 enkel stm., Fuſs- knöchel. — 2641 einer hende adv. gen. (Nominalellipse), eine Hand breit ; anderhalber hende 2902. — erwunden pl. praet. von erwinden stv. intrans., eigentlich : an einem bestimmten Punkte umwenden, aufhören. — GOTTFRIED VON STRASSPURG. 1 2. Aufl.
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98 IV. DIE ENTFUHRUNG. nâh' an ir bein gebunden. füeze und enkele wàren blôz vür den trit und vür den stôz. ouch truogen s' über ir ruckebein, dar an ir riuwec leben schein, geistlîche stènde balmen. ir gebét únde ir salmen und swaz si guotes kunden, daz làren s' an den stunden. 2645 2650 Tristan, dâ mite und er si ersach, vorhtlîche er wider sich selben sprach « genædeclicher tréhtïn, welch rât gewirdet aber nu mîn? jene zwêne man, die dort her gânt, ist daz si mich ersehen hânt, die mugen mich aber wol vâhen.» nu sî im begunden nâhen und er ir dinc erkande an staben und an gewande, zehant erkande er wol ir leben und begúnde im selben herze geben: sîn gemüete wart ein lützel frô. úz vollem herzen sprach er dô: «lop dich, hêrre tréhtîn! diz mügen wol guote liute sin; i'ne dárf kein angest von in haben.» 2655 2660 2665 2642 gebunden braucht nicht wörtlich genommen zu werden: mit eem Bändel zugebunden (wie Unter- oder Reithosen), sondern nake gebunden = nahe, fest anliegend. — 2645 ruckebein stn., Ruckgrat. überhaupt: Rücken. 2646 riuwec adj., reuig, bussfertig. — 2645—47 «sie trugen auf ihrem — Rücken, zum Zeichen (dur an schein) dafs sie Büßser waren (riuwec bhen, bufsfertiges Leben, Büfserleben), Palmen, die ihnen ein heiliges Anschen gaben» (wörtlich: die geistlich standen). Diese Erklärung Bech’s ist die richtige; meine in der 1. Ausgabe geäußerte Ansicht gebe ich auf. — 2648 salme swm. Lehnwort aus psalmus, Psalm Fremdwort. — 2650 lesen, hier nicht: ablesen, vorlesen, sondern: hersagen. — an den stunden, zu der Zeit, damals, eben, gerade. 2651 dà mite und (ähnl. relat. wie die wîle und 1236), hiermit als, sobald. — 2653 genadeclîch adj. = genedec [nhd. nur adverb.]. — trehtîn stm., Herr, hauptsächlich für Gott und Christus gebraucht. — 2654 ge- werden, verst. werden, von Gottfried öfters in solchen Fragen und in Ver- bindung mit ràt gebraucht; vgl. 5489. 14397. — 2661 leben stn. beruhrt öfters den Begriff: Stand. — 2662 im herze geben, sich Muth machen. — 2665 lop dich Pronominalellipse = ich lobe dich (?) oder besser mit F. Bech : «lop dich wie got lop! neben gote lop! (ähnlich wol mich! neben wol mir!)» — 2667 durfen swv. anom., bedürfen, brauchen. —
98 IV. DIE ENTFUHRUNG. nâh' an ir bein gebunden. füeze und enkele wàren blôz vür den trit und vür den stôz. ouch truogen s' über ir ruckebein, dar an ir riuwec leben schein, geistlîche stènde balmen. ir gebét únde ir salmen und swaz si guotes kunden, daz làren s' an den stunden. 2645 2650 Tristan, dâ mite und er si ersach, vorhtlîche er wider sich selben sprach « genædeclicher tréhtïn, welch rât gewirdet aber nu mîn? jene zwêne man, die dort her gânt, ist daz si mich ersehen hânt, die mugen mich aber wol vâhen.» nu sî im begunden nâhen und er ir dinc erkande an staben und an gewande, zehant erkande er wol ir leben und begúnde im selben herze geben: sîn gemüete wart ein lützel frô. úz vollem herzen sprach er dô: «lop dich, hêrre tréhtîn! diz mügen wol guote liute sin; i'ne dárf kein angest von in haben.» 2655 2660 2665 2642 gebunden braucht nicht wörtlich genommen zu werden: mit eem Bändel zugebunden (wie Unter- oder Reithosen), sondern nake gebunden = nahe, fest anliegend. — 2645 ruckebein stn., Ruckgrat. überhaupt: Rücken. 2646 riuwec adj., reuig, bussfertig. — 2645—47 «sie trugen auf ihrem — Rücken, zum Zeichen (dur an schein) dafs sie Büßser waren (riuwec bhen, bufsfertiges Leben, Büfserleben), Palmen, die ihnen ein heiliges Anschen gaben» (wörtlich: die geistlich standen). Diese Erklärung Bech’s ist die richtige; meine in der 1. Ausgabe geäußerte Ansicht gebe ich auf. — 2648 salme swm. Lehnwort aus psalmus, Psalm Fremdwort. — 2650 lesen, hier nicht: ablesen, vorlesen, sondern: hersagen. — an den stunden, zu der Zeit, damals, eben, gerade. 2651 dà mite und (ähnl. relat. wie die wîle und 1236), hiermit als, sobald. — 2653 genadeclîch adj. = genedec [nhd. nur adverb.]. — trehtîn stm., Herr, hauptsächlich für Gott und Christus gebraucht. — 2654 ge- werden, verst. werden, von Gottfried öfters in solchen Fragen und in Ver- bindung mit ràt gebraucht; vgl. 5489. 14397. — 2661 leben stn. beruhrt öfters den Begriff: Stand. — 2662 im herze geben, sich Muth machen. — 2665 lop dich Pronominalellipse = ich lobe dich (?) oder besser mit F. Bech : «lop dich wie got lop! neben gote lop! (ähnlich wol mich! neben wol mir!)» — 2667 durfen swv. anom., bedürfen, brauchen. —
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IV. DIE ENTFUHRUNG. 99 (69) vil schiere wart, daz si den knaben vor in sitzen sâhen. nu si im begunden nâhen, höfschlîche ér ûf gein in spranc, sine schééne hende er vür sich twanc. nu begúnden in die zwêne man vil flizeclîche sehen an und nâmen siner zühte war. guotliche giengén si dar und gruozten in vil suoze mit disem süezen gruoze: «dèù sal, bèâs amîs! vil lieber friunt, swer sô du sis, got müeze dich gehalten!» Tristan geneic den alten: «ei», sprach er «dê benîe si sainte companîe! sus heilege geselleschaft die geségene got mit siner kraft!» aber sprâchen ime die zwêne zuo: «vil liebez kint, wannén bist duo oder wer hât dich dà here brâht?" 2670 2675 2680 2685 Tristan der was vil wol bedâht und sinnesam von sînen tagen, er begúnde in fremediu mære sagen: «saeligen hêrren", sprach er z'in «von diseme lande ich bürtic bin 2690 2668 werden = gescheben. — 2672 die Hände vor sich, über die Brust fest zusammenzulegen, war die Stellung für den ehrerbietigen Grußs (bei den Geistlichen noch heute). — 2676 guotliche adv., gütig, freundlich. — 2679 deů (Hs. M.) = de (vgl. zu 741). deů sal, im Folgenden übersetzt = Gott halte, behüte (dich); nicht elliptisch in V. 3158. — amîs, lat. amieus. neufranz. ami ; öfters auch als Fremdwort vgl. z. B. 8955. — 2681 ge- halten stv., erhalten, behüten, segnen. — 2682 genigen, verst. nîgen. — 2683 benîe, benedicat; vgl. zu 2960. — 2684 si sainte = neufranz. — com- panie = compagnie hier im franz. Satz, sonst cumpanîe als Fremdwort z. B. 4813. 9418 [vgl. Kumpan]. — 2688 wannen adv., von wannen, woher; die Betonung wannen findet Grund und Zulässigkeit im alten hwanân (sonst immer wannen z. B. in V. 2751); ebenso einmal innén in V. 10953. 2690 wol bedaht part. adj., sehr besonnen, vorsichtig [vgl. unbe- dacht]. — 2691 sinnesam adj., verständig, listig. — von sînen tagen, für sein Alter, trotz seiner Jugend, oder = v. s. kindes tagen, von Jugend auf? Eine Anderung in vor, wie v. Hagen Germ. Studien 1, 55 vorschlägt, ist nicht geboten. — 2692 fremediu mare, sonderbare Geschichten, schalkhafter und edeler Ausdruck für: Lüge; etwa: ein wunderliches Märchen. 2694 bürtic adj. = gebürtig. — —
IV. DIE ENTFUHRUNG. 99 (69) vil schiere wart, daz si den knaben vor in sitzen sâhen. nu si im begunden nâhen, höfschlîche ér ûf gein in spranc, sine schééne hende er vür sich twanc. nu begúnden in die zwêne man vil flizeclîche sehen an und nâmen siner zühte war. guotliche giengén si dar und gruozten in vil suoze mit disem süezen gruoze: «dèù sal, bèâs amîs! vil lieber friunt, swer sô du sis, got müeze dich gehalten!» Tristan geneic den alten: «ei», sprach er «dê benîe si sainte companîe! sus heilege geselleschaft die geségene got mit siner kraft!» aber sprâchen ime die zwêne zuo: «vil liebez kint, wannén bist duo oder wer hât dich dà here brâht?" 2670 2675 2680 2685 Tristan der was vil wol bedâht und sinnesam von sînen tagen, er begúnde in fremediu mære sagen: «saeligen hêrren", sprach er z'in «von diseme lande ich bürtic bin 2690 2668 werden = gescheben. — 2672 die Hände vor sich, über die Brust fest zusammenzulegen, war die Stellung für den ehrerbietigen Grußs (bei den Geistlichen noch heute). — 2676 guotliche adv., gütig, freundlich. — 2679 deů (Hs. M.) = de (vgl. zu 741). deů sal, im Folgenden übersetzt = Gott halte, behüte (dich); nicht elliptisch in V. 3158. — amîs, lat. amieus. neufranz. ami ; öfters auch als Fremdwort vgl. z. B. 8955. — 2681 ge- halten stv., erhalten, behüten, segnen. — 2682 genigen, verst. nîgen. — 2683 benîe, benedicat; vgl. zu 2960. — 2684 si sainte = neufranz. — com- panie = compagnie hier im franz. Satz, sonst cumpanîe als Fremdwort z. B. 4813. 9418 [vgl. Kumpan]. — 2688 wannen adv., von wannen, woher; die Betonung wannen findet Grund und Zulässigkeit im alten hwanân (sonst immer wannen z. B. in V. 2751); ebenso einmal innén in V. 10953. 2690 wol bedaht part. adj., sehr besonnen, vorsichtig [vgl. unbe- dacht]. — 2691 sinnesam adj., verständig, listig. — von sînen tagen, für sein Alter, trotz seiner Jugend, oder = v. s. kindes tagen, von Jugend auf? Eine Anderung in vor, wie v. Hagen Germ. Studien 1, 55 vorschlägt, ist nicht geboten. — 2692 fremediu mare, sonderbare Geschichten, schalkhafter und edeler Ausdruck für: Lüge; etwa: ein wunderliches Märchen. 2694 bürtic adj. = gebürtig. — —
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100 IV. DIE ENTFUHRUNG. (70) und solte riten hiute ich und ander liute jagen uf disem walde alhie. do entréit ich, i'ne weiz selbe wie, den jägeren unde den hunden. die die waltstige kunden, die gefúoren alle baz dan ich wan ane stic verreit ich mich, unz daz ich gar verirret wart. sus traf ich eine veige vart, diu truoc mich unz ûf einen graben, dane kunde ich mîn pfärt nie gehaben, ez enwólte allez nider vür sich. ze jungest gelác pfärt und ich beide z'einem hûfen nider. done kúnde ich nie sô schiere wider ze minem stegereife komen, ez enhâte mir den zügel genomen, und lief allez den walt in. sus kom ich an diz pfädelin, daz hât mich unze her getragen. nu enkán ich níemánne gesagen, wâ ich bin od war ich sol. nu guoten liute, tuot sô wol und saget mir, wâ welt ir hin?" «friunt», sprâchen sî dó wider in «gerúochet es únser tréhtîn, sô welle wir noch hînaht sin ze Tintajóle in der stat. Tristan guotliche si dô bat, daz si in mit in dar liezen gân. «vil liebez kint, daz si getáno, 2700 2705 2710 2715 2720 2695 2725 2698 entrîten stv. mit dat., einem (reitend, zu Pferde) entkommen. - 2700 kunnen anom. v. mit acc., sich auf etwas verstehen [unser: können passt hier nicht]. — 2701 die sind besser, glücklicher dahingezogen. oder = unserm: die sind besser gefahren, denen ist es besser ergangen? — 2702 stîc stm., im Mhd. nicht nur: Steig, Bergweg, sondern überhaupt Pfad, Wegbahn. — 2704 vart stf., Weg, Fährte. — 2706 gehaben swv. an halten. — 2707 der Bedingungssatz mit der Negation (en) abhängig von einer Ellipse : dort konnte ich mein Pferd durchaus nicht bändigen (d. h ich hielt das Pferd an ohne Erfolg, würde es aber vermocht haben), wenn es nicht immer weiter niederwärts gewollt hätte; die ganz ähnliche Wen- dung in V. 2710 fg. — 2710 sô schiere = sogleich, alsbald. — 2711 stegereit stm., Steigbügel. — 2718 tuot so wol = unserm: seid so gut. — 2721 gr- ruochen swv. mit gen., hier: geruhen, gestatten. — 2722 hinaht (alter In- strumentalis, vgl. hinte) diese, d. h. hier die bevorstehende, Nacht.
100 IV. DIE ENTFUHRUNG. (70) und solte riten hiute ich und ander liute jagen uf disem walde alhie. do entréit ich, i'ne weiz selbe wie, den jägeren unde den hunden. die die waltstige kunden, die gefúoren alle baz dan ich wan ane stic verreit ich mich, unz daz ich gar verirret wart. sus traf ich eine veige vart, diu truoc mich unz ûf einen graben, dane kunde ich mîn pfärt nie gehaben, ez enwólte allez nider vür sich. ze jungest gelác pfärt und ich beide z'einem hûfen nider. done kúnde ich nie sô schiere wider ze minem stegereife komen, ez enhâte mir den zügel genomen, und lief allez den walt in. sus kom ich an diz pfädelin, daz hât mich unze her getragen. nu enkán ich níemánne gesagen, wâ ich bin od war ich sol. nu guoten liute, tuot sô wol und saget mir, wâ welt ir hin?" «friunt», sprâchen sî dó wider in «gerúochet es únser tréhtîn, sô welle wir noch hînaht sin ze Tintajóle in der stat. Tristan guotliche si dô bat, daz si in mit in dar liezen gân. «vil liebez kint, daz si getáno, 2700 2705 2710 2715 2720 2695 2725 2698 entrîten stv. mit dat., einem (reitend, zu Pferde) entkommen. - 2700 kunnen anom. v. mit acc., sich auf etwas verstehen [unser: können passt hier nicht]. — 2701 die sind besser, glücklicher dahingezogen. oder = unserm: die sind besser gefahren, denen ist es besser ergangen? — 2702 stîc stm., im Mhd. nicht nur: Steig, Bergweg, sondern überhaupt Pfad, Wegbahn. — 2704 vart stf., Weg, Fährte. — 2706 gehaben swv. an halten. — 2707 der Bedingungssatz mit der Negation (en) abhängig von einer Ellipse : dort konnte ich mein Pferd durchaus nicht bändigen (d. h ich hielt das Pferd an ohne Erfolg, würde es aber vermocht haben), wenn es nicht immer weiter niederwärts gewollt hätte; die ganz ähnliche Wen- dung in V. 2710 fg. — 2710 sô schiere = sogleich, alsbald. — 2711 stegereit stm., Steigbügel. — 2718 tuot so wol = unserm: seid so gut. — 2721 gr- ruochen swv. mit gen., hier: geruhen, gestatten. — 2722 hinaht (alter In- strumentalis, vgl. hinte) diese, d. h. hier die bevorstehende, Nacht.
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IV. DIE ENTFUHRUNG. 101 sprâchèn die wâllénden man «wil dû dà hin, sò kère dan.» Tristan der kèrte mit in hin. hie mite sô huop sich under in maneger slahte miere, Tristan der hovebaere der was mit rede alsô gewar, si frageten her oder dar, daz er alles des antwürte bôt niwan ze staten und ze nôt. er hæte sîne mâze an rede und an gelàze sô wol, daz es die wisen, die getageten und die grîsen ze grôzen salden jâhen und aber ie baz besâhen sine gebæerde und sîne site und sinen schoenen lîp dâ mite; siniu kléider, diu er ane truoc, diu gemarcten sî genuoc, durch daz si wàren sère rich und an gewürhte wunderlîch: und sprâchen in ir muote: «à hêrre got der guote, wer óder wannen ist diz kint, des site sô rehte schoene sint?» sus giengen sî betrahtende und allez sin dinc ahtende: diz was ir kurzewîle wol eine wälsche mîle. 2730 2735 2740 2745 2750 2755 2733 jemir adj., (gewahr), vorsichtig. — 2741 jehen stv. hier mit gen. und præp. c°, wie z. B. noch in V. 11239, eine Sache für etwas erklären, auslegen; sie sahen in Tristan einen begnadeten (€e selden = sœlegen) Menschen [vgl. unser: begabt, Begabung]; vgl. 3493. — 2746 gemerken swv., verst. merken. bemerken, beachten. — 2756 die vatsche mîle im Gegensatz zur grozen, zur deutschen (vgl. V. 2311) ist die kleine.
IV. DIE ENTFUHRUNG. 101 sprâchèn die wâllénden man «wil dû dà hin, sò kère dan.» Tristan der kèrte mit in hin. hie mite sô huop sich under in maneger slahte miere, Tristan der hovebaere der was mit rede alsô gewar, si frageten her oder dar, daz er alles des antwürte bôt niwan ze staten und ze nôt. er hæte sîne mâze an rede und an gelàze sô wol, daz es die wisen, die getageten und die grîsen ze grôzen salden jâhen und aber ie baz besâhen sine gebæerde und sîne site und sinen schoenen lîp dâ mite; siniu kléider, diu er ane truoc, diu gemarcten sî genuoc, durch daz si wàren sère rich und an gewürhte wunderlîch: und sprâchen in ir muote: «à hêrre got der guote, wer óder wannen ist diz kint, des site sô rehte schoene sint?» sus giengen sî betrahtende und allez sin dinc ahtende: diz was ir kurzewîle wol eine wälsche mîle. 2730 2735 2740 2745 2750 2755 2733 jemir adj., (gewahr), vorsichtig. — 2741 jehen stv. hier mit gen. und præp. c°, wie z. B. noch in V. 11239, eine Sache für etwas erklären, auslegen; sie sahen in Tristan einen begnadeten (€e selden = sœlegen) Menschen [vgl. unser: begabt, Begabung]; vgl. 3493. — 2746 gemerken swv., verst. merken. bemerken, beachten. — 2756 die vatsche mîle im Gegensatz zur grozen, zur deutschen (vgl. V. 2311) ist die kleine.
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V. DIE JAGD. In der Nähe der Strafse hatten gerade die Hunde seines Oheims, des Königs Marke von Kurnewal, einen Hirsch gejagt. Die Jäger kommen heran, und Tristan verabschiedet sich von den Pilgern: diese Leute eben habe er heute verloren. Er naht den Jägern im Augenblicke, als der Hirsch enthäutet und geviertheilt werden soll. Tristan erhebt Einsprache ; in seinem Lande werde der Hirsch entbästet. Die Jäger ersuchen ihn, dieses hier unbekannte Entbästen zu zeigen. Tristan vollführt meister- haft und mit Bewunderung der Jäger nacheinander den Bast, die Furkie und die Curie. Dann lehrt er, wie der zerlegte Hirsch in rechter Ord- nung nach Hause geschafft und übergeben werden solle. Beim Heimritt nennt er den Jägern seinen Namen und gibt sich für den Sohn eines par- menischen Kaufmanns aus; mit fremden Kaufleuten sei er hierher ge- kommen. Vor Tintajoel angelangt, ordnet Tristan den Zug; mit Hörner- schall reiten sie ein. Tristan begrüßt den König, der sich unwiderstehlich zu ihm hingezogen fühlt. Man lobt vor Marke des Jünglings Sitten und Jagdkünste, und dieser ernennt ihn zu seinem Jägermeister. (71) Nu kom ez in kurzer stunde: sînes ééhéimes hunde, Markès von Kurnewâle, die hæten ze dem mâle, als uns daz wâre mære saget, einen zitegen hirz gejaget zuo der strâze nâhen. dâ liez er sich ergâhen und stuont aldâ ze bîle: 2760 2765 2757 komen stv., öfters [wie noch in volksthümlicher Rede] geschehen, zufällig passieren. — 2763 nâhen adv.; vgl. 11902. — 2764 ergàhen swv., ereilen. — 2765 bîl stm., Jagdausdruck: der Augenblick, wenn das gejagte Wild steht, sich wendet und sich gegen Jäger oder Hunde zur Wehr setzt. Uber die Abstammung mancherlei Vermuthungen, noch keine Gewissheit. —
V. DIE JAGD. In der Nähe der Strafse hatten gerade die Hunde seines Oheims, des Königs Marke von Kurnewal, einen Hirsch gejagt. Die Jäger kommen heran, und Tristan verabschiedet sich von den Pilgern: diese Leute eben habe er heute verloren. Er naht den Jägern im Augenblicke, als der Hirsch enthäutet und geviertheilt werden soll. Tristan erhebt Einsprache ; in seinem Lande werde der Hirsch entbästet. Die Jäger ersuchen ihn, dieses hier unbekannte Entbästen zu zeigen. Tristan vollführt meister- haft und mit Bewunderung der Jäger nacheinander den Bast, die Furkie und die Curie. Dann lehrt er, wie der zerlegte Hirsch in rechter Ord- nung nach Hause geschafft und übergeben werden solle. Beim Heimritt nennt er den Jägern seinen Namen und gibt sich für den Sohn eines par- menischen Kaufmanns aus; mit fremden Kaufleuten sei er hierher ge- kommen. Vor Tintajoel angelangt, ordnet Tristan den Zug; mit Hörner- schall reiten sie ein. Tristan begrüßt den König, der sich unwiderstehlich zu ihm hingezogen fühlt. Man lobt vor Marke des Jünglings Sitten und Jagdkünste, und dieser ernennt ihn zu seinem Jägermeister. (71) Nu kom ez in kurzer stunde: sînes ééhéimes hunde, Markès von Kurnewâle, die hæten ze dem mâle, als uns daz wâre mære saget, einen zitegen hirz gejaget zuo der strâze nâhen. dâ liez er sich ergâhen und stuont aldâ ze bîle: 2760 2765 2757 komen stv., öfters [wie noch in volksthümlicher Rede] geschehen, zufällig passieren. — 2763 nâhen adv.; vgl. 11902. — 2764 ergàhen swv., ereilen. — 2765 bîl stm., Jagdausdruck: der Augenblick, wenn das gejagte Wild steht, sich wendet und sich gegen Jäger oder Hunde zur Wehr setzt. Uber die Abstammung mancherlei Vermuthungen, noch keine Gewissheit. —
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V. DIE JAGD. 103 im hæte fluht und ile alle sîne kraft benomen. nu wâren ouch die jägere komen mit michelem geschelle hürnende ze gevelle. Tristan, dô er den bil ersach, wider die pilgerine er sprach wisliche, als er wol kunde: «ir hêrren, dise hunde, disen hírz und dise liute, seht, die verlôs ich hiute; nu hân ich s' aber funden: diz sint mîne kunden. gebietet mir, ze den wil ich.» «kint», sprâchen si «got segene dich; ze sælden müezest du gevarn!» «genâde, got müez' iuch bewarn !» sprach aber der guote Trístán. sus neig er in und kêrte dan gein dem hirze ûf sine vart. 2770 2775 2780 2785 (72) Nu daz der hirz gevellet wart, der dâ jägermeister was, der stracte in nider ûf daz gras úf alle viere alsam ein swîn: «wie nu, meistęr, waz sol diz sîn?" sprach aber der hövesche Tristán: «lât stên! durch got, waz gât ir an? wer gesách ie hirz zewirken sô?" der jäger stuont ûf hôher dô; er sach in an und sprach im zuo: «wie wiltu, kint, daz ich im tuo? hie ze lande enist kein ander list, wan alse der hirz enthiutet ist, só spaltet man in über al von dem houbete ze tal 2790 2795 2800 2769 peschelie stn. collect. zu schal. Getose. — 2770 hürnen swv., auf dem Horne blasen. — gevelle stn., Fällung (des Wildes), der Genickfang. 2792 lât stén! = lasst's gehn! hört auf, halt ein! — an gan; vgl. zu 2324. — 2794 úf hôher stan (auch bloßs hôher st.) sich weiter weg stellen, zurücktreten. — 2800 ze tal, hier bildlich, überhaupt: abwärts; wörtlich in V. 2572. —
V. DIE JAGD. 103 im hæte fluht und ile alle sîne kraft benomen. nu wâren ouch die jägere komen mit michelem geschelle hürnende ze gevelle. Tristan, dô er den bil ersach, wider die pilgerine er sprach wisliche, als er wol kunde: «ir hêrren, dise hunde, disen hírz und dise liute, seht, die verlôs ich hiute; nu hân ich s' aber funden: diz sint mîne kunden. gebietet mir, ze den wil ich.» «kint», sprâchen si «got segene dich; ze sælden müezest du gevarn!» «genâde, got müez' iuch bewarn !» sprach aber der guote Trístán. sus neig er in und kêrte dan gein dem hirze ûf sine vart. 2770 2775 2780 2785 (72) Nu daz der hirz gevellet wart, der dâ jägermeister was, der stracte in nider ûf daz gras úf alle viere alsam ein swîn: «wie nu, meistęr, waz sol diz sîn?" sprach aber der hövesche Tristán: «lât stên! durch got, waz gât ir an? wer gesách ie hirz zewirken sô?" der jäger stuont ûf hôher dô; er sach in an und sprach im zuo: «wie wiltu, kint, daz ich im tuo? hie ze lande enist kein ander list, wan alse der hirz enthiutet ist, só spaltet man in über al von dem houbete ze tal 2790 2795 2800 2769 peschelie stn. collect. zu schal. Getose. — 2770 hürnen swv., auf dem Horne blasen. — gevelle stn., Fällung (des Wildes), der Genickfang. 2792 lât stén! = lasst's gehn! hört auf, halt ein! — an gan; vgl. zu 2324. — 2794 úf hôher stan (auch bloßs hôher st.) sich weiter weg stellen, zurücktreten. — 2800 ze tal, hier bildlich, überhaupt: abwärts; wörtlich in V. 2572. —
Strana 104
104 V. DIE JAGD. und dâ nâch danne in viere, sô daz der vier quartiere deheinez iht vil groezer sî dan daz ándér dâ bi: diz ist in disem lande site. kint, kanstu ihtes iht dâ mite? “jâ, meister", sprach er wider in «daz lant, dâ ich gezogen bin, dâ ist der site niht alsô.» «wie danne?" sprach der meister dô. «man enbestet dâ den hirz.» entriuwen, friunt, dun’ zeigest mirz, sone wéiz ich, waz enbesten ist. ézn weiz niemen disen list in disem künicrîche hie; son’ gehôrte ich ouch genennen nie von kunden noch von gesten. trût kint, was ist enbesten? als guot du sist, nu zeige mirz: gà her, enbeste disen hirz!" Tristan sprach : «lieber meister min, sol ez mit iuwern hulden sîn und mag iu liep dar an geschehen, sô làze ich iuch vil gerne sehen, als verre als ich's gemerket hân, wie min lantsite ist getân, als ir dâ frâget umbe den bast.» der meister sach den jungen gast vil gúotlîche lachende an, wan er was selbe ein hövescher man und erkánde al die fuoge wol, die guot man erkennen sol. «ja», sprach er «lieber friunt, nu tuo! 2805 -810 281 2820 2825 2830 2801 in viere elliptisch: in vier Theile; die Ellipse in V. 2789 = nhd. — 2802 quartier stn., Fremdwort. Viertheil. — 2806 ihtes (gen.) ilt, verstärktes iht, irgend was [vgl. das mundartliche nichts nicht]. — dà mite bei kunnen (Verbalellipse Gr. 4, 137), nhd. davon bei: verstehen; ebenfalls: damit bei: Bescheid wissen; vgl. zu 3043. — 2811 enbesten = entbesten swy., vom bust (s. zu 2827) entledigen, weidmännisch enthäuten. 2827 bast stm., Haut, (inwendige) Rinde wie in V. 2948 = nhd. ; ins- besondere ist bast auch die thierische Haut (nhd. selten), davon schliels- lich der weidmännische Kunstausdruck bast, die kunstmäßsige Ablösung der Haut (nicht blofs des Felles). —
104 V. DIE JAGD. und dâ nâch danne in viere, sô daz der vier quartiere deheinez iht vil groezer sî dan daz ándér dâ bi: diz ist in disem lande site. kint, kanstu ihtes iht dâ mite? “jâ, meister", sprach er wider in «daz lant, dâ ich gezogen bin, dâ ist der site niht alsô.» «wie danne?" sprach der meister dô. «man enbestet dâ den hirz.» entriuwen, friunt, dun’ zeigest mirz, sone wéiz ich, waz enbesten ist. ézn weiz niemen disen list in disem künicrîche hie; son’ gehôrte ich ouch genennen nie von kunden noch von gesten. trût kint, was ist enbesten? als guot du sist, nu zeige mirz: gà her, enbeste disen hirz!" Tristan sprach : «lieber meister min, sol ez mit iuwern hulden sîn und mag iu liep dar an geschehen, sô làze ich iuch vil gerne sehen, als verre als ich's gemerket hân, wie min lantsite ist getân, als ir dâ frâget umbe den bast.» der meister sach den jungen gast vil gúotlîche lachende an, wan er was selbe ein hövescher man und erkánde al die fuoge wol, die guot man erkennen sol. «ja», sprach er «lieber friunt, nu tuo! 2805 -810 281 2820 2825 2830 2801 in viere elliptisch: in vier Theile; die Ellipse in V. 2789 = nhd. — 2802 quartier stn., Fremdwort. Viertheil. — 2806 ihtes (gen.) ilt, verstärktes iht, irgend was [vgl. das mundartliche nichts nicht]. — dà mite bei kunnen (Verbalellipse Gr. 4, 137), nhd. davon bei: verstehen; ebenfalls: damit bei: Bescheid wissen; vgl. zu 3043. — 2811 enbesten = entbesten swy., vom bust (s. zu 2827) entledigen, weidmännisch enthäuten. 2827 bast stm., Haut, (inwendige) Rinde wie in V. 2948 = nhd. ; ins- besondere ist bast auch die thierische Haut (nhd. selten), davon schliels- lich der weidmännische Kunstausdruck bast, die kunstmäßsige Ablösung der Haut (nicht blofs des Felles). —
Strana 105
V. DIE JAGD. 105 (73) wol her, bist dù ze kranc derzuo, trût geselle, liebez kint, ich selbe und die hie mit mir sint. wir helfen dir'n mit henden legen und umbe wenden, swie sô du vor gebiutest und mit dem vinger tiutest » 2835 2840 Tristan der éllénde knabe sînen mantel zôh er abe und leite den ûf einen stoc: er zòch hôher sînen roc. sîn ermel vielt er vorne wider; sin schone hâr daz streich er nider, ûf sîn ôre leite er daz. nu besâhen sî'n baz unde baz, die dâ zem baste wâren: sîn gelâz und sîn gebâren daz nâmen s' alle in ir muot und dûhte si daz alse guot, daz si'z vil gerne sâhen und in ir herzen jâhen, sin dinc waer’ allez edelich, siniu kléider fremede unde rîch, sin lip ze wúnsché getân. si begúnden alle zuo z'im gân und siner dinge nemen war. nu gie der éllénde dar, der junge meister Tristán: er greif den hirz mit handen an und wolte in uf den rucke legen. done kúnde er in nie dar gewegen, wan er was ime ze sware. 2845 2850 2855 2860 2865 2834 krane adj., schwach [nhd. krank, aeger jünger]. — 2839 vor gebieten, wie unser: vorschreiben. — 2840 verstärkter Ausdruck: andeutend zeigen. 2845 Hagen's Erklärung: «er knüpfte die ausgezogenen Armel vorn o zusammen und schnürte damit den Rock auf» ist sehr gesucht. V. 2844 steht für sich; das Aufziehen des Rockes geschieht viel leichter durch den Gürtel; vgl. 2555 fg. Vielmehr ist der Sinn: Seine Armel, die an- liegenden Rockärmel (vgl. zu 15740) faltete er vorne zurück, schlug sie um, damit sie ihn bei seiner Arbeit nicht hinderten und damit er sie zu- gleich nicht mit Blut besudelte. — 2850 gebaren subst. inf.; vgl. zu 1916. — 2855 edelich=edellich adj , edelartig, edel. — 2864 gewegen stv., be- wegen. wenden.
V. DIE JAGD. 105 (73) wol her, bist dù ze kranc derzuo, trût geselle, liebez kint, ich selbe und die hie mit mir sint. wir helfen dir'n mit henden legen und umbe wenden, swie sô du vor gebiutest und mit dem vinger tiutest » 2835 2840 Tristan der éllénde knabe sînen mantel zôh er abe und leite den ûf einen stoc: er zòch hôher sînen roc. sîn ermel vielt er vorne wider; sin schone hâr daz streich er nider, ûf sîn ôre leite er daz. nu besâhen sî'n baz unde baz, die dâ zem baste wâren: sîn gelâz und sîn gebâren daz nâmen s' alle in ir muot und dûhte si daz alse guot, daz si'z vil gerne sâhen und in ir herzen jâhen, sin dinc waer’ allez edelich, siniu kléider fremede unde rîch, sin lip ze wúnsché getân. si begúnden alle zuo z'im gân und siner dinge nemen war. nu gie der éllénde dar, der junge meister Tristán: er greif den hirz mit handen an und wolte in uf den rucke legen. done kúnde er in nie dar gewegen, wan er was ime ze sware. 2845 2850 2855 2860 2865 2834 krane adj., schwach [nhd. krank, aeger jünger]. — 2839 vor gebieten, wie unser: vorschreiben. — 2840 verstärkter Ausdruck: andeutend zeigen. 2845 Hagen's Erklärung: «er knüpfte die ausgezogenen Armel vorn o zusammen und schnürte damit den Rock auf» ist sehr gesucht. V. 2844 steht für sich; das Aufziehen des Rockes geschieht viel leichter durch den Gürtel; vgl. 2555 fg. Vielmehr ist der Sinn: Seine Armel, die an- liegenden Rockärmel (vgl. zu 15740) faltete er vorne zurück, schlug sie um, damit sie ihn bei seiner Arbeit nicht hinderten und damit er sie zu- gleich nicht mit Blut besudelte. — 2850 gebaren subst. inf.; vgl. zu 1916. — 2855 edelich=edellich adj , edelartig, edel. — 2864 gewegen stv., be- wegen. wenden.
Strana 106
106 V. DIE JAGD. (74) dô bat der hovebære, daz si'n im rehte leiten und uf den bast bereiten. Nu daz was schieré getân. ze dem hírze gieng er obene stân. da begúnde er in entwæten, er sneit in unde entnæeten unden von dem mûle nider. ze den buocbeinen kérte er wider, diu entrante er beide nâch ir zît, daz rehte vor, daz linke sît. diu zwei hufbein er dô nam unde beschelte diu alsam: do begúnde er die hût scheiden von den sîten beiden, dô von den heften über al, al von obene hin ze tal, und breite sine hût dô nider. ze sînen büegen kêrte er wider, von der brust entbaste er die, daz er die brust dá ganze lie. die büege leite er dort hin dan. sine brust er dó began úz dem rucke scheiden und von den siten beiden ietwederhalp driu rippe dâ mite. daz ist der rehte bástsíte: diu lât er iemér dar an, der die brust geloesen kan. und al zehant sô kêrte er her, vil kündeclîche enbaste er 2870 2875 2880 2885 2890 2895 2871 entwaeten swv., eigentlich: entkleiden, enthauten, synon. mit ent- besten. — 2872 entnœten = entnate in. entnœjen swv., eigentlich: eine Naht auftrennen, aufschneiden. — 2874 buocbein stn., Bugbein, der vordere Oberschenkel, das Vorderblatt (entgegengesetzt dem hufbein 2877). — 2875 entrennen swv., auseinander trennen, ablösen. — nâch ir zît, nach ihrer zeitlichen Ordnung, regelrecht nacheinander. — 2876 vor adv. und sît adv. hier zusammen: vorher, zuerst; hierauf, nachher. — 2877 hufbein stn., Hüftbein, die Keule. — 2878 beschelen swv., beschälen, enthäuten. — 2881 heften dat. pl. von haft stf., Band oder von hefte stn., Heft? — 2884 buoc stm. = buocbein 2874. — 2891 ietwederhalp adv., auf jeder von beiden Seiten. — rippe stn. in der Form = nhd., Nebenform von riebe swf. — 2894 gelosen swv., verst. losen, ablösen. — 2896 kündecliche adv., kundig, geschickt. —
106 V. DIE JAGD. (74) dô bat der hovebære, daz si'n im rehte leiten und uf den bast bereiten. Nu daz was schieré getân. ze dem hírze gieng er obene stân. da begúnde er in entwæten, er sneit in unde entnæeten unden von dem mûle nider. ze den buocbeinen kérte er wider, diu entrante er beide nâch ir zît, daz rehte vor, daz linke sît. diu zwei hufbein er dô nam unde beschelte diu alsam: do begúnde er die hût scheiden von den sîten beiden, dô von den heften über al, al von obene hin ze tal, und breite sine hût dô nider. ze sînen büegen kêrte er wider, von der brust entbaste er die, daz er die brust dá ganze lie. die büege leite er dort hin dan. sine brust er dó began úz dem rucke scheiden und von den siten beiden ietwederhalp driu rippe dâ mite. daz ist der rehte bástsíte: diu lât er iemér dar an, der die brust geloesen kan. und al zehant sô kêrte er her, vil kündeclîche enbaste er 2870 2875 2880 2885 2890 2895 2871 entwaeten swv., eigentlich: entkleiden, enthauten, synon. mit ent- besten. — 2872 entnœten = entnate in. entnœjen swv., eigentlich: eine Naht auftrennen, aufschneiden. — 2874 buocbein stn., Bugbein, der vordere Oberschenkel, das Vorderblatt (entgegengesetzt dem hufbein 2877). — 2875 entrennen swv., auseinander trennen, ablösen. — nâch ir zît, nach ihrer zeitlichen Ordnung, regelrecht nacheinander. — 2876 vor adv. und sît adv. hier zusammen: vorher, zuerst; hierauf, nachher. — 2877 hufbein stn., Hüftbein, die Keule. — 2878 beschelen swv., beschälen, enthäuten. — 2881 heften dat. pl. von haft stf., Band oder von hefte stn., Heft? — 2884 buoc stm. = buocbein 2874. — 2891 ietwederhalp adv., auf jeder von beiden Seiten. — rippe stn. in der Form = nhd., Nebenform von riebe swf. — 2894 gelosen swv., verst. losen, ablösen. — 2896 kündecliche adv., kundig, geschickt. —
Strana 107
V. DIE JAGD. 107 beidiu siniu húfbéin besunder niht wan beide enein. ir reht er ouch den beiden liez: den brâten, dâ der rucke stiez über lanken gein dem ende wol anderhalber hende, daz die dâ zimere nennent, die den bastlist erkennent. die rieben er dô beide schiet, beid' er si von dem rucke schriet, dar nâch den panzen ûf den pas; und wan daz ungebaere was sînen schénen handen, dô sprach er: « wol balde zwêne knehte her! tuot diz dort hin danne baz unde beréitét uns daz!» sus was der hirz enbestet, diu hût billiche entlestet; die brust, die büege, siten, bein, daz hæte er allez über ein vil schône dort hin dan geleit: hie mite sô was der bast bereit. 2900 2905 2910 2915 (75) Tristan der éllénde gast «seht», sprach er «meister, deist der bast und alse ist disiu kunst getân. nu gerúochet ir her nâher gân ir und iuwer massenie und machet die furkîe !» 2920 2900 brite swm., Braten, Fleischstück. — 2901 lanke stf. und swf., (eigentl. Lenkung), Lende (franz. fanc). über l. = über den Lenden. — ende stn., hier speciell: der Schwanz. — 2903 zimere sing. (vgl. 2942) oder pl. von onmer (in einigen Hss. auch zimbre) Fremdwort, franz. cimier, Ziemer mase. [häufiger in: Hirsch-, Ochsenziemer]. — 2905 riebe (so in den beiden altesten Hss.) swf. im Geschlecht = nhd., Nebenform von rippe stn. (sonst der Vocal kurz ribe). — 2906 schrôten stv., schneiden, hauen. — 2907 panze swm., franz. pance, Wanst, Magen. — pas stm. Diese und die zweite Stelle in V. 3007 ergeben nicht, welches der Eingeweidestücke unter die- sem Worte zu verstehen sei; vielleicht der Mastdarm? Nach F. Bech: € pas Fremdwort = passus, dann wohl = mazganc i. e. anus? » — ûf præp., hier wohl = bis auf, den pas mit inbegriffen; vgl. zu 18331. — 2908 unge- barre adj., unangemessen. — 2914 billiche adv., billig, nach der Ordnung. — entlesten swv., entlasten, losmachen. — 2918 bereit adj., fertig, abgemacht. 2923 massenîe stf., Fremdwort, altfranz. maisnie von maison, mansio, eigentlich: Gesellschaft, im ursprünglichen Sinne : Hausgenossenschaft; dann: Ingesinde, Gefolge; vgl. die franz. Form mehnie 3257. — 2924 fur- kîe stf., Fremdwort, etwa: Gabelung oder Gabelei ; die Erklärung gleich im Folgenden. —
V. DIE JAGD. 107 beidiu siniu húfbéin besunder niht wan beide enein. ir reht er ouch den beiden liez: den brâten, dâ der rucke stiez über lanken gein dem ende wol anderhalber hende, daz die dâ zimere nennent, die den bastlist erkennent. die rieben er dô beide schiet, beid' er si von dem rucke schriet, dar nâch den panzen ûf den pas; und wan daz ungebaere was sînen schénen handen, dô sprach er: « wol balde zwêne knehte her! tuot diz dort hin danne baz unde beréitét uns daz!» sus was der hirz enbestet, diu hût billiche entlestet; die brust, die büege, siten, bein, daz hæte er allez über ein vil schône dort hin dan geleit: hie mite sô was der bast bereit. 2900 2905 2910 2915 (75) Tristan der éllénde gast «seht», sprach er «meister, deist der bast und alse ist disiu kunst getân. nu gerúochet ir her nâher gân ir und iuwer massenie und machet die furkîe !» 2920 2900 brite swm., Braten, Fleischstück. — 2901 lanke stf. und swf., (eigentl. Lenkung), Lende (franz. fanc). über l. = über den Lenden. — ende stn., hier speciell: der Schwanz. — 2903 zimere sing. (vgl. 2942) oder pl. von onmer (in einigen Hss. auch zimbre) Fremdwort, franz. cimier, Ziemer mase. [häufiger in: Hirsch-, Ochsenziemer]. — 2905 riebe (so in den beiden altesten Hss.) swf. im Geschlecht = nhd., Nebenform von rippe stn. (sonst der Vocal kurz ribe). — 2906 schrôten stv., schneiden, hauen. — 2907 panze swm., franz. pance, Wanst, Magen. — pas stm. Diese und die zweite Stelle in V. 3007 ergeben nicht, welches der Eingeweidestücke unter die- sem Worte zu verstehen sei; vielleicht der Mastdarm? Nach F. Bech: € pas Fremdwort = passus, dann wohl = mazganc i. e. anus? » — ûf præp., hier wohl = bis auf, den pas mit inbegriffen; vgl. zu 18331. — 2908 unge- barre adj., unangemessen. — 2914 billiche adv., billig, nach der Ordnung. — entlesten swv., entlasten, losmachen. — 2918 bereit adj., fertig, abgemacht. 2923 massenîe stf., Fremdwort, altfranz. maisnie von maison, mansio, eigentlich: Gesellschaft, im ursprünglichen Sinne : Hausgenossenschaft; dann: Ingesinde, Gefolge; vgl. die franz. Form mehnie 3257. — 2924 fur- kîe stf., Fremdwort, etwa: Gabelung oder Gabelei ; die Erklärung gleich im Folgenden. —
Strana 108
108 V. DIE JAGD. 2925 furkîe? trût kint, waz ist daz? du nennest mir vor, i’ne weiz waz. du hâst uns disen jagelist, der fremde und guot ze lobene ist, wol meisterlichen her getân : nu lâz in ouch noch vür sich gân, volfüere dine meisterschaft! wir sin dir iemer dienesthaft.» Tristan spranc enwec zchant: eine zwisele hiu er an die hant, daz die dâ furke nennent, die die furkie erkennent. doch ist niht sunders an den zwein: furk’ unde zwisele deist al ein. sus kom er wider mit sînem stabe. die lebere sneit er sunder abe, netz' unde lumbele schiet er dan. die zimerén er abe gewan von dem lide, an dem si was. 2930 2935 2940 Sus saz er nider ûf daz gras, diu stucke nam er elliu driu: an sine furken bant er diu mit sinem netze vaste; mit einem grüenen baste verstricte er'z sus unde sô. «nu seht, ir hêrren», sprach er dô «diz heizent si furkîe in unser jagerîe; und wande ez an der furken ist, dur daz sô heizet dirre list 2945 2950 2926 vor nennen wie vor zeln in V. 3065, nennen, mit Namen vorbringen, du bringst da einen mir unbekannten Namen vor; oder sollte vor nennen im Sinne stehen wie vor benennen in V. 11383, verheißsen? du machst mich neugierig? — 2929 her adv., bisher, bisjetzt, soweit; oder her tuon = dar- thun, mittheilen, zeigen? — 2933 enwec (= in wec) adv., weg; nhd. dafür: hinweg; vgl. zu 13691. — 2934 zwisele stf., Gabel, gabelförmiger Zweig. — Der Ausdruck ist knapp : Tristan hieb eine ewisele ab, die er in die Hand nahm. — 2935 furke swf., Fremdwort, lat. furca, franz. fourque. Gabel. — 2941 netze stn., das Netz um die Eingeweide; netze hier wohl pl.: die bei- den Netze, das groſše und das kleine. — lumbel stn.? stm.? (andere Hss. schwach lumbelen), Theil der Eingeweide, wohl die Nieren (lat. lumbus). — 2942 hier erscheint zimere (andere Hss. zimbern, zimberen) in schwacher Flexion und deutlich als fem. Ist hier vielleicht der Ziemer gemeint oder ein Theil der Eingeweide? — gewinnen stv., öfters allgemein : bekom- men. abe gew. herabnehmen. — 2943 lit stn., gen. lides, Glied, Stück.
108 V. DIE JAGD. 2925 furkîe? trût kint, waz ist daz? du nennest mir vor, i’ne weiz waz. du hâst uns disen jagelist, der fremde und guot ze lobene ist, wol meisterlichen her getân : nu lâz in ouch noch vür sich gân, volfüere dine meisterschaft! wir sin dir iemer dienesthaft.» Tristan spranc enwec zchant: eine zwisele hiu er an die hant, daz die dâ furke nennent, die die furkie erkennent. doch ist niht sunders an den zwein: furk’ unde zwisele deist al ein. sus kom er wider mit sînem stabe. die lebere sneit er sunder abe, netz' unde lumbele schiet er dan. die zimerén er abe gewan von dem lide, an dem si was. 2930 2935 2940 Sus saz er nider ûf daz gras, diu stucke nam er elliu driu: an sine furken bant er diu mit sinem netze vaste; mit einem grüenen baste verstricte er'z sus unde sô. «nu seht, ir hêrren», sprach er dô «diz heizent si furkîe in unser jagerîe; und wande ez an der furken ist, dur daz sô heizet dirre list 2945 2950 2926 vor nennen wie vor zeln in V. 3065, nennen, mit Namen vorbringen, du bringst da einen mir unbekannten Namen vor; oder sollte vor nennen im Sinne stehen wie vor benennen in V. 11383, verheißsen? du machst mich neugierig? — 2929 her adv., bisher, bisjetzt, soweit; oder her tuon = dar- thun, mittheilen, zeigen? — 2933 enwec (= in wec) adv., weg; nhd. dafür: hinweg; vgl. zu 13691. — 2934 zwisele stf., Gabel, gabelförmiger Zweig. — Der Ausdruck ist knapp : Tristan hieb eine ewisele ab, die er in die Hand nahm. — 2935 furke swf., Fremdwort, lat. furca, franz. fourque. Gabel. — 2941 netze stn., das Netz um die Eingeweide; netze hier wohl pl.: die bei- den Netze, das groſše und das kleine. — lumbel stn.? stm.? (andere Hss. schwach lumbelen), Theil der Eingeweide, wohl die Nieren (lat. lumbus). — 2942 hier erscheint zimere (andere Hss. zimbern, zimberen) in schwacher Flexion und deutlich als fem. Ist hier vielleicht der Ziemer gemeint oder ein Theil der Eingeweide? — gewinnen stv., öfters allgemein : bekom- men. abe gew. herabnehmen. — 2943 lit stn., gen. lides, Glied, Stück.
Strana 109
V. DIE JAGD. 109 2955 (76) furkie, und füeget ouch daz wol, sit ez án der furken wesen sol. diz neme ein kncht an sine hant! nu tâlanc weset ir gemant umb' iuwer cúrîe.» «curie? dê benîe!» spráchèn si alle «waz ist daz?" wir vernamen sarrazinesch baz. waz ist curie, lieber man ? swic unde sage uns niht hie van: swaz es si, daz lâ geschehen, daz wir’z mit ougen an gesehen. diz tuo durch dine hövescheit!» Nu Tristan der was aber bereit: den herzeric er dó gevienc (ich meine, an dem daz herze hienc) und enblôzte in aller sîner habe. daz herze sneit er halbez abe hin gein dem spitzen ende und nam ez in sine hende und begúnde ez teilieren, in kriuzewis ze vieren und warf daz ûf die hût nider. ze sînem ricke kêrte er wider. milz unde lungen lôste er abe; dô was si hin des rickes habe. nu daz lac ûf der hiute dâ, ric unde gorgen sneit er sâ obene, dâ diu brust erwant. daz houbet lôste er al zeliant mit dem gehürne von dem kragen 2960 2965 2970 2975 2980 2985 2.55 furgen swv., passend, entsprechend sein. — 2956 sit conj., hier causal: weil. — 2958 tâlanc (= tagelanc) adv., für diesen Tag, heute, noch. — manen swv. hier mit præp. umbe = bitten um [mahnen an]. — 2959 curie sti., Fremdwort, franz. curce; die Erklärung ebenfalls gleich in Folgen- den. — 2960 dé benie Ausruf (Pronominalellipse) wie got segene 13694. 2969 herceric stm. gen. -rickes, das Band, an dem das Herz und die andern Eingeweide hängen, das Geschling (Hs. M herzerinc, danach also der Herzbeutel). — gevàhen stv., verst. vâhen, körperlich: erfassen, ergrei- fen; vgl. zu 7835. — 2971 habe stf., hier: was drum und dran hängt ; «die Hüllen". Simrock. — 2975 teilieren Fremdwort, franz. tailler, wenn nicht teilieren Bildung von teil wie wandelieren von wandel. — 2976 in kriuzewis — 2978 hier allgemein ric; vgl. 2969. — adv. nhd. nur: kreuzweis. — 2982 Jorge swm. (vgl. 9213), Gurgel stf., überhaupt: Schlund, Kehle. 2985 gehürne stn. collect. zu horn, Gehörn, Geweih. — krage swm., (Kra- gen stm.), Hals: vgl. 15849. —
V. DIE JAGD. 109 2955 (76) furkie, und füeget ouch daz wol, sit ez án der furken wesen sol. diz neme ein kncht an sine hant! nu tâlanc weset ir gemant umb' iuwer cúrîe.» «curie? dê benîe!» spráchèn si alle «waz ist daz?" wir vernamen sarrazinesch baz. waz ist curie, lieber man ? swic unde sage uns niht hie van: swaz es si, daz lâ geschehen, daz wir’z mit ougen an gesehen. diz tuo durch dine hövescheit!» Nu Tristan der was aber bereit: den herzeric er dó gevienc (ich meine, an dem daz herze hienc) und enblôzte in aller sîner habe. daz herze sneit er halbez abe hin gein dem spitzen ende und nam ez in sine hende und begúnde ez teilieren, in kriuzewis ze vieren und warf daz ûf die hût nider. ze sînem ricke kêrte er wider. milz unde lungen lôste er abe; dô was si hin des rickes habe. nu daz lac ûf der hiute dâ, ric unde gorgen sneit er sâ obene, dâ diu brust erwant. daz houbet lôste er al zeliant mit dem gehürne von dem kragen 2960 2965 2970 2975 2980 2985 2.55 furgen swv., passend, entsprechend sein. — 2956 sit conj., hier causal: weil. — 2958 tâlanc (= tagelanc) adv., für diesen Tag, heute, noch. — manen swv. hier mit præp. umbe = bitten um [mahnen an]. — 2959 curie sti., Fremdwort, franz. curce; die Erklärung ebenfalls gleich in Folgen- den. — 2960 dé benie Ausruf (Pronominalellipse) wie got segene 13694. 2969 herceric stm. gen. -rickes, das Band, an dem das Herz und die andern Eingeweide hängen, das Geschling (Hs. M herzerinc, danach also der Herzbeutel). — gevàhen stv., verst. vâhen, körperlich: erfassen, ergrei- fen; vgl. zu 7835. — 2971 habe stf., hier: was drum und dran hängt ; «die Hüllen". Simrock. — 2975 teilieren Fremdwort, franz. tailler, wenn nicht teilieren Bildung von teil wie wandelieren von wandel. — 2976 in kriuzewis — 2978 hier allgemein ric; vgl. 2969. — adv. nhd. nur: kreuzweis. — 2982 Jorge swm. (vgl. 9213), Gurgel stf., überhaupt: Schlund, Kehle. 2985 gehürne stn. collect. zu horn, Gehörn, Geweih. — krage swm., (Kra- gen stm.), Hals: vgl. 15849. —
Strana 110
110 V. DIE JAGD. und hiez daz zuo der brüste tragen. «nu wol her balde!» sprach er z'in «nemet bâlde disen rucke hin; kome iemen armer liute her, der es geruoche oder ger, dem teilet disen rucke mite, oder túot dermite nâch iuwerm site: sô mache ich die curie.» 2990 (77) Dar gie diu cumpanîe und nam sîner künste war. Tristán hiez ime bringen dar, daz er im ê bereiten bat. nu daz lac allez an der stat wol gemachet unde bereit, als er in hæte vor geseit. nu wâren der quartiere von dem herzen viere vier halben ûf die hût geleit nâch jagelicher gewoneheit und lâgen ûf der hiute alsô: milz unde lungen sneit er dô, dar nâch den panzen unde den pas und swaz der hunde spîse was in alsô kleiniu stuckelîn, als ez ein fuoge mohte sîn, und spreite ez allez uf die hût. hie mite begunde er überlût den hunden ruofen: «za za zâ!» vil schiere wâren s' alle dâ und stuonden ob ir spise. «seht», sprach der wórtwise 3000 3005 3010 2995 3015 2991 rucke (so lesen die besseren Hss.): an den Rücken ist wohl nicht zu denken, und ricke als Nebenform von rie passt ebenfalls nicht. Bech hält rucke für den vorderen, weniger werthvollen Theil des Hirschrückens. Ade- lung 3, 1189 (Wien 1811): "bei den Jägern werden die kleinen hornigen Theile, welche den Hunden und allem Wildbrete zu beiden Seiten unten an den Läufern gleich über den Ballen herausgewachsen sind, die Rücken oder Oberrücken genannt.» Aber auch das will nicht passen. 3003 halben dat. pl. von halbe swf.: nach den vier Seiten hin. — jägelîch adj., jagdmäsig. — 3010 wie es passend war. — 3011 spreiten 3004 swv., hinstreuen. — 3012 überlût (=über lût wie über al), eigentlich: offen- bar, klar; vgl. zu 15051; hier = laut (iber hat im Mhd. viel seltener als jetzt den Begriff des Ubermäßsigen wie er im heutigen: überlaut hervor- tritt). — 3013 der Ruf za za zâ! ist das in sprachliche Form gebrachte Schnalzen der Zunge. — 3016 wortwise adj. subst., der Wortkundige, Be- redte; vgl. 4708. —
110 V. DIE JAGD. und hiez daz zuo der brüste tragen. «nu wol her balde!» sprach er z'in «nemet bâlde disen rucke hin; kome iemen armer liute her, der es geruoche oder ger, dem teilet disen rucke mite, oder túot dermite nâch iuwerm site: sô mache ich die curie.» 2990 (77) Dar gie diu cumpanîe und nam sîner künste war. Tristán hiez ime bringen dar, daz er im ê bereiten bat. nu daz lac allez an der stat wol gemachet unde bereit, als er in hæte vor geseit. nu wâren der quartiere von dem herzen viere vier halben ûf die hût geleit nâch jagelicher gewoneheit und lâgen ûf der hiute alsô: milz unde lungen sneit er dô, dar nâch den panzen unde den pas und swaz der hunde spîse was in alsô kleiniu stuckelîn, als ez ein fuoge mohte sîn, und spreite ez allez uf die hût. hie mite begunde er überlût den hunden ruofen: «za za zâ!» vil schiere wâren s' alle dâ und stuonden ob ir spise. «seht», sprach der wórtwise 3000 3005 3010 2995 3015 2991 rucke (so lesen die besseren Hss.): an den Rücken ist wohl nicht zu denken, und ricke als Nebenform von rie passt ebenfalls nicht. Bech hält rucke für den vorderen, weniger werthvollen Theil des Hirschrückens. Ade- lung 3, 1189 (Wien 1811): "bei den Jägern werden die kleinen hornigen Theile, welche den Hunden und allem Wildbrete zu beiden Seiten unten an den Läufern gleich über den Ballen herausgewachsen sind, die Rücken oder Oberrücken genannt.» Aber auch das will nicht passen. 3003 halben dat. pl. von halbe swf.: nach den vier Seiten hin. — jägelîch adj., jagdmäsig. — 3010 wie es passend war. — 3011 spreiten 3004 swv., hinstreuen. — 3012 überlût (=über lût wie über al), eigentlich: offen- bar, klar; vgl. zu 15051; hier = laut (iber hat im Mhd. viel seltener als jetzt den Begriff des Ubermäßsigen wie er im heutigen: überlaut hervor- tritt). — 3013 der Ruf za za zâ! ist das in sprachliche Form gebrachte Schnalzen der Zunge. — 3016 wortwise adj. subst., der Wortkundige, Be- redte; vgl. 4708. —
Strana 111
V. DIE JAGD. 111 «diz heizent si curîe dâ heime in Parmenie, und wil in sagen umbe waz: ez heizet curîe umbe daz, durch daz ez ûf der cuire lît, swaz man den hunden danne git; als hât diu jägerie den selben namen curie von cuire funden unde genomen. von cúire sô ist curîe komen. und zware ez wart den hunden ze guoten dingen funden und ist ein guot gewoneheit, wan swaz man in dar ûf geleit, daz ist in süeze durch daz bluot und machet ouch die hunde guot. nu sehet an disen bástsíte, da enist kein ander spæhe mite : nemet wár, wie'r iu gevalle.» «â hèrre!» sprâchen s' alle «waz seistu, sâligez kint? wir sehen wol, dise liste sint (78) bracken unde hunden ze grôzen frumen funden.» 3020 3025 3030 3035 3040 Aber sprách der guote Trístán: «nu nemet iuwer hût hin dan, wan ich enkan hie mite niht baz. und wizzet wârlîche daz, künd' ich iu baz gedienet hân, daz hæete ich gérné getân. der man der houwe sine wit und widet ûf sunder iuriu lit, 3045 3021 cuire stf., Fremdwort, franz. cuir, Haut. curie demgemäßs wörtlich etwa. Lederei (Häutung würde den Sinn verrücken), aber mit dem Sinne: Speisung der Hunde mit den Eingeweiden, die auf der Haut liegen. — 3030 geleit von gelegen, verst. legen. — 3034 spœhe stf., Kunst. — 3039 bracke swm., Leithund, Spürhund. — die hunde wohl nicht speciell die Jagd- und Hetzhunde zu verstehen, sondern überhaupt: Hunde. — 3040 frume hier pl.; ohne Adject. ze frumen 8003 [vgl. zu Nutz und Frommen]; nach fru- men 5147. 3043 hie mite bei kunnen (vgl. 2806) ; hier die Ellipse zu ergänzen: ich weißs damit nichts weiter anzufangen. — 3047 wit (auch wide) stf., (Wiede), Reis, Zweig zum Binden und Hängen, Strang. — Die Construction wech- selt im folgenden Verse: der man = jedermann (von euch) für das 2. Per- sonalpron., mit welchem dann fortgefahren wird. — 3048 uf widen swv., — mit Wieden aufbinden; vgl. 3448 fg.
V. DIE JAGD. 111 «diz heizent si curîe dâ heime in Parmenie, und wil in sagen umbe waz: ez heizet curîe umbe daz, durch daz ez ûf der cuire lît, swaz man den hunden danne git; als hât diu jägerie den selben namen curie von cuire funden unde genomen. von cúire sô ist curîe komen. und zware ez wart den hunden ze guoten dingen funden und ist ein guot gewoneheit, wan swaz man in dar ûf geleit, daz ist in süeze durch daz bluot und machet ouch die hunde guot. nu sehet an disen bástsíte, da enist kein ander spæhe mite : nemet wár, wie'r iu gevalle.» «â hèrre!» sprâchen s' alle «waz seistu, sâligez kint? wir sehen wol, dise liste sint (78) bracken unde hunden ze grôzen frumen funden.» 3020 3025 3030 3035 3040 Aber sprách der guote Trístán: «nu nemet iuwer hût hin dan, wan ich enkan hie mite niht baz. und wizzet wârlîche daz, künd' ich iu baz gedienet hân, daz hæete ich gérné getân. der man der houwe sine wit und widet ûf sunder iuriu lit, 3045 3021 cuire stf., Fremdwort, franz. cuir, Haut. curie demgemäßs wörtlich etwa. Lederei (Häutung würde den Sinn verrücken), aber mit dem Sinne: Speisung der Hunde mit den Eingeweiden, die auf der Haut liegen. — 3030 geleit von gelegen, verst. legen. — 3034 spœhe stf., Kunst. — 3039 bracke swm., Leithund, Spürhund. — die hunde wohl nicht speciell die Jagd- und Hetzhunde zu verstehen, sondern überhaupt: Hunde. — 3040 frume hier pl.; ohne Adject. ze frumen 8003 [vgl. zu Nutz und Frommen]; nach fru- men 5147. 3043 hie mite bei kunnen (vgl. 2806) ; hier die Ellipse zu ergänzen: ich weißs damit nichts weiter anzufangen. — 3047 wit (auch wide) stf., (Wiede), Reis, Zweig zum Binden und Hängen, Strang. — Die Construction wech- selt im folgenden Verse: der man = jedermann (von euch) für das 2. Per- sonalpron., mit welchem dann fortgefahren wird. — 3048 uf widen swv., — mit Wieden aufbinden; vgl. 3448 fg.
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112 V. DIE JAGD. daz houbet füeret an der hant und bringet iuwern prîsant ze hove nâch hovelichem site: dâ hovet ir iuch selben mite. sô wizzet ouch ir selbe wol, wie man den hirz prisanten sol prîsantet in ze rehte! 3050 3055 Den meister und die knehte die nam aber dô wunder. daz in daz kint besunder und mit bescheidenheite so manc jágerelt vür leite und daz ez sô vil wiste von sus getânem liste. «sich», sprâchen si «sæligez kint: diu wunderlîchen underbint, diu du úns vor zelst und hâst gezalt, diu dunkent uns sô manicvalt. wir séhen si nóch baz z'ende gân: swaz du biz dâ her hâst getân, daz aliten wir ze nihte.» sus zugen si'm enrihte ein pfärit dar und bâten in, daz er durch sîne tugent mit in nâch sîner kunst ze hove rite und er si sînen lántsíte unz an ein ende lieze sehen. Tristan sprach: «daz mac wol geschehen. német den hirz ûf und wol hin !» sus saz er ûf und reit mit in. 060 "1 1070 3075 (79) Nu si álsô mit ein ander riten, nu haten jene vil kúme erbiten 3080 3050 prîsant stm., Fremdwort, Präsent, Ehrengabe. — 3052 hoven swv.. ahn- lich wie êren, Dienst erweisen. — 3054 prîsanten swv., Fremdwort, prasen- tieren, ehrerbietig darbringen. 3059 bescheidenheit stf., (Unterscheidungsgabe), Verstand, Geschick- lichkeit. — 3060 jagereht stn., Jägerpflicht, richtiger Jägerbrauch. — 3064 underbint stn., (Unterbindung), Unterschied: Bast, Furkîe, Curie in Gegensatz zu der gewohnten Enthäutung und Viertheilung. — 3015 vor zeln swv., aufzählen, überhaupt: mittheilen. — 3069 ze nihte = für nichts vgl. 7255 und zu 12393. — 3070 enrihte (= in rihte) adv., alsbald, sogleich. bei Gottfried meist zeitlich, ferner z. B. in V. 7256. 14968; vgl. zu 6840. — 3073 bezieht sich nicht auf die Reitkunst, sondern auf das kunstgemäce Nachhauseschaffen des zerlegten Hirsches. 3080 erbiten part. von erbiten stv., erwarten. —
112 V. DIE JAGD. daz houbet füeret an der hant und bringet iuwern prîsant ze hove nâch hovelichem site: dâ hovet ir iuch selben mite. sô wizzet ouch ir selbe wol, wie man den hirz prisanten sol prîsantet in ze rehte! 3050 3055 Den meister und die knehte die nam aber dô wunder. daz in daz kint besunder und mit bescheidenheite so manc jágerelt vür leite und daz ez sô vil wiste von sus getânem liste. «sich», sprâchen si «sæligez kint: diu wunderlîchen underbint, diu du úns vor zelst und hâst gezalt, diu dunkent uns sô manicvalt. wir séhen si nóch baz z'ende gân: swaz du biz dâ her hâst getân, daz aliten wir ze nihte.» sus zugen si'm enrihte ein pfärit dar und bâten in, daz er durch sîne tugent mit in nâch sîner kunst ze hove rite und er si sînen lántsíte unz an ein ende lieze sehen. Tristan sprach: «daz mac wol geschehen. német den hirz ûf und wol hin !» sus saz er ûf und reit mit in. 060 "1 1070 3075 (79) Nu si álsô mit ein ander riten, nu haten jene vil kúme erbiten 3080 3050 prîsant stm., Fremdwort, Präsent, Ehrengabe. — 3052 hoven swv.. ahn- lich wie êren, Dienst erweisen. — 3054 prîsanten swv., Fremdwort, prasen- tieren, ehrerbietig darbringen. 3059 bescheidenheit stf., (Unterscheidungsgabe), Verstand, Geschick- lichkeit. — 3060 jagereht stn., Jägerpflicht, richtiger Jägerbrauch. — 3064 underbint stn., (Unterbindung), Unterschied: Bast, Furkîe, Curie in Gegensatz zu der gewohnten Enthäutung und Viertheilung. — 3015 vor zeln swv., aufzählen, überhaupt: mittheilen. — 3069 ze nihte = für nichts vgl. 7255 und zu 12393. — 3070 enrihte (= in rihte) adv., alsbald, sogleich. bei Gottfried meist zeitlich, ferner z. B. in V. 7256. 14968; vgl. zu 6840. — 3073 bezieht sich nicht auf die Reitkunst, sondern auf das kunstgemäce Nachhauseschaffen des zerlegten Hirsches. 3080 erbiten part. von erbiten stv., erwarten. —
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V. DIE JAGD. 113 der state unde der stunde: ir iegelîch begunde entwerfen sîniu mære, von welhem lande er waere und wie er dâ hin wære komen. si hæten gérné vernomen sîn dinc und sîn ahte. diz nam in sîne trahte der sinnesame Tristán. vil sinneclîche er aber began sîn âventiure vinden. sîn réde díu enwas kínden niht gelîch noch sus noch sô. vil sinneclîche sprach er dô: «jensît Britanje lit ein lant, deist Parmenîé genant: dâ ist mîn vater ein kóufmán, der wol nâch sîner ahte kan der werlde leben schôn’ unde wol, ich meine ab, alse ein koufman sol. und wizzet endelîche: ern ist doch niht sô rîche der habe unde des guotes sô tugentliches muotes: der hiez mich lêren, daz ich kan. nu kômen dicke kóufmán von fremeden künicrîchen dar: der dinges nam ich sô vil war beid' an ir sprâche und an ir siten, unz mich mîn muot begunde biten und schünden stæteclîche in fremediu künicrîche; und wande ich gerne hæte erkant unkunde liute und fremediu lant, dô was ich spâte unde fruo 3085 3090 3095 3100 3105 3110 3115 3083 entwerſen stv. = nhd., bestimmte Vorstellungen sich machen, Ver- muthungen aufstellen über sîniu mere, über Tristan's Geschichte, Verhält- nisse. Müller’s Erklärung im mhd. Wb. III, 737b, 11 «jeder theilte seine besondern Vorstellungen darüber mit» scheint mir nicht in den Zusam- menhang zu passen. — 3087 ahte stf., Stand. — 3088 in trahte nemen, in Erwägung ziehen. — 3090 sinnecliche adv., besonnen, listig. — aber = wiederum; er bringt zum zweitenmal Erdichtetes vor. — 3091 vinden stv. = erfinden, erdichten ; derselbe Ausdruck von der musikalischen Produc- tion in V. 19200. 19204. — 3101 endelîche adv., schließlich; um euch alles genau zu sagen; vgl. zu 13655. — 3111 schünden swv., antreiben, reizen. GOTTFRIED VON STRASSBURG. I. 2. Aufl.
V. DIE JAGD. 113 der state unde der stunde: ir iegelîch begunde entwerfen sîniu mære, von welhem lande er waere und wie er dâ hin wære komen. si hæten gérné vernomen sîn dinc und sîn ahte. diz nam in sîne trahte der sinnesame Tristán. vil sinneclîche er aber began sîn âventiure vinden. sîn réde díu enwas kínden niht gelîch noch sus noch sô. vil sinneclîche sprach er dô: «jensît Britanje lit ein lant, deist Parmenîé genant: dâ ist mîn vater ein kóufmán, der wol nâch sîner ahte kan der werlde leben schôn’ unde wol, ich meine ab, alse ein koufman sol. und wizzet endelîche: ern ist doch niht sô rîche der habe unde des guotes sô tugentliches muotes: der hiez mich lêren, daz ich kan. nu kômen dicke kóufmán von fremeden künicrîchen dar: der dinges nam ich sô vil war beid' an ir sprâche und an ir siten, unz mich mîn muot begunde biten und schünden stæteclîche in fremediu künicrîche; und wande ich gerne hæte erkant unkunde liute und fremediu lant, dô was ich spâte unde fruo 3085 3090 3095 3100 3105 3110 3115 3083 entwerſen stv. = nhd., bestimmte Vorstellungen sich machen, Ver- muthungen aufstellen über sîniu mere, über Tristan's Geschichte, Verhält- nisse. Müller’s Erklärung im mhd. Wb. III, 737b, 11 «jeder theilte seine besondern Vorstellungen darüber mit» scheint mir nicht in den Zusam- menhang zu passen. — 3087 ahte stf., Stand. — 3088 in trahte nemen, in Erwägung ziehen. — 3090 sinnecliche adv., besonnen, listig. — aber = wiederum; er bringt zum zweitenmal Erdichtetes vor. — 3091 vinden stv. = erfinden, erdichten ; derselbe Ausdruck von der musikalischen Produc- tion in V. 19200. 19204. — 3101 endelîche adv., schließlich; um euch alles genau zu sagen; vgl. zu 13655. — 3111 schünden swv., antreiben, reizen. GOTTFRIED VON STRASSBURG. I. 2. Aufl.
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114 V. DIE JAGD. (80) alsô beträhtíc dar zuo, biz daz ich mînem vater entran und fuor mit koufliuten dan: als bin ich her ze lande komen. nu habt ir al mîn dinc vernomen. i'ne wéiz, wie'z iu gevalle.» «â trût kint», sprâchen s' alle «ez was an dir ein edeler muot. unkünde ist manegem herzen guot und lêret maneger hande tugent. trût geselle, süeziu jugent, gebenedîet sî daz lant von gote, dâ ie dehein marschant erzôch sô tugentlîchez kint! allè die künege, die nu sint, dien' erzúgen alle ein kint niht baz. nu, liebez kint, nu sage uns daz: din hövescher vater, wie nante er dich?» «Tristan", sprach er «Tristan heiz' ich.» « dêus adjût», sprach einer dô «durch got, wie nante er dich dô sô? du wærest zwâre baz genant juvente bêle et la riant, diu schone jugent, diu lachende.» sus ríten s' ir mâre machende, dirre sus und jener sô. ir kurzewile diu was dô niwan mit disem kinde. sus frâgete daz gesinde, swes iegelichen dô gezam. 3120 3125 3130 3135 3140 3145 In kurzen zîten ez dô kam, Tristan daz er die burc gesach. von einer linden er dô brach 3116 beträhtic adj., bedacht, dar zuo, darauf. — 3124 unkünde stf., Fremde, Leben in der Fremde. — 3128 marschant stm., Fremdwort, Kaufmann. — 3135 déus 3. Form, die alteste (vgl. zu 741) nach allen Hss. — adjût franz. conj. von adjouster, adjustare, beistehen; [vgl. unser : Gott bewahre, Gott behüte]. — 3138 fg. wird wieder gleich deutsch gegeben mit Ausnahme von et, welches übrigens in einer Hs. fehlt. — 3140 mœre machen, Gespräch führen. — 3145 iegelîchen ist acc. sing., nicht dat. pl. mich gezimt eines dinges, es steht mir an, es passt für mich, ebenso in V. 7976. 10069. 17594; dagegen braucht G. den Dativ bei zemen, gezemen in V. 13. 3546. 3147 Nach Maßsmann fasst auch von Hagen (Germ. Studien 1,55) Tristan als dat., abh. von kam und will dafür schreiben Tristande der (= da2 er). Tristan ist vielmehr nom.: Tr. daz er Inversion = daz Tristan; vgl. 3211 u. zu V. 5. —
114 V. DIE JAGD. (80) alsô beträhtíc dar zuo, biz daz ich mînem vater entran und fuor mit koufliuten dan: als bin ich her ze lande komen. nu habt ir al mîn dinc vernomen. i'ne wéiz, wie'z iu gevalle.» «â trût kint», sprâchen s' alle «ez was an dir ein edeler muot. unkünde ist manegem herzen guot und lêret maneger hande tugent. trût geselle, süeziu jugent, gebenedîet sî daz lant von gote, dâ ie dehein marschant erzôch sô tugentlîchez kint! allè die künege, die nu sint, dien' erzúgen alle ein kint niht baz. nu, liebez kint, nu sage uns daz: din hövescher vater, wie nante er dich?» «Tristan", sprach er «Tristan heiz' ich.» « dêus adjût», sprach einer dô «durch got, wie nante er dich dô sô? du wærest zwâre baz genant juvente bêle et la riant, diu schone jugent, diu lachende.» sus ríten s' ir mâre machende, dirre sus und jener sô. ir kurzewile diu was dô niwan mit disem kinde. sus frâgete daz gesinde, swes iegelichen dô gezam. 3120 3125 3130 3135 3140 3145 In kurzen zîten ez dô kam, Tristan daz er die burc gesach. von einer linden er dô brach 3116 beträhtic adj., bedacht, dar zuo, darauf. — 3124 unkünde stf., Fremde, Leben in der Fremde. — 3128 marschant stm., Fremdwort, Kaufmann. — 3135 déus 3. Form, die alteste (vgl. zu 741) nach allen Hss. — adjût franz. conj. von adjouster, adjustare, beistehen; [vgl. unser : Gott bewahre, Gott behüte]. — 3138 fg. wird wieder gleich deutsch gegeben mit Ausnahme von et, welches übrigens in einer Hs. fehlt. — 3140 mœre machen, Gespräch führen. — 3145 iegelîchen ist acc. sing., nicht dat. pl. mich gezimt eines dinges, es steht mir an, es passt für mich, ebenso in V. 7976. 10069. 17594; dagegen braucht G. den Dativ bei zemen, gezemen in V. 13. 3546. 3147 Nach Maßsmann fasst auch von Hagen (Germ. Studien 1,55) Tristan als dat., abh. von kam und will dafür schreiben Tristande der (= da2 er). Tristan ist vielmehr nom.: Tr. daz er Inversion = daz Tristan; vgl. 3211 u. zu V. 5. —
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V. DIE JAGD. 115 (81) zwei schapel wol geloubet: einez sázte er úf sîn houbet, daz ander er dô witer maz, dem jägermeister bôt er daz: «ei», sprach er «lieber meister mîn, saget waz bürge mac diz sîn? diz ist ein küniclîch kastêl» der meister sprach: «(deist) Tintajoêl.» «Tintajoêl? â welch kastêl! dê te sal, Tintajoêl und allez dîn gesinde!» «â wol dir süezem kinde!» sprâchen sine geverten dô «wis iemer sæelic unde frô und dir müez' alse wol geschehen, alsô vil gerne wir'z gesehen!» Sus kômen si zem bürgetor: Tristan gehabete dô dâ vor. «ir hêrren», sprach er aber dô z'in «ich enwéiz, wan ich iu fremede bin, wie iuwer keiner ist genamet: wan varn ie zwêne und zwêne samet, und ritet rehte ein ander bî, alsô der hirz geschaffen si! daz gehürne daz gê vor, diu brust dâ nâch in sînem spor, die rieben nâch den büegen! dar nâch sô sult ir füegen, dáz daz júngéste lit iesâ den rieben volge mit! dâ nâch sô sult ir nemen war, daz allerjúngéste var diu cuire und diu furkîe: deist rehtiu jägerie. und lâzet iu niht sîn ze gâch, 3155 3160 3165 3170 3175 3180 3150 3149 schapel stn., Kranz von Laub. — geloubet part. adj. = belaubt. — 3151 er machte das Maſ’ des andern größer. 3166 gehaben swv., hier intrans. (durch Ellipse), anhalten. — 3170 s. zu 342. — samet adv., Nebenform von sament (vgl. 59), hier im Reime, ferner 5067; samet und sunder = nhd. s. u. sonders 13148. — 3174 spor stn., Spur stf.; in seiner Richtung. — 3177 jungest superl. adj., letzt. — 3180 aller- jungeste = ze allerj., zu allerletzt. — 3183 mir ist gâch = ich bin eilig, habe Eile (vgl. 13841); die Wendung mit lazen: seid nicht zu eilig. — 8 *
V. DIE JAGD. 115 (81) zwei schapel wol geloubet: einez sázte er úf sîn houbet, daz ander er dô witer maz, dem jägermeister bôt er daz: «ei», sprach er «lieber meister mîn, saget waz bürge mac diz sîn? diz ist ein küniclîch kastêl» der meister sprach: «(deist) Tintajoêl.» «Tintajoêl? â welch kastêl! dê te sal, Tintajoêl und allez dîn gesinde!» «â wol dir süezem kinde!» sprâchen sine geverten dô «wis iemer sæelic unde frô und dir müez' alse wol geschehen, alsô vil gerne wir'z gesehen!» Sus kômen si zem bürgetor: Tristan gehabete dô dâ vor. «ir hêrren», sprach er aber dô z'in «ich enwéiz, wan ich iu fremede bin, wie iuwer keiner ist genamet: wan varn ie zwêne und zwêne samet, und ritet rehte ein ander bî, alsô der hirz geschaffen si! daz gehürne daz gê vor, diu brust dâ nâch in sînem spor, die rieben nâch den büegen! dar nâch sô sult ir füegen, dáz daz júngéste lit iesâ den rieben volge mit! dâ nâch sô sult ir nemen war, daz allerjúngéste var diu cuire und diu furkîe: deist rehtiu jägerie. und lâzet iu niht sîn ze gâch, 3155 3160 3165 3170 3175 3180 3150 3149 schapel stn., Kranz von Laub. — geloubet part. adj. = belaubt. — 3151 er machte das Maſ’ des andern größer. 3166 gehaben swv., hier intrans. (durch Ellipse), anhalten. — 3170 s. zu 342. — samet adv., Nebenform von sament (vgl. 59), hier im Reime, ferner 5067; samet und sunder = nhd. s. u. sonders 13148. — 3174 spor stn., Spur stf.; in seiner Richtung. — 3177 jungest superl. adj., letzt. — 3180 aller- jungeste = ze allerj., zu allerletzt. — 3183 mir ist gâch = ich bin eilig, habe Eile (vgl. 13841); die Wendung mit lazen: seid nicht zu eilig. — 8 *
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116 V. DIE JAGD. (82) ritet schône ein ander nâch: mîn meister hie und ich sîn kneht wir rîten samet, dunk’ ez iuch reht und obe ez iu gevalle.» «jâ, trût kint», sprâchen s' alle "swie sô du wilt, als wellen wir.» «diz si!» sprach er «nu lîhet mir ein horn, daz mir ze mâze sî, und sît ouch des gemant dâ bi, swenn’ ich an hebe, sô hoeret mir. und alse ich hürne, als hürnet ir!» der meister der sprach ime dô zuo: «vil lieber friunt, hürn’ unde tuo reht' alse dir gevalle: des volgen wir dir alle, ich unde die hie mit mir sint.» «a bóneúre" sprach daz kint «mit guote, daz lât alsô sîn.» ein kleine hellez hornelîn daz gâben sî'm an sîne hant. «nu hin!» sprach er «allez avant!» Sus riten si gérotieret in zwên' unde zwêne: als solte ez sîn. und als diu rotte gar în kam, Tristan sîn hornelîn dô nam und hürnete alsô rîche und alsô wunneclîche, jene álle, die dâ mit im riten, daz die vor fröuden kûme erbiten, daz si'm ze helfe kâmen und alle ir horn nâmen und hürneten vil schône mit ime in sînem dône. er fuor in vor ze prîse, si nâch in sîner wîse 3190 3195 3200 320. 3210 3215 3185 3191 ze mâze, angemessen, passend. — 3193 hœren mit dat., einem zuhôren, auf einen hören. — 3200 a boneure, eigentlich : zur guten Stunde wie noch heute: à la bonne heure, ein Ausruf: wohlan! — 3201 mit guote, Ubers. von a boneure; vgl. 3375. — 3204 alles franz. imper. = neufranz. — avant = neufranz. 3205 rotieren = rottieren Fremdwort, in Rotten eintheilen; gérotieret nach V. 6895 u. 7005 vier Mann hoch ; hier aber: paarweise.— 3207 rolte stf., Schar [vgl. Rottenfeuer].
116 V. DIE JAGD. (82) ritet schône ein ander nâch: mîn meister hie und ich sîn kneht wir rîten samet, dunk’ ez iuch reht und obe ez iu gevalle.» «jâ, trût kint», sprâchen s' alle "swie sô du wilt, als wellen wir.» «diz si!» sprach er «nu lîhet mir ein horn, daz mir ze mâze sî, und sît ouch des gemant dâ bi, swenn’ ich an hebe, sô hoeret mir. und alse ich hürne, als hürnet ir!» der meister der sprach ime dô zuo: «vil lieber friunt, hürn’ unde tuo reht' alse dir gevalle: des volgen wir dir alle, ich unde die hie mit mir sint.» «a bóneúre" sprach daz kint «mit guote, daz lât alsô sîn.» ein kleine hellez hornelîn daz gâben sî'm an sîne hant. «nu hin!» sprach er «allez avant!» Sus riten si gérotieret in zwên' unde zwêne: als solte ez sîn. und als diu rotte gar în kam, Tristan sîn hornelîn dô nam und hürnete alsô rîche und alsô wunneclîche, jene álle, die dâ mit im riten, daz die vor fröuden kûme erbiten, daz si'm ze helfe kâmen und alle ir horn nâmen und hürneten vil schône mit ime in sînem dône. er fuor in vor ze prîse, si nâch in sîner wîse 3190 3195 3200 320. 3210 3215 3185 3191 ze mâze, angemessen, passend. — 3193 hœren mit dat., einem zuhôren, auf einen hören. — 3200 a boneure, eigentlich : zur guten Stunde wie noch heute: à la bonne heure, ein Ausruf: wohlan! — 3201 mit guote, Ubers. von a boneure; vgl. 3375. — 3204 alles franz. imper. = neufranz. — avant = neufranz. 3205 rotieren = rottieren Fremdwort, in Rotten eintheilen; gérotieret nach V. 6895 u. 7005 vier Mann hoch ; hier aber: paarweise.— 3207 rolte stf., Schar [vgl. Rottenfeuer].
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V. DIE JAGD. 117 bescheidenlichen unde wol: diu burc diu wart gedones vol. 3220 (83) Der künec und al diu hovediet, dô si daz fremede jageliet gehôrten unde vernâmen, si erschrâken unde erkâmen vil inneclîche sêre, wan ez dâ vor nie mêre dâ ze hove wart vernomen. nu was diu rotte iezuo komen vür den palas an die tür : dâ waz vil ingesindes vür geloufen durch den hórnschál, si nam grôz wunder über al, was des geschelles ware. ouch was der lobebare Marke selbe komen dar, nemen dirre maere war, und mit im manic cûrtois man. nu Tristán den künic sehen began, er begúnde im wol gevallen. vor den andern allen sîn herze in sunder ûz erlas, wan er von sînem bluote was: diu natiure zôh in dar. er nam sîn mit den ougen war und begúnde in grüezen schône. in fremedem hórndône ein ander wîse huob er an: sô lûte er hürnén began, daz im niemen an der stunde wol gevolgen kunde. 3225 3230 3235 3240 3245 3250 3221 hovediet stf., Hofbevölkerung, Hofgesellschaft. — 3224 erkomen stv., erschrecken. — 3229 palas stm., (Palast, Palais) Hauptgebäude der Burg. — 3236 das Mhd. kann das ze beim Inf. nach Verben der Bewegung entbehren. — 3242 fg. es war im Mittelalter allgemeine Ansicht, dafs die Blutsverwandtschaft auch die Herzensneigung bewirke, z. B. im Märchen von den sieben Schwänen Altd. Blätter 1, 131: zuhant bewegete sich das blut in im von naturlicher libe. — 3246 horndón stm.: dôn nicht der materielle Klang des Tons, sondern die Art des Blasens. — 3249 an der stunde, hier wohl: damals wie in V. 13373 ; oder soll gesagt werden, daßs ihm niemand asogleich? (vgl. zu 3818) in richtiger Weise folgen konnte?
V. DIE JAGD. 117 bescheidenlichen unde wol: diu burc diu wart gedones vol. 3220 (83) Der künec und al diu hovediet, dô si daz fremede jageliet gehôrten unde vernâmen, si erschrâken unde erkâmen vil inneclîche sêre, wan ez dâ vor nie mêre dâ ze hove wart vernomen. nu was diu rotte iezuo komen vür den palas an die tür : dâ waz vil ingesindes vür geloufen durch den hórnschál, si nam grôz wunder über al, was des geschelles ware. ouch was der lobebare Marke selbe komen dar, nemen dirre maere war, und mit im manic cûrtois man. nu Tristán den künic sehen began, er begúnde im wol gevallen. vor den andern allen sîn herze in sunder ûz erlas, wan er von sînem bluote was: diu natiure zôh in dar. er nam sîn mit den ougen war und begúnde in grüezen schône. in fremedem hórndône ein ander wîse huob er an: sô lûte er hürnén began, daz im niemen an der stunde wol gevolgen kunde. 3225 3230 3235 3240 3245 3250 3221 hovediet stf., Hofbevölkerung, Hofgesellschaft. — 3224 erkomen stv., erschrecken. — 3229 palas stm., (Palast, Palais) Hauptgebäude der Burg. — 3236 das Mhd. kann das ze beim Inf. nach Verben der Bewegung entbehren. — 3242 fg. es war im Mittelalter allgemeine Ansicht, dafs die Blutsverwandtschaft auch die Herzensneigung bewirke, z. B. im Märchen von den sieben Schwänen Altd. Blätter 1, 131: zuhant bewegete sich das blut in im von naturlicher libe. — 3246 horndón stm.: dôn nicht der materielle Klang des Tons, sondern die Art des Blasens. — 3249 an der stunde, hier wohl: damals wie in V. 13373 ; oder soll gesagt werden, daßs ihm niemand asogleich? (vgl. zu 3818) in richtiger Weise folgen konnte?
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118 V. DIE JAGD. Nu des was schiere ein ende: der wol gezogen ellende der lie sîn hürnen unde sweic. vil schône er gein dem künege neic und sprach mit süezem munde vil suoze, als er wol kunde: «dêus sál roi et sá mehnîe: künec únd sín massenie die gehâlte got der guote !» Marke der wol gemuote und al sîn ingesinde die danketen dem kinde vil tugentlîchen unde wol, als man dem tugenthaften sol. «â!» sprâchen s' al gemeine grôze unde kleine, «dê duin dûze âventûre si dûze créatûre: got gebe süez' âventiure sô süezer crêatiure!» 3255 3260 3205 22 Der künec der nam des kindes war: den jäger den besande er dar «sage án», sprach er "wer ist diz kint, des wort sô wol besniten sint?" «â hêrre, ez ist ein Parmenois, sô wunderlichen cûrtóis und alse rehte tugentsam, daz ich'z an kinde nie vernam, (84) und giht, er heize Trístán, und sî sîn vater ein kóufmán. i'n gelóube ez aber niemer: wie hate ein koufman iemer in sîner únmüezekeit sô grôze muoze an in geleit?" 3275 3280 3257 mehnîc fem., eine franz. Form vom Fremdwort massenîe. 3266 solche Formeln zur Bezeichnung der Allgemeinheit bei Gottfried selten. — 3267 duin = conj. donne. — dize = dulce, neufr. douce. — 3269 der Dichter behält das franz. Wort àventiure bei in der Bedeutung: Glück- seligkeit, Heil, die noch öfters hervortritt, z. B. ere und avent. 18938. linge und č. 17061. 3274 besniten part. adj., (in Reden und Wort) fein, zierlich [vgl. ge- feilt, zugespitzt]. — 3284 legen mit acc. und præp. an c. acc., auf einen, für einen etwas verwenden. —
118 V. DIE JAGD. Nu des was schiere ein ende: der wol gezogen ellende der lie sîn hürnen unde sweic. vil schône er gein dem künege neic und sprach mit süezem munde vil suoze, als er wol kunde: «dêus sál roi et sá mehnîe: künec únd sín massenie die gehâlte got der guote !» Marke der wol gemuote und al sîn ingesinde die danketen dem kinde vil tugentlîchen unde wol, als man dem tugenthaften sol. «â!» sprâchen s' al gemeine grôze unde kleine, «dê duin dûze âventûre si dûze créatûre: got gebe süez' âventiure sô süezer crêatiure!» 3255 3260 3205 22 Der künec der nam des kindes war: den jäger den besande er dar «sage án», sprach er "wer ist diz kint, des wort sô wol besniten sint?" «â hêrre, ez ist ein Parmenois, sô wunderlichen cûrtóis und alse rehte tugentsam, daz ich'z an kinde nie vernam, (84) und giht, er heize Trístán, und sî sîn vater ein kóufmán. i'n gelóube ez aber niemer: wie hate ein koufman iemer in sîner únmüezekeit sô grôze muoze an in geleit?" 3275 3280 3257 mehnîc fem., eine franz. Form vom Fremdwort massenîe. 3266 solche Formeln zur Bezeichnung der Allgemeinheit bei Gottfried selten. — 3267 duin = conj. donne. — dize = dulce, neufr. douce. — 3269 der Dichter behält das franz. Wort àventiure bei in der Bedeutung: Glück- seligkeit, Heil, die noch öfters hervortritt, z. B. ere und avent. 18938. linge und č. 17061. 3274 besniten part. adj., (in Reden und Wort) fein, zierlich [vgl. ge- feilt, zugespitzt]. — 3284 legen mit acc. und præp. an c. acc., auf einen, für einen etwas verwenden. —
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V. DIE JAGD. 119 3285 solt' er die muoze mit im hân, der sich unmuoze sol began? â hêrre, er ist sô tugenthaft, seht, dise niuwe meisterschaft, alsô wir nû ze hove sîn komen, die hân wir gar von ime genomen. und horet wunderlichen list : reht' alse der hirz geschaffen ist, als ist er her ze hove brâht : wâ wart ie list sô wol bedâht? nu sehet, daz houbet daz gât vor, diu brust dâ nâch in sînem spor, büeg' unde bein, diz unde daz, daz wart schôner unde baz ze hove géprisantet nie. seht dort, gesâhét ir ie sus gemáchete furkîe? i'n vernám von jägerîe solher liste nie niht mê. dar zuo liez er uns sehen ê, wie man den hirz enbesten sol: diu kunst gevallet mir sô wol, daz ich niemer hirz noch tier gehouwen wil in vier quartier, und solte ich iemer mêre jagen.» sus begúnde er sînem hêrren sagen von ende sîniu mære, wie vollekomen er ware an hövescher jagerie und wie er die curîe den hunden vür léite; und swaz der jäger seite, des nam der künec vil guote war und hiez dem kinde ruofen dar, (85) die jägere ze herbergen varn, ir ambet unde ir dinc bewarn. 3290 3295 3300 3305 3310 3315 3320 3286 begân refl. mit gen., sich mit etwas beschäftigen, in einem Verhält- nisse leben. — 3307 tier ist speciell und im Gegensatz zu hirz die Hirsch- kul [wie noch heute], dann auch das Reh. — 3308 gehouwen stv., verst. houwen. — 3309 wenn ich wieder jagen werde. — 3311 von ende = von An- fang; von ende z'ende 3461. von ende unz ende 10049. — 3317 guote adj. zu war (s. zu 1530); dem schenkte der König gar grofe Aufmerksamkeit; vgl. 13178. 14305. — 3320 hier wieder der specielle Begriff vorausgenommen: um ihr Geschaft (ambet) und ihre Sachen (dinc) zu besorgen (bewarn). —
V. DIE JAGD. 119 3285 solt' er die muoze mit im hân, der sich unmuoze sol began? â hêrre, er ist sô tugenthaft, seht, dise niuwe meisterschaft, alsô wir nû ze hove sîn komen, die hân wir gar von ime genomen. und horet wunderlichen list : reht' alse der hirz geschaffen ist, als ist er her ze hove brâht : wâ wart ie list sô wol bedâht? nu sehet, daz houbet daz gât vor, diu brust dâ nâch in sînem spor, büeg' unde bein, diz unde daz, daz wart schôner unde baz ze hove géprisantet nie. seht dort, gesâhét ir ie sus gemáchete furkîe? i'n vernám von jägerîe solher liste nie niht mê. dar zuo liez er uns sehen ê, wie man den hirz enbesten sol: diu kunst gevallet mir sô wol, daz ich niemer hirz noch tier gehouwen wil in vier quartier, und solte ich iemer mêre jagen.» sus begúnde er sînem hêrren sagen von ende sîniu mære, wie vollekomen er ware an hövescher jagerie und wie er die curîe den hunden vür léite; und swaz der jäger seite, des nam der künec vil guote war und hiez dem kinde ruofen dar, (85) die jägere ze herbergen varn, ir ambet unde ir dinc bewarn. 3290 3295 3300 3305 3310 3315 3320 3286 begân refl. mit gen., sich mit etwas beschäftigen, in einem Verhält- nisse leben. — 3307 tier ist speciell und im Gegensatz zu hirz die Hirsch- kul [wie noch heute], dann auch das Reh. — 3308 gehouwen stv., verst. houwen. — 3309 wenn ich wieder jagen werde. — 3311 von ende = von An- fang; von ende z'ende 3461. von ende unz ende 10049. — 3317 guote adj. zu war (s. zu 1530); dem schenkte der König gar grofe Aufmerksamkeit; vgl. 13178. 14305. — 3320 hier wieder der specielle Begriff vorausgenommen: um ihr Geschaft (ambet) und ihre Sachen (dinc) zu besorgen (bewarn). —
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120 V. DIE JAGD. die kêrten umbe und riten dan. der jägermeister Tristán der gap sin hornelin dâ wider und erbéizete zuo der erde nider. Daz junge hovegesinde daz lief engegen dem kinde und condewierte ez schône under ármen vür die krône. ouch kunde er selbe schône gân. dar zuo was ime der lîp getân, als ez diu Mínné gebôt: sîn munt was rehte rôsenrôt, sîn varwe lieht, sîn ougen klâr; brûnreideloht was ime sin hâr, gekrûspet bî dem ende; sîn arme und sîne hende wol gestellet unde blanc; sîn lip ze guoter mâze lanc; sîne füeze und sîniu bein, dar an sîn schone almeistec schein, diu stuonden sô ze prîse wol, als man'z an manne prîsen sol. sîn gewánt, als ich in hân geseit, daz was mit grôzer hövescheit nâch sînem lîbé gesniten. an gebarden unde an schoenen siten was ime sô rehte wol geschehen, daz man in gerne mohte sehen. 3330 3 412 335 3340 3345 3325 3324 erbeizen swv., absteigen (vom Pferde). 3327 condewieren swv., Fremdwort, franz. conduire, geleiten. — 3328 under armen, zwischen, an den Armen (vgl. 17527), am Arm. Das ist franzo- sische Sitte, die aber zur Zeit des Dichters schon eingeführt gewesen sein mußs, sonst hätte er gegen die Vorlage die Situation geändert; vgl. Rudolf Hildebrand in Pf. Germania 10, 130 Anmerk. — vür die krône, vor den König. [Wir brauchen Krone, Thron, Cabinet auch für die Person des Regenten, aber nur abstract, nicht für die leibhaftige Erscheinung; jener Brauch ähnelt unserm: vor die Majestät, Hoheit.] Vgl. V. 18454, wie noch ge- sagt werden könnte, und zu 11162. — 3331 gebieten stv., hier = wünschen; vgl. zu 525. — 3334 reideloht adj., lockicht. brůn nicht als selbständiges Wort aufzufassen, sondern Zusammensetzung brûnreideloht, braungelockt [vgl. unser häufiges: blondgelockt]; vgl. mit brünreidem hâre 3919. — 3335 gekrûspet part. adj. von krûspen swv.; häufiger ist krispen — crispare, kräuseln. Dieser Vers keine unnöthige Wiederholung. Tristan hatte krause Locken, während z. B. Wate und Frute lange mit Goldschnüren durchflochtene Locken trugen; Kudrun 355, 3. — 3337 gestellet part. adj. von stellen, gestaltet, gebildet; vgl. 4077. 10899 und zu 15349. — 3340 al- meistec adv., allermeist, ganz besonders; das nur einmal erscheinende ein- fache meistec in V. 12223.
120 V. DIE JAGD. die kêrten umbe und riten dan. der jägermeister Tristán der gap sin hornelin dâ wider und erbéizete zuo der erde nider. Daz junge hovegesinde daz lief engegen dem kinde und condewierte ez schône under ármen vür die krône. ouch kunde er selbe schône gân. dar zuo was ime der lîp getân, als ez diu Mínné gebôt: sîn munt was rehte rôsenrôt, sîn varwe lieht, sîn ougen klâr; brûnreideloht was ime sin hâr, gekrûspet bî dem ende; sîn arme und sîne hende wol gestellet unde blanc; sîn lip ze guoter mâze lanc; sîne füeze und sîniu bein, dar an sîn schone almeistec schein, diu stuonden sô ze prîse wol, als man'z an manne prîsen sol. sîn gewánt, als ich in hân geseit, daz was mit grôzer hövescheit nâch sînem lîbé gesniten. an gebarden unde an schoenen siten was ime sô rehte wol geschehen, daz man in gerne mohte sehen. 3330 3 412 335 3340 3345 3325 3324 erbeizen swv., absteigen (vom Pferde). 3327 condewieren swv., Fremdwort, franz. conduire, geleiten. — 3328 under armen, zwischen, an den Armen (vgl. 17527), am Arm. Das ist franzo- sische Sitte, die aber zur Zeit des Dichters schon eingeführt gewesen sein mußs, sonst hätte er gegen die Vorlage die Situation geändert; vgl. Rudolf Hildebrand in Pf. Germania 10, 130 Anmerk. — vür die krône, vor den König. [Wir brauchen Krone, Thron, Cabinet auch für die Person des Regenten, aber nur abstract, nicht für die leibhaftige Erscheinung; jener Brauch ähnelt unserm: vor die Majestät, Hoheit.] Vgl. V. 18454, wie noch ge- sagt werden könnte, und zu 11162. — 3331 gebieten stv., hier = wünschen; vgl. zu 525. — 3334 reideloht adj., lockicht. brůn nicht als selbständiges Wort aufzufassen, sondern Zusammensetzung brûnreideloht, braungelockt [vgl. unser häufiges: blondgelockt]; vgl. mit brünreidem hâre 3919. — 3335 gekrûspet part. adj. von krûspen swv.; häufiger ist krispen — crispare, kräuseln. Dieser Vers keine unnöthige Wiederholung. Tristan hatte krause Locken, während z. B. Wate und Frute lange mit Goldschnüren durchflochtene Locken trugen; Kudrun 355, 3. — 3337 gestellet part. adj. von stellen, gestaltet, gebildet; vgl. 4077. 10899 und zu 15349. — 3340 al- meistec adv., allermeist, ganz besonders; das nur einmal erscheinende ein- fache meistec in V. 12223.
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V. DIE JAGD. 121 (86) Marke sach Tristanden an: "friunt», sprach er «heizest dû Tristan? «jâ, hêrre, Tristan; dêú sal!, «dêu sal, bêâs vassal!» «mérzi», sprách er «géntil róis, édeler künic Kúrnewalóis, ir und iur gesinde ir sit von gotes kinde iemèr gebenedîet !» dô wart gémerziet wunder von der hovediet. si triben niwan daz eine liet: « Tristan, Tristan li Parmenois, cum est bêâs et cum cûrtois!» Markè sprach aber Tristande zuo: "ich sage dir, Tristan, waz du tuo: du solt mich einer bete gewern, der wil ich von dir niht enbern.» “swaz ir gebietet, hêrre mîn.» «du solt mîn jägermeister sîn!» hie wart ein michel lahter van. hier under sprach dô Tristán: «hêrre, gebietet über mich. swaz ir gebietet, daz bin ich : iuwer jäger und iuwer dienestman, daz bin ich, alse ich beste kan.» mit guote, friunt», sprach Marke dô «diz ist gelobet, nu si alsô!» 3355 3360 3365 3370 3350 3375 3332 vassal franz., hier nicht in unserm Sinne: Lehnsträger. sondern: Ritter, Junker. — 3353 gentil rois (hier Nomin., sonst roi in V. 3257) wie- dier im Folgenden verdeutscht. — 3358 merzien swv., Fremdwort, merzi sagen, danken. — 3362 cum = franz. comme. — 3364 tuo ist nicht præs. = taost, sondern imper.: was du thun sollst. — 3366 s. zu 117; hier mit præp. von. — 3369 lahter stn., Lachen, Gelächter. — 3374 beste acc. neutr. in adverb. Anwendung : aufs beste; alse beste = nhd. so gut. — 3476 gelobet part. von geloben = nhd. oder auch von loben in der Bedeutung: geloben, zusagen; vgl. 5150.
V. DIE JAGD. 121 (86) Marke sach Tristanden an: "friunt», sprach er «heizest dû Tristan? «jâ, hêrre, Tristan; dêú sal!, «dêu sal, bêâs vassal!» «mérzi», sprách er «géntil róis, édeler künic Kúrnewalóis, ir und iur gesinde ir sit von gotes kinde iemèr gebenedîet !» dô wart gémerziet wunder von der hovediet. si triben niwan daz eine liet: « Tristan, Tristan li Parmenois, cum est bêâs et cum cûrtois!» Markè sprach aber Tristande zuo: "ich sage dir, Tristan, waz du tuo: du solt mich einer bete gewern, der wil ich von dir niht enbern.» “swaz ir gebietet, hêrre mîn.» «du solt mîn jägermeister sîn!» hie wart ein michel lahter van. hier under sprach dô Tristán: «hêrre, gebietet über mich. swaz ir gebietet, daz bin ich : iuwer jäger und iuwer dienestman, daz bin ich, alse ich beste kan.» mit guote, friunt», sprach Marke dô «diz ist gelobet, nu si alsô!» 3355 3360 3365 3370 3350 3375 3332 vassal franz., hier nicht in unserm Sinne: Lehnsträger. sondern: Ritter, Junker. — 3353 gentil rois (hier Nomin., sonst roi in V. 3257) wie- dier im Folgenden verdeutscht. — 3358 merzien swv., Fremdwort, merzi sagen, danken. — 3362 cum = franz. comme. — 3364 tuo ist nicht præs. = taost, sondern imper.: was du thun sollst. — 3366 s. zu 117; hier mit præp. von. — 3369 lahter stn., Lachen, Gelächter. — 3374 beste acc. neutr. in adverb. Anwendung : aufs beste; alse beste = nhd. so gut. — 3476 gelobet part. von geloben = nhd. oder auch von loben in der Bedeutung: geloben, zusagen; vgl. 5150.
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VI. DER JUNGE KUNSTLER. König Marke sucht dem fremden Jüngling das Leben an seinem Hofe so angenehm wie möglich zu machen. Tristan zeigt dem neuen Herrn seine Jagdkünste, den Bast, die Furkîe und die Curie, ganz in derselben Weise wie vorher den Jägern. Am Hofe macht er sich bei allen beliebt. Als ein walisischer Harfner vor Marke spielte, offenbart sich auch Tristan als des Harfenspiels und des Gesanges kundig, und erregt dadurch allgemeine Bewunderung. Auch bekennt er, daßs er noch andere Saitenspiele und fremde Sprachen verstehe. Hierauf dringen die Fremden am Hofe herbei, um Tristan in ihren Zungen auf die Probe zu stellen. und allen weifs er zu antworten. Auch dies erregt Staunen und Bewun- derung, und Marke trägt dem jungen Künstler seine Freundschaft an. Nu Trístan dér ist ze hûse komen unwizzende, alse ir habet vernomen, und wânde doch ellende sîn. der unverwânde vater sîn, Marke der tugenderiche der gewárp vil tugentlîche; ouch was des dô vil michel nôt: er bat besunder unde gebôt al dem hovegesinde, daz si dem fremeden kinde guot unde genædic waren, und daz si'm êre bæren mit rede und mit gesellekeit. des wâren s' alle samet bereit mit willeclîchem muote. 3380 338.) 3390 3380 unverwânt part. adj., unvermuthet. — vater, weil Marke mit dem Tode von Tristan's Altern als nächster Blutsverwandter in aufsteigender Linie Vaterstelle zu vertreten hätte. — 3389 gesellekeit stf., hier: freund- schaftlicher Umgang. —
VI. DER JUNGE KUNSTLER. König Marke sucht dem fremden Jüngling das Leben an seinem Hofe so angenehm wie möglich zu machen. Tristan zeigt dem neuen Herrn seine Jagdkünste, den Bast, die Furkîe und die Curie, ganz in derselben Weise wie vorher den Jägern. Am Hofe macht er sich bei allen beliebt. Als ein walisischer Harfner vor Marke spielte, offenbart sich auch Tristan als des Harfenspiels und des Gesanges kundig, und erregt dadurch allgemeine Bewunderung. Auch bekennt er, daßs er noch andere Saitenspiele und fremde Sprachen verstehe. Hierauf dringen die Fremden am Hofe herbei, um Tristan in ihren Zungen auf die Probe zu stellen. und allen weifs er zu antworten. Auch dies erregt Staunen und Bewun- derung, und Marke trägt dem jungen Künstler seine Freundschaft an. Nu Trístan dér ist ze hûse komen unwizzende, alse ir habet vernomen, und wânde doch ellende sîn. der unverwânde vater sîn, Marke der tugenderiche der gewárp vil tugentlîche; ouch was des dô vil michel nôt: er bat besunder unde gebôt al dem hovegesinde, daz si dem fremeden kinde guot unde genædic waren, und daz si'm êre bæren mit rede und mit gesellekeit. des wâren s' alle samet bereit mit willeclîchem muote. 3380 338.) 3390 3380 unverwânt part. adj., unvermuthet. — vater, weil Marke mit dem Tode von Tristan's Altern als nächster Blutsverwandter in aufsteigender Linie Vaterstelle zu vertreten hätte. — 3389 gesellekeit stf., hier: freund- schaftlicher Umgang. —
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VI. DER JUNGE KUNSTLER. 123 (87) sus was Tristan der guote des küneges ingesinde dô. der sach in gerne und was sin frô, wan in truoc ouch sin herze dar, und nam sîn gerne und ofte war, wan er was z'allen ziten höfschlîche an siner siten und truog in sinen dienest an als ofte, als er sin state gewan. swâ Marke was od swar er gie, dâ was Tristan der ander ie, und nam daz Marke wol vür guot: er truog im harte holden muot, und tete im wol, swenn’ er in sach. In den dingen ez geschach: innerhalp den ahte tagen reit Marke selbe mit im jagen und hovegesindes vil dá mite, schouwen sînen jagesite und sîner künste nemen war. nu hiez im Marke bringen dar sîn jagephärt und gap im daz. Tristan wart nie geriten baz. wan ez was starc, schoen’ unde snel ein hornelîn süez' unde hel hiez er im geben an sine hant. « Tristan", sprach er «nu wis gemant. daz dû mîn jagemeister bist, und zeige uns dînen jagelist; nim dîne hunde unde var und schicke dine warte dar, dà si dich rehte dunken stân.» «nein, hérre, ezn mac sô niht ergán;» sprach aber der hövesche Trístán 3395 3400 3405 3410 3415 3420 3425 3393 ingesinde hier swm., Dienstmann. — 3395 vgl. 3241 fg. — 3405 ellip- tisch = cc tete. 3414 geriten part. adj. = beritten, mit einem Rosse versehen; hier wegen wart mehr wirkliches Participium, gewöhnlich was. — 3419 jage- merster (hier nicht jägermeister), Jagdmeister im Wortspiel mit jagelist. — 3422 warte stf., hier und im Folgenden Jägerausdruck: in V. 3427 eigent- liche Bedeutung, hier übertragen: die zur warte gehorige Mannschaft; darum im folgenden Verse in naturlicher Construction der Plural. —
VI. DER JUNGE KUNSTLER. 123 (87) sus was Tristan der guote des küneges ingesinde dô. der sach in gerne und was sin frô, wan in truoc ouch sin herze dar, und nam sîn gerne und ofte war, wan er was z'allen ziten höfschlîche an siner siten und truog in sinen dienest an als ofte, als er sin state gewan. swâ Marke was od swar er gie, dâ was Tristan der ander ie, und nam daz Marke wol vür guot: er truog im harte holden muot, und tete im wol, swenn’ er in sach. In den dingen ez geschach: innerhalp den ahte tagen reit Marke selbe mit im jagen und hovegesindes vil dá mite, schouwen sînen jagesite und sîner künste nemen war. nu hiez im Marke bringen dar sîn jagephärt und gap im daz. Tristan wart nie geriten baz. wan ez was starc, schoen’ unde snel ein hornelîn süez' unde hel hiez er im geben an sine hant. « Tristan", sprach er «nu wis gemant. daz dû mîn jagemeister bist, und zeige uns dînen jagelist; nim dîne hunde unde var und schicke dine warte dar, dà si dich rehte dunken stân.» «nein, hérre, ezn mac sô niht ergán;» sprach aber der hövesche Trístán 3395 3400 3405 3410 3415 3420 3425 3393 ingesinde hier swm., Dienstmann. — 3395 vgl. 3241 fg. — 3405 ellip- tisch = cc tete. 3414 geriten part. adj. = beritten, mit einem Rosse versehen; hier wegen wart mehr wirkliches Participium, gewöhnlich was. — 3419 jage- merster (hier nicht jägermeister), Jagdmeister im Wortspiel mit jagelist. — 3422 warte stf., hier und im Folgenden Jägerausdruck: in V. 3427 eigent- liche Bedeutung, hier übertragen: die zur warte gehorige Mannschaft; darum im folgenden Verse in naturlicher Construction der Plural. —
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124 VI. DER JUNGE KANSTLER. «heizèt die jägere kêren dan, die suln die warte sâzen und suln von ruore lâzen: die erkénnent hie ze lande sich und wizzent michel baz dan ich, wâ der hirz hin ziuhet und vor den hunden fliuhet; die erkénnent die gelegenheit. sô bin ich, der hie nie gereit, und bin mitalle ein fremede kneht.» «daz weiz got, Tristan, du hâst reht: dune kánst dich hier an niht bewarn. die jägere müezen selbe varn (88) und sich verrihten under in.» 3430 3435 Hie mite kêrten die jägere hin und kuppelten ir hunde und stalten an der stunde ir warte, als si wol wisten wà, und liezen z'einem hirze sà und jageten den ze strîte unz gein der âbentzîte; do erliefen in die hunde. und an der selben stunde kom Marke und sîn Trístán und mit in zwein manc hoveman gerant ze dem gevelle. dâ wart grôz horngeschelle in maneger slahte dône: 344 3430 3440 3426 kêren dan, sich von dannen wenden (vgl. V. 356. 468), dann ub r- haupt: gehen. — 3427 warte, hier: der Anstand, der Hinterhalt, wo das aufgespürte und gejagte Wild in die Schußlinie kommen soll. — sâzen swv. mit acc., besetzen. — 3428 ruore stf., ebenfalls Jagerausdruck, viel besprochen und bestritten (vgl. Zarncke im mhd. Wb. I1. 1, 816, wo Ver- weis auf die einzelnen Schriften). Wie bei allen Kunstausdrücken die ursprüngliche Bedentung zum Theil oder ganz verwischt und vergessen wird und je nach den Umständen die verschiedensten Bedeutungen mög- lich sind (erinnert sei an warte und curie), so auch bei ruore. Hier ruort die Koppel. von r. làzen elliptisch: (die Hunde) von der Koppel lassen; vgl. 3444 und zu 17294. — 3433 gelegenheit stf., Lage (eigentl. wie hier Ortsbeschaffenheit, und übertragen: Beschaffenheit, Umstände). — 3437 be- warn refl., hier: sich vorsehen, Fürsorge zeigen, dem Sinne (nicht dem Wortlaute) nach: sich bewähren; vgl. Parzival VII, 1014. — 3439 verrihten refl., hier: sich einrichten, die nöthigen Anstalten treffen. 3442 stellen swv., hier: aufstellen. — 3444 doppelt elliptisch: sie ließsen (die Hunde) auf einen Hirsch (los zum Verfolgen); Gr. 4, 133. 641. vgl. 3428 und zu 17294. — 3445 ze strîte = um die Wette. — 3447 erloufen stv. [wie erjagen], durch Laufen erreichen.
124 VI. DER JUNGE KANSTLER. «heizèt die jägere kêren dan, die suln die warte sâzen und suln von ruore lâzen: die erkénnent hie ze lande sich und wizzent michel baz dan ich, wâ der hirz hin ziuhet und vor den hunden fliuhet; die erkénnent die gelegenheit. sô bin ich, der hie nie gereit, und bin mitalle ein fremede kneht.» «daz weiz got, Tristan, du hâst reht: dune kánst dich hier an niht bewarn. die jägere müezen selbe varn (88) und sich verrihten under in.» 3430 3435 Hie mite kêrten die jägere hin und kuppelten ir hunde und stalten an der stunde ir warte, als si wol wisten wà, und liezen z'einem hirze sà und jageten den ze strîte unz gein der âbentzîte; do erliefen in die hunde. und an der selben stunde kom Marke und sîn Trístán und mit in zwein manc hoveman gerant ze dem gevelle. dâ wart grôz horngeschelle in maneger slahte dône: 344 3430 3440 3426 kêren dan, sich von dannen wenden (vgl. V. 356. 468), dann ub r- haupt: gehen. — 3427 warte, hier: der Anstand, der Hinterhalt, wo das aufgespürte und gejagte Wild in die Schußlinie kommen soll. — sâzen swv. mit acc., besetzen. — 3428 ruore stf., ebenfalls Jagerausdruck, viel besprochen und bestritten (vgl. Zarncke im mhd. Wb. I1. 1, 816, wo Ver- weis auf die einzelnen Schriften). Wie bei allen Kunstausdrücken die ursprüngliche Bedentung zum Theil oder ganz verwischt und vergessen wird und je nach den Umständen die verschiedensten Bedeutungen mög- lich sind (erinnert sei an warte und curie), so auch bei ruore. Hier ruort die Koppel. von r. làzen elliptisch: (die Hunde) von der Koppel lassen; vgl. 3444 und zu 17294. — 3433 gelegenheit stf., Lage (eigentl. wie hier Ortsbeschaffenheit, und übertragen: Beschaffenheit, Umstände). — 3437 be- warn refl., hier: sich vorsehen, Fürsorge zeigen, dem Sinne (nicht dem Wortlaute) nach: sich bewähren; vgl. Parzival VII, 1014. — 3439 verrihten refl., hier: sich einrichten, die nöthigen Anstalten treffen. 3442 stellen swv., hier: aufstellen. — 3444 doppelt elliptisch: sie ließsen (die Hunde) auf einen Hirsch (los zum Verfolgen); Gr. 4, 133. 641. vgl. 3428 und zu 17294. — 3445 ze strîte = um die Wette. — 3447 erloufen stv. [wie erjagen], durch Laufen erreichen.
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VI. DER JUNGE KUNSTLER. 125 si hürneten sô schône, daz ez Marken sanfte tete und mit im manegem an der stete. 3455 (89) Nu sî den hirz gevalten, ir meister sî dar stalten Tristanden, den heinlîchen gast, und bâten, daz er sî den bast von ende z'ende lieze sehen. Tristan sprach: odaz sol geschehen!" und mit der rede bereite er sich. nu wæene ich wol und dunket mich, daz ez undurfte wære, ob ich iu zwir ein mæere nâch ein ander vür léite. reht' alse ich iu ê seite von jenem hirze, rehte alsô enbaste er aber disen dô. den bast und die furkîe, die kunst von der curîe, dô si den begunden sehen, si begúnden eines mundes jehen, daz niemen von dem liste niht bézzérs enwiste noch niemer kunde ervinden. der künec der hiez dô binden den hirz ûf unde kêrte dan, er und sîn jägere: Tristán und al sîn massenîe. mit gehürne und mit furkie riten si dô ze hûse wider. 3460 3465 3470 3475 3480 Als was der guote Tristan sider ein lieber hoveman under in. künec únde gesinde hæten in in gúotér geselleschaft. ouch was er alse dienesthaft 3485 3457 hier wieder plusquamperf.: gefällt hatten. — 3459 heinlich adj. hier mit gast zusammengestellt: vertraut, lieb geworden. — 3465 undurfte = Hs. M und H (wohl dat. von undurft), unnöthig; vgl. undursten 14804. 14954. — 3466 zwir adv., zweimal. — 3474 eines mundes = mit einem Munde, einstimmig; vgl. 4166. — 3482 gehürne stn., hier wohl nicht wie in V. 2985, sondern subst. zu hürnen (2770): Geblase, Hornschall. 3487 geselleschaft stf., freundschaftlicher Verkehr. —
VI. DER JUNGE KUNSTLER. 125 si hürneten sô schône, daz ez Marken sanfte tete und mit im manegem an der stete. 3455 (89) Nu sî den hirz gevalten, ir meister sî dar stalten Tristanden, den heinlîchen gast, und bâten, daz er sî den bast von ende z'ende lieze sehen. Tristan sprach: odaz sol geschehen!" und mit der rede bereite er sich. nu wæene ich wol und dunket mich, daz ez undurfte wære, ob ich iu zwir ein mæere nâch ein ander vür léite. reht' alse ich iu ê seite von jenem hirze, rehte alsô enbaste er aber disen dô. den bast und die furkîe, die kunst von der curîe, dô si den begunden sehen, si begúnden eines mundes jehen, daz niemen von dem liste niht bézzérs enwiste noch niemer kunde ervinden. der künec der hiez dô binden den hirz ûf unde kêrte dan, er und sîn jägere: Tristán und al sîn massenîe. mit gehürne und mit furkie riten si dô ze hûse wider. 3460 3465 3470 3475 3480 Als was der guote Tristan sider ein lieber hoveman under in. künec únde gesinde hæten in in gúotér geselleschaft. ouch was er alse dienesthaft 3485 3457 hier wieder plusquamperf.: gefällt hatten. — 3459 heinlich adj. hier mit gast zusammengestellt: vertraut, lieb geworden. — 3465 undurfte = Hs. M und H (wohl dat. von undurft), unnöthig; vgl. undursten 14804. 14954. — 3466 zwir adv., zweimal. — 3474 eines mundes = mit einem Munde, einstimmig; vgl. 4166. — 3482 gehürne stn., hier wohl nicht wie in V. 2985, sondern subst. zu hürnen (2770): Geblase, Hornschall. 3487 geselleschaft stf., freundschaftlicher Verkehr. —
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126 VI. DER JUNGE KÜNSTLER. dem armen unde dem rîchen: möht’ er ir iegelichen ûf sîner hant getragen hân, daz hæte er gérné getân. die sælde hæte im got gegeben, er kunde und wolte in allen leben lachen, tanzen, singen, rîten, loufen, springen, zuhten unde schallen: daz kunde er mit in allen. er lebete, swie man wolte, und als diu jugent solte. swes ir dehéinér began, daz huob er iemer mit im an. 3490 3495 3500 Nu gefúogté sich daz, daz Marke an einem tage saz ein lützel nâch der ezzenzît, sô man doch kurzewile pflit, und losete sêre an einer stete einem léiche, den éin harphâre tete, ein meister sîner liste, der beste, den man wiste; der selbe was ein Gâlóis. nu kom Tristan der Parmenois und saz ze sînen füezen dar und nam sô flizeclîche war des leiches unde der süezen noten, 3505 3510 3515 3490 fg. hätte er tragen können; ebenso V. 3517. — 3493 sœlde stf., hier: Begabung; vgl. 2741. — 3497 zuhten swv. intrans., sich mit zuht beneh- men, fein und sittsam sein im Gegensatz zu schallen swv., lärmen (Hs. M liest iuhten; hat der Schreiber an ein Wort gedacht wie: jauchzen°); vgl. Bech im Zeitzer Osterprogramm 1868, S. XXIV. 3503 gefüegen, verst. füegen; hier sich gef. = nhd. sich fügen; vgl. zu 15795. — 3507 losen swv., lauschen, zuhören. — an einer stete, an einer Stelle, auch auf saz in V. 3504 zu beziehen oder = an der stete, so- gleich? oder will die Wendung besagen: in einem fort, mit gespannter Aufmerksamkeit? — 3508 leich stm. ist hier wie in V. 13325 ein In- strumental-Tonstück ohne Gesang (über leich s. Müller im mhd. Wb. I, 959, ferner Franz Pfeiffer's Vorbemerkung zum Leich Walther's von der Vogelweide in seiner Walther-Ausgabe). Im Tristan hat leich auch andere Bedeutung: s. insbesondere zu 3524. leich tuon [vgl. Spiel machen] = Leich spielen; vgl. 3607. 3610 und zu 526. 745. — 3511 Galois Fremdwort masc., 3512 Parmenois Fremdwort masc., Parmenier. — einer aus Wales. - 3515 note swf., nicht bloßs Tonzeichen, sondern auch der lebendige Aus- druck des Tones, der Ton selbst; die noten dann: die Melodie, der Satz; insbesondere scheint aus den Stellen, wo von noten und notelîn die Rede, hervorzugehen, daß im Gegensatz zu dôn und wîse das Wort vorzugsweise das Figurierte des Instrumentalspieles bezeichnen soll, die von der Me- lodie nicht gebotenen Verzierungen. —
126 VI. DER JUNGE KÜNSTLER. dem armen unde dem rîchen: möht’ er ir iegelichen ûf sîner hant getragen hân, daz hæte er gérné getân. die sælde hæte im got gegeben, er kunde und wolte in allen leben lachen, tanzen, singen, rîten, loufen, springen, zuhten unde schallen: daz kunde er mit in allen. er lebete, swie man wolte, und als diu jugent solte. swes ir dehéinér began, daz huob er iemer mit im an. 3490 3495 3500 Nu gefúogté sich daz, daz Marke an einem tage saz ein lützel nâch der ezzenzît, sô man doch kurzewile pflit, und losete sêre an einer stete einem léiche, den éin harphâre tete, ein meister sîner liste, der beste, den man wiste; der selbe was ein Gâlóis. nu kom Tristan der Parmenois und saz ze sînen füezen dar und nam sô flizeclîche war des leiches unde der süezen noten, 3505 3510 3515 3490 fg. hätte er tragen können; ebenso V. 3517. — 3493 sœlde stf., hier: Begabung; vgl. 2741. — 3497 zuhten swv. intrans., sich mit zuht beneh- men, fein und sittsam sein im Gegensatz zu schallen swv., lärmen (Hs. M liest iuhten; hat der Schreiber an ein Wort gedacht wie: jauchzen°); vgl. Bech im Zeitzer Osterprogramm 1868, S. XXIV. 3503 gefüegen, verst. füegen; hier sich gef. = nhd. sich fügen; vgl. zu 15795. — 3507 losen swv., lauschen, zuhören. — an einer stete, an einer Stelle, auch auf saz in V. 3504 zu beziehen oder = an der stete, so- gleich? oder will die Wendung besagen: in einem fort, mit gespannter Aufmerksamkeit? — 3508 leich stm. ist hier wie in V. 13325 ein In- strumental-Tonstück ohne Gesang (über leich s. Müller im mhd. Wb. I, 959, ferner Franz Pfeiffer's Vorbemerkung zum Leich Walther's von der Vogelweide in seiner Walther-Ausgabe). Im Tristan hat leich auch andere Bedeutung: s. insbesondere zu 3524. leich tuon [vgl. Spiel machen] = Leich spielen; vgl. 3607. 3610 und zu 526. 745. — 3511 Galois Fremdwort masc., 3512 Parmenois Fremdwort masc., Parmenier. — einer aus Wales. - 3515 note swf., nicht bloßs Tonzeichen, sondern auch der lebendige Aus- druck des Tones, der Ton selbst; die noten dann: die Melodie, der Satz; insbesondere scheint aus den Stellen, wo von noten und notelîn die Rede, hervorzugehen, daß im Gegensatz zu dôn und wîse das Wort vorzugsweise das Figurierte des Instrumentalspieles bezeichnen soll, die von der Me- lodie nicht gebotenen Verzierungen. —
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VI. DER JUNGE KUNSTLER. 127 waer' ez im an den lip geboten, ern möhte ez niht verswigen hân. sîn muot begunde im ûf gân. (90) sin herze daz wart muotes vol. «meistèr", sprach er «ir harphet wol : die noten sint rehte vür brâht senelîche und alse ir wart gedâht. die macheten Britûne von minem hêrn Gurûne und von sîner friundínne.» 3520 3525 Diz nam in sîne sinne der harphaer' und lost' allez dar, als er der rede niht næme war, unz er den leich volante. gein dem kinde er sich dô wante: « waz weistu", sprach er «liebez kint, von wannen dise noten sint? kanstu ihtes iht hier an?» r«jâ, schoener meister», sprach Tristan «ich hæte hie von meisterschaft ; nu hât ez aber sô kleine kraft, daz ich vor iu niht éngetar.» «nein, friunt, sê dise harphen dar, lâ hoeren, welher hande kan man in dînem lande?" «gebietet ir daz, meister mîn, und sól ez mit íurm urlóube sîn, daz ich iu harphe?» sprach Tristan. «jâ, trût geselle, sê, harph' an!» 3530 3535 3540 3516 hier im strengsten Sinne: bei Todesstrafe gebieten oder verbieten, sonst überhaupt: ernstlich gebieten; vgl. 1894. — 3517 verswîgen trans. s. zu 15495. — 3522 senelîche adv., innig; geht auf den guten Vortrag. — alse ir wart gedâht = (so) wie ihrer gedacht wurde, wie sie der Componist gewollt und vorgeschrieben hatte ; hier wird das correcte Spiel belobt. — 3524 hêrn hier gekürzt vor dem Namen = herren; mîn hér = monsieur, bei G. nicht häufig; vgl. 14282. — 3524 fg. zeigen, daßs der leich des Harfners die Melodie eines Gesangstückes, einer Ballade war. 3534 schœne adj., hier nicht in unserm Sinne: (ästhetisch) schön, auch wohl nicht = vornehm, als ehrendes Beiwort in der Anrede (mhd. Wb. II 2, 191), sondern, wie auch öfters das altfranz. bel: lieb. — 3535 kein Selbstlob : meisterschaft stf., hier wie in V. 3288: Kunstübung, Geschicklichkeit. — 3536 kleine kraft haben, poetische Wendung für: gering sein; vgl. arme (schwache) kr. 13972. — 3537 geturren anom. v., hier: wagen, sich getrauen. — 3538 sê ein Imper. von sehen, verschieden von sich, sieh, in der Bedeutung ecce, voilà, sieh da! da! hat also mehr die Geltung einer Interjection. Nach Pfeiffer zu Walther 66, 4 in der Schweiz noch jetzt als Lockruf gebraucht. sê — dar, da, nimm hin! — 3539 welher hande ohne Substantiv = welcherlei, was alles. — 3542 urloup stm., hier eigentliche Bedeutung: Erlaubniss.
VI. DER JUNGE KUNSTLER. 127 waer' ez im an den lip geboten, ern möhte ez niht verswigen hân. sîn muot begunde im ûf gân. (90) sin herze daz wart muotes vol. «meistèr", sprach er «ir harphet wol : die noten sint rehte vür brâht senelîche und alse ir wart gedâht. die macheten Britûne von minem hêrn Gurûne und von sîner friundínne.» 3520 3525 Diz nam in sîne sinne der harphaer' und lost' allez dar, als er der rede niht næme war, unz er den leich volante. gein dem kinde er sich dô wante: « waz weistu", sprach er «liebez kint, von wannen dise noten sint? kanstu ihtes iht hier an?» r«jâ, schoener meister», sprach Tristan «ich hæte hie von meisterschaft ; nu hât ez aber sô kleine kraft, daz ich vor iu niht éngetar.» «nein, friunt, sê dise harphen dar, lâ hoeren, welher hande kan man in dînem lande?" «gebietet ir daz, meister mîn, und sól ez mit íurm urlóube sîn, daz ich iu harphe?» sprach Tristan. «jâ, trût geselle, sê, harph' an!» 3530 3535 3540 3516 hier im strengsten Sinne: bei Todesstrafe gebieten oder verbieten, sonst überhaupt: ernstlich gebieten; vgl. 1894. — 3517 verswîgen trans. s. zu 15495. — 3522 senelîche adv., innig; geht auf den guten Vortrag. — alse ir wart gedâht = (so) wie ihrer gedacht wurde, wie sie der Componist gewollt und vorgeschrieben hatte ; hier wird das correcte Spiel belobt. — 3524 hêrn hier gekürzt vor dem Namen = herren; mîn hér = monsieur, bei G. nicht häufig; vgl. 14282. — 3524 fg. zeigen, daßs der leich des Harfners die Melodie eines Gesangstückes, einer Ballade war. 3534 schœne adj., hier nicht in unserm Sinne: (ästhetisch) schön, auch wohl nicht = vornehm, als ehrendes Beiwort in der Anrede (mhd. Wb. II 2, 191), sondern, wie auch öfters das altfranz. bel: lieb. — 3535 kein Selbstlob : meisterschaft stf., hier wie in V. 3288: Kunstübung, Geschicklichkeit. — 3536 kleine kraft haben, poetische Wendung für: gering sein; vgl. arme (schwache) kr. 13972. — 3537 geturren anom. v., hier: wagen, sich getrauen. — 3538 sê ein Imper. von sehen, verschieden von sich, sieh, in der Bedeutung ecce, voilà, sieh da! da! hat also mehr die Geltung einer Interjection. Nach Pfeiffer zu Walther 66, 4 in der Schweiz noch jetzt als Lockruf gebraucht. sê — dar, da, nimm hin! — 3539 welher hande ohne Substantiv = welcherlei, was alles. — 3542 urloup stm., hier eigentliche Bedeutung: Erlaubniss.
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128 VI. DER JUNGE KUNSTLER. 3545 (91) Als er die harphen dô genam, sînen hánden si vil wol gezam; die wâren, alse ich hân gelesen, daz sî niht schoener kunden wesen, weich unde linde, kleine, lanc und rehte alsam ein hárm blâne; mit den sô ruorte er unde sluoc ursuoche und notelîn genuoc seltsaene, süeze, guote. hie mite wart ime ze muote umbe sîne leiche von Britûn. sus nam er sînen pléctrûn, nagel únde seiten zôher, dise níder, jene hôher, rehte als er si wolte hân. nu diz was schieré getân: Tristan, der niuwe spileman, sin niuwez ambet huob er an mit flizeclichem ruoche. sîne nóten und sîne ursuoche, sîne séltsáne grüeze die harphte er alsô süeze und machete sî sô schone mit schonem seitgedoene, daz iegelîcher dar zuo lief, dirre jenem dar nâher rief. 3550 3555 3060 38 65 3570 3546 gezemen stv. mit dat., für etwas passen. — 3549 linde, häufig im Mhd. von der Weichheit und Zartheit der Haut und des Fleisches ge- braucht. — kleine adj., hier : fein, zart, zierlich. — lanc adj., langgestreckt, schlank, schmal; vgl. 10898. — 3550 harm stm., das großse Wiesel, Hermelin (statt Härmelein). — 3551 rüeren swv., harfen, mit Fingergriffen spielen; dagegen slahen das Spielen mit allen Fingern oder mit einem Instrumente. Beide Ausdrücke dann formelhaft (wie etwa: singen und sagen). — 3552 ur- suoche stf. (wenn nicht pl. von ursupch stm.), eigentlich: Untersuchung, Versuch; gemeint ist das übliche Präludieren zum Versuch des Instru- ments und der Stimmung. — 3553 seltswne adj., seltsam, wunderbar. — 3554 hie mite, während des Vorspiels. — mir wirt ze muote umbe . . . ich gedenke an ..., mir fällt etwas ein. — 3555 Britûn, zar ccozny König Artus. — 3556 plectrûn stm., Fremdwort, lat. plectrum, das bekannte Werk- zeug, der Griffel, um die Saiten zu schlagen. Zarncke fasst das Wort im mhd. Wörterbuche II 1, 523 in Beziehung auf die folgenden Zeilen nur als: Stimmschlüssel, Saitenzieher. Nach Diefenbach 441c hat plectrum allerdings vorzugsweise diese Bedeutung, daneben auch percussorium ci- thare, sogar werbel (Wirbel), unter andern auch rottenhamer, richthemertin u. s. W., also ähnlich wie unsere Stimmhämmer Schlüssel und Hämmer zu- gleich sind. — 3557 nagel pl. (selten negele), Stimmschrauben, Wirbel. — 3558 dise und jene auf seiten zu beziehen: die einen, die andern. — 3565 grüeze werden die Eingangssätze, das Anschlagen genannt; denselben Terminus weist Bech nach im J. Titurel 2512, 1. 3514, 1. — 3570 einem dar nâher ruofen = einem zuruſen, herbeizukommen. —
128 VI. DER JUNGE KUNSTLER. 3545 (91) Als er die harphen dô genam, sînen hánden si vil wol gezam; die wâren, alse ich hân gelesen, daz sî niht schoener kunden wesen, weich unde linde, kleine, lanc und rehte alsam ein hárm blâne; mit den sô ruorte er unde sluoc ursuoche und notelîn genuoc seltsaene, süeze, guote. hie mite wart ime ze muote umbe sîne leiche von Britûn. sus nam er sînen pléctrûn, nagel únde seiten zôher, dise níder, jene hôher, rehte als er si wolte hân. nu diz was schieré getân: Tristan, der niuwe spileman, sin niuwez ambet huob er an mit flizeclichem ruoche. sîne nóten und sîne ursuoche, sîne séltsáne grüeze die harphte er alsô süeze und machete sî sô schone mit schonem seitgedoene, daz iegelîcher dar zuo lief, dirre jenem dar nâher rief. 3550 3555 3060 38 65 3570 3546 gezemen stv. mit dat., für etwas passen. — 3549 linde, häufig im Mhd. von der Weichheit und Zartheit der Haut und des Fleisches ge- braucht. — kleine adj., hier : fein, zart, zierlich. — lanc adj., langgestreckt, schlank, schmal; vgl. 10898. — 3550 harm stm., das großse Wiesel, Hermelin (statt Härmelein). — 3551 rüeren swv., harfen, mit Fingergriffen spielen; dagegen slahen das Spielen mit allen Fingern oder mit einem Instrumente. Beide Ausdrücke dann formelhaft (wie etwa: singen und sagen). — 3552 ur- suoche stf. (wenn nicht pl. von ursupch stm.), eigentlich: Untersuchung, Versuch; gemeint ist das übliche Präludieren zum Versuch des Instru- ments und der Stimmung. — 3553 seltswne adj., seltsam, wunderbar. — 3554 hie mite, während des Vorspiels. — mir wirt ze muote umbe . . . ich gedenke an ..., mir fällt etwas ein. — 3555 Britûn, zar ccozny König Artus. — 3556 plectrûn stm., Fremdwort, lat. plectrum, das bekannte Werk- zeug, der Griffel, um die Saiten zu schlagen. Zarncke fasst das Wort im mhd. Wörterbuche II 1, 523 in Beziehung auf die folgenden Zeilen nur als: Stimmschlüssel, Saitenzieher. Nach Diefenbach 441c hat plectrum allerdings vorzugsweise diese Bedeutung, daneben auch percussorium ci- thare, sogar werbel (Wirbel), unter andern auch rottenhamer, richthemertin u. s. W., also ähnlich wie unsere Stimmhämmer Schlüssel und Hämmer zu- gleich sind. — 3557 nagel pl. (selten negele), Stimmschrauben, Wirbel. — 3558 dise und jene auf seiten zu beziehen: die einen, die andern. — 3565 grüeze werden die Eingangssätze, das Anschlagen genannt; denselben Terminus weist Bech nach im J. Titurel 2512, 1. 3514, 1. — 3570 einem dar nâher ruofen = einem zuruſen, herbeizukommen. —
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VI. DER JUNGE KÜNSTLER. 129 vil schiere kom diu hoveschar almeistec lóufénde dar und wânde niemer komen ze fruo. (92) Nu Marke der sach allez zuo und saz allez trahtende, sînen friunt Tristanden ahtende und wunderte in des sêre, daz er sô hövesche lêre und alse guote liste, die er an im selben wiste, alsô verhelen kunde. nu Tristan der begunde einen léich dâ lâzen klingen in von der vil stolzen friundîn Grâlándés des schoenen. do begúnde er suoze doenen und harphen sô ze prîse in britünscher wîse, daz maneger dâ stuont unde saz, der sîn selbes namen vergaz: da begúnden herze und ôren tumben unde tôren und ûz ir rehte wanken; dâ wúrdén gedanken in maneger wîse vür brâht. dâ wart vil ófté gedâht: «â, sælic sî der kóufmán, der ie sô höveschen sun gewan!» jâ sîne vinger wîze die giengen wol ze flîze walgende in den seiten. si begúnden doene breiten, daz der palas voller wart. 3580 3585 3590 3595 3600 3575 3573 niemer ze fruo, nicht bald genug. 3585 s. Namenverzeichniss. — 3586 dœnen swv., Töne hervorbringen singen [nhd. tönen nur intrans. und nicht subjectiv = klingen]. — 3590 sín selbes namen (wie sîn selbes lîbes Gr. 4, 296) Umschreibung für: sich selbst. — 3592 tumben swv., tump, unverständig werden. — tôren swv., tôre, thö- richt werden. — 3593 rehte dat. von reht stn., hier: Art und Weise wie in V. 4541. 16984; oder vielleicht dat. von rehte stf. in der Bedeutung = rihte, gerade Richtung? oder wortspielend beides zusammen? — 3594 gedanken (:wanken) schw. Plural statt gedanke, von Vortheil für den Dichter. Diese dem Nhd. gleiche Nebenform vorzugsweise in mitteldeutschen Denk- mälern. — 3601 walgen swv. intrans., sich wälzen, « wühlen». Simrock; "wogen». Kurtz. — 3602 breiten swv., ausbreiten. — 3603 voller nicht compar., sondern starke Flexion; vgl. z. B. V. 3867. 10739. — GOTTFRIED VON STRASSBURG. I. 2. Aufl.
VI. DER JUNGE KÜNSTLER. 129 vil schiere kom diu hoveschar almeistec lóufénde dar und wânde niemer komen ze fruo. (92) Nu Marke der sach allez zuo und saz allez trahtende, sînen friunt Tristanden ahtende und wunderte in des sêre, daz er sô hövesche lêre und alse guote liste, die er an im selben wiste, alsô verhelen kunde. nu Tristan der begunde einen léich dâ lâzen klingen in von der vil stolzen friundîn Grâlándés des schoenen. do begúnde er suoze doenen und harphen sô ze prîse in britünscher wîse, daz maneger dâ stuont unde saz, der sîn selbes namen vergaz: da begúnden herze und ôren tumben unde tôren und ûz ir rehte wanken; dâ wúrdén gedanken in maneger wîse vür brâht. dâ wart vil ófté gedâht: «â, sælic sî der kóufmán, der ie sô höveschen sun gewan!» jâ sîne vinger wîze die giengen wol ze flîze walgende in den seiten. si begúnden doene breiten, daz der palas voller wart. 3580 3585 3590 3595 3600 3575 3573 niemer ze fruo, nicht bald genug. 3585 s. Namenverzeichniss. — 3586 dœnen swv., Töne hervorbringen singen [nhd. tönen nur intrans. und nicht subjectiv = klingen]. — 3590 sín selbes namen (wie sîn selbes lîbes Gr. 4, 296) Umschreibung für: sich selbst. — 3592 tumben swv., tump, unverständig werden. — tôren swv., tôre, thö- richt werden. — 3593 rehte dat. von reht stn., hier: Art und Weise wie in V. 4541. 16984; oder vielleicht dat. von rehte stf. in der Bedeutung = rihte, gerade Richtung? oder wortspielend beides zusammen? — 3594 gedanken (:wanken) schw. Plural statt gedanke, von Vortheil für den Dichter. Diese dem Nhd. gleiche Nebenform vorzugsweise in mitteldeutschen Denk- mälern. — 3601 walgen swv. intrans., sich wälzen, « wühlen». Simrock; "wogen». Kurtz. — 3602 breiten swv., ausbreiten. — 3603 voller nicht compar., sondern starke Flexion; vgl. z. B. V. 3867. 10739. — GOTTFRIED VON STRASSBURG. I. 2. Aufl.
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130 VI. DER JUNGE KÜNSTLER. dane wárt ouch ougen niht gespart, der kaphete vil manegez dar und nâmen sîner hende war. Nu dirre leich der was getân: nu hiez der guote künec dar gân und sprach, daz man in bæte, daz er noch einen tæete. «mů voluntiers!» sprach Trístán. rîlîche huob er aber an einen sénelîchen leich als ê de la cûrtoise Tíspê von der álten Bâbilône. den harphete er sô schône und gie den noten sô rehte mite nâch rehte meisterlîchem site, daz es den harphær wunder nam; und alse ez ie ze staten kam, sô lie der tugenderîche suoz' unde wunneclîche sîne schánzûne fliegen în: or sanc diu léichnótelîn britünsche únd gâlóise, latînsche únd franzóise sô suoze mit dem munde, daz niemen wizzen kunde wederz süezer waere oder baz lobebære, sîn harphen oder sîn singen. sich huop von sînen dingen und von sîner fuoge rede unde zal genuoge: si jâhen al gelîche, sin' vernâémen in dem rîche 3610 3615 3620 3625 3630 3605 3635 3604 sparen swv. in der Bedeutung: unterlassen öfters in solchen passi- vischen Wendungen: da wurde nicht unterlassen, Blicke zu werfen, da fehlte es nicht an Blicken. — 3605 kaphen swy. = gaffen (aber ohne tadeln- den Nebensinn), überhaupt: eifrig auf etwas schauen. 3611 mû = mou, moult, lat. multum, viel, sehr. — voluntiers = neufranz. volontiers. — 3615 aus dem alten Babylon. — 3623 der Leich bestand also abwechselnd aus reinem Instrumentalsatz und aus Gesang mit Begleitung. — 3625 gâlois hier adj., walisisch. — 3626 franzois (aus franziscus oder noch wahrscheinlicher aus franciensis) adj., französisch [dies eigentlich ein doppeltes Adjectiv]. — 3629 wederz neutr. von weder pron. interr., welcher von beiden. — 3633 fuoge stf., hier: Geschicklichkeit, Kunst. — 3634 zal stf., Erzählung, Erwähnung, Gespräch. —
130 VI. DER JUNGE KÜNSTLER. dane wárt ouch ougen niht gespart, der kaphete vil manegez dar und nâmen sîner hende war. Nu dirre leich der was getân: nu hiez der guote künec dar gân und sprach, daz man in bæte, daz er noch einen tæete. «mů voluntiers!» sprach Trístán. rîlîche huob er aber an einen sénelîchen leich als ê de la cûrtoise Tíspê von der álten Bâbilône. den harphete er sô schône und gie den noten sô rehte mite nâch rehte meisterlîchem site, daz es den harphær wunder nam; und alse ez ie ze staten kam, sô lie der tugenderîche suoz' unde wunneclîche sîne schánzûne fliegen în: or sanc diu léichnótelîn britünsche únd gâlóise, latînsche únd franzóise sô suoze mit dem munde, daz niemen wizzen kunde wederz süezer waere oder baz lobebære, sîn harphen oder sîn singen. sich huop von sînen dingen und von sîner fuoge rede unde zal genuoge: si jâhen al gelîche, sin' vernâémen in dem rîche 3610 3615 3620 3625 3630 3605 3635 3604 sparen swv. in der Bedeutung: unterlassen öfters in solchen passi- vischen Wendungen: da wurde nicht unterlassen, Blicke zu werfen, da fehlte es nicht an Blicken. — 3605 kaphen swy. = gaffen (aber ohne tadeln- den Nebensinn), überhaupt: eifrig auf etwas schauen. 3611 mû = mou, moult, lat. multum, viel, sehr. — voluntiers = neufranz. volontiers. — 3615 aus dem alten Babylon. — 3623 der Leich bestand also abwechselnd aus reinem Instrumentalsatz und aus Gesang mit Begleitung. — 3625 gâlois hier adj., walisisch. — 3626 franzois (aus franziscus oder noch wahrscheinlicher aus franciensis) adj., französisch [dies eigentlich ein doppeltes Adjectiv]. — 3629 wederz neutr. von weder pron. interr., welcher von beiden. — 3633 fuoge stf., hier: Geschicklichkeit, Kunst. — 3634 zal stf., Erzählung, Erwähnung, Gespräch. —
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VI. DER JUNGE KÜNSTLER. 131 (93) an einem man die fuoge nie. der sprach dort und dirre hie: «â, waz ist diz von kinde? waz hân wir ze gesinde? ez ist allez umbe den wint, elliu diu kint, diu nu sint, wider únserm Tristánde.» 3640 Tristan dô der verande sinen leich nâch sîner ger, Marke sprach: «Tristan, gâ her: der dich dâ hât gelêret, der si vor gote geêret und dû mit ime! daz ist vil wol. dine léiche ich gerne hoeren sol underwilen wider naht, sô dû doch niht geslâfen maht. diz tuostu wol mir unde dir.» jâ, herre, wol.» «nu sage mir, kanst dû kein ander seitspil noch?» nein, hêrre» sprach er. «nû iedoch, reht' alse lieb als ich dir sî, Tristan, dâ frâge ich dich es bî.» «hêrrè,» sprach Tristan al zehant irn dorftet mich niht hân gemant sô verre, ich seite ez iu doch wol, sit ich ez iu doch sagen sol und ir ez wellet wizzen: hêrre, ich hân geflizzen an iegelîchem seitespil, und enkán doch keines alse vil, i'ne kúnde es gerne mêre. 3650 3655 3660 3665 3645 2639 con kinde stelt für den Gen.: waz kindes ist diz, was für ein Kind ist dies; s. zu 756. — 3640 gesinde stn., hier in ursprünglicher Bedeutung: Ge- sellschaft, oder gesinde dat. von gesint stm., Genosse? — 3641 umbe den wint, um Nichts, soviel wie Nichts; ähnliche Wendungen bei Gottfried sind: umbe ein loup 16088, umbe ein glasîn vingerlin 16874; vgl. zu 8673. 3644 verenden swv. trans. = beenden; vgl. 8352. — 3651 wider naht, gegen Abend. — 3652 geslâfen stv., verst. slafen, einschlafen. — 3657 wir sagen : wenn ich dir lieb bin, im Vertrauen auf deine Zuneigung. — 3658 da vielleicht nicht zu bî gehörig, sondern das satzbeginnende dâ? vgl. zu 3971. — bi frâgen mit acc. und gen., einen um etwas befragen, bei einem Nach- frage halten über etwas, seltene Wendung [auch befrâgen in älterer Zeit ungemein selten]. Eher dâ bî mit Bezug auf V. 3557: unter der Voraus- setzung (daſs ich dir lieb bin; bei deiner Liebe). — 3664 flîzen stv. hier nicht reflexiv, aber dieselbe Bedeutung: sich bemühen ; an, um. — 3667 dafs ich es nicht gerne noch besser verstünde. — 9 k
VI. DER JUNGE KÜNSTLER. 131 (93) an einem man die fuoge nie. der sprach dort und dirre hie: «â, waz ist diz von kinde? waz hân wir ze gesinde? ez ist allez umbe den wint, elliu diu kint, diu nu sint, wider únserm Tristánde.» 3640 Tristan dô der verande sinen leich nâch sîner ger, Marke sprach: «Tristan, gâ her: der dich dâ hât gelêret, der si vor gote geêret und dû mit ime! daz ist vil wol. dine léiche ich gerne hoeren sol underwilen wider naht, sô dû doch niht geslâfen maht. diz tuostu wol mir unde dir.» jâ, herre, wol.» «nu sage mir, kanst dû kein ander seitspil noch?» nein, hêrre» sprach er. «nû iedoch, reht' alse lieb als ich dir sî, Tristan, dâ frâge ich dich es bî.» «hêrrè,» sprach Tristan al zehant irn dorftet mich niht hân gemant sô verre, ich seite ez iu doch wol, sit ich ez iu doch sagen sol und ir ez wellet wizzen: hêrre, ich hân geflizzen an iegelîchem seitespil, und enkán doch keines alse vil, i'ne kúnde es gerne mêre. 3650 3655 3660 3665 3645 2639 con kinde stelt für den Gen.: waz kindes ist diz, was für ein Kind ist dies; s. zu 756. — 3640 gesinde stn., hier in ursprünglicher Bedeutung: Ge- sellschaft, oder gesinde dat. von gesint stm., Genosse? — 3641 umbe den wint, um Nichts, soviel wie Nichts; ähnliche Wendungen bei Gottfried sind: umbe ein loup 16088, umbe ein glasîn vingerlin 16874; vgl. zu 8673. 3644 verenden swv. trans. = beenden; vgl. 8352. — 3651 wider naht, gegen Abend. — 3652 geslâfen stv., verst. slafen, einschlafen. — 3657 wir sagen : wenn ich dir lieb bin, im Vertrauen auf deine Zuneigung. — 3658 da vielleicht nicht zu bî gehörig, sondern das satzbeginnende dâ? vgl. zu 3971. — bi frâgen mit acc. und gen., einen um etwas befragen, bei einem Nach- frage halten über etwas, seltene Wendung [auch befrâgen in älterer Zeit ungemein selten]. Eher dâ bî mit Bezug auf V. 3557: unter der Voraus- setzung (daſs ich dir lieb bin; bei deiner Liebe). — 3664 flîzen stv. hier nicht reflexiv, aber dieselbe Bedeutung: sich bemühen ; an, um. — 3667 dafs ich es nicht gerne noch besser verstünde. — 9 k
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132 VI. DER JUNGE KÜNSTLER. (94) ouch hân ich dise lêre niht vil manegen tac getriben, und zwâre ich bin derbî beliben under mâlen kûme siben jar oder lützel mêre, daz ist wâr. mich lêrten Parmenîen videln únde symphonîen; harphen unde rotten daz lêrten mich Gâlotten, zwêne méister Gâlóise. mich lêrten Britûnoise, die wâren ûz der stat von Lût, rehte lîren únde sámbiût.» «sambiût, waz ist daz, lieber man?" «daz beste seitspil, daz ich kan.» «seht», sprach daz gesinde «got der hât disem kinde ûf rehte wunneclîchez leben sînèr genâden vil gegeben.» 3670 3675 3680 3685 Marke der frâgte in aber dô mé: «Tristan, ich hôrte dich doch ê britunisch singen und gâlois, guot latîne und franzois: kanst dú die sprâche?" «hêrre, já, billîche wol." nu kom iesâ der hûfe dar gedrungen; und swer iht fremeder zungen von den bîlanden kunde, der versúochte in sâ zestunde: dirre sus und jener sô. 2690 3695 3671 under malen (underwilen ist adverbialer) = mitunter, bisweilen, kann. hier nur die Bedeutung haben: zwischen hindurch, mit Unterbrechung. — 3673 Parmenîe swm. = Parmenois, Parmenier. — 3674 symphonîen swv., auf der symphonîe, einem musikalischen Instrumente, spielen; es wird eine Art des Geigenspiels gemeint sein. — 3675 rotten swv., auf der rotte (s. zu 13123) spielen. — 3676 Gâlotte swm. = Galois, Waliser; vgl. 16276 fg. — 3678 Britûnois adj. subst. stm. = Britůn, Bretone. — 3680 lîren swv., die lîre (s. zu 7995) spielen. — sambiût (Geschlecht?) Fremdwort, franz. sam- buque, lat. sambuca, ein Saiteninstrument und Saitenspiel, wohl eine Art Harfe. — 3685 иf præp., für. 3690 latîne ist subst. stf., Latein (aus latina sc. lingua) wie in V. 11953. Die vorhergehenden Worte wie das folgende sind auch substantivisch zu fassen, nicht adverbial, wie wir sagen: Deutsch, das Deutsche. — 3691 sprâche plur. — 3692 billiche adv., hier: ziemlich. b. wol, ziemlich gut, so ziem- lich. —
132 VI. DER JUNGE KÜNSTLER. (94) ouch hân ich dise lêre niht vil manegen tac getriben, und zwâre ich bin derbî beliben under mâlen kûme siben jar oder lützel mêre, daz ist wâr. mich lêrten Parmenîen videln únde symphonîen; harphen unde rotten daz lêrten mich Gâlotten, zwêne méister Gâlóise. mich lêrten Britûnoise, die wâren ûz der stat von Lût, rehte lîren únde sámbiût.» «sambiût, waz ist daz, lieber man?" «daz beste seitspil, daz ich kan.» «seht», sprach daz gesinde «got der hât disem kinde ûf rehte wunneclîchez leben sînèr genâden vil gegeben.» 3670 3675 3680 3685 Marke der frâgte in aber dô mé: «Tristan, ich hôrte dich doch ê britunisch singen und gâlois, guot latîne und franzois: kanst dú die sprâche?" «hêrre, já, billîche wol." nu kom iesâ der hûfe dar gedrungen; und swer iht fremeder zungen von den bîlanden kunde, der versúochte in sâ zestunde: dirre sus und jener sô. 2690 3695 3671 under malen (underwilen ist adverbialer) = mitunter, bisweilen, kann. hier nur die Bedeutung haben: zwischen hindurch, mit Unterbrechung. — 3673 Parmenîe swm. = Parmenois, Parmenier. — 3674 symphonîen swv., auf der symphonîe, einem musikalischen Instrumente, spielen; es wird eine Art des Geigenspiels gemeint sein. — 3675 rotten swv., auf der rotte (s. zu 13123) spielen. — 3676 Gâlotte swm. = Galois, Waliser; vgl. 16276 fg. — 3678 Britûnois adj. subst. stm. = Britůn, Bretone. — 3680 lîren swv., die lîre (s. zu 7995) spielen. — sambiût (Geschlecht?) Fremdwort, franz. sam- buque, lat. sambuca, ein Saiteninstrument und Saitenspiel, wohl eine Art Harfe. — 3685 иf præp., für. 3690 latîne ist subst. stf., Latein (aus latina sc. lingua) wie in V. 11953. Die vorhergehenden Worte wie das folgende sind auch substantivisch zu fassen, nicht adverbial, wie wir sagen: Deutsch, das Deutsche. — 3691 sprâche plur. — 3692 billiche adv., hier: ziemlich. b. wol, ziemlich gut, so ziem- lich. —
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VI. DER JUNGE KÜNSTLER. 133 hier under ántwúrte er dô hofslîche ir aller mæren : Norwagen, Irlandæren, Alamânjen, Schotten unde Tenen. da begúnde sich manc herze senen nâch Tristandes fuoge. dâ wóltén genuoge vil gerne sîn gewesen als er. im sprach vil maneges herzen ger suoz' unde minneclîchen zuo: â Tristan, wære ich alse duo ! Tristan, dů maht gerne leben: Tristán, dir ist der wunsch gegeben allèr der fuoge, die kein man ze dirre werlde gehaben kan.» ouch macheten sî hier under mit rede michel wunder : «hôrâ!» sprach dirre «hôrâ!» sprach der «elliu diu werlt diu hoere her : ein vierzéhenjarec kint kan al die liste, die nu sint!» 3700 3705 3710 3715 Der künec sprach «Tristan, hoere her: an dir ist allez, des ich ger; du kanst allez, daz ich wil: jagen, sprâche, seitespil. nu suln ouch wir gesellen sîn, dû der mîn und ich der dîn. tages sô suln wir rîten jagen, des nahtes uns hie heime tragen mit höveschlîchen dingen: harphen, videlen, singen, daz kanstu wol, daz tuo du mir: sô kan ich spil, daz tuon ich dir; des ouch dîn herze lîhte gert, schoeniu kleider unde pfert, 3720 3725 3730 (95) 3701 Alamanje swm., Deutscher. — 3710 wunsch stm., das Höchste, die gröfte Meisterschaft; vgl. 4696. — 3715 hóra = heera imper. mit der ver- stärkenden Partikel â; vgl. Gr. 3, 290. Zingerle in Pf. Germania 7, 257. 3723 ouch zu gesellen. — 3725 tages adv. gen. = des Tags [wie nachts]. — 3726 hie heime adv., daheim. — tragen stv. refl. mit etew., sich mit etwas beschäftigen. — 3730 der König macht einen Scherz mit den Worten spil und spilen (3734), er fasst sie im Gegensatze zu dem musikalischen Špiele Tristan's allgemeiner: Unterhaltung, Ergötzung ; und Unterhaltungbieten.—
VI. DER JUNGE KÜNSTLER. 133 hier under ántwúrte er dô hofslîche ir aller mæren : Norwagen, Irlandæren, Alamânjen, Schotten unde Tenen. da begúnde sich manc herze senen nâch Tristandes fuoge. dâ wóltén genuoge vil gerne sîn gewesen als er. im sprach vil maneges herzen ger suoz' unde minneclîchen zuo: â Tristan, wære ich alse duo ! Tristan, dů maht gerne leben: Tristán, dir ist der wunsch gegeben allèr der fuoge, die kein man ze dirre werlde gehaben kan.» ouch macheten sî hier under mit rede michel wunder : «hôrâ!» sprach dirre «hôrâ!» sprach der «elliu diu werlt diu hoere her : ein vierzéhenjarec kint kan al die liste, die nu sint!» 3700 3705 3710 3715 Der künec sprach «Tristan, hoere her: an dir ist allez, des ich ger; du kanst allez, daz ich wil: jagen, sprâche, seitespil. nu suln ouch wir gesellen sîn, dû der mîn und ich der dîn. tages sô suln wir rîten jagen, des nahtes uns hie heime tragen mit höveschlîchen dingen: harphen, videlen, singen, daz kanstu wol, daz tuo du mir: sô kan ich spil, daz tuon ich dir; des ouch dîn herze lîhte gert, schoeniu kleider unde pfert, 3720 3725 3730 (95) 3701 Alamanje swm., Deutscher. — 3710 wunsch stm., das Höchste, die gröfte Meisterschaft; vgl. 4696. — 3715 hóra = heera imper. mit der ver- stärkenden Partikel â; vgl. Gr. 3, 290. Zingerle in Pf. Germania 7, 257. 3723 ouch zu gesellen. — 3725 tages adv. gen. = des Tags [wie nachts]. — 3726 hie heime adv., daheim. — tragen stv. refl. mit etew., sich mit etwas beschäftigen. — 3730 der König macht einen Scherz mit den Worten spil und spilen (3734), er fasst sie im Gegensatze zu dem musikalischen Špiele Tristan's allgemeiner: Unterhaltung, Ergötzung ; und Unterhaltungbieten.—
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134 VI. DER JUNGE KÜNSTLER. der gibe ich dir, swie vil du wilt: dâ mite hân ich dir wol gespilt. sich, min swert und mîne sporn, mîn armbrust und mîn guldin horn, geselle, daz bevilhe ich dir: des underwint dich, des pflic mir und wis du hövisch unde frô! 3735 3740 Sus was der éllénde dó da ze hóve ein trût gesinde. ezn gesách nie man von kinde die sælde, die man an im sach: swaz er getete, swaz er gesprach, daz dûhte und was ouch alse guot, daz ime diu werlt holden muot und inneclîchez herze truoc. hie mite si der rede genuoc. wir suln diz mare legen nider und grîfen aber an jenez wider, sîn vater, der marschale dan Rûal li foitenant et li lêal, waz der nâch ime getæte, dô ér in verlóren hæte. 3745 3750 3738 pflegen stv. mit dat. der Person, gen. der Sache, hier etwas anders als in V. 1932: sich für einen eine Sache angelegen sein lassen. 3749 nider legen [vgl. nhd. niederschlagen] gebraucht Gottfried neben hin l. ofters im Sinne von: bei Seite legen, aufgeben, auf sich beruhen lassen; vgl. 9743. 15023 und zu 4410. 9604. — 3750 grîfen an . .. öfters ge- sagt von more, liet = unserm : aufnehmen ; steht auch elliptisch z. B. 7235. — 3751 dan Fremdwort, dominus, neuspanisch Don. — 3753 nâch præp., eigentlich : hinter her [wie bei senden, suchen auch nâch steht] ; nur durch Umschreibung zu geben: was der, um nach ihm zu suchen, unternahm.
134 VI. DER JUNGE KÜNSTLER. der gibe ich dir, swie vil du wilt: dâ mite hân ich dir wol gespilt. sich, min swert und mîne sporn, mîn armbrust und mîn guldin horn, geselle, daz bevilhe ich dir: des underwint dich, des pflic mir und wis du hövisch unde frô! 3735 3740 Sus was der éllénde dó da ze hóve ein trût gesinde. ezn gesách nie man von kinde die sælde, die man an im sach: swaz er getete, swaz er gesprach, daz dûhte und was ouch alse guot, daz ime diu werlt holden muot und inneclîchez herze truoc. hie mite si der rede genuoc. wir suln diz mare legen nider und grîfen aber an jenez wider, sîn vater, der marschale dan Rûal li foitenant et li lêal, waz der nâch ime getæte, dô ér in verlóren hæte. 3745 3750 3738 pflegen stv. mit dat. der Person, gen. der Sache, hier etwas anders als in V. 1932: sich für einen eine Sache angelegen sein lassen. 3749 nider legen [vgl. nhd. niederschlagen] gebraucht Gottfried neben hin l. ofters im Sinne von: bei Seite legen, aufgeben, auf sich beruhen lassen; vgl. 9743. 15023 und zu 4410. 9604. — 3750 grîfen an . .. öfters ge- sagt von more, liet = unserm : aufnehmen ; steht auch elliptisch z. B. 7235. — 3751 dan Fremdwort, dominus, neuspanisch Don. — 3753 nâch præp., eigentlich : hinter her [wie bei senden, suchen auch nâch steht] ; nur durch Umschreibung zu geben: was der, um nach ihm zu suchen, unternahm.
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VII. WIEDERSEHEN. Rual li Foitenant begibt sich auf die Reise, um nach dem verlorenen Tristan zu suchen. Er verarmt, geht zu Fußse und muss sein Brot erbet- teln. Im vierten Jahre seiner Wanderung begegnet er in Dänemark jenen beiden Pilgern und wird von ihnen auf Tristan's Spur geleitet. Er fährt nach Kurnewal, und in Tintajoel findet er den Ersehnten, der seinen Vater mit herzlicher Freude begrüßt und ihn trotz seines ärmlichen Ge- wandes und übeln Aussehens vor den König führt. Dieser heißt den vermeintlichen Kaufmann als den Vater seines jungen Freundes will- kommen. Rual wird gebadet und neu gekleidet, und speist an des Königs Tische. Nach dem Essen erzählt er mit Rührung und unter schmerzlicher Theilnahme Marke’s und der Ritterschaft seine Fahrt und die Geschichte Tristan's und seiner unglücklichen Altern. Tristan ist die neue Kunde, dafs er nicht der Sohn Rual's sei, nicht erfreulich zu hören. Marke er- klärt, seinem Neffen Erbvater sein zu wollen, und Rual räth, Tristan möge sich von seinem Oheim zum Ritter machen lassen. 3755 (96) Dan Rûal li foitenant der schiffete über mer zehant mit míchélem guote, wan ime was wol ze muote, ern wolte niemer wider komen, ern hæte etewaz vernomen endeclîcher mære, wâ sîn junchêrre wære, und stiez ze Nórwage zuo. dâ vorschte er spâte unde fruo in állém dem lande nâch sînem friunt Tristande. 3760 3765 3761 endeclîch adj., zum Ziel führend, vollständig, sicher. — 3763 zuo — stôren, anlanden.
VII. WIEDERSEHEN. Rual li Foitenant begibt sich auf die Reise, um nach dem verlorenen Tristan zu suchen. Er verarmt, geht zu Fußse und muss sein Brot erbet- teln. Im vierten Jahre seiner Wanderung begegnet er in Dänemark jenen beiden Pilgern und wird von ihnen auf Tristan's Spur geleitet. Er fährt nach Kurnewal, und in Tintajoel findet er den Ersehnten, der seinen Vater mit herzlicher Freude begrüßt und ihn trotz seines ärmlichen Ge- wandes und übeln Aussehens vor den König führt. Dieser heißt den vermeintlichen Kaufmann als den Vater seines jungen Freundes will- kommen. Rual wird gebadet und neu gekleidet, und speist an des Königs Tische. Nach dem Essen erzählt er mit Rührung und unter schmerzlicher Theilnahme Marke’s und der Ritterschaft seine Fahrt und die Geschichte Tristan's und seiner unglücklichen Altern. Tristan ist die neue Kunde, dafs er nicht der Sohn Rual's sei, nicht erfreulich zu hören. Marke er- klärt, seinem Neffen Erbvater sein zu wollen, und Rual räth, Tristan möge sich von seinem Oheim zum Ritter machen lassen. 3755 (96) Dan Rûal li foitenant der schiffete über mer zehant mit míchélem guote, wan ime was wol ze muote, ern wolte niemer wider komen, ern hæte etewaz vernomen endeclîcher mære, wâ sîn junchêrre wære, und stiez ze Nórwage zuo. dâ vorschte er spâte unde fruo in állém dem lande nâch sînem friunt Tristande. 3760 3765 3761 endeclîch adj., zum Ziel führend, vollständig, sicher. — 3763 zuo — stôren, anlanden.
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136 VII. WIEDERSEHEN. waz half in daz? ern was dâ niht : al sîn suochen was ein wiht. und alse er sîn dâ niht envant, dô kêrte er wider Irlánt. seht, dâne kunde er iht mê von ime ervorschen danne als ê. hie mite begunde er an der habe sô swachen und sô nemen abe, daz er sich nider ze fuoze liez und sîniu phärt verkoufen hiez und mit dem guote sande sîne liute wider ze lande. sich selben liez er in der nôt, wan er gie betelen umbe brôt und treip daz stæteclîche von rîché ze rîche von lándé ze lande, vorschende nâch Tristande wol driu jâr oder mêre, biz daz er alsô sêre von sînes libes schoene kam und an der varwe als abe genam, swer in dâ vor hæte gesehen, dern hæte niemér gejehen, daz er ie hêrre würde. die schameliche bürde die truoc der werde dan Rûalt geliche alsam ein art ribalt, daz ime dehein sîn ármúot, als ez doch weizgot manegem tuot, sinen gúoten willen nie benam. 3770 3775 3780 3785 3790 3795 Nu ez in daz vierde jâr dô kam, (97) dô was er ze Tenemarke und vorschete ouch dâ starke von stete ze stete, hin unde her: 3800 3767 kelfen im Mhd. auch mit acc. [nhd. seltener]. — 3768 ein wiht = ein Nichts, umsonst; vgl. 8185. — 3775 (vom Pferde) herabstieg. — 3781 stw- tecliche adv., beständig. — 3792 schamelîch adj., schimpflich. — 3794 ein art, nicht : eine Art, Gattung, sondern : in der Art; etwa = unserm : seines Zeichens; vgl. 7595. — riball stm., Fremdwort, Landstreicher, Vagabund. — 3795 armuot stn. (vgl. 4454), Armuth stf. — dehein sîn: im Nhd. diese und ähnliche Verbindungen nicht mehr möglich ; dehein ist je nach Umständen durch Negation zu geben oder wegzulassen; vgl. 17266.
136 VII. WIEDERSEHEN. waz half in daz? ern was dâ niht : al sîn suochen was ein wiht. und alse er sîn dâ niht envant, dô kêrte er wider Irlánt. seht, dâne kunde er iht mê von ime ervorschen danne als ê. hie mite begunde er an der habe sô swachen und sô nemen abe, daz er sich nider ze fuoze liez und sîniu phärt verkoufen hiez und mit dem guote sande sîne liute wider ze lande. sich selben liez er in der nôt, wan er gie betelen umbe brôt und treip daz stæteclîche von rîché ze rîche von lándé ze lande, vorschende nâch Tristande wol driu jâr oder mêre, biz daz er alsô sêre von sînes libes schoene kam und an der varwe als abe genam, swer in dâ vor hæte gesehen, dern hæte niemér gejehen, daz er ie hêrre würde. die schameliche bürde die truoc der werde dan Rûalt geliche alsam ein art ribalt, daz ime dehein sîn ármúot, als ez doch weizgot manegem tuot, sinen gúoten willen nie benam. 3770 3775 3780 3785 3790 3795 Nu ez in daz vierde jâr dô kam, (97) dô was er ze Tenemarke und vorschete ouch dâ starke von stete ze stete, hin unde her: 3800 3767 kelfen im Mhd. auch mit acc. [nhd. seltener]. — 3768 ein wiht = ein Nichts, umsonst; vgl. 8185. — 3775 (vom Pferde) herabstieg. — 3781 stw- tecliche adv., beständig. — 3792 schamelîch adj., schimpflich. — 3794 ein art, nicht : eine Art, Gattung, sondern : in der Art; etwa = unserm : seines Zeichens; vgl. 7595. — riball stm., Fremdwort, Landstreicher, Vagabund. — 3795 armuot stn. (vgl. 4454), Armuth stf. — dehein sîn: im Nhd. diese und ähnliche Verbindungen nicht mehr möglich ; dehein ist je nach Umständen durch Negation zu geben oder wegzulassen; vgl. 17266.
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VII. WIEDERSEHEN. 137 von gotes genâden dô vant er die zwêne wâllénde man, die siîn junchêrre Trístán üf der wáltstrâze vant. die selben frâgete er zehant; die seiten ime ouch mære, wenn’ und wie lange es wære, daz si éinen knaben haeten gesehen reht' als si in dâ hôrten jehen und wie si'n mit in liezen gân, wie sîn dinc allez was getân an antlütz' unde an hâre, an rede und an gebâre, an libe und an gewande, 1 und wie maneger hande sprâch' unde fuoge er kunde. zehant und an der stunde bekande er wol, im wære alsô. die wállâre bat er dô dáz si'z durch got tæten, swâ si'n gelâzen hæten, ob si die stat erkanden, daz si si'm rehte nanden. sus seiten si Rûâle, ez wære in Kurnewâle ze Tintajôle in der stat. die stat er ime dô nennen bat aber und aber und sprach dô z'in: «nu wâ lit Kurnewâle hin?" dez stôzet» sprâchen jene zehant «jensît Britanje an daz lant.» 3805 3810 3815 3820 3825 3830 «A!» dâhte er «hêrre tréhtîn, diz mac wol dîn genâde sîn: ist Tristan, alse ich hân vernomen, alsus ze Kurnewâle komen, sô ist er rehte komen hin heim; wan Márke der ist sîn éhéim. 3835 3818 vgl. V. 4196. an der s'unde, hier entschieden in der Bedeutung: sofort; an manchen Stellen zweifelhaft, ob diese Bedeutung oder = da- mals, da; vgl. 6477. 6541. 7102. 12918 und zu 3249. — 3819 bekennen swv., erkennen, merken.
VII. WIEDERSEHEN. 137 von gotes genâden dô vant er die zwêne wâllénde man, die siîn junchêrre Trístán üf der wáltstrâze vant. die selben frâgete er zehant; die seiten ime ouch mære, wenn’ und wie lange es wære, daz si éinen knaben haeten gesehen reht' als si in dâ hôrten jehen und wie si'n mit in liezen gân, wie sîn dinc allez was getân an antlütz' unde an hâre, an rede und an gebâre, an libe und an gewande, 1 und wie maneger hande sprâch' unde fuoge er kunde. zehant und an der stunde bekande er wol, im wære alsô. die wállâre bat er dô dáz si'z durch got tæten, swâ si'n gelâzen hæten, ob si die stat erkanden, daz si si'm rehte nanden. sus seiten si Rûâle, ez wære in Kurnewâle ze Tintajôle in der stat. die stat er ime dô nennen bat aber und aber und sprach dô z'in: «nu wâ lit Kurnewâle hin?" dez stôzet» sprâchen jene zehant «jensît Britanje an daz lant.» 3805 3810 3815 3820 3825 3830 «A!» dâhte er «hêrre tréhtîn, diz mac wol dîn genâde sîn: ist Tristan, alse ich hân vernomen, alsus ze Kurnewâle komen, sô ist er rehte komen hin heim; wan Márke der ist sîn éhéim. 3835 3818 vgl. V. 4196. an der s'unde, hier entschieden in der Bedeutung: sofort; an manchen Stellen zweifelhaft, ob diese Bedeutung oder = da- mals, da; vgl. 6477. 6541. 7102. 12918 und zu 3249. — 3819 bekennen swv., erkennen, merken.
Strana 138
138 VII. WIEDERSEHEN. (98) dâ wise mich hin, süezer got! â hêrre got, durch dîn gebot nu lâ mir noch sô wol geschehen, daz ich Tristanden müeze sehen! diz mæere, daz ich hân vernomen, daz müeze mir ze fröuden komen! ez dunket mich und ist ouch guot: ez hât mir mînen swæren muot erwecket unde gemachet frô. sæeligen liute», sprach er dô «der megede sun müez' iuch bewarn! ich wil úf mîne strâze varn und sehen, ob ich in vinde." «nu gewîse iuch nâch dem kinde, der al der werlde hât gewalt!» "genâde!» sprach ab dô Rûalt, “gebietet mir, hie'st bite nimê.» «friunt», sprâchen jene «a dê, a dê!» 3840 3845 3850 3855 Rûal dô sîne strâze gie, sô daz er sînem lîbe nie ruow’ einen halben tac genam, unz daz er zuo dem mere kam. dâ ruowete er, daz was im leit: wan schif diu wâren unbereit; und alse er dô schiffunge vant, er fuor ze Britanje in daz lant. durch Britanje streich er dô sô strîteclîchen unde alsô, daz nie kein tac sô langer wart, daz des iht würdé gespart, ern striche in iemer in die naht. dâ zuo gap ime muot unde maht der gedinge, der im was geseit. ez machete ime sîn arebeit senft' unde harte lihtesam. 3860 3865 3870 3847 erwecken swv., erquicken, erheitern. — 3849 der megede sun wie in V. 5167, Umschreibung für Christus. — 3852 gewîsen swv., verst. wisen, führen. — 3855 bite stf., Warten, Verweilen; vgl. 8860. 3859 ruowe nemen, genemen sînem libe, sich Ruhe nehmen, ausruhen. — 3862 unbereit adj. = nicht bereit ; Gottfried hat eine Vorliebe für diese Zu- sammensetzungen mit un-. — 3863 schiffunge stf., Einschiffung, Schiffs- gelegenheit. — 3866 strîteclîchen adv., (streithaft), tapfer, eifrig. 3873 lihitesam adj., leicht; vgl. zu 1768. —
138 VII. WIEDERSEHEN. (98) dâ wise mich hin, süezer got! â hêrre got, durch dîn gebot nu lâ mir noch sô wol geschehen, daz ich Tristanden müeze sehen! diz mæere, daz ich hân vernomen, daz müeze mir ze fröuden komen! ez dunket mich und ist ouch guot: ez hât mir mînen swæren muot erwecket unde gemachet frô. sæeligen liute», sprach er dô «der megede sun müez' iuch bewarn! ich wil úf mîne strâze varn und sehen, ob ich in vinde." «nu gewîse iuch nâch dem kinde, der al der werlde hât gewalt!» "genâde!» sprach ab dô Rûalt, “gebietet mir, hie'st bite nimê.» «friunt», sprâchen jene «a dê, a dê!» 3840 3845 3850 3855 Rûal dô sîne strâze gie, sô daz er sînem lîbe nie ruow’ einen halben tac genam, unz daz er zuo dem mere kam. dâ ruowete er, daz was im leit: wan schif diu wâren unbereit; und alse er dô schiffunge vant, er fuor ze Britanje in daz lant. durch Britanje streich er dô sô strîteclîchen unde alsô, daz nie kein tac sô langer wart, daz des iht würdé gespart, ern striche in iemer in die naht. dâ zuo gap ime muot unde maht der gedinge, der im was geseit. ez machete ime sîn arebeit senft' unde harte lihtesam. 3860 3865 3870 3847 erwecken swv., erquicken, erheitern. — 3849 der megede sun wie in V. 5167, Umschreibung für Christus. — 3852 gewîsen swv., verst. wisen, führen. — 3855 bite stf., Warten, Verweilen; vgl. 8860. 3859 ruowe nemen, genemen sînem libe, sich Ruhe nehmen, ausruhen. — 3862 unbereit adj. = nicht bereit ; Gottfried hat eine Vorliebe für diese Zu- sammensetzungen mit un-. — 3863 schiffunge stf., Einschiffung, Schiffs- gelegenheit. — 3866 strîteclîchen adv., (streithaft), tapfer, eifrig. 3873 lihitesam adj., leicht; vgl. zu 1768. —
Strana 139
VII. WIEDERSEHEN. 139 (99) nu er ze Kurnewâle kam, zehant dô frâgte er mæere, wâ Tintajoél wære ; vil schiere er des bewiset wart. sus kêrte er aber ûf sîne vart und kom ze Tintajôle zuo eines sunnen âbendes fruo, dô man ze messe solte gân. sus gieng er vür daz münster stân; dâ gie daz volc her unde dar, und er nam allenthalben war und spéheté wâ unde wâ, obe er iemen funde dâ, der ime reht unde gebære ze sîner frâge wære, wan er dâht’ allez wider sich: «diz volc ist allez baz dan ich ; swen ich mit rede bevâhe, ich fürhte, ez in versmâhe, daz er mir gebe antwürte umb' in, sît ich als armer fuore bin: rât, hêrre got, waz ich getuo!" 3880 3885 3890 3875 3895 Nu gie der künic Marke zuo mit einer wunneclîchen schar. der getriuwe der nam aber war und ersách niht, des er wolte. und alse der künec dô solte von messe wider ze hove gân, Rûal gie von dem wege stân und nam sunder dort hin dan einèn getageten hoveman: «â hêrre», sprach er «saget mir durch iuwer güete, wizzet ir, ob ein kint hie ze hove si? man seit, ez wone dem künege bi 3900 3905 3891 bevâhen stv., mit acc., wie unser: einen in Anspruch nehmen, oder: angehen; mit rede bev., einen anreden; vgl. 4112. — 3892 in nach den Hss. statt im, darum wohl alterthümlich versmâhen swv. trans. = ver- smæhen in der Bedeutung: beleidigen; vgl. zu 7554. Ubrigens kommt auch, wie Bech nachweist, versmâhen, verächtlich dünken, mit dem Acc. vor in einigen alten Hss. der Kaiserchronik 2308. 14121 und Walther (L) 60, 5 Hs. A und E. — 3894 fuore stf., Lebensweise, dann auch wie hier : Aussehen, Erscheinung. 3908 bî wonen mit dat. = bei einem wohnen, einem zugesellt sein, in Beziehung zu einem stehen. —
VII. WIEDERSEHEN. 139 (99) nu er ze Kurnewâle kam, zehant dô frâgte er mæere, wâ Tintajoél wære ; vil schiere er des bewiset wart. sus kêrte er aber ûf sîne vart und kom ze Tintajôle zuo eines sunnen âbendes fruo, dô man ze messe solte gân. sus gieng er vür daz münster stân; dâ gie daz volc her unde dar, und er nam allenthalben war und spéheté wâ unde wâ, obe er iemen funde dâ, der ime reht unde gebære ze sîner frâge wære, wan er dâht’ allez wider sich: «diz volc ist allez baz dan ich ; swen ich mit rede bevâhe, ich fürhte, ez in versmâhe, daz er mir gebe antwürte umb' in, sît ich als armer fuore bin: rât, hêrre got, waz ich getuo!" 3880 3885 3890 3875 3895 Nu gie der künic Marke zuo mit einer wunneclîchen schar. der getriuwe der nam aber war und ersách niht, des er wolte. und alse der künec dô solte von messe wider ze hove gân, Rûal gie von dem wege stân und nam sunder dort hin dan einèn getageten hoveman: «â hêrre», sprach er «saget mir durch iuwer güete, wizzet ir, ob ein kint hie ze hove si? man seit, ez wone dem künege bi 3900 3905 3891 bevâhen stv., mit acc., wie unser: einen in Anspruch nehmen, oder: angehen; mit rede bev., einen anreden; vgl. 4112. — 3892 in nach den Hss. statt im, darum wohl alterthümlich versmâhen swv. trans. = ver- smæhen in der Bedeutung: beleidigen; vgl. zu 7554. Ubrigens kommt auch, wie Bech nachweist, versmâhen, verächtlich dünken, mit dem Acc. vor in einigen alten Hss. der Kaiserchronik 2308. 14121 und Walther (L) 60, 5 Hs. A und E. — 3894 fuore stf., Lebensweise, dann auch wie hier : Aussehen, Erscheinung. 3908 bî wonen mit dat. = bei einem wohnen, einem zugesellt sein, in Beziehung zu einem stehen. —
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140 VII. WIEDERSEHEN. (100) und ist daz Tristán genant.» «ein kint?» sprach jener al zehant «i'ne ságe iu niht von kinde: ein knappe ist hie gesinde, der sol schiere nemen swert und ist dem künege harte wert, wan er kan kunst genuoge und erkénnet manege fuoge und manege höveschlîchiu dinc: der ist ein starker jungelinc mit brûnréidem hâre, mit schééném gebâre und ist ein éllénde man: den heizen wir hie Tristán.» 3910 3915 3920 «Nu hêrre», sprach Rûal iesâ «sît ir hie hovegesinde?» “jâ.» «hêrrè, durch iuwer êre sô tuot ein lützel mêre, wan ir tuot harte wol dar an. saget ime, hie sî ein armer man, der welle in sprechen unde sehen. ouch muget ir ime des wol verjehen, ich sî von sînem lande.» sus seite jener Tristande, ein sîn lantman wære dâ. Tristan der kêrte dar iesâ; und ál dâ mite daz ér in gesách, mit herzen und mit munde er sprach: 3925 3930 3935 Nu müeze unser tréhtín iemèr gebenedîet sîn, vater, daz ich dich sehen muoz!» daz was sîn aller êrster gruoz; dâ nâch lief er in lachende an und kuste den getriuwen man, als ein kint sînen vater sol: daz was vil billîch unde wol. er was sîn vater und er sîn kint. 3940 3945 3913 swert nemen, Terminus für: Ritter werden (durch Empfang und An- legung des Schwertes). — 3919 reit adj., gen. reides, gelockt; brûnreit braungelockt; vgl. zu 3334. 3930 verjeken stv. mit dat. und gen., einem etwas sagen.
140 VII. WIEDERSEHEN. (100) und ist daz Tristán genant.» «ein kint?» sprach jener al zehant «i'ne ságe iu niht von kinde: ein knappe ist hie gesinde, der sol schiere nemen swert und ist dem künege harte wert, wan er kan kunst genuoge und erkénnet manege fuoge und manege höveschlîchiu dinc: der ist ein starker jungelinc mit brûnréidem hâre, mit schééném gebâre und ist ein éllénde man: den heizen wir hie Tristán.» 3910 3915 3920 «Nu hêrre», sprach Rûal iesâ «sît ir hie hovegesinde?» “jâ.» «hêrrè, durch iuwer êre sô tuot ein lützel mêre, wan ir tuot harte wol dar an. saget ime, hie sî ein armer man, der welle in sprechen unde sehen. ouch muget ir ime des wol verjehen, ich sî von sînem lande.» sus seite jener Tristande, ein sîn lantman wære dâ. Tristan der kêrte dar iesâ; und ál dâ mite daz ér in gesách, mit herzen und mit munde er sprach: 3925 3930 3935 Nu müeze unser tréhtín iemèr gebenedîet sîn, vater, daz ich dich sehen muoz!» daz was sîn aller êrster gruoz; dâ nâch lief er in lachende an und kuste den getriuwen man, als ein kint sînen vater sol: daz was vil billîch unde wol. er was sîn vater und er sîn kint. 3940 3945 3913 swert nemen, Terminus für: Ritter werden (durch Empfang und An- legung des Schwertes). — 3919 reit adj., gen. reides, gelockt; brûnreit braungelockt; vgl. zu 3334. 3930 verjeken stv. mit dat. und gen., einem etwas sagen.
Strana 141
VII. WIEDERSEHEN. 141 (101) allè die vätere, die nu sint óder die vor uns wurden ie, dien' getâten alle ir kinde nie vaterlîcher danne er im tete. jâ Tristan der hæt' an der stete vater, muoter, mâge, man, allè die friunt, die’r ie gewan, enzwischen sînen handen dâ. vil inneclîche sprach er: »â, getriuwer vater guoter, sage án, min süeziu muoter und mîne bruoder, lebent die noch?» «i’ne wéiz», sprach er «trût sun, iedoch lébeten s', dô ich s' nâhest sach, wan daz si michel ungemach von dînen schulden hæten. wie si áber sît her getæten, désn kan ich dir niht gesagen, wan ich gesach in manegen tagen nieman, den ich erkande; sone kóm ich ouch ze lande sît der veigen stunde nie, daz mir an dir sô missegie.» «â», sprach er aber «trût vater min, waz sol dirre maere sîn? din schoener lîp, war ist der komen?" «sún, dâ hâstu mir'n genomen.» «sô wil ich dir'n wider geben.» «sun, daz muge wir ouch geleben.» «nu vater, gâ dan ze hove mit mir.» «nein, sun, dar gân ich niht mit dir: du sihest wol, ich ware alsus niht hovebæere.» «nein, vater», sprach er « diz muoz geschehen, der künec, mîn hêrre sol dich sehen.» Rûal der hövesche, guote, der gedâhte in sînem muote: 3950 3955 3960 3965 3970 3975 3980 3953 enzwischen (= inzwischen nhd. nur adv.) præp. mit dat. = zwi- schen, in. — 3959 náhest adv., jüngst, zuletzt. — 3961 s. zu 767. — 3968 missegân mit dat., einem übel ergehen; an, mit. — 3972 dâ steht öfters satzbeginnend, namentlich in Antworten; vgl. 8695 und zu 3658, Benecke zu Iwein 490. — 3974 geleben, verst. leben, erleben. — 3978 hove- bœre adj., hier in ursprüngl. Bedeutung: dem Hofe angemessen, [vgl. hof- fähig], überhaupt: anstandsgemass. —
VII. WIEDERSEHEN. 141 (101) allè die vätere, die nu sint óder die vor uns wurden ie, dien' getâten alle ir kinde nie vaterlîcher danne er im tete. jâ Tristan der hæt' an der stete vater, muoter, mâge, man, allè die friunt, die’r ie gewan, enzwischen sînen handen dâ. vil inneclîche sprach er: »â, getriuwer vater guoter, sage án, min süeziu muoter und mîne bruoder, lebent die noch?» «i’ne wéiz», sprach er «trût sun, iedoch lébeten s', dô ich s' nâhest sach, wan daz si michel ungemach von dînen schulden hæten. wie si áber sît her getæten, désn kan ich dir niht gesagen, wan ich gesach in manegen tagen nieman, den ich erkande; sone kóm ich ouch ze lande sît der veigen stunde nie, daz mir an dir sô missegie.» «â», sprach er aber «trût vater min, waz sol dirre maere sîn? din schoener lîp, war ist der komen?" «sún, dâ hâstu mir'n genomen.» «sô wil ich dir'n wider geben.» «sun, daz muge wir ouch geleben.» «nu vater, gâ dan ze hove mit mir.» «nein, sun, dar gân ich niht mit dir: du sihest wol, ich ware alsus niht hovebæere.» «nein, vater», sprach er « diz muoz geschehen, der künec, mîn hêrre sol dich sehen.» Rûal der hövesche, guote, der gedâhte in sînem muote: 3950 3955 3960 3965 3970 3975 3980 3953 enzwischen (= inzwischen nhd. nur adv.) præp. mit dat. = zwi- schen, in. — 3959 náhest adv., jüngst, zuletzt. — 3961 s. zu 767. — 3968 missegân mit dat., einem übel ergehen; an, mit. — 3972 dâ steht öfters satzbeginnend, namentlich in Antworten; vgl. 8695 und zu 3658, Benecke zu Iwein 490. — 3974 geleben, verst. leben, erleben. — 3978 hove- bœre adj., hier in ursprüngl. Bedeutung: dem Hofe angemessen, [vgl. hof- fähig], überhaupt: anstandsgemass. —
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142 VII. WIEDERSEHEN. «min nacketage enwirret niht, swie mich der künec nu varnde siht, er wirt mich gerne sehende, und wirde ich ime verjehende umbe sînen neven, der hie stât; swenn’ ich im alle mîne tât von anegenge her gesage, ez wirt vil schoene, daz ich trage.» 3985 2 8990 (102) Tristan der nam in an die hant. sin beréitschaft unde sîn gewant, daz was, als ez dô mohte sîn, ein vil armez rockelin beschaben unde verslizzen, wâ unde wâ zerizzen: daz truog er âne mantel an. diu kleider, diu der guote man under sînem rocke truoc, diu wâren armeclîch genuoc, vernozzen unde verselwet gar. von únrúoche was sîn hâr an houbet unde an barte verwalken alse harte, als obe er wilde ware. ouch gie der sagebæere an füezen unde an beinen bar. dar zuo was er sô wetervar, als alle die von rehte sint, den hunger, frost, sunn’ unde wint ir varwe und ir lîch hât benomen. alsus was er vür Marken komen, daz er im under ougen sach. Marke ze Tristande sprach: 8905 4300 4095 401O 3983 nucketage swm., Nacktheit. — werren stv., hier = unserm: schaden, vgl. 12490. — 3985 fg. altes Beispiel vom Futurum mit dem Hülfswort wer- den (nebst partic. præs., nhd. scheinbar infin.); vgl. Gr. 4, 7. — 3989 ane- genge stn., Angehen, Anfang. 3992 bereitschaft stf., Ausrüstung (wie unser: Equipierung), Tracht. — 3995 beschaben part. von beschaben stv., abschaben swv. — verslizzen part. von verslîzen stv., (eigentlich: verschleißsen), zerreissen, abnutzen. — 4000 armeclîch adj., ärmlich. — 4001 vernozzen part. von verniezen stv., verzehren, verbrauchen. — verselwen swv., verschmuzen. — 4004 ver- walken part. von verwalken stv., zusammenwalken swv., verfilzen. — 4006 sagebare adj., hier subst., der Löbliche. — 4008 wetervar adj., (wetter- farbig), vom Wetter gekennzeichnet. — 4009 von rehte, mit Recht, von rechtswegen, etwa: natürlich.
142 VII. WIEDERSEHEN. «min nacketage enwirret niht, swie mich der künec nu varnde siht, er wirt mich gerne sehende, und wirde ich ime verjehende umbe sînen neven, der hie stât; swenn’ ich im alle mîne tât von anegenge her gesage, ez wirt vil schoene, daz ich trage.» 3985 2 8990 (102) Tristan der nam in an die hant. sin beréitschaft unde sîn gewant, daz was, als ez dô mohte sîn, ein vil armez rockelin beschaben unde verslizzen, wâ unde wâ zerizzen: daz truog er âne mantel an. diu kleider, diu der guote man under sînem rocke truoc, diu wâren armeclîch genuoc, vernozzen unde verselwet gar. von únrúoche was sîn hâr an houbet unde an barte verwalken alse harte, als obe er wilde ware. ouch gie der sagebæere an füezen unde an beinen bar. dar zuo was er sô wetervar, als alle die von rehte sint, den hunger, frost, sunn’ unde wint ir varwe und ir lîch hât benomen. alsus was er vür Marken komen, daz er im under ougen sach. Marke ze Tristande sprach: 8905 4300 4095 401O 3983 nucketage swm., Nacktheit. — werren stv., hier = unserm: schaden, vgl. 12490. — 3985 fg. altes Beispiel vom Futurum mit dem Hülfswort wer- den (nebst partic. præs., nhd. scheinbar infin.); vgl. Gr. 4, 7. — 3989 ane- genge stn., Angehen, Anfang. 3992 bereitschaft stf., Ausrüstung (wie unser: Equipierung), Tracht. — 3995 beschaben part. von beschaben stv., abschaben swv. — verslizzen part. von verslîzen stv., (eigentlich: verschleißsen), zerreissen, abnutzen. — 4000 armeclîch adj., ärmlich. — 4001 vernozzen part. von verniezen stv., verzehren, verbrauchen. — verselwen swv., verschmuzen. — 4004 ver- walken part. von verwalken stv., zusammenwalken swv., verfilzen. — 4006 sagebare adj., hier subst., der Löbliche. — 4008 wetervar adj., (wetter- farbig), vom Wetter gekennzeichnet. — 4009 von rehte, mit Recht, von rechtswegen, etwa: natürlich.
Strana 143
VII. WIEDERSEHEN. 143 «sage án, Tristan, wer ist der man?" « mîn vater, hêrre», sprach Tristan. «hâst du wâr?" «jâ, hêrre min.» «der sol uns willekomen sîn!» sprach aber der tugenderiche. Rûal neig ime hoflîche. 4015 4020 (103) Hie mite sô kom diu ritterschaft zuo geloufen hérháft und dâ mit al diu hoveschar, und riefen alle sunder dar: «sire, sire, dêu sal!» nu wizzet doch daz, daz Růal, swie unhovebæere gewandeshalp er waere, er was iedoch zewâre an libe und an gebâre vollekomen unde rich. er was des libes edelîch, an geliden und an geliune gewahsen alse ein hiune : sîn arme und sîniu bein wol lanc; schoen' unde hêrlîch was sîn ganc ; sîn lip was aller wol gestalt. érn was weder ze junc noch z'alt, wan in der aller besten tugent, dâ daz alter und diu jugent dem lebene gebent die besten kraft. er was an rehter hêrschaft aller kéisér genôz. sîn stimme alsam ein hórn dôz, sîn rede din was vil wol besniten. man sach in mit hêrlîchen siten vor al der hêrschéfte stân: er hæte ouch ê alsam getân. 4025 4030 4035 4040 4045 4022 herhaft adj., scharenweise. — 4025 sire Fremdwort (lat. senior), Herr; einsilbige Nebenform in V. 10721. — 4027 unhovebare adj., vgl. zu 3978. — 4028 gewandeshalp adv., wegen, in Betreff des Gewandes. — 4033 geliune stn., Beschaffenheit, Gestalt. — 4034 hiune swm., Heune (Hunne), unser: Hüne, Riese. — 4037 aller starke Flexion = sein Leib war ganz, durchaus u. s. w., oder: sein ganzer Leib; vgl. 4583. — 4042 hêr- schaft stf., ein Lieblingswort des Dichters, hier innerlich: die Herrlichkeit, Hoheit. — 4044 dôz præt. von diezen (4865) stv., tosen, schallen. — 4047 hêrschaft, hier wortspielend in anderer Bedeutung als in V. 4042, äußerlich: die Herren, der Hof wie in V. 1118.
VII. WIEDERSEHEN. 143 «sage án, Tristan, wer ist der man?" « mîn vater, hêrre», sprach Tristan. «hâst du wâr?" «jâ, hêrre min.» «der sol uns willekomen sîn!» sprach aber der tugenderiche. Rûal neig ime hoflîche. 4015 4020 (103) Hie mite sô kom diu ritterschaft zuo geloufen hérháft und dâ mit al diu hoveschar, und riefen alle sunder dar: «sire, sire, dêu sal!» nu wizzet doch daz, daz Růal, swie unhovebæere gewandeshalp er waere, er was iedoch zewâre an libe und an gebâre vollekomen unde rich. er was des libes edelîch, an geliden und an geliune gewahsen alse ein hiune : sîn arme und sîniu bein wol lanc; schoen' unde hêrlîch was sîn ganc ; sîn lip was aller wol gestalt. érn was weder ze junc noch z'alt, wan in der aller besten tugent, dâ daz alter und diu jugent dem lebene gebent die besten kraft. er was an rehter hêrschaft aller kéisér genôz. sîn stimme alsam ein hórn dôz, sîn rede din was vil wol besniten. man sach in mit hêrlîchen siten vor al der hêrschéfte stân: er hæte ouch ê alsam getân. 4025 4030 4035 4040 4045 4022 herhaft adj., scharenweise. — 4025 sire Fremdwort (lat. senior), Herr; einsilbige Nebenform in V. 10721. — 4027 unhovebare adj., vgl. zu 3978. — 4028 gewandeshalp adv., wegen, in Betreff des Gewandes. — 4033 geliune stn., Beschaffenheit, Gestalt. — 4034 hiune swm., Heune (Hunne), unser: Hüne, Riese. — 4037 aller starke Flexion = sein Leib war ganz, durchaus u. s. w., oder: sein ganzer Leib; vgl. 4583. — 4042 hêr- schaft stf., ein Lieblingswort des Dichters, hier innerlich: die Herrlichkeit, Hoheit. — 4044 dôz præt. von diezen (4865) stv., tosen, schallen. — 4047 hêrschaft, hier wortspielend in anderer Bedeutung als in V. 4042, äußerlich: die Herren, der Hof wie in V. 1118.
Strana 144
144 VII. WIEDERSEHEN. (104) Hie huop sich michel rûnen von rittern und barûnen: si redeten hin, si redeten her: «jâ», sprâchen s' alle «und ist daz der? ist daz der hövesche kóufmán, von dem uns sin sun Tristán sô manege tugende hât geseit? wir haben von sîner frumekeit maer' unde maere vil vernomen. wie ist er alsus ze hove komen?" und spelleten sus unde sô. der guote künec der hiez in dó füerèn ze kemenâten und hiez in dâ berâten mit rîlîcher wæte. Tristan in schiere hæte schône gebadet und wol gekleit. ein hüetelîn was dâ bereit: ûf sîn houbet sazte er daz', und gestuont ouch daz niemanne baz, wan er was under ougen rich. sîn geschépfede diu was hêrlîch. Tristan der nam in an die hant lieplîche, als ez im was gewant, und fuorte in wider ze Marke. nu begúnde er in dô starke und sêre wol gevallen. si sprâchen under in allen: «nu kieset, wie schiere edeliu wât den man ze lobe gestellet hât! diu kleider stânt dem kóufmán wol unde lobelîchen an. ouch ist er selbe hêrlîch. wer weiz, ern sî vil tugenderich: er gebâret diu gelîche wol, ob man der wârheit jehen sol: 4055 4060 4065 4070 4075 4080 4050 4049 rûnen infin. subst. stn., Raunen, Zuflüstern, heimliches Ge- spräch. — 4059 spellen swv., erzählen, plaudern. — 4061 kemenate swf. (14255), heizbares Gemach, dann: Frauengemach, hier ohne Zweifel ins- besondere = Garderobe. — 4062 berâten stv., ausrüsten. — 4069 under ougen (dat.), im Antlitze. — rîch adj., hier: herrlich, schön; vgl. 6659. — 4070 ge- schepfede stf., Beschaffenheit, Gestalt; vgl. 11102. 4078 stellen swv., gestalten, bilden. —
144 VII. WIEDERSEHEN. (104) Hie huop sich michel rûnen von rittern und barûnen: si redeten hin, si redeten her: «jâ», sprâchen s' alle «und ist daz der? ist daz der hövesche kóufmán, von dem uns sin sun Tristán sô manege tugende hât geseit? wir haben von sîner frumekeit maer' unde maere vil vernomen. wie ist er alsus ze hove komen?" und spelleten sus unde sô. der guote künec der hiez in dó füerèn ze kemenâten und hiez in dâ berâten mit rîlîcher wæte. Tristan in schiere hæte schône gebadet und wol gekleit. ein hüetelîn was dâ bereit: ûf sîn houbet sazte er daz', und gestuont ouch daz niemanne baz, wan er was under ougen rich. sîn geschépfede diu was hêrlîch. Tristan der nam in an die hant lieplîche, als ez im was gewant, und fuorte in wider ze Marke. nu begúnde er in dô starke und sêre wol gevallen. si sprâchen under in allen: «nu kieset, wie schiere edeliu wât den man ze lobe gestellet hât! diu kleider stânt dem kóufmán wol unde lobelîchen an. ouch ist er selbe hêrlîch. wer weiz, ern sî vil tugenderich: er gebâret diu gelîche wol, ob man der wârheit jehen sol: 4055 4060 4065 4070 4075 4080 4050 4049 rûnen infin. subst. stn., Raunen, Zuflüstern, heimliches Ge- spräch. — 4059 spellen swv., erzählen, plaudern. — 4061 kemenate swf. (14255), heizbares Gemach, dann: Frauengemach, hier ohne Zweifel ins- besondere = Garderobe. — 4062 berâten stv., ausrüsten. — 4069 under ougen (dat.), im Antlitze. — rîch adj., hier: herrlich, schön; vgl. 6659. — 4070 ge- schepfede stf., Beschaffenheit, Gestalt; vgl. 11102. 4078 stellen swv., gestalten, bilden. —
Strana 145
VII. WIEDERSEHEN. 145 4085 nu seht, wie hêrlîche er gât, wie schóné gebærde er hât in édelém gewande, und niuwan an Tristande dâ kieset sîne tugende an: wie kunde ein wérbender man sin kint sô schône erzogen hân, ez enmüese ûz edelem herzen gân?" Nu hæte man wázzér genomen, und was der künec ze tische komen. sînen gást Rûâlen sazte er sâ ze sînem tische und hiez im dâ höfschlîche dienen unde wol, als man dem höveschen dienen sol. «Tristan», sprach er «gâ balde dar, nim selbe dînes vater war!» deiswar, ich weiz wol, daz geschach: elliu diu êre und daz gemach, daz er'm erbieten kunde, daz tete er, alse er'm gunde. ouch az Rûal der guote mit willeclichem muote, wan Tristan tete in fröudehaft. Tristan der was sin wirtscháft: daz er Tristanden ane sach, daz was sîn méisté gemach. und als man dô von tische gie, der künec den gast mit rede bevie und frâgte in aller hande beidìu von sînem lande unde ouch umbe sîne vart. und alse er in frâgende wart, diu ritterschaft lost' elliu dar und nam Rûâles mære war. 4090 4095 4100 4105 4110 4115 (105) «Hêrrè», sprach er «ez ist vür wâr vil nâch wol vierdehálp jâr sît des, daz ich von lande schiet; 4120 4088 niuwan hat hier wahrscheinlich, ausgehend von der Bedeutung : nur, ausgenommen, den Begriff: besonders aber, vor allem. 4108 wirtschaft stf., Bewirthung, Mahlzeit, bildlich gebraucht, etwa: seine beste Kost. — 4116 Umschreibung=frâgte, von Vortheil für den Dichter. 4121 sît des = seitdem; vgl. 427. GOTTFRIED VON STRASSBURG. I. 2. Aufl.
VII. WIEDERSEHEN. 145 4085 nu seht, wie hêrlîche er gât, wie schóné gebærde er hât in édelém gewande, und niuwan an Tristande dâ kieset sîne tugende an: wie kunde ein wérbender man sin kint sô schône erzogen hân, ez enmüese ûz edelem herzen gân?" Nu hæte man wázzér genomen, und was der künec ze tische komen. sînen gást Rûâlen sazte er sâ ze sînem tische und hiez im dâ höfschlîche dienen unde wol, als man dem höveschen dienen sol. «Tristan», sprach er «gâ balde dar, nim selbe dînes vater war!» deiswar, ich weiz wol, daz geschach: elliu diu êre und daz gemach, daz er'm erbieten kunde, daz tete er, alse er'm gunde. ouch az Rûal der guote mit willeclichem muote, wan Tristan tete in fröudehaft. Tristan der was sin wirtscháft: daz er Tristanden ane sach, daz was sîn méisté gemach. und als man dô von tische gie, der künec den gast mit rede bevie und frâgte in aller hande beidìu von sînem lande unde ouch umbe sîne vart. und alse er in frâgende wart, diu ritterschaft lost' elliu dar und nam Rûâles mære war. 4090 4095 4100 4105 4110 4115 (105) «Hêrrè», sprach er «ez ist vür wâr vil nâch wol vierdehálp jâr sît des, daz ich von lande schiet; 4120 4088 niuwan hat hier wahrscheinlich, ausgehend von der Bedeutung : nur, ausgenommen, den Begriff: besonders aber, vor allem. 4108 wirtschaft stf., Bewirthung, Mahlzeit, bildlich gebraucht, etwa: seine beste Kost. — 4116 Umschreibung=frâgte, von Vortheil für den Dichter. 4121 sît des = seitdem; vgl. 427. GOTTFRIED VON STRASSBURG. I. 2. Aufl.
Strana 146
146 VII. WIEDERSEHEN. und swar ich sider hin geriet, dane frâgte ich keines mæres nie wan des, dâ ich mit umbe gie und daz mich her geleitet hât.» «waz was daz?» «Tristan, der hie stât. und zwâre, hêrre, ich hân noch kint, diu mîn von gotes halben sint, und gan den guotes alse wol, als dehéin man sînen kinden sol: dri süne, wæer’ ich gewesen bî in, daz eteslîcher under in drin iezuo wol ritter ware ; hæt’ ich die halben sware erliten durch si alle drî, swie fremede sô mir Tristan sî, die ich durch in erliten hân, es wære vil und vil getân.» « fremede?" sprach der künic dô «saget án, wie’st disem maere sô? er ist iur sun doch, alse er giht?" «nein, hêrre, er bestât mich niht, wan alse vil ich bin sîn man.» 4125 4130 4135 4140 Tristan erschrac und sach in an. aber sprách der künec: «nu saget uns daz, 4145 durch welhe schulde und umbe waz habet ir die nôt durch in erliten, iuwer wîp und iuwer kint vermiten, als ir dâ jehet, sô lange frist, sît daz er iuwer sun niht ist?" «hêrre, daz weiz got und ich." «nu, friunt, bewîsét ouch mich !» sprach aber der guote Marke «es wundert mich vil starke." «west’ ich», sprach der getriuwe «ob ez mich niht geriuwe und obe ez mir hie wære ze ságené gebæere, 4150 4155 4142 mich bestât, mir kommt zu, mich geht an; von Gottfried öfters an- gewandt; vgl. 12323 u. zu 4580. 4148 vermiden stv., verlassen. — 4152 bewîsen hier ohne Genitiv; vgl. 1541. — 4156 geriuwen stv. (12857), nicht: reuen, sondern: schmerzen; vgl. zu 1789. —
146 VII. WIEDERSEHEN. und swar ich sider hin geriet, dane frâgte ich keines mæres nie wan des, dâ ich mit umbe gie und daz mich her geleitet hât.» «waz was daz?» «Tristan, der hie stât. und zwâre, hêrre, ich hân noch kint, diu mîn von gotes halben sint, und gan den guotes alse wol, als dehéin man sînen kinden sol: dri süne, wæer’ ich gewesen bî in, daz eteslîcher under in drin iezuo wol ritter ware ; hæt’ ich die halben sware erliten durch si alle drî, swie fremede sô mir Tristan sî, die ich durch in erliten hân, es wære vil und vil getân.» « fremede?" sprach der künic dô «saget án, wie’st disem maere sô? er ist iur sun doch, alse er giht?" «nein, hêrre, er bestât mich niht, wan alse vil ich bin sîn man.» 4125 4130 4135 4140 Tristan erschrac und sach in an. aber sprách der künec: «nu saget uns daz, 4145 durch welhe schulde und umbe waz habet ir die nôt durch in erliten, iuwer wîp und iuwer kint vermiten, als ir dâ jehet, sô lange frist, sît daz er iuwer sun niht ist?" «hêrre, daz weiz got und ich." «nu, friunt, bewîsét ouch mich !» sprach aber der guote Marke «es wundert mich vil starke." «west’ ich», sprach der getriuwe «ob ez mich niht geriuwe und obe ez mir hie wære ze ságené gebæere, 4150 4155 4142 mich bestât, mir kommt zu, mich geht an; von Gottfried öfters an- gewandt; vgl. 12323 u. zu 4580. 4148 vermiden stv., verlassen. — 4152 bewîsen hier ohne Genitiv; vgl. 1541. — 4156 geriuwen stv. (12857), nicht: reuen, sondern: schmerzen; vgl. zu 1789. —
Strana 147
VII. WIEDERSEHEN. 147 (106) hêrre, ich möchte iu wunder sagen, wie sich diz dinc hât her getragen und wie ez sich gefüeget hât umbe Tristánden, der hie stât.» Mark' und sîn barůnie und al diu massenîe, die bâten an der stunde alle ûz einem munde: «ságet an, séliger man, getriuwer man, wer ist Tristan?" 4160 4165 Der guote Rûal der sprach dô: «hêrre, ez kom hie vor alsô, als ir wol wizzet unde die, die bî den zîten wâren hie, daz mîn hêrre Riwalîn, des man ich was und solte sîn, ob ez got alsô wolte, daz er noch leben solte, dem wart von iuwer frumekeit sô vil und alsô vil geseit, daz ér mir sîn liut und sîn lant allèz bevalch in mîne hant. sus kom er her ze lande, wan er iuch gerne erkande, und wart ingesinde hie : sô wizzet ir wol, wie ez ergie umbè die âventiure der schoenen Blanschefliure, wie er die ze friunt gewan und si mit ime von hinne entran. nu si dô héim kâmen, ein ander z'ê genâmen, (in mînem hûse daz geschach, daz ich'z und manic man gesach) do beválch er mir si in mîne pflege: sît her pflac ich ir alle wege, so ich iemer beste kunde. zehant und an der stunde 4175 4180 4185 4190 4170 4195 4160 her tragen = zutragen. 4172 bî den zîten, damals. — 4187 ze friunt, nhd. zur Freundin; vgl. 10487. 10506. — 10 *
VII. WIEDERSEHEN. 147 (106) hêrre, ich möchte iu wunder sagen, wie sich diz dinc hât her getragen und wie ez sich gefüeget hât umbe Tristánden, der hie stât.» Mark' und sîn barůnie und al diu massenîe, die bâten an der stunde alle ûz einem munde: «ságet an, séliger man, getriuwer man, wer ist Tristan?" 4160 4165 Der guote Rûal der sprach dô: «hêrre, ez kom hie vor alsô, als ir wol wizzet unde die, die bî den zîten wâren hie, daz mîn hêrre Riwalîn, des man ich was und solte sîn, ob ez got alsô wolte, daz er noch leben solte, dem wart von iuwer frumekeit sô vil und alsô vil geseit, daz ér mir sîn liut und sîn lant allèz bevalch in mîne hant. sus kom er her ze lande, wan er iuch gerne erkande, und wart ingesinde hie : sô wizzet ir wol, wie ez ergie umbè die âventiure der schoenen Blanschefliure, wie er die ze friunt gewan und si mit ime von hinne entran. nu si dô héim kâmen, ein ander z'ê genâmen, (in mînem hûse daz geschach, daz ich'z und manic man gesach) do beválch er mir si in mîne pflege: sît her pflac ich ir alle wege, so ich iemer beste kunde. zehant und an der stunde 4175 4180 4185 4190 4170 4195 4160 her tragen = zutragen. 4172 bî den zîten, damals. — 4187 ze friunt, nhd. zur Freundin; vgl. 10487. 10506. — 10 *
Strana 148
148 VII. WIEDERSEHEN. (107) warb er unde besande eine réise in sînem lande mit mâgen und mit mannen und fuor ouch iesâ dannen und wart in einem strîte erslagen, als ir wol habet gehoeret sagen. und als daz maere vür kám und diu vil schœne frouwe vernam, wie ez gevaren ware, diu tôtlîche swære sô sêre ir in ir herze sluoc, (Tristan hie stât, den si dô truoc) daz sî den von der nôt gewan und lac si selbe tôt dervan.» 4200 4205 4210 Hie mite gie den getriuwen man als inneclîcher jâmer an, als er ez wol bescheinde, wande er saz und weinde, als ob er ein kint wære. ouch begúnden von dem mære den ándéren allen ir ougen über wallen. der guote künic Marke, dem gieng ez alsô starke mit jâmer in sîn herze, daz ime der herzesmerze mit trähenen ûz den ougen flôz und ime wang’ unde wât begôz. Tristande was daz mære vil inneclîchen sware von anders nihte wan von dan, daz er an dem getriuwen man vater unde vaterwân alsô verloren solte hân. 4215 4220 4225 4230 Sus saz Růal der guote mit trûreclîchem muote 4198 reise stf., Kriegszug; vgl. 18841. 4213 bescheinen swv., (bescheinigen), kund geben. — 4227 von dan, hier= von danne in V. 1618, deshalb. — 4229 vaterwan stm., Vaterglaube, Glaube, einen Vater zu besitzen.
148 VII. WIEDERSEHEN. (107) warb er unde besande eine réise in sînem lande mit mâgen und mit mannen und fuor ouch iesâ dannen und wart in einem strîte erslagen, als ir wol habet gehoeret sagen. und als daz maere vür kám und diu vil schœne frouwe vernam, wie ez gevaren ware, diu tôtlîche swære sô sêre ir in ir herze sluoc, (Tristan hie stât, den si dô truoc) daz sî den von der nôt gewan und lac si selbe tôt dervan.» 4200 4205 4210 Hie mite gie den getriuwen man als inneclîcher jâmer an, als er ez wol bescheinde, wande er saz und weinde, als ob er ein kint wære. ouch begúnden von dem mære den ándéren allen ir ougen über wallen. der guote künic Marke, dem gieng ez alsô starke mit jâmer in sîn herze, daz ime der herzesmerze mit trähenen ûz den ougen flôz und ime wang’ unde wât begôz. Tristande was daz mære vil inneclîchen sware von anders nihte wan von dan, daz er an dem getriuwen man vater unde vaterwân alsô verloren solte hân. 4215 4220 4225 4230 Sus saz Růal der guote mit trûreclîchem muote 4198 reise stf., Kriegszug; vgl. 18841. 4213 bescheinen swv., (bescheinigen), kund geben. — 4227 von dan, hier= von danne in V. 1618, deshalb. — 4229 vaterwan stm., Vaterglaube, Glaube, einen Vater zu besitzen.
Strana 149
VII. WIEDERSEHEN. 149 (108) und seite dem gesinde von dem vil armen kinde, wie starke er des hiez nemen war, dô ez diu múotér gebar. wie er’z an tougenlîcher stat verbergen unde verhelen bat; wie er ze mare werden liez, den lantliuten sagen hiez, ez ware in sîner muoter tôt ; wie er sînem wibe gebôt, alse ich iu ê seite, daz si sich în léite, als ein wîp kindes inne lît, und daz si nâch der selben zît der werlde jehende ware, daz si daz kint gebæere; wie sî mit ime ze kirchen gie, und wie er dâ die toufe enpfie ; war umbe er Tristan wart genant; wie er in sante in fremediu lant, und swaz er fuoge kunde mit handen und mit munde, wie er in daz lêren hiez; wie ér in in dem schiffe liez, und wie er ime dâ wart genomen, und wie er nâch im dar was komen mit maneger arebeite. 4235 4240 4245 4250 4255 4260 Sus saz er unde seite diz maere gar von ende her. daz weinde Marke, daz weinde ouch er, daz weinden s' al gemeine niwan Tristan al eine, derne mohte es niht beklagen, swes er dâ gehôrte sagen: in kom diu rede ze gâhes an. swaz aber Rûal der guote man dem gesinde erbarmekeite von den gelieben seite, 4265 4270 4267 gahes adv. gen., jäh, plötzlich. — 4269 erbarmekeit stf., Erbärm- liches, Mitleid Erregendes. — 4270 geliep adj. (vgl. zu 16825), zusammen, gegenseitig lieb, hier subst. pl.; die Geliebten, unser: die Liebenden. —
VII. WIEDERSEHEN. 149 (108) und seite dem gesinde von dem vil armen kinde, wie starke er des hiez nemen war, dô ez diu múotér gebar. wie er’z an tougenlîcher stat verbergen unde verhelen bat; wie er ze mare werden liez, den lantliuten sagen hiez, ez ware in sîner muoter tôt ; wie er sînem wibe gebôt, alse ich iu ê seite, daz si sich în léite, als ein wîp kindes inne lît, und daz si nâch der selben zît der werlde jehende ware, daz si daz kint gebæere; wie sî mit ime ze kirchen gie, und wie er dâ die toufe enpfie ; war umbe er Tristan wart genant; wie er in sante in fremediu lant, und swaz er fuoge kunde mit handen und mit munde, wie er in daz lêren hiez; wie ér in in dem schiffe liez, und wie er ime dâ wart genomen, und wie er nâch im dar was komen mit maneger arebeite. 4235 4240 4245 4250 4255 4260 Sus saz er unde seite diz maere gar von ende her. daz weinde Marke, daz weinde ouch er, daz weinden s' al gemeine niwan Tristan al eine, derne mohte es niht beklagen, swes er dâ gehôrte sagen: in kom diu rede ze gâhes an. swaz aber Rûal der guote man dem gesinde erbarmekeite von den gelieben seite, 4265 4270 4267 gahes adv. gen., jäh, plötzlich. — 4269 erbarmekeit stf., Erbärm- liches, Mitleid Erregendes. — 4270 geliep adj. (vgl. zu 16825), zusammen, gegenseitig lieb, hier subst. pl.; die Geliebten, unser: die Liebenden. —
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150 VII. WIEDERSEHEN. Kanêle und Blanschefliure : elliu diu âventiure diu was hie wider kleine niwan diu triuwe al eine, die er nâch tôde an ime begie, als ir wol habet gehœret wie, an ir beider kinde: daz was dem ingesinde (109) diu meiste triuwe, die kein man ze sîner hêrschaft ie gewan. Nu disiu rede alsus geschach, Marke zuo dem gaste sprach: «nu hêrre, ist diser rede alsô?» Rûal der guote bôt im dô ein vingerlin an sîne hant: «nu hêrre», sprach er «sît gemant mîner réde und mîner mære.» der guote und der geware Marke nam ez und sah ez an. der jâmer, den er dô gewan, der wart aber dô vester. «â», sprach er «süeziu swester, diz vingerlîn daz gab ich dir, und mîn vater der gab ez mir, dô er an sînem tôde lac. disem mâre ich wol gelouben mac. Tristan, gâ her und küsse mich! und zwâre, soltu leben und ich, ich wil dîn erbevater sîn. Blanschefliure der muoter dîn und dînem vater Kanêle, den genâde got zer sêle und ruoche in beiden samet geben daz êweclîche lebende leben. sît ez alsus gevaren ist, daz doch dû mir worden bist 4275 4280 4285 4290 4295 4300 4305 4273 kleine = nicht so groſ, darum niwan. — 4280 hérschaft, hier =nhid. concret im Sinne von: Obrigkeit für: Herr und Herrin. 4285 vingerlîn stn., Fingerring. — 4288 gewœere adj., wahrhaft, treu; vgl. 5180. — 4299 erbevater, Pflegevater, der den blutsverwandten Pflegesohn zugleich zum Erben annimmt, entsprechend unserm: Adoptivvater. — 4302 den genâde got noch im Nhd. erhalten; genâden swv., gnädig sein, synonym von helfen (vgl. 12125). — zer sêle, für die Seele, zum Besten der Seele.
150 VII. WIEDERSEHEN. Kanêle und Blanschefliure : elliu diu âventiure diu was hie wider kleine niwan diu triuwe al eine, die er nâch tôde an ime begie, als ir wol habet gehœret wie, an ir beider kinde: daz was dem ingesinde (109) diu meiste triuwe, die kein man ze sîner hêrschaft ie gewan. Nu disiu rede alsus geschach, Marke zuo dem gaste sprach: «nu hêrre, ist diser rede alsô?» Rûal der guote bôt im dô ein vingerlin an sîne hant: «nu hêrre», sprach er «sît gemant mîner réde und mîner mære.» der guote und der geware Marke nam ez und sah ez an. der jâmer, den er dô gewan, der wart aber dô vester. «â», sprach er «süeziu swester, diz vingerlîn daz gab ich dir, und mîn vater der gab ez mir, dô er an sînem tôde lac. disem mâre ich wol gelouben mac. Tristan, gâ her und küsse mich! und zwâre, soltu leben und ich, ich wil dîn erbevater sîn. Blanschefliure der muoter dîn und dînem vater Kanêle, den genâde got zer sêle und ruoche in beiden samet geben daz êweclîche lebende leben. sît ez alsus gevaren ist, daz doch dû mir worden bist 4275 4280 4285 4290 4295 4300 4305 4273 kleine = nicht so groſ, darum niwan. — 4280 hérschaft, hier =nhid. concret im Sinne von: Obrigkeit für: Herr und Herrin. 4285 vingerlîn stn., Fingerring. — 4288 gewœere adj., wahrhaft, treu; vgl. 5180. — 4299 erbevater, Pflegevater, der den blutsverwandten Pflegesohn zugleich zum Erben annimmt, entsprechend unserm: Adoptivvater. — 4302 den genâde got noch im Nhd. erhalten; genâden swv., gnädig sein, synonym von helfen (vgl. 12125). — zer sêle, für die Seele, zum Besten der Seele.
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VII. WIEDERSEHEN. 151 von der vil lieben swester mîn, geruochet es min tréhtîn, sô wil ich iemer wesen frô.» Zem gaste sprach er aber dô: «nu lieber friunt, nu saget mir, wer sît ir oder wie heizet ir?" «Rûal, hêrre.» «Rûal?» «jâ.» hie mite versan sich Marke sâ, wan er ouch ê in sinen tagen von ime vil hæte gehoret sagen, wie wîse und wie êrbare und wie getriuwe er wære, (110) und sprach: «Rûal li foitenant?" «jâ hêrre, alsô bin ich genant.» nu gie der guote Marke hin und kuste in unde enpfienc ín hêrlîche und alse im wol gezam. diu hêrschaft al zehant dô kam und kusten in besunder: si begúnden in ze wunder mit armen enbrazieren, höfschlîche salûieren: «willekómen, Rûal der werde, ein wunder ûf der erde!» 4310 4315 4320 4325 4330 Rûal was dâ willekomen. nu hæte ouch in der künec genomen an sîne hant und leite in hin ; vil lieplîche sazte er in ze sich an sîne sîten nider, und griffen an ir mære wider und redeten aller hande beidiu von Tristande und ouch von Blanschefliure allè die âventiure, waz Kanêl unde Mórgân ein ander hâtén getân, und wie daz ouch ein ende nam. vil schiere ez an daz mæere kam, daz der künec Rûâle seite, 4335 4340 4345 4327 enbrazieren swv., Fremdwort, franz. embrasser, umarmen. 4328 salûieren swv., Fremdwort, grüßsen, öfters bei Gottfried; vgl. 5204.
VII. WIEDERSEHEN. 151 von der vil lieben swester mîn, geruochet es min tréhtîn, sô wil ich iemer wesen frô.» Zem gaste sprach er aber dô: «nu lieber friunt, nu saget mir, wer sît ir oder wie heizet ir?" «Rûal, hêrre.» «Rûal?» «jâ.» hie mite versan sich Marke sâ, wan er ouch ê in sinen tagen von ime vil hæte gehoret sagen, wie wîse und wie êrbare und wie getriuwe er wære, (110) und sprach: «Rûal li foitenant?" «jâ hêrre, alsô bin ich genant.» nu gie der guote Marke hin und kuste in unde enpfienc ín hêrlîche und alse im wol gezam. diu hêrschaft al zehant dô kam und kusten in besunder: si begúnden in ze wunder mit armen enbrazieren, höfschlîche salûieren: «willekómen, Rûal der werde, ein wunder ûf der erde!» 4310 4315 4320 4325 4330 Rûal was dâ willekomen. nu hæte ouch in der künec genomen an sîne hant und leite in hin ; vil lieplîche sazte er in ze sich an sîne sîten nider, und griffen an ir mære wider und redeten aller hande beidiu von Tristande und ouch von Blanschefliure allè die âventiure, waz Kanêl unde Mórgân ein ander hâtén getân, und wie daz ouch ein ende nam. vil schiere ez an daz mæere kam, daz der künec Rûâle seite, 4335 4340 4345 4327 enbrazieren swv., Fremdwort, franz. embrasser, umarmen. 4328 salûieren swv., Fremdwort, grüßsen, öfters bei Gottfried; vgl. 5204.
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152 VII. WIEDERSEHEN. (111) mit welher kündekeite Tristan dar komen ware und wie er seite mæere, sin vater wære ein koufmán. Rûal der sach Tristanden an: “friunt», sprach er «ich hân lange vil anclîch und vil ange mîne marschandîse in armeclîcher wîse dur dînen willen her getriben; deist aber allez nû beliben an einem guoten ende. dar umbe ich mîne hende iemèr ze gote bieten sol.» Tristan sprach: «ich hore wol, sich machent disiu mære alsô, daz ich ir spâte wirde frô. ich bin, alsô ich hân vernomen, ze wunderlichen maeren komen: ich hoere mînen vater sagen, mîn vater der sî lange erslagen. hie mite verzîhet er sich mîn, sus muoz ich âne vater sîn, zweier väter, die ich gewunnen hân. â, vater unde vaterwân, wie sît ir mir alsus benomen! an den ich jach, mir ware komen ein vater, an dem selben man da verliuse ich zwêne vätere an, in unde den ich nie gesach.» der guote marschalc aber dô sprach: «wie nú, geselle Trístán, lâ dise rede, dân' ist niht an. jâ bistu von der künfte mîn 4350 4355 436 4365 4370 4375 4346 kündekeit stf., Klugheit, List. — 4352 anclîch, ancliche, anclichen adv. = ange adv. (1982), eifrig; diese Verbindung bei Gottfried öfters, vgl. 13089. 17803. 18294. — 4353 marschandise stf., Fremdwort, Kaufmann- schaft. — 4356 fg. nhd. hat ein gutes Ende genommen. — 4367 verzîhen stv. refl. mit gen. (mîn), auf etwas verzichten, sich von etwas lossagen. — 4368 âne vater, scheinbar âne præp. mit acc.; der folgende als Apposition stehende Genetiv zweier väter beweist, daßs àne hier adj. mit gen. ist, wenn es auch dem Subst. vorangeht; vgl. 5158. 8662. 15278 u. zu 1490. — 4372 jehen stv. an einen, sich zu einem bekennen, von einem voraussetzen; oder hier einfacher : von einem aussagen ? die jüngere Lesart an dem verwischt den stilgemässen Wechsel und verbindet einfacher an dem mit komen: an dem ich glaubte einen Vater gewonnen zu haben, in dem verliere ich u. s. w. — 4379 kunft stf., Ankunft. —
152 VII. WIEDERSEHEN. (111) mit welher kündekeite Tristan dar komen ware und wie er seite mæere, sin vater wære ein koufmán. Rûal der sach Tristanden an: “friunt», sprach er «ich hân lange vil anclîch und vil ange mîne marschandîse in armeclîcher wîse dur dînen willen her getriben; deist aber allez nû beliben an einem guoten ende. dar umbe ich mîne hende iemèr ze gote bieten sol.» Tristan sprach: «ich hore wol, sich machent disiu mære alsô, daz ich ir spâte wirde frô. ich bin, alsô ich hân vernomen, ze wunderlichen maeren komen: ich hoere mînen vater sagen, mîn vater der sî lange erslagen. hie mite verzîhet er sich mîn, sus muoz ich âne vater sîn, zweier väter, die ich gewunnen hân. â, vater unde vaterwân, wie sît ir mir alsus benomen! an den ich jach, mir ware komen ein vater, an dem selben man da verliuse ich zwêne vätere an, in unde den ich nie gesach.» der guote marschalc aber dô sprach: «wie nú, geselle Trístán, lâ dise rede, dân' ist niht an. jâ bistu von der künfte mîn 4350 4355 436 4365 4370 4375 4346 kündekeit stf., Klugheit, List. — 4352 anclîch, ancliche, anclichen adv. = ange adv. (1982), eifrig; diese Verbindung bei Gottfried öfters, vgl. 13089. 17803. 18294. — 4353 marschandise stf., Fremdwort, Kaufmann- schaft. — 4356 fg. nhd. hat ein gutes Ende genommen. — 4367 verzîhen stv. refl. mit gen. (mîn), auf etwas verzichten, sich von etwas lossagen. — 4368 âne vater, scheinbar âne præp. mit acc.; der folgende als Apposition stehende Genetiv zweier väter beweist, daßs àne hier adj. mit gen. ist, wenn es auch dem Subst. vorangeht; vgl. 5158. 8662. 15278 u. zu 1490. — 4372 jehen stv. an einen, sich zu einem bekennen, von einem voraussetzen; oder hier einfacher : von einem aussagen ? die jüngere Lesart an dem verwischt den stilgemässen Wechsel und verbindet einfacher an dem mit komen: an dem ich glaubte einen Vater gewonnen zu haben, in dem verliere ich u. s. w. — 4379 kunft stf., Ankunft. —
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VII. WIEDERSEHEN. 153 4380 werder, dan du wândest sin, und bist ir gêret iemer mê, und hâst doch zwêne väter als ê, hie mînen hêrren unde mich: er ist din vater, alsô bin ich. volge êt mîner lêre und wis iemer mêre allen künegen ebenhêr. lâz alle rede und tuo niht mêr. mînen hêrren, dînen ééhéim, den bit, daz er dir helfe heim und dich hie ritter mache, wan dû maht dîner sache sus hin wol selbe nemen war. ir hêrren, sprechet alle dar, daz ez min hêrre gerne tuo!» 4385 4390 4395 (112) Sus sprâchen s' alle samet derzuo: «hêrr', ez hât guote fuoge : Tristan hât kraft genuoge und ist ein wol gewahsen man.» der künec sprach: «neve Trístán, sage an, wie stât din muot hie zuo? ist ez dir liep, daz ich ez tuo?" «trût hêrre, ich sage iu mînen muot. hæt' ich sô rîlîchez guot, daz ich wol nâch dem willen mîn und alsô ritter möhte sîn, daz ich mich ritterlîches namen noch er sich mîn niht dorfte schamen; und ritterlichiu werdekeit an mir niht würde nider geleit, sô wolte ich gerne ritter sîn, die müezigen jugende mîn- ueben unde kêren ze wérltlîchen êren; wan ritterschaft, alsô man seit , diu muoz ie von der kinthéit nemen ir anegenge 4400 4405 4410 4415 4381 ir gen., durch sie, durch die Ankunft geehrt. — 4387 ebenhêr adj., gleich hehr, gleich an Hoheit; vgl. zu 248. — 4391 = ze ritter, z'einem ritter mache wie noch in V. 12744; vgl. Gr. 4, 823. 4399 wol gewahsen, nicht: schön von Wuchs, sondern: vollkommen erwachsen. — 4410 nider legen, hier: erniedrigen; vgl. 5662 und zu 3749. 9604. —
VII. WIEDERSEHEN. 153 4380 werder, dan du wândest sin, und bist ir gêret iemer mê, und hâst doch zwêne väter als ê, hie mînen hêrren unde mich: er ist din vater, alsô bin ich. volge êt mîner lêre und wis iemer mêre allen künegen ebenhêr. lâz alle rede und tuo niht mêr. mînen hêrren, dînen ééhéim, den bit, daz er dir helfe heim und dich hie ritter mache, wan dû maht dîner sache sus hin wol selbe nemen war. ir hêrren, sprechet alle dar, daz ez min hêrre gerne tuo!» 4385 4390 4395 (112) Sus sprâchen s' alle samet derzuo: «hêrr', ez hât guote fuoge : Tristan hât kraft genuoge und ist ein wol gewahsen man.» der künec sprach: «neve Trístán, sage an, wie stât din muot hie zuo? ist ez dir liep, daz ich ez tuo?" «trût hêrre, ich sage iu mînen muot. hæt' ich sô rîlîchez guot, daz ich wol nâch dem willen mîn und alsô ritter möhte sîn, daz ich mich ritterlîches namen noch er sich mîn niht dorfte schamen; und ritterlichiu werdekeit an mir niht würde nider geleit, sô wolte ich gerne ritter sîn, die müezigen jugende mîn- ueben unde kêren ze wérltlîchen êren; wan ritterschaft, alsô man seit , diu muoz ie von der kinthéit nemen ir anegenge 4400 4405 4410 4415 4381 ir gen., durch sie, durch die Ankunft geehrt. — 4387 ebenhêr adj., gleich hehr, gleich an Hoheit; vgl. zu 248. — 4391 = ze ritter, z'einem ritter mache wie noch in V. 12744; vgl. Gr. 4, 823. 4399 wol gewahsen, nicht: schön von Wuchs, sondern: vollkommen erwachsen. — 4410 nider legen, hier: erniedrigen; vgl. 5662 und zu 3749. 9604. —
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154 VII. WIEDERSEHEN. (113) oder sî wirt selten strenge. daz ich mîn unversuochte jugent ûf werdekéit únde ûf tugent sô rehte selten güebet hân, daz ist vil sêre missetân und hân es an mich selben haz. nu weiz ich doch nu lange daz, senft' unde ritterlîcher prîs diu missehellent alle wîs und mugen vil übele samet gewesen. ouch hân ich selbe wol gelesen, daz êre wil des libes nôt. gemach daz ist der êren tôt, dâ man's ze lange und ouch ze vil in der kintheit pflegen wil. und wizzet wol zewâre, hæt’ ich vor einem jâre oder ê min dinc sô wol gewist, als ez mir hie gesaget ist, ez enware niht unz her gespart. sit ez ab dô gesûmet wart, so ist réht, daz ich mich noch erhol, wan mîn dinc stât billîche wol an libe unde an muote. got râte mir zem guote, daz ich dem muote vollevar!" 4420 4425 4430 4435 4440 Markè sprach: «neve, nim selbe war, sich, wie du werben woltest, ob du künic wesen soltest und hêrre übr allez Kurnewal. sô sitzet hie din vater Rûal, der ganze triuwe zuo dir hât, der si dîn râtgeb und dîn rât, daz dîn dinc alsô vollegê, daz ez nâch dînem willen stê. 4445 4450 4418 strenge adj., stark, fest. — 4423 und habe deshalb wider mich selbst einen Unwillen, mache mir selbst Vorwürfe. — 4425 senfte stf., hier: ru- liges, behagliches Leben. — 4426 misschellen stv., eigentlich: verschieden lauten, dann : nicht übereinstimmen. — 4428 fg. vgl. den ähnlichen Gedanken in V. 12511—16. — 4438 sûmen swv., hier trans.: versäumen. — 4439 erholn swv. refl. = unserm: nachholen; in V. 12026 = nhd. — 4442 räten stv., helfen, verhelfen. — 4443 vollevarn stv. mit dat., etwas vollziehen, aus- führen, einer Sache genügen; vgl. zu 4519. 4451 vollegén, in Erfüllung gehen. —
154 VII. WIEDERSEHEN. (113) oder sî wirt selten strenge. daz ich mîn unversuochte jugent ûf werdekéit únde ûf tugent sô rehte selten güebet hân, daz ist vil sêre missetân und hân es an mich selben haz. nu weiz ich doch nu lange daz, senft' unde ritterlîcher prîs diu missehellent alle wîs und mugen vil übele samet gewesen. ouch hân ich selbe wol gelesen, daz êre wil des libes nôt. gemach daz ist der êren tôt, dâ man's ze lange und ouch ze vil in der kintheit pflegen wil. und wizzet wol zewâre, hæt’ ich vor einem jâre oder ê min dinc sô wol gewist, als ez mir hie gesaget ist, ez enware niht unz her gespart. sit ez ab dô gesûmet wart, so ist réht, daz ich mich noch erhol, wan mîn dinc stât billîche wol an libe unde an muote. got râte mir zem guote, daz ich dem muote vollevar!" 4420 4425 4430 4435 4440 Markè sprach: «neve, nim selbe war, sich, wie du werben woltest, ob du künic wesen soltest und hêrre übr allez Kurnewal. sô sitzet hie din vater Rûal, der ganze triuwe zuo dir hât, der si dîn râtgeb und dîn rât, daz dîn dinc alsô vollegê, daz ez nâch dînem willen stê. 4445 4450 4418 strenge adj., stark, fest. — 4423 und habe deshalb wider mich selbst einen Unwillen, mache mir selbst Vorwürfe. — 4425 senfte stf., hier: ru- liges, behagliches Leben. — 4426 misschellen stv., eigentlich: verschieden lauten, dann : nicht übereinstimmen. — 4428 fg. vgl. den ähnlichen Gedanken in V. 12511—16. — 4438 sûmen swv., hier trans.: versäumen. — 4439 erholn swv. refl. = unserm: nachholen; in V. 12026 = nhd. — 4442 räten stv., helfen, verhelfen. — 4443 vollevarn stv. mit dat., etwas vollziehen, aus- führen, einer Sache genügen; vgl. zu 4519. 4451 vollegén, in Erfüllung gehen. —
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VII. WIEDERSEHEN. 155 (114) vil lieber neve Trístán, nim dich niht ármúotes an; wan Parmenîe daz ist din und muoz dîn eigen iemer sîn, sol ich únd dîn vater Rûal leben. dar zuo wil ich dir stiure geben: mîn lant, mîn liut und swaz ich hân, trût neve, daz si dir uf getân. wil dû din herze kêren ze vorderlîchen êren, und ist dîn wille alsô getân, als ich von dir vernomen hân, sone spár des mînen niht dervor Kurnewál daz sî dîn úrbór, min krône si din zinsrîn. wil dû zer werlde gewirdet sîn, sô schaffe êt umbe rîchen muot: ich gibe dir rîchlîchez guot. sich, dû hâst keiserlîche habe, nune gánc dir selbe nihtes abe. bist dû dir selbem alse holt und hâstu muot, alsô du solt und alse dû mir hâst verjehen, daz hân ich schiere an dir gesehen. sich, vinde ich hêrren muot an dir, du vindest iemer mêre an mir dines willen vollen schrîn: Tintajoêl muoz iemer sin din triskámere und dîn trisor. gesprengest du mir rehte vor 4460 4465 4470 4475 4480 4455 4454 sei um Armuth nicht besorgt; oder: halte dich nicht für arm; (die Erklärung im mhd. Wörterbuche II, 1, 366b, «lebe nicht wie ein armer Mann", scheint mir nicht in den Zusammenhang zu passen). — 4460 ûf tuon, Terminus aus dem Lehnrecht, eröffnen, zur Verfügung stellen. — 4462 vorderlich adj., (förderlich), vorzüglich. — 4465 dervor adv., deshalb, mit Rücksicht darauf (daf es mein ist). — 4466 urbor stf., Zinsabwurf, Rente. — 4467 zinsarîn stf., Zinszahlerin; ein Gottfriedisches Bild. — 4468 wirden swv., hier: würdigen, ehren; bei Gottfried öfters; vgl. 18045. 18059 und zu 1650. — 4469 schaffen stv. umbe..., sorgen für... — rîcher muot, freigebiger Sinn (der nur durch Besitz zu erlangen und zur That zu machen ist). — 4471 keiserlîch adj., hier nicht abstract (vgl. zu 708); ein neuerer Dichter könnte ebenso sagen. — 4473 holt adj., hier: treu; vgl. Bech zu Gregor 1278. — 4476 hân ist hier wie vereinzelt noch heute Auxiliar fur das Futurum exactum. — 4479 schrîn stm., insbesondere voller schrîn, öfters bei mhd. Dichtern bildlich gebraucht. — 4481 tris- Lamere stf., Schatzkammer. — trisor stm., Fremdwort, franz. trésor, Schatz. — 4482 gesprengen swv., verst. spreagen; hier bildlich vor gesprengen = vorangehen.
VII. WIEDERSEHEN. 155 (114) vil lieber neve Trístán, nim dich niht ármúotes an; wan Parmenîe daz ist din und muoz dîn eigen iemer sîn, sol ich únd dîn vater Rûal leben. dar zuo wil ich dir stiure geben: mîn lant, mîn liut und swaz ich hân, trût neve, daz si dir uf getân. wil dû din herze kêren ze vorderlîchen êren, und ist dîn wille alsô getân, als ich von dir vernomen hân, sone spár des mînen niht dervor Kurnewál daz sî dîn úrbór, min krône si din zinsrîn. wil dû zer werlde gewirdet sîn, sô schaffe êt umbe rîchen muot: ich gibe dir rîchlîchez guot. sich, dû hâst keiserlîche habe, nune gánc dir selbe nihtes abe. bist dû dir selbem alse holt und hâstu muot, alsô du solt und alse dû mir hâst verjehen, daz hân ich schiere an dir gesehen. sich, vinde ich hêrren muot an dir, du vindest iemer mêre an mir dines willen vollen schrîn: Tintajoêl muoz iemer sin din triskámere und dîn trisor. gesprengest du mir rehte vor 4460 4465 4470 4475 4480 4455 4454 sei um Armuth nicht besorgt; oder: halte dich nicht für arm; (die Erklärung im mhd. Wörterbuche II, 1, 366b, «lebe nicht wie ein armer Mann", scheint mir nicht in den Zusammenhang zu passen). — 4460 ûf tuon, Terminus aus dem Lehnrecht, eröffnen, zur Verfügung stellen. — 4462 vorderlich adj., (förderlich), vorzüglich. — 4465 dervor adv., deshalb, mit Rücksicht darauf (daf es mein ist). — 4466 urbor stf., Zinsabwurf, Rente. — 4467 zinsarîn stf., Zinszahlerin; ein Gottfriedisches Bild. — 4468 wirden swv., hier: würdigen, ehren; bei Gottfried öfters; vgl. 18045. 18059 und zu 1650. — 4469 schaffen stv. umbe..., sorgen für... — rîcher muot, freigebiger Sinn (der nur durch Besitz zu erlangen und zur That zu machen ist). — 4471 keiserlîch adj., hier nicht abstract (vgl. zu 708); ein neuerer Dichter könnte ebenso sagen. — 4473 holt adj., hier: treu; vgl. Bech zu Gregor 1278. — 4476 hân ist hier wie vereinzelt noch heute Auxiliar fur das Futurum exactum. — 4479 schrîn stm., insbesondere voller schrîn, öfters bei mhd. Dichtern bildlich gebraucht. — 4481 tris- Lamere stf., Schatzkammer. — trisor stm., Fremdwort, franz. trésor, Schatz. — 4482 gesprengen swv., verst. spreagen; hier bildlich vor gesprengen = vorangehen.
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156 VII. WIEDERSEHEN. mit rîlîchem muote, volg' ich dir niht mit guote, sô müeze mir allez daz zergan, daz ich ze Kurnewâle hân.» 4485 Hie wart genigen rîche: si nigen al gelîche, die bî dem mare wâren. si buten im unde bâren èr' unde lop mit schalle: «künec Márke», sprâchen s' alle, «du sprichest, als der hövesche sol. diu wort gezement der krône wol. dîn zunge, dîn herze und dîn hant, die gebieten iemer über diz lant! wis iemer künic über Kurnwal!» der getriuwe marschalc dan Rûal und sîn junchêrre Tristán, die griffen ir geschäfede an nâch solher rîchéite, als in der künec vür leite und in diu mâze was gegeben. 4490 4495 4500 Nu strîte ich umbe ir beider leben beidìu des vater unde des suns. wan eteswer der frâget uns durch daz, daz alter unde jugent seltèn gehellent einer tugent, und jugent daz guot unruochet, dâ ez daz alter suochet, wie sî sich under in beiden ie kunden sô bescheiden, daz ietwedérre besunder sîner ger hier under und sînes rehtes wielte, sô daz Rûal behielte 4505 4510 4515 4485 zergân hier mit dat., einem verloren gehen. 4487 rîche adv., hier : in reichem Maſse, sehr viel. — 4491 mit schalle. mit Freudenschall, mit Jubel. — 4500 geschäfede stn., Geschäft, Sache. — 4503 mâze, hier : Mas, Richtschnur. 4504 strîten stv. umbe ..., hier wohl nicht bildlich: gegenüberstellen, vergleichen, sondern: ich bin im Streit (mit mir), im Zweifel wegen... [vgl. unstreitig, unbestritten]. — 4508 gehellen stv. hier mit dat. (oder gen.?), in einer Sache zusammenstimmen. — 4509 unruochen swv. mit acc., unbeachtet lassen. — 4512 bescheiden stv. refl., sich einrichten, überein- kommen. — 4515 fg. Conjunctive, nhd. Indicative. —
156 VII. WIEDERSEHEN. mit rîlîchem muote, volg' ich dir niht mit guote, sô müeze mir allez daz zergan, daz ich ze Kurnewâle hân.» 4485 Hie wart genigen rîche: si nigen al gelîche, die bî dem mare wâren. si buten im unde bâren èr' unde lop mit schalle: «künec Márke», sprâchen s' alle, «du sprichest, als der hövesche sol. diu wort gezement der krône wol. dîn zunge, dîn herze und dîn hant, die gebieten iemer über diz lant! wis iemer künic über Kurnwal!» der getriuwe marschalc dan Rûal und sîn junchêrre Tristán, die griffen ir geschäfede an nâch solher rîchéite, als in der künec vür leite und in diu mâze was gegeben. 4490 4495 4500 Nu strîte ich umbe ir beider leben beidìu des vater unde des suns. wan eteswer der frâget uns durch daz, daz alter unde jugent seltèn gehellent einer tugent, und jugent daz guot unruochet, dâ ez daz alter suochet, wie sî sich under in beiden ie kunden sô bescheiden, daz ietwedérre besunder sîner ger hier under und sînes rehtes wielte, sô daz Rûal behielte 4505 4510 4515 4485 zergân hier mit dat., einem verloren gehen. 4487 rîche adv., hier : in reichem Maſse, sehr viel. — 4491 mit schalle. mit Freudenschall, mit Jubel. — 4500 geschäfede stn., Geschäft, Sache. — 4503 mâze, hier : Mas, Richtschnur. 4504 strîten stv. umbe ..., hier wohl nicht bildlich: gegenüberstellen, vergleichen, sondern: ich bin im Streit (mit mir), im Zweifel wegen... [vgl. unstreitig, unbestritten]. — 4508 gehellen stv. hier mit dat. (oder gen.?), in einer Sache zusammenstimmen. — 4509 unruochen swv. mit acc., unbeachtet lassen. — 4512 bescheiden stv. refl., sich einrichten, überein- kommen. — 4515 fg. Conjunctive, nhd. Indicative. —
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VII. WIEDERSEHEN. 157 (115) die mâze an dem guote, und Tristan sînem muote mit vollem guote vollezüge? diz prüeve ich schiere sunder lüge. Růal unde Trístán die truogen beide ein ander an als ebenwilligen muot, daz ir dewedere übel noch guot weder riet noch râten solte, wan alse der ander wolte. Rûal, der tugende erkande, der gelóubete Tristande und sach die jugende an im an; sô entweich ab Tristán den tugenden an Rûâle. diz truoc si z'einem mâle und z'einem zil gemeiner ger, daz dirre gerte alse der. alsus sô wâren s' under in zwein mit willen und mit muote al ein. hie von wart alter unde jugent gehellesam an einer tugent; alhie viel hôher muot in sin, hie mite behielten s' under in Tristan sîn reht an muote, Rûal die mâze an guote, daz ir ietwedere an der stete niht wider sînem rehte tete. 4520 4525 4530 4535 4540 4519 vollecichen stv. mit dat., (vollziehen), etwa = unserm: genügen. — 4520 prüeven swv., beurtheilen, erklären. — sunder lüge, formelhafte Wen- dung und nicht wörtlich zu nehmen, etwa entsprechend unserm : ohne Rück- halt; oder noch gleichgültiger als Betheuerung = vür wàr? — 4523 eben- willic adj., gleich willig, gleichgestimmt. — 4528 gelouben swv., (glauben), Zutrauen hegen. — 4529 jugende (= Hs. M und H) Plural oder Neben- form? — 4530 sô conj., dagegen. — entwîchen stv., nachgeben. — 4532 mâl stn., hier: Zielpunkt. — 4536 al ein, ganz eins, zusammen eins; vgl. 13015. 14342. — 4538 gehellesam adj., übereinstimmend. — 4539 vallen stv. in... sich neigen zu..., gelangen [vgl. zufallen]. — sin stm., hier: Verstand, Besonnenheit. Der Jugendmuth gesellte sich allhier zu der Besonnenheit (des Alters).
VII. WIEDERSEHEN. 157 (115) die mâze an dem guote, und Tristan sînem muote mit vollem guote vollezüge? diz prüeve ich schiere sunder lüge. Růal unde Trístán die truogen beide ein ander an als ebenwilligen muot, daz ir dewedere übel noch guot weder riet noch râten solte, wan alse der ander wolte. Rûal, der tugende erkande, der gelóubete Tristande und sach die jugende an im an; sô entweich ab Tristán den tugenden an Rûâle. diz truoc si z'einem mâle und z'einem zil gemeiner ger, daz dirre gerte alse der. alsus sô wâren s' under in zwein mit willen und mit muote al ein. hie von wart alter unde jugent gehellesam an einer tugent; alhie viel hôher muot in sin, hie mite behielten s' under in Tristan sîn reht an muote, Rûal die mâze an guote, daz ir ietwedere an der stete niht wider sînem rehte tete. 4520 4525 4530 4535 4540 4519 vollecichen stv. mit dat., (vollziehen), etwa = unserm: genügen. — 4520 prüeven swv., beurtheilen, erklären. — sunder lüge, formelhafte Wen- dung und nicht wörtlich zu nehmen, etwa entsprechend unserm : ohne Rück- halt; oder noch gleichgültiger als Betheuerung = vür wàr? — 4523 eben- willic adj., gleich willig, gleichgestimmt. — 4528 gelouben swv., (glauben), Zutrauen hegen. — 4529 jugende (= Hs. M und H) Plural oder Neben- form? — 4530 sô conj., dagegen. — entwîchen stv., nachgeben. — 4532 mâl stn., hier: Zielpunkt. — 4536 al ein, ganz eins, zusammen eins; vgl. 13015. 14342. — 4538 gehellesam adj., übereinstimmend. — 4539 vallen stv. in... sich neigen zu..., gelangen [vgl. zufallen]. — sin stm., hier: Verstand, Besonnenheit. Der Jugendmuth gesellte sich allhier zu der Besonnenheit (des Alters).
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VIII. TRISTAN'S SCHWERTLEITE. Tristan und seine dreißsig Genossen sind zur Schwertleite bereit und ausgerüstet. Der Dichter getraut sich nicht, den Glanz dieses Festes würdig und mit Erfolg zu beschreiben, nachdem solche Scenen schon so manigfache dichterische Bearbeitung gefunden haben, und so nimmt er Gelegenheit, zeitgenössische oder erst kurz dahingeschiedene Dichter zu erwähnen und ihre Vorzüge zu preisen. Zuerst nennt er Hartmann den Auer; ihm gesteht er den Dichterlorber zu, indem er zugleich einen strafenden Seitenblick wirft auf Wolfram von Eschenbach und seine An- hänger, auf die «Finder wilder Mären", ohne aber einen Namen zu nen- nen. Weiterhin preist er unter den «Färbern", den erzählenden Dich- tern, den Bliker von Steinahe, den Dichter des «Umbehanges". Den Heinrich von Veldeken hat Gottfried selbst nicht mehr gesehen, er erinnert aber voll Dankbarkeit an ihn , weil er das erste Reis in deutscher Zunge impfte. Von den «Nachtigallen", von den Liederdichtern, will Gott- fried nicht sprechen, aber er gesteht zu, dafs ohne ihren Sang die Welt arm an Freuden wäre. Seit die Nachtigall von Hagenau (Reinmar der Alte) verstummt ist, soll die von der Vogelweide das Banner vorantragen. Der Dichter wünscht, daßs seine Worte ebenso wie die an- derer Erzähler beschaffen sein möchten, darum richtet er seine Bitte zum Helikon, dem Sitze Apollo’s und der neun Musen, daß sie ihm die Gabe der Worte und Gedanken spenden. Aber wenn er auch mit seiner Rede die Herzen zu erfreuen vermöchte, so will er doch darauf verzichten. einen Gegenstand zu behandeln, an dem sich mancher vergeblich bemüht habe. — Mit einer Vergleichung Tristan's mit seinen Gesellen, denen er äufserlich gleiche, die er aber an inneren Vorzügen überstrable, lenkt Gott- fried wieder in die Erzählung ein. Nachdem Tristan und die andern Jünglinge im Münster den Segen empfangen haben, legt Marke seinem Neffen Schwert und Sporen an und ermahnt ihn zu allem Guten. Auch den Schild reicht er ihm dar mit Kufs und Segensspruch. In gleicher Weise rüstet Tristan seine Genossen mit Schwert und Sporn und Schilde aus. Nach dieser Feier eilen sie zum Ritterspiel.
VIII. TRISTAN'S SCHWERTLEITE. Tristan und seine dreißsig Genossen sind zur Schwertleite bereit und ausgerüstet. Der Dichter getraut sich nicht, den Glanz dieses Festes würdig und mit Erfolg zu beschreiben, nachdem solche Scenen schon so manigfache dichterische Bearbeitung gefunden haben, und so nimmt er Gelegenheit, zeitgenössische oder erst kurz dahingeschiedene Dichter zu erwähnen und ihre Vorzüge zu preisen. Zuerst nennt er Hartmann den Auer; ihm gesteht er den Dichterlorber zu, indem er zugleich einen strafenden Seitenblick wirft auf Wolfram von Eschenbach und seine An- hänger, auf die «Finder wilder Mären", ohne aber einen Namen zu nen- nen. Weiterhin preist er unter den «Färbern", den erzählenden Dich- tern, den Bliker von Steinahe, den Dichter des «Umbehanges". Den Heinrich von Veldeken hat Gottfried selbst nicht mehr gesehen, er erinnert aber voll Dankbarkeit an ihn , weil er das erste Reis in deutscher Zunge impfte. Von den «Nachtigallen", von den Liederdichtern, will Gott- fried nicht sprechen, aber er gesteht zu, dafs ohne ihren Sang die Welt arm an Freuden wäre. Seit die Nachtigall von Hagenau (Reinmar der Alte) verstummt ist, soll die von der Vogelweide das Banner vorantragen. Der Dichter wünscht, daßs seine Worte ebenso wie die an- derer Erzähler beschaffen sein möchten, darum richtet er seine Bitte zum Helikon, dem Sitze Apollo’s und der neun Musen, daß sie ihm die Gabe der Worte und Gedanken spenden. Aber wenn er auch mit seiner Rede die Herzen zu erfreuen vermöchte, so will er doch darauf verzichten. einen Gegenstand zu behandeln, an dem sich mancher vergeblich bemüht habe. — Mit einer Vergleichung Tristan's mit seinen Gesellen, denen er äufserlich gleiche, die er aber an inneren Vorzügen überstrable, lenkt Gott- fried wieder in die Erzählung ein. Nachdem Tristan und die andern Jünglinge im Münster den Segen empfangen haben, legt Marke seinem Neffen Schwert und Sporen an und ermahnt ihn zu allem Guten. Auch den Schild reicht er ihm dar mit Kufs und Segensspruch. In gleicher Weise rüstet Tristan seine Genossen mit Schwert und Sporn und Schilde aus. Nach dieser Feier eilen sie zum Ritterspiel.
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VIII. TRISTAN'S SCHWERTLEITE. 159 (116) Sus greif Rûal und Tristán ir dinc bescheidenlîchen an, als ez in beiden was gewant. si gewunnen harnasch unde gewant innerhalp den drizec tagen, daz drîzec ritter solten tragen, die sich der hövesche Trístán ze geséllen wolte nemen an. swer mich nu frâget umbe ir kleit und umbe ir kleider rîchéit, wie diu zesamene wurden brâht, des bin ich kúrzé bedâht, dem sage ich, als daz mare giht. sage ich ime anders iht, sô widertribe er mich dar an und sage er selbe baz dar van: ir kleider wâren ûf geleit mit vier hánde rîchéit, und was der viere iegelich ín ir ámbéte rích: daz eine daz was hôher muot ; daz ander daz was vollez guot; daz dritte was bescheidenheit, diu disiu zwei zesamene sneit; daz vierde daz was hövescher sin, der næte disen allen drin. si worhten alle viere vil rehte in ir maniere : der hôhe muot der gerte, daz volle guot gewerte, 4550 4555 4560 4565 4570 4545 4549 innerhalp adv. præp. mit dat. (und gen.), nhd. nur mit gen. — 4556 vgl. unsere Wendung : ich bin hierin nicht lange bedenklich, rasch (kurze adv. selten) entschlossen; vgl. 5394 (die Erklärung im mhd. Wörterbuch I, 345b «darauf brauche ich mich nicht lange zu besinnen» passt nicht). — 4559 widertrîben stv. mit acc., einen widerlegen. — 4561 ûf legen, häufig angewandt bei Gottfried und in verschiedenen Bedeutungen, hier: aus- denken; vgl. 11441 [vgl. aufstellen]. — 4564 ambet stn., hier bildlich: Be- stimmung. — 4568 zesamene snîden, bildlich: im Schnitte zusammenbringen, zusammenfügen, zusammenhalten; der Dichter wiederholt den in V. 4504 fg. und namentlich in 4539 ausgesprochenen Gedanken. — 4570 nœjen swv., nähen, hier mit dat., also intrans. (dagegen transit. in V. 4576): der hö- fische Sinn war für diese alle drei die Nadel; er vereinte sie zu einem ganzen Kleide. — 4572 maniere stf., Fremdwort, Manier, Art und Weise ; vgl. 12672. —
VIII. TRISTAN'S SCHWERTLEITE. 159 (116) Sus greif Rûal und Tristán ir dinc bescheidenlîchen an, als ez in beiden was gewant. si gewunnen harnasch unde gewant innerhalp den drizec tagen, daz drîzec ritter solten tragen, die sich der hövesche Trístán ze geséllen wolte nemen an. swer mich nu frâget umbe ir kleit und umbe ir kleider rîchéit, wie diu zesamene wurden brâht, des bin ich kúrzé bedâht, dem sage ich, als daz mare giht. sage ich ime anders iht, sô widertribe er mich dar an und sage er selbe baz dar van: ir kleider wâren ûf geleit mit vier hánde rîchéit, und was der viere iegelich ín ir ámbéte rích: daz eine daz was hôher muot ; daz ander daz was vollez guot; daz dritte was bescheidenheit, diu disiu zwei zesamene sneit; daz vierde daz was hövescher sin, der næte disen allen drin. si worhten alle viere vil rehte in ir maniere : der hôhe muot der gerte, daz volle guot gewerte, 4550 4555 4560 4565 4570 4545 4549 innerhalp adv. præp. mit dat. (und gen.), nhd. nur mit gen. — 4556 vgl. unsere Wendung : ich bin hierin nicht lange bedenklich, rasch (kurze adv. selten) entschlossen; vgl. 5394 (die Erklärung im mhd. Wörterbuch I, 345b «darauf brauche ich mich nicht lange zu besinnen» passt nicht). — 4559 widertrîben stv. mit acc., einen widerlegen. — 4561 ûf legen, häufig angewandt bei Gottfried und in verschiedenen Bedeutungen, hier: aus- denken; vgl. 11441 [vgl. aufstellen]. — 4564 ambet stn., hier bildlich: Be- stimmung. — 4568 zesamene snîden, bildlich: im Schnitte zusammenbringen, zusammenfügen, zusammenhalten; der Dichter wiederholt den in V. 4504 fg. und namentlich in 4539 ausgesprochenen Gedanken. — 4570 nœjen swv., nähen, hier mit dat., also intrans. (dagegen transit. in V. 4576): der hö- fische Sinn war für diese alle drei die Nadel; er vereinte sie zu einem ganzen Kleide. — 4572 maniere stf., Fremdwort, Manier, Art und Weise ; vgl. 12672. —
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160 VIII. TRISTAN'S SCHWERTLEITE. 4575 (117) bescheidenheit schuof unde sneit ; der sin der næte ir aller kleit und ander ir feitiure, baniere und covertiure und anderen der ritter rât, dér den ríttér bestât. swaz sô daz ros und ouch den man ze rittere geprüeven kan, der geziuc was aller sêre rich, und alse rich, daz iegelich einem künege wol gezæme, daz er swért dar inne næme. Sit die gesellen sint bereit mit beschéidenlîcher rîchéit, wie gevâhe ich nû mîn sprechen an, daz ich den werden houbetman Tristanden sô bereite ze sîner swértléite, daz man ez gérné verneme und an dem mare wol gezeme? i'ne wéiz, waz ich dâ von gesage, daz in gelîche und iu behage und schône an disem mæere sté. wan bî mînen tagen und ê hât man sô rehte wol geseit von ritterlîcher werdekeit, von rîchém geræte, ob ich der sinne hæte zwelve, der ich einen hân, mit den ich umbe solte gân, 4580 4585 4590 4595 4600 4575 schaffen stv., hier: ins Werk setzen, einrichten. — 4577 feitiure stf., Fremdwort, lat. factura, Einrichtung, Schmuck; vgl. zu 670. — 4578 baniere stf. (4797); banier =nhd., Banier stn., Fahne. — covertiure stf., Fremdwort, Decke, insbesondere: Pferdedecke; vgl. zu 18794. — 4580 bestàn, hier ein wenig anders als in V. 4142: einem zukommen, zu einem gehören; vgl. 4935. — 4581 swâz sô verstärktes Correl., was auch, was alles. — 4582 ze rittere= ritterlich, rittermassig. — geprüeven swv., verst. prüeven, darstellen, zurecht machen. — 4583 geziuc stm., Ausrüstung; das Wort tritt erläu- ternd zu swâz sô: die ganze Ausrüstung nämlich war u. s. w. 4587 die gesellen , Genossen, hier Tristan wohl mit einbegriffen ; vgI. 4552. — 4589 an gevâhen = an vâhen. — 4590 houbetman, die Hauptperson. — 4592 schwertleite stf., eigentlich : Schwertführung, technischer Ausdruck für den feierlichen Act der Wehrhaftmachung, der Erhebung zur Ritterwürde. — 4594 elliptisch = ez gezeme; an = passen zu; vgl. 4651. — 4596 gelichen swv., gefallen; dieselbe Wendung in V. 9496. — 4600 daneben die Lesart: von werltlîcher cierheil; vielleicht wertlicher cierheit? vgl. jedoch V. 4409. 5085.
160 VIII. TRISTAN'S SCHWERTLEITE. 4575 (117) bescheidenheit schuof unde sneit ; der sin der næte ir aller kleit und ander ir feitiure, baniere und covertiure und anderen der ritter rât, dér den ríttér bestât. swaz sô daz ros und ouch den man ze rittere geprüeven kan, der geziuc was aller sêre rich, und alse rich, daz iegelich einem künege wol gezæme, daz er swért dar inne næme. Sit die gesellen sint bereit mit beschéidenlîcher rîchéit, wie gevâhe ich nû mîn sprechen an, daz ich den werden houbetman Tristanden sô bereite ze sîner swértléite, daz man ez gérné verneme und an dem mare wol gezeme? i'ne wéiz, waz ich dâ von gesage, daz in gelîche und iu behage und schône an disem mæere sté. wan bî mînen tagen und ê hât man sô rehte wol geseit von ritterlîcher werdekeit, von rîchém geræte, ob ich der sinne hæte zwelve, der ich einen hân, mit den ich umbe solte gân, 4580 4585 4590 4595 4600 4575 schaffen stv., hier: ins Werk setzen, einrichten. — 4577 feitiure stf., Fremdwort, lat. factura, Einrichtung, Schmuck; vgl. zu 670. — 4578 baniere stf. (4797); banier =nhd., Banier stn., Fahne. — covertiure stf., Fremdwort, Decke, insbesondere: Pferdedecke; vgl. zu 18794. — 4580 bestàn, hier ein wenig anders als in V. 4142: einem zukommen, zu einem gehören; vgl. 4935. — 4581 swâz sô verstärktes Correl., was auch, was alles. — 4582 ze rittere= ritterlich, rittermassig. — geprüeven swv., verst. prüeven, darstellen, zurecht machen. — 4583 geziuc stm., Ausrüstung; das Wort tritt erläu- ternd zu swâz sô: die ganze Ausrüstung nämlich war u. s. w. 4587 die gesellen , Genossen, hier Tristan wohl mit einbegriffen ; vgI. 4552. — 4589 an gevâhen = an vâhen. — 4590 houbetman, die Hauptperson. — 4592 schwertleite stf., eigentlich : Schwertführung, technischer Ausdruck für den feierlichen Act der Wehrhaftmachung, der Erhebung zur Ritterwürde. — 4594 elliptisch = ez gezeme; an = passen zu; vgl. 4651. — 4596 gelichen swv., gefallen; dieselbe Wendung in V. 9496. — 4600 daneben die Lesart: von werltlîcher cierheil; vielleicht wertlicher cierheit? vgl. jedoch V. 4409. 5085.
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VIII. TRISTAN'S SCHWERTLEITE. 161 und wære daz gefüege, daz ich zwelf zungen trüege in mîn eines munde, der iegelîchiu kunde sprechen, alse ich sprechen kan, i’ne wéste, wie gevâhen an, daz ich von rîcheite sô guotes iht geseite, mane hâte baz dâ von geseit. jâ ritterlichiu zierhéit diu ist sô manege wîs geschriben und ist mit rede alsô zetriben daz ich niht kan gereden dar abe, dâ von kein herze fröude habe. 4610 4615 4605 Hartman der Ouwære, ahî, wie der diu mære beid' ûzen unde innen mit worten und mit sinnen durchvärwet und durchzieret! wie er mit rede figieret der âventiure meine! wie luter und wie reine sin krístallîniu wortelin beidiu sínt und iemer müezen sin! si koment den man mit siten an, si tuont sich nâhe zuo dem man und liebent rehtem muote. swer guote rede ze guote und ouch ze rehte kan verstân, der muoz dem Ouware lân 4620 4625 4630 4605 gefüege adj., passend, streift hier an den Begriff: möglich. — 4610 i'ne weste, daf ich nicht wüsste, abh. von sô in V. 4599. Die Verse 4602—9 sind Zwischensätze. — 4613 mane nach Hs. M = man ne = daßs man nicht hätte. — 4614 rierheit stf., Zierde, Schmuck. — 4616 zetríben stv., eigent- lich: auseinander treiben, zerstreuen; hier bildlich: abnutzen; vgl. 12288. — 4617 dar abe adv., davon. 4619 s. Namenverzeichniss; vgl. Bech's Einleitung zu Hartmann von Aue, I. — 4620 alî interj. wie unser : ei; hier freudig, dagegen vorwurfsvoll in V. 9860. — 4622 fg. vgl. Bech's Einleitung zu Hartmann von Aue, I, VIII. — 4624 figieren swv. Fremdwort, lat. figere, treffen; vgl. zu 10847. — 4625 meine stf., Meinung, Gedanke, Bedeutung; vgl. 12000. — 4629 an komen mit acc., sich einem nähern. — mil siten, mit Anstand, Sanftheit. — 4630 sich nâhe tuon zuo, sich anschmiegen an; hier bildlich, wörtlich in V. 10914, mit præp. an in V. 11128. — 4631 lieben swv. (vgl. zu 27) hier mit dat. — GOTTFRIED VON STRASSBURG. I. 2. Aufl. 11
VIII. TRISTAN'S SCHWERTLEITE. 161 und wære daz gefüege, daz ich zwelf zungen trüege in mîn eines munde, der iegelîchiu kunde sprechen, alse ich sprechen kan, i’ne wéste, wie gevâhen an, daz ich von rîcheite sô guotes iht geseite, mane hâte baz dâ von geseit. jâ ritterlichiu zierhéit diu ist sô manege wîs geschriben und ist mit rede alsô zetriben daz ich niht kan gereden dar abe, dâ von kein herze fröude habe. 4610 4615 4605 Hartman der Ouwære, ahî, wie der diu mære beid' ûzen unde innen mit worten und mit sinnen durchvärwet und durchzieret! wie er mit rede figieret der âventiure meine! wie luter und wie reine sin krístallîniu wortelin beidiu sínt und iemer müezen sin! si koment den man mit siten an, si tuont sich nâhe zuo dem man und liebent rehtem muote. swer guote rede ze guote und ouch ze rehte kan verstân, der muoz dem Ouware lân 4620 4625 4630 4605 gefüege adj., passend, streift hier an den Begriff: möglich. — 4610 i'ne weste, daf ich nicht wüsste, abh. von sô in V. 4599. Die Verse 4602—9 sind Zwischensätze. — 4613 mane nach Hs. M = man ne = daßs man nicht hätte. — 4614 rierheit stf., Zierde, Schmuck. — 4616 zetríben stv., eigent- lich: auseinander treiben, zerstreuen; hier bildlich: abnutzen; vgl. 12288. — 4617 dar abe adv., davon. 4619 s. Namenverzeichniss; vgl. Bech's Einleitung zu Hartmann von Aue, I. — 4620 alî interj. wie unser : ei; hier freudig, dagegen vorwurfsvoll in V. 9860. — 4622 fg. vgl. Bech's Einleitung zu Hartmann von Aue, I, VIII. — 4624 figieren swv. Fremdwort, lat. figere, treffen; vgl. zu 10847. — 4625 meine stf., Meinung, Gedanke, Bedeutung; vgl. 12000. — 4629 an komen mit acc., sich einem nähern. — mil siten, mit Anstand, Sanftheit. — 4630 sich nâhe tuon zuo, sich anschmiegen an; hier bildlich, wörtlich in V. 10914, mit præp. an in V. 11128. — 4631 lieben swv. (vgl. zu 27) hier mit dat. — GOTTFRIED VON STRASSBURG. I. 2. Aufl. 11
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168 VIII. TRISTAN'S SCHWERTLEITE. diu aller doene houbetlist versigelt in ir zungen truoc? von der denk' ich vil unde genuoc, (ich meine ab von ir donen den süezén, den schonen), wâ si der sô vil næme, wannen ir daz wunder kæme sô maneger wandelunge. ich waene, Orphêes zunge, diu alle doene kunde, diu doenete ûz ir munde. 4785 4780 4790 (122) Sît daz man der nu niht enhât, sô gebet uns etelîchen rât! ein sælic man der spreche dar: wer leitet nû die lieben schar? wer wîset diz gesinde? ich wæene, ich sî wol vinde, diu die baniere füeren sol: ir meisterinne kan ez wol, diu von der Vogelweide. hei, wie diu über heide mit hôher stimme schellet! waz wunders si gestellet! wie spæhe s' organieret ! wi si ir sanc wandelieret! (ich meine ab in dem dône dâ her von Zithêrône, dâ diu gotinne Minne gebiutet ûf und inne). 4795 4800 4805 4781 vgl. zu 7818. — 4783 hier erklärt der Dichter wie hernach in V. 4805, dafs er nur die eigentlichen Lieder, die Minnelieder, nicht die sogenannten Sprüche im Sinne habe. — 4785 der, derer, bezogen auf dœne, und zwar, da V. 4783. 4784 Zwischensatz ist, auch auf dœne in V. 4780. Die Ubersetzer haben sich in der etwas verwickelten Construction nicht zurechtgefun- den. — 4787 wandelunge stf., Wechsel, Variation. — 4788 Orphêes, s. Na- menverzeichniss. — 4790 dœenen swv., auch hier nicht = tönen (vgl. zu 3586). sondern: singen. 4793 dar sprechen, dazu sprechen, sich (beirathend) erklären; vgl. 11309. — 4797 vgl. zu 4809. — 4801 schellen swv., schal machen, schallen, schmettern. — 4802 gestellen, verst. stellen, anstellen, verrichten. — 4803 spahe adv. (= adj. 2292; spâhe in Hs. M nicht maßgebend), kunst- voll. — organieren swv., Fremdwort, eigentlich: orgeln, dann überhaupt. pfeifend musicieren; vgl. 17359. — 4804 wandelieren swv., Fremdwort (in der Form, Stamm aber deutsch), wandeln, wechseln (12072), variieren; vgl. 4787. — 4806 s. Namenverzeichniss. — 4807 hier die Personification spe- cieller als in V. 959, hier: die Venus. —
168 VIII. TRISTAN'S SCHWERTLEITE. diu aller doene houbetlist versigelt in ir zungen truoc? von der denk' ich vil unde genuoc, (ich meine ab von ir donen den süezén, den schonen), wâ si der sô vil næme, wannen ir daz wunder kæme sô maneger wandelunge. ich waene, Orphêes zunge, diu alle doene kunde, diu doenete ûz ir munde. 4785 4780 4790 (122) Sît daz man der nu niht enhât, sô gebet uns etelîchen rât! ein sælic man der spreche dar: wer leitet nû die lieben schar? wer wîset diz gesinde? ich wæene, ich sî wol vinde, diu die baniere füeren sol: ir meisterinne kan ez wol, diu von der Vogelweide. hei, wie diu über heide mit hôher stimme schellet! waz wunders si gestellet! wie spæhe s' organieret ! wi si ir sanc wandelieret! (ich meine ab in dem dône dâ her von Zithêrône, dâ diu gotinne Minne gebiutet ûf und inne). 4795 4800 4805 4781 vgl. zu 7818. — 4783 hier erklärt der Dichter wie hernach in V. 4805, dafs er nur die eigentlichen Lieder, die Minnelieder, nicht die sogenannten Sprüche im Sinne habe. — 4785 der, derer, bezogen auf dœne, und zwar, da V. 4783. 4784 Zwischensatz ist, auch auf dœne in V. 4780. Die Ubersetzer haben sich in der etwas verwickelten Construction nicht zurechtgefun- den. — 4787 wandelunge stf., Wechsel, Variation. — 4788 Orphêes, s. Na- menverzeichniss. — 4790 dœenen swv., auch hier nicht = tönen (vgl. zu 3586). sondern: singen. 4793 dar sprechen, dazu sprechen, sich (beirathend) erklären; vgl. 11309. — 4797 vgl. zu 4809. — 4801 schellen swv., schal machen, schallen, schmettern. — 4802 gestellen, verst. stellen, anstellen, verrichten. — 4803 spahe adv. (= adj. 2292; spâhe in Hs. M nicht maßgebend), kunst- voll. — organieren swv., Fremdwort, eigentlich: orgeln, dann überhaupt. pfeifend musicieren; vgl. 17359. — 4804 wandelieren swv., Fremdwort (in der Form, Stamm aber deutsch), wandeln, wechseln (12072), variieren; vgl. 4787. — 4806 s. Namenverzeichniss. — 4807 hier die Personification spe- cieller als in V. 959, hier: die Venus. —
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VIII. TRISTAN'S SCHWERTLEITE. 163 underflóhten ist in bluomen wis, wir wellen wizzen, wes er ger: wan swer es ger, der springe her und stecke sîne bluomen dar. sô nemen wir an den bluomen war, op si sô wol dar an gezemen, daz wir'z dem Ouware nemen und geben ime daz lôrzwi. sit aber noch niemen komen sî, der ez billîcher süle hân, sô helfe iu got, sô lâze wir'z stân. wirn’ suln ez niemen lâzen tragen, siniu wórt ensin vil wol getwagen, sin réde ensî ébene únde sleht, op iemen schône unde ûfreht mit ebenen sinnen dar getrabe, daz er dar über iht besnabe. vindære wilder mære, der mare wildenære, die mit den ketenen liegent und stumpfe sinne triegent, 4650 4655 4660 4665 4646 unterdehten stv., dazwischenflechten, durchflechten. — 4644 fg. unter wir versteht der Dichter sich und seine Dichtergenossen, nicht das ge- sammte Publikum. — bluomen lesen helfen ist zu beziehen auf die gemein- same Dichterthätigkeit; wir Dichter, die wir ebenfalls Blumen lesen, d. h. Dichtungen schaffen und dadurch zum Flechten jenes Ehrenkranzes hel- fen und beitragen, wir wollen (hier wellen=nhd.) u. s. w. Die Concurrenten verhelfen gerade dem sie überragenden Dichter zu seiner Gröfse, aus ihren Werken besteht gewissermaßen erst dessen Ruhm, aber darum haben sie auch ein Anrecht auf die freie Zuerkennung des Preises. — 4658 getwagen part. von twahen stv., waschen. getwagen adjectivisch, rein (gewaschen), sauber. — 4659 ebene und sleht, eben und gerade, werden im Mhd. gerne verbunden. — 4661 getraben swv., verst. traben. — 4662 besnaben swv., straucheln. — 4663 vindeere stm., Erfinder, Dichter. — wilde adj., hier: seltsam, wunderbar; das Wort scheint uns tadelnder als es in früherer Zeit war; es steht ähnlich wie fremede; Rudolf von Ems spricht in der literarischen Stelle seines Alexander ebenfalls von den wilden âventiuren des Wolfram von Eschenbach, lobt sie aber als kurzweilig. — mœere pl. muſs nach Gottfried's Art hier und im folgenden Verse verschieden ge- fasst werden; den Doppelsinn würde bei uns: Geschichten ziemlich er- reichen; hier allgemein: Dinge. — 4664 mœre, hier dagegen: Erzählungen. — wildenœere, Wilderer, Wildschütz, Jager ; in dieser Bedeutung in V. 17463, bildlich der minnen wildenare 11934; hier kann es auch nichts anderes als : Jäger bedeuten (an Wildschütz in unserm Sinne, an Wilddieb ist aber nicht zu denken): Geschichtenjäger wohl in dem Sinne: die Jagd auf Er- zählungsstoffe machen; die ohne geschmackvolle Auswahl alles Mögliche behandeln. Hier richtet sich Gottfried gegen die Anhäufung von Aben- teuern und Episoden. — 4665—70 hier springt der Dichter über zu einem andern Bilde, welches er von den Künsten der Gaukler, der Taschenspieler entlehnt. — 4665 liegen stv., lügen, betrügen, täuschen. — mit den ketenen, mit den Zauberketten. Solche Kunststücke mit Ketten sind heute noch vielfach im Gebrauch. — 11*
VIII. TRISTAN'S SCHWERTLEITE. 163 underflóhten ist in bluomen wis, wir wellen wizzen, wes er ger: wan swer es ger, der springe her und stecke sîne bluomen dar. sô nemen wir an den bluomen war, op si sô wol dar an gezemen, daz wir'z dem Ouware nemen und geben ime daz lôrzwi. sit aber noch niemen komen sî, der ez billîcher süle hân, sô helfe iu got, sô lâze wir'z stân. wirn’ suln ez niemen lâzen tragen, siniu wórt ensin vil wol getwagen, sin réde ensî ébene únde sleht, op iemen schône unde ûfreht mit ebenen sinnen dar getrabe, daz er dar über iht besnabe. vindære wilder mære, der mare wildenære, die mit den ketenen liegent und stumpfe sinne triegent, 4650 4655 4660 4665 4646 unterdehten stv., dazwischenflechten, durchflechten. — 4644 fg. unter wir versteht der Dichter sich und seine Dichtergenossen, nicht das ge- sammte Publikum. — bluomen lesen helfen ist zu beziehen auf die gemein- same Dichterthätigkeit; wir Dichter, die wir ebenfalls Blumen lesen, d. h. Dichtungen schaffen und dadurch zum Flechten jenes Ehrenkranzes hel- fen und beitragen, wir wollen (hier wellen=nhd.) u. s. w. Die Concurrenten verhelfen gerade dem sie überragenden Dichter zu seiner Gröfse, aus ihren Werken besteht gewissermaßen erst dessen Ruhm, aber darum haben sie auch ein Anrecht auf die freie Zuerkennung des Preises. — 4658 getwagen part. von twahen stv., waschen. getwagen adjectivisch, rein (gewaschen), sauber. — 4659 ebene und sleht, eben und gerade, werden im Mhd. gerne verbunden. — 4661 getraben swv., verst. traben. — 4662 besnaben swv., straucheln. — 4663 vindeere stm., Erfinder, Dichter. — wilde adj., hier: seltsam, wunderbar; das Wort scheint uns tadelnder als es in früherer Zeit war; es steht ähnlich wie fremede; Rudolf von Ems spricht in der literarischen Stelle seines Alexander ebenfalls von den wilden âventiuren des Wolfram von Eschenbach, lobt sie aber als kurzweilig. — mœere pl. muſs nach Gottfried's Art hier und im folgenden Verse verschieden ge- fasst werden; den Doppelsinn würde bei uns: Geschichten ziemlich er- reichen; hier allgemein: Dinge. — 4664 mœre, hier dagegen: Erzählungen. — wildenœere, Wilderer, Wildschütz, Jager ; in dieser Bedeutung in V. 17463, bildlich der minnen wildenare 11934; hier kann es auch nichts anderes als : Jäger bedeuten (an Wildschütz in unserm Sinne, an Wilddieb ist aber nicht zu denken): Geschichtenjäger wohl in dem Sinne: die Jagd auf Er- zählungsstoffe machen; die ohne geschmackvolle Auswahl alles Mögliche behandeln. Hier richtet sich Gottfried gegen die Anhäufung von Aben- teuern und Episoden. — 4665—70 hier springt der Dichter über zu einem andern Bilde, welches er von den Künsten der Gaukler, der Taschenspieler entlehnt. — 4665 liegen stv., lügen, betrügen, täuschen. — mit den ketenen, mit den Zauberketten. Solche Kunststücke mit Ketten sind heute noch vielfach im Gebrauch. — 11*
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164 VIII. TRISTAN'S SCHWERTLEITE. (119) die golt von swachen sachen den kinden kunnen machen und ûz der bühsen giezen stoubîne mérgriezen: die bernt uns mit dem stocke schate, niht mit dem grüenen meienblate, mit zwîgen noch mit esten. ir schate der tuot den gesten vil selten in den ougen wol. op man der wârheit jehen sol, dane gât niht guotes muotes van, dane lît niht herzelustes an: ir rede ist niht alsô gevar, daz edele herze iht lache dar. die selben wildenæere si müezen tíutáre mit ir mæeren lâzen gân: wir enmúgen ir dâ nâch niht verstân, als man si hoeret unde siht; sone hân wir ouch der muoze niht, daz wir die glôse suochen in den swarzen buochen. 4670 4675 4080 4685 Noch ist der värware mêr : von Stéináhe Blíkêr diu sîniu wort sint lússám. si worhten frouwen an der ram von golde und ouch von sîden, man möhte s' undersnîden, mit kriechéschen borten. 4690 4695 4667 swach adj., hier: gering, werthlos (von Stein, Holz u. dgl.). . 4669 bühse swf., Büchse sg. stf., zunächst ein Futteral; Groote denkt an den Glückstopf (die Pandorabüchse); sollte hier bühse nicht den hohlen Zauberstab der Gaukler bezeichnen, aus dem sie Gegenstände kleineren Umfangs schütten (giezen) und schütteln oder auch Flüssigkeiten gießen? — 4670 stoubín adj., von Staub. — mergrieze swf., Perle. — 4671 stoc stm., Baumstock, Stamm (vgl. 2843), Pfahl. — 4672 meienblat (nach Hs. M u. H, die andern in Ubereinstimmung mit V. 4912 lindenblat), nicht zu fassen als Blatt der Meie, der Birke, sondern : das im Maien, im Lenz grünende Blatt. — 4679 gevar adj. = var (6592), beschaffen. — 4680 = cin edelez h. — 4682 tiutare stm., Deuter, Ausleger ; poetisch personificiert für: Deutungen. — 4684 für dâ nâch ist vielleicht zu lesen dannoch. — 4687 glôse stf., Glosse, Auslegung. — 4688 unter den swarzen buocken haben wir zu verstehen: Bücher der schwarzen Kunst, Zauberbücher. 4689 Der Dichter nennt die epischen Dichter im Gegensatz zu den nahtegalen 4749 fg. hier Färber, Maler. — 4690 s. Namenverzeichniss. — 4691 lussam (=lustsam) adj., lust erweckend, anmuthig; öfters bei Gott- fried. — 4692 ram stf. (rame swm. = Rahmen stm.), (Stickrahmen), Gestell zum Bortenwirken. — —
164 VIII. TRISTAN'S SCHWERTLEITE. (119) die golt von swachen sachen den kinden kunnen machen und ûz der bühsen giezen stoubîne mérgriezen: die bernt uns mit dem stocke schate, niht mit dem grüenen meienblate, mit zwîgen noch mit esten. ir schate der tuot den gesten vil selten in den ougen wol. op man der wârheit jehen sol, dane gât niht guotes muotes van, dane lît niht herzelustes an: ir rede ist niht alsô gevar, daz edele herze iht lache dar. die selben wildenæere si müezen tíutáre mit ir mæeren lâzen gân: wir enmúgen ir dâ nâch niht verstân, als man si hoeret unde siht; sone hân wir ouch der muoze niht, daz wir die glôse suochen in den swarzen buochen. 4670 4675 4080 4685 Noch ist der värware mêr : von Stéináhe Blíkêr diu sîniu wort sint lússám. si worhten frouwen an der ram von golde und ouch von sîden, man möhte s' undersnîden, mit kriechéschen borten. 4690 4695 4667 swach adj., hier: gering, werthlos (von Stein, Holz u. dgl.). . 4669 bühse swf., Büchse sg. stf., zunächst ein Futteral; Groote denkt an den Glückstopf (die Pandorabüchse); sollte hier bühse nicht den hohlen Zauberstab der Gaukler bezeichnen, aus dem sie Gegenstände kleineren Umfangs schütten (giezen) und schütteln oder auch Flüssigkeiten gießen? — 4670 stoubín adj., von Staub. — mergrieze swf., Perle. — 4671 stoc stm., Baumstock, Stamm (vgl. 2843), Pfahl. — 4672 meienblat (nach Hs. M u. H, die andern in Ubereinstimmung mit V. 4912 lindenblat), nicht zu fassen als Blatt der Meie, der Birke, sondern : das im Maien, im Lenz grünende Blatt. — 4679 gevar adj. = var (6592), beschaffen. — 4680 = cin edelez h. — 4682 tiutare stm., Deuter, Ausleger ; poetisch personificiert für: Deutungen. — 4684 für dâ nâch ist vielleicht zu lesen dannoch. — 4687 glôse stf., Glosse, Auslegung. — 4688 unter den swarzen buocken haben wir zu verstehen: Bücher der schwarzen Kunst, Zauberbücher. 4689 Der Dichter nennt die epischen Dichter im Gegensatz zu den nahtegalen 4749 fg. hier Färber, Maler. — 4690 s. Namenverzeichniss. — 4691 lussam (=lustsam) adj., lust erweckend, anmuthig; öfters bei Gott- fried. — 4692 ram stf. (rame swm. = Rahmen stm.), (Stickrahmen), Gestell zum Bortenwirken. — —
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VIII. TRISTAN'S SCHWERTLEITE. 165 er hât den wunsch von worten: sinen sin den reinen, ich wæne daz in feinen ze wundere haben gespunnen und haben in in ir brunnen geliutert unde gereinet: er ist benamen gefeinet. sin zunge, diu die harphen treit, diu hât zwô volle sælekeit: daz sint diu wort, daz ist der sin: diu zwei diu harphent under in ir mære in fremedem prîse. der selbe wórtwîse, nemet wár, wie der hier under an dem úmbehange wunder mit spæher rede entwirfet; wie er diu mezzer wirfet mit behendeclîchen rîmen. wie kan er rîme lîmen, als ob si dâ gewahsen sîn! ez ist noch der geloube mîn, daz ér buoch únde búochstábe vür vedern an gebunden habe; (120) wan, welt ir sîn nemen war, sîn wort diu sweiment alse der ar. 4700 4705 4710 4715 4720 4698 feine (sonst auch feie) swf., Fee. — 4699 ze wundere, auf wunderbare Weise; vgl. 4946. — 4701 reinen swv., reinigen. — 4702 feinen (auch feien) swv., durch die Feen schützen und begaben [erhalten: gefeit]; vgl. 4958 allgemeiner) und zu 15810. — 4710 umbehanc stm. (auch stn.), Vorhang; vgl. 15142 ; s. auch Namenverzeichniss. — 4712 « das Messerwerfen war ein gefährliches Kampfspiel, das z. B. Wolfdietrich gegen einen Heiden be- steht; da hierzu große Geschicklichkeit gehörte, so gebraucht Gottfried im Tristan das Bild von der Kunst des Blikers », Mhd. Wörterbuch II, 1, 163b (nach Hagen). Sollte das Bild nicht vielmehr wieder von der Gaukelkunst genommen sein wie 4665? Würde das nicht eher passen zu der leich en und spielenden Sprache Bliker's, wie sie der Dichter uns schildert? — 4713. 4714 unter rîm dürfen wir nicht immer nach dem mo- dernen Sprachgebrauche das Reimwort, den Endreim verstehen, sondern die Reimzeile, den ganzen Vers. Auf der andern Seite irren die gewiss, welche neuerdings die letztere Bedeutung ausschlieflich gelten lassen wollen; rîm hat eben beide Bedeutungen [wie Vers nach populärer An- schauung bald Verszeile, bald Strophe bedeutet]. Nach Gottfried's Rede- weise werden hier beide Bedeutungen anzunehmen sein. V. 4713 =Reim (die schwierigsten Reime behandelt er wie der Gaukler sein Messerspiel mit Leichtigkeit und Sicherheit, oder geht, wie Bech vermuthet, das Messer- werfen auf den geflügelten Dialog, auf das Spiel mit Frage und Antwort, auf die Stichomythie wie z. B. im Erec 7492 fg. und im 1. Büchl. 1170 fg.?), V. 4714 = Vers. — rîme lîmen ist ein oft gebrauchter bildlicher Ausdruck, der sich auf den metrisch gleichmäßsigen und correcten Bau der gereimten Zeilen bezieht ; vgl. Fedor Bech in Pfeiffer's Germania 7, 79 fg. — 4720 swei- men swv., schweben, schweifen; das Wort wird hauptsächlich von dem majestätischen Fluge der Raubvögel gebraucht.
VIII. TRISTAN'S SCHWERTLEITE. 165 er hât den wunsch von worten: sinen sin den reinen, ich wæne daz in feinen ze wundere haben gespunnen und haben in in ir brunnen geliutert unde gereinet: er ist benamen gefeinet. sin zunge, diu die harphen treit, diu hât zwô volle sælekeit: daz sint diu wort, daz ist der sin: diu zwei diu harphent under in ir mære in fremedem prîse. der selbe wórtwîse, nemet wár, wie der hier under an dem úmbehange wunder mit spæher rede entwirfet; wie er diu mezzer wirfet mit behendeclîchen rîmen. wie kan er rîme lîmen, als ob si dâ gewahsen sîn! ez ist noch der geloube mîn, daz ér buoch únde búochstábe vür vedern an gebunden habe; (120) wan, welt ir sîn nemen war, sîn wort diu sweiment alse der ar. 4700 4705 4710 4715 4720 4698 feine (sonst auch feie) swf., Fee. — 4699 ze wundere, auf wunderbare Weise; vgl. 4946. — 4701 reinen swv., reinigen. — 4702 feinen (auch feien) swv., durch die Feen schützen und begaben [erhalten: gefeit]; vgl. 4958 allgemeiner) und zu 15810. — 4710 umbehanc stm. (auch stn.), Vorhang; vgl. 15142 ; s. auch Namenverzeichniss. — 4712 « das Messerwerfen war ein gefährliches Kampfspiel, das z. B. Wolfdietrich gegen einen Heiden be- steht; da hierzu große Geschicklichkeit gehörte, so gebraucht Gottfried im Tristan das Bild von der Kunst des Blikers », Mhd. Wörterbuch II, 1, 163b (nach Hagen). Sollte das Bild nicht vielmehr wieder von der Gaukelkunst genommen sein wie 4665? Würde das nicht eher passen zu der leich en und spielenden Sprache Bliker's, wie sie der Dichter uns schildert? — 4713. 4714 unter rîm dürfen wir nicht immer nach dem mo- dernen Sprachgebrauche das Reimwort, den Endreim verstehen, sondern die Reimzeile, den ganzen Vers. Auf der andern Seite irren die gewiss, welche neuerdings die letztere Bedeutung ausschlieflich gelten lassen wollen; rîm hat eben beide Bedeutungen [wie Vers nach populärer An- schauung bald Verszeile, bald Strophe bedeutet]. Nach Gottfried's Rede- weise werden hier beide Bedeutungen anzunehmen sein. V. 4713 =Reim (die schwierigsten Reime behandelt er wie der Gaukler sein Messerspiel mit Leichtigkeit und Sicherheit, oder geht, wie Bech vermuthet, das Messer- werfen auf den geflügelten Dialog, auf das Spiel mit Frage und Antwort, auf die Stichomythie wie z. B. im Erec 7492 fg. und im 1. Büchl. 1170 fg.?), V. 4714 = Vers. — rîme lîmen ist ein oft gebrauchter bildlicher Ausdruck, der sich auf den metrisch gleichmäßsigen und correcten Bau der gereimten Zeilen bezieht ; vgl. Fedor Bech in Pfeiffer's Germania 7, 79 fg. — 4720 swei- men swv., schweben, schweifen; das Wort wird hauptsächlich von dem majestätischen Fluge der Raubvögel gebraucht.
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166 VIII. TRISTAN'S SCHWERTLEITE. Wen mac ich nû mêr ûz gelesen?" ir ist und ist genuoc gewesen vil sinnec und vil rederîch. von Véldéken Héinrîch der sprach úz vollen sinnen: wie wol sanc er von minnen ! wie schône er sînen sin besneit! ich wæne, er sine wîshéit ûz Pegases urspringe nam, von dem diu wîsheit elliu kam. i'ne hân sîn selbe niht gesehen: nu hoere ich aber die besten jehen, die dô bî sînen jâren und sît her meister wâren, die selben gebent im einen pris, er impete daz êrste rîs in tiutéscher zungen: dâ von sit este ersprungen, von den die bluomen kâmen. dâ si die spahe uz namen der meisterlichen fünde: und ist diu selbe künde sô wîtén gebreitet, sô manege wis geleitet. daz alle, die nu sprechent, daz die den wunsch dâ brechent von bluomen und von risen an worten unde an wîsen. 4725 4730 4755 4740 4745 4723 sinnec adj., (sinnig), sinnreich, gehaltvoll. — rederîch adj., der Rede mächtig, beredt. — 4725 ûz vollen sinnen bezieht sich wohl auf die vollendete Klarheit der Ausdrucksweise. — Zu beachten ist sprechen = vor- tragen, erzählen im Gegensatz zu sanc im folgenden Verse, wo Heinrich's lyrische Poesie gepriesen wird. — 4728 wîsheit stf., nicht ethisch zu fassen, sondern: Kenntniss, Fertigkeit, Kunst. — 4729 Pegases, s. Namenverzeich- niss. — ursprinc stm., Quelle; vgl. zu 17988. — 4734 hier liegt in meister der Begriff der Meisterschaft, der Autorität. — 4736 impeten (alte Form Hs. M), impfeten swv., impfen, pfropfen. Die bildliche Wendung geht nicht auf den Stoff, auf die Einführung französischer Rittergedichte in die deut- sche Poesie, sondern auf die Form, auf die künstlerisch vollendete Hand- habung des Metrums und des Reimes, in welcher Veldeke vorausgieng. — 4738 erspringen swv., hervorspringen, entspriessen. — 4741 fünde gen. pl. von funf stm., Fund (dichterische) Erfindung, dann überhaupt : Dichtung; vgl. 19200 fg. — 4742 künde stf., hier = Kunde, Kenntniss. — 4743 viten = wîtene, verschieden von wîte adv., weit, weithin. — 4746 hier liegt wohl in wunsch ein Wortspiel; zunächst bedeutet das Wort wie in V. 1374. 3710 und wie kurz vorher in V. 4696 abstract die höchste Vollkommenheit, das Schönste; zugleich klingt wunsch (wegen brechen) an die Bedeutung: Wünschelruthe, mit deren zauberischer Kraft Wort und Weise erlangt werden. — 4747 rîsen dat. pl. von rîs: hier deutlich: dass wir uns das Reis nicht kahl. sondern belaubt und blühend zu denken haben.
166 VIII. TRISTAN'S SCHWERTLEITE. Wen mac ich nû mêr ûz gelesen?" ir ist und ist genuoc gewesen vil sinnec und vil rederîch. von Véldéken Héinrîch der sprach úz vollen sinnen: wie wol sanc er von minnen ! wie schône er sînen sin besneit! ich wæne, er sine wîshéit ûz Pegases urspringe nam, von dem diu wîsheit elliu kam. i'ne hân sîn selbe niht gesehen: nu hoere ich aber die besten jehen, die dô bî sînen jâren und sît her meister wâren, die selben gebent im einen pris, er impete daz êrste rîs in tiutéscher zungen: dâ von sit este ersprungen, von den die bluomen kâmen. dâ si die spahe uz namen der meisterlichen fünde: und ist diu selbe künde sô wîtén gebreitet, sô manege wis geleitet. daz alle, die nu sprechent, daz die den wunsch dâ brechent von bluomen und von risen an worten unde an wîsen. 4725 4730 4755 4740 4745 4723 sinnec adj., (sinnig), sinnreich, gehaltvoll. — rederîch adj., der Rede mächtig, beredt. — 4725 ûz vollen sinnen bezieht sich wohl auf die vollendete Klarheit der Ausdrucksweise. — Zu beachten ist sprechen = vor- tragen, erzählen im Gegensatz zu sanc im folgenden Verse, wo Heinrich's lyrische Poesie gepriesen wird. — 4728 wîsheit stf., nicht ethisch zu fassen, sondern: Kenntniss, Fertigkeit, Kunst. — 4729 Pegases, s. Namenverzeich- niss. — ursprinc stm., Quelle; vgl. zu 17988. — 4734 hier liegt in meister der Begriff der Meisterschaft, der Autorität. — 4736 impeten (alte Form Hs. M), impfeten swv., impfen, pfropfen. Die bildliche Wendung geht nicht auf den Stoff, auf die Einführung französischer Rittergedichte in die deut- sche Poesie, sondern auf die Form, auf die künstlerisch vollendete Hand- habung des Metrums und des Reimes, in welcher Veldeke vorausgieng. — 4738 erspringen swv., hervorspringen, entspriessen. — 4741 fünde gen. pl. von funf stm., Fund (dichterische) Erfindung, dann überhaupt : Dichtung; vgl. 19200 fg. — 4742 künde stf., hier = Kunde, Kenntniss. — 4743 viten = wîtene, verschieden von wîte adv., weit, weithin. — 4746 hier liegt wohl in wunsch ein Wortspiel; zunächst bedeutet das Wort wie in V. 1374. 3710 und wie kurz vorher in V. 4696 abstract die höchste Vollkommenheit, das Schönste; zugleich klingt wunsch (wegen brechen) an die Bedeutung: Wünschelruthe, mit deren zauberischer Kraft Wort und Weise erlangt werden. — 4747 rîsen dat. pl. von rîs: hier deutlich: dass wir uns das Reis nicht kahl. sondern belaubt und blühend zu denken haben.
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VIII. TRISTAN'S SCHWERTLEITE. 167 (121) Der nahtegalen der ist vil, von den ich nû niht sprechen wil: sine héèrent niht ze dirre schar. dur daz sprich' ich niht anders dar, wan daz ich iemer sprechen sol: si kunnen alle ir ambet wol und singent wol ze prîse ir süeze sumerwîse; ir stimme ist lûter unde guot, si gebent der werlde hôhen muot und tuont reht’ in dem herzen wol. diu werlt diu waere unruoches vol und lebete rehte als âne ir danc, wan der vil liebe vogelsanc: der ermant vil dicke den man, der ie ze liebe muot gewan, beidiu liebes unde guotes und maneger hande muotes, der edelen herzen sanfte tuot: ez wecket friuntlîchen muot. hie von kumt inneclîch gedanc, sô der vil liebe vogelsanc der werlde ir liep beginnet zalen. nu sprechet umbe die nahtegalen; die sint ir dinges wol bereit und kunnen alle ir senede leit sô wol besingen unde besagen. welhiu sol ir baniere tragen, sît diu von Hagenouwe, ir aller leitevrouwe der werlde alsus geswigen ist, 4755 4760 4765 4770 4775 4750 4749 nahtegalen nennt Gottfried die Liederdichter, weil die lyrische Poesie stets mit dem Gesange verbunden ist. — 4756 sumerwîse stf., nicht: Sommerweise im engen Sinne, sondern : Frühlingsweise, Frühlingsmelodie ; sumer in der alten Sprache umfasst auch die Lenzmonate [nhd. auch bis- weilen, aber viel beschränkter]. — 4760 unruoch stm., hier: Sorglosigkeit, «Apathie» (Zarncke), Freudlosigkeit. — 4761 âne danc, ohne Willen, un- freiwillig, interesselos. — 4762 wan, vgl. zu 107. — 4769 inneclîch gedanc, innig- liches Denken, Innigkeit. — 4771 zalen, zaln swv., erzählen, verkünden. — 4775 besagen swv., besprechen, doch decken sich beide Wörter nicht. be- singen und besagen steht formelhaft wie das häufigere singen und sagen. — 4777 s. Namenverzeichniss. — 4778 leitevrouwe swf., (Leiterin), Anführerin ; vgl. 4810. — 4779 wird im Mhd. Wörterbuche II, 2, 788 zu den seltenen Fällen gestellt, wo bei swîgen der Dativ steht ; es soll aber nicht gesagt werden: die vor der Welt verstummt ist, ihr etwa schweigend zuhört; ich fasse vielmehr der werlde als selbständigen Dativ =für die Welt ver- stummt ist; vgl. zu 8793. —
VIII. TRISTAN'S SCHWERTLEITE. 167 (121) Der nahtegalen der ist vil, von den ich nû niht sprechen wil: sine héèrent niht ze dirre schar. dur daz sprich' ich niht anders dar, wan daz ich iemer sprechen sol: si kunnen alle ir ambet wol und singent wol ze prîse ir süeze sumerwîse; ir stimme ist lûter unde guot, si gebent der werlde hôhen muot und tuont reht’ in dem herzen wol. diu werlt diu waere unruoches vol und lebete rehte als âne ir danc, wan der vil liebe vogelsanc: der ermant vil dicke den man, der ie ze liebe muot gewan, beidiu liebes unde guotes und maneger hande muotes, der edelen herzen sanfte tuot: ez wecket friuntlîchen muot. hie von kumt inneclîch gedanc, sô der vil liebe vogelsanc der werlde ir liep beginnet zalen. nu sprechet umbe die nahtegalen; die sint ir dinges wol bereit und kunnen alle ir senede leit sô wol besingen unde besagen. welhiu sol ir baniere tragen, sît diu von Hagenouwe, ir aller leitevrouwe der werlde alsus geswigen ist, 4755 4760 4765 4770 4775 4750 4749 nahtegalen nennt Gottfried die Liederdichter, weil die lyrische Poesie stets mit dem Gesange verbunden ist. — 4756 sumerwîse stf., nicht: Sommerweise im engen Sinne, sondern : Frühlingsweise, Frühlingsmelodie ; sumer in der alten Sprache umfasst auch die Lenzmonate [nhd. auch bis- weilen, aber viel beschränkter]. — 4760 unruoch stm., hier: Sorglosigkeit, «Apathie» (Zarncke), Freudlosigkeit. — 4761 âne danc, ohne Willen, un- freiwillig, interesselos. — 4762 wan, vgl. zu 107. — 4769 inneclîch gedanc, innig- liches Denken, Innigkeit. — 4771 zalen, zaln swv., erzählen, verkünden. — 4775 besagen swv., besprechen, doch decken sich beide Wörter nicht. be- singen und besagen steht formelhaft wie das häufigere singen und sagen. — 4777 s. Namenverzeichniss. — 4778 leitevrouwe swf., (Leiterin), Anführerin ; vgl. 4810. — 4779 wird im Mhd. Wörterbuche II, 2, 788 zu den seltenen Fällen gestellt, wo bei swîgen der Dativ steht ; es soll aber nicht gesagt werden: die vor der Welt verstummt ist, ihr etwa schweigend zuhört; ich fasse vielmehr der werlde als selbständigen Dativ =für die Welt ver- stummt ist; vgl. zu 8793. —
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162 VIII. TRISTAN'S SCHWERTLEITE. (118) sîn schapel unde sîn lôrzwî. swer nû des hasen geselle sî und uf der wórthéide hôchsprünge und witweide mit bickelworten welle sîn und üf daz lôrschapelekîn wân âne volge welle hân, der lâze uns bî dem wâne stân, wir wellen an der kür ouch wesen: wir, die die bluomen helfen lesen, mit den daz selbe loberîs 4640 4635 4645 4635 lôrzwi stn., Lorberzweig, Lorber. — 4636 des hasen geselle, wie ein Hase ; hier nicht von der eigentlichen Furchtsamkeit, sondern von der Flüchtigkeit, Unruhe gesagt. Man hat den Vergleich, da der ganze Angriff höchst wahrscheinlich auf Wolfram von Eschenbach geht, für eine directe Anspielung gehalten auf den Anfang des Parzival, insbesondere auf 1. 19: diz vliegende bîspel ist tumben liuten gar ze snel, sine mugen's niht erdenken: wand' ez kan vor in wenken rehte alsam ein schellec (scheu) hase. Groote fasst des hasen geselle als : Mitbewerber Hartmann's von Aue (weil die Aue des Hasen Aufenthalt ist), was aber die folgende Ausführung des Bildes verbietet. Mit der Annahme einer ausdrücklichen Anspielung auf den Parzival kann ich mich nicht befreunden; es ist einfach ein Bild, bei dem in erster Reihe die Worte hôchsprünge und uîtweide stehen, die ihrerseits die Wahl des Hasen veranlasst haben. — 4637 wortheide im Bilde; heide, der Tummelplatz des Hasen; ohne Bild: da wo es sich um Worte, um den dichterischen Ausdruck handelt. — 4638 hôchsprünge adj., wörtlich etwa: hochsprüngig, hochspringend (wie der Hase) [vgl. unser : hochtrabend]. — witweide adj. (swm. anzusetzen ist nicht nöthig), wörtlich : weitweidig, der weit umher weidende, d. h. nach dem mhd. Wörterbuche : «der nach Gott- fried's Ansicht seine Worte und Bilder weither zusammenholt.» Oder sollte wîtweide nicht vielmehr unserm: weitschweifig entsprechen, da die ungewöhnlichen Worte durch das folgende mit bickelworten charakterisiert werden ? — 4639 bickelwort, welches nur hier erscheint und wahrscheinlich vom Dichter eigens gebildet ist, hat verschiedene Deutungen gefunden; Groote: «scherzhafte, anzügliche Narrenreden (von bikken, hacken)»; Hagen : «wörtlich Würfelworte, von bikkeln, werfen, würfeln; bikkelspiel, Würfel- spiel, jetzo Peilkenspiel"; zweifelnd das mhd. Wörterbuch: «Stichelrede (oder zusammengewürfeltes Wort ?).» Stichelrede gewiss nicht, das würde in den Augen des humoristischen und vielfach auch sarkastischen Dich- ters kein Fehler sein. Und zusammengewürfelte, also ungehörige, un- zusammenhängende und unklare Worte können auch nicht gemeint sein, da es sich hier weniger um den Sinn als um den Ausdruck handelt. Mit Hagen fasse ich bickelwort = bickelspilwort wie zabelwortelîn in V. 2287 = zabelspilwortelîn; die fremden und technischen, sonst ungewöhnlichen Aus- drücke, wie sie sich an jedes Spiel haften, hat der Dichter im Sinne, und wählt hierzu bickelwort bildlich für die Ausdrücke, die innerhalb der dichterischen Sprache das Gegentheil von rein und krystallklar sind. — 4640 lôrschapelekîn stn., Lorberkränzlein; vgl. zu 676. — 4641 wân haben, Hoffnung haben, sich Hoffnung machen, beanspruchen. — âne volge, ohne Zustimmung, d. h. hier : auch gegen die Ansicht anderer. — 4642 wân, hier im stilistischen Gegensatze zu wân im vorhergehenden Verse: Meinung; der lasse uns wenigstens bei unserer Meinung bleiben, der verwehre bei seiner Eitelkeit uns nicht zu kritisieren. — 4643 wellen, hier wohl im Sinne von : meinen, glauben, also nicht : wir wollen, wir wünschen auch bei der Prüfung zu sein, sondern: wir glauben auch unter den Beurtheilern zu sein, zur Kritik berechtigt zu sein. — 4645 rîs stn., Zweig [Reis nhd. be- schränkter]. — loberis, Ehrenzweig, Ehrenkranz. —
162 VIII. TRISTAN'S SCHWERTLEITE. (118) sîn schapel unde sîn lôrzwî. swer nû des hasen geselle sî und uf der wórthéide hôchsprünge und witweide mit bickelworten welle sîn und üf daz lôrschapelekîn wân âne volge welle hân, der lâze uns bî dem wâne stân, wir wellen an der kür ouch wesen: wir, die die bluomen helfen lesen, mit den daz selbe loberîs 4640 4635 4645 4635 lôrzwi stn., Lorberzweig, Lorber. — 4636 des hasen geselle, wie ein Hase ; hier nicht von der eigentlichen Furchtsamkeit, sondern von der Flüchtigkeit, Unruhe gesagt. Man hat den Vergleich, da der ganze Angriff höchst wahrscheinlich auf Wolfram von Eschenbach geht, für eine directe Anspielung gehalten auf den Anfang des Parzival, insbesondere auf 1. 19: diz vliegende bîspel ist tumben liuten gar ze snel, sine mugen's niht erdenken: wand' ez kan vor in wenken rehte alsam ein schellec (scheu) hase. Groote fasst des hasen geselle als : Mitbewerber Hartmann's von Aue (weil die Aue des Hasen Aufenthalt ist), was aber die folgende Ausführung des Bildes verbietet. Mit der Annahme einer ausdrücklichen Anspielung auf den Parzival kann ich mich nicht befreunden; es ist einfach ein Bild, bei dem in erster Reihe die Worte hôchsprünge und uîtweide stehen, die ihrerseits die Wahl des Hasen veranlasst haben. — 4637 wortheide im Bilde; heide, der Tummelplatz des Hasen; ohne Bild: da wo es sich um Worte, um den dichterischen Ausdruck handelt. — 4638 hôchsprünge adj., wörtlich etwa: hochsprüngig, hochspringend (wie der Hase) [vgl. unser : hochtrabend]. — witweide adj. (swm. anzusetzen ist nicht nöthig), wörtlich : weitweidig, der weit umher weidende, d. h. nach dem mhd. Wörterbuche : «der nach Gott- fried's Ansicht seine Worte und Bilder weither zusammenholt.» Oder sollte wîtweide nicht vielmehr unserm: weitschweifig entsprechen, da die ungewöhnlichen Worte durch das folgende mit bickelworten charakterisiert werden ? — 4639 bickelwort, welches nur hier erscheint und wahrscheinlich vom Dichter eigens gebildet ist, hat verschiedene Deutungen gefunden; Groote: «scherzhafte, anzügliche Narrenreden (von bikken, hacken)»; Hagen : «wörtlich Würfelworte, von bikkeln, werfen, würfeln; bikkelspiel, Würfel- spiel, jetzo Peilkenspiel"; zweifelnd das mhd. Wörterbuch: «Stichelrede (oder zusammengewürfeltes Wort ?).» Stichelrede gewiss nicht, das würde in den Augen des humoristischen und vielfach auch sarkastischen Dich- ters kein Fehler sein. Und zusammengewürfelte, also ungehörige, un- zusammenhängende und unklare Worte können auch nicht gemeint sein, da es sich hier weniger um den Sinn als um den Ausdruck handelt. Mit Hagen fasse ich bickelwort = bickelspilwort wie zabelwortelîn in V. 2287 = zabelspilwortelîn; die fremden und technischen, sonst ungewöhnlichen Aus- drücke, wie sie sich an jedes Spiel haften, hat der Dichter im Sinne, und wählt hierzu bickelwort bildlich für die Ausdrücke, die innerhalb der dichterischen Sprache das Gegentheil von rein und krystallklar sind. — 4640 lôrschapelekîn stn., Lorberkränzlein; vgl. zu 676. — 4641 wân haben, Hoffnung haben, sich Hoffnung machen, beanspruchen. — âne volge, ohne Zustimmung, d. h. hier : auch gegen die Ansicht anderer. — 4642 wân, hier im stilistischen Gegensatze zu wân im vorhergehenden Verse: Meinung; der lasse uns wenigstens bei unserer Meinung bleiben, der verwehre bei seiner Eitelkeit uns nicht zu kritisieren. — 4643 wellen, hier wohl im Sinne von : meinen, glauben, also nicht : wir wollen, wir wünschen auch bei der Prüfung zu sein, sondern: wir glauben auch unter den Beurtheilern zu sein, zur Kritik berechtigt zu sein. — 4645 rîs stn., Zweig [Reis nhd. be- schränkter]. — loberis, Ehrenzweig, Ehrenkranz. —
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VIII. TRISTAN'S SCHWERTLEITE. 169 diu íst dâ z' hóve kámerærîn: diu sol ir leitærinne sîn! diu wîset si ze wunsche wol, diu weiz wol, wâ si suochen sol der minnen melodîe. si unde ir cumpânîe die müezen sô gesingen, daz sî ze fröuden bringen ir trûren unde ir senedez klagen: und daz geschehe bi minen tagen! 4810 4815 Nu hân ich rede genuoge von guoter liute fuoge gefüegen liuten vür geleit. ie noch ist Tristan umbereit ze sîner swértléite. i’ne wéiz wie’ch in bereite : der sin wil niendér dar zuo; sone wéiz diu zunge, waz si tuo, al eine und âne des sinnes rât, von dem si ir ambet allez hât. waz aber werre in beiden, des wil ich iuch bescheiden. 4820 4825 4830 Si zwei hât daz verirret, daz tûsénden wirret: dem man, der niht wol reden kan, 4809 diu = diu (nahtegal) von der Vogelweide 4799. — dâ ze hove nicht auf Zitherone zu beziehen, sondern dâ ze hove steht hier wie öfters formelhaft für das einfache ze hove ohne örtlichen Hinweis. — kamerœrîn stf., nicht : Kammerfrau (vgl. zu 7763), sondern etwa entsprechend der Charge: Ober- hofmeisterin (= meisterinne in V. 4798). Pfeiffer erklärt in der Einleitung zu Walther, S. XVI : die ist am « Hofe der Minne» Hofmeisterin (also mit Beziehung auf die Zwischenerklärung); ich fasse den Satz: die ist Ober- hofmeisterin, welcher din baniere zukommt, welche am Hofe die Schaar der (natürlich hier gedacht : weiblichen) Gäste anführt und anweist. Sollte die baniere füeren nicht concreter zu nehmen sein als bildlich: anführen? Sollten nicht die Meisterinnen einen mit einem Fähnlein geschmückten Stab getragen haben, wie noch heute der Oberkammerherr den Stab führt? — 4815 gesingen, verst. singen. — müezen hier Auxiliar des Futurums mit imperativischem Charakter. 4821 gefüege adj., fuoge habend ; hier aber kann das Wort nicht: kunst- fertig sein ; erstens verbietet es stilistisch fuoge 4820 = Kunst; dann hat der Dichter auch seine literarische Abschweifung zunächst nicht den Kunstgenossen bestimmt, vielmehr: fügsam ; die mir gerne gefolgt sind, Interesse nehmen. — 4826 so = dann, alsdann. 4831 Si zwei, die beiden: zunge und sin. — verirren swv., irre machen, irre führen. —
VIII. TRISTAN'S SCHWERTLEITE. 169 diu íst dâ z' hóve kámerærîn: diu sol ir leitærinne sîn! diu wîset si ze wunsche wol, diu weiz wol, wâ si suochen sol der minnen melodîe. si unde ir cumpânîe die müezen sô gesingen, daz sî ze fröuden bringen ir trûren unde ir senedez klagen: und daz geschehe bi minen tagen! 4810 4815 Nu hân ich rede genuoge von guoter liute fuoge gefüegen liuten vür geleit. ie noch ist Tristan umbereit ze sîner swértléite. i’ne wéiz wie’ch in bereite : der sin wil niendér dar zuo; sone wéiz diu zunge, waz si tuo, al eine und âne des sinnes rât, von dem si ir ambet allez hât. waz aber werre in beiden, des wil ich iuch bescheiden. 4820 4825 4830 Si zwei hât daz verirret, daz tûsénden wirret: dem man, der niht wol reden kan, 4809 diu = diu (nahtegal) von der Vogelweide 4799. — dâ ze hove nicht auf Zitherone zu beziehen, sondern dâ ze hove steht hier wie öfters formelhaft für das einfache ze hove ohne örtlichen Hinweis. — kamerœrîn stf., nicht : Kammerfrau (vgl. zu 7763), sondern etwa entsprechend der Charge: Ober- hofmeisterin (= meisterinne in V. 4798). Pfeiffer erklärt in der Einleitung zu Walther, S. XVI : die ist am « Hofe der Minne» Hofmeisterin (also mit Beziehung auf die Zwischenerklärung); ich fasse den Satz: die ist Ober- hofmeisterin, welcher din baniere zukommt, welche am Hofe die Schaar der (natürlich hier gedacht : weiblichen) Gäste anführt und anweist. Sollte die baniere füeren nicht concreter zu nehmen sein als bildlich: anführen? Sollten nicht die Meisterinnen einen mit einem Fähnlein geschmückten Stab getragen haben, wie noch heute der Oberkammerherr den Stab führt? — 4815 gesingen, verst. singen. — müezen hier Auxiliar des Futurums mit imperativischem Charakter. 4821 gefüege adj., fuoge habend ; hier aber kann das Wort nicht: kunst- fertig sein ; erstens verbietet es stilistisch fuoge 4820 = Kunst; dann hat der Dichter auch seine literarische Abschweifung zunächst nicht den Kunstgenossen bestimmt, vielmehr: fügsam ; die mir gerne gefolgt sind, Interesse nehmen. — 4826 so = dann, alsdann. 4831 Si zwei, die beiden: zunge und sin. — verirren swv., irre machen, irre führen. —
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170 VIII. TRISTAN'S SCHWERTLEITE. (123) kumt dem ein redelîcher man, im erlischet in dem munde daz selbe, daz er kunde. ich wæne, mir ist alsam geschehen: ich sihe und hân biz her gesehen sô manegen schône redenden man, daz ich des niht gereden kan, ezn dunke mich dâ wider ein wint. als nû die liute redende sint: man sprichet nû sô rehte wol, daz ich von grôzem rehte sol mîner worte nemen war und sehen, daz s' alsô sîn gevar, alsô ich wolte, daz si wæren an fremeder liute maeren und alse ich rede geprüeven kan an einem andéren man. 4335 4840 4345 4850 Nune wéiz ich, wie’s beginne : mîn zunge und mîne sinne dien' mugen mir niht ze helfe komen: mir ist von wórtén genomen enmitten ûz dem munde daz selbe, daz ich kunde. hie zuo enweiz ich, waz ich tuo, ich entúo daz éiné dar zuo, deiswar, daz ich noch nie getete : mîne flêhe und mîne bete die wil ich êrste senden mit herzen und mit henden hin widere z' Elikône ze dem niunvalten trône, von dem die brunnen diezent, ûz den die gâbe fliezent der worte unde der sinne. der wirt, die niun wirtinne, 4855 4860 4865 4834 redelîch adj. wechselt in den Hss. oft mit rederich (dieses auch hier al- Lesart vorkommend); hier redelîch passender: der mit Rede begabte (der noch nicht rederîch zu sein braucht); sonst hat redelîch andere Bedeu- tung. — 4840 des gen. neutr. abh. von niht: das nicht, nicht so. — 4849 c.. prüeven swv., verst. prüeven, hier: prüfen, beurtheilen. 4855 enmitten adv., (inmitten), mitten. — 4860 flêhe stf., (flehende Bitte. — 4864 niunvalt adj., neunfaltig, neunfach. — 4865 diezen stv., rau- schen. — 4866 gâbe, wenn überhaupt das Wort richtig überliefert ist, hier : Gaben im Sinne von : Begabung, Talente (in V. 4871. 4894 = Geschenke). — 4868 wirt stm., Hausherr. — wirtinne stf., Hausfrau. —
170 VIII. TRISTAN'S SCHWERTLEITE. (123) kumt dem ein redelîcher man, im erlischet in dem munde daz selbe, daz er kunde. ich wæne, mir ist alsam geschehen: ich sihe und hân biz her gesehen sô manegen schône redenden man, daz ich des niht gereden kan, ezn dunke mich dâ wider ein wint. als nû die liute redende sint: man sprichet nû sô rehte wol, daz ich von grôzem rehte sol mîner worte nemen war und sehen, daz s' alsô sîn gevar, alsô ich wolte, daz si wæren an fremeder liute maeren und alse ich rede geprüeven kan an einem andéren man. 4335 4840 4345 4850 Nune wéiz ich, wie’s beginne : mîn zunge und mîne sinne dien' mugen mir niht ze helfe komen: mir ist von wórtén genomen enmitten ûz dem munde daz selbe, daz ich kunde. hie zuo enweiz ich, waz ich tuo, ich entúo daz éiné dar zuo, deiswar, daz ich noch nie getete : mîne flêhe und mîne bete die wil ich êrste senden mit herzen und mit henden hin widere z' Elikône ze dem niunvalten trône, von dem die brunnen diezent, ûz den die gâbe fliezent der worte unde der sinne. der wirt, die niun wirtinne, 4855 4860 4865 4834 redelîch adj. wechselt in den Hss. oft mit rederich (dieses auch hier al- Lesart vorkommend); hier redelîch passender: der mit Rede begabte (der noch nicht rederîch zu sein braucht); sonst hat redelîch andere Bedeu- tung. — 4840 des gen. neutr. abh. von niht: das nicht, nicht so. — 4849 c.. prüeven swv., verst. prüeven, hier: prüfen, beurtheilen. 4855 enmitten adv., (inmitten), mitten. — 4860 flêhe stf., (flehende Bitte. — 4864 niunvalt adj., neunfaltig, neunfach. — 4865 diezen stv., rau- schen. — 4866 gâbe, wenn überhaupt das Wort richtig überliefert ist, hier : Gaben im Sinne von : Begabung, Talente (in V. 4871. 4894 = Geschenke). — 4868 wirt stm., Hausherr. — wirtinne stf., Hausfrau. —
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VIII. TRISTAN'S SCHWERTLEITE. 171 (124) Apolle und die Camênen, der ôren niun Sirênen, die dâ ze hove der gâbe pflegent, ir genâde teilent unde wegent, als si ir der werlde gunnen, die gebent ir sinne brunnen sô vollecliche manegem man, daz si mir einen trahen dâ van mit êren niemer mugen versagen. und mag ouch ich den dâ bejagen, so behálte ich mîne stat dâ wol, dâ man si mit rede behalten sol. der selbe trahen der eine der ist ouch nie sô kleine, erne müeze mir verrihten, verrihtende beslihten beide zungen unde sin, an den ich sus entrihtet bin. diu mînen wort muoz er mir lân durch den vil liehten tegel gân der camênischen sinne und muoz mir diu dar inne ze fremedem wunder eiten, dem wúnsché bereiten als golt von Arâbe. die selben gotes gâbe des wâren Elikônes, des oberisten trônes, von dem diu wort entspringent, din durch daz ôre klingent und in daz herze lachent, 4875 4880 4885 4890 4895 4870 4870 scheint mir unrichtig überliefert. Nach dem einheitlich (nur B, Nebenhs. von M, hat der eren) vorliegenden Text ist der Vers als Appo- sition zum vorhergehenden zu fassen: die Kamonen, die neun Sirenen der Ohren, die neun Ohrenberückerinnen. Sirêne (bei Gottfried swf.), kann hier nur in übertragener Bedeutung genommen werden, aber die Erklärung befriedigt nicht. — 4871 dâ ze hove bestimmt bezogen auf Elikôn 4863. — 4872 teilen swv., austheilen. — wegen stv., hier: zu- wägen. — 4873 gunnen mit dat. und gen. (ir = genade), hier nicht bloß wie in V. 2598: einem etwas gönnen, sondern: einem etwas zuwen- den. — 4874 bei Gottfried's Redeweise und Vorliebe für Zusammen- setzungen vielleicht sinnebrunnen? — 4876 trahen stm., Tropfen; vgl. zu 7496. — 4878 bejagen swv., erjagen, bekommen, erlangen; vgl. zu 12298. — 4883 verrihten swv., einrichten, in rechter Weise herstellen. — 4886 ent- rihten swy. in Verwirrung bringen. — 4889 camênisch adj., (kamoenisch), den Musen eigenthümlich; das Wort von Gottfried wohl eigens gebildet im Stile von meiisch, frönwin; vgl. zu 2547. — 4891 eiten swv. trans., bren- nen, schmelzen. —
VIII. TRISTAN'S SCHWERTLEITE. 171 (124) Apolle und die Camênen, der ôren niun Sirênen, die dâ ze hove der gâbe pflegent, ir genâde teilent unde wegent, als si ir der werlde gunnen, die gebent ir sinne brunnen sô vollecliche manegem man, daz si mir einen trahen dâ van mit êren niemer mugen versagen. und mag ouch ich den dâ bejagen, so behálte ich mîne stat dâ wol, dâ man si mit rede behalten sol. der selbe trahen der eine der ist ouch nie sô kleine, erne müeze mir verrihten, verrihtende beslihten beide zungen unde sin, an den ich sus entrihtet bin. diu mînen wort muoz er mir lân durch den vil liehten tegel gân der camênischen sinne und muoz mir diu dar inne ze fremedem wunder eiten, dem wúnsché bereiten als golt von Arâbe. die selben gotes gâbe des wâren Elikônes, des oberisten trônes, von dem diu wort entspringent, din durch daz ôre klingent und in daz herze lachent, 4875 4880 4885 4890 4895 4870 4870 scheint mir unrichtig überliefert. Nach dem einheitlich (nur B, Nebenhs. von M, hat der eren) vorliegenden Text ist der Vers als Appo- sition zum vorhergehenden zu fassen: die Kamonen, die neun Sirenen der Ohren, die neun Ohrenberückerinnen. Sirêne (bei Gottfried swf.), kann hier nur in übertragener Bedeutung genommen werden, aber die Erklärung befriedigt nicht. — 4871 dâ ze hove bestimmt bezogen auf Elikôn 4863. — 4872 teilen swv., austheilen. — wegen stv., hier: zu- wägen. — 4873 gunnen mit dat. und gen. (ir = genade), hier nicht bloß wie in V. 2598: einem etwas gönnen, sondern: einem etwas zuwen- den. — 4874 bei Gottfried's Redeweise und Vorliebe für Zusammen- setzungen vielleicht sinnebrunnen? — 4876 trahen stm., Tropfen; vgl. zu 7496. — 4878 bejagen swv., erjagen, bekommen, erlangen; vgl. zu 12298. — 4883 verrihten swv., einrichten, in rechter Weise herstellen. — 4886 ent- rihten swy. in Verwirrung bringen. — 4889 camênisch adj., (kamoenisch), den Musen eigenthümlich; das Wort von Gottfried wohl eigens gebildet im Stile von meiisch, frönwin; vgl. zu 2547. — 4891 eiten swv. trans., bren- nen, schmelzen. —
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172 VIII. TRISTAN'S SCHWERTLEITE. die rede durliuhtec machent als ein erwelte gimme, die gerúochen mîne stimme und mine bete erhoeren oben in ir himelkoeren und rehte, als ich gebeten hân. 4900 4905 (125) Nu diz lât allez sîn getân, daz ich des alles sî gewert, des ich von worten hân gegert, und habe des alles vollen hort, senft’ allen ôren miniu wort, ber iegelîchem herzen schate mit dem ingrüenen lindenblate, gê mîner rede als ebene mite, daz ich ir an iegelîchem trite rûm' unde reine ir strâze noch an ir strâze enlâze deheiner slahte stoubelîn, ez enmüeze dan gescheiden sîn, und daz si niuwan ûf dem klê unde ûf liehten bluomen gê; dannoch gewende ich mînen sin, sô kleine als ich gesinnet bin, kûm' oder niemér dar an, dar an sich alse manic man versuochet unde verprîset hât. deiswâr, ich sol es haben rât; und kêrte ich alle mîne kraft 4910 4915 4920 4925 4900 durliuhtec adj., (durchlauchtig), durchsichtig, glänzend klar. — 4901 er- welt part. adj., erwählt, ausgesucht, kostbar. 4906 Wörtliche Ubersetzung halbwegs im Nhd. verständlich. làzen öfters in solchen Wendungen, wo wir: angenommen, gesetzt gebrauchen. — 4907 passivische Construction von gewern (vgl. zu 2214), mir wird etwas gewährt, ich erlange etwas. — 4909 hort stm., Schatz, Fülle. — 4918 ez, das Stäublein. — dan scheiden stv., wegschaffen. — 4919 si = rede, — 4922 kleine adv., wenig, gering. — gesinnet part. adj., (mit Sinn) begabt; 9886 = nhd. — 4925 wegen ver- kann versuochen refl. allerdings die Be- deutung haben: sich vergeblich versuchen, «sich suchend verirren. (Mhd. Wörterbuch); es ist aber nicht unbedingt nöthig; versuochen sonst bei Gottfried = nhd. in V. 3696. 14182. — verprîsen swv. dagegen mußs ein un- rechtes oder verfehltes prîsen bedeuten. Zarncke weist mit Recht Mhd. Wörterbuch II, 1, 535 Hagen's Erklärung von sich verprîsen: sich Preis erwerben zurück, entscheidet sich aber nicht für eine hier bestimmt gel- tende Bedeutung. Groote: sich überschätzen; Zarncke's zweite Erklärung (nach Wackernagel) : «seinen Preis verscherzen" scheint mir die treffendste; das Wort entspricht etwa unserm prosaischen: blamieren. — 4926 rât haben mit gen., etwas oder auch eine Person entbehren müssen, einer Sache oder Person entsagen, verzichten. —
172 VIII. TRISTAN'S SCHWERTLEITE. die rede durliuhtec machent als ein erwelte gimme, die gerúochen mîne stimme und mine bete erhoeren oben in ir himelkoeren und rehte, als ich gebeten hân. 4900 4905 (125) Nu diz lât allez sîn getân, daz ich des alles sî gewert, des ich von worten hân gegert, und habe des alles vollen hort, senft’ allen ôren miniu wort, ber iegelîchem herzen schate mit dem ingrüenen lindenblate, gê mîner rede als ebene mite, daz ich ir an iegelîchem trite rûm' unde reine ir strâze noch an ir strâze enlâze deheiner slahte stoubelîn, ez enmüeze dan gescheiden sîn, und daz si niuwan ûf dem klê unde ûf liehten bluomen gê; dannoch gewende ich mînen sin, sô kleine als ich gesinnet bin, kûm' oder niemér dar an, dar an sich alse manic man versuochet unde verprîset hât. deiswâr, ich sol es haben rât; und kêrte ich alle mîne kraft 4910 4915 4920 4925 4900 durliuhtec adj., (durchlauchtig), durchsichtig, glänzend klar. — 4901 er- welt part. adj., erwählt, ausgesucht, kostbar. 4906 Wörtliche Ubersetzung halbwegs im Nhd. verständlich. làzen öfters in solchen Wendungen, wo wir: angenommen, gesetzt gebrauchen. — 4907 passivische Construction von gewern (vgl. zu 2214), mir wird etwas gewährt, ich erlange etwas. — 4909 hort stm., Schatz, Fülle. — 4918 ez, das Stäublein. — dan scheiden stv., wegschaffen. — 4919 si = rede, — 4922 kleine adv., wenig, gering. — gesinnet part. adj., (mit Sinn) begabt; 9886 = nhd. — 4925 wegen ver- kann versuochen refl. allerdings die Be- deutung haben: sich vergeblich versuchen, «sich suchend verirren. (Mhd. Wörterbuch); es ist aber nicht unbedingt nöthig; versuochen sonst bei Gottfried = nhd. in V. 3696. 14182. — verprîsen swv. dagegen mußs ein un- rechtes oder verfehltes prîsen bedeuten. Zarncke weist mit Recht Mhd. Wörterbuch II, 1, 535 Hagen's Erklärung von sich verprîsen: sich Preis erwerben zurück, entscheidet sich aber nicht für eine hier bestimmt gel- tende Bedeutung. Groote: sich überschätzen; Zarncke's zweite Erklärung (nach Wackernagel) : «seinen Preis verscherzen" scheint mir die treffendste; das Wort entspricht etwa unserm prosaischen: blamieren. — 4926 rât haben mit gen., etwas oder auch eine Person entbehren müssen, einer Sache oder Person entsagen, verzichten. —
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VIII. TRISTAN'S SCHWERTLEITE. 173 ze rîttérs beréitscháft, als weizgot maneger hât getân, und seite iu daz, wie Vulkân der wîsé, der mære, der guote listwürkare Tristande sînen hálspérc swert unde hosen und ander were, daz den ritter sol bestân, durch sine hende lieze gân schôn' und nâch meisterlichem site ; wie er’m entwürfe unde snite, den kuonheit nie bevilte, den eber an dem schilte; wie er’m den helm betihte und oben dar ûf rihte al nâch der minnen quâle die fiurînen strâle; wie er im al besunder ze wunsche und ze wunder bereite ein und ander, und wie mîn frou Cassander diu wîse Trôjerinne, ir liste und alle ir sinne dár zuo hâté gewant, daz si Tristande sîn gewant berihte unde bereite nâch solher wîshéite, sô si'z aller beste von ir sinnen weste, der géist ze himele, als ích ez las, von den goten gefeinet was: 4935 4940 4945 4950 4955 4930 4928 bereitschaft stf., Ausrüstung (3992), hier mit specieller Beziehung auf die Waffen [vgl. die noch geltende specielle Bedeutung von : Rüstung = Panzer]. — 4932 listwürkare stm., Künstler, insbesondere der Schmiedekünstler. — 4933 halsperc (halsberc) stm., Rüstung (von Ringen), bis zum Knie rei- chend; vgl. 6546. — 4934 hosen pl., hier die Bekleidung der beiden Unter- beine bezeichnend; zwô hosen in V. 6546. Die Hosen der Rüstung bestan- den ebenfalls aus Ringen. — werc stn., Kunstwerk; künstlerisch gearbeitete Rüstungsstücke; vgl. 6545. 6629. — 4937 meisterlîch adj., meisterhaft, künst- lerisch; vgl. 2225. — 4939 den eher zu beziehen auf eber als auf Tristan. — mich bevilt mit gen. (kuonheit), eigentlich: mir wird etwas zu viel, ich werde eines Dinges müde, ich lasse von etwas ab. — 4941 betihten swv., mit Uberlegung herstellen. — 4943. 4944 die Wendung mit nâch ist durch das Adjectiv fiurîn veranlasst: gemäß, entsprechend der Liebesqual, wie die Liebe feurig. — strâle stf., Pfeil. Als Helmschmuck und Zeichen kommen Pfeile öfters vor. — 4957 der abhängig von V. 4949. —
VIII. TRISTAN'S SCHWERTLEITE. 173 ze rîttérs beréitscháft, als weizgot maneger hât getân, und seite iu daz, wie Vulkân der wîsé, der mære, der guote listwürkare Tristande sînen hálspérc swert unde hosen und ander were, daz den ritter sol bestân, durch sine hende lieze gân schôn' und nâch meisterlichem site ; wie er’m entwürfe unde snite, den kuonheit nie bevilte, den eber an dem schilte; wie er’m den helm betihte und oben dar ûf rihte al nâch der minnen quâle die fiurînen strâle; wie er im al besunder ze wunsche und ze wunder bereite ein und ander, und wie mîn frou Cassander diu wîse Trôjerinne, ir liste und alle ir sinne dár zuo hâté gewant, daz si Tristande sîn gewant berihte unde bereite nâch solher wîshéite, sô si'z aller beste von ir sinnen weste, der géist ze himele, als ích ez las, von den goten gefeinet was: 4935 4940 4945 4950 4955 4930 4928 bereitschaft stf., Ausrüstung (3992), hier mit specieller Beziehung auf die Waffen [vgl. die noch geltende specielle Bedeutung von : Rüstung = Panzer]. — 4932 listwürkare stm., Künstler, insbesondere der Schmiedekünstler. — 4933 halsperc (halsberc) stm., Rüstung (von Ringen), bis zum Knie rei- chend; vgl. 6546. — 4934 hosen pl., hier die Bekleidung der beiden Unter- beine bezeichnend; zwô hosen in V. 6546. Die Hosen der Rüstung bestan- den ebenfalls aus Ringen. — werc stn., Kunstwerk; künstlerisch gearbeitete Rüstungsstücke; vgl. 6545. 6629. — 4937 meisterlîch adj., meisterhaft, künst- lerisch; vgl. 2225. — 4939 den eher zu beziehen auf eber als auf Tristan. — mich bevilt mit gen. (kuonheit), eigentlich: mir wird etwas zu viel, ich werde eines Dinges müde, ich lasse von etwas ab. — 4941 betihten swv., mit Uberlegung herstellen. — 4943. 4944 die Wendung mit nâch ist durch das Adjectiv fiurîn veranlasst: gemäß, entsprechend der Liebesqual, wie die Liebe feurig. — strâle stf., Pfeil. Als Helmschmuck und Zeichen kommen Pfeile öfters vor. — 4957 der abhängig von V. 4949. —
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174 VIII. TRISTAN'S SCHWERTLEITE. (126) waz hæte daz iht ander kraft dan, alse ich die geselleschaft Tristandes ê bereite ze siner swértléite? mac ich die volge von iu hân, sô ist mîn wân alsô getân, und weiz daz wol, muot unde guot, swer zuo den zwein geræten tuot bescheidenheit und höveschen sin, diu vieriu würkent under in als wol als iemen ander. jâ, Vulkân und Cassander, diu zwei bereiten ritter nie baz ze prîse danne ouch die. 4960 4965 4970 Sît nû die vier rîchéite rilîche swértléite sus kunnen géprüevieren, so bevélhen wir in vieren unsern friunt Tristanden. die nemen in ze handen, bereiten uns den werden man, sît ez niht bezzer werden kan, mit dem geziuge und mit dem snite, dâ sîne reitgesellen mite sô schône sint bereitet. sus sî Tristan geleitet ze hove und ouch ze ringe, mit allem sînem dinge sînèn gesellen ebengelîch, ebenziere und ebenrîch: ich meine ab an der wæte, die mannes hant dâ næte, niht an der an gebornen wât, diu von des herzen kamere gât, 4975 4980 4985 4990 4959 hier erst der Nachsatz zu V. 4927. — krajt, hier in anderm Sinne als in V. 4927: Wirkung; vgl. 13003. — 4966 gerate stn., hier mit Be. ziehung auf V. 4601 bildlich: Ausstattung, förderliche Dinge. 4974 rîlîche swertleite ist acc. und zwar wohl sg. = eine 7. s. — 4975 geprüevieren swv., Fremdwort (in der Form, Bildung aus geprüeven 4582), zurechtmachen. — 4978 ze handen nemen entspricht ziemlich un- serm: vornehmen (von Personen und Sachen). — 4981 snit stm., Zuschnitt, Façon. — 4982 reitgeselle swm. (von reite, Kriegszug, Fahrt) Kriegs- genosse, Kamerad. — 4987 ebengelîch adj., durchaus gleich. — 4988 eben- zier: adj., gleich schmuck. — ebenrîch adj., gleich ausgestattet. —
174 VIII. TRISTAN'S SCHWERTLEITE. (126) waz hæte daz iht ander kraft dan, alse ich die geselleschaft Tristandes ê bereite ze siner swértléite? mac ich die volge von iu hân, sô ist mîn wân alsô getân, und weiz daz wol, muot unde guot, swer zuo den zwein geræten tuot bescheidenheit und höveschen sin, diu vieriu würkent under in als wol als iemen ander. jâ, Vulkân und Cassander, diu zwei bereiten ritter nie baz ze prîse danne ouch die. 4960 4965 4970 Sît nû die vier rîchéite rilîche swértléite sus kunnen géprüevieren, so bevélhen wir in vieren unsern friunt Tristanden. die nemen in ze handen, bereiten uns den werden man, sît ez niht bezzer werden kan, mit dem geziuge und mit dem snite, dâ sîne reitgesellen mite sô schône sint bereitet. sus sî Tristan geleitet ze hove und ouch ze ringe, mit allem sînem dinge sînèn gesellen ebengelîch, ebenziere und ebenrîch: ich meine ab an der wæte, die mannes hant dâ næte, niht an der an gebornen wât, diu von des herzen kamere gât, 4975 4980 4985 4990 4959 hier erst der Nachsatz zu V. 4927. — krajt, hier in anderm Sinne als in V. 4927: Wirkung; vgl. 13003. — 4966 gerate stn., hier mit Be. ziehung auf V. 4601 bildlich: Ausstattung, förderliche Dinge. 4974 rîlîche swertleite ist acc. und zwar wohl sg. = eine 7. s. — 4975 geprüevieren swv., Fremdwort (in der Form, Bildung aus geprüeven 4582), zurechtmachen. — 4978 ze handen nemen entspricht ziemlich un- serm: vornehmen (von Personen und Sachen). — 4981 snit stm., Zuschnitt, Façon. — 4982 reitgeselle swm. (von reite, Kriegszug, Fahrt) Kriegs- genosse, Kamerad. — 4987 ebengelîch adj., durchaus gleich. — 4988 eben- zier: adj., gleich schmuck. — ebenrîch adj., gleich ausgestattet. —
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VIII. TRISIAN'S SCHWERTLEITE. 175 (127) die si dâ heizent edelen muot, diu den man wolgemuoten tuot und werdet lip unde leben: diu wât wart den gesellen geben dem hêrren ungeliche. ja weizgot, der muotrîche, der éregire Tristán truoc sunderlichiu kleider an, von gebâre und von gelâze gezieret úz der mâze. er hæete s' alle an schoenen siten unde an tugenden übersniten. und iedoch an der wæte, die mannes hant dâ næte, dane wás niht underscheidung' an, der truoc der werde houbetman in allén gelîche. 4995 5000 5005 5010 Sus was der muotes rîche der voget von Parmenîe und al sîn massenîe ze münster mit ein ander komen und haten méssé vernomen und ouch enpfángén den segen, des man in dâ solte pflegen: Markè nam dô Tristanden sînen neven ze handen, swert unde sporn strict’ er im an. «sich», sprach er «neve Tristán, sît dir nu swert gesegenet ist und sit du ritter worden bist, nu bedénke ritterlîchen prîs und ouch dich selben, wer du sîs; din gebúrt únd dîn edelkeit si dinen ougen vür geleit: 5015 5020 5025 4995 werden swy. trans., wert machen (synonym von wirden), vervoll- kommnen; vgl. 5031. — 4997 ungelîche adv. mit dat., nicht in Uberein- stimmung mit... — 4998 muotrîche adj. subst. (in V. 5010 muotes rîche), freudenreich, wohlgemuth. — 5002 ûz der mâze, über die Maßsen, vor- züglich; vgl. 9991. — 5004 übersnîden stv., im Schnitte übertreffen, dann überhaupt: übertreffen. — 5007 underscheidunge (=Hs. H, dagegen W und F anderschidunge. M underscheiden) stf. = Unterschied. 5019 an stricken swv., anschnüren, anbinden, um- und anthun. — 5025 edelkeit stf., Adel. —
VIII. TRISIAN'S SCHWERTLEITE. 175 (127) die si dâ heizent edelen muot, diu den man wolgemuoten tuot und werdet lip unde leben: diu wât wart den gesellen geben dem hêrren ungeliche. ja weizgot, der muotrîche, der éregire Tristán truoc sunderlichiu kleider an, von gebâre und von gelâze gezieret úz der mâze. er hæete s' alle an schoenen siten unde an tugenden übersniten. und iedoch an der wæte, die mannes hant dâ næte, dane wás niht underscheidung' an, der truoc der werde houbetman in allén gelîche. 4995 5000 5005 5010 Sus was der muotes rîche der voget von Parmenîe und al sîn massenîe ze münster mit ein ander komen und haten méssé vernomen und ouch enpfángén den segen, des man in dâ solte pflegen: Markè nam dô Tristanden sînen neven ze handen, swert unde sporn strict’ er im an. «sich», sprach er «neve Tristán, sît dir nu swert gesegenet ist und sit du ritter worden bist, nu bedénke ritterlîchen prîs und ouch dich selben, wer du sîs; din gebúrt únd dîn edelkeit si dinen ougen vür geleit: 5015 5020 5025 4995 werden swy. trans., wert machen (synonym von wirden), vervoll- kommnen; vgl. 5031. — 4997 ungelîche adv. mit dat., nicht in Uberein- stimmung mit... — 4998 muotrîche adj. subst. (in V. 5010 muotes rîche), freudenreich, wohlgemuth. — 5002 ûz der mâze, über die Maßsen, vor- züglich; vgl. 9991. — 5004 übersnîden stv., im Schnitte übertreffen, dann überhaupt: übertreffen. — 5007 underscheidunge (=Hs. H, dagegen W und F anderschidunge. M underscheiden) stf. = Unterschied. 5019 an stricken swv., anschnüren, anbinden, um- und anthun. — 5025 edelkeit stf., Adel. —
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176 VIII. TRISTAN'S SCHWERTLEITE. wis diemüet' und wis unbetrogen, wis wârhaft und wis wolgezogen; den armen den wis iemer guot, den richen iemer hôchgemuot; zier' unde werde dînen lip, êr' unde minne elliu wîp; wis milte unde getriuwe und iemer dar an niuwe! wan uf mîn êre nim ich daz, daz golt noch zobel gestuont nie baz dem spere unde dem schilte dan triuwe unde milte.» 5030 5035 Hie mite bôt ér im den schílt dár. er kúste in únd sprach: «neve, nu var und gebe dir got dur sîne kraft heil ze diner ritterschaft! wis iemer hövesch, wis iemer frô !» Tristan verrihte aber dô sîne gesellen an der stete, rehte als in sîn oeheim tete, an swerte, an sporn, an schilte. diemüete, triuwe, milte, die leite er iegelîches kür mit beschéidenlicher lêre vür. und enwart ouch dâ niht mê gebiten : gebuhurdieret unde geriten wart dâ, zewâre deist mîn wân. wie si áber von ringe liezen gân, wie si mit scheften stæchen, wie vil si der zerbræechen daz sulen die garzûne sagen, die hulfen ez zesamene tragen. i'ne mác ir buhurdieren 5045 5050 5055 (128) 5040 5027 diemüete adj., (demuthig), bescheiden. — unbetrogen part. adj., nicht bethört, nicht eingebildet. — 5030 hôchgemuot adj., hier: hochsinnig, stolz; der Dativ den rîchen = für die Reichen, den Reichen gegenüber. — 5035 ûf die êre nemen, bei der Ehre etwas auf sich nehmen, mit der Ehre für etwas einstehen; doch nicht im strengsten Sinne, sondern nur betheuernd. — 5038 milte stf., Freigebigkeit; vgl. zu 250. 5044 verrilten swv. hier mit acc. der Person, zurechtmachen, aus- statten. — 5048 diemüete stf., Demuth, Bescheidenheit; vgl. 17068. — 5050 bescheidenlîch adj., verständig. — 5054 rinc stm. ist hier der Umkreis des abgegrenzten Turnierplatzes. — gan lâzen, Verbalellipse (das Ross', ansprengen. — 5057 garzûn stm., Fremdwort, franz. garçon, Knappe. —
176 VIII. TRISTAN'S SCHWERTLEITE. wis diemüet' und wis unbetrogen, wis wârhaft und wis wolgezogen; den armen den wis iemer guot, den richen iemer hôchgemuot; zier' unde werde dînen lip, êr' unde minne elliu wîp; wis milte unde getriuwe und iemer dar an niuwe! wan uf mîn êre nim ich daz, daz golt noch zobel gestuont nie baz dem spere unde dem schilte dan triuwe unde milte.» 5030 5035 Hie mite bôt ér im den schílt dár. er kúste in únd sprach: «neve, nu var und gebe dir got dur sîne kraft heil ze diner ritterschaft! wis iemer hövesch, wis iemer frô !» Tristan verrihte aber dô sîne gesellen an der stete, rehte als in sîn oeheim tete, an swerte, an sporn, an schilte. diemüete, triuwe, milte, die leite er iegelîches kür mit beschéidenlicher lêre vür. und enwart ouch dâ niht mê gebiten : gebuhurdieret unde geriten wart dâ, zewâre deist mîn wân. wie si áber von ringe liezen gân, wie si mit scheften stæchen, wie vil si der zerbræechen daz sulen die garzûne sagen, die hulfen ez zesamene tragen. i'ne mác ir buhurdieren 5045 5050 5055 (128) 5040 5027 diemüete adj., (demuthig), bescheiden. — unbetrogen part. adj., nicht bethört, nicht eingebildet. — 5030 hôchgemuot adj., hier: hochsinnig, stolz; der Dativ den rîchen = für die Reichen, den Reichen gegenüber. — 5035 ûf die êre nemen, bei der Ehre etwas auf sich nehmen, mit der Ehre für etwas einstehen; doch nicht im strengsten Sinne, sondern nur betheuernd. — 5038 milte stf., Freigebigkeit; vgl. zu 250. 5044 verrilten swv. hier mit acc. der Person, zurechtmachen, aus- statten. — 5048 diemüete stf., Demuth, Bescheidenheit; vgl. 17068. — 5050 bescheidenlîch adj., verständig. — 5054 rinc stm. ist hier der Umkreis des abgegrenzten Turnierplatzes. — gan lâzen, Verbalellipse (das Ross', ansprengen. — 5057 garzûn stm., Fremdwort, franz. garçon, Knappe. —
Strana 177
VIII. TRISTAN'S SCHWERTLEITE. 177 niht allez bécrôieren wan einen dienest biute ich in, des ich in sêre willec bin : daz sich ir aller êre an allen dingen mêre, und in got ritterlichez leben ze ir rítterschefte müeze geben! 5060 5065 5060 becroieren swv., Fremdwort, beschreien, ausrufen (als Herold oder als furzün beim Turnier); das einfache Verbum in V. 5578 (crôieren nach den altesten Hss.; keine schreibt zwei i =croiieren oder drei = croijieren). — 5062 willec adj. mit dat. der Person und gen. der Sache, für einen in oder zu einer Sache geneigt (sein oder werden). GOTTFRIED VON STRASSLURG. I. 2. Aufl. 12
VIII. TRISTAN'S SCHWERTLEITE. 177 niht allez bécrôieren wan einen dienest biute ich in, des ich in sêre willec bin : daz sich ir aller êre an allen dingen mêre, und in got ritterlichez leben ze ir rítterschefte müeze geben! 5060 5065 5060 becroieren swv., Fremdwort, beschreien, ausrufen (als Herold oder als furzün beim Turnier); das einfache Verbum in V. 5578 (crôieren nach den altesten Hss.; keine schreibt zwei i =croiieren oder drei = croijieren). — 5062 willec adj. mit dat. der Person und gen. der Sache, für einen in oder zu einer Sache geneigt (sein oder werden). GOTTFRIED VON STRASSLURG. I. 2. Aufl. 12
Strana 178
IX. HEIMFAHRT UND RACHE. Der Gedanke an seinen erschlagenen Vater lässt Tristan nicht zur Ruhe kommen, und es drängt ihn nach der Heimat. Bei seinem Schei- den setzt ihn Marke zu seinem Erben ein, um seinetwillen will er ehelos bleiben. Marschall Rual tritt zuerst in Parmenien an das Ufer und be- willkommt den Herrn in seinem Erblande und geleitet ihn nach Kanoel, wo Floræte ihren Herrn und Sohn in hoher Freude empfängt. Die Lan- desfürsten erhalten von Tristan ihr Land zu Lehen und schwören ihm den Huldigungseid. Hierauf zieht Tristan, Schmerz und Rachegefüll im Innern bergend, nach Britannie, um, wie er sagt, aus seines Feindes Hand sein Lehen zu empfangen. Die wohlausgerüstete, aber äuferlich fried- fertig erscheinende Ritterschaar trifft den Herzog Morgan auf der Jagd. Tristan bringt sein Anliegen vor, aber Morgan verweigert ihm die Gunst und nennt, auf Tristan's uneheliche Geburt anspielend, Riwalin’s und Blanscheflur's Bündniss eine Liebschaft. Nach hartem Wortwechsel spaltet Tristan seinem Feinde das Haupt. Ein wechselvoller Kampf zwischen den Britunen und den Parmeniern beginnt. Rual kommt zu Hülfe, und Tristan bleibt Sieger. Fortan ist sein Herz getheilt zwischen der Liebe zu seinem Vater und Getreuen Rual und seinem Oheim Marke. Sein mit eigener Hand erworbenes Erbland gibt er dem Marschall zum Erblehen und ertheilt dessen beiden Söhnen, seinen Brüdern und künftigen Erben die Ritterwürde und mit ihnen zwölf Jünglingen, unter ihnen auch sei- nem Meister Kurvenal. Mit diesem kehrt er unter dem Wehklagen seiner Freunde und Unterthanen nach Kurneval zurück. Truoc iemen lebender stæte leit bî stæteclîcher sæelekeit, sô truoc Tristan ie stæte leit bi stæteclicher sælekeit. 5070 5067 iemen lebender, nicht: ein Lebender, sondern lebender gen. pl. (wie in V. 2989), einer der Lebenden; vgl. 5104. — 506s stoteelîch adj.= stele, beständiglich.
IX. HEIMFAHRT UND RACHE. Der Gedanke an seinen erschlagenen Vater lässt Tristan nicht zur Ruhe kommen, und es drängt ihn nach der Heimat. Bei seinem Schei- den setzt ihn Marke zu seinem Erben ein, um seinetwillen will er ehelos bleiben. Marschall Rual tritt zuerst in Parmenien an das Ufer und be- willkommt den Herrn in seinem Erblande und geleitet ihn nach Kanoel, wo Floræte ihren Herrn und Sohn in hoher Freude empfängt. Die Lan- desfürsten erhalten von Tristan ihr Land zu Lehen und schwören ihm den Huldigungseid. Hierauf zieht Tristan, Schmerz und Rachegefüll im Innern bergend, nach Britannie, um, wie er sagt, aus seines Feindes Hand sein Lehen zu empfangen. Die wohlausgerüstete, aber äuferlich fried- fertig erscheinende Ritterschaar trifft den Herzog Morgan auf der Jagd. Tristan bringt sein Anliegen vor, aber Morgan verweigert ihm die Gunst und nennt, auf Tristan's uneheliche Geburt anspielend, Riwalin’s und Blanscheflur's Bündniss eine Liebschaft. Nach hartem Wortwechsel spaltet Tristan seinem Feinde das Haupt. Ein wechselvoller Kampf zwischen den Britunen und den Parmeniern beginnt. Rual kommt zu Hülfe, und Tristan bleibt Sieger. Fortan ist sein Herz getheilt zwischen der Liebe zu seinem Vater und Getreuen Rual und seinem Oheim Marke. Sein mit eigener Hand erworbenes Erbland gibt er dem Marschall zum Erblehen und ertheilt dessen beiden Söhnen, seinen Brüdern und künftigen Erben die Ritterwürde und mit ihnen zwölf Jünglingen, unter ihnen auch sei- nem Meister Kurvenal. Mit diesem kehrt er unter dem Wehklagen seiner Freunde und Unterthanen nach Kurneval zurück. Truoc iemen lebender stæte leit bî stæteclîcher sæelekeit, sô truoc Tristan ie stæte leit bi stæteclicher sælekeit. 5070 5067 iemen lebender, nicht: ein Lebender, sondern lebender gen. pl. (wie in V. 2989), einer der Lebenden; vgl. 5104. — 506s stoteelîch adj.= stele, beständiglich.
Strana 179
IX. HEIMFAHRT UND RACHE. 179 (129) Als ich es iuch bescheiden wil : im was ein endeclichez zil gegeben der zweier dinge leides unde linge ; wan alles des, des er began, dâ lang im allerdickest an, und was ie leit der linge bî. swie ungelîch diz jenem si, sus wâren diu zwei conterfeit, stæetiu linge und wernde leit, gesellet an dem einen man. «sô helfe iu got, nu sprechet an: Tristan der hât nu swert genomen und ist ze rîcher linge komen mit ritterlîcher werdekeit: lât hoeren, welher hande leit hæt' er bî dirre linge?" weiz got, an einem dinge, daz iegelîchem herzen ie und ouch dem sînen nâhe gie : daz ime der vater was erslagen, als er Rûâlen hôrte sagen, daz qual in in dem muote. alsus was übel bî guote, bî linge schade, bî liebe leit eines hérzen stætiu sicherheit. ir aller jehe diu lît dar an, haz der lig ie dem jungen man 5075 5080 5085 5090 5095 5072 endeelîch adj. ist hier wohl nicht, wie es das mhd. Wb. 1, 432 auffasst, vollständig, wirklich wie in V. 18222, sondern einfach zil ver- stärkend: schließslich, letzt; vgl. endezil 10902. — zil geben häufige mhd. Wendung von verschiedener Bedeutung und meist zu umschreiben; hier: Bestimmung. Bei ihm lief es schließlich auf zweierlei, auf Leid, Unglück und Gelingen, Glück (linge stf.) hinaus. — 5076 lang præt. von lingen stv. = gelingen, glücken. — allerdickest adv., allerhäufigst, meist. — 5079 conter- feit stn. Fremdwort, Gegensatz; vgl. 10264. — 5081 in dem éinen Mann vereint; dat. bei gesellen in V. 5134, — 5093 qual in (acc.) nach Hs. M und H ; der Dat. in in Hs. W und F ist ebensowenig bei dem intrans. queln stv., Qual leiden, sich martern (s. zu 1742) erklärlich ; wahrscheinlich findet Verwechselung statt zwischen qualn stv. und queln swy. trans., qual=qualte. quelte. — 5096 sicherheit stf., Verpflichtung, Bündniss. Freude bei Leid war das, dem ein Herz sich durch feste Verpflichtung unterworfen hatte» (Mhd. Wb. I1, 2, 259b) verstehe ich nicht. Vielmehr heifst es: Glück und Unglück (und die Empfindung davon) war in éinem Herzen beständig ver- bunden. — 5097 vgl. zu 2188; hier dar an ligen etwa gleich unserm: die allgemeine Ansicht (vgl. 101) geht dahin. — 5098 hat hier in unserm Sinne würde die Wahrheit des Ausspruchs zweifelhaft machen; gemeint ist viel- mehr: der Zorn, die Leidenschaftlichkeit. — an ligen einem, ähnlich wie nhd.: einen bedrängen (vgl. zu 12520) wie in V. 5107. Oder steht in sti- 12*)
IX. HEIMFAHRT UND RACHE. 179 (129) Als ich es iuch bescheiden wil : im was ein endeclichez zil gegeben der zweier dinge leides unde linge ; wan alles des, des er began, dâ lang im allerdickest an, und was ie leit der linge bî. swie ungelîch diz jenem si, sus wâren diu zwei conterfeit, stæetiu linge und wernde leit, gesellet an dem einen man. «sô helfe iu got, nu sprechet an: Tristan der hât nu swert genomen und ist ze rîcher linge komen mit ritterlîcher werdekeit: lât hoeren, welher hande leit hæt' er bî dirre linge?" weiz got, an einem dinge, daz iegelîchem herzen ie und ouch dem sînen nâhe gie : daz ime der vater was erslagen, als er Rûâlen hôrte sagen, daz qual in in dem muote. alsus was übel bî guote, bî linge schade, bî liebe leit eines hérzen stætiu sicherheit. ir aller jehe diu lît dar an, haz der lig ie dem jungen man 5075 5080 5085 5090 5095 5072 endeelîch adj. ist hier wohl nicht, wie es das mhd. Wb. 1, 432 auffasst, vollständig, wirklich wie in V. 18222, sondern einfach zil ver- stärkend: schließslich, letzt; vgl. endezil 10902. — zil geben häufige mhd. Wendung von verschiedener Bedeutung und meist zu umschreiben; hier: Bestimmung. Bei ihm lief es schließlich auf zweierlei, auf Leid, Unglück und Gelingen, Glück (linge stf.) hinaus. — 5076 lang præt. von lingen stv. = gelingen, glücken. — allerdickest adv., allerhäufigst, meist. — 5079 conter- feit stn. Fremdwort, Gegensatz; vgl. 10264. — 5081 in dem éinen Mann vereint; dat. bei gesellen in V. 5134, — 5093 qual in (acc.) nach Hs. M und H ; der Dat. in in Hs. W und F ist ebensowenig bei dem intrans. queln stv., Qual leiden, sich martern (s. zu 1742) erklärlich ; wahrscheinlich findet Verwechselung statt zwischen qualn stv. und queln swy. trans., qual=qualte. quelte. — 5096 sicherheit stf., Verpflichtung, Bündniss. Freude bei Leid war das, dem ein Herz sich durch feste Verpflichtung unterworfen hatte» (Mhd. Wb. I1, 2, 259b) verstehe ich nicht. Vielmehr heifst es: Glück und Unglück (und die Empfindung davon) war in éinem Herzen beständig ver- bunden. — 5097 vgl. zu 2188; hier dar an ligen etwa gleich unserm: die allgemeine Ansicht (vgl. 101) geht dahin. — 5098 hat hier in unserm Sinne würde die Wahrheit des Ausspruchs zweifelhaft machen; gemeint ist viel- mehr: der Zorn, die Leidenschaftlichkeit. — an ligen einem, ähnlich wie nhd.: einen bedrängen (vgl. zu 12520) wie in V. 5107. Oder steht in sti- 12*)
Strana 180
180 IX. HEIMFAHRT UND RACHE. (130) mit gréézérem ernest an dan einem stündigen man. ob aller sîner werdekeit sô swebete Tristand’ ie daz leit und daz verborgene ungemach, daz niemen lebender an im sach, daz ime Riwalînes tôt und Morgânes leben bôt; daz leit lac ime mit sorgen an. der sórcsáme Trístán und sîn getriuwelîcher rât, der noch von triuwen namen hât, der sâlige Foitenant: die beréitén zehant mit rîchém geræte, des man den wunsch dâ hæte, eine rîchlîche barken: sus kômen si vür Marken. Tristan sprach: «lieber hêrre mîn, ez sol mit iuwern hulden sin, daz ich ze Parmenîe var und neme nâch iuwerm râte war, wie unser dinc dâ si gewant umbe liute und umbe daz lant, daz ir dâ sprechet, ez si min.» 5105 5110 5115 5120 5100 Der künec sprach: «neve, diz sol sin. swie kûme ich dîn doch müge enbern, ich wil dich dîner bete gewern. var heim ze Parmenîe dû und dîn cumpanîe; bedarftu ritterschefte mê, die nim, als dir ze muote stê: nim ros, nim silber unde golt und swes sô dû bedürfen solt, als dû bedürfen wellest; und swen du dir gesellest, 5125 5130 listischem Gegensatze zu letzterem Verse an ligen mit dat. = an einem ligen wie in V. 2188 : der Zorn sei mehr eine Ergenthümlichkeit der Jugend als des Alters? — 5100 stundic adj., zeitig, gereift. — 5109 getriuwelich adj. = getriuwe, von Gottfried nicht ungerne gebraucht, sonst im Mhd. verhältniss- mälig selten. — 5121 c2, ein dinc ist gewant, es ist bewandt, beschaffen, es steht; vgl. zu 1657; persönlicher in V. 18958.
180 IX. HEIMFAHRT UND RACHE. (130) mit gréézérem ernest an dan einem stündigen man. ob aller sîner werdekeit sô swebete Tristand’ ie daz leit und daz verborgene ungemach, daz niemen lebender an im sach, daz ime Riwalînes tôt und Morgânes leben bôt; daz leit lac ime mit sorgen an. der sórcsáme Trístán und sîn getriuwelîcher rât, der noch von triuwen namen hât, der sâlige Foitenant: die beréitén zehant mit rîchém geræte, des man den wunsch dâ hæte, eine rîchlîche barken: sus kômen si vür Marken. Tristan sprach: «lieber hêrre mîn, ez sol mit iuwern hulden sin, daz ich ze Parmenîe var und neme nâch iuwerm râte war, wie unser dinc dâ si gewant umbe liute und umbe daz lant, daz ir dâ sprechet, ez si min.» 5105 5110 5115 5120 5100 Der künec sprach: «neve, diz sol sin. swie kûme ich dîn doch müge enbern, ich wil dich dîner bete gewern. var heim ze Parmenîe dû und dîn cumpanîe; bedarftu ritterschefte mê, die nim, als dir ze muote stê: nim ros, nim silber unde golt und swes sô dû bedürfen solt, als dû bedürfen wellest; und swen du dir gesellest, 5125 5130 listischem Gegensatze zu letzterem Verse an ligen mit dat. = an einem ligen wie in V. 2188 : der Zorn sei mehr eine Ergenthümlichkeit der Jugend als des Alters? — 5100 stundic adj., zeitig, gereift. — 5109 getriuwelich adj. = getriuwe, von Gottfried nicht ungerne gebraucht, sonst im Mhd. verhältniss- mälig selten. — 5121 c2, ein dinc ist gewant, es ist bewandt, beschaffen, es steht; vgl. zu 1657; persönlicher in V. 18958.
Strana 181
IX. HEIMFAHRT UND RACHE. 181 5135 (131) dem biut ez sô mit guote, mit gesélleclîchem muote, daz er dîn dienest gerne sî und dir mit triuwen wese bî. vil lieber neve, wirp unde lebe, als dir din vater lêre gebe, der getriuwe Rual, der hie stât, der michel triuwe und êre hât mit dir begangen unze her; und sî, daz dich des got gewer, daz dú dich dâ verrihtest und dîn dinc dâ beslihtest nâch frumen und nâch êren, sô soltu wider kêren: kêre wider her ze mir. ein dinc lob ich und leiste dir, sê mîne triuwe an dîne hant, daz ich dir mîn guot und mîn lant iemèr gelîche teile; und sî ez an dînem heile, daz dů mich sulest überleben, sô si dir allez z'eigene geben: wan ich wil durch den willen dîn êlîches wîbes âne sîn, die wîle ich iemer leben sol. neve, du hâst vernomen wol mîne bete und mînen sin. bist dû mir holt, als ich dir bin, treist dû mir herze, als ich dir trage, weiz got, sô suln wir unser tage frôlîche mit ein ander leben. hie mite si dir urloup gegeben. der mägede sun, der hüete dîn! und lâ dir wol bevolhen sîn dîn geschâfede und dîn êre.» hie enbiten s' ouch nimêre: Tristan und sîn friunt Rûal die schiffeten von Kurnewal si unde ir massenîe heim wider ze Parmenîe. 5140 5145 5150 5155 5160 5165 5170 5137 dienest stm., Diener; vgl. zu 16891. — 5143 begán mit einem = nhd. an einem; begân nhd. beschränkter (vgl. 705), hier zu geben etwa durch: bewähren; vgl. 5223.
IX. HEIMFAHRT UND RACHE. 181 5135 (131) dem biut ez sô mit guote, mit gesélleclîchem muote, daz er dîn dienest gerne sî und dir mit triuwen wese bî. vil lieber neve, wirp unde lebe, als dir din vater lêre gebe, der getriuwe Rual, der hie stât, der michel triuwe und êre hât mit dir begangen unze her; und sî, daz dich des got gewer, daz dú dich dâ verrihtest und dîn dinc dâ beslihtest nâch frumen und nâch êren, sô soltu wider kêren: kêre wider her ze mir. ein dinc lob ich und leiste dir, sê mîne triuwe an dîne hant, daz ich dir mîn guot und mîn lant iemèr gelîche teile; und sî ez an dînem heile, daz dů mich sulest überleben, sô si dir allez z'eigene geben: wan ich wil durch den willen dîn êlîches wîbes âne sîn, die wîle ich iemer leben sol. neve, du hâst vernomen wol mîne bete und mînen sin. bist dû mir holt, als ich dir bin, treist dû mir herze, als ich dir trage, weiz got, sô suln wir unser tage frôlîche mit ein ander leben. hie mite si dir urloup gegeben. der mägede sun, der hüete dîn! und lâ dir wol bevolhen sîn dîn geschâfede und dîn êre.» hie enbiten s' ouch nimêre: Tristan und sîn friunt Rûal die schiffeten von Kurnewal si unde ir massenîe heim wider ze Parmenîe. 5140 5145 5150 5155 5160 5165 5170 5137 dienest stm., Diener; vgl. zu 16891. — 5143 begán mit einem = nhd. an einem; begân nhd. beschränkter (vgl. 705), hier zu geben etwa durch: bewähren; vgl. 5223.
Strana 182
182 IX. HEIMFAHRT UND RACHE. Ob iu nu vil liep ist vernomen umbe dirre hêrren willekomen, ich sage iu, alse ich hân vernomen, wie sî dâ wâren willekomen. 5175 (132) Ir aller léitâre, der getriuwe, der gewaere Rûal trat vor ûz an daz lant; sîn hüetelîn und sin gewant leit' er höfschlîche dort hin dan : Tristanden lief er lachende an, er kuste in und sprach: «hêrre mîn, gote sult ir willekomen sîn, iuwerm lande unde mir ! kieset, hêrre, sehet ir diz schoene lant bî disem mer? veste stete, starke wer und manic schone kástêl: seht, daz hât iuwer vater Kanêl an iuch geerbet unde brâht. sît ir nu biderbe unde bedâht, swes iuwer ouge hie gesiht, des engât iu niemer niht: des bin ich iemer iuwer wer.» mit dirre rede sô kêrte er her mit rîchem herzen unde frô; vil frôlîche enpfieng er dô die ritter al besunder: er begúnde sî ze wunder mit sînen worten süezen salûieren unde grüezen. hie mite fuort' er si úf Kanoêl. die stete unde diu kastêl, diu von Kanêles jâren in sîner pflege wâren in állém dem lande, diu gab er ûf Tristande nâch vil getriuwelîchem site ; und ouch diu sînén dâ mite, 5185 5190 5195 5200 5205 5180 5210 5193 erben swv., vererben; an = nhd. auf. — 5197 wer swm., Gewährs- mann; dafür stehe ich euch. — 5210 ûf geben mit dat., Terminus aus dem Lehnrecht, übergeben. —
182 IX. HEIMFAHRT UND RACHE. Ob iu nu vil liep ist vernomen umbe dirre hêrren willekomen, ich sage iu, alse ich hân vernomen, wie sî dâ wâren willekomen. 5175 (132) Ir aller léitâre, der getriuwe, der gewaere Rûal trat vor ûz an daz lant; sîn hüetelîn und sin gewant leit' er höfschlîche dort hin dan : Tristanden lief er lachende an, er kuste in und sprach: «hêrre mîn, gote sult ir willekomen sîn, iuwerm lande unde mir ! kieset, hêrre, sehet ir diz schoene lant bî disem mer? veste stete, starke wer und manic schone kástêl: seht, daz hât iuwer vater Kanêl an iuch geerbet unde brâht. sît ir nu biderbe unde bedâht, swes iuwer ouge hie gesiht, des engât iu niemer niht: des bin ich iemer iuwer wer.» mit dirre rede sô kêrte er her mit rîchem herzen unde frô; vil frôlîche enpfieng er dô die ritter al besunder: er begúnde sî ze wunder mit sînen worten süezen salûieren unde grüezen. hie mite fuort' er si úf Kanoêl. die stete unde diu kastêl, diu von Kanêles jâren in sîner pflege wâren in állém dem lande, diu gab er ûf Tristande nâch vil getriuwelîchem site ; und ouch diu sînén dâ mite, 5185 5190 5195 5200 5205 5180 5210 5193 erben swv., vererben; an = nhd. auf. — 5197 wer swm., Gewährs- mann; dafür stehe ich euch. — 5210 ûf geben mit dat., Terminus aus dem Lehnrecht, übergeben. —
Strana 183
IX. HEIMFAHRT UND RACHE. 183 (133) diu in wâren an gevallen von sînen vordern allen. waz sol der rede nu mêre?" er hæte rât und êre: dur daz bôt er dem hêrren rât als der, der rât und êre hât, und mit im al den sînen. daz flizen und daz pînen, daz er mit süezem muote in állén ze guote und alle wîs an in begie, dazn gesách mánnes ouge nie. Wie dô? wie ist mir sus geschehen? ich hân mich selben übersehen: wâ sint nu mîne sinne?" die guoten marschalkinne, die réinén, die stæten mîne frouwen Floræten, daz ich die sus verswigen hân, deist niht dâ her von hove getân. ich sol ez aber der süezen bezzern unde büezen. diu hövesché, diu guote, diu gúoté gemuote, diu werdeste, diu beste, ich weiz wol, daz si ir geste niht eine mit dem munde enpfie; wan swâ daz wort von munde gie, dâ gie der süeze wille ie vor. ir herze daz fuor rehte enbor, als ez gevidert waere. si wâren vil einbære 5220 5225 5230 5235 5240 5215 5220 flîzen hier subst. inf. stn. (vgl. 623), Eifer, Sorgfalt. — pînen subst. inf. stn. (vgl. 160), Bemühung. 5225 Wie dô? wie nun? — 5226 übersehen stv., vergessen. — 5230 mine frouwe = madame; vgl. zu 3524. — 5232 das ist nicht anständig gehan- delt. — 5234 bezzern swv., vergüten; vgl. zu 1511. — 5236 guote nach Uber- einstimmung von Hs. H, W und F und durchaus stilgemaß im Wortspiel mit guote fem. in V. 5235 ; das Adverbium guote statt wol, in damaliger Zeit sonst ungebräuchlich, ist dem Dichter, der so frei mit der Sprache schaltet, wohl zuzutrauen , und einmal musste mit diesem Adverbium, an dem die jüngere Zeit gar keinen Anstoß nimmt und welches nach Bech's Nachweis um die Mitte des 13. Jahrhunderts schon geläufiger ist, der Anfang ge- macht werden; Hartmann Iwein 7300 spielt anders : diu süeze, diu guote, diu subre gemuote. — 5243 gevidert part. adj., geflügelt. —
IX. HEIMFAHRT UND RACHE. 183 (133) diu in wâren an gevallen von sînen vordern allen. waz sol der rede nu mêre?" er hæte rât und êre: dur daz bôt er dem hêrren rât als der, der rât und êre hât, und mit im al den sînen. daz flizen und daz pînen, daz er mit süezem muote in állén ze guote und alle wîs an in begie, dazn gesách mánnes ouge nie. Wie dô? wie ist mir sus geschehen? ich hân mich selben übersehen: wâ sint nu mîne sinne?" die guoten marschalkinne, die réinén, die stæten mîne frouwen Floræten, daz ich die sus verswigen hân, deist niht dâ her von hove getân. ich sol ez aber der süezen bezzern unde büezen. diu hövesché, diu guote, diu gúoté gemuote, diu werdeste, diu beste, ich weiz wol, daz si ir geste niht eine mit dem munde enpfie; wan swâ daz wort von munde gie, dâ gie der süeze wille ie vor. ir herze daz fuor rehte enbor, als ez gevidert waere. si wâren vil einbære 5220 5225 5230 5235 5240 5215 5220 flîzen hier subst. inf. stn. (vgl. 623), Eifer, Sorgfalt. — pînen subst. inf. stn. (vgl. 160), Bemühung. 5225 Wie dô? wie nun? — 5226 übersehen stv., vergessen. — 5230 mine frouwe = madame; vgl. zu 3524. — 5232 das ist nicht anständig gehan- delt. — 5234 bezzern swv., vergüten; vgl. zu 1511. — 5236 guote nach Uber- einstimmung von Hs. H, W und F und durchaus stilgemaß im Wortspiel mit guote fem. in V. 5235 ; das Adverbium guote statt wol, in damaliger Zeit sonst ungebräuchlich, ist dem Dichter, der so frei mit der Sprache schaltet, wohl zuzutrauen , und einmal musste mit diesem Adverbium, an dem die jüngere Zeit gar keinen Anstoß nimmt und welches nach Bech's Nachweis um die Mitte des 13. Jahrhunderts schon geläufiger ist, der Anfang ge- macht werden; Hartmann Iwein 7300 spielt anders : diu süeze, diu guote, diu subre gemuote. — 5243 gevidert part. adj., geflügelt. —
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184 IX. HEIMFAHRT UND RACHE. beidiu ir wille unde ir wort. ich weiz wol, daz si über bort vil gesélleclîche giengen, dâ sî die geste enpfiengen. diu sælege Floræte waz froude ir herze hæte wider ir hêrren unde ir kint, daz kint, des disiu maere sint, (ir sun Tristanden den mein' ich) entriuwen, des erkenne ich mich an manegen unde an gnuogen ir tugenden unde ir fuogen, die ich von der sælegen las; daz der niht ein lützel was, daz bewæerte s' alse wol, als ein wip allerbeste sol : wan si schuof ir kinde und sînem ingesinde al die êre und daz gemach, diu ie ritteren geschach. ouch wæne ich eines alse wol, daz ich es niht baz wænen sol von dem höveschen Kurvenâle; dem enwére er ze dem mâle ein willekomener Tristán, ich enhân dâ keinen zwîvel an. 5250 5255 5260 5265 5245 5270 (134) Hie mite sô wúrdén besant ze Parmenîe übr al daz lant die hêrren und diu hêrscháft, díe dâ hâtén die kraft der stete und der kastêle. nu die ze Kanoêle geméinlîche kâmen, gesâhen unde vernâmen von Tristande die wârheit, als uns daz mære von im seit und alse ir selbe habet vernomen, 5275 5280 5246 bort stm. (?), Bord, Schiffsrand, Ufer. über bort gàn bildlich, sich ergiessen, überströmen. — si = wille und wort. — 5254 sich erkennen hier mit gen., darauf verstehe ich mich, das schließe ich; alsdann an = aus. 5274 kraft stf. mit gen., Gewalt über; anders = nhd. in V. 5727. —
184 IX. HEIMFAHRT UND RACHE. beidiu ir wille unde ir wort. ich weiz wol, daz si über bort vil gesélleclîche giengen, dâ sî die geste enpfiengen. diu sælege Floræte waz froude ir herze hæte wider ir hêrren unde ir kint, daz kint, des disiu maere sint, (ir sun Tristanden den mein' ich) entriuwen, des erkenne ich mich an manegen unde an gnuogen ir tugenden unde ir fuogen, die ich von der sælegen las; daz der niht ein lützel was, daz bewæerte s' alse wol, als ein wip allerbeste sol : wan si schuof ir kinde und sînem ingesinde al die êre und daz gemach, diu ie ritteren geschach. ouch wæne ich eines alse wol, daz ich es niht baz wænen sol von dem höveschen Kurvenâle; dem enwére er ze dem mâle ein willekomener Tristán, ich enhân dâ keinen zwîvel an. 5250 5255 5260 5265 5245 5270 (134) Hie mite sô wúrdén besant ze Parmenîe übr al daz lant die hêrren und diu hêrscháft, díe dâ hâtén die kraft der stete und der kastêle. nu die ze Kanoêle geméinlîche kâmen, gesâhen unde vernâmen von Tristande die wârheit, als uns daz mære von im seit und alse ir selbe habet vernomen, 5275 5280 5246 bort stm. (?), Bord, Schiffsrand, Ufer. über bort gàn bildlich, sich ergiessen, überströmen. — si = wille und wort. — 5254 sich erkennen hier mit gen., darauf verstehe ich mich, das schließe ich; alsdann an = aus. 5274 kraft stf. mit gen., Gewalt über; anders = nhd. in V. 5727. —
Strana 185
IX HEIMFAHRT UND RACHE. 185 dô flugen tûsent willekomen von iegelîches munde. liut unde lant begunde von langem leide erwachen und sich ze fröuden machen ze wunderlichem wunder: si enpfiengen al besunder ir léhen, ir liute unde ir lant von ir hêrren Trístándes hant: si swuoren hulde und wurden man. 5285 5290 Hier under hæte ie Tristan den tougenlîchen smerzen verborgen in dem herzen, der dâ von Morgâne gie. der smerze der begab in nie weder fruo noch spâte. alsus gienc er ze râte mit mâgen und mit mannen und jach, er wolte dannen ze Brítánje gâhen, sîn lêhén enpfâhen von sînes vîéndes hant, dur daz er sînes vater lant mit rehte hæte deste baz. diz sprach er unde tete ouch daz: er fuor von Parmenîe er und sîn cumpanîe bereitet unde gewarnet wol, alsô der man ze rehte sol, der ûf angeslîche tât ernestlichen willen hât. 5295 5300 5305 5310 Dô Tristan ze Britanje kam, von âventiure er dâ vernam und hôrte warlîche sagen, 5315 5282 fliegen stv. braucht Gottfried gern in solcher Weise; vgl. z. B. 5481. - 5286 machen refl., wie noch volksthümlich: sich wohin begeben, wenden ; ce fröuden, sich den Freuden zuwenden, sich erfreuen; vgl. 559. — 5291 hulde stf., hier: Unterthanentreue ; h. swern = huldigen. 5295 gan von einem, von einem ausgehen, herrühren; vgl. 5667. — 5296 begeben stv. mit acc., einen aufgeben, von einem ablassen. — 5309 ge- warnet part. adj. s. zu 605 und vgl. 5471.
IX HEIMFAHRT UND RACHE. 185 dô flugen tûsent willekomen von iegelîches munde. liut unde lant begunde von langem leide erwachen und sich ze fröuden machen ze wunderlichem wunder: si enpfiengen al besunder ir léhen, ir liute unde ir lant von ir hêrren Trístándes hant: si swuoren hulde und wurden man. 5285 5290 Hier under hæte ie Tristan den tougenlîchen smerzen verborgen in dem herzen, der dâ von Morgâne gie. der smerze der begab in nie weder fruo noch spâte. alsus gienc er ze râte mit mâgen und mit mannen und jach, er wolte dannen ze Brítánje gâhen, sîn lêhén enpfâhen von sînes vîéndes hant, dur daz er sînes vater lant mit rehte hæte deste baz. diz sprach er unde tete ouch daz: er fuor von Parmenîe er und sîn cumpanîe bereitet unde gewarnet wol, alsô der man ze rehte sol, der ûf angeslîche tât ernestlichen willen hât. 5295 5300 5305 5310 Dô Tristan ze Britanje kam, von âventiure er dâ vernam und hôrte warlîche sagen, 5315 5282 fliegen stv. braucht Gottfried gern in solcher Weise; vgl. z. B. 5481. - 5286 machen refl., wie noch volksthümlich: sich wohin begeben, wenden ; ce fröuden, sich den Freuden zuwenden, sich erfreuen; vgl. 559. — 5291 hulde stf., hier: Unterthanentreue ; h. swern = huldigen. 5295 gan von einem, von einem ausgehen, herrühren; vgl. 5667. — 5296 begeben stv. mit acc., einen aufgeben, von einem ablassen. — 5309 ge- warnet part. adj. s. zu 605 und vgl. 5471.
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186 IX. HEIMFAHRT UND RACHE. (135) Morgân der herzog rite dâ jagen von wáldé ze walde. nu hiez er îlen balde, die ritter sich bereiten und under ir rocke leiten ir hálspérge unde ir dinc, und sô daz niemen keinen rinc úz dem gewande lieze gân. nu diz geschach, diz was getân; und über daz leite ie der man sîne reisekappen an und sâzen ûf ir ors alsô. ír gezóc híezen s' dô stätliche wider rîten und niemannes bîten und téiltén ir ritterschaft. dô wárt diu gréezére kraft geschicket an die widervart, daz der gezóc wâre bewart, dâ der ûf sîne strâze gie. dô diz geschach, dô hæten die, die mit Tristande kêrten hin, wol drizec ritter under in; jene án der widerkêre wol sehzic oder mêre. 5320 5325 5330 5335 5340 Vil schiere wart, daz Tristán hund' unde jägere sehen began. die selben frâgte er mære, wâ der herzoge ware. die tâten ez im iesâ kunt; und er des endes sâ zestunt 5345 5319. 5320 bereiten, leiten sind Infinitive, abh. von hiez. — leiten stv., führen; under ir rocke, Accusativwendung ; im Neuhochd. dafür: unter ihren Röcken. 5322 rinc stm., Panzerring, Stück vom Ringpanzer. — 5325 leite im Špiel mit leiten in V. 5320 hier = legete. — ie der man nicht formal = jeder Mann (nhd. jeder aus ieweder, iegeweder Gr. 3, 55), sondern ie = je und der man = einer; man sagt auch ähnlich nhd.: man immer (= der man vgl. 3047); in der Bedeutung ist ie der man allerdings = jedermann. — 5326 reisekappe swf., Reisemantel; vgl. zu 2629. — 5328 gezoc stm. (5334), Zug, Mannschaft. — 5329 stätlîche adv. (zu state), gemachlich, ruhig; vgl. zu 15978. — 5333 widervart stf., Rückfahrt, Rückweg; ebenso 5339 wider- kêre stf., Rückkehr (wie in V. 17094); beide Worte sind hier technisch aufzufassen wie: Retirade und Retraite. 5346 des endes gen. adv., an den Ort, dahin; bei Gottfried ziemlich häufig; vgl. z. B. 7407. Das Verbum der Bewegung in diesem Verse fehlt zu Gunsten des lebhaften Ausdrucks: und er gleich dahin und fand u. s. w.
186 IX. HEIMFAHRT UND RACHE. (135) Morgân der herzog rite dâ jagen von wáldé ze walde. nu hiez er îlen balde, die ritter sich bereiten und under ir rocke leiten ir hálspérge unde ir dinc, und sô daz niemen keinen rinc úz dem gewande lieze gân. nu diz geschach, diz was getân; und über daz leite ie der man sîne reisekappen an und sâzen ûf ir ors alsô. ír gezóc híezen s' dô stätliche wider rîten und niemannes bîten und téiltén ir ritterschaft. dô wárt diu gréezére kraft geschicket an die widervart, daz der gezóc wâre bewart, dâ der ûf sîne strâze gie. dô diz geschach, dô hæten die, die mit Tristande kêrten hin, wol drizec ritter under in; jene án der widerkêre wol sehzic oder mêre. 5320 5325 5330 5335 5340 Vil schiere wart, daz Tristán hund' unde jägere sehen began. die selben frâgte er mære, wâ der herzoge ware. die tâten ez im iesâ kunt; und er des endes sâ zestunt 5345 5319. 5320 bereiten, leiten sind Infinitive, abh. von hiez. — leiten stv., führen; under ir rocke, Accusativwendung ; im Neuhochd. dafür: unter ihren Röcken. 5322 rinc stm., Panzerring, Stück vom Ringpanzer. — 5325 leite im Špiel mit leiten in V. 5320 hier = legete. — ie der man nicht formal = jeder Mann (nhd. jeder aus ieweder, iegeweder Gr. 3, 55), sondern ie = je und der man = einer; man sagt auch ähnlich nhd.: man immer (= der man vgl. 3047); in der Bedeutung ist ie der man allerdings = jedermann. — 5326 reisekappe swf., Reisemantel; vgl. zu 2629. — 5328 gezoc stm. (5334), Zug, Mannschaft. — 5329 stätlîche adv. (zu state), gemachlich, ruhig; vgl. zu 15978. — 5333 widervart stf., Rückfahrt, Rückweg; ebenso 5339 wider- kêre stf., Rückkehr (wie in V. 17094); beide Worte sind hier technisch aufzufassen wie: Retirade und Retraite. 5346 des endes gen. adv., an den Ort, dahin; bei Gottfried ziemlich häufig; vgl. z. B. 7407. Das Verbum der Bewegung in diesem Verse fehlt zu Gunsten des lebhaften Ausdrucks: und er gleich dahin und fand u. s. w.
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IX. HEIMFAHRT UND RACHE. 187 (136) und vant ouch dâ vil schiere uf einer waltriviere vil ritter Brîtüne, den wâren pavelûne und hüten ûf daz gras geslagen, dar umbe und dar în getragen loup unde liehter bluomen vil. ir hunde unde ir vederspil daz hæten si ze handen. die gruozten ouch Tristanden und sîne rótté dâ mite höfschlîche nâch dem hovesite; die seiten ime ouch iesâ, Morgân ir hêrre rite dâ vil nâhen in dem walde. dar îlten si dô balde. dâ funden s' ouch Morgânen unde ûf kastelânen vil ritter Brítûne haben. 5350 5355 5360 5365 Nu sî begunden zuo z'im draben, Morgân enpfie die geste, der willen er niht weste vil gästlîchen unde wol, als man die geste enpfâhen sol. sîn lantgesinde tete alsam: ir iegelîchér der kam gerant mit sînem gruoze. nâch dirre únmúoze, dô diz grüezen gar geschach, Tristan ze Morgâne sprach: «hêrre, ich bin komen dâ her nâch mînem lêhen unde ger, daz ir mir daz hie lihet und mir des niht verzîhet, des ich ze rehte haben sol: 5370 5375 5380 5348 waltriviere stf., Fremdwort, Waldbach (vgl. 16888); dann auch : Wald- bezirk = Waldrevier. — 5350 pavelûne stf. (13271) Fremdwort, (Pavillon), Zelt. — 5351 hüten nach Hs. M (heten Hs. W) = hütten; vgl. zu 587. — 5364 kastelän stn., Fremdwort, Castilier, castilisches Ross; vgl. 6664 und zu 9215. — 5365 haben = halten. 5379 lîhen stv., verleihen, zu Lehen geben. — 5380 verzîhen stv. mit dat. und gen., einem etwas versagen, abschlagen. —
IX. HEIMFAHRT UND RACHE. 187 (136) und vant ouch dâ vil schiere uf einer waltriviere vil ritter Brîtüne, den wâren pavelûne und hüten ûf daz gras geslagen, dar umbe und dar în getragen loup unde liehter bluomen vil. ir hunde unde ir vederspil daz hæten si ze handen. die gruozten ouch Tristanden und sîne rótté dâ mite höfschlîche nâch dem hovesite; die seiten ime ouch iesâ, Morgân ir hêrre rite dâ vil nâhen in dem walde. dar îlten si dô balde. dâ funden s' ouch Morgânen unde ûf kastelânen vil ritter Brítûne haben. 5350 5355 5360 5365 Nu sî begunden zuo z'im draben, Morgân enpfie die geste, der willen er niht weste vil gästlîchen unde wol, als man die geste enpfâhen sol. sîn lantgesinde tete alsam: ir iegelîchér der kam gerant mit sînem gruoze. nâch dirre únmúoze, dô diz grüezen gar geschach, Tristan ze Morgâne sprach: «hêrre, ich bin komen dâ her nâch mînem lêhen unde ger, daz ir mir daz hie lihet und mir des niht verzîhet, des ich ze rehte haben sol: 5370 5375 5380 5348 waltriviere stf., Fremdwort, Waldbach (vgl. 16888); dann auch : Wald- bezirk = Waldrevier. — 5350 pavelûne stf. (13271) Fremdwort, (Pavillon), Zelt. — 5351 hüten nach Hs. M (heten Hs. W) = hütten; vgl. zu 587. — 5364 kastelän stn., Fremdwort, Castilier, castilisches Ross; vgl. 6664 und zu 9215. — 5365 haben = halten. 5379 lîhen stv., verleihen, zu Lehen geben. — 5380 verzîhen stv. mit dat. und gen., einem etwas versagen, abschlagen. —
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188 IX. HEIMFAHRT UND RACHE. (137) sô tuot ir höfschlîch unde wol.» Morgân sprach: «hêrre, saget mir, von wannen oder wer sît ir?" Tristan sprach dô wider in: «von Parmenîe ich bürtec bin, und hiez mîn vater Riwalin. hêrre, des erbe sol ich sîn; ich selbe heize Trístán.» Morgân sprach: «hêrre, ir komet mich an mit álse unnützen mæeren, daz si als waege waeren verswigen, alse vür brâht. ich bin des kúrzé bedâht: soltet ir iht von mir hân, des ware in schiere state getân ; wan iu enwürre niht dar an, irn wæret ein gezæme man einen iegelîchen êren, dar ir ez soltet kêren. wir wizzen aber alle wol, (diu lant sint dirre mæere vol) in welher wise Blanschefluor mit iuwerm vater von lande fuor, ze welhen êren ez ir kam, wie diu friuntschaft ende nam.» “friuntscháft? wie meinet ir daz?" «i'ne ságe iu nu niht vürbáz, wan diser rede der ist alsô.» «hêrrè», sprach aber Tristan dô «bî disem mære erkenne ich mich : ir meinet ez alsô, daz ich niht êlîche sî geborn und süle dâ mite hân verlorn 5385 5390 5395 5400 5405 5410 5392 wage adj., (überwiegend), vortheilhaft, gut; als w. = unserm: ebenso gut; vgl. 10413. — 5395 terminologische Wendung: hättet ihr ein Recht auf ein Lehen von mir; vgl. Bech zu Erec 538. 10087. — 5396 state tuon mit dat. und gen., einem zu etwas Gelegenheit geben, einem in etwas will- fahren. — 5397 enwürre conj. præt. von werren stv., hier: hindern. — 5398 nhd. positiv: daſs ihr wäret oder: zu sein; die Negation (= quin im Lat.) veranlasst durch enwerren. — gezœme adj. mit dat., (geziemend), an- stehend, würdig. — 5399 ein adj. im Mhd. bisweilen auch im Plural, nhd. dafür Singularwendung oder Auslassung des Wortes. — 5404 von lande, aus dem Lande, der Heimat. — 5411 erkennen hier wieder reflexiv; nicht: durch diese Rede fühle ich mich getroffen, sondern : ich verstehe diese Rede, schliefse daraus; vgl. 16563 und zu 2017. —
188 IX. HEIMFAHRT UND RACHE. (137) sô tuot ir höfschlîch unde wol.» Morgân sprach: «hêrre, saget mir, von wannen oder wer sît ir?" Tristan sprach dô wider in: «von Parmenîe ich bürtec bin, und hiez mîn vater Riwalin. hêrre, des erbe sol ich sîn; ich selbe heize Trístán.» Morgân sprach: «hêrre, ir komet mich an mit álse unnützen mæeren, daz si als waege waeren verswigen, alse vür brâht. ich bin des kúrzé bedâht: soltet ir iht von mir hân, des ware in schiere state getân ; wan iu enwürre niht dar an, irn wæret ein gezæme man einen iegelîchen êren, dar ir ez soltet kêren. wir wizzen aber alle wol, (diu lant sint dirre mæere vol) in welher wise Blanschefluor mit iuwerm vater von lande fuor, ze welhen êren ez ir kam, wie diu friuntschaft ende nam.» “friuntscháft? wie meinet ir daz?" «i'ne ságe iu nu niht vürbáz, wan diser rede der ist alsô.» «hêrrè», sprach aber Tristan dô «bî disem mære erkenne ich mich : ir meinet ez alsô, daz ich niht êlîche sî geborn und süle dâ mite hân verlorn 5385 5390 5395 5400 5405 5410 5392 wage adj., (überwiegend), vortheilhaft, gut; als w. = unserm: ebenso gut; vgl. 10413. — 5395 terminologische Wendung: hättet ihr ein Recht auf ein Lehen von mir; vgl. Bech zu Erec 538. 10087. — 5396 state tuon mit dat. und gen., einem zu etwas Gelegenheit geben, einem in etwas will- fahren. — 5397 enwürre conj. præt. von werren stv., hier: hindern. — 5398 nhd. positiv: daſs ihr wäret oder: zu sein; die Negation (= quin im Lat.) veranlasst durch enwerren. — gezœme adj. mit dat., (geziemend), an- stehend, würdig. — 5399 ein adj. im Mhd. bisweilen auch im Plural, nhd. dafür Singularwendung oder Auslassung des Wortes. — 5404 von lande, aus dem Lande, der Heimat. — 5411 erkennen hier wieder reflexiv; nicht: durch diese Rede fühle ich mich getroffen, sondern : ich verstehe diese Rede, schliefse daraus; vgl. 16563 und zu 2017. —
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IX. HEIMFAHRT UND RACHE. 189 5415 (138) min lêhen und mîn lêhenreht.» «entriuwen, hêrre guoter kneht, dâ vür hân ich ez und manic man.» «ir redet übel», sprach Tristan «ich wânde doch, ez wæere gevellec unde gebære, swer dem man leide tæte, daz er mit rede doch hæte sin unde gefuoge wider in. hætet ir nu fuoge unde sin, sô leide als ir mir habt getân, ir möhtet mich doch rede erlân, diu niuwe sware wecket und alte schulde recket: ir sluoget mir den vater doch; hie mite endúnkét iuch noch mînes leides niht genuoc, irn jehet, min muoter, diu mich truoc, diu trüege mich kebeslîche. sem mir got der rîche ! ich weiz wol, sô manc edele man, des ich hie niht genennen kan, sîne hénde mir gevalden hât; und haten s' dise úntât, der ir dâ jehet, an mir erkant, ir dehéiner hæte sîne hant zwischèn die mîne nie geleit. die wizzen wol die wârhéit, daz mîn vater Riwalîn mîne múoter an daz ende sîn brâhte vür ein êlich wîp: ist, daz ich daz ûf iuwern lîp bewaeren unde bereden sol, entriuwen, daz berede wol." 5420 5425 5430 5435 5440 5445 5416 nicht herre, quoter kneht, sondern hérre guoter kncht, Herr Ritter; vgl. zu 1668. — 5420 gevellec adj., (gefällig), passend. — 5423 gefuoge stf.= fuoge, Schicklichkeit, Anstand. — 5426 erlazen mit acc. und gen. (rede), einen mit etwas verschonen. — 5428 recken swv., von Grimm Gr. 4, 603 mit excitare, movere erklärt; das scheint mir stilistisch das vorhergehende wecken zu verbieten; ich glaube vielmehr: recken, ausdehnen, vergrößsern: die alte, die erste Schuld erhöht. Bech vermuthet : vorhalten, vorrücken (aus die hant oder die vinger recken). — 5436 genennen, verst. nennen. 5437 die hende einem valden, ein Actus der Belehnung; vgl. Grimm's Rechtsalter- thümer 139 und ferner V. 5440 fg. — 5447 bewwren swv., beweisen. — be- reden swv., bezeugen, erhärten. —
IX. HEIMFAHRT UND RACHE. 189 5415 (138) min lêhen und mîn lêhenreht.» «entriuwen, hêrre guoter kneht, dâ vür hân ich ez und manic man.» «ir redet übel», sprach Tristan «ich wânde doch, ez wæere gevellec unde gebære, swer dem man leide tæte, daz er mit rede doch hæte sin unde gefuoge wider in. hætet ir nu fuoge unde sin, sô leide als ir mir habt getân, ir möhtet mich doch rede erlân, diu niuwe sware wecket und alte schulde recket: ir sluoget mir den vater doch; hie mite endúnkét iuch noch mînes leides niht genuoc, irn jehet, min muoter, diu mich truoc, diu trüege mich kebeslîche. sem mir got der rîche ! ich weiz wol, sô manc edele man, des ich hie niht genennen kan, sîne hénde mir gevalden hât; und haten s' dise úntât, der ir dâ jehet, an mir erkant, ir dehéiner hæte sîne hant zwischèn die mîne nie geleit. die wizzen wol die wârhéit, daz mîn vater Riwalîn mîne múoter an daz ende sîn brâhte vür ein êlich wîp: ist, daz ich daz ûf iuwern lîp bewaeren unde bereden sol, entriuwen, daz berede wol." 5420 5425 5430 5435 5440 5445 5416 nicht herre, quoter kneht, sondern hérre guoter kncht, Herr Ritter; vgl. zu 1668. — 5420 gevellec adj., (gefällig), passend. — 5423 gefuoge stf.= fuoge, Schicklichkeit, Anstand. — 5426 erlazen mit acc. und gen. (rede), einen mit etwas verschonen. — 5428 recken swv., von Grimm Gr. 4, 603 mit excitare, movere erklärt; das scheint mir stilistisch das vorhergehende wecken zu verbieten; ich glaube vielmehr: recken, ausdehnen, vergrößsern: die alte, die erste Schuld erhöht. Bech vermuthet : vorhalten, vorrücken (aus die hant oder die vinger recken). — 5436 genennen, verst. nennen. 5437 die hende einem valden, ein Actus der Belehnung; vgl. Grimm's Rechtsalter- thümer 139 und ferner V. 5440 fg. — 5447 bewwren swv., beweisen. — be- reden swv., bezeugen, erhärten. —
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190 IX. HEIMFAHRT UND RACHE. « ůz!» sprach Morgân «in gotes haz! iuwèr bereden waz sol daz? iuwer slác engât ze keinem man, der ie ze hove reht gewan.» «diz wirt wol schîn», sprach Tristán. er zucte swert und rande in an, er sluog im obene hin ze tal beidiu hirne und hirneschal, daz ez im an der zungen want. hie mite sô stach er ime zehant daz swért géin dem herzen în. dô wart diu wârhéit wol schîn des sprichwórtes, daz dâ giht, daz schulde ligen und fûlen niht. 5450 5455 5460 Morgânes cumpanjûne die frechen Brîtûne, die enkunden ime dâ niht gefromen noch ze hélfe im nie sô schiere komen, ern lage an dem valle. iedoch sô wâren s' alle, als si dô mohten, an ir wer. ir wart vil schiere ein michel her: die ungewárnéten man si kômen alle ir vînde an mit mánlîchem muote. warnúnge unde huote der nam dâ lützel iemen war, wan drungen êt mit hûfen dar und tâten s' alle mit gewalt ûz hin ze velde vür den walt. 5465 5470 5475 5449 ûz adv., hier eine Interjection, es ist aber nicht der Ruf, der zum Schwertausziehen (wie etwa: zieht!) auffordert, sondern = hinaus ! fort ! — in gotes haz, eine Verwünschung, etwa = zum Teufel! — 5451 slac stm., hier nicht der Handschlag zur Bekräftigung der Aussage, sondern der Schwertschlag. — gan ze einem, zu einem gelangen, einen treffen; es liegt hierin nicht allein eine social-rechtliche Uberhebung, sondern vielleicht auch der Glaube, daßs der Uneheliche dem Ritter nichts anhaben könne. — 5454 swert zucken = das Schwert zücken; vgl. swert nemen, sw. geben, fer- ner swert gesegenen 5021. sper ûf und nider werfen 6854. — 5455 obene adv., hier = von obene; vgl. 8239. 16176. — 5457 winden stv. in der Bedeutung von erwinden 2641, hier mit dat.; vgl. 8983. 5463 cumpanjün stm., Fremdwort, nhd. Fremdwort compagnon. Lehn- wort Kumpan, Genosse. — 5465 gefromen swv., verst. fromen. — 5471 un- gewarnet adj. part., unvorbereitet, überrascht. — 5474 warnunge stf., Vor- bereitung, Vorsicht. —
190 IX. HEIMFAHRT UND RACHE. « ůz!» sprach Morgân «in gotes haz! iuwèr bereden waz sol daz? iuwer slác engât ze keinem man, der ie ze hove reht gewan.» «diz wirt wol schîn», sprach Tristán. er zucte swert und rande in an, er sluog im obene hin ze tal beidiu hirne und hirneschal, daz ez im an der zungen want. hie mite sô stach er ime zehant daz swért géin dem herzen în. dô wart diu wârhéit wol schîn des sprichwórtes, daz dâ giht, daz schulde ligen und fûlen niht. 5450 5455 5460 Morgânes cumpanjûne die frechen Brîtûne, die enkunden ime dâ niht gefromen noch ze hélfe im nie sô schiere komen, ern lage an dem valle. iedoch sô wâren s' alle, als si dô mohten, an ir wer. ir wart vil schiere ein michel her: die ungewárnéten man si kômen alle ir vînde an mit mánlîchem muote. warnúnge unde huote der nam dâ lützel iemen war, wan drungen êt mit hûfen dar und tâten s' alle mit gewalt ûz hin ze velde vür den walt. 5465 5470 5475 5449 ûz adv., hier eine Interjection, es ist aber nicht der Ruf, der zum Schwertausziehen (wie etwa: zieht!) auffordert, sondern = hinaus ! fort ! — in gotes haz, eine Verwünschung, etwa = zum Teufel! — 5451 slac stm., hier nicht der Handschlag zur Bekräftigung der Aussage, sondern der Schwertschlag. — gan ze einem, zu einem gelangen, einen treffen; es liegt hierin nicht allein eine social-rechtliche Uberhebung, sondern vielleicht auch der Glaube, daßs der Uneheliche dem Ritter nichts anhaben könne. — 5454 swert zucken = das Schwert zücken; vgl. swert nemen, sw. geben, fer- ner swert gesegenen 5021. sper ûf und nider werfen 6854. — 5455 obene adv., hier = von obene; vgl. 8239. 16176. — 5457 winden stv. in der Bedeutung von erwinden 2641, hier mit dat.; vgl. 8983. 5463 cumpanjün stm., Fremdwort, nhd. Fremdwort compagnon. Lehn- wort Kumpan, Genosse. — 5465 gefromen swv., verst. fromen. — 5471 un- gewarnet adj. part., unvorbereitet, überrascht. — 5474 warnunge stf., Vor- bereitung, Vorsicht. —
Strana 191
IX. HEIMFAHRT UND RACHE. 191 (139) hie huop sich ein michel ruoft, michel weinen unde wuoft. alsus flouc Morgânes tôt mit maneger hande klagenôt, als obe er flücke ware. er seite leidiu mære ûf die bürge und in daz lant. in dem lande flouc zehant niht wan daz eine klagewort: «â noster sires, il est mort! welch rât gewirt des landes nuo? nu zieren helde, kêret zuo von steten und von vesten gelônen disen gesten, des si úns ze leide haben getân!» 5480 5485 5490 Sus liezen s' ûf ir rucke gân mit stæteclîchem strîte. ouch funden s' alle zîte an ir gesten vollen strît. die kêrten ie ze maneger zît mit einer ganzen rotte wider und wurfen mánegén dernider und wâren doch ie flichende und allez wider ziehende, dô sî dâ wéstén ir kraft. sus kômen s' ûf ir ritterschaft: dâ nâmen s' ouch herberge ûf einem vesten berge, dar ûfe was ir wesen die naht. der nehte wart des landes maht sô starc und alsô veste, daz si áber ir leiden geste 5495 5500 5505 5510 5479 ruoft stm., Ruf, Geschrei, reimt nur mit dem folgenden 5480 wuoft stm. (von wuofen stv.) Geschrei, Weheruf. — 5483 fiücke adj., hier bildlich: des Fliegens fähig, etwa: beflügelt [nhd. eingeschränkter]. — 5488 noster alt fr. = lat., neufr. notre. — mort adj. = neufranz.; hier im franz. Satze, als Fremdwort in V. 9245. — 5490 ziere adj., hier einfach (vgl. 4988): schmuck. — 5492 gelônen swv., verst. lonen, belohnen, vergelten. — gast stm., hier: der Fremde im bösen Sinne, der Feind (vgl. hospes und hostis). 5494 ûf den rucke eines gan, einen verfolgen. — 5504 ritterschaft stf. ist hier wohl die auf die widervart 5333 geschickte zahlreichere Schaar ; Groote erklärt: Festungslinie. — 5508 der nehte gen. adv., während der Nacht. —
IX. HEIMFAHRT UND RACHE. 191 (139) hie huop sich ein michel ruoft, michel weinen unde wuoft. alsus flouc Morgânes tôt mit maneger hande klagenôt, als obe er flücke ware. er seite leidiu mære ûf die bürge und in daz lant. in dem lande flouc zehant niht wan daz eine klagewort: «â noster sires, il est mort! welch rât gewirt des landes nuo? nu zieren helde, kêret zuo von steten und von vesten gelônen disen gesten, des si úns ze leide haben getân!» 5480 5485 5490 Sus liezen s' ûf ir rucke gân mit stæteclîchem strîte. ouch funden s' alle zîte an ir gesten vollen strît. die kêrten ie ze maneger zît mit einer ganzen rotte wider und wurfen mánegén dernider und wâren doch ie flichende und allez wider ziehende, dô sî dâ wéstén ir kraft. sus kômen s' ûf ir ritterschaft: dâ nâmen s' ouch herberge ûf einem vesten berge, dar ûfe was ir wesen die naht. der nehte wart des landes maht sô starc und alsô veste, daz si áber ir leiden geste 5495 5500 5505 5510 5479 ruoft stm., Ruf, Geschrei, reimt nur mit dem folgenden 5480 wuoft stm. (von wuofen stv.) Geschrei, Weheruf. — 5483 fiücke adj., hier bildlich: des Fliegens fähig, etwa: beflügelt [nhd. eingeschränkter]. — 5488 noster alt fr. = lat., neufr. notre. — mort adj. = neufranz.; hier im franz. Satze, als Fremdwort in V. 9245. — 5490 ziere adj., hier einfach (vgl. 4988): schmuck. — 5492 gelônen swv., verst. lonen, belohnen, vergelten. — gast stm., hier: der Fremde im bösen Sinne, der Feind (vgl. hospes und hostis). 5494 ûf den rucke eines gan, einen verfolgen. — 5504 ritterschaft stf. ist hier wohl die auf die widervart 5333 geschickte zahlreichere Schaar ; Groote erklärt: Festungslinie. — 5508 der nehte gen. adv., während der Nacht. —
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192 IX. HEIMFAHRT UND RACHE. (140) als schiere als ez wart tagende mit gewâlte wurden jagende und manegen nider stâchen, den hûfen dicke brâchen mit speren und mit swerten, diu dâ niht lange werten. dâ wâren swért únde sper deiswâr in harte kurzer wer : ir wart dâ mánegéz vertân, so si in die rotte liezen gân. ouch was daz lützéle her sô fréchlîche an sîner wer, daz dâ vil michel schade geschach, dâ man in in den hûfen brach. die schar die wurden beider sît ze einer und ze maneger zît mit grôzem schaden überladen. si nâmen unde tâten schaden vil schädeliche an manegem man. sus triben si'z mit ein ander an, biz daz daz innére her begunde swachen an der wer, wan in gienc abe und jenen zuo : die mêreten sich spât' unde fruo an ir state und an ir maht, sô daz si dannoch vor der naht besâzen aber die geste in einer wazzerveste, dâ sich die geste ûz werten und sich die naht dà nerten. Sus was daz her besezzen, mit her al umbemezzen, als ez beziunet waere. die fremeden sórgare Tristan unde sîne man, 5515 5520 5325 5530 5535 5540 5545 5511 wart tagende u. fg. Vers Umschreibung = tagele, jageten; diese Wen- dung mit dem Præt. von werden und dem Part. præes. auch öfters bei Gott- fried; vgl. z. B. 7343. 8837 und zu 1783 3985. — 5518 wer stt. (= wer, von wern 5516, währen), Dauer. — 5522 wer stf. (= wär), hier kurz nach wer wortspielend = Wehr. — 5525 heider sît stf. (= sîte), auf jeder Seite, auf beiden Seiten [nhd. beiderseits]. 5542 umbemezzen stv., (messend) umgeben. — 5543 beziunen swv. um- zäunen.
192 IX. HEIMFAHRT UND RACHE. (140) als schiere als ez wart tagende mit gewâlte wurden jagende und manegen nider stâchen, den hûfen dicke brâchen mit speren und mit swerten, diu dâ niht lange werten. dâ wâren swért únde sper deiswâr in harte kurzer wer : ir wart dâ mánegéz vertân, so si in die rotte liezen gân. ouch was daz lützéle her sô fréchlîche an sîner wer, daz dâ vil michel schade geschach, dâ man in in den hûfen brach. die schar die wurden beider sît ze einer und ze maneger zît mit grôzem schaden überladen. si nâmen unde tâten schaden vil schädeliche an manegem man. sus triben si'z mit ein ander an, biz daz daz innére her begunde swachen an der wer, wan in gienc abe und jenen zuo : die mêreten sich spât' unde fruo an ir state und an ir maht, sô daz si dannoch vor der naht besâzen aber die geste in einer wazzerveste, dâ sich die geste ûz werten und sich die naht dà nerten. Sus was daz her besezzen, mit her al umbemezzen, als ez beziunet waere. die fremeden sórgare Tristan unde sîne man, 5515 5520 5325 5530 5535 5540 5545 5511 wart tagende u. fg. Vers Umschreibung = tagele, jageten; diese Wen- dung mit dem Præt. von werden und dem Part. præes. auch öfters bei Gott- fried; vgl. z. B. 7343. 8837 und zu 1783 3985. — 5518 wer stt. (= wer, von wern 5516, währen), Dauer. — 5522 wer stf. (= wär), hier kurz nach wer wortspielend = Wehr. — 5525 heider sît stf. (= sîte), auf jeder Seite, auf beiden Seiten [nhd. beiderseits]. 5542 umbemezzen stv., (messend) umgeben. — 5543 beziunen swv. um- zäunen.
Strana 193
IX. HEIMFAHRT UND RACHE. 193 nu wie geviengen s' ir dinc an? daz sage ich iu, wie’z in ergie, wie sich ir sórgé zerlie, wie si von dannen kâmen, sige án ir vinden nâmen. 5550 (141) Tristan dô der von lande schiet, als ime sîn rât Rûal geriet: sîn lêhen dâ ze enpfâhene und iesâ wider ze gâhene, sît des lac z'allem mâle dem sælegen Rûâle der selbe wân ze herzen ie, reht' alse ez ouch Tristande ergie. iedoch geriet er die geschiht umbe Mórgânes schaden niht. hundert ritter er besande und kêrte nâch Tristande ébene und rehte ûf sîne vart. unlange und vil schiere ez wart, daz er ze Britanje kam, vil rehte er al zehant vernam, wie ez gevaren wære. und nâch des landes mære sô nam er sîner reise ein mez ze den Britûnen ûf daz sez. nu sî begunden nâhen, daz si die vînde sâhen, dóne wart an ir rotte ir dehéiném ze spotte weder nâch noch niender abe gezogen: si kômen alle samet geflogen mit fliegenden banieren. da wart michel crôieren 5555 5560 5565 5570 5575 5554 gahen swv., hier einfach (vgl. zu 2765) : eilen. — 5555 z'allem mâle, zu jeder Zeit, immer [vgl. allemalj. — 5559 geraten stv., verst. râten; doch hier wohl ge- plusquamperf. vertretend : hatte gerathen. (Simrock im An- schlußs an Groote fasst das Wort mit Unrecht als: errathen, ahnen.) — 5564 unlange (nicht unlang adj.) wie noch heute bei werden und sein steht adverbial, in kurzer Zeit (vgl. die Lesart von Hs. H und W unlanges). — 5569 mez stn. (seltenes Wort), Ziel. — 5570 sez stn., Sitz, Belagerung. — 5575 der Gegensatz liegt nicht in nâch und abe, sondern in nâch adv., hier: in der Nähe, in die Nähe und in niender adv., (überhaupt) nirgends hin. — 5578 crôieren (vgl. 5060) swv. hier subst. inf. stn., Rufen, Schlachtruf. — GOTTFRIED VON STRASSBURG. I. 2. Aufl. 13
IX. HEIMFAHRT UND RACHE. 193 nu wie geviengen s' ir dinc an? daz sage ich iu, wie’z in ergie, wie sich ir sórgé zerlie, wie si von dannen kâmen, sige án ir vinden nâmen. 5550 (141) Tristan dô der von lande schiet, als ime sîn rât Rûal geriet: sîn lêhen dâ ze enpfâhene und iesâ wider ze gâhene, sît des lac z'allem mâle dem sælegen Rûâle der selbe wân ze herzen ie, reht' alse ez ouch Tristande ergie. iedoch geriet er die geschiht umbe Mórgânes schaden niht. hundert ritter er besande und kêrte nâch Tristande ébene und rehte ûf sîne vart. unlange und vil schiere ez wart, daz er ze Britanje kam, vil rehte er al zehant vernam, wie ez gevaren wære. und nâch des landes mære sô nam er sîner reise ein mez ze den Britûnen ûf daz sez. nu sî begunden nâhen, daz si die vînde sâhen, dóne wart an ir rotte ir dehéiném ze spotte weder nâch noch niender abe gezogen: si kômen alle samet geflogen mit fliegenden banieren. da wart michel crôieren 5555 5560 5565 5570 5575 5554 gahen swv., hier einfach (vgl. zu 2765) : eilen. — 5555 z'allem mâle, zu jeder Zeit, immer [vgl. allemalj. — 5559 geraten stv., verst. râten; doch hier wohl ge- plusquamperf. vertretend : hatte gerathen. (Simrock im An- schlußs an Groote fasst das Wort mit Unrecht als: errathen, ahnen.) — 5564 unlange (nicht unlang adj.) wie noch heute bei werden und sein steht adverbial, in kurzer Zeit (vgl. die Lesart von Hs. H und W unlanges). — 5569 mez stn. (seltenes Wort), Ziel. — 5570 sez stn., Sitz, Belagerung. — 5575 der Gegensatz liegt nicht in nâch und abe, sondern in nâch adv., hier: in der Nähe, in die Nähe und in niender adv., (überhaupt) nirgends hin. — 5578 crôieren (vgl. 5060) swv. hier subst. inf. stn., Rufen, Schlachtruf. — GOTTFRIED VON STRASSBURG. I. 2. Aufl. 13
Strana 194
194 IX. HEIMFAHRT UND RACHE. undèr ir massenîe: « schevelier Parmenîe! Parmenîe schevelier!» dâ jagete bánier únd banier schaden und ungefüere durch die hütesnüere. si tâten die Britûne durch ir pavelûne mit téedigen wunden. 5580 5585 (142) Nu die inneren begunden ir lantbaniere erkennen, ir zeichen hoeren nennen, si begúnden ir rûm wîten, ûz an die wîte rîten. Tristan lie vaste strîten gân; dâ wart michel schade getân an den lantgesellen: vâhen unde vellen, slahen unde stechen, daz begúnde ir schar durchbrechen ze beiden sîten in dem her, und brâhte s' ouch daz ûz ir wer, daz die zwô cumpanîe «schevelier Parmenîe!» sô vil geriefen unde getriben. des wâren s' âne wer beliben: under in was wer noch kêre noch dehéines strîtes mêre wan tuschen unde fliehen, zogen unde ziehen wider bürge und wider walt: der strît der wart dâ manicvalt. 5590 5595 5600 5605 5610 580 schevelier (franz. chevalier) P. stebt hier im Schlachtruf als Personen- name für den Herrn des Landes. — 5582 hier die gekürzte Form banier in doppelter Betonung; das Geschlecht hier nicht zu erkennen. — 5583 un- gefüere stn., Nachtheil. — 5584 hütesnuor stf., Hüttenschnur, Zeltstrick. 5589 baniere ist Plural von banier stf. oder baniere stf., lantbaniere, vaterländische Banner. — 5590 zeichen, hier insbesondere: Parole, Feld- geschrei. — 5591 rûm stm. witen swv., Raum erweitern, eine Redewendung für: sich entfernen. — 5595 lantgeselle swm., Genosse des Landes, aber hier nicht «der Landsmann, den man bei sich führt» (mhd. Wb. II, 2, 30), sondern gemeint sind die Bewohner des feindlichen Landes, die Britunen ; dagegen in dem andern Sinn von: Landsmann in V. 18905. — 5603 getrîben stv., verst. trîben. — 5607 tuschen swv., sich verbergen. —
194 IX. HEIMFAHRT UND RACHE. undèr ir massenîe: « schevelier Parmenîe! Parmenîe schevelier!» dâ jagete bánier únd banier schaden und ungefüere durch die hütesnüere. si tâten die Britûne durch ir pavelûne mit téedigen wunden. 5580 5585 (142) Nu die inneren begunden ir lantbaniere erkennen, ir zeichen hoeren nennen, si begúnden ir rûm wîten, ûz an die wîte rîten. Tristan lie vaste strîten gân; dâ wart michel schade getân an den lantgesellen: vâhen unde vellen, slahen unde stechen, daz begúnde ir schar durchbrechen ze beiden sîten in dem her, und brâhte s' ouch daz ûz ir wer, daz die zwô cumpanîe «schevelier Parmenîe!» sô vil geriefen unde getriben. des wâren s' âne wer beliben: under in was wer noch kêre noch dehéines strîtes mêre wan tuschen unde fliehen, zogen unde ziehen wider bürge und wider walt: der strît der wart dâ manicvalt. 5590 5595 5600 5605 5610 580 schevelier (franz. chevalier) P. stebt hier im Schlachtruf als Personen- name für den Herrn des Landes. — 5582 hier die gekürzte Form banier in doppelter Betonung; das Geschlecht hier nicht zu erkennen. — 5583 un- gefüere stn., Nachtheil. — 5584 hütesnuor stf., Hüttenschnur, Zeltstrick. 5589 baniere ist Plural von banier stf. oder baniere stf., lantbaniere, vaterländische Banner. — 5590 zeichen, hier insbesondere: Parole, Feld- geschrei. — 5591 rûm stm. witen swv., Raum erweitern, eine Redewendung für: sich entfernen. — 5595 lantgeselle swm., Genosse des Landes, aber hier nicht «der Landsmann, den man bei sich führt» (mhd. Wb. II, 2, 30), sondern gemeint sind die Bewohner des feindlichen Landes, die Britunen ; dagegen in dem andern Sinn von: Landsmann in V. 18905. — 5603 getrîben stv., verst. trîben. — 5607 tuschen swv., sich verbergen. —
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IX. HEIMFAHRT UND RACHE. 195 (143) ir fluht diu was ir meistiu wer und vür den tôt ir bestiu ner. Nu disiu schumpfentiure ergie, diu ritterschaft sich nider lie und nâmen hérbérge sâ; und die von ir gesinde dâ ze velde lâgén erslagen, die hiezen sî ze grabe tragen. jene, die dâ wunt wâren, die hiezen si ûf bâren und kêrten wider ze lande. hie mite was Tristande sîn lêhen und sîn sunderlant verlihen ûz sin selbes hant. er was von dem hêrr’ unde man, von dem sin vater nie niht gewan. sus hæte er sich verrihtet und al sin dinc beslihtet: verrihtet an dem guote, beslihtet an dem muote ; sin unreht daz was allez reht, sin swarer muot liht’ unde sleht. er hæte dô ze sîner hant sines váter erbe und al sîn lant unverspróchenlîchen unde alsô, daz niemen in den zîten dô ansprâche hæte an kein sîn guot. hie mite sô kêrte er sînen muot, als ime gebôt und ime geriet sîn oeheim, dô er von im schiet, hin wider ze Kurnewâle und enmóhte ouch von Rûâle niht gewénden sîn gemüete, der alsô manege güete mit väterlîcher stæte 5615 562 5625 5630 5635 5640 5645 5612 ner stf., (Nahrung), Rettung. 5613 schumpfentiure stf., Fremdwort, Besiegung. — 5620 ûf baren swv., (aufbahren), auf die Bahre legen. — 5623 sunderlant stn. (hier wohl nicht sunder adj. = sunderez l. wie in V. 329), Sonderland, Lehen. (Diemer fasst es zu Heinrich's Gedicht vom gemeinen Leben 652 als südlich ge- legenes Land.) — 5632 sleht adj., (schlecht), schlicht, geschlichtet, wieder zum Bessern gewendet. — 5635 unversprochenlîchen adv., ohne Anspruch, unangefochten. — 5637 ansprâche stf. = Anspruch. — 5643 gemüete stn., inn, Gedanken. — 13*
IX. HEIMFAHRT UND RACHE. 195 (143) ir fluht diu was ir meistiu wer und vür den tôt ir bestiu ner. Nu disiu schumpfentiure ergie, diu ritterschaft sich nider lie und nâmen hérbérge sâ; und die von ir gesinde dâ ze velde lâgén erslagen, die hiezen sî ze grabe tragen. jene, die dâ wunt wâren, die hiezen si ûf bâren und kêrten wider ze lande. hie mite was Tristande sîn lêhen und sîn sunderlant verlihen ûz sin selbes hant. er was von dem hêrr’ unde man, von dem sin vater nie niht gewan. sus hæte er sich verrihtet und al sin dinc beslihtet: verrihtet an dem guote, beslihtet an dem muote ; sin unreht daz was allez reht, sin swarer muot liht’ unde sleht. er hæte dô ze sîner hant sines váter erbe und al sîn lant unverspróchenlîchen unde alsô, daz niemen in den zîten dô ansprâche hæte an kein sîn guot. hie mite sô kêrte er sînen muot, als ime gebôt und ime geriet sîn oeheim, dô er von im schiet, hin wider ze Kurnewâle und enmóhte ouch von Rûâle niht gewénden sîn gemüete, der alsô manege güete mit väterlîcher stæte 5615 562 5625 5630 5635 5640 5645 5612 ner stf., (Nahrung), Rettung. 5613 schumpfentiure stf., Fremdwort, Besiegung. — 5620 ûf baren swv., (aufbahren), auf die Bahre legen. — 5623 sunderlant stn. (hier wohl nicht sunder adj. = sunderez l. wie in V. 329), Sonderland, Lehen. (Diemer fasst es zu Heinrich's Gedicht vom gemeinen Leben 652 als südlich ge- legenes Land.) — 5632 sleht adj., (schlecht), schlicht, geschlichtet, wieder zum Bessern gewendet. — 5635 unversprochenlîchen adv., ohne Anspruch, unangefochten. — 5637 ansprâche stf. = Anspruch. — 5643 gemüete stn., inn, Gedanken. — 13*
Strana 196
196 IX. HEIMFAHRT UND RACHE. ime erzeiget hæte. sin herze daz lac starke an Rûâl' unde an Marke: an disen zwein was al sîn sin: der sin stunt’ in her unde hin. 5650 Nu spræche ein sâliger man: «der sâlíge Trístán wie gewirbet er nû hie zuo, daz er in beiden rehte tuo und lône ietwéderem, alse er sol?" iuwer iegelîch der weiz daz wol, ern kan daz niemér bewarn, ern müeze ir einen lâzen varn und bî dem ándérn bestân. lât hoeren, wie sol ez ergân? vert er ze Kurnewâle wider, sô leit er Parmenîe nider an aller sîner werdekeit, und ist ouch Rûal nider geleit an fröuden unde an muote, an állém dem guote, von dem sîn wunne solte gân; und wil er aber dâ bestân, sone wil er sich niht kêren ze héhéren êren und übergât ouch Markes rât, an dem al sîn êre stât. wie sol er sich hier an bewarn ? weiz got, dâ muoz er wider varn: daz sol man ime billîchen. er sol an êren rîchen und stîgen an dem muote, wil ez sich ime ze guote und ouch ze sælden kêren; er sol wol aller êren billîche muoten unde gern. 5655 5660 5665 5670 5675 (144) 5680 5650 stunte (Hs. M stònt im, H stunt in) = stundete præt. von stunden swv. (im Ganzen seltenes, vorzugsweise in mitteld. Quellen erscheinendes Wort). stoßen, treiben. Vielleicht stunt aus scunt = schunt = schunte, schündete? schünden bei Gottfried in V. 3111. 5671 übergân anom. v., übertreten, missachten. — 5675 billîchen swv., billigen, angemessen erachten; mit dat., einem beistimmen; vgl. 13063. — 5676 rîchen swv. hier intrans., reich werden; vgl. zu 746. — 5681 muoten swv., wünschen.
196 IX. HEIMFAHRT UND RACHE. ime erzeiget hæte. sin herze daz lac starke an Rûâl' unde an Marke: an disen zwein was al sîn sin: der sin stunt’ in her unde hin. 5650 Nu spræche ein sâliger man: «der sâlíge Trístán wie gewirbet er nû hie zuo, daz er in beiden rehte tuo und lône ietwéderem, alse er sol?" iuwer iegelîch der weiz daz wol, ern kan daz niemér bewarn, ern müeze ir einen lâzen varn und bî dem ándérn bestân. lât hoeren, wie sol ez ergân? vert er ze Kurnewâle wider, sô leit er Parmenîe nider an aller sîner werdekeit, und ist ouch Rûal nider geleit an fröuden unde an muote, an állém dem guote, von dem sîn wunne solte gân; und wil er aber dâ bestân, sone wil er sich niht kêren ze héhéren êren und übergât ouch Markes rât, an dem al sîn êre stât. wie sol er sich hier an bewarn ? weiz got, dâ muoz er wider varn: daz sol man ime billîchen. er sol an êren rîchen und stîgen an dem muote, wil ez sich ime ze guote und ouch ze sælden kêren; er sol wol aller êren billîche muoten unde gern. 5655 5660 5665 5670 5675 (144) 5680 5650 stunte (Hs. M stònt im, H stunt in) = stundete præt. von stunden swv. (im Ganzen seltenes, vorzugsweise in mitteld. Quellen erscheinendes Wort). stoßen, treiben. Vielleicht stunt aus scunt = schunt = schunte, schündete? schünden bei Gottfried in V. 3111. 5671 übergân anom. v., übertreten, missachten. — 5675 billîchen swv., billigen, angemessen erachten; mit dat., einem beistimmen; vgl. 13063. — 5676 rîchen swv. hier intrans., reich werden; vgl. zu 746. — 5681 muoten swv., wünschen.
Strana 197
IX. HEIMFAHRT UND RACHE. 197 wil ouch in salde des gewern, des hât si reht, daz si daz tuo; wan al sîn muot der stât derzuo. 5685 Tristan der sinnerîche der kom vil sinneclîche sînes willen über ein, daz er sich sînen vätern zwein als ebene teilen wolte, als man in snîden solte. sich selben teilete er enzwei gelîche und ebene alse ein ei und gáp ir ietwéderm daz, daz er wiste, daz im baz an allen sînen dingen kam. swer nû die teile nie vernam, die man an ganzem libe hât, dem sage ich, wie diu teile ergât. dáne hât niemen zwîvel an, zwô sache enmachen einen man: ich meine lîp, ich meine guot. von disen zwein kumt edeler muot und wérltlîcher êren vil. der aber diu zwei scheiden wil, sô wirt daz guot ein ármúot: der lîp, dem niemen rehte tuot, der kumet von sînem namen dervan, und wirt der man ein halber man und doch mit ganzem libe. als habet iu von dem wîbe: éz sî mán óder wîp, sô muoz ie guot unde lîp mit geméinlîchen sachen einen gánzen namen machen; und werdent s' aber gescheiden, son' ist niht an in beiden. 5690 5695 5700 5705 5710 5715 5686 über ein komen sînes willen, in seinem Entschlusse, mit sich eins werden. — 5689 ebene adv., hier: gleichmässig. — 5694 daz relat., acc. abh. von wiste =nhd. von dem. — baz komen im Sinne von wol komen, passend sein. — 5698 teile stf., Theilung. — 5700 die Negation en- von niemen zwîvel abhängig. — 5707 man kann schwanken, ob name hier zu fassen ist als : Würde oder als: Wesen; der Sinn ist jedenfalls: der lîp leidet dadurch Einbuſse. — 5710 im haben von etew., sich etwas vorstellen, davon halten ; dasselbe gilt vom Weibe. — 5713 in Gemeinsamkeit.
IX. HEIMFAHRT UND RACHE. 197 wil ouch in salde des gewern, des hât si reht, daz si daz tuo; wan al sîn muot der stât derzuo. 5685 Tristan der sinnerîche der kom vil sinneclîche sînes willen über ein, daz er sich sînen vätern zwein als ebene teilen wolte, als man in snîden solte. sich selben teilete er enzwei gelîche und ebene alse ein ei und gáp ir ietwéderm daz, daz er wiste, daz im baz an allen sînen dingen kam. swer nû die teile nie vernam, die man an ganzem libe hât, dem sage ich, wie diu teile ergât. dáne hât niemen zwîvel an, zwô sache enmachen einen man: ich meine lîp, ich meine guot. von disen zwein kumt edeler muot und wérltlîcher êren vil. der aber diu zwei scheiden wil, sô wirt daz guot ein ármúot: der lîp, dem niemen rehte tuot, der kumet von sînem namen dervan, und wirt der man ein halber man und doch mit ganzem libe. als habet iu von dem wîbe: éz sî mán óder wîp, sô muoz ie guot unde lîp mit geméinlîchen sachen einen gánzen namen machen; und werdent s' aber gescheiden, son' ist niht an in beiden. 5690 5695 5700 5705 5710 5715 5686 über ein komen sînes willen, in seinem Entschlusse, mit sich eins werden. — 5689 ebene adv., hier: gleichmässig. — 5694 daz relat., acc. abh. von wiste =nhd. von dem. — baz komen im Sinne von wol komen, passend sein. — 5698 teile stf., Theilung. — 5700 die Negation en- von niemen zwîvel abhängig. — 5707 man kann schwanken, ob name hier zu fassen ist als : Würde oder als: Wesen; der Sinn ist jedenfalls: der lîp leidet dadurch Einbuſse. — 5710 im haben von etew., sich etwas vorstellen, davon halten ; dasselbe gilt vom Weibe. — 5713 in Gemeinsamkeit.
Strana 198
198 IX. HEIMFAHRT UND RACHE. Dise réde die huop Trístán rich' unde willeclîchen an und fürdert' s' óuch mit sinnen: er hiez ime gewinnen schoeniu ros und edele wât, spîse und andéren rât, des man ze hôhgeziten pflît, und machete eine hôhgezît: dar ladte er unde besande die besten von dem lande, an den des landes kraft dô stuont: die tâten, als die friunde tuont, und kômen, alse in wart geseit. nu was ouch Tristán bereit mit allen sînen dingen. er gap zwein jungelingen, sînes váter Rûâles sünen, swert, wan er ir z'erben hæte gegert nâch ir vater Rûâle. und swaz er zuo dem mâle ze ir wirde únd ze ir êren sîner kóste mohte kêren, dâ hæete er spâte unde fruo als inneclîchen willen zuo, als op si wæren sîniu kint. Nu daz si ritter worden sint und zwelf gesellen mit in zwein, nu was der zwelf gesellen ein Kurvenál der hovelîche. Tristan der tugenderiche nam sîne bruoder an die hant, wan ez im ze hövescheit was gewant, und fuorte sî behanden dan. sîne mâge und sîne man 5720 5725 5730 5735 5740 5745 (145) 5750 5717 rede stf., die in Rede stehende Sache wie in V. 56. (Für rede haben einige Hss. teile.) — 5719 fürdern swv. (im Ganzen seltenes Wort), fördern, zu Stande bringen (dafür auch die Lesart ante = endete); vgl. zu 8178. fürdert’ s' (= si, dise rede) nach Hs. M: furdert se; Hs. H vurdertes. vielleicht = vurdert e2? alsdann: und brachte es auch zu etwas; vgl. Bech zu Erec 5685; Gregor 1517. — 5732 swert geben im Gegensatz zu swrert nemen, die Ritterwürde ertheilen. — 5736 zuo (auch in Hs. M), nicht ze. hier: zu, aufer. — dem, hier demonstr. = disem. — mäl stn., hier: Zeichen, Aus- zeichnung (sc. swert). — 5738 koste gen. (abh. von swaz 5736) von koste oder kost stf. (das Wort kommt sonst bei Gottfried nicht vor), Aufwand, Kosten [nhd. plurale tantum; Kost sg.= Speise; vgl. köstlich, kostbarj.
198 IX. HEIMFAHRT UND RACHE. Dise réde die huop Trístán rich' unde willeclîchen an und fürdert' s' óuch mit sinnen: er hiez ime gewinnen schoeniu ros und edele wât, spîse und andéren rât, des man ze hôhgeziten pflît, und machete eine hôhgezît: dar ladte er unde besande die besten von dem lande, an den des landes kraft dô stuont: die tâten, als die friunde tuont, und kômen, alse in wart geseit. nu was ouch Tristán bereit mit allen sînen dingen. er gap zwein jungelingen, sînes váter Rûâles sünen, swert, wan er ir z'erben hæte gegert nâch ir vater Rûâle. und swaz er zuo dem mâle ze ir wirde únd ze ir êren sîner kóste mohte kêren, dâ hæete er spâte unde fruo als inneclîchen willen zuo, als op si wæren sîniu kint. Nu daz si ritter worden sint und zwelf gesellen mit in zwein, nu was der zwelf gesellen ein Kurvenál der hovelîche. Tristan der tugenderiche nam sîne bruoder an die hant, wan ez im ze hövescheit was gewant, und fuorte sî behanden dan. sîne mâge und sîne man 5720 5725 5730 5735 5740 5745 (145) 5750 5717 rede stf., die in Rede stehende Sache wie in V. 56. (Für rede haben einige Hss. teile.) — 5719 fürdern swv. (im Ganzen seltenes Wort), fördern, zu Stande bringen (dafür auch die Lesart ante = endete); vgl. zu 8178. fürdert’ s' (= si, dise rede) nach Hs. M: furdert se; Hs. H vurdertes. vielleicht = vurdert e2? alsdann: und brachte es auch zu etwas; vgl. Bech zu Erec 5685; Gregor 1517. — 5732 swert geben im Gegensatz zu swrert nemen, die Ritterwürde ertheilen. — 5736 zuo (auch in Hs. M), nicht ze. hier: zu, aufer. — dem, hier demonstr. = disem. — mäl stn., hier: Zeichen, Aus- zeichnung (sc. swert). — 5738 koste gen. (abh. von swaz 5736) von koste oder kost stf. (das Wort kommt sonst bei Gottfried nicht vor), Aufwand, Kosten [nhd. plurale tantum; Kost sg.= Speise; vgl. köstlich, kostbarj.
Strana 199
IX. HEIMFAHRT UND RACHE. 199 und alle, die dâ wâren von sinnen oder von jâren oder áber von in beiden beträhtic unde bescheiden, die wurden állé zehant ze hove geladet unde besant. 5755 Nu hêrre, die sint alle dâ. Tristan stuont ûf vor in sâ: (146) «ir hêrren alle», sprach er z'in «den ich iemer gerne bin mit triuwen und mit durnähtekeit an allem diensté bereit, als verre alse ich iemer kan, mîne mâge und mîne liebe man, von der genâden ich ez hân, swaz mir got êren hât getân, von iuwer helfe hân ich mich verrihtet alles des, des ich in mînem herzen gerte. swie mich es got gewerte, sô weiz ich doch wol, daz ez ie von iuwerr frumede vollegie. waz mac ich nu mêre sagen?" ir habet in disen unmangen tagen iuwer êre und iuwer sælekeit sô manege wîs an mich geleit, daz ich des keinen zwîvel hân, disiu wérlt diu enmüeze ê zergân, ê ir mir iemer keine zît mînes willen wider sît. friunt unde man und alle die, die durch mînen willen hie oder durch ir selber tugende sîn, nu lâzet iu die rede mîn niht sêre missevallen; 5760 5765 5770 5775 5780 5785 5754 bescheiden part. adj., verständig [nhd. bescheiden, modestus jünger]. 5761 durnähtekeit stf., Vollkommenheit, Aufrichtigkeit; vgl. zu 1166. — 5772 frumede stf. (seltene Bildung neben frumekeit), Tüchtigkeit. — 5774 unmangen dat. pl. = Hs. M und W. unmanic adj., nicht viel, wenig. — 5780 wider sîn mit dat. (mir) und gen. (mînes willen), einem etwas ver- weigern; vgl. Wigalois 2821. — 5782 durch mînen willen, hier: auf meinen Befehl hin.
IX. HEIMFAHRT UND RACHE. 199 und alle, die dâ wâren von sinnen oder von jâren oder áber von in beiden beträhtic unde bescheiden, die wurden állé zehant ze hove geladet unde besant. 5755 Nu hêrre, die sint alle dâ. Tristan stuont ûf vor in sâ: (146) «ir hêrren alle», sprach er z'in «den ich iemer gerne bin mit triuwen und mit durnähtekeit an allem diensté bereit, als verre alse ich iemer kan, mîne mâge und mîne liebe man, von der genâden ich ez hân, swaz mir got êren hât getân, von iuwer helfe hân ich mich verrihtet alles des, des ich in mînem herzen gerte. swie mich es got gewerte, sô weiz ich doch wol, daz ez ie von iuwerr frumede vollegie. waz mac ich nu mêre sagen?" ir habet in disen unmangen tagen iuwer êre und iuwer sælekeit sô manege wîs an mich geleit, daz ich des keinen zwîvel hân, disiu wérlt diu enmüeze ê zergân, ê ir mir iemer keine zît mînes willen wider sît. friunt unde man und alle die, die durch mînen willen hie oder durch ir selber tugende sîn, nu lâzet iu die rede mîn niht sêre missevallen; 5760 5765 5770 5775 5780 5785 5754 bescheiden part. adj., verständig [nhd. bescheiden, modestus jünger]. 5761 durnähtekeit stf., Vollkommenheit, Aufrichtigkeit; vgl. zu 1166. — 5772 frumede stf. (seltene Bildung neben frumekeit), Tüchtigkeit. — 5774 unmangen dat. pl. = Hs. M und W. unmanic adj., nicht viel, wenig. — 5780 wider sîn mit dat. (mir) und gen. (mînes willen), einem etwas ver- weigern; vgl. Wigalois 2821. — 5782 durch mînen willen, hier: auf meinen Befehl hin.
Strana 200
200 IX. HEIMFAHRT UND RACHE. (147) ich künde und sage iu allen, als Rûál mîn vater, der hie stât, gesehen und ouch gehoeret hât, daz mir mîn ééhéim sîn lant gesetzet hât in mîne hant und wil ouch durch den willen mîn êlîches wîbes âne sîn, dur daz ich sîn erbe sî, und wil, daz ich im wone bi, swâ er si und swar er var: nu hân ich mich bewegen dar und stât mir al mîn muot dar zuo, daz ich sînen willen tuo und wider zuo im kêre. mîn urbor und mîn êre, die ich in diseme lande hân, die wil ich lîhen unde lân mînem vater Rûâle, op mir ze Kurnewâle iht anders danne wol ergê, sweder ich sterbe od dâ bestê, daz ez sîn erbelêhen si. sô stênt ouch sîne süne hie bî und mit im ander sîniu kint; die aber sîn erben vürbaz sint, die haben alle reht dar an. mîne mán und mîne dienestman, diu lêhen über allez lant diu wil ich haben ze mîner hant al mîniu jâr und mîne tage.» 5790 5795 5800 5805 5810 5815 Hie wart grôz jâmer unde klage under áller dirre ritterschaft; si wurden alle unherzehaft, ir muot, ir trôst was aller hin : «â hêrre», sprâchen s' under in 5820 5791 durch den willen nin dagegen: um meinetwillen, mir zu Liebe. — 5796 bewegen stv. refl., sich entschließsen. dar, dazu. — 5800 êre hat hier sicher die specielle Bedeutung: Herrschaft, Besitz. — 5805 mir ergât (auch ohne e2), mir schlägt es aus, es glückt. — 5806 sweder pron. correl., wel- cher von beiden ; hier neutral und conjunct. = ob. — bestên, hier : am Leben bleiben.
200 IX. HEIMFAHRT UND RACHE. (147) ich künde und sage iu allen, als Rûál mîn vater, der hie stât, gesehen und ouch gehoeret hât, daz mir mîn ééhéim sîn lant gesetzet hât in mîne hant und wil ouch durch den willen mîn êlîches wîbes âne sîn, dur daz ich sîn erbe sî, und wil, daz ich im wone bi, swâ er si und swar er var: nu hân ich mich bewegen dar und stât mir al mîn muot dar zuo, daz ich sînen willen tuo und wider zuo im kêre. mîn urbor und mîn êre, die ich in diseme lande hân, die wil ich lîhen unde lân mînem vater Rûâle, op mir ze Kurnewâle iht anders danne wol ergê, sweder ich sterbe od dâ bestê, daz ez sîn erbelêhen si. sô stênt ouch sîne süne hie bî und mit im ander sîniu kint; die aber sîn erben vürbaz sint, die haben alle reht dar an. mîne mán und mîne dienestman, diu lêhen über allez lant diu wil ich haben ze mîner hant al mîniu jâr und mîne tage.» 5790 5795 5800 5805 5810 5815 Hie wart grôz jâmer unde klage under áller dirre ritterschaft; si wurden alle unherzehaft, ir muot, ir trôst was aller hin : «â hêrre», sprâchen s' under in 5820 5791 durch den willen nin dagegen: um meinetwillen, mir zu Liebe. — 5796 bewegen stv. refl., sich entschließsen. dar, dazu. — 5800 êre hat hier sicher die specielle Bedeutung: Herrschaft, Besitz. — 5805 mir ergât (auch ohne e2), mir schlägt es aus, es glückt. — 5806 sweder pron. correl., wel- cher von beiden ; hier neutral und conjunct. = ob. — bestên, hier : am Leben bleiben.
Strana 201
IX. HEIMFAHRT UND RACHE. 201 «nu wære uns michel baz geschehen, und hæte wir iuch nie gesehen; sone ware ouch dises leides niht, des uns nû von iu geschiht. hêrr', unser trôst und unser wân der was alsô hin z'iu getân, uns ware ein leben an iu gegeben: nein leider unser aller leben, daz wir ze fröuden solten haben, daz ist erstorben unde begraben, swenn’ ir von hinnen kêret; hêrr', ir habt uns gemêret und niht geminret unser leit. unser aller sælekeit diu was ein lützel ûf gestigen und ist nu wider nider gesigen.» ich weiz ez wârez alse den tôt, swie starc ir aller klagenôt (148) und swie grôz ir swære von disem maere wære : Rûal, dem ez ze guote ergienc, der grôze frume dâ von enpfienc und michel êre an guote, daz ez im in dem muote unsanfter danne in allen tete. er enpfieng ein lêhen an der stete, weiz got, daz er deheinez nie mit solhem jâmér enpfie. 5825 5830 5835 5840 5845 Nu Rûal unde sîniu kint belêhent unde geerbet sint von ir hêrren Tristándes hant, Tristan ergab liut' unde lant gote únde fuor von lande. ouch kêrte mit Tristande Kurvenal sîn meister dan. Rûal und ander sîne man, daz lantliut al gemeine, obe ir klage iht kleine 5850 5855 5842 frume hier ausnahmsweise stf., Nutzen. 5850 erben swv., zu Erben einsetzen. — 5857 lantliut stn., das Volk des Landes, die Einwohner. —
IX. HEIMFAHRT UND RACHE. 201 «nu wære uns michel baz geschehen, und hæte wir iuch nie gesehen; sone ware ouch dises leides niht, des uns nû von iu geschiht. hêrr', unser trôst und unser wân der was alsô hin z'iu getân, uns ware ein leben an iu gegeben: nein leider unser aller leben, daz wir ze fröuden solten haben, daz ist erstorben unde begraben, swenn’ ir von hinnen kêret; hêrr', ir habt uns gemêret und niht geminret unser leit. unser aller sælekeit diu was ein lützel ûf gestigen und ist nu wider nider gesigen.» ich weiz ez wârez alse den tôt, swie starc ir aller klagenôt (148) und swie grôz ir swære von disem maere wære : Rûal, dem ez ze guote ergienc, der grôze frume dâ von enpfienc und michel êre an guote, daz ez im in dem muote unsanfter danne in allen tete. er enpfieng ein lêhen an der stete, weiz got, daz er deheinez nie mit solhem jâmér enpfie. 5825 5830 5835 5840 5845 Nu Rûal unde sîniu kint belêhent unde geerbet sint von ir hêrren Tristándes hant, Tristan ergab liut' unde lant gote únde fuor von lande. ouch kêrte mit Tristande Kurvenal sîn meister dan. Rûal und ander sîne man, daz lantliut al gemeine, obe ir klage iht kleine 5850 5855 5842 frume hier ausnahmsweise stf., Nutzen. 5850 erben swv., zu Erben einsetzen. — 5857 lantliut stn., das Volk des Landes, die Einwohner. —
Strana 202
202 IX. HEIMFAHRT UND RACHE. unde ir herzesware nâch ir trûthêrren waere? entriuwen, daz verweiz ich wol. Parmenîe daz was vol klage únde klagemære: ir klage was sagebære. diu marschalkîn Floræte, diu triuwe und êre hæte, diu leite marter an ir lîp, alsô mit allem rehte ein wip, der got ein gehêrtez leben an wîbes êren hât gegeben. 5860 5865 5870 5860 trûthérre swm. Zusammensetzung (sonst stünde trûtem hérren; vgl. Jungherr, Junker, Freiherr), lieber Herr. — 5861 verwizzen anom. v., wissen. — 5864 sagebare adj., hier: begründet. — 5869 gehêrt part. adj. von hêren swv., verherrlichen, erheben, beglücken.
202 IX. HEIMFAHRT UND RACHE. unde ir herzesware nâch ir trûthêrren waere? entriuwen, daz verweiz ich wol. Parmenîe daz was vol klage únde klagemære: ir klage was sagebære. diu marschalkîn Floræte, diu triuwe und êre hæte, diu leite marter an ir lîp, alsô mit allem rehte ein wip, der got ein gehêrtez leben an wîbes êren hât gegeben. 5860 5865 5870 5860 trûthérre swm. Zusammensetzung (sonst stünde trûtem hérren; vgl. Jungherr, Junker, Freiherr), lieber Herr. — 5861 verwizzen anom. v., wissen. — 5864 sagebare adj., hier: begründet. — 5869 gehêrt part. adj. von hêren swv., verherrlichen, erheben, beglücken.
Strana 203
X. MOROLD. Gleich bei Ankunft in Kurnewal vernimmt Tristan, dafs der starke Morold, ein Herzog in Irland, im Namen seines Schwagers, des dortigen Königs Gurmun Gemuotheit den Zins von Kurnewal und Engeland fordere. Dieser Gurmun, Sohn des Königs in Afrika, hatte mit Bewilligung und im Auftrage der Römer von Irland Besitz genommen und auch Kurnewal und Engeland zur Zeit, als Marke noch in jugendlichem Alter stand, zins- pflichtig gemacht. Der Zins war drei Jahre, jedes Jahr in erhöhtem Werthe, geleistet worden. Im vierten kam Morold und forderte von jedem Lande dreissig edele Knaben. Niemand wagte den bei Verweigerung dieses Zinses bedungenen Einzelkampf mit Morold zu bestehen, und zu einem Kriege waren die beiden Lande zu schwach. Tristan kehrt gerade zu- rück, als dieser barte Zins aufs neue erhoben werden soll; er erscheint am Hofe, als die Edeln zur Auslossung ihrer Kinder schreiten. Er schilt sie wegen ihrer Feigheit und erbietet sich, als alle muthlos bleiben, selbst zum Kampfe, wovon ihn Marke vergeblich abzubringen sucht. Morold macht seine Rechte geltend und beschwert sich über Treulosigkeit. Tristan besteht auf der Bedingung des Kampfes. Zu allgemeinem Streite ist Mo- rold nicht gerüstet, so willigt er endlich ein in den Einzelkampf. Auf den dritten Tag wird der Kampf festgesetzt. Zum Kampfplatze ist eine kleine Insel im Meere ausersehen. Morold rudert mit seinem Rosse zuerst hinüber und bindet sein Schifflein am Gestade fest. Tristan tröstet bei der Abfahrt den Oheim; er lässt bei Ankunft auf dem Werder sein Schifflein schwimmen: für den Sieger sei eines genug. Vergeblich mahnt Morold den jungen Gegner zur Versöhnung. Tristan wird in den Schenkel durch Morold's vergiftetes Schwert verwundet. Die Wunde, so gesteht ihm Morold, könne nur durch seine Schwester Isolt, die Königin von Irland, geheilt werden. Auch jetzt noch verweigert Tristan den Frie- den, und bleibt im neuentbrannten Streite Sieger. Ein Stück seines Schwertes bleibt in Morold's Haupte stecken. Tristan rudert in Morold's Schifflein zurück, jubelnd empfangen, und verbirgt vor den Fremden mit dem Schilde Blut und Wunde. Diese kehren mit Morold's Leiche zu König Gurmun zurück. Gröfseres Leid als dieser trägt Morold's Schwe-
X. MOROLD. Gleich bei Ankunft in Kurnewal vernimmt Tristan, dafs der starke Morold, ein Herzog in Irland, im Namen seines Schwagers, des dortigen Königs Gurmun Gemuotheit den Zins von Kurnewal und Engeland fordere. Dieser Gurmun, Sohn des Königs in Afrika, hatte mit Bewilligung und im Auftrage der Römer von Irland Besitz genommen und auch Kurnewal und Engeland zur Zeit, als Marke noch in jugendlichem Alter stand, zins- pflichtig gemacht. Der Zins war drei Jahre, jedes Jahr in erhöhtem Werthe, geleistet worden. Im vierten kam Morold und forderte von jedem Lande dreissig edele Knaben. Niemand wagte den bei Verweigerung dieses Zinses bedungenen Einzelkampf mit Morold zu bestehen, und zu einem Kriege waren die beiden Lande zu schwach. Tristan kehrt gerade zu- rück, als dieser barte Zins aufs neue erhoben werden soll; er erscheint am Hofe, als die Edeln zur Auslossung ihrer Kinder schreiten. Er schilt sie wegen ihrer Feigheit und erbietet sich, als alle muthlos bleiben, selbst zum Kampfe, wovon ihn Marke vergeblich abzubringen sucht. Morold macht seine Rechte geltend und beschwert sich über Treulosigkeit. Tristan besteht auf der Bedingung des Kampfes. Zu allgemeinem Streite ist Mo- rold nicht gerüstet, so willigt er endlich ein in den Einzelkampf. Auf den dritten Tag wird der Kampf festgesetzt. Zum Kampfplatze ist eine kleine Insel im Meere ausersehen. Morold rudert mit seinem Rosse zuerst hinüber und bindet sein Schifflein am Gestade fest. Tristan tröstet bei der Abfahrt den Oheim; er lässt bei Ankunft auf dem Werder sein Schifflein schwimmen: für den Sieger sei eines genug. Vergeblich mahnt Morold den jungen Gegner zur Versöhnung. Tristan wird in den Schenkel durch Morold's vergiftetes Schwert verwundet. Die Wunde, so gesteht ihm Morold, könne nur durch seine Schwester Isolt, die Königin von Irland, geheilt werden. Auch jetzt noch verweigert Tristan den Frie- den, und bleibt im neuentbrannten Streite Sieger. Ein Stück seines Schwertes bleibt in Morold's Haupte stecken. Tristan rudert in Morold's Schifflein zurück, jubelnd empfangen, und verbirgt vor den Fremden mit dem Schilde Blut und Wunde. Diese kehren mit Morold's Leiche zu König Gurmun zurück. Gröfseres Leid als dieser trägt Morold's Schwe-
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204 X. MOROLD. ster Isolt und deren Tochter, die junge Isolt. Sie finden in der Kopf- wunde jenen Schwertsplitter und verwahren ihn trauernd in einen Schrein. Gurmun gebietet: wer von Kurnewal Irland betrete, habe sein Leben verwirkt. (149) Waz lenge ich nu mê hier an? der landelôse Tristán, dô der ze Kurnewâle kam, ein maere er al zehant vernam, daz ime vil sware was vernomen, daz von Irlande ware komen Môrolt der sêre starke und vorderte von Marke mit kámpflichen handen den zins von beiden landen, von Kurnewal und von Engelant. umbe dén zins was ez sô gewant: der dô ze Irlánde künic was, als ich an der istôrje las, und als daz rehte mæere seit, der hiez Gurmûn Gemúothéit und was geborn von Affricâ, und was sîn vater künic dâ. dô der verschiet, dô viel daz lant an in und sînes bruoder hant, der als wol erbe was als er. Gurmûn was aber sô rîcher ger und alse hôhé gemuot, daz er dehein gemeine guot mit niemanne wolte hân. sin herze enwolte in niht erlân, ern müese selbe ein hêrre wesen. er begúnde ûz wélen unde ûz lesen die starken, die muotvesten und zuo der nôt die besten, die ieman erkande, 5875 5880 5885 5890 5895 5900 5871 lengen swv., verlängern, in die Länge ziehen; vgl. 6569. 9248. — 5879 kampflich adj., zum Kampf geeignet; kampfbereit. — 5892 unter dem mächtigen Verlangen haben wir weniger die Gewinnsucht als die Herrsch- sucht zu verstehen. — 5893 hôhe hier volle Form des Adv. bei gemuot = hôchgemuot, hochgesinnt im Sinne von: stolz. — 5896 niht erlân im Sinne von: nicht locker lassen, dann: antreiben hat in der Regel einen negativ gewendeten Nebensatz im Conjunctiv nach sich. —
204 X. MOROLD. ster Isolt und deren Tochter, die junge Isolt. Sie finden in der Kopf- wunde jenen Schwertsplitter und verwahren ihn trauernd in einen Schrein. Gurmun gebietet: wer von Kurnewal Irland betrete, habe sein Leben verwirkt. (149) Waz lenge ich nu mê hier an? der landelôse Tristán, dô der ze Kurnewâle kam, ein maere er al zehant vernam, daz ime vil sware was vernomen, daz von Irlande ware komen Môrolt der sêre starke und vorderte von Marke mit kámpflichen handen den zins von beiden landen, von Kurnewal und von Engelant. umbe dén zins was ez sô gewant: der dô ze Irlánde künic was, als ich an der istôrje las, und als daz rehte mæere seit, der hiez Gurmûn Gemúothéit und was geborn von Affricâ, und was sîn vater künic dâ. dô der verschiet, dô viel daz lant an in und sînes bruoder hant, der als wol erbe was als er. Gurmûn was aber sô rîcher ger und alse hôhé gemuot, daz er dehein gemeine guot mit niemanne wolte hân. sin herze enwolte in niht erlân, ern müese selbe ein hêrre wesen. er begúnde ûz wélen unde ûz lesen die starken, die muotvesten und zuo der nôt die besten, die ieman erkande, 5875 5880 5885 5890 5895 5900 5871 lengen swv., verlängern, in die Länge ziehen; vgl. 6569. 9248. — 5879 kampflich adj., zum Kampf geeignet; kampfbereit. — 5892 unter dem mächtigen Verlangen haben wir weniger die Gewinnsucht als die Herrsch- sucht zu verstehen. — 5893 hôhe hier volle Form des Adv. bei gemuot = hôchgemuot, hochgesinnt im Sinne von: stolz. — 5896 niht erlân im Sinne von: nicht locker lassen, dann: antreiben hat in der Regel einen negativ gewendeten Nebensatz im Conjunctiv nach sich. —
Strana 205
X. MOROLD. 205 ritter und särjande, die er mit sînem guote oder mít höfschlichem muote zuo z'ime gewinnen kunde. und liez ouch an der stunde sînem bruoder al sîn lant. 5905 (150) Sus-kêrte er dánnén zehant und nam von den mæeren, den gewáltegen Rômaeren urloup unde boteschaft, swaz er betwüngé mit kraft, daz er daz z'eigen hæte und ouch in dâ von tæte étslîch reht und êre; und enbéite ouch dô niht mêre: er fuor mit einem starken her über lant und über mer, biz daz er ze Irlande kam und an dem lande sige genam und si mit strîte des betwanc, daz si in ze hêrren âne ir danc und ze künege nâmen und sit her dar an kâmen, daz sî im ze allen zîten mit stürmen und mit striten diu bîlant hulfen twingen. in disen selben dingen betwang er ouch ze sîner hant Kurnewal und Engelant. dô was aber Marke ein kint, als kint ze wer unveste sint, und kom alsô von sîner kraft und wart Gurmûne zinsháft. 5910 5915 5920 5925 5930 Ouch half Gurmûnen sêre und gab im kraft und êre, 5935 5902 särjande (Hs. M sarjande) pl. von särjant, sonst gewöhnlich sarjant stm., Fremdwort, Dienstmann (serviens), Knappe; das Wort bezeichnet in der Regel den Kämpfer zu Fußs; hier, ritter entgegengesetzt, formelhaft. 5911 urloup nemen = nhd., aber hier: Erlaubniss erwirken. — boteschaft stf., Vollmacht. — 5914 in = den Römern. — tuon, hier stärker als das nhd. Wort: verschaffen. — 5916 beite = beitete præt. von beiten swv., war- ten; vgl. zu 1664. — 5934 zinshaft adj., zinspflichtig.
X. MOROLD. 205 ritter und särjande, die er mit sînem guote oder mít höfschlichem muote zuo z'ime gewinnen kunde. und liez ouch an der stunde sînem bruoder al sîn lant. 5905 (150) Sus-kêrte er dánnén zehant und nam von den mæeren, den gewáltegen Rômaeren urloup unde boteschaft, swaz er betwüngé mit kraft, daz er daz z'eigen hæte und ouch in dâ von tæte étslîch reht und êre; und enbéite ouch dô niht mêre: er fuor mit einem starken her über lant und über mer, biz daz er ze Irlande kam und an dem lande sige genam und si mit strîte des betwanc, daz si in ze hêrren âne ir danc und ze künege nâmen und sit her dar an kâmen, daz sî im ze allen zîten mit stürmen und mit striten diu bîlant hulfen twingen. in disen selben dingen betwang er ouch ze sîner hant Kurnewal und Engelant. dô was aber Marke ein kint, als kint ze wer unveste sint, und kom alsô von sîner kraft und wart Gurmûne zinsháft. 5910 5915 5920 5925 5930 Ouch half Gurmûnen sêre und gab im kraft und êre, 5935 5902 särjande (Hs. M sarjande) pl. von särjant, sonst gewöhnlich sarjant stm., Fremdwort, Dienstmann (serviens), Knappe; das Wort bezeichnet in der Regel den Kämpfer zu Fußs; hier, ritter entgegengesetzt, formelhaft. 5911 urloup nemen = nhd., aber hier: Erlaubniss erwirken. — boteschaft stf., Vollmacht. — 5914 in = den Römern. — tuon, hier stärker als das nhd. Wort: verschaffen. — 5916 beite = beitete præt. von beiten swv., war- ten; vgl. zu 1664. — 5934 zinshaft adj., zinspflichtig.
Strana 206
206 X. MOROLD. (151) daz er Môroldes swester nam; von dem sô wart er vórhtsám. der was ein herzoge dâ und hâte óuch vil gérne etswâ selbe ein lant besezzen. wan er was wol vermezzen und hæte lant und michel guot, lip unde mänlîchen muot. der was sîn vorvehtære. waz aber des zinses ware, den mán ze Irlánden sande von ietwederem lande? des beschéide ich iuch reht’ und vür wâr: si sanden in daz êrste jâr driu hundert marc messinges und anders keines dinges; daz ander silber, daz dritte golt. des vierden sô kôm Môrólt der starke von Irlanden dar ze wige und ouch ze kampfe gar. vür den sô wúrdén besant ze Kurnewâle und z' Engelant barûne und ir genôze: die giengen ouch ze lôze ze sîner gegenwürte, welher ime antwürte sîn kint, daz dienestbære und an dem libe wære sô schone und sô genæme, als ez dem hove gezæme, niht mägede, niuwan knäbelîn und solten ouch der drizec sîn von ietwederem lande; und ensólte dirre schande niemen anders widerstân, 5940 5945 5950 5955 5960 5965 5970 5938 vorhtsam adj., furchtbar, gefürchtet [furchtsam, timidus jünger]. — 5942 vermezzen part. adj., kühn. — 5945 vorvehtare stm., Vorkämpfer: so wurden die Schwaben genannt, weil sie ein Anrecht hatten, im Reichs- heere zuerst zu stehen; vgl. zu Ebernand 658. — 5956 wîc, wîg stm., Streit, Kampf. — gar adj., bereit, gerüstet. — 5960 ze lôze, zur Ausloßung, Ver- lofsung, um zu lofsen. — 5962 antwürten swv., wohl verschieden von ant- würten respondere (vgl. mhd. Wörterbuch III, 599): überantworten, über- geben; vgl. 13264. — 5963 dienestbare adj., (dienstbar; vgl. brauchbar). diensttüchtig. —
206 X. MOROLD. (151) daz er Môroldes swester nam; von dem sô wart er vórhtsám. der was ein herzoge dâ und hâte óuch vil gérne etswâ selbe ein lant besezzen. wan er was wol vermezzen und hæte lant und michel guot, lip unde mänlîchen muot. der was sîn vorvehtære. waz aber des zinses ware, den mán ze Irlánden sande von ietwederem lande? des beschéide ich iuch reht’ und vür wâr: si sanden in daz êrste jâr driu hundert marc messinges und anders keines dinges; daz ander silber, daz dritte golt. des vierden sô kôm Môrólt der starke von Irlanden dar ze wige und ouch ze kampfe gar. vür den sô wúrdén besant ze Kurnewâle und z' Engelant barûne und ir genôze: die giengen ouch ze lôze ze sîner gegenwürte, welher ime antwürte sîn kint, daz dienestbære und an dem libe wære sô schone und sô genæme, als ez dem hove gezæme, niht mägede, niuwan knäbelîn und solten ouch der drizec sîn von ietwederem lande; und ensólte dirre schande niemen anders widerstân, 5940 5945 5950 5955 5960 5965 5970 5938 vorhtsam adj., furchtbar, gefürchtet [furchtsam, timidus jünger]. — 5942 vermezzen part. adj., kühn. — 5945 vorvehtare stm., Vorkämpfer: so wurden die Schwaben genannt, weil sie ein Anrecht hatten, im Reichs- heere zuerst zu stehen; vgl. zu Ebernand 658. — 5956 wîc, wîg stm., Streit, Kampf. — gar adj., bereit, gerüstet. — 5960 ze lôze, zur Ausloßung, Ver- lofsung, um zu lofsen. — 5962 antwürten swv., wohl verschieden von ant- würten respondere (vgl. mhd. Wörterbuch III, 599): überantworten, über- geben; vgl. 13264. — 5963 dienestbare adj., (dienstbar; vgl. brauchbar). diensttüchtig. —
Strana 207
X. MOROLD. 207 ez enmüese mit einwîge ergân oder áber mit lantvehte. (152) Nune móhten s' aber ze rehte mit offenlîcher wer niht komen, wan diu lant hæten abe genomen. sô was ouch Môrolt alse stare, als unerbärmic unde als arc, daz wider in lützel déhein man, sach er in under ougen an, getorste wâgén den lîp iht mêre danne ein wîp. und alse der zins ûf sîne vart hin wider Irlant geschicket wart und daz fünfte jâr în gie, sô muosen aber diu zwei lant ie iemèr ze sunnewenden die boten ze Rôme senden, die Rôme wol gezæmen, und daz die dâ vernæmen, welch gebot und welhen rât der gewaltege sênât enbute unde sande einem iegelîchem lande, daz undertân ze Rôme was; wan man in alle jar dâ las und tete in kunt mit mæren, wie sî nâch Rômæren lois unde lantrecht solten wegen, wie s' ir gerihtes solten pflegen und müesen ouch reht’ alsô leben, als in dâ lêre wart gegeben. daz zinsreht unde disen prîsant den liezen disiu zwéi lánt in dem fünften jâre ie schouwen die werden Rôme, ir frouwen. doch buten si'r dise êre niht allich alse sêre, 5980 5985 5990 5995 6000 6005 5975 5972 einwîc stm., Einzelkampf. — 5973 lantvehte stf., Land-, Volksgefecht, Kampf zweier Heere. 5978 unerbärmic adj., unbarmherzig. — arc adj., hier: gefühllos. — 5999 lois Fremdwort, Gesetz, franz. loi, lat. lex. — 6008 ällîch, ällîche adv. (zu al), durchaus, ganz und gar, immer: vgl. 12645 und zu 770.
X. MOROLD. 207 ez enmüese mit einwîge ergân oder áber mit lantvehte. (152) Nune móhten s' aber ze rehte mit offenlîcher wer niht komen, wan diu lant hæten abe genomen. sô was ouch Môrolt alse stare, als unerbärmic unde als arc, daz wider in lützel déhein man, sach er in under ougen an, getorste wâgén den lîp iht mêre danne ein wîp. und alse der zins ûf sîne vart hin wider Irlant geschicket wart und daz fünfte jâr în gie, sô muosen aber diu zwei lant ie iemèr ze sunnewenden die boten ze Rôme senden, die Rôme wol gezæmen, und daz die dâ vernæmen, welch gebot und welhen rât der gewaltege sênât enbute unde sande einem iegelîchem lande, daz undertân ze Rôme was; wan man in alle jar dâ las und tete in kunt mit mæren, wie sî nâch Rômæren lois unde lantrecht solten wegen, wie s' ir gerihtes solten pflegen und müesen ouch reht’ alsô leben, als in dâ lêre wart gegeben. daz zinsreht unde disen prîsant den liezen disiu zwéi lánt in dem fünften jâre ie schouwen die werden Rôme, ir frouwen. doch buten si'r dise êre niht allich alse sêre, 5980 5985 5990 5995 6000 6005 5975 5972 einwîc stm., Einzelkampf. — 5973 lantvehte stf., Land-, Volksgefecht, Kampf zweier Heere. 5978 unerbärmic adj., unbarmherzig. — arc adj., hier: gefühllos. — 5999 lois Fremdwort, Gesetz, franz. loi, lat. lex. — 6008 ällîch, ällîche adv. (zu al), durchaus, ganz und gar, immer: vgl. 12645 und zu 770.
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208 X. MOROLD. weder durch reht noch durch got sô durch Gurmünés gebot. 6010 (153) Nu suln wir wider zem maere komen! Tristan der hæte wol vernomen diz leit ze Kurnewâle; ouch was im vor dem mâle wol kunt, mit welher sicherheit der selbe zins was ûf geleit. iedoch sô hôrte er alle tage vón der lántliute sage des landes laster und sîn leit, swelhen enden er gereit vür stete oder vür kastêl; und als er ab zé Tintájoêl zuo dem hovegesinde kam, seht, dâ gehôrte er unde vernam in gazzen unde in strâzen von klage al solch gelâzen, daz ez in muote starke. vil schiere kômen Marke und hin ze hove mære, daz Tristan komen waere: des wâren s' alle samet frô. frô meine ich aber, als ez in dô nâch ir leide was gewant; wan die allerbesten, die man vant in allem Kurnewâle, die wâren ze dem mâle alle dar ze hove komen ze laster, alse ir habet vernomen. die edelen lantgenôze die giengen dâ ze lôze ir kinden z' einem valle. sus vant si Tristan alle kniewende unde an ir gebete, daz iegelîcher sunder tete unschamelîch unde untougen, 6015 6020 6025 6030 6035 6040 6045 6020 swelhen enden adv. dat., nach welchen Orten, Seiten hin, wohin auch. — 6026 gelâzen subst. inf. stn., Gebahren; vgl. geläz 964. — 6027 muote præt. von müejen swv., mühen, kümmern, schmerzen. — 6039 lantgenôz stm., Landbewohner [nhd. abgekommen ; vgl. Hausgenosse]. — 6045 unschamelîch adv., ohne Scham. — untougen adv., unheimlich, offen. —
208 X. MOROLD. weder durch reht noch durch got sô durch Gurmünés gebot. 6010 (153) Nu suln wir wider zem maere komen! Tristan der hæte wol vernomen diz leit ze Kurnewâle; ouch was im vor dem mâle wol kunt, mit welher sicherheit der selbe zins was ûf geleit. iedoch sô hôrte er alle tage vón der lántliute sage des landes laster und sîn leit, swelhen enden er gereit vür stete oder vür kastêl; und als er ab zé Tintájoêl zuo dem hovegesinde kam, seht, dâ gehôrte er unde vernam in gazzen unde in strâzen von klage al solch gelâzen, daz ez in muote starke. vil schiere kômen Marke und hin ze hove mære, daz Tristan komen waere: des wâren s' alle samet frô. frô meine ich aber, als ez in dô nâch ir leide was gewant; wan die allerbesten, die man vant in allem Kurnewâle, die wâren ze dem mâle alle dar ze hove komen ze laster, alse ir habet vernomen. die edelen lantgenôze die giengen dâ ze lôze ir kinden z' einem valle. sus vant si Tristan alle kniewende unde an ir gebete, daz iegelîcher sunder tete unschamelîch unde untougen, 6015 6020 6025 6030 6035 6040 6045 6020 swelhen enden adv. dat., nach welchen Orten, Seiten hin, wohin auch. — 6026 gelâzen subst. inf. stn., Gebahren; vgl. geläz 964. — 6027 muote præt. von müejen swv., mühen, kümmern, schmerzen. — 6039 lantgenôz stm., Landbewohner [nhd. abgekommen ; vgl. Hausgenosse]. — 6045 unschamelîch adv., ohne Scham. — untougen adv., unheimlich, offen. —
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X. MOROLD. 209 mit riezénden ougen, mit inneclîchem smerzen des libes unde des herzen, daz ime got der guote beschirmete unde behuote sîn edelkeit und ouch sîn kint. 6050 (154) Nu si álle an ir gebete sint, Tristan kom zuo gegangen. wie wart er aber enpfangen? daz ist iu lîhté geseit: Tristan wart von der wârhéit under allem dem gesinde von dehéinem muoterkinde noch ouch von Markes gruoze enpfangen niht sô suoze, als er doch wâré getân, und hæte si diz leit verlân. des nam ab Tristan kleine war, wan gienc êt baltlichen dar, dâ man in daz lôz dâ maz, dâ Môrolt unde Marke saz. «ir hêrren», sprach er «alle samet, allè mit einem namen genamet, die hie ze lôze loufent, ir edele kint verkoufent, schámet ir iuch der schanden niht, diu diseme lande an iu geschiht? sô manhaft, alse ir alle zît all' unde an allen dingen sît, sô soltet ir billîche beid' iuch und iuwer rîche ahtbæeren unde êren und an den êren mêren! nu habet ir iuwer frïhéit iuwern vîndén geleit ze füezen und ze handen mit zinslîchen schanden; 6055 6060 6065 6070 6075 6080 6046 riezen stv., fliesen, thränen; vgl. 11501. — 6051 edelkeit stf., (Adel), hier: Geschlecht. 6056 von der wârheit, in Wirklichkeit. — 6065 daz lôz mezeen, einer der Termini beim Loßsen (häufiger lôz werfen, seltener lôz lan, legen, setzen), das Loß zumessen, ertheilen. — 6077 ahtbaren swv., ahtbare, achtbar, achtungswerth machen ; nur hier bei Gottfried. — GOTTFRIED VON STRASSBURG. I. 2. Aufl. 14
X. MOROLD. 209 mit riezénden ougen, mit inneclîchem smerzen des libes unde des herzen, daz ime got der guote beschirmete unde behuote sîn edelkeit und ouch sîn kint. 6050 (154) Nu si álle an ir gebete sint, Tristan kom zuo gegangen. wie wart er aber enpfangen? daz ist iu lîhté geseit: Tristan wart von der wârhéit under allem dem gesinde von dehéinem muoterkinde noch ouch von Markes gruoze enpfangen niht sô suoze, als er doch wâré getân, und hæte si diz leit verlân. des nam ab Tristan kleine war, wan gienc êt baltlichen dar, dâ man in daz lôz dâ maz, dâ Môrolt unde Marke saz. «ir hêrren», sprach er «alle samet, allè mit einem namen genamet, die hie ze lôze loufent, ir edele kint verkoufent, schámet ir iuch der schanden niht, diu diseme lande an iu geschiht? sô manhaft, alse ir alle zît all' unde an allen dingen sît, sô soltet ir billîche beid' iuch und iuwer rîche ahtbæeren unde êren und an den êren mêren! nu habet ir iuwer frïhéit iuwern vîndén geleit ze füezen und ze handen mit zinslîchen schanden; 6055 6060 6065 6070 6075 6080 6046 riezen stv., fliesen, thränen; vgl. 11501. — 6051 edelkeit stf., (Adel), hier: Geschlecht. 6056 von der wârheit, in Wirklichkeit. — 6065 daz lôz mezeen, einer der Termini beim Loßsen (häufiger lôz werfen, seltener lôz lan, legen, setzen), das Loß zumessen, ertheilen. — 6077 ahtbaren swv., ahtbare, achtbar, achtungswerth machen ; nur hier bei Gottfried. — GOTTFRIED VON STRASSBURG. I. 2. Aufl. 14
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210 X. MOROLD. und iuwer edelen kindelin, diu iuwer wunne solten sîn, iuwer lust und iuwer leben, diu gebet ir unde habt gegeben ze schalken und ze eigen und enkunnet niht gezeigen, wer iuch betwingé dar zuo oder wélher hande nôt ez tuo, niwan ein einwîc unde ein man. dehein ander nôt enist hier an; und enkúnnet under iu allen an einen niht gevallen, der wider einen man sin leben an die wâge welle geben, weder ér belîbe oder gesige. nu si, daz er dâ tôt belige, deiswar so ist doch der kurze tôt und disiu lange lebende nôt ze himele und ûf der erde in ungelîchem werde. ist aber, daz er dâ gesiget, und daz daz únréht geliget, sô hât er iemer mêre dort gotes lôn, hie êre. jâ sulen vätere vür ir kint, wan si mit in ein leben sint, ir leben geben: daz ist mit gote. ez ist gar wider gotes gebote der sîner kinder frîhéit der eigenschefte vür léit, dáz er si ze schalken gebe und er mit frîhéite lebe. sol ich iu rât umb' iuwer leben nâch gote und nâch den êren geben, sô râte ich zwâré dar an, daz ir iu kieset einen man, (155) swâ sô man den vinde 6090 6095 6100 6105 6110 6115 6085 6087 schalken dat. pl. (= Schälken) von schalc stm., Knecht. — eigen adj. subst. stm., der Leibeigene, Hörige. — 6088 gezeigen swv., verst. zelgen. erzeigen, beweisen. — 6094 gevallen stv., verst. vallen, an einen, verfallen auf einen, einen finden. — 6096 an die (eine) wâge geben = wâgen, aufs Spiel setzen; vgl. 13252. — 6098 beligen stv., liegen bleiben, bleiben; vgl. 6807. — 6104 geligen stv., verst. ligen, erliegen, unterliegen. — 6112 eigen- schefte dat. von eigenschaft stf., Leibeigenschaft. — vür legen mit dat. und acc., hier: vorlegen, übergeben. — 6118 kiesen stv., hier=nhd. erkiesen, wählen. —
210 X. MOROLD. und iuwer edelen kindelin, diu iuwer wunne solten sîn, iuwer lust und iuwer leben, diu gebet ir unde habt gegeben ze schalken und ze eigen und enkunnet niht gezeigen, wer iuch betwingé dar zuo oder wélher hande nôt ez tuo, niwan ein einwîc unde ein man. dehein ander nôt enist hier an; und enkúnnet under iu allen an einen niht gevallen, der wider einen man sin leben an die wâge welle geben, weder ér belîbe oder gesige. nu si, daz er dâ tôt belige, deiswar so ist doch der kurze tôt und disiu lange lebende nôt ze himele und ûf der erde in ungelîchem werde. ist aber, daz er dâ gesiget, und daz daz únréht geliget, sô hât er iemer mêre dort gotes lôn, hie êre. jâ sulen vätere vür ir kint, wan si mit in ein leben sint, ir leben geben: daz ist mit gote. ez ist gar wider gotes gebote der sîner kinder frîhéit der eigenschefte vür léit, dáz er si ze schalken gebe und er mit frîhéite lebe. sol ich iu rât umb' iuwer leben nâch gote und nâch den êren geben, sô râte ich zwâré dar an, daz ir iu kieset einen man, (155) swâ sô man den vinde 6090 6095 6100 6105 6110 6115 6085 6087 schalken dat. pl. (= Schälken) von schalc stm., Knecht. — eigen adj. subst. stm., der Leibeigene, Hörige. — 6088 gezeigen swv., verst. zelgen. erzeigen, beweisen. — 6094 gevallen stv., verst. vallen, an einen, verfallen auf einen, einen finden. — 6096 an die (eine) wâge geben = wâgen, aufs Spiel setzen; vgl. 13252. — 6098 beligen stv., liegen bleiben, bleiben; vgl. 6807. — 6104 geligen stv., verst. ligen, erliegen, unterliegen. — 6112 eigen- schefte dat. von eigenschaft stf., Leibeigenschaft. — vür legen mit dat. und acc., hier: vorlegen, übergeben. — 6118 kiesen stv., hier=nhd. erkiesen, wählen. —
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X. MOROLD. 211 6120 under dísem lantgesinde, der ze kampfe si getân und an gelücke welle lân, weder ér genese oder entuo; und bitet alle den dar zuo dur gotes willen allermeist, daz ime der héilige geist gelücke gebe und êre, und enfürhte niht ze sêre Môroldes groeze und sîne kraft; sî êt an gote gemúotháft, der nie deheinen man verlie, der mit dem rehten umbe gie. wol balde gêt ze râte: berâtet iuch wol drâte, wie ir iuch dirre schande erwert und iuch vor einem manne ernert! geunêret niemer mêre iur gebúrt und iuwer êre!» 6125 6130 6135 «A hêrre» sprâchen s' alle dô "ja ist dísem manne niht alsô: ime kan niemen vor genesen." Tristan sprach: «lât die rede wesen! durch got, versinnet iuch doch noch; nu sît ir an gebürte doch allen künegen ebengrôz, aller keisere genôz, und wellet iuwer edelen kint, diu iu gelîche edele sint versellen unde versachen und z'eigenschalken machen. und ist, daz ir deheinen man niht muget gehérzén hier an, 6140 6145 6150 6130 gemuothaft adj., getrost; vertrauend auf; ebenso an 7230, ohne præp. 13101; scheint eine Gottfriedische Bildung. — 6134 drâte adv., schnell, sofort. — 6137 geunéren (auch gunéren, wenn es der Vers verlangt) swv. = unêren (14088), beschimpfen. 6140 sîn (wesen) unpers. mit dat., eine Bewandtniss mit etwas oder mit einer Person haben; mit einem, um einen stehen; vgl. 10109. 12495. — 6141 einem vor (adv.) genesen=nhd. vor (præp.) einem genesen, sicher sein. — 6149 versellen swv., hingeben, opfern. — versachen swv., verleugnen ; seltenes Wort im Oberdeutschen, häufiger in Mittel- und Niederdeutsch- land. — 6150 eigenschalc stm., leibeigener Knecht. — 6152 geherzen swv., be- herzt machen, ermuthigen; vgl. zu 118; herzen Heinrich's Tristan 1624. — hier an = hierzu. — 14 *
X. MOROLD. 211 6120 under dísem lantgesinde, der ze kampfe si getân und an gelücke welle lân, weder ér genese oder entuo; und bitet alle den dar zuo dur gotes willen allermeist, daz ime der héilige geist gelücke gebe und êre, und enfürhte niht ze sêre Môroldes groeze und sîne kraft; sî êt an gote gemúotháft, der nie deheinen man verlie, der mit dem rehten umbe gie. wol balde gêt ze râte: berâtet iuch wol drâte, wie ir iuch dirre schande erwert und iuch vor einem manne ernert! geunêret niemer mêre iur gebúrt und iuwer êre!» 6125 6130 6135 «A hêrre» sprâchen s' alle dô "ja ist dísem manne niht alsô: ime kan niemen vor genesen." Tristan sprach: «lât die rede wesen! durch got, versinnet iuch doch noch; nu sît ir an gebürte doch allen künegen ebengrôz, aller keisere genôz, und wellet iuwer edelen kint, diu iu gelîche edele sint versellen unde versachen und z'eigenschalken machen. und ist, daz ir deheinen man niht muget gehérzén hier an, 6140 6145 6150 6130 gemuothaft adj., getrost; vertrauend auf; ebenso an 7230, ohne præp. 13101; scheint eine Gottfriedische Bildung. — 6134 drâte adv., schnell, sofort. — 6137 geunéren (auch gunéren, wenn es der Vers verlangt) swv. = unêren (14088), beschimpfen. 6140 sîn (wesen) unpers. mit dat., eine Bewandtniss mit etwas oder mit einer Person haben; mit einem, um einen stehen; vgl. 10109. 12495. — 6141 einem vor (adv.) genesen=nhd. vor (præp.) einem genesen, sicher sein. — 6149 versellen swv., hingeben, opfern. — versachen swv., verleugnen ; seltenes Wort im Oberdeutschen, häufiger in Mittel- und Niederdeutsch- land. — 6150 eigenschalc stm., leibeigener Knecht. — 6152 geherzen swv., be- herzt machen, ermuthigen; vgl. zu 118; herzen Heinrich's Tristan 1624. — hier an = hierzu. — 14 *
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212 X. MOROLD. (156) daz er durch iuwer aller leit und durch des landes armekeit getürre nâch dem rehten in gotes namen vehten gegen dem einen manne, geruochet ir ez danne an got gelâzen unde an mich, deiswâr, ir hêrren, sô wil ich mîne jugent und mîn leben durch got an âventiure geben und wil den kampf durch iuch bestân: got lâze in iu ze guote ergân und bringe iuch wider ze rehte! ouch swie mir an der vehte iht anders danne wol geschiht, daz enschádet iu z'iuwerm rehte niht. gelige ich an dem kampfe tôt, dâ mite ist iuwer keines nôt weder ábe noch ane gekêret, geminneret noch gemêret: sô stât ez aber rehte als ê. sî, daz ez aber ze heile ergê, daz ist benamen von gotes gebote: des endánket niemen niuwan gote. wan den ich eine sol bestân, als ich vil wol vernomen hân, der ist von muote und ouch von kraft ze ernestlîcher ritterschaft ein lange her bewæret man: sô gân ich allerêrest an an muote und an der krefte und bin ze ritterschefte niht alsô kürbâre, als uns nu nôt wâre; wan daz ich aber zer vehte an gote und ouch an rehte zwô sigebære helfe hân, 6160 6165 6170 6175 6180 6185 6155 6154 armekeit stf., Elend. — 6157 gegen præp. mit dat. = nhd. mit acc., nach den Hss. im Ganzen bei Gottfried selten, gewöhnlich steht wider. — 6159 gelâzen stv. an einen, einem überlassen, anheimgeben. — 6162 an âventiure geben, ähnlich wie an die wage geben in V. 6096, dem Zufall, dem guten Glück anheimgeben, aufs Spiel setzen. — 6185 kürbare adj., (wähl- bar), erwählenswerth, vorzuglich. — 6189 sigebare adj., siegreich.
212 X. MOROLD. (156) daz er durch iuwer aller leit und durch des landes armekeit getürre nâch dem rehten in gotes namen vehten gegen dem einen manne, geruochet ir ez danne an got gelâzen unde an mich, deiswâr, ir hêrren, sô wil ich mîne jugent und mîn leben durch got an âventiure geben und wil den kampf durch iuch bestân: got lâze in iu ze guote ergân und bringe iuch wider ze rehte! ouch swie mir an der vehte iht anders danne wol geschiht, daz enschádet iu z'iuwerm rehte niht. gelige ich an dem kampfe tôt, dâ mite ist iuwer keines nôt weder ábe noch ane gekêret, geminneret noch gemêret: sô stât ez aber rehte als ê. sî, daz ez aber ze heile ergê, daz ist benamen von gotes gebote: des endánket niemen niuwan gote. wan den ich eine sol bestân, als ich vil wol vernomen hân, der ist von muote und ouch von kraft ze ernestlîcher ritterschaft ein lange her bewæret man: sô gân ich allerêrest an an muote und an der krefte und bin ze ritterschefte niht alsô kürbâre, als uns nu nôt wâre; wan daz ich aber zer vehte an gote und ouch an rehte zwô sigebære helfe hân, 6160 6165 6170 6175 6180 6185 6155 6154 armekeit stf., Elend. — 6157 gegen præp. mit dat. = nhd. mit acc., nach den Hss. im Ganzen bei Gottfried selten, gewöhnlich steht wider. — 6159 gelâzen stv. an einen, einem überlassen, anheimgeben. — 6162 an âventiure geben, ähnlich wie an die wage geben in V. 6096, dem Zufall, dem guten Glück anheimgeben, aufs Spiel setzen. — 6185 kürbare adj., (wähl- bar), erwählenswerth, vorzuglich. — 6189 sigebare adj., siegreich.
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X. MOROLD. 213 die suln mit mir ze kampfe gân! dar zuo hân ich willigen muot, der selbe ist ouch ze kampfe guot; und helfent mir die selben drî, swie unversuocht ich anders si, sô hân ich guoten trôst dar an, ich genése wol vor einem man.» 6190 6195 (157) «Hêrrè», sprach al diu ritterschaft «diu héilige gotes kraft, diu al die werlt geschaffen hât, diu vergélte iu trôst unde rât únde den sæleclîchen wân, den ir uns allen habet getân. hêrrè, lât iu daz ende sagen: unser rât mac lützel vür getragen. solt’ unser sælde hân geruocht, sô vil sô wir sîn hân versuocht, als ofte es ie begunnen wart, ez ware niht biz her gespart. wir háben niht z'éinem mâle wir hie ze Kurnewâle umb' unser angest rât genomen; wir sîn an manege sprâche komen und enkunden doch deheinen nie undèr uns vinden, ern wolt' ie sîn kint vür eigen gerner geben, dan er verlür sîn selbes leben wider disen vâlandes man.» «wie redet ir sus!» sprach Tristan "jâ ist der dinge vil geschehen; man hât des wúndér gesehen, daz únréhtiu hôchvárt mit kleiner kraft genidert wart: daz möhte ouch vil wol noch ergân, der ez getörsté bestân.» 6200 6205 6210 6215 6220 Nu Môrolt der hôrt' allez an und verdûhte in sêre, daz Tristan 6225 6201 cinem wàn inon = einem Hoffnung machen. — 6204 getragen = tragen. vür getr., vorwärts bringen, fördern ; hier intrans., helfen, nützen ; vgl. 9178 und zu 7267. — 6212 sprâche stf., Unterredung, Verhandlung. 6217 valant stm., Teufel. vàlandes man braucht Gottfried öfters, z. B. in V. 6910. 16069 ; ferner des vâlandes barn 15965. — 6226 mich verdunket, mich dünkt übel.
X. MOROLD. 213 die suln mit mir ze kampfe gân! dar zuo hân ich willigen muot, der selbe ist ouch ze kampfe guot; und helfent mir die selben drî, swie unversuocht ich anders si, sô hân ich guoten trôst dar an, ich genése wol vor einem man.» 6190 6195 (157) «Hêrrè», sprach al diu ritterschaft «diu héilige gotes kraft, diu al die werlt geschaffen hât, diu vergélte iu trôst unde rât únde den sæleclîchen wân, den ir uns allen habet getân. hêrrè, lât iu daz ende sagen: unser rât mac lützel vür getragen. solt’ unser sælde hân geruocht, sô vil sô wir sîn hân versuocht, als ofte es ie begunnen wart, ez ware niht biz her gespart. wir háben niht z'éinem mâle wir hie ze Kurnewâle umb' unser angest rât genomen; wir sîn an manege sprâche komen und enkunden doch deheinen nie undèr uns vinden, ern wolt' ie sîn kint vür eigen gerner geben, dan er verlür sîn selbes leben wider disen vâlandes man.» «wie redet ir sus!» sprach Tristan "jâ ist der dinge vil geschehen; man hât des wúndér gesehen, daz únréhtiu hôchvárt mit kleiner kraft genidert wart: daz möhte ouch vil wol noch ergân, der ez getörsté bestân.» 6200 6205 6210 6215 6220 Nu Môrolt der hôrt' allez an und verdûhte in sêre, daz Tristan 6225 6201 cinem wàn inon = einem Hoffnung machen. — 6204 getragen = tragen. vür getr., vorwärts bringen, fördern ; hier intrans., helfen, nützen ; vgl. 9178 und zu 7267. — 6212 sprâche stf., Unterredung, Verhandlung. 6217 valant stm., Teufel. vàlandes man braucht Gottfried öfters, z. B. in V. 6910. 16069 ; ferner des vâlandes barn 15965. — 6226 mich verdunket, mich dünkt übel.
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214 X. MOROLD. (158) sô vaste nach dem kampfe sprach, dô er'n sô kindéschen sach, und truog im in dem herzen haz. Tristan sprach aber dô vürbaz: «ir hêrren alle, redet hie zuo, waz ist iu noch liep, daz ich tuo?» «hêrre», sprâchen s' alle dô «kunde ez iemer werden sô, der wân, den ir uns habet getân, daz der möhte vür sich gân, daz ware unser aller ger.» «ist iu daz liep?" sprach aber er «sît daz ez danne an dise frist und her ze mir behalten ist, wil es dan got geruochen, sô wil ich versuochen, ob iu got habe ûf geleit an mir deheine sælekeit und obe ich selbe iht sælden habe.» Hie begúnde in Marke leiten abe mit allen sînen sinnen. er wânde im abe gewinnen, ob er'z in lâzen hieze, daz er ez durch in lieze. néin er, weizgot, er entete; weder mit gebote noch mit bete kund' er im sô vil niht mite gegân, 6230 6235 6240 6245 6250 6227 sprechen näch etew., (sprechend) nach etwas verlangen, etwas fordern. — 6228 kindesch adj., nicht in unserm Sinne: kindisch im Gegensatze zu: kindlich, sondern: kindlich, jung, knabenhaft. — 6240 die Erklärung im mhd. Wörterbuche I, 620b, 34 von ze mir behalten ist «nicht früher ge- schehen ist», scheint mir nicht bestimmt genug; vielmehr entspricht die Wendung wohl unserer: mir vorbehalten ist. ze mir gehört nicht zu her, bis auf mich, sondern an dise frist und her (bisher) ist eine tautologische Wendung ganz im Stile Gottfried's. — 6243 uf legen, hier: aufwenden, bestimmen. 6246 abe leiten = unserm: abbringen (von einem Entschlusse). 6248 abe gewinnen mit dat., von einem erlangen. — 6252. 6253 die Erklä- rung im mhd. Wörterbuche I, 467b, 20 von im sô vil mite gegûn «so viel über ihn gewinnen, vermögen» bezieht das Subject des Satzes auf Marke, wohl veranlasst durch weder mit gebote noch mil bete (ebenso die Uber- setzer), passender ist er in V. 6253 auf Tristan zu beziehen und mile gegan (verst. gân, im Ganzen selten) mit dat. bedeutet wie in V. 3617: einem folgen, sich willfährig zeigen. Jene Formel kann eben in ihrer Natur als Formel auch passiv gefasst werden : Tristan konnte ihm, dem König Marke, trotz allen Bittens nicht soweit sich willfährig erweisen, daß er um seinet- willen von seinem Entschlusse abstand, sondern gieng hin u. s. w. —
214 X. MOROLD. (158) sô vaste nach dem kampfe sprach, dô er'n sô kindéschen sach, und truog im in dem herzen haz. Tristan sprach aber dô vürbaz: «ir hêrren alle, redet hie zuo, waz ist iu noch liep, daz ich tuo?» «hêrre», sprâchen s' alle dô «kunde ez iemer werden sô, der wân, den ir uns habet getân, daz der möhte vür sich gân, daz ware unser aller ger.» «ist iu daz liep?" sprach aber er «sît daz ez danne an dise frist und her ze mir behalten ist, wil es dan got geruochen, sô wil ich versuochen, ob iu got habe ûf geleit an mir deheine sælekeit und obe ich selbe iht sælden habe.» Hie begúnde in Marke leiten abe mit allen sînen sinnen. er wânde im abe gewinnen, ob er'z in lâzen hieze, daz er ez durch in lieze. néin er, weizgot, er entete; weder mit gebote noch mit bete kund' er im sô vil niht mite gegân, 6230 6235 6240 6245 6250 6227 sprechen näch etew., (sprechend) nach etwas verlangen, etwas fordern. — 6228 kindesch adj., nicht in unserm Sinne: kindisch im Gegensatze zu: kindlich, sondern: kindlich, jung, knabenhaft. — 6240 die Erklärung im mhd. Wörterbuche I, 620b, 34 von ze mir behalten ist «nicht früher ge- schehen ist», scheint mir nicht bestimmt genug; vielmehr entspricht die Wendung wohl unserer: mir vorbehalten ist. ze mir gehört nicht zu her, bis auf mich, sondern an dise frist und her (bisher) ist eine tautologische Wendung ganz im Stile Gottfried's. — 6243 uf legen, hier: aufwenden, bestimmen. 6246 abe leiten = unserm: abbringen (von einem Entschlusse). 6248 abe gewinnen mit dat., von einem erlangen. — 6252. 6253 die Erklä- rung im mhd. Wörterbuche I, 467b, 20 von im sô vil mite gegûn «so viel über ihn gewinnen, vermögen» bezieht das Subject des Satzes auf Marke, wohl veranlasst durch weder mit gebote noch mil bete (ebenso die Uber- setzer), passender ist er in V. 6253 auf Tristan zu beziehen und mile gegan (verst. gân, im Ganzen selten) mit dat. bedeutet wie in V. 3617: einem folgen, sich willfährig zeigen. Jene Formel kann eben in ihrer Natur als Formel auch passiv gefasst werden : Tristan konnte ihm, dem König Marke, trotz allen Bittens nicht soweit sich willfährig erweisen, daß er um seinet- willen von seinem Entschlusse abstand, sondern gieng hin u. s. w. —
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X. MOROLD. 215 (159) daz er ez durch in wolde lân; wan gieng êt hin, dâ Môrolt saz und redete aber dô vürbaz: «hêrre», sprach er «saget mir, sô helfe iu got, waz werbet ir?" «friunt», sprach Môrolt sâ zestunt «wes frâget ir ? in ist wol kunt, waz ich hie wirbe und wes ich ger.» «ir hêrren alle, hœret her : der künec mîn hêrre und sîne man!» sprach aber der wîse Tristán; “ min hêr Môrolt, ir habet wâr, ich weiz ez unde erkenne ez gar: al si ez lasterbære, ez ist iedoch ein mæere, daz niemen undertreten mac: man hât den zins nu manegen tac von hinnen und von Engelant ze Irlanden âne reht gesant. dar zuo brach ez sich lange mit michélme getwange, mit mánegém gewalte, wan man den landen valte beidiu bürge unde stete und in ouch an den liuten tete sô grôzen und sô manegen schaden, biz daz si wurden überladen mit gewálte und mit unrehte, unz daz die guoten knehte, die dannoch wârén genesen, die muosen undertænic wesen alles, des man in gebôt, durch daz si vórhtén den tôt, 6260 6265 6270 6275 6280 6255 6285 6260 wes adv. gen., weshalb. — 6264 wîs, wise adj., nicht ethisch zu fassen wie das heutige Wort, sondern = klug, verständig. — 6267 al, hier Con- junction vertretend mit folg. Conjunctiv = al eine, allein, wenn, obschon ; vgl. 10535. — lasterbare adj., schmachvoll. — 6269 undertreten stv., unter- drücken, ungeschehen machen. — 6273 sich brechen, eine seltene Wen- dung, am häufigsten noch im Mitteld., steht hier wohl ähnlich wie in V. 11314, nur unpers. Die Grundbedeutung oder das zu Grunde liegende Bild vor der Hand unbekannt; gesagt soll werden: dazu entschied es sich, dahin gelangte man. — 6274 getwanc stm., hier: Zwangsmaßregel, Gewaltstreich. — 6284 undertœnic adj. = nhd. unterthänig, unterworfen ; der Genetiv (alles) steht nicht wie sonst der Dativ direct abhängig, son- dern selbständig: in allem. —
X. MOROLD. 215 (159) daz er ez durch in wolde lân; wan gieng êt hin, dâ Môrolt saz und redete aber dô vürbaz: «hêrre», sprach er «saget mir, sô helfe iu got, waz werbet ir?" «friunt», sprach Môrolt sâ zestunt «wes frâget ir ? in ist wol kunt, waz ich hie wirbe und wes ich ger.» «ir hêrren alle, hœret her : der künec mîn hêrre und sîne man!» sprach aber der wîse Tristán; “ min hêr Môrolt, ir habet wâr, ich weiz ez unde erkenne ez gar: al si ez lasterbære, ez ist iedoch ein mæere, daz niemen undertreten mac: man hât den zins nu manegen tac von hinnen und von Engelant ze Irlanden âne reht gesant. dar zuo brach ez sich lange mit michélme getwange, mit mánegém gewalte, wan man den landen valte beidiu bürge unde stete und in ouch an den liuten tete sô grôzen und sô manegen schaden, biz daz si wurden überladen mit gewálte und mit unrehte, unz daz die guoten knehte, die dannoch wârén genesen, die muosen undertænic wesen alles, des man in gebôt, durch daz si vórhtén den tôt, 6260 6265 6270 6275 6280 6255 6285 6260 wes adv. gen., weshalb. — 6264 wîs, wise adj., nicht ethisch zu fassen wie das heutige Wort, sondern = klug, verständig. — 6267 al, hier Con- junction vertretend mit folg. Conjunctiv = al eine, allein, wenn, obschon ; vgl. 10535. — lasterbare adj., schmachvoll. — 6269 undertreten stv., unter- drücken, ungeschehen machen. — 6273 sich brechen, eine seltene Wen- dung, am häufigsten noch im Mitteld., steht hier wohl ähnlich wie in V. 11314, nur unpers. Die Grundbedeutung oder das zu Grunde liegende Bild vor der Hand unbekannt; gesagt soll werden: dazu entschied es sich, dahin gelangte man. — 6274 getwanc stm., hier: Zwangsmaßregel, Gewaltstreich. — 6284 undertœnic adj. = nhd. unterthänig, unterworfen ; der Genetiv (alles) steht nicht wie sonst der Dativ direct abhängig, son- dern selbständig: in allem. —
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216 X. MOROLD. und enmóhten, alse in was getân, die zît niht anders ane gegân. als ist daz michel únréht, als ir noch hiutes tages seht, an in begangen iemer sît, und ware zwâre lange zît, daz sî der grôzen swáchéit mit wîge hæten widerseit, wan sî sint sêre vür kómen: diu lant diu habent zuo genomen an kunden unde an gesten, an steten unde an vesten, an guote unde an êren. man sol ez widerkêren, daz unze her verkêret ist, wan unser állér genist muoz sus hin an gewalte wesen; súln wir iemér genesen, daz müezen wir beherten mit wige und mit herverten. unser dinc stât an den liuten wol, diu lant sint beidiu liute vol. man sol ez uns her wider geben, daz man uns allez unser leben mit gewalte hât genomen. wir suln dar selbe zuo z'in komen, swenn’ uns got schieréste lât; swaz man des unseren dâ hât, ez si lützel oder vil, der mînes willen volgen wil und mînes râtes dar an pflegen, man muoz ez uns her wider wegen, 6290 6295 6300 6305 6310 6315 6288 zit, hier: Lage, Zustand: die z. adv. acc., in der Lage. — 6292 iang wohl adv., (schon) lange, längst. — 6293 swacheit stf., Schmach. — 6294 widersagen mit dat., absagen, sich entschlagen ; vgl. zu 6606. — 6295 vür komen, hier: vorwärts komen; vgl. vürbaz k. 1820. — 6300 widerkeren swv., (zurückwenden), zurückerstatten, ersetzen. — 6301 verkêren swv., verwandeln, verändern, verderben. — 6302 genist stf., Rettung, Sicherheit. — 6305 beherten swv., erhärten, erzwingen. — 6306 herverten dat. pl. von hervart stf., Heerfahrt, Feldzug; vielleicht auch herverten swv. subst. inf. stn., etwa: Kriegmachen; letzteres würde besser zum Singular wîge passen. — 6313 schiereste superl. zu schiere adv. (1123) , auf das schnellste = nhd. sobald als möglich. — 6316 volgen swv. im Mhd. mit gen. der Sache. — 6318 her wider wegen stv., (zurückwagen), vergelten. —
216 X. MOROLD. und enmóhten, alse in was getân, die zît niht anders ane gegân. als ist daz michel únréht, als ir noch hiutes tages seht, an in begangen iemer sît, und ware zwâre lange zît, daz sî der grôzen swáchéit mit wîge hæten widerseit, wan sî sint sêre vür kómen: diu lant diu habent zuo genomen an kunden unde an gesten, an steten unde an vesten, an guote unde an êren. man sol ez widerkêren, daz unze her verkêret ist, wan unser állér genist muoz sus hin an gewalte wesen; súln wir iemér genesen, daz müezen wir beherten mit wige und mit herverten. unser dinc stât an den liuten wol, diu lant sint beidiu liute vol. man sol ez uns her wider geben, daz man uns allez unser leben mit gewalte hât genomen. wir suln dar selbe zuo z'in komen, swenn’ uns got schieréste lât; swaz man des unseren dâ hât, ez si lützel oder vil, der mînes willen volgen wil und mînes râtes dar an pflegen, man muoz ez uns her wider wegen, 6290 6295 6300 6305 6310 6315 6288 zit, hier: Lage, Zustand: die z. adv. acc., in der Lage. — 6292 iang wohl adv., (schon) lange, längst. — 6293 swacheit stf., Schmach. — 6294 widersagen mit dat., absagen, sich entschlagen ; vgl. zu 6606. — 6295 vür komen, hier: vorwärts komen; vgl. vürbaz k. 1820. — 6300 widerkeren swv., (zurückwenden), zurückerstatten, ersetzen. — 6301 verkêren swv., verwandeln, verändern, verderben. — 6302 genist stf., Rettung, Sicherheit. — 6305 beherten swv., erhärten, erzwingen. — 6306 herverten dat. pl. von hervart stf., Heerfahrt, Feldzug; vielleicht auch herverten swv. subst. inf. stn., etwa: Kriegmachen; letzteres würde besser zum Singular wîge passen. — 6313 schiereste superl. zu schiere adv. (1123) , auf das schnellste = nhd. sobald als möglich. — 6316 volgen swv. im Mhd. mit gen. der Sache. — 6318 her wider wegen stv., (zurückwagen), vergelten. —
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X. MOROLD. 217 (160) unz an den júngésten rinc. ie noch möht' unser méssínc ze rôtem golde werden. ez ist vil ûf der erden fremeder dingé geschehen, der man sich niemer hât versehen, und dirre hêrren edeliu kint, diu dâ ze schalken worden sint, die möhten noch wol werden frî, swie ungedâht es in doch sî : got sî, der mich des noch gewer! wan ich’s in sînem namen ger, daz ich noch mit mîn selbes hant den hérvánen in Irlant mit disen lantgenôzen alsô müez' uf gestôzen, daz daz lant und diu erde von mir genidert werde.» 6320 6325 6330 6335 Môrolt sprach aber: «hêr Tristan, næmet ir iuch minner an dirre dínge und dirre mære, ich wæne, ez iu guot wære; wan swaz hier under rede geschiht, wirn lâzen doch dar umbe niht, des wir ze rehte sülen hân." hie mite gienc er vür Marken stân: «künec Márke», sprach er «sprechet hie, lât hoeren, ir und alle die, die hie ze gegenwürte sint mit mir ze redene umbe ir kint, bescheidet mich der mære baz: ist iuwer aller wille daz and lit ouch iuwer muot dar an, als iuwer voget, hêr Tristan, mit worten hie bescheiden hât ?" «jâ, hêrre, eist unser aller rât, unser wille und unser muot, swaz er gesprichet oder getuot.» 6340 6345 6350 6355 6319 sprichwortliche Wendung ; ist hier rinc = Fingerring, oder Ring im Panzerhemd? (vgl. 9508) jedenfalls: kleinster Theil; vgl. eines ringes niht Gute Frau 1019; die Wendung etwa = bis auf den letzten Pfennig. 6347 ee gegenwurte, in Gegenwart, zugegen, gegenwärtig. — 0356 ge- sprechen, verst. sprechen.
X. MOROLD. 217 (160) unz an den júngésten rinc. ie noch möht' unser méssínc ze rôtem golde werden. ez ist vil ûf der erden fremeder dingé geschehen, der man sich niemer hât versehen, und dirre hêrren edeliu kint, diu dâ ze schalken worden sint, die möhten noch wol werden frî, swie ungedâht es in doch sî : got sî, der mich des noch gewer! wan ich’s in sînem namen ger, daz ich noch mit mîn selbes hant den hérvánen in Irlant mit disen lantgenôzen alsô müez' uf gestôzen, daz daz lant und diu erde von mir genidert werde.» 6320 6325 6330 6335 Môrolt sprach aber: «hêr Tristan, næmet ir iuch minner an dirre dínge und dirre mære, ich wæne, ez iu guot wære; wan swaz hier under rede geschiht, wirn lâzen doch dar umbe niht, des wir ze rehte sülen hân." hie mite gienc er vür Marken stân: «künec Márke», sprach er «sprechet hie, lât hoeren, ir und alle die, die hie ze gegenwürte sint mit mir ze redene umbe ir kint, bescheidet mich der mære baz: ist iuwer aller wille daz and lit ouch iuwer muot dar an, als iuwer voget, hêr Tristan, mit worten hie bescheiden hât ?" «jâ, hêrre, eist unser aller rât, unser wille und unser muot, swaz er gesprichet oder getuot.» 6340 6345 6350 6355 6319 sprichwortliche Wendung ; ist hier rinc = Fingerring, oder Ring im Panzerhemd? (vgl. 9508) jedenfalls: kleinster Theil; vgl. eines ringes niht Gute Frau 1019; die Wendung etwa = bis auf den letzten Pfennig. 6347 ee gegenwurte, in Gegenwart, zugegen, gegenwärtig. — 0356 ge- sprechen, verst. sprechen.
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218 X. MOROLD. Môrolt sprach aber: «sô brechet ir minem hêrren unde mir (161) iuwer triuwe und iuwern eit und allé die sicherheit, diu under uns allen ie geschach.» der hövesche Tristan aber dô sprach: «nein, hêrre, ir misseredet hier an: ez lûtet übele, swer dem man an sîne triuwe sprichet. ir aller keiner brichet weder triuwe nóch éit. ein gelübede unde ein sicherheit wart wîlen under iu getân, die sol man ouch noch stæte lân, daz si álle jâr ze Irlanden mit guotem willen sanden von Kurnewal und von Engelant den zins, der in dâ wart benant, oder áber si sazten sich ze wer mit einwig' oder mit lanthér. sint sî der dinge noch bereit und loesent ir triuw’ unde ir eit mit zinse oder mit vehte, sô tuont s'iu allez rehte. hêrre, hie zuo denket ir: berâtet iuch und saget mir, sweder iu lieber si getân: an swederz ir iuch wellet lân, an kámpf óder an lántstrît, des sît ir nû und alle zît an uns gewis und ouch gewert. ez müezen doch sper unde swert 6360 6365 6370 6375 6380 6385 6363 missereden swv., übel reden. — 6365 sprechen mit dat. und præp. an c. acc., «sich nachtheilig über einen äufsern in Bezug auf...» Benecke ; einem etwas antasten. — 6368 gelübede nicht stn. = nhd., sondern stf., sonst würde in den Hss. wohl in V. 6370 diu stehen (dagegen in V. 10502. 15032 stn.), doch vgl. V. 2544 die (kleider): nie. — 6369 wilen adv. (dat. pl. von wîle), zur Zeit, unser: weiland (dieses aus wilent mit unorganischem 1), einst; vgl. zu 833. — 6370 state (adj.) lân, beständig lassen, bestehen lassen, aufrecht erhalten. — 6376 lanther stn., Heer des Landes, gesammte Streitmacht. — 6381 denken hie zuo, darauf denken, etwas überlegen. — 6384 sich lâzen an etew., sich einer Sache hingeben, sich für etwas ent- scheiden. — 6385 kampf stm., hier insbesondere: Einzelkampf = einwic 5972. — lantstrît stm. = lantrelte 5973. —
218 X. MOROLD. Môrolt sprach aber: «sô brechet ir minem hêrren unde mir (161) iuwer triuwe und iuwern eit und allé die sicherheit, diu under uns allen ie geschach.» der hövesche Tristan aber dô sprach: «nein, hêrre, ir misseredet hier an: ez lûtet übele, swer dem man an sîne triuwe sprichet. ir aller keiner brichet weder triuwe nóch éit. ein gelübede unde ein sicherheit wart wîlen under iu getân, die sol man ouch noch stæte lân, daz si álle jâr ze Irlanden mit guotem willen sanden von Kurnewal und von Engelant den zins, der in dâ wart benant, oder áber si sazten sich ze wer mit einwig' oder mit lanthér. sint sî der dinge noch bereit und loesent ir triuw’ unde ir eit mit zinse oder mit vehte, sô tuont s'iu allez rehte. hêrre, hie zuo denket ir: berâtet iuch und saget mir, sweder iu lieber si getân: an swederz ir iuch wellet lân, an kámpf óder an lántstrît, des sît ir nû und alle zît an uns gewis und ouch gewert. ez müezen doch sper unde swert 6360 6365 6370 6375 6380 6385 6363 missereden swv., übel reden. — 6365 sprechen mit dat. und præp. an c. acc., «sich nachtheilig über einen äufsern in Bezug auf...» Benecke ; einem etwas antasten. — 6368 gelübede nicht stn. = nhd., sondern stf., sonst würde in den Hss. wohl in V. 6370 diu stehen (dagegen in V. 10502. 15032 stn.), doch vgl. V. 2544 die (kleider): nie. — 6369 wilen adv. (dat. pl. von wîle), zur Zeit, unser: weiland (dieses aus wilent mit unorganischem 1), einst; vgl. zu 833. — 6370 state (adj.) lân, beständig lassen, bestehen lassen, aufrecht erhalten. — 6376 lanther stn., Heer des Landes, gesammte Streitmacht. — 6381 denken hie zuo, darauf denken, etwas überlegen. — 6384 sich lâzen an etew., sich einer Sache hingeben, sich für etwas ent- scheiden. — 6385 kampf stm., hier insbesondere: Einzelkampf = einwic 5972. — lantstrît stm. = lantrelte 5973. —
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X. MOROLD. 219 under úns und iu bescheiden: nu kieset under den beiden ir einez unde saget uns daz: der zins enlîchet nû niht baz.» 6390 (162) Môrolt sprach aber: «hêr Tristan, hie bin ich schiere komen an; ich weiz wol, wederz ich dâ wil. mîn ist hie nû niht alse vil, daz ich ze lántstrîte iht gewärlîche rite. ich fuor von lande über mer mit einem heinlîchen her und kom vil frideliche her in disiu rîche, als ich ê mâles hân getân. ich wânde, ez sus niht solte ergân. i'ne versach mich dirre geschiht an dise lanthêrren niht; ich wânde varn von hinnen mit rehte und ouch mit minnen: nu habt ir mir wîc vür geleit, dar zuo bin ich noch unbereit.» 6395 6400 6405 6410 Tristan sprach: «hêrre, ist iuwer muot ze einem lántstrîte guot, sô kêret úmbé zehant, vart wider heim in iuwer lant, besendet iuwer ritterschaft, besament alle iuwer kraft und kumet her wider und lât uns sehen, wie unde waz uns süle geschehen; und tuot ir des niht zwâre in disem halben jâre, sô nemet ir unser dâ z'iu war: 6415 6420 6389 bescheiden stv. = entscheiden. — 6392 lîchen (das einfache Wort; vgl. getîchen 4596) swv., gefallen; vgl. 14077. 6394 an komen, ans Ziel kommen, zur Entscheidung (in der Wahl) gelangen. — 6398 gewärlîche adv., sicher, ohne Gefahr. — 6400 heinlîch adj. könnte hier bedeuten : heimisch ; mit einer Schaar aus der nächsten Um- gebung, « Dienerschaar»: Hermann Kurtz und danach Simrock ; vielleicht ist heinlîch aber innerlicher zu fassen: vertraut, befreundet; etwa: mit ein paar Freunden. — 6405 sich versehen mit gen. im Mhd. verbunden mit an c. acc. = nhd. an c. dat., häufiger mit von. 6416 besamen, besamenen swv., versammeln. — 6421 z'iu, zu euch, bei euch, in euerm Lande. —
X. MOROLD. 219 under úns und iu bescheiden: nu kieset under den beiden ir einez unde saget uns daz: der zins enlîchet nû niht baz.» 6390 (162) Môrolt sprach aber: «hêr Tristan, hie bin ich schiere komen an; ich weiz wol, wederz ich dâ wil. mîn ist hie nû niht alse vil, daz ich ze lántstrîte iht gewärlîche rite. ich fuor von lande über mer mit einem heinlîchen her und kom vil frideliche her in disiu rîche, als ich ê mâles hân getân. ich wânde, ez sus niht solte ergân. i'ne versach mich dirre geschiht an dise lanthêrren niht; ich wânde varn von hinnen mit rehte und ouch mit minnen: nu habt ir mir wîc vür geleit, dar zuo bin ich noch unbereit.» 6395 6400 6405 6410 Tristan sprach: «hêrre, ist iuwer muot ze einem lántstrîte guot, sô kêret úmbé zehant, vart wider heim in iuwer lant, besendet iuwer ritterschaft, besament alle iuwer kraft und kumet her wider und lât uns sehen, wie unde waz uns süle geschehen; und tuot ir des niht zwâre in disem halben jâre, sô nemet ir unser dâ z'iu war: 6415 6420 6389 bescheiden stv. = entscheiden. — 6392 lîchen (das einfache Wort; vgl. getîchen 4596) swv., gefallen; vgl. 14077. 6394 an komen, ans Ziel kommen, zur Entscheidung (in der Wahl) gelangen. — 6398 gewärlîche adv., sicher, ohne Gefahr. — 6400 heinlîch adj. könnte hier bedeuten : heimisch ; mit einer Schaar aus der nächsten Um- gebung, « Dienerschaar»: Hermann Kurtz und danach Simrock ; vielleicht ist heinlîch aber innerlicher zu fassen: vertraut, befreundet; etwa: mit ein paar Freunden. — 6405 sich versehen mit gen. im Mhd. verbunden mit an c. acc. = nhd. an c. dat., häufiger mit von. 6416 besamen, besamenen swv., versammeln. — 6421 z'iu, zu euch, bei euch, in euerm Lande. —
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220 X. MOROLD. sô kome wir sicherlichen dar. man hât uns doch hie vor gezalt, gewált hoere wider gewalt und kráft wider krefte. sît man mit ritterschefte lant unde reht sol swachen, hêrrèn ze schalken machen, und daz ein billîch wesen sol, so getrûwen wir des gote wol, daz unser aller swáchéit noch werde wider hin z'iu geleit.» 6425 6430 (163) “ Got weiz», sprach Môrolt «hêr Tristan, ich hoere vil wol, daz ein man, der nie ze solhem schalle kam noch dirre drô nie niht vernam, dem wæeren disiu mare sorclîch und angestbære: ich trûwe ir aber vil wol genesen. ich bin ouch dicker dâ gewesen, dâ schallen unde hôchvárt mit solher rede getriben wart. ez ist wol der geloube min, Gurmûn well' âne sorge sîn umbè sîn liut und umbe sîn lant vor iuwerm vanen unde iuwerr hant. ouch wirt dis übermüetekeit, man breche uns danne triuwe und eit, niemèr gespart ze Irlanden: wir suln ez hie mit handen, wir zwêne, under uns beiden in einem ringe scheiden, weder ir reht habet oder ich.» 6435 6440 6445 6450 6429 billich stm. (9374), (Billigkeit). Angemessenheit, Recht; von Gottfried gerne gebraucht. — 6432 wider geleit werden, zurückfallen; hin z'iu, auf euch; frei: euch vergolten werde. 6435 schal stm., hier : Lärm, Gezänk. — 6436 dirre drô ist nicht Plural dieser Drohungen, sondern Sing.: solcher Drohung. — 6438 sorclîch adj.. Besorgniss erregend. — angestbere adj., gefährlich, ängstlich. — 6441 schallen swv. subst. inf. stn. hat hier wohl andere Bedeutung als schal in V. 6435, námlich synonym von höchvart: Prablen. — 6444 wellen ist hier Hülfswort für das Futurum. — 6447 übermüetekeit stf. = übermuot. — 6449 sparn swv., hier: unbeachtet lassen, vergessen; oder: erlassen, ungestraft lassen? — 6452 rinc stm., hier: Kampfplatz, Schranke, dann übertragen: Kampf. Duell; vgl. 6783. — scheiden stv., hier: entscheiden.
220 X. MOROLD. sô kome wir sicherlichen dar. man hât uns doch hie vor gezalt, gewált hoere wider gewalt und kráft wider krefte. sît man mit ritterschefte lant unde reht sol swachen, hêrrèn ze schalken machen, und daz ein billîch wesen sol, so getrûwen wir des gote wol, daz unser aller swáchéit noch werde wider hin z'iu geleit.» 6425 6430 (163) “ Got weiz», sprach Môrolt «hêr Tristan, ich hoere vil wol, daz ein man, der nie ze solhem schalle kam noch dirre drô nie niht vernam, dem wæeren disiu mare sorclîch und angestbære: ich trûwe ir aber vil wol genesen. ich bin ouch dicker dâ gewesen, dâ schallen unde hôchvárt mit solher rede getriben wart. ez ist wol der geloube min, Gurmûn well' âne sorge sîn umbè sîn liut und umbe sîn lant vor iuwerm vanen unde iuwerr hant. ouch wirt dis übermüetekeit, man breche uns danne triuwe und eit, niemèr gespart ze Irlanden: wir suln ez hie mit handen, wir zwêne, under uns beiden in einem ringe scheiden, weder ir reht habet oder ich.» 6435 6440 6445 6450 6429 billich stm. (9374), (Billigkeit). Angemessenheit, Recht; von Gottfried gerne gebraucht. — 6432 wider geleit werden, zurückfallen; hin z'iu, auf euch; frei: euch vergolten werde. 6435 schal stm., hier : Lärm, Gezänk. — 6436 dirre drô ist nicht Plural dieser Drohungen, sondern Sing.: solcher Drohung. — 6438 sorclîch adj.. Besorgniss erregend. — angestbere adj., gefährlich, ängstlich. — 6441 schallen swv. subst. inf. stn. hat hier wohl andere Bedeutung als schal in V. 6435, námlich synonym von höchvart: Prablen. — 6444 wellen ist hier Hülfswort für das Futurum. — 6447 übermüetekeit stf. = übermuot. — 6449 sparn swv., hier: unbeachtet lassen, vergessen; oder: erlassen, ungestraft lassen? — 6452 rinc stm., hier: Kampfplatz, Schranke, dann übertragen: Kampf. Duell; vgl. 6783. — scheiden stv., hier: entscheiden.
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X. MOROLD. 221 Tristan sprach aber: «diz muoz ich mit gotes helfe erzeigen und müeze den geveigen, der unreht under uns beiden habe.» sînen hantschuoch zôh er abe, er bôt in Môrólde dar: «ir hêrren», sprach er «nemet war: der künec mîn hêrre und alle die, die hie sîn, die hoeren, wie ich disen kampf bespreche, daz ich daz reht niht breche; daz min hêr Môrolt, der hie stât, noch der in her gesendet hât, noch mit gewalt kein ander man zins ze rehte nie gewan ze Kurnewâle noch z' Engelant: daz wil ich mit mîner hant wâr machen und wârbaren, gote únde der werlt bewæren ûf disen hêrren, der hie stât, der unze her gefrumet hât daz laster und daz ungemach, daz disen zwein landen ie geschach.» 6460 6465 6470 6455 6475 Dâ rief an der stunde von herzen und von munde (164) manec édeliu zunge hin ze gote, daz got mit sîném gebote bedæhte ir laster unde ir leit und lôste si von schálchéit. swaz aber ir aller swære von disem kampfe ware, daz gie Môrolde kleine ze herzen oder ze beine: er was vil unerkomen dâ van. 6480 6485 6456 müeze nicht ich müeze, sondern elliptisch und in freier Con- struction er müere, nämlich got. — geveigen swv., hier allgemein : verderben, vgl. zu 1669. — 6471 warbaren (zusammengeschrieben nach Hs. M und H) swv., als warbere erweisen, wahrscheinlich machen; vgl. zu 6880. 6480 gebot stn. entspricht hier nicht unserm : Gebot, vielmehr : Wille, Gewalt, Allmacht. — 6482 schalcheit stf., Knechtschaft. — 6485 die Wen- dung ze herzen und ze beine gén im Mhd. ziemlich häufig, von der wir nur einen Theil gerettet haben ; vgl. durch Mark und Bein. — 6487 unerkomen adj. part., unerschrocken, unberührt; vgl. zu 3224. —
X. MOROLD. 221 Tristan sprach aber: «diz muoz ich mit gotes helfe erzeigen und müeze den geveigen, der unreht under uns beiden habe.» sînen hantschuoch zôh er abe, er bôt in Môrólde dar: «ir hêrren», sprach er «nemet war: der künec mîn hêrre und alle die, die hie sîn, die hoeren, wie ich disen kampf bespreche, daz ich daz reht niht breche; daz min hêr Môrolt, der hie stât, noch der in her gesendet hât, noch mit gewalt kein ander man zins ze rehte nie gewan ze Kurnewâle noch z' Engelant: daz wil ich mit mîner hant wâr machen und wârbaren, gote únde der werlt bewæren ûf disen hêrren, der hie stât, der unze her gefrumet hât daz laster und daz ungemach, daz disen zwein landen ie geschach.» 6460 6465 6470 6455 6475 Dâ rief an der stunde von herzen und von munde (164) manec édeliu zunge hin ze gote, daz got mit sîném gebote bedæhte ir laster unde ir leit und lôste si von schálchéit. swaz aber ir aller swære von disem kampfe ware, daz gie Môrolde kleine ze herzen oder ze beine: er was vil unerkomen dâ van. 6480 6485 6456 müeze nicht ich müeze, sondern elliptisch und in freier Con- struction er müere, nämlich got. — geveigen swv., hier allgemein : verderben, vgl. zu 1669. — 6471 warbaren (zusammengeschrieben nach Hs. M und H) swv., als warbere erweisen, wahrscheinlich machen; vgl. zu 6880. 6480 gebot stn. entspricht hier nicht unserm : Gebot, vielmehr : Wille, Gewalt, Allmacht. — 6482 schalcheit stf., Knechtschaft. — 6485 die Wen- dung ze herzen und ze beine gén im Mhd. ziemlich häufig, von der wir nur einen Theil gerettet haben ; vgl. durch Mark und Bein. — 6487 unerkomen adj. part., unerschrocken, unberührt; vgl. zu 3224. —
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222 X. MOROLD. der wol gestándéne man dern leite ez niender nidere, er bôt ouch ime dâ widere des kámpfés bewæerde mit hértér gebaerde, mit fierer contenanze. in důhte disiu schanze vil wol nâch sînem willen wesen: er trûte ir harte wol genesen. 6490 6495 Nu diz gewisset was alsô, der kampf der wart den hêrren dô unz an den dritten tac gespart. nu daz der dritte tac dô wart, dô kom al diu lántscháft und volkes ein sô michel kraft, dáz daz stát bí dem mer allèz bevangen was mit her. Môrólt fuor wâfénen sich. mit des gewæefene wil ich noch mit sîner sterke mînes herzen merke noch mînes sinnes spitze sche mit nâhe mérkénder spehe niht stumpfen nóch lésten, sô dicke als er zem besten an rehter manheit ist gezalt: 6500 6505 6510 6488 gestanden part. adj., erfahren, bewährt. — 6489 nidere adv.=nider; vgl. zu 16953. nider legen behalten die Ubersetzer bei: "der vielversuchte Recke der legte den Span (Speer, Simrock) nicht nieder". H. Kurtz; der Sinn des Wortes ist aber hier vielmehr: hinlegen, bei Seite legen, abweisen. ez unbestimmt = Tristan's Forderung. — 6491 bewaerde stf., Beweis, Ent- scheidung, oder: Zeichen, Pfand (nämlich den Handschuh)? — 6493 fier adj., Fremdwort, stolz. — contenanze stf., Fremdwort = neufr. contenance, Haltung. — 6494 schanze stf., (franz. chance), Glücksspiel, Wagniss. — 6497 gewissen swv., gewiss machen, festsetzen. — 6501 lantschaft stf., hier im Gegensatz zu volc, die vornehme Vertretung des Landes, die Ritter- schaft, hérschaft. — 6504 bevangen part., (umfangen), eingenommen, ange- füllt. — 6506 gewafene stn. (collect. zu wafen), Bewaffnung, Rüstung. — 6508 merke stf., Aufmerksamkeit. — 6509 sehe stf., (das Sehen), Sehkraft. — 6510 nâhe merkendiu spehe stf., genau aufmerkendes Schauen. — 6511 stum- pſen swv., stumpf machen, abstumpfen. — lesten swv., belästigen. 6513 gezall part. von zaln oder zeln (vgl. 3065) swv., im stilistischen Gegen- satze zu zal stf., Erzählung, hier: zählen, rechnen. — Statt des Sing. zem besten gebrauchen wir den Plural oder Sing. von ein mit gen.: wie viel er auch zu den Besten an Tapferkeit gerechnet wird, als einer der Besten gilt. —
222 X. MOROLD. der wol gestándéne man dern leite ez niender nidere, er bôt ouch ime dâ widere des kámpfés bewæerde mit hértér gebaerde, mit fierer contenanze. in důhte disiu schanze vil wol nâch sînem willen wesen: er trûte ir harte wol genesen. 6490 6495 Nu diz gewisset was alsô, der kampf der wart den hêrren dô unz an den dritten tac gespart. nu daz der dritte tac dô wart, dô kom al diu lántscháft und volkes ein sô michel kraft, dáz daz stát bí dem mer allèz bevangen was mit her. Môrólt fuor wâfénen sich. mit des gewæefene wil ich noch mit sîner sterke mînes herzen merke noch mînes sinnes spitze sche mit nâhe mérkénder spehe niht stumpfen nóch lésten, sô dicke als er zem besten an rehter manheit ist gezalt: 6500 6505 6510 6488 gestanden part. adj., erfahren, bewährt. — 6489 nidere adv.=nider; vgl. zu 16953. nider legen behalten die Ubersetzer bei: "der vielversuchte Recke der legte den Span (Speer, Simrock) nicht nieder". H. Kurtz; der Sinn des Wortes ist aber hier vielmehr: hinlegen, bei Seite legen, abweisen. ez unbestimmt = Tristan's Forderung. — 6491 bewaerde stf., Beweis, Ent- scheidung, oder: Zeichen, Pfand (nämlich den Handschuh)? — 6493 fier adj., Fremdwort, stolz. — contenanze stf., Fremdwort = neufr. contenance, Haltung. — 6494 schanze stf., (franz. chance), Glücksspiel, Wagniss. — 6497 gewissen swv., gewiss machen, festsetzen. — 6501 lantschaft stf., hier im Gegensatz zu volc, die vornehme Vertretung des Landes, die Ritter- schaft, hérschaft. — 6504 bevangen part., (umfangen), eingenommen, ange- füllt. — 6506 gewafene stn. (collect. zu wafen), Bewaffnung, Rüstung. — 6508 merke stf., Aufmerksamkeit. — 6509 sehe stf., (das Sehen), Sehkraft. — 6510 nâhe merkendiu spehe stf., genau aufmerkendes Schauen. — 6511 stum- pſen swv., stumpf machen, abstumpfen. — lesten swv., belästigen. 6513 gezall part. von zaln oder zeln (vgl. 3065) swv., im stilistischen Gegen- satze zu zal stf., Erzählung, hier: zählen, rechnen. — Statt des Sing. zem besten gebrauchen wir den Plural oder Sing. von ein mit gen.: wie viel er auch zu den Besten an Tapferkeit gerechnet wird, als einer der Besten gilt. —
Strana 223
X. MOROLD. 223 (165) diu zal von ime ist manicvalt, daz er an muote, an grœeze, an kraft ze vollekomener ritterschaft daz lop in allen rîchen truoc. hie sî des lobes von ime genuoc. ich weiz wol, daz er kunde dô und ze aller stunde ze kampfe und ouch ze vehte nâch ríttéres rehte sînem lîbe vil wol mite gân. er hæte es ê sô vil getân. 6515 6520 6525 Der guote künic Marke dem gie der kampf sô starke mit herzeleide an sînen lip, daz nie kein herzelôsez wîp die nôt umb' einen man gewan. ern hæte deheinen trôst dar an, ez enware Tristándes tôt und hæte gerne jene nôt iemer umbe den zins geliten, dáz der kámpf wâre vermiten. nu ergieng ez aber allez baz umbe diz und umbe daz, umbe zins und umbe man. der unversuochte Tristán ze nôtlîchen dingen der begúnde ouch sich mit ringen warnen an der stunde, so er állerbeste kunde. sinen lip und sîniu bein diu bewarte er schône und wol enein ; dar über leite er edel werc, zwô hosen und einen hálspérc, die wâren lieht únde wîz, 6530 6535 6540 6545 6523 Gottfried's beliebtes mite gàn mit dat. (sinem libe) ist von H. Kurtz nicht getroffen: «seinen Leib wohl zieren auf dem Plan", was Simrock abschreibt; es soll hier ohne Zweifel gesagt werden: er konnte seiner Kraft vertrauen. 6528 herzelos adj., nicht in unserm Sinne: herzlos, gemüthlos, son- dern: muthlos, verzagt, schwach. — 6530 fg. activ gewendet: er glaubte (hiete indic.), es wäre u. s. w. — 6532 hœte conjunct. — 6538 fg. nhd. der 1n Nöthen unversuchte, unerfahrene Tristan. —
X. MOROLD. 223 (165) diu zal von ime ist manicvalt, daz er an muote, an grœeze, an kraft ze vollekomener ritterschaft daz lop in allen rîchen truoc. hie sî des lobes von ime genuoc. ich weiz wol, daz er kunde dô und ze aller stunde ze kampfe und ouch ze vehte nâch ríttéres rehte sînem lîbe vil wol mite gân. er hæte es ê sô vil getân. 6515 6520 6525 Der guote künic Marke dem gie der kampf sô starke mit herzeleide an sînen lip, daz nie kein herzelôsez wîp die nôt umb' einen man gewan. ern hæte deheinen trôst dar an, ez enware Tristándes tôt und hæte gerne jene nôt iemer umbe den zins geliten, dáz der kámpf wâre vermiten. nu ergieng ez aber allez baz umbe diz und umbe daz, umbe zins und umbe man. der unversuochte Tristán ze nôtlîchen dingen der begúnde ouch sich mit ringen warnen an der stunde, so er állerbeste kunde. sinen lip und sîniu bein diu bewarte er schône und wol enein ; dar über leite er edel werc, zwô hosen und einen hálspérc, die wâren lieht únde wîz, 6530 6535 6540 6545 6523 Gottfried's beliebtes mite gàn mit dat. (sinem libe) ist von H. Kurtz nicht getroffen: «seinen Leib wohl zieren auf dem Plan", was Simrock abschreibt; es soll hier ohne Zweifel gesagt werden: er konnte seiner Kraft vertrauen. 6528 herzelos adj., nicht in unserm Sinne: herzlos, gemüthlos, son- dern: muthlos, verzagt, schwach. — 6530 fg. activ gewendet: er glaubte (hiete indic.), es wäre u. s. w. — 6532 hœte conjunct. — 6538 fg. nhd. der 1n Nöthen unversuchte, unerfahrene Tristan. —
Strana 224
224 X. MOROLD. (166) alsô der meister sînen fliz und alle sîne wîshéit án si hâté geleit; zwên' edele sporen starke die spien im sîn friunt Marke und sin getriuwer dienestman mit wéinéndem herzen an. sine wâfenriemen er im bant alle mit sîn selbes hant. ein wâfenroc wart dar getragen, der was, alsô ich hôrte sagen, mit drîhen in den spelten zen fuogen und zen velten, ze allen sînen enden mit frouwînen henden in fremedem prîsé bedâht und noch prîslicher vollebrâht. 6550 6555 6560 Hi! dô er den an sich genam, wie lustic und wie lobesam er dô dar inne ware, daz ware sagebære, wan daz ab ich ez niht léngen wil. der rede würde alze vil, ob ich ez allez wolte ergründen, alse ich solte. und sult ir doch wol wizzen daz: 6565 6570 6552 spien præt. von spannen stv. (nhd. swv.). an sp. entspricht unserm: anschnallen [erhalten für das Anschirren]. — 6559 drîhe swf., Sticknadel. — spelte swf., Geräth zum Weben. Beide Worte im Plural drîhen und spelten werden oft zusammengestellt und synonym gebraucht, darum ist im mhd. Wb. I, 391a, 41 fg. vorgeschlagen statt in den spelten der Hss. zu lesen und mit spelten; die an sich ansprechende Conjectur ist aber der Uberlieferung gegenüber nicht in den Text zu setzen, auch kann die Er- klärung versucht werden, daf die Sticknadeln in die Webemaschine ein- gesetzt wurden , sodafs die Wendung stünde für den Begriff eines Compo- situms speltedrihe; Bech fasst spelten als dat. pl. von spall stm. =Schlitz. — 6560 fuoge stf., hier =nhd. Fuge; die Stelle an den gewirkten Klei- dern, welche der Naht entspricht. — velten dat. pl. von valt stm. (10918), Falte; gemeint ist wohl nicht der natürliche Faltenwurf, sondern die künstlichen Falten, die Stellen, wo das Rockzeug wirklich gefaltet wird. — 6562 fröuwin adj. zu frouwe, weiblich ; hier wieder die Adjectivwendung statt der Genetivzusammensetzung frouwenhenden; vgl. zu 2547. Das Adj. fröuwin [nhd. aufgegeben], bei Gottfried noch öfters z. B. 9349, kann ich sonst aus älterer Zeit nicht nachweisen. — 6564 prîslîch adj., preiswürdig, köstlich; prîslîcher comp. adv. 6565 Hî interj. bei Gottfried öfters z. B. 17967 ähnlich wie hei. — 6566 lustic adj., nicht in unserm Sinne: lustig, fröhlich, sondern lus! er- regend, anmuthig; vgl. 8263. —
224 X. MOROLD. (166) alsô der meister sînen fliz und alle sîne wîshéit án si hâté geleit; zwên' edele sporen starke die spien im sîn friunt Marke und sin getriuwer dienestman mit wéinéndem herzen an. sine wâfenriemen er im bant alle mit sîn selbes hant. ein wâfenroc wart dar getragen, der was, alsô ich hôrte sagen, mit drîhen in den spelten zen fuogen und zen velten, ze allen sînen enden mit frouwînen henden in fremedem prîsé bedâht und noch prîslicher vollebrâht. 6550 6555 6560 Hi! dô er den an sich genam, wie lustic und wie lobesam er dô dar inne ware, daz ware sagebære, wan daz ab ich ez niht léngen wil. der rede würde alze vil, ob ich ez allez wolte ergründen, alse ich solte. und sult ir doch wol wizzen daz: 6565 6570 6552 spien præt. von spannen stv. (nhd. swv.). an sp. entspricht unserm: anschnallen [erhalten für das Anschirren]. — 6559 drîhe swf., Sticknadel. — spelte swf., Geräth zum Weben. Beide Worte im Plural drîhen und spelten werden oft zusammengestellt und synonym gebraucht, darum ist im mhd. Wb. I, 391a, 41 fg. vorgeschlagen statt in den spelten der Hss. zu lesen und mit spelten; die an sich ansprechende Conjectur ist aber der Uberlieferung gegenüber nicht in den Text zu setzen, auch kann die Er- klärung versucht werden, daf die Sticknadeln in die Webemaschine ein- gesetzt wurden , sodafs die Wendung stünde für den Begriff eines Compo- situms speltedrihe; Bech fasst spelten als dat. pl. von spall stm. =Schlitz. — 6560 fuoge stf., hier =nhd. Fuge; die Stelle an den gewirkten Klei- dern, welche der Naht entspricht. — velten dat. pl. von valt stm. (10918), Falte; gemeint ist wohl nicht der natürliche Faltenwurf, sondern die künstlichen Falten, die Stellen, wo das Rockzeug wirklich gefaltet wird. — 6562 fröuwin adj. zu frouwe, weiblich ; hier wieder die Adjectivwendung statt der Genetivzusammensetzung frouwenhenden; vgl. zu 2547. Das Adj. fröuwin [nhd. aufgegeben], bei Gottfried noch öfters z. B. 9349, kann ich sonst aus älterer Zeit nicht nachweisen. — 6564 prîslîch adj., preiswürdig, köstlich; prîslîcher comp. adv. 6565 Hî interj. bei Gottfried öfters z. B. 17967 ähnlich wie hei. — 6566 lustic adj., nicht in unserm Sinne: lustig, fröhlich, sondern lus! er- regend, anmuthig; vgl. 8263. —
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X. MOROLD. 225 (167) der man gezam dem rocke baz und truog in lobes und êren an vil mêre danne der roc den man; swie guot, swie lobebære der wâfenroc doch wære, er was doch sîner werdekeit, der in dô hæte ane geleit, kûm' unde kûmecliche wert. dar über gurte im Marke ein swert, daz sin lében und sîn herze was, von dem er allermeist genas vor Môrold' und ouch dicke sider. und wac daz alsô rehte nider und lag ûf sîner strâze in sô gefüeger mâze, daz ez noch uf noch nider wac wan rehte, dâ sîn weide lac. ein helm wart ouch besendet dar, der was als ein kristalle var, lûter unde veste, der schoeneste únde der beste, den ie ritter uf genam. ich wæne ouch, ie sô guoter kam in daz lánt ze Kurnewâle. dar ûffe stuont diu strâle, der minnen wîsaginne, diu sît her mit der minne an ime vil wol bewæret wart, swie lange ez würde dar gespart. den sázte im Márke úf unde sprach: «â neve, daz ich dich ie gesach, 6580 6585 6590 6595 6600 6575 6581 kůmectîche adv. Bildung von kûme, kaum, bei weitem nicht. 6586 nider wegen stv. intrans., sich niederwärts bewegen, hängen: hier wird das Schwert gelobt, weil es in richtiger Weise im Gleichgewicht am Gurte hieng. — 6589 ûf und (noch) nider wegen, sich auf und nieder be- wegen, hier in leisem andern Sinne die Bewegung des Schwertes durch den, der es tragt und führt. — 6590 weide, hier bildlich: der Leib des Gegners; «die rechte Richte» (Kurtz, was Simrock abschreibt) ist vor- her schon charakterisiert durch strâze; wan rehte = als nur gerade. — 6592 kristalle (swf. 17116), Krystall stm. — var adj., farb, gefärbt, dann überhaupt: aussehend, beschaffen. — 6596 ie (nach wonen) = nie. — 6599 wi- saginne stf. (zu wîsage, auch wissage swm., ahd. wizago, nhd. entstellt: Weissager) , Prophetin; das poetische Wort entspricht hier wohl halbwegs unserm abstracten: Symbol; vgl. zu 4943 fg. Tristan hatte nicht bedeu- tungslos den Pfeil, das Emblem des Liebesgottes zum Helmschmucke, wenn sich dies auch später erst zeigen sollte. — GOTTFRIED VON STRASSPURG. I. 2. Aufl. 15
X. MOROLD. 225 (167) der man gezam dem rocke baz und truog in lobes und êren an vil mêre danne der roc den man; swie guot, swie lobebære der wâfenroc doch wære, er was doch sîner werdekeit, der in dô hæte ane geleit, kûm' unde kûmecliche wert. dar über gurte im Marke ein swert, daz sin lében und sîn herze was, von dem er allermeist genas vor Môrold' und ouch dicke sider. und wac daz alsô rehte nider und lag ûf sîner strâze in sô gefüeger mâze, daz ez noch uf noch nider wac wan rehte, dâ sîn weide lac. ein helm wart ouch besendet dar, der was als ein kristalle var, lûter unde veste, der schoeneste únde der beste, den ie ritter uf genam. ich wæne ouch, ie sô guoter kam in daz lánt ze Kurnewâle. dar ûffe stuont diu strâle, der minnen wîsaginne, diu sît her mit der minne an ime vil wol bewæret wart, swie lange ez würde dar gespart. den sázte im Márke úf unde sprach: «â neve, daz ich dich ie gesach, 6580 6585 6590 6595 6600 6575 6581 kůmectîche adv. Bildung von kûme, kaum, bei weitem nicht. 6586 nider wegen stv. intrans., sich niederwärts bewegen, hängen: hier wird das Schwert gelobt, weil es in richtiger Weise im Gleichgewicht am Gurte hieng. — 6589 ûf und (noch) nider wegen, sich auf und nieder be- wegen, hier in leisem andern Sinne die Bewegung des Schwertes durch den, der es tragt und führt. — 6590 weide, hier bildlich: der Leib des Gegners; «die rechte Richte» (Kurtz, was Simrock abschreibt) ist vor- her schon charakterisiert durch strâze; wan rehte = als nur gerade. — 6592 kristalle (swf. 17116), Krystall stm. — var adj., farb, gefärbt, dann überhaupt: aussehend, beschaffen. — 6596 ie (nach wonen) = nie. — 6599 wi- saginne stf. (zu wîsage, auch wissage swm., ahd. wizago, nhd. entstellt: Weissager) , Prophetin; das poetische Wort entspricht hier wohl halbwegs unserm abstracten: Symbol; vgl. zu 4943 fg. Tristan hatte nicht bedeu- tungslos den Pfeil, das Emblem des Liebesgottes zum Helmschmucke, wenn sich dies auch später erst zeigen sollte. — GOTTFRIED VON STRASSPURG. I. 2. Aufl. 15
Strana 226
226 X. MOROLD. daz wil ich gote vil tiure klagen: ich wil dem allem widersagen, dés kein man ze fröuden giht, ist, daz mir leide an dir geschiht.» 6605 Ein schilt der wart ouch dar besant; an dem hæt' ein gefüegiu hant gewendet allén ir fliz und was der niuwan silberwiz, durch daz er éinbére helm' unde ringen ware. er was ab gébrûnieret, mit lûtere gezieret reht' alse ein niuwe spiegelglas. ein eber dar ûf gesniten was vil meisterlîchen unde wol von swarzem zobel alsam ein kol: den leite im aber sîn oheim an. der stuont dem keiserlîchen man und fuogete ime zer sîten dô únd ze allen zîten als er dár gelîmet ware. 6610 6615 6620 6625 Nu daz der lobebære, der genéme kindésche man, Tristan den schilt an sich gewan, nu lûhten disiu vier wérc hélm únde hálspérc, schilt unde hosen ein ander an sô schône, op si der wéremán 6630 6605 tiure adv., innig, sehr [vgl. hoch und theuer]. — 6606 widersagen mit dat., hier: entsagen. — 6607 kein, dehein, hier: ein, je ein. 6615 brûnieren swv. Fremdwort (deutschen Stammes von brûn, glän- zend), glänzend machen, polieren. — 6616 lûtere dat. von lûter stn., das Lautere, die Lauterkeit (oder lûter, lûtere stf.? wie noch im J. Tit. 496, 3). So wird die Stelle wohl meist verstanden, weil sich V. 6617 gut daran- schliefst; lûter ist aber im Gegensatze zu dem Eber aus Zobel gar zu ab- stract ; sollte nicht zu denken sein an lutere dat. von luter (nachgewiesen in der Form lotter), Fremdwort aus lutra, die Fischotter? (Bech weist zur Bestätigung verschiedene Stellen nach; insbesondere das Adj. luter- vêch.) V. 6616 würde dann als ein eingeschobener Satz zu betrachten sein. Wir können uns denken, dafs der Otterpelz um den Rand des Schildes gieng, während der Eber von Zobel in der Mitte safs. — 6623 fuogete = fuogte, füegete von füegen swv. mit dat. (oder ein Verbum fuogen anzu- nehmen?), einem passen. 6632 wereman stn., Künstler; hauptsächlich der Schmiedekünstler; vgl. 10978. —
226 X. MOROLD. daz wil ich gote vil tiure klagen: ich wil dem allem widersagen, dés kein man ze fröuden giht, ist, daz mir leide an dir geschiht.» 6605 Ein schilt der wart ouch dar besant; an dem hæt' ein gefüegiu hant gewendet allén ir fliz und was der niuwan silberwiz, durch daz er éinbére helm' unde ringen ware. er was ab gébrûnieret, mit lûtere gezieret reht' alse ein niuwe spiegelglas. ein eber dar ûf gesniten was vil meisterlîchen unde wol von swarzem zobel alsam ein kol: den leite im aber sîn oheim an. der stuont dem keiserlîchen man und fuogete ime zer sîten dô únd ze allen zîten als er dár gelîmet ware. 6610 6615 6620 6625 Nu daz der lobebære, der genéme kindésche man, Tristan den schilt an sich gewan, nu lûhten disiu vier wérc hélm únde hálspérc, schilt unde hosen ein ander an sô schône, op si der wéremán 6630 6605 tiure adv., innig, sehr [vgl. hoch und theuer]. — 6606 widersagen mit dat., hier: entsagen. — 6607 kein, dehein, hier: ein, je ein. 6615 brûnieren swv. Fremdwort (deutschen Stammes von brûn, glän- zend), glänzend machen, polieren. — 6616 lûtere dat. von lûter stn., das Lautere, die Lauterkeit (oder lûter, lûtere stf.? wie noch im J. Tit. 496, 3). So wird die Stelle wohl meist verstanden, weil sich V. 6617 gut daran- schliefst; lûter ist aber im Gegensatze zu dem Eber aus Zobel gar zu ab- stract ; sollte nicht zu denken sein an lutere dat. von luter (nachgewiesen in der Form lotter), Fremdwort aus lutra, die Fischotter? (Bech weist zur Bestätigung verschiedene Stellen nach; insbesondere das Adj. luter- vêch.) V. 6616 würde dann als ein eingeschobener Satz zu betrachten sein. Wir können uns denken, dafs der Otterpelz um den Rand des Schildes gieng, während der Eber von Zobel in der Mitte safs. — 6623 fuogete = fuogte, füegete von füegen swv. mit dat. (oder ein Verbum fuogen anzu- nehmen?), einem passen. 6632 wereman stn., Künstler; hauptsächlich der Schmiedekünstler; vgl. 10978. —
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X. MOROLD. 227 (168) alle viere alsô hæt' ûf geleit, daz iegelîches schônhéit dem andern schoene bære und sîn geschœenet wære, sone kúnde ir aller vierer schîn ebenliehter niemer sîn. und aber daz niuwe wunder, daz dar inne und dar under ze schaden und ze sorgen den vînden was verborgen, hæt' aber daz deheine kraft wider dirre fremeden meisterschaft, diu ûzen an gebildet lac? ich weiz ez wârez alse den tac, swie sô der ûzer wære, der innere bildâre der was baz betihtet, bemeistert und berihtet ze ritters figiure dan diu ûzere fáitíure. daz were daz was dar inne an geschépfede unde an sinne vil lobelîchen ûf geleit. des wéremánnes wîshéit hei, wie wol diu dar an schein! sin brust, sin arme und sîniu bein diu wâren hêrlîch unde rîch, wol gestalt und edelîch. in stuont daz îsén dar obe wol und ze wunderlîchem lobe. sîn ors daz habte ein knappe dâ. in Spanjenlant noch anderswâ wart nie kein schoenerez erzogen. ézn was niender în gesmogen: ez was rîch und offen 6640 6645 6650 6655 6660 6635 6665 6633 ûf legen, das der Dichter ungemein häufig verwendet, hat hier deut- lich einen im Nhd. völlig abhanden gekommenen Sinn: ausdenken, ent- werfen, bilden; vgl. 11441 und Benecke's und Lachmann's Bemerkungen zu Iwein 1190. — 6635 schœne stf. [in dichterischer Sprache noch erhalten]. — 6636 schœnen swv., verschönen. — sîn = es, damit, dadurch. — 6638 eben- lieht adj., gleich glänzend. — 6650 bemeistern swv., meisterlich gestalten. — 6666 în gesmogen part. adj., (eingeschmiegt), eingefallen. — 6667 offen adj. — hat hier die Bedeutung von: breit, voll. 15
X. MOROLD. 227 (168) alle viere alsô hæt' ûf geleit, daz iegelîches schônhéit dem andern schoene bære und sîn geschœenet wære, sone kúnde ir aller vierer schîn ebenliehter niemer sîn. und aber daz niuwe wunder, daz dar inne und dar under ze schaden und ze sorgen den vînden was verborgen, hæt' aber daz deheine kraft wider dirre fremeden meisterschaft, diu ûzen an gebildet lac? ich weiz ez wârez alse den tac, swie sô der ûzer wære, der innere bildâre der was baz betihtet, bemeistert und berihtet ze ritters figiure dan diu ûzere fáitíure. daz were daz was dar inne an geschépfede unde an sinne vil lobelîchen ûf geleit. des wéremánnes wîshéit hei, wie wol diu dar an schein! sin brust, sin arme und sîniu bein diu wâren hêrlîch unde rîch, wol gestalt und edelîch. in stuont daz îsén dar obe wol und ze wunderlîchem lobe. sîn ors daz habte ein knappe dâ. in Spanjenlant noch anderswâ wart nie kein schoenerez erzogen. ézn was niender în gesmogen: ez was rîch und offen 6640 6645 6650 6655 6660 6635 6665 6633 ûf legen, das der Dichter ungemein häufig verwendet, hat hier deut- lich einen im Nhd. völlig abhanden gekommenen Sinn: ausdenken, ent- werfen, bilden; vgl. 11441 und Benecke's und Lachmann's Bemerkungen zu Iwein 1190. — 6635 schœne stf. [in dichterischer Sprache noch erhalten]. — 6636 schœnen swv., verschönen. — sîn = es, damit, dadurch. — 6638 eben- lieht adj., gleich glänzend. — 6650 bemeistern swv., meisterlich gestalten. — 6666 în gesmogen part. adj., (eingeschmiegt), eingefallen. — 6667 offen adj. — hat hier die Bedeutung von: breit, voll. 15
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228 X. MOROLD. (169) zer brust und zuo den goffen, starc ze beiden wenden, erwünschet z'allen enden. sîne füeze und sîniu bein diu behielten ouch vil wol enein al ir geschepfede unde ir reht; die füeze sinwel, diu bein sleht, ûfrihtec alle viere als einem wilden tiere; ouch was ez kúrzlîcher kust hin von dem satele und vor der brust; dâ stuont ez alsô rehte wol, als ein ros iemer beste sol. dar ûffe ein wiziu decke lac, lieht unde lûter alse der tac, den andern ringén gelich, und was diu lang und alse rîch, daz sî wol ebene nider gie dem orse vaste vür diu knie. 6670 6675 6680 6685 Nu daz Tristan ze vehte nâch rîttéres rehte nâch kámpfés gewoneheit wol únd ze prîse was bereit, die dô wol kunden prisen beidiu man und îsen, die kômen alle samet dar an, daz beidiu, îsen unde man, geworhten schoener bilde nie. swie wol daz aber schine hie, ez schein doch vil und verre baz, sît dô er ûf daz ors gesaz und spér ze hándén genam, 6690 6695 6668 goffe swf., Hinterbacke. — 6669 wenden dat. pl. von want stf. (nicht von wende stf.), (Wand), Seite. — 6670 erwünschet part. adj. wie nhd., nur abstracter und allgemeiner: vollkommen, herrlich; vgl. 7721. — 6674 sin- wel adj., rund, gewölbt. — 6675 ûfrihtec adj., aufrecht, in die Höhe stre- bend, schlank. — 6677 kurzlîch adj., kurz, gedrungen. — kust (von kiesen) stf., Beschaffenheit. — 6683 andern steht hier wie das franz. autre im Ver- gleich und ist im Nhd. nicht zu übersetzen; vgl. Gr. 4, 456. — 6685 ebene adv., gleichmaßig. 6693 dar an komen kann hier nicht heiſsen: herzukommen, um es zu sehen und zu beurtheilen, sondern: darin übereinkommen. — 6695 ge- worhten conj. præt. von würken swv. ge- plusquamperf.: gewirkt, ge- schaffen hätten. — 6698 gesa: plusquamperf. von sitzen, sich setzen. —
228 X. MOROLD. (169) zer brust und zuo den goffen, starc ze beiden wenden, erwünschet z'allen enden. sîne füeze und sîniu bein diu behielten ouch vil wol enein al ir geschepfede unde ir reht; die füeze sinwel, diu bein sleht, ûfrihtec alle viere als einem wilden tiere; ouch was ez kúrzlîcher kust hin von dem satele und vor der brust; dâ stuont ez alsô rehte wol, als ein ros iemer beste sol. dar ûffe ein wiziu decke lac, lieht unde lûter alse der tac, den andern ringén gelich, und was diu lang und alse rîch, daz sî wol ebene nider gie dem orse vaste vür diu knie. 6670 6675 6680 6685 Nu daz Tristan ze vehte nâch rîttéres rehte nâch kámpfés gewoneheit wol únd ze prîse was bereit, die dô wol kunden prisen beidiu man und îsen, die kômen alle samet dar an, daz beidiu, îsen unde man, geworhten schoener bilde nie. swie wol daz aber schine hie, ez schein doch vil und verre baz, sît dô er ûf daz ors gesaz und spér ze hándén genam, 6690 6695 6668 goffe swf., Hinterbacke. — 6669 wenden dat. pl. von want stf. (nicht von wende stf.), (Wand), Seite. — 6670 erwünschet part. adj. wie nhd., nur abstracter und allgemeiner: vollkommen, herrlich; vgl. 7721. — 6674 sin- wel adj., rund, gewölbt. — 6675 ûfrihtec adj., aufrecht, in die Höhe stre- bend, schlank. — 6677 kurzlîch adj., kurz, gedrungen. — kust (von kiesen) stf., Beschaffenheit. — 6683 andern steht hier wie das franz. autre im Ver- gleich und ist im Nhd. nicht zu übersetzen; vgl. Gr. 4, 456. — 6685 ebene adv., gleichmaßig. 6693 dar an komen kann hier nicht heiſsen: herzukommen, um es zu sehen und zu beurtheilen, sondern: darin übereinkommen. — 6695 ge- worhten conj. præt. von würken swv. ge- plusquamperf.: gewirkt, ge- schaffen hätten. — 6698 gesa: plusquamperf. von sitzen, sich setzen. —
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X. MOROLD. 229 6700 (170) dô waz daz bilde lússám, dô was der ritter lobelich obe dem satel und unden rîch. arme und ahsel beide die hæten breite weide. in den satel kund’ er sich wol, dâ man den satel sitzen sol, gesetzen und gefüegen. hin neben des orses büegen dâ swebeten siniu schoene bein strac unde sleht alsam ein zein. dô stuont daz ors, dô stuont der man sô rehte wol ein ander an, als op si waren under in zwein mit ein ander unde enein alsô gewahsen unde geborn. die gebérde wâren ûz erkorn, stætelîch und stæte, die Tristan z' orse hæte. dar zuo, swie wol gebære gebærdehalp er waere, sô was doch innerhalp der muot sô reine geartet und sô guot, daz edeler muot und reiner art under hélme nie bedecket wart. 6705 6710 6715 6720 6725 Sus was den kempfen beiden ein kámpfstát bescheiden ein kleiniu insel in dem mer, dem stade sô nâhen unde dem her, daz man dâ wol bereite sach, swaz in der insele geschach. und was ouch daz bereit dar an, daz âne dise zwêne man niemen dar in kame, biz der kampf ende næme. 6730 6704 weidestf., hier wieder bildlich und allgemein : Ausdehnung. — 6706 sitzen mit acc., besitzen, sitzend einnehmen. — 6707 gesetzen, verst. setzen. — gefüegen, verst. füegen, swv. refl., sich einfügen, schmiegen. — 6710 strac adj., strack, gerade. — zein stm., Ruthe, Gerte. — 6717 statelich adj., Bil- dung von state, beständig, gleichmässig. — 6720 gebardehalp adv., hin- sichtlich der Gebärde, der Erscheinung. — 6723 edeler, reiner Comparative. — art (Geschlecht hier nicht ersichtlich), hier ziemlich = nhd. Art, Natur, Wesen: vgl zu 9659.
X. MOROLD. 229 6700 (170) dô waz daz bilde lússám, dô was der ritter lobelich obe dem satel und unden rîch. arme und ahsel beide die hæten breite weide. in den satel kund’ er sich wol, dâ man den satel sitzen sol, gesetzen und gefüegen. hin neben des orses büegen dâ swebeten siniu schoene bein strac unde sleht alsam ein zein. dô stuont daz ors, dô stuont der man sô rehte wol ein ander an, als op si waren under in zwein mit ein ander unde enein alsô gewahsen unde geborn. die gebérde wâren ûz erkorn, stætelîch und stæte, die Tristan z' orse hæte. dar zuo, swie wol gebære gebærdehalp er waere, sô was doch innerhalp der muot sô reine geartet und sô guot, daz edeler muot und reiner art under hélme nie bedecket wart. 6705 6710 6715 6720 6725 Sus was den kempfen beiden ein kámpfstát bescheiden ein kleiniu insel in dem mer, dem stade sô nâhen unde dem her, daz man dâ wol bereite sach, swaz in der insele geschach. und was ouch daz bereit dar an, daz âne dise zwêne man niemen dar in kame, biz der kampf ende næme. 6730 6704 weidestf., hier wieder bildlich und allgemein : Ausdehnung. — 6706 sitzen mit acc., besitzen, sitzend einnehmen. — 6707 gesetzen, verst. setzen. — gefüegen, verst. füegen, swv. refl., sich einfügen, schmiegen. — 6710 strac adj., strack, gerade. — zein stm., Ruthe, Gerte. — 6717 statelich adj., Bil- dung von state, beständig, gleichmässig. — 6720 gebardehalp adv., hin- sichtlich der Gebärde, der Erscheinung. — 6723 edeler, reiner Comparative. — art (Geschlecht hier nicht ersichtlich), hier ziemlich = nhd. Art, Natur, Wesen: vgl zu 9659.
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230 X. MOROLD. 6735 daz wart ouch wol behalten. sus wurden dar geschalten den kempfen zwein zwei schiffelin, der ietwederz mohte sîn, daz ez ein ors und einen man gewâfent wol getrüege dan. nu disiu schif diu stuonden dâ. Môrolt zôch in ir einez sâ: daz ruoder nam er an die hant: er schiffete anderhalp an lant und alse er ûz zem werde kam, sîn schiffelîn er iesâ nam, zuo dem stade hafte er daz. ûf sîn ors er balde saz, an sîne hant nam er sîn sper, al über den wert sô liez er her rîlîche gân punieren, hin unde her laisieren; und wâren sîn puneize in dem ernestkreize sô ringe und sô schimpfbære, als ez ze schimpfe wære. 6740 6745 6750 6755 Nu Tristan ouch ze schiffe kam, sîn dinc dar în zuo sich genam (171) beidìu sin ors und ouch sîn sper, vorn' in dem schiffe dâ stuont er. «künec», sprách er «hêrre Marke, nune sórget niht ze starke umbe mînen lîp und umbe mîn leben: wir suln ez allez gote ergeben. unser angest hilfet hie zuo niht. waz obe uns lihte baz geschiht, dan man uns habe ûf geleit. unser síge und unser sælekeit 6760 6765 6736 geschalten part. von schalten stv., stoßsen (mit der Ruderstange). — 6745 werde dat. von wert stm., Werder, Flußinsel. — 6751 punieren swv., Fremdwort, franz. pugner, stechen, dann: den Turniergang (auch ohne Gegner) reiten, einhersprengen. — 6753 puneiz stm., Fremdwort, punierende Reiten, Turniergang, verbunden mit dem Einlegen und Schwingen der Lanze; vgl. 9164 fg. — 6754 ernestkreiz stm., Kampfbezirk. — 6755 ringe adj., gering, geringfügig, dann auch: leicht, spielend. — schimpfotre a j., scherzhaft, wie zum Spasse; vgl. zu 968. — 6756 in schimpfe ist der Begriff : Scherz, der in schimpfbare schon ausgedrückt ist, nicht allein enthalten, sondern auch die prägnante Bedeutung: Kampfspiel, Turnier. 6766 waz obe, wie wenn? wer weiß ob (vgl. 8578) ; die Wendung bei Gottfried vereinzelt. — lihte adv., vielleicht; vgl. zu 10498. —
230 X. MOROLD. 6735 daz wart ouch wol behalten. sus wurden dar geschalten den kempfen zwein zwei schiffelin, der ietwederz mohte sîn, daz ez ein ors und einen man gewâfent wol getrüege dan. nu disiu schif diu stuonden dâ. Môrolt zôch in ir einez sâ: daz ruoder nam er an die hant: er schiffete anderhalp an lant und alse er ûz zem werde kam, sîn schiffelîn er iesâ nam, zuo dem stade hafte er daz. ûf sîn ors er balde saz, an sîne hant nam er sîn sper, al über den wert sô liez er her rîlîche gân punieren, hin unde her laisieren; und wâren sîn puneize in dem ernestkreize sô ringe und sô schimpfbære, als ez ze schimpfe wære. 6740 6745 6750 6755 Nu Tristan ouch ze schiffe kam, sîn dinc dar în zuo sich genam (171) beidìu sin ors und ouch sîn sper, vorn' in dem schiffe dâ stuont er. «künec», sprách er «hêrre Marke, nune sórget niht ze starke umbe mînen lîp und umbe mîn leben: wir suln ez allez gote ergeben. unser angest hilfet hie zuo niht. waz obe uns lihte baz geschiht, dan man uns habe ûf geleit. unser síge und unser sælekeit 6760 6765 6736 geschalten part. von schalten stv., stoßsen (mit der Ruderstange). — 6745 werde dat. von wert stm., Werder, Flußinsel. — 6751 punieren swv., Fremdwort, franz. pugner, stechen, dann: den Turniergang (auch ohne Gegner) reiten, einhersprengen. — 6753 puneiz stm., Fremdwort, punierende Reiten, Turniergang, verbunden mit dem Einlegen und Schwingen der Lanze; vgl. 9164 fg. — 6754 ernestkreiz stm., Kampfbezirk. — 6755 ringe adj., gering, geringfügig, dann auch: leicht, spielend. — schimpfotre a j., scherzhaft, wie zum Spasse; vgl. zu 968. — 6756 in schimpfe ist der Begriff : Scherz, der in schimpfbare schon ausgedrückt ist, nicht allein enthalten, sondern auch die prägnante Bedeutung: Kampfspiel, Turnier. 6766 waz obe, wie wenn? wer weiß ob (vgl. 8578) ; die Wendung bei Gottfried vereinzelt. — lihte adv., vielleicht; vgl. zu 10498. —
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X. MOROLD. 231 diu entstât an keiner ritterschaft wan an der einen gotes kraft. lât alle vórvórhte wesen, wan ich mac harte wol genesen. mir ist ze disem dinge mîn gemüete harte ringe. als tuot ouch ir ! gehabet iuch wol ! ez ergât doch niuwan, alse ez sol; und aber, swie mîn ding ergê, an swelhem ende sô ez gestê, sô lât ir iuch doch hiute, iuwer lant und iuwer liute, an den ich mich verlâzen hân: got selbe, der mit mir sol gân ze ringe und ouch ze vehte, der bringe reht ze rehte! got muoz benamen mit mir gesigen oder mit mir sigelôs beligen: der walte es unde müeze es pflegen!" 6775 6780 6785 6770 (172) Hie mite bôt er in sînen segen. sin schiffelîn daz stiez er an und fuor in gotes namen dan. hie wart sin lip und ouch sîn leben von manegem munde gote ergeben; im wart von maneger edelen hant manec süezer segen nâch gesant. und alse er ûz ze stade gestiez, sîn schiffelîn er fliezen liez únd saz úf sîn ors iesâ. nu was ouch Môrolt iesâ dâ: «sage án», sprach er «waz tiutet daz, durch welhen list od umbe waz hâst dû daz schif sus lâzen gân?" «daz hân ich umbe daz getân: hie ist ein schif und zwêne man, und ist ouch dâ kein zwîvel an, 6790 6795 6800 (771 vorvorhte stf., Vorfurcht, Furcht im voraus; vgl. 12399. — 6774 ringe adj., hier: leicht, sorglos. — 6778 gesten, hier: stehen bleiben (vgl. 9149) ; die Wendung nhd.: was es für ein Ende nehme. — 6779 sich lâzen = sich verlâzen in V. 6781. — 6781 an den = nhd. auf den. — 6787 walten stv. mit gen., über etwas walten swv., behüten, Segen geben. 6796 diezen stv. = schwimmen. —
X. MOROLD. 231 diu entstât an keiner ritterschaft wan an der einen gotes kraft. lât alle vórvórhte wesen, wan ich mac harte wol genesen. mir ist ze disem dinge mîn gemüete harte ringe. als tuot ouch ir ! gehabet iuch wol ! ez ergât doch niuwan, alse ez sol; und aber, swie mîn ding ergê, an swelhem ende sô ez gestê, sô lât ir iuch doch hiute, iuwer lant und iuwer liute, an den ich mich verlâzen hân: got selbe, der mit mir sol gân ze ringe und ouch ze vehte, der bringe reht ze rehte! got muoz benamen mit mir gesigen oder mit mir sigelôs beligen: der walte es unde müeze es pflegen!" 6775 6780 6785 6770 (172) Hie mite bôt er in sînen segen. sin schiffelîn daz stiez er an und fuor in gotes namen dan. hie wart sin lip und ouch sîn leben von manegem munde gote ergeben; im wart von maneger edelen hant manec süezer segen nâch gesant. und alse er ûz ze stade gestiez, sîn schiffelîn er fliezen liez únd saz úf sîn ors iesâ. nu was ouch Môrolt iesâ dâ: «sage án», sprach er «waz tiutet daz, durch welhen list od umbe waz hâst dû daz schif sus lâzen gân?" «daz hân ich umbe daz getân: hie ist ein schif und zwêne man, und ist ouch dâ kein zwîvel an, 6790 6795 6800 (771 vorvorhte stf., Vorfurcht, Furcht im voraus; vgl. 12399. — 6774 ringe adj., hier: leicht, sorglos. — 6778 gesten, hier: stehen bleiben (vgl. 9149) ; die Wendung nhd.: was es für ein Ende nehme. — 6779 sich lâzen = sich verlâzen in V. 6781. — 6781 an den = nhd. auf den. — 6787 walten stv. mit gen., über etwas walten swv., behüten, Segen geben. 6796 diezen stv. = schwimmen. —
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232 X. MOROLD. belîbent die niht beide hie, daz aber benamen ir einer ie ûf disem werde tôt beliget, sô hât ouch jener, der dâ gesiget, an disem éinén genuoc, daz dich dâ her zem werde truoc.« Môrolt sprach aber: «ich hoere wol, daz diz unwendic wesen sol, der kampf enmüeze vür sich gân. liezèstu in noch understân und schiede wir mit minnen ûf solhe rede von hinnen, daz ich min zinsreht state von disen zwein landen hæte: daz diuhte mich dîn sælekeit. wan zwâre mir ist sêre leit, íst, daz ich dich slahen sol; mirn geviel nie ritter alse wol, den ich mit ougen ie gesach.» der gemúote Tristan aber dô sprach: «der zins muoz fürder sîn getân, sol dehéin suon' under uns ergân.» «entriuwen", sprach der ander dô «diu suone wirdet niht alsô: sus komen wir niht ze minnen. der zins muoz mit mir hinnen.» «sô tribe wir», sprach Tristán "vil harte unnütziu teidinc an. Môrolt, sît daz du danne min ze slahene sô gewis wilt sîn, sô wer dich, wellest dû genesen: hie enmác niht anders ane gewesen.» 6810 6815 6820 6825 6830 6805 6835 6814 understàn, (dazwischen stehen), stille stehen. — 6816 rede, hier: Verabredung. — 6824 gemuot adj. hier allein stehend, wohl in der Bedeu- tung: wohlgemuth, unerschrocken, froh; vgl. 7794. — 6825 fürder tuon. abthun, abschlagen; vgl. 1551s. — 6829 ze minnen (dat. pl.), zur Ver- einigung, zur Schlichtung des Streites; eine Art Terminus aus der Rechts- sprache; (mit minnen in V. 6815 ist wohl innerlicher = mit Liebe, in Freund- schaft); vgl. zu 13355. — 6832 teidinc, tagedinc stn. ist ein Lieblingswort des Dichters, welches er meist in übertragener Bedeutung in verschiede- nen Schattierungen gebraucht; nach ihm hat es Konrad von Würzburg be- vorzugt: s. Haupt zu Engelhard 5058; hier: Rede. — an zu trîben. an trîben, hier wie in V. 2295 in derselben Bedeutung wie das einfache triben vollführen.
232 X. MOROLD. belîbent die niht beide hie, daz aber benamen ir einer ie ûf disem werde tôt beliget, sô hât ouch jener, der dâ gesiget, an disem éinén genuoc, daz dich dâ her zem werde truoc.« Môrolt sprach aber: «ich hoere wol, daz diz unwendic wesen sol, der kampf enmüeze vür sich gân. liezèstu in noch understân und schiede wir mit minnen ûf solhe rede von hinnen, daz ich min zinsreht state von disen zwein landen hæte: daz diuhte mich dîn sælekeit. wan zwâre mir ist sêre leit, íst, daz ich dich slahen sol; mirn geviel nie ritter alse wol, den ich mit ougen ie gesach.» der gemúote Tristan aber dô sprach: «der zins muoz fürder sîn getân, sol dehéin suon' under uns ergân.» «entriuwen", sprach der ander dô «diu suone wirdet niht alsô: sus komen wir niht ze minnen. der zins muoz mit mir hinnen.» «sô tribe wir», sprach Tristán "vil harte unnütziu teidinc an. Môrolt, sît daz du danne min ze slahene sô gewis wilt sîn, sô wer dich, wellest dû genesen: hie enmác niht anders ane gewesen.» 6810 6815 6820 6825 6830 6805 6835 6814 understàn, (dazwischen stehen), stille stehen. — 6816 rede, hier: Verabredung. — 6824 gemuot adj. hier allein stehend, wohl in der Bedeu- tung: wohlgemuth, unerschrocken, froh; vgl. 7794. — 6825 fürder tuon. abthun, abschlagen; vgl. 1551s. — 6829 ze minnen (dat. pl.), zur Ver- einigung, zur Schlichtung des Streites; eine Art Terminus aus der Rechts- sprache; (mit minnen in V. 6815 ist wohl innerlicher = mit Liebe, in Freund- schaft); vgl. zu 13355. — 6832 teidinc, tagedinc stn. ist ein Lieblingswort des Dichters, welches er meist in übertragener Bedeutung in verschiede- nen Schattierungen gebraucht; nach ihm hat es Konrad von Würzburg be- vorzugt: s. Haupt zu Engelhard 5058; hier: Rede. — an zu trîben. an trîben, hier wie in V. 2295 in derselben Bedeutung wie das einfache triben vollführen.
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X. MOROLD. 233 Daz ors daz warf er umbe, er machte ûz einer krumbe eine rihtige slihte. er lie her gân enrihte mit aller sînes herzen ger: mít gesénkétem sper, mit fliegénden schenkelen, mit sporen und mit enkelen nam er daz ors zen sîten. wes mohte ouch jener dô bîten, dém ez umbe daz leben stuont?" der tete, reht' als si alle tuont, die úf rehte mánhéit alle ir sinne hânt geleit: er nam ouch eine kêre nâch sînes herzen lêre wol balde hin und balde wider; sper warf er ûf und iesâ nider. sus kom er her gerüeret, als den der tiuvel füeret. béidiu rós únde man kômèn Tristanden fliegende an noch balder danne ein smirlîn: als giric was ouch Tristan sîn. si kômen mit gelicher ger gelîche fliegénde her, daz sî diu sper zestâchen, daz si ín den schilten brâchen wol ze tûsent stucken. dô gieng ez an ein zucken der swerte von den sîten. si giengen z'orse strîten: got selbe möhte ez gerne sehen. 6840 6845 6850 6855 6860 6865 (173) Nu hoere ich al die werlde jehen, und stât ouch an dem mære, daz diz ein einwîc wære ; 6870 6840 curihte adv., hier räumlich: in gerader Richtung; vgl. zu 3070. — 5851 kêre stf. (2066) nemen, Wendung machen, Richtung nehmen; bei Golt- fried kêre beliebt. — 6860 giric adj., gierig, mit gen. = nhd. auf. 6870 fg. Der Gedanke, dafs der einzelne Kämpfer mit seinen Kräften ein her, mehrere Personen ausmache und vertrete, findet sich im Tristan älinlich benutzt und ausgeführt in V. 7065 und 9020. —
X. MOROLD. 233 Daz ors daz warf er umbe, er machte ûz einer krumbe eine rihtige slihte. er lie her gân enrihte mit aller sînes herzen ger: mít gesénkétem sper, mit fliegénden schenkelen, mit sporen und mit enkelen nam er daz ors zen sîten. wes mohte ouch jener dô bîten, dém ez umbe daz leben stuont?" der tete, reht' als si alle tuont, die úf rehte mánhéit alle ir sinne hânt geleit: er nam ouch eine kêre nâch sînes herzen lêre wol balde hin und balde wider; sper warf er ûf und iesâ nider. sus kom er her gerüeret, als den der tiuvel füeret. béidiu rós únde man kômèn Tristanden fliegende an noch balder danne ein smirlîn: als giric was ouch Tristan sîn. si kômen mit gelicher ger gelîche fliegénde her, daz sî diu sper zestâchen, daz si ín den schilten brâchen wol ze tûsent stucken. dô gieng ez an ein zucken der swerte von den sîten. si giengen z'orse strîten: got selbe möhte ez gerne sehen. 6840 6845 6850 6855 6860 6865 (173) Nu hoere ich al die werlde jehen, und stât ouch an dem mære, daz diz ein einwîc wære ; 6870 6840 curihte adv., hier räumlich: in gerader Richtung; vgl. zu 3070. — 5851 kêre stf. (2066) nemen, Wendung machen, Richtung nehmen; bei Golt- fried kêre beliebt. — 6860 giric adj., gierig, mit gen. = nhd. auf. 6870 fg. Der Gedanke, dafs der einzelne Kämpfer mit seinen Kräften ein her, mehrere Personen ausmache und vertrete, findet sich im Tristan älinlich benutzt und ausgeführt in V. 7065 und 9020. —
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234 X. MOROLD. (174) und ist ir aller jehe dar an, hiene waren niuwan zwêne man. ich prüeve ez aber an dirre zît, daz ez ein ófféner strît von zwein ganzen rotten was: swie ich doch daz nie gelas an Tristándes mære, ich mache ez doch wârbære. Môrolt, als uns diu wârhéit ie hât gesaget und hiute seit, der hæte vier mánne kraft, diz was vier manne ritterschaft: daz was der strit in eine sît. sô was anderhalp der strit, daz eine got, daz ander reht, daz dritte was ir zweier kneht und ir gebæere dienestman, der wol gewære Tristán: daz vierte was williger muot, der wunder in den noeten tuot. die viere und jene viere ûz den gebilde ich schiere zwô ganze rotte od ahte man, als übel als ich doch bilden kan. 6875 6880 6885 6890 6895 E dúhte iuch, daz diz mære gar ungefüege wære, daz uf zwein orsen zwéi hér iemer möhten komen ze wer: nu habet ir ez vür wâr vernomen, daz hie zesamene wâren komen under éinem helme ietweder sît vier ritter oder vier ritter strît; 6900 6880 warbare adj., Bildung von wâr, wahrscheinlich, scheint dem Dichter eigenthümlich; danach auch das Verbum wârbaren 6471. — 6885 in eine sît (= sîte), auf einer Seite. — 6894 gebilden swv., verst. bilden [vgl. Gebild neben Bild]. — 6896 diese Wendung wörtlich übersetzt (übel beibehalten) würde den Sinn verfehlen und beinahe das Gegentheil erzielen; der Dich- ter will sich nicht als ungeschickt hinstellen nach der zuversichtlichen Außerung in V. 6880; vielmehr ist übel ironisch zu fassen, es soll gesagt werden: so gut oder schlecht ich eben bilden kann, d. h. umgekehrt von übel: so gut ich es eben kann; vgl. V. 351: reht' alse liep als ez in was = wie unlieb es ihnen auch war. 6898 ungefüege adj., unpassend, etwa: ungereimt. — 6903 s. zu 5525. —
234 X. MOROLD. (174) und ist ir aller jehe dar an, hiene waren niuwan zwêne man. ich prüeve ez aber an dirre zît, daz ez ein ófféner strît von zwein ganzen rotten was: swie ich doch daz nie gelas an Tristándes mære, ich mache ez doch wârbære. Môrolt, als uns diu wârhéit ie hât gesaget und hiute seit, der hæte vier mánne kraft, diz was vier manne ritterschaft: daz was der strit in eine sît. sô was anderhalp der strit, daz eine got, daz ander reht, daz dritte was ir zweier kneht und ir gebæere dienestman, der wol gewære Tristán: daz vierte was williger muot, der wunder in den noeten tuot. die viere und jene viere ûz den gebilde ich schiere zwô ganze rotte od ahte man, als übel als ich doch bilden kan. 6875 6880 6885 6890 6895 E dúhte iuch, daz diz mære gar ungefüege wære, daz uf zwein orsen zwéi hér iemer möhten komen ze wer: nu habet ir ez vür wâr vernomen, daz hie zesamene wâren komen under éinem helme ietweder sît vier ritter oder vier ritter strît; 6900 6880 warbare adj., Bildung von wâr, wahrscheinlich, scheint dem Dichter eigenthümlich; danach auch das Verbum wârbaren 6471. — 6885 in eine sît (= sîte), auf einer Seite. — 6894 gebilden swv., verst. bilden [vgl. Gebild neben Bild]. — 6896 diese Wendung wörtlich übersetzt (übel beibehalten) würde den Sinn verfehlen und beinahe das Gegentheil erzielen; der Dich- ter will sich nicht als ungeschickt hinstellen nach der zuversichtlichen Außerung in V. 6880; vielmehr ist übel ironisch zu fassen, es soll gesagt werden: so gut oder schlecht ich eben bilden kann, d. h. umgekehrt von übel: so gut ich es eben kann; vgl. V. 351: reht' alse liep als ez in was = wie unlieb es ihnen auch war. 6898 ungefüege adj., unpassend, etwa: ungereimt. — 6903 s. zu 5525. —
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X. MOROLD. 235 6905 (175) die riten ouch ze den zîten vast' uf ein ander strîten. alsus kom ein geselleschaft, Môrolt mit vier manne kraft, Tristanden alse ein doner an. der veige vâlándes man der sluoc als krefteclîche ûf in, daz er im kráft únde sin vil nâch mit slegen hæte benomen, waer' ime der schilt ze staten niht komen, under dém er sich mit listen kunde schirmen unde fristen. weder helm noch hálspérc noch dehéin sin ander kámpfwérc daz enhâte in dâ niht vür getragen, ern hæte in durch die ringe erslagen; ern liez im nie die state geschehen, daz er vor slegen moht’ ûf gesehen. 6910 6915 6920 Sus gieng er in mit slegen an, biz er'm mit slegen an gewan, daz Tristan von der slege nôt den schilt ze verre von im bôt únde den schirm ze hôhe truoc, biz daz er im durch daz díech slúoc einen álse häzlîchen slac, der vil nâch hin zem tôde wac, daz ime daz fleisch und daz bein durch hosen und durch halsperc schein, und daz daz bluot ûf schræte und after dem werde wate. «wie dô», sprach Môrolt «wiltu jehen? 6925 6930 6935 6916 fristen swv., hier: retten wie in V. 1879; vgl. zu 1243. — 6918 kampf- werc stn., Rüstzeug. — 6919 vür tragen hier mit acc., einem nützen; vgl. 6204. — 6920 nhd. positiv zu wenden als neuer Satz oder es folgt: sondern. 6924 an gewinnen mit dat., einen überwinden. — 6928 diech stn., Schen- kel. — 6930 wegen stv., hier: sich (wiegend) hinneigen, sich bewegen, aus- schlagen. — 6931 bein stn., hier im Gegensatze zu fleisch: Knochen. — 6933 schrœte præet. von schrœjen swv., spritzen. üf schr., auf-, emporspritzen. — 6934 after præp. mit dat., über hin. — 6934 wajen swv., (wehen) in früherer Zeit nicht blofs vom Winde und Feuer, sondern auch bildlich von festeren Körpern gesagt; vgl. 7025 [ähnl. nhd. springen]. — 6935 jehen stv., hier intrans. ohne jeden Zusatz; im mhd. Wb. I, 512 erklärt: «(willst) du dich für befugt erklären?" Druckfehler für: besiegt? denn dies ist der Sinn. jehen ahnlich wie: willst du gestehen? (daſ du Unrecht hast und besiegt bist). —
X. MOROLD. 235 6905 (175) die riten ouch ze den zîten vast' uf ein ander strîten. alsus kom ein geselleschaft, Môrolt mit vier manne kraft, Tristanden alse ein doner an. der veige vâlándes man der sluoc als krefteclîche ûf in, daz er im kráft únde sin vil nâch mit slegen hæte benomen, waer' ime der schilt ze staten niht komen, under dém er sich mit listen kunde schirmen unde fristen. weder helm noch hálspérc noch dehéin sin ander kámpfwérc daz enhâte in dâ niht vür getragen, ern hæte in durch die ringe erslagen; ern liez im nie die state geschehen, daz er vor slegen moht’ ûf gesehen. 6910 6915 6920 Sus gieng er in mit slegen an, biz er'm mit slegen an gewan, daz Tristan von der slege nôt den schilt ze verre von im bôt únde den schirm ze hôhe truoc, biz daz er im durch daz díech slúoc einen álse häzlîchen slac, der vil nâch hin zem tôde wac, daz ime daz fleisch und daz bein durch hosen und durch halsperc schein, und daz daz bluot ûf schræte und after dem werde wate. «wie dô», sprach Môrolt «wiltu jehen? 6925 6930 6935 6916 fristen swv., hier: retten wie in V. 1879; vgl. zu 1243. — 6918 kampf- werc stn., Rüstzeug. — 6919 vür tragen hier mit acc., einem nützen; vgl. 6204. — 6920 nhd. positiv zu wenden als neuer Satz oder es folgt: sondern. 6924 an gewinnen mit dat., einen überwinden. — 6928 diech stn., Schen- kel. — 6930 wegen stv., hier: sich (wiegend) hinneigen, sich bewegen, aus- schlagen. — 6931 bein stn., hier im Gegensatze zu fleisch: Knochen. — 6933 schrœte præet. von schrœjen swv., spritzen. üf schr., auf-, emporspritzen. — 6934 after præp. mit dat., über hin. — 6934 wajen swv., (wehen) in früherer Zeit nicht blofs vom Winde und Feuer, sondern auch bildlich von festeren Körpern gesagt; vgl. 7025 [ähnl. nhd. springen]. — 6935 jehen stv., hier intrans. ohne jeden Zusatz; im mhd. Wb. I, 512 erklärt: «(willst) du dich für befugt erklären?" Druckfehler für: besiegt? denn dies ist der Sinn. jehen ahnlich wie: willst du gestehen? (daſ du Unrecht hast und besiegt bist). —
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236 X. MOROLD. (176) hier an maht dû wol selbe sehen, daz niemen unreht füeren sol: dîn unreht schînet hier an wol ; noch denke, wellest du genesen, in welher wîse ez müge gewesen, wan zewâre, Tristan, disiu nôt diu ist din endeclîcher tôt, ich eine enwende ez danne; von wibe noch von manne sone wirdest dû nie mêr gesunt: du bist mit einem swerte wunt, daz toedec unde gelüppet ist. árzât noch arzâtes list ernert dich niemer dirre nôt, ez entúo mîn swester eine, Isôt, diu künegîn von Irlande: diu erkénnet maneger hande wurze und aller kriute kraft und arzâtliche meisterschaft; diu kan eine disen list und anders niemen, der der ist. diu ennér dich, dû bist ungenesen. wil dû mir noch gevolgic wesen, und mir des zinses jehende sîn, mîn swéstér, diu künigîn, diu muoz dich selbe heilen, und ich wil mit dir teilen geselleclîche, swaz ich hân, und wil dir nihtes abe gân, dâ dich din wille zuo getreit.» Tristan sprach : «mîne wârhéit und mîne êre díe engib ich durch dîne swester noch durch dich : ich hân in mîner frien hant dâ her gefüeret zwei frîin lant, diu varnt ouch mit mir hinnen, 6940 6945 6950 6955 6960 6965 6970 6943 wenden swv. hier trans, mit acc., abwenden; vgl. zu 13775. — 6947 gelüppet part. adj, vergiftet; vgl. zu 7272. — 6949 ernern (380) hier mit gen.: von. — 6953 wurze ist wohl nicht gen. pl., sondern, gleich- stehend mit kraft, acc. pl. von wurz stf., Wurzel; vgl. 16109. — 6957 un- genesen adj. part., unheilbar, verloren. — 6958 gevolgic adj., folgsam. — 6963 geselleclîche adv., als geselle, in freundschaftlicher Weise. — 6966 wâr- heit, hier im Zusammenhang mit êre : Wahrhaftigkeit, Treue, das gegebene Wort; vgl. 8914. 9821. —
236 X. MOROLD. (176) hier an maht dû wol selbe sehen, daz niemen unreht füeren sol: dîn unreht schînet hier an wol ; noch denke, wellest du genesen, in welher wîse ez müge gewesen, wan zewâre, Tristan, disiu nôt diu ist din endeclîcher tôt, ich eine enwende ez danne; von wibe noch von manne sone wirdest dû nie mêr gesunt: du bist mit einem swerte wunt, daz toedec unde gelüppet ist. árzât noch arzâtes list ernert dich niemer dirre nôt, ez entúo mîn swester eine, Isôt, diu künegîn von Irlande: diu erkénnet maneger hande wurze und aller kriute kraft und arzâtliche meisterschaft; diu kan eine disen list und anders niemen, der der ist. diu ennér dich, dû bist ungenesen. wil dû mir noch gevolgic wesen, und mir des zinses jehende sîn, mîn swéstér, diu künigîn, diu muoz dich selbe heilen, und ich wil mit dir teilen geselleclîche, swaz ich hân, und wil dir nihtes abe gân, dâ dich din wille zuo getreit.» Tristan sprach : «mîne wârhéit und mîne êre díe engib ich durch dîne swester noch durch dich : ich hân in mîner frien hant dâ her gefüeret zwei frîin lant, diu varnt ouch mit mir hinnen, 6940 6945 6950 6955 6960 6965 6970 6943 wenden swv. hier trans, mit acc., abwenden; vgl. zu 13775. — 6947 gelüppet part. adj, vergiftet; vgl. zu 7272. — 6949 ernern (380) hier mit gen.: von. — 6953 wurze ist wohl nicht gen. pl., sondern, gleich- stehend mit kraft, acc. pl. von wurz stf., Wurzel; vgl. 16109. — 6957 un- genesen adj. part., unheilbar, verloren. — 6958 gevolgic adj., folgsam. — 6963 geselleclîche adv., als geselle, in freundschaftlicher Weise. — 6966 wâr- heit, hier im Zusammenhang mit êre : Wahrhaftigkeit, Treue, das gegebene Wort; vgl. 8914. 9821. —
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X. MOROLD. 237 oder ich muoz ie gewinnen groezern schaden od aber den tôt. ouch enbin ich noch ze solher nôt mit einer wunden niht getriben, daz ez állez hier an sî beliben. der kampf ist under uns beiden ie noch vil ungescheiden. der zins ist dîn tôt oder der mîn; hie enmâc niht anders ane gesîn.» 6975 6980 (177) Hie mite ruort’ er in aber an. nu sprichet daz vil lihte ein man, ich selbe spriche ez ouch dar zuo: «got unde reht, wâ sint si nuo, Tristandes stritgesellen? op si im iht helfen wellen, des nimet mich michel wunder. si sûment sich hier under: ir rotte und ir geselleschaft diu ist sêre worden schadehaft; sine kómen danne drâte, sô koment si al ze spâte: von diu sô komen schiere! hie rîtent zwêne an viere und strîtent niuwan umbe ir leben. daz selbe deist ouch sêre ergeben an zwivel unde an úntrôst. súln si iemer werden erlôst, daz muoz vil kúrzlîche sin. got unde reht diu riten dô in mit rehtem úrtéile, ir rótté ze heile, ir vîndén ze valle. hie begúnden sî sich alle gelîche róttieren, viere wider vieren. alsus reit schár wider schar, 6985 6990 6995 7000 7005 697s ungescheiden adj. part., hier: unentschieden; vgl. zu 6452. 6981 an rüeren mit acc., man kann zweifeln, ob die Bedeutung ist feindlich auf einen losgehen wie in V. 9013 fg. (s. die Bemerk.), wo es auch vom Drachen gesagt ist, oder ob Ellipse zu Grunde liegt wie bei rüeren (s. zu 2105): einen ansprengen (mit dem Rosse), eher wohl letzteres. — 6997 untróst stm., Muthlosigkeit. —
X. MOROLD. 237 oder ich muoz ie gewinnen groezern schaden od aber den tôt. ouch enbin ich noch ze solher nôt mit einer wunden niht getriben, daz ez állez hier an sî beliben. der kampf ist under uns beiden ie noch vil ungescheiden. der zins ist dîn tôt oder der mîn; hie enmâc niht anders ane gesîn.» 6975 6980 (177) Hie mite ruort’ er in aber an. nu sprichet daz vil lihte ein man, ich selbe spriche ez ouch dar zuo: «got unde reht, wâ sint si nuo, Tristandes stritgesellen? op si im iht helfen wellen, des nimet mich michel wunder. si sûment sich hier under: ir rotte und ir geselleschaft diu ist sêre worden schadehaft; sine kómen danne drâte, sô koment si al ze spâte: von diu sô komen schiere! hie rîtent zwêne an viere und strîtent niuwan umbe ir leben. daz selbe deist ouch sêre ergeben an zwivel unde an úntrôst. súln si iemer werden erlôst, daz muoz vil kúrzlîche sin. got unde reht diu riten dô in mit rehtem úrtéile, ir rótté ze heile, ir vîndén ze valle. hie begúnden sî sich alle gelîche róttieren, viere wider vieren. alsus reit schár wider schar, 6985 6990 6995 7000 7005 697s ungescheiden adj. part., hier: unentschieden; vgl. zu 6452. 6981 an rüeren mit acc., man kann zweifeln, ob die Bedeutung ist feindlich auf einen losgehen wie in V. 9013 fg. (s. die Bemerk.), wo es auch vom Drachen gesagt ist, oder ob Ellipse zu Grunde liegt wie bei rüeren (s. zu 2105): einen ansprengen (mit dem Rosse), eher wohl letzteres. — 6997 untróst stm., Muthlosigkeit. —
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238 X. MOROLD. und Tristan, alse er wart gewar der sînen strîtgesellen, dô wuohs im muot und ellen: im brâhte sîn geselleschaft beidiu herze unde kraft. daz ors er mit den sporen nam: sô sêre er her gerüeret kam, daz er nâch sînér gelust hurtende mit des orses brust sîn vînt sô sêre erschalte, daz er'n zer erden valte mit órsé betalle; und alse er von dem valle ein lützel sich erholte und wider zem orse wolte, dô was ouch Tristan iesâ dâ; den helm den sluog er ime iesâ, daz er wæte al dort hin dan. hie mite sô lief in Môrolt an: durch die covertiure er sluoc Tristandes orse abe den buoc, daz er únder ime dar nider gesaz und tete er weder wirs noch baz, wan sprang êt anderhalp dervan. 7010 7015 7020 7025 7030 (178) Môrolt der lístige man den schilt ze rucke er kêrte, als in sîn witze lêrte. mit der hant sô greif er nider, den helm den nam er aber wider. er hæte in sîner wîshéit also gedâht und ûf geleit, so er wider ze orse kæme, daz er den helm ûf næeme und rite aber Tristanden an. nu er den helm ze sich gewan 7035 7040 7010 ellen stn., Kraft, Stärke. — 7015 gelust stf., Begierde. — 7016 hurten swv., stoßen. — 7017 erschalte præt. von erschellen swv., erschüttern. — 7019 betalle adv. = mitalle, zusammen; s. zu 939. — 7030 wirs adv. (zu übel), schlimmer; die Wendung weder wirs noch baz (ähnlich wie minner noch mêre s. zu 1689) = nichts anders. 7034 witze stf., Verstand; hier entsprechend etwa unserm: Geistes- gegenwart; im Plural gebraucht V. 15348, vielleicht auch V. 7917. —
238 X. MOROLD. und Tristan, alse er wart gewar der sînen strîtgesellen, dô wuohs im muot und ellen: im brâhte sîn geselleschaft beidiu herze unde kraft. daz ors er mit den sporen nam: sô sêre er her gerüeret kam, daz er nâch sînér gelust hurtende mit des orses brust sîn vînt sô sêre erschalte, daz er'n zer erden valte mit órsé betalle; und alse er von dem valle ein lützel sich erholte und wider zem orse wolte, dô was ouch Tristan iesâ dâ; den helm den sluog er ime iesâ, daz er wæte al dort hin dan. hie mite sô lief in Môrolt an: durch die covertiure er sluoc Tristandes orse abe den buoc, daz er únder ime dar nider gesaz und tete er weder wirs noch baz, wan sprang êt anderhalp dervan. 7010 7015 7020 7025 7030 (178) Môrolt der lístige man den schilt ze rucke er kêrte, als in sîn witze lêrte. mit der hant sô greif er nider, den helm den nam er aber wider. er hæte in sîner wîshéit also gedâht und ûf geleit, so er wider ze orse kæme, daz er den helm ûf næeme und rite aber Tristanden an. nu er den helm ze sich gewan 7035 7040 7010 ellen stn., Kraft, Stärke. — 7015 gelust stf., Begierde. — 7016 hurten swv., stoßen. — 7017 erschalte præt. von erschellen swv., erschüttern. — 7019 betalle adv. = mitalle, zusammen; s. zu 939. — 7030 wirs adv. (zu übel), schlimmer; die Wendung weder wirs noch baz (ähnlich wie minner noch mêre s. zu 1689) = nichts anders. 7034 witze stf., Verstand; hier entsprechend etwa unserm: Geistes- gegenwart; im Plural gebraucht V. 15348, vielleicht auch V. 7917. —
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X. MOROLD. 239 und hin zem orse gâhte und dem alsô genâhte, daz er die hant zem britel liez unde den linken fuoz gestiez wol vaste in den stegereif und mit der hant den satel ergreif: nu hæte in ouch Tristan erzogen, er sluog im ûf dem satelbogen daz swert und ouch die zeswen hant, daz si béidiu vielen ûf den sant mit ríngén mitalle; und under disem valle gab er im aber einen slac reht' obene, dâ diu kuppe lac, und truog ouch der sô sêre nider, dô er daz wâfen zucte wider, daz von dem selben zucke des swertes éin stúcke in sîner hirneschal beleip ; daz ouch Tristanden sider treip ze sorgen und ze grôzer nôt: ez hæte in nâch brâht ûf den tôt. 7045 7050 7055 7060 7065 Môrolt, daz trôstelôse her, do er âne kraft und âne wer sô sêre türmelénde gie und sich an den val verlie, «wie dô, wie dô!» sprach Tristan «sô dir got, Môrolt! sage an, ist dir dirre maere iht kunt? mich dunket, dû sist sêre wunt; ich wæne, dîn dinc übele stê. swie ez mîner wúndén ergê, 7070 7044 genâhen swv., verst. nâhen. — 7045 britel stm., Zügel. — lâzen, hier: bewegen, greifen. — 7046 gestôzen stv., verst. stôzen. — 7049 erziehen stv., erreichen ; Tristan war ihm wieder auf den Leib gerückt. — 7050 satelboge swm. ist hier der hintere Sattelbogen. — 7051 zese adj., gen. zeswes, recht. — 7056 kuppe swf. (7089), die Haube unter dem Helme; vgl. 9407. — 7057 nider tragen, eigentlich: niederziehen; eindringen. — 7059 zuc stm., das Zucken, heftiger Zug, Hieb. — 7064 nach adv., hier = vil nách (102), beinahe. 7067 türmelen swv., taumeln. — 7068 verlâzen refl. an etew. heifst hier wohl eigentlich : sich einem Dinge überlassen, hingeben; sich dem Falle, dem Niedersinken hingeben ist bildliche Umschreibung für: niedersinken. — 7070 só dir got! elliptisch für só helfe dir got ! vgl. zu 2229. —
X. MOROLD. 239 und hin zem orse gâhte und dem alsô genâhte, daz er die hant zem britel liez unde den linken fuoz gestiez wol vaste in den stegereif und mit der hant den satel ergreif: nu hæte in ouch Tristan erzogen, er sluog im ûf dem satelbogen daz swert und ouch die zeswen hant, daz si béidiu vielen ûf den sant mit ríngén mitalle; und under disem valle gab er im aber einen slac reht' obene, dâ diu kuppe lac, und truog ouch der sô sêre nider, dô er daz wâfen zucte wider, daz von dem selben zucke des swertes éin stúcke in sîner hirneschal beleip ; daz ouch Tristanden sider treip ze sorgen und ze grôzer nôt: ez hæte in nâch brâht ûf den tôt. 7045 7050 7055 7060 7065 Môrolt, daz trôstelôse her, do er âne kraft und âne wer sô sêre türmelénde gie und sich an den val verlie, «wie dô, wie dô!» sprach Tristan «sô dir got, Môrolt! sage an, ist dir dirre maere iht kunt? mich dunket, dû sist sêre wunt; ich wæne, dîn dinc übele stê. swie ez mîner wúndén ergê, 7070 7044 genâhen swv., verst. nâhen. — 7045 britel stm., Zügel. — lâzen, hier: bewegen, greifen. — 7046 gestôzen stv., verst. stôzen. — 7049 erziehen stv., erreichen ; Tristan war ihm wieder auf den Leib gerückt. — 7050 satelboge swm. ist hier der hintere Sattelbogen. — 7051 zese adj., gen. zeswes, recht. — 7056 kuppe swf. (7089), die Haube unter dem Helme; vgl. 9407. — 7057 nider tragen, eigentlich: niederziehen; eindringen. — 7059 zuc stm., das Zucken, heftiger Zug, Hieb. — 7064 nach adv., hier = vil nách (102), beinahe. 7067 türmelen swv., taumeln. — 7068 verlâzen refl. an etew. heifst hier wohl eigentlich : sich einem Dinge überlassen, hingeben; sich dem Falle, dem Niedersinken hingeben ist bildliche Umschreibung für: niedersinken. — 7070 só dir got! elliptisch für só helfe dir got ! vgl. zu 2229. —
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240 X. MOROLD. (179) dir ware guoter wurze nôt: swaz sô dîn swester Isôt von erzenîe hât gelesen, des wirt dir nôt, wil dû genesen. der rehte und der geware got und gotes gewarlîch gebot die habent dîn unreht wol bedâht und reht an mir ze rehte brâht. der müeze mîn ouch vürbaz pflegen! dísiu hôchvart diu ist gelegen.» hie mite trat er im nâher baz. daz swert daz nam er und gap daz ze beiden sînen handen: er sluoc sînem anden daz houbet mit der kuppen abe. 7080 7085 7075 7090 Sus kêrte er wider zuo der habe: dô er Môroldes schif dâ vant, dâ saz er in und fuor zehant gein dem stade und gein dem her. aldâ gehôrte er bî dem mer grôze froude und grôze klage, froud’ unde klage, als ich in sage: der sæelde an sînem sige lac, den was ein sæleclicher tac und michel fröude erstanden: si slágetén mit handen, si lobeten got mit munde, si sungen an der stunde ze himele michel sigeliet. sô was ez aber der fremeden diet, den leiden gesten von Irlant, die dar wârén gesant, 7095 7100 7105 7075 e2 ist nôt mit gen. und dat., es ist einem etwas nöthig (aber nôt ist wohl Substantiv, nicht Adjectiv). — 7078 et wirt nôt mit gen. und dat. synonymer Ausdruck mit ez ist n. in V. 7075. — 7086 fg. solche Wendungen verzeichnet Haupt zu Erec 857 (2. Ausgabe). daz swert geben (geben im Mhd. häufiger in solcher Weise verwendet als das heutige Wort) ist wohl hier eine Umschreibung für: zuhauen [vgl. Sporn geben = anspornen, Schußs geben = schiefsen, Peitsche geben = peitschen u. dgl.]. ze = mit. Simrock übersetzt: und gab es da in seine beiden Hände; Kurtz in ähnlicher Auf- fassung : fasste das in seine beiden Hande. Das scheint mir nicht in der Wendung zu liegen. Ein Scherz mit dem Terminus swert geben (s. zu 5733): Tristan ertheilte dem Gegner den Ritterschlag, würde zu fern liegen und überdies geschmacklos sein. — 7088 ande swm., Feind; vgl. zu 8992. 7100 slagen swv., schlagen (dieses aus slahen stv.), klatschen. 7104 diet stf., Volk. — —
240 X. MOROLD. (179) dir ware guoter wurze nôt: swaz sô dîn swester Isôt von erzenîe hât gelesen, des wirt dir nôt, wil dû genesen. der rehte und der geware got und gotes gewarlîch gebot die habent dîn unreht wol bedâht und reht an mir ze rehte brâht. der müeze mîn ouch vürbaz pflegen! dísiu hôchvart diu ist gelegen.» hie mite trat er im nâher baz. daz swert daz nam er und gap daz ze beiden sînen handen: er sluoc sînem anden daz houbet mit der kuppen abe. 7080 7085 7075 7090 Sus kêrte er wider zuo der habe: dô er Môroldes schif dâ vant, dâ saz er in und fuor zehant gein dem stade und gein dem her. aldâ gehôrte er bî dem mer grôze froude und grôze klage, froud’ unde klage, als ich in sage: der sæelde an sînem sige lac, den was ein sæleclicher tac und michel fröude erstanden: si slágetén mit handen, si lobeten got mit munde, si sungen an der stunde ze himele michel sigeliet. sô was ez aber der fremeden diet, den leiden gesten von Irlant, die dar wârén gesant, 7095 7100 7105 7075 e2 ist nôt mit gen. und dat., es ist einem etwas nöthig (aber nôt ist wohl Substantiv, nicht Adjectiv). — 7078 et wirt nôt mit gen. und dat. synonymer Ausdruck mit ez ist n. in V. 7075. — 7086 fg. solche Wendungen verzeichnet Haupt zu Erec 857 (2. Ausgabe). daz swert geben (geben im Mhd. häufiger in solcher Weise verwendet als das heutige Wort) ist wohl hier eine Umschreibung für: zuhauen [vgl. Sporn geben = anspornen, Schußs geben = schiefsen, Peitsche geben = peitschen u. dgl.]. ze = mit. Simrock übersetzt: und gab es da in seine beiden Hände; Kurtz in ähnlicher Auf- fassung : fasste das in seine beiden Hande. Das scheint mir nicht in der Wendung zu liegen. Ein Scherz mit dem Terminus swert geben (s. zu 5733): Tristan ertheilte dem Gegner den Ritterschlag, würde zu fern liegen und überdies geschmacklos sein. — 7088 ande swm., Feind; vgl. zu 8992. 7100 slagen swv., schlagen (dieses aus slahen stv.), klatschen. 7104 diet stf., Volk. — —
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X. MOROLD. 241 (180) ze michélem leide ertaget: von den wart alse vil geklaget, alsô von disen gesungen. si wunden unde twungen ir jâmer under ir henden. Die jâmerigen ellénden die klagenden Irlandære, die wile s' in ir swære ze schiffe wolten gâhen, Tristan begunde in nâhen und an dem stade bekom er in: «ir hêrren», sprach er «kêret hin, enpfâhet jenez zínsréht, daz ir dort uf dem werde seht, und bringet iuwerm hêrren heim und saget im, daz mîn éhéim der künic Marke und sîniu lant diu senden ime den prîsant unde enbieten ime dâ bî, swenn' ez an sînem willen sî, daz er's geruoche unde ger, daz er sîne boten her nâch solhem zinse sende; wir enlâzen s' îtelhende niemer wider gekêren; mit sus getânen êren sende wir si im hinnen, swie kûme wir'z gewinnen.» und swaz hier under rede ergie, mit dem schilte dacte er ie daz blúot únd die wunden vór den únkúnden. und ernérte in ouch daz selbe sider, wan jene die kômen alsô wider, daz ez ir keiner nie bevant; wan si schieden dan zehant 7110 7115 7120 7125 7130 7135 7140 7107 ertagen swv., hier unpersönlich: tagen, Tag erscheinen: der Tag war für sie zu grofsem Leide aufgegangen. — 7110 fg. poetische Wendung für: sie wanden und rangen (zwangen) vor Jammer ihre Hände. 7112 jâmeric adj., vom Jammer erfüllt. — 7117 bekomen mit dat., einem begegnen; in dat. pl., den Irländern (danach mhd. Wb. I, 904b, 5 fg. zu streichen). — 7121 Pronominalellipse : zu ergänzen ez. — 7130 îtelhende adj., (leerhändig), mit leerer Hand. GOTTFRIED VON STRASSBURG. 1. 2. Aufl. 16
X. MOROLD. 241 (180) ze michélem leide ertaget: von den wart alse vil geklaget, alsô von disen gesungen. si wunden unde twungen ir jâmer under ir henden. Die jâmerigen ellénden die klagenden Irlandære, die wile s' in ir swære ze schiffe wolten gâhen, Tristan begunde in nâhen und an dem stade bekom er in: «ir hêrren», sprach er «kêret hin, enpfâhet jenez zínsréht, daz ir dort uf dem werde seht, und bringet iuwerm hêrren heim und saget im, daz mîn éhéim der künic Marke und sîniu lant diu senden ime den prîsant unde enbieten ime dâ bî, swenn' ez an sînem willen sî, daz er's geruoche unde ger, daz er sîne boten her nâch solhem zinse sende; wir enlâzen s' îtelhende niemer wider gekêren; mit sus getânen êren sende wir si im hinnen, swie kûme wir'z gewinnen.» und swaz hier under rede ergie, mit dem schilte dacte er ie daz blúot únd die wunden vór den únkúnden. und ernérte in ouch daz selbe sider, wan jene die kômen alsô wider, daz ez ir keiner nie bevant; wan si schieden dan zehant 7110 7115 7120 7125 7130 7135 7140 7107 ertagen swv., hier unpersönlich: tagen, Tag erscheinen: der Tag war für sie zu grofsem Leide aufgegangen. — 7110 fg. poetische Wendung für: sie wanden und rangen (zwangen) vor Jammer ihre Hände. 7112 jâmeric adj., vom Jammer erfüllt. — 7117 bekomen mit dat., einem begegnen; in dat. pl., den Irländern (danach mhd. Wb. I, 904b, 5 fg. zu streichen). — 7121 Pronominalellipse : zu ergänzen ez. — 7130 îtelhende adj., (leerhändig), mit leerer Hand. GOTTFRIED VON STRASSBURG. 1. 2. Aufl. 16
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242 X. MOROLD. (181) und fuoren hin zem werde sâ und funden vür ir hêrren dâ einèn zerstúckéten man. den selben fuorten s' ouch von dan. Nu sî ze lande kâmen, ze hándén si námen den jæmerlîchen prîsánt, der bî in dar was gesant. diu stucke meine ich elliu driu: zesamene léitén si diu, daz iemen iht dâ von verlür; ir hêrren truogen sî si vür und seiten ime, als ich ê las, vil rehte als ime enboten was. ich wæne unde versihe mich wol, des ich mich wol versehen sol, der künec Gurmûn Gemúothéit, der hæte unmuot und michel leit und gieng in ouch des nôt án: er verlôs an disem einen man herz’ unde muot, trôst unde kraft und maneges mannes ritterschaft. diu schîbe, diu sîn êre truoc, die Môrolt frîlîche sluoc in den bîlanden allen, diu was dô nider gevallen. 7145 7150 7155 7160 7165 Diu künigîn sîn swester, der leit was aber noch vester, ir jâmer unde ir klagenôt: si unde ir tohter Isôt si quelten manege wîs ir lîp, als ir wol wizzet, daz diu wîp vil nâhe gênde klage hânt, dâ in diu leit ze herzen gânt. si sâhen disen tôten man durch niht niwan durch jâmer an, 7170 7175 7161 mich gât nôt (subst.) an mit gen. (des), ich habe Ursache dazu. — 7165 schîbe swf., die Scheibe, das Rad des Glücks ; vgl. 14474; häufiger die schîben triben; d. sch. slahen, z. B. Martina 219, 54. — 7166 in frîlîche adv. muß an dieser Stelle mehr enthalten sein als der Begriff: frei, rückhalts- los; vielmehr subjectiver: mit unverzagtem, frischem Sinn (vgl. 15778).
242 X. MOROLD. (181) und fuoren hin zem werde sâ und funden vür ir hêrren dâ einèn zerstúckéten man. den selben fuorten s' ouch von dan. Nu sî ze lande kâmen, ze hándén si námen den jæmerlîchen prîsánt, der bî in dar was gesant. diu stucke meine ich elliu driu: zesamene léitén si diu, daz iemen iht dâ von verlür; ir hêrren truogen sî si vür und seiten ime, als ich ê las, vil rehte als ime enboten was. ich wæne unde versihe mich wol, des ich mich wol versehen sol, der künec Gurmûn Gemúothéit, der hæte unmuot und michel leit und gieng in ouch des nôt án: er verlôs an disem einen man herz’ unde muot, trôst unde kraft und maneges mannes ritterschaft. diu schîbe, diu sîn êre truoc, die Môrolt frîlîche sluoc in den bîlanden allen, diu was dô nider gevallen. 7145 7150 7155 7160 7165 Diu künigîn sîn swester, der leit was aber noch vester, ir jâmer unde ir klagenôt: si unde ir tohter Isôt si quelten manege wîs ir lîp, als ir wol wizzet, daz diu wîp vil nâhe gênde klage hânt, dâ in diu leit ze herzen gânt. si sâhen disen tôten man durch niht niwan durch jâmer an, 7170 7175 7161 mich gât nôt (subst.) an mit gen. (des), ich habe Ursache dazu. — 7165 schîbe swf., die Scheibe, das Rad des Glücks ; vgl. 14474; häufiger die schîben triben; d. sch. slahen, z. B. Martina 219, 54. — 7166 in frîlîche adv. muß an dieser Stelle mehr enthalten sein als der Begriff: frei, rückhalts- los; vielmehr subjectiver: mit unverzagtem, frischem Sinn (vgl. 15778).
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X. MOROLD. 243 durch daz ir herzesware al deste groezer wære. daz houbet kusten s' und die hant, diu in liute unde lant hæte gemachet undertân, als ich hie vor gesaget hân. des hóubétes wunden besâhen s' oben und unden ang' unde jæmerlîche. nu ersách diu sinnerîche, diu wîse küniginne die schártén dar inne. si besânde ein kleinez zängelîn, dâ mite reichte sî dar în unde gewan die scharten dan. si unde ir tohter sâhen s' an mit jâmer und mit leide und nâmen sî dô beide und leiten si in einen schrîn, dâ sît daz selbe stuckelîn (182) Tristanden brähté ze nôt. Nu hêrre Môrolt der ist tôt: tribe ích nu michel mære von ir aller sware und von ir klage, was hülfe daz? uns ware nihtes deste baz. wer möhte ir aller leit beklagen? Môrolt wart ze grabe getragen, begraben alse ein ander man. Gurmůn dô trürén began und hiez gebieten al zehant über ál daz rîche ze Irlant, daz man genôte næme war, swaz in der werlde lebendes dar 7185 7190 7195 7200 7205 7180 7210 7190 scharte swf., Scharte [nhd. beschränkter], Lücke, Wunde, und zwar, im Gegensatze zu wunden in V. 7185, der Kern der Wunde. — 7192 reichen swv. = unserm: langen. — 7193 hier hat scharte andern Sinn als in V. 7190 (wo stilgemäßs das Wort entschieden nicht den hier gültigen haben kann), nämlich: das ausgehauene Stück (vom Schwerte Tristan’s), der Splitter; vgl. zu 10189. 10192. 7204 uns wäre damit nicht gedient, geholfen; vgl. die ähnliche Wen- dung in V. 7268. — 7211 genôte adv., eifrig, angelegentlich; bei Gottfried häufig, namentlich im Reime (:Isôte, Melôte) gut verwendbar. — 16 *
X. MOROLD. 243 durch daz ir herzesware al deste groezer wære. daz houbet kusten s' und die hant, diu in liute unde lant hæte gemachet undertân, als ich hie vor gesaget hân. des hóubétes wunden besâhen s' oben und unden ang' unde jæmerlîche. nu ersách diu sinnerîche, diu wîse küniginne die schártén dar inne. si besânde ein kleinez zängelîn, dâ mite reichte sî dar în unde gewan die scharten dan. si unde ir tohter sâhen s' an mit jâmer und mit leide und nâmen sî dô beide und leiten si in einen schrîn, dâ sît daz selbe stuckelîn (182) Tristanden brähté ze nôt. Nu hêrre Môrolt der ist tôt: tribe ích nu michel mære von ir aller sware und von ir klage, was hülfe daz? uns ware nihtes deste baz. wer möhte ir aller leit beklagen? Môrolt wart ze grabe getragen, begraben alse ein ander man. Gurmůn dô trürén began und hiez gebieten al zehant über ál daz rîche ze Irlant, daz man genôte næme war, swaz in der werlde lebendes dar 7185 7190 7195 7200 7205 7180 7210 7190 scharte swf., Scharte [nhd. beschränkter], Lücke, Wunde, und zwar, im Gegensatze zu wunden in V. 7185, der Kern der Wunde. — 7192 reichen swv. = unserm: langen. — 7193 hier hat scharte andern Sinn als in V. 7190 (wo stilgemäßs das Wort entschieden nicht den hier gültigen haben kann), nämlich: das ausgehauene Stück (vom Schwerte Tristan’s), der Splitter; vgl. zu 10189. 10192. 7204 uns wäre damit nicht gedient, geholfen; vgl. die ähnliche Wen- dung in V. 7268. — 7211 genôte adv., eifrig, angelegentlich; bei Gottfried häufig, namentlich im Reime (:Isôte, Melôte) gut verwendbar. — 16 *
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244 X. MOROLD. von Kurnewâle kæme, daz mán im den lip næeme, ez ware wîp óder man. diz gebot und dirre ban der gie vür sich sô sêre, daz niemen keine kêre ze dehéiner slahte stunde dâ hin gehaben kunde von kurnewalscher diete, daz er deheine miete mohte gebieten oder gegeben, ez engienge im niuwan an daz leben, biz maneger muoter kint dâ van unschuldeclichen schaden gewan; und was daz allez âne nôt, wan Môrolt lac billîchen tôt ; der was niwan an sîner kraft und niht an gote gemúotháft und fuorte z'allen zîten ze allen sînen strîten gewált únde hôchvárt, in den er ouch gevellet wart. 7215 7220 7225 7230 7216 ban stm., Bann ; aber wohl nicht: Verbannung, weltliche Proscription (mhd. Wb. I, 86a, 42 fg.), sondern als Synonym von gebot allgemeiner: Strafbefehl. — 7222 miete stf., (Miethe), Lohn, Bezahlung, Lösegeld. 7223 gebieten stv., verst. bieten, anbieten.
244 X. MOROLD. von Kurnewâle kæme, daz mán im den lip næeme, ez ware wîp óder man. diz gebot und dirre ban der gie vür sich sô sêre, daz niemen keine kêre ze dehéiner slahte stunde dâ hin gehaben kunde von kurnewalscher diete, daz er deheine miete mohte gebieten oder gegeben, ez engienge im niuwan an daz leben, biz maneger muoter kint dâ van unschuldeclichen schaden gewan; und was daz allez âne nôt, wan Môrolt lac billîchen tôt ; der was niwan an sîner kraft und niht an gote gemúotháft und fuorte z'allen zîten ze allen sînen strîten gewált únde hôchvárt, in den er ouch gevellet wart. 7215 7220 7225 7230 7216 ban stm., Bann ; aber wohl nicht: Verbannung, weltliche Proscription (mhd. Wb. I, 86a, 42 fg.), sondern als Synonym von gebot allgemeiner: Strafbefehl. — 7222 miete stf., (Miethe), Lohn, Bezahlung, Lösegeld. 7223 gebieten stv., verst. bieten, anbieten.
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XI. TANTRIS. Tristan's Sieg wird gefeiert, seine Verwundung beklagt. Kein Arzt kann ihm helfen, darum will er, die Wahrheit von Morold's Rede erken- nend, zur Königin Isolt nach Irland fahren. Marke willigt ein. Das Ge- rücht soll verbreitet werden, er weile in Salerne um seiner Heilung willen. Mit Kurvenal und acht Mannen tritt er die Reise an; bei Develîn, dem Sitze der Königin, machen sie Halt. In ärmliches Gewand gekleidet, be- steigt Tristan in der Nacht eine halbe Meile vor der Stadt ein Schifflein, nimmt seine Harfe zu sich und versorgt sich mit Nahrung auf einige Tage. Kurvenal und die Gefährten sendet er in der Barke zurück mit Grüßsen an den Oheim und mit Befehlen im Falle seines Todes. Am Morgen werden die von Develîn das verlassene Schifflein auf dem Wasser gewahr und senden Boten dahin aus. Diese erblicken niemand, hören aber Harfenspiel und eines Mannes Gesang. Sie kommen heran, und Tristan erzählt ihnen ein erdichtetes Abenteuer und bittet sie zu- gleich , sich seiner anzunehmen. Um seiner Kunst willen bringen ihn die Boten nach der Stadt, und die Bürger erbarmen sich seiner und geben ihn in die Pflege eines Arztes. Das Gerücht vom todtwunden Spielmann kommt auch zu Ohren eines Pfaffen, des Lehrmeisters der Königin und der jungen Isolt. Er ist entzückt von Tristan's Spiel und berichtet der Königin von seiner Meisterschaft und von der Wunde, die sein Arzt nicht hätte heilen können. Die Königin lässt Tristan zu sich schaffen, erkennt sofort seine Vergiftung und erbietet sich, ihn zu heilen. Der Spielmann, der sich Tantris nennt, harft und singt vor den Frauen. Als Entgelt für seine Heilung wünscht die Königin, dafs Tantris ihre Tochter in Sprachen und Saitenspiel unterweise. In zwanzig Tagen ist die Wunde geheilt. Mit. Eifer und Erfolg genießt die junge Isolt den Unterricht ihres neuen Mei- sters. Endlich begehrt Tristan von dannen, aus Furcht, er möge doch vielleicht von einem der Irländer erkannt werden. Die Frauen gewähren ihm erst dann den Urlaub, als er vorgibt, er habe ein geliebtes eheliches Weib, die einem andern gegeben werde, wenn er nicht wiederkehre. Be- schenkt kehrt hierauf Tristan über Engeland nach Kurnewal wieder heim. Nu grîfe wider, dâ ich ez liez. Tristan dô der ze stade gestiez âne ros und âne sper, nu kômen tûsent rotte her 7235
XI. TANTRIS. Tristan's Sieg wird gefeiert, seine Verwundung beklagt. Kein Arzt kann ihm helfen, darum will er, die Wahrheit von Morold's Rede erken- nend, zur Königin Isolt nach Irland fahren. Marke willigt ein. Das Ge- rücht soll verbreitet werden, er weile in Salerne um seiner Heilung willen. Mit Kurvenal und acht Mannen tritt er die Reise an; bei Develîn, dem Sitze der Königin, machen sie Halt. In ärmliches Gewand gekleidet, be- steigt Tristan in der Nacht eine halbe Meile vor der Stadt ein Schifflein, nimmt seine Harfe zu sich und versorgt sich mit Nahrung auf einige Tage. Kurvenal und die Gefährten sendet er in der Barke zurück mit Grüßsen an den Oheim und mit Befehlen im Falle seines Todes. Am Morgen werden die von Develîn das verlassene Schifflein auf dem Wasser gewahr und senden Boten dahin aus. Diese erblicken niemand, hören aber Harfenspiel und eines Mannes Gesang. Sie kommen heran, und Tristan erzählt ihnen ein erdichtetes Abenteuer und bittet sie zu- gleich , sich seiner anzunehmen. Um seiner Kunst willen bringen ihn die Boten nach der Stadt, und die Bürger erbarmen sich seiner und geben ihn in die Pflege eines Arztes. Das Gerücht vom todtwunden Spielmann kommt auch zu Ohren eines Pfaffen, des Lehrmeisters der Königin und der jungen Isolt. Er ist entzückt von Tristan's Spiel und berichtet der Königin von seiner Meisterschaft und von der Wunde, die sein Arzt nicht hätte heilen können. Die Königin lässt Tristan zu sich schaffen, erkennt sofort seine Vergiftung und erbietet sich, ihn zu heilen. Der Spielmann, der sich Tantris nennt, harft und singt vor den Frauen. Als Entgelt für seine Heilung wünscht die Königin, dafs Tantris ihre Tochter in Sprachen und Saitenspiel unterweise. In zwanzig Tagen ist die Wunde geheilt. Mit. Eifer und Erfolg genießt die junge Isolt den Unterricht ihres neuen Mei- sters. Endlich begehrt Tristan von dannen, aus Furcht, er möge doch vielleicht von einem der Irländer erkannt werden. Die Frauen gewähren ihm erst dann den Urlaub, als er vorgibt, er habe ein geliebtes eheliches Weib, die einem andern gegeben werde, wenn er nicht wiederkehre. Be- schenkt kehrt hierauf Tristan über Engeland nach Kurnewal wieder heim. Nu grîfe wider, dâ ich ez liez. Tristan dô der ze stade gestiez âne ros und âne sper, nu kômen tûsent rotte her 7235
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246 XI. TANTRIS. (183) gedrungen mit ir gruoze ze orse und ze fuoze: si enpfiengen in frôliche. künec únde künicrîche dien' gelébeten nie sô lieben tac, des man in wol getruwen mac; wan in was uf erstanden grôz êre ûz sînen handen: ir aller laster unde ir leit daz hæte er eine hine geleit. und aber die wunden, die er truoc, die beklageten si genuoc und gieng in sêre nâhen; wan sî sich aber versâhen, daz er von dirre swære schiere genesen wære, done áhten sî'z ze nihte, si fuorten in enrihte hin wider zem palas under in. wol balde entwâfénten s' in und schuofen ime senft’ unde gemach, als er od iemen vor gesprach. 7245 7250 7255 7240 7260 Arzâte man besande von bürgen und von lande die allerbesten, die man vant. wie dô die wârén besant, die leiten állén ir sin mit arzâtlîchem liste an in. waz truoc daz vür od waz half daz? im was doch nihtes deste baz. daz si álle samet wisten von arzâtlichen listen daz enmóhte im niht ze staten gestân: daz gelüppe was alsô getân, daz si'z mit nihte kunden gescheiden von der wunden, 7265 7270 7260 vor gesprechen stv., vorschlagen, verlangen; mit acc. in V. 7888. 7267 vür tragen, nützen; vgl. 6204. 11835. — 7272 gelüppe stn., Gift; in der Regel das Gift an den Waffen, welches die Wunden unheilbar macht. —
246 XI. TANTRIS. (183) gedrungen mit ir gruoze ze orse und ze fuoze: si enpfiengen in frôliche. künec únde künicrîche dien' gelébeten nie sô lieben tac, des man in wol getruwen mac; wan in was uf erstanden grôz êre ûz sînen handen: ir aller laster unde ir leit daz hæte er eine hine geleit. und aber die wunden, die er truoc, die beklageten si genuoc und gieng in sêre nâhen; wan sî sich aber versâhen, daz er von dirre swære schiere genesen wære, done áhten sî'z ze nihte, si fuorten in enrihte hin wider zem palas under in. wol balde entwâfénten s' in und schuofen ime senft’ unde gemach, als er od iemen vor gesprach. 7245 7250 7255 7240 7260 Arzâte man besande von bürgen und von lande die allerbesten, die man vant. wie dô die wârén besant, die leiten állén ir sin mit arzâtlîchem liste an in. waz truoc daz vür od waz half daz? im was doch nihtes deste baz. daz si álle samet wisten von arzâtlichen listen daz enmóhte im niht ze staten gestân: daz gelüppe was alsô getân, daz si'z mit nihte kunden gescheiden von der wunden, 7265 7270 7260 vor gesprechen stv., vorschlagen, verlangen; mit acc. in V. 7888. 7267 vür tragen, nützen; vgl. 6204. 11835. — 7272 gelüppe stn., Gift; in der Regel das Gift an den Waffen, welches die Wunden unheilbar macht. —
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XI. TANTRIS. 247 7275 (184) und ez im al den lip ergienc und eine várwé gevienc sô jæmerlicher hande, daz man in kúme erkande. dar zuo gevie der selbe slac einèn sô griuwelîchen smac, daz ime daz leben swârte, sîn eigen lîp unmârte. ouch was sîn meistez ungemach, daz er daz alle zit wol sach, daz er dén begunde swâren, die sîne friunde ê wâren, und erkánde ie baz unde baz Môroldes rede; ouch hæte er daz ê mâles dicke wol vernomen, wie schoene und wie vollekomen Isôt sîn swester ware; wan von ir floug ein mære in allen den bîlanden, die ir namen erkanden: diu wîse Isôt, diu schoene Isôt, diu liuhtet alse der morgenrôt. 7280 7285 7290 7295 Tristan der sórcháfte man hie gedâhte er z'allen zîten an und wiste wol, solt’ er genesen, daz enkúnde niemér gewesen wan eine von ir liste, diu disen list dâ wiste, diu sinnerîche künigîn. wie ez aber möhte gesîn, des enkúnde er niht betrahten. nu begúnde er aber daz ahten, 7300 7305 7275 ergán, hier transitiv: durchgehen, durchströmen; vgl. 13327. — 7276 elliptisch; zu ergänzen: er. — gevâhen, hier: empfangen, bekommen. — 7279 slac stm., hier: der empfangene Schlag, die Wunde. — 7280 smac stm., (Geschmack), Geruch. — 7281 swarte præt. von swaren swv. intrans. (bei Gottfried nur trans.) oder præt. von swaren swv., hier letzteres. swâren (:wâren 7285) mit dat., einem schwer, lästig werden. — 7282 unmœeren swv., mit dat. der Person, unmœre, unwerth (2146) sein oder werden. — 7294 die (nach den Hss.) nicht direct grammatisch auf bîlanden zu be- ziehen, sondern nach dem Sinn auf die Einwohner der Nachbarländer; eine Anderung in diu, wie sie Maßmann vorgenommen hat, ist nicht geboten und nicht statthaft.
XI. TANTRIS. 247 7275 (184) und ez im al den lip ergienc und eine várwé gevienc sô jæmerlicher hande, daz man in kúme erkande. dar zuo gevie der selbe slac einèn sô griuwelîchen smac, daz ime daz leben swârte, sîn eigen lîp unmârte. ouch was sîn meistez ungemach, daz er daz alle zit wol sach, daz er dén begunde swâren, die sîne friunde ê wâren, und erkánde ie baz unde baz Môroldes rede; ouch hæte er daz ê mâles dicke wol vernomen, wie schoene und wie vollekomen Isôt sîn swester ware; wan von ir floug ein mære in allen den bîlanden, die ir namen erkanden: diu wîse Isôt, diu schoene Isôt, diu liuhtet alse der morgenrôt. 7280 7285 7290 7295 Tristan der sórcháfte man hie gedâhte er z'allen zîten an und wiste wol, solt’ er genesen, daz enkúnde niemér gewesen wan eine von ir liste, diu disen list dâ wiste, diu sinnerîche künigîn. wie ez aber möhte gesîn, des enkúnde er niht betrahten. nu begúnde er aber daz ahten, 7300 7305 7275 ergán, hier transitiv: durchgehen, durchströmen; vgl. 13327. — 7276 elliptisch; zu ergänzen: er. — gevâhen, hier: empfangen, bekommen. — 7279 slac stm., hier: der empfangene Schlag, die Wunde. — 7280 smac stm., (Geschmack), Geruch. — 7281 swarte præt. von swaren swv. intrans. (bei Gottfried nur trans.) oder præt. von swaren swv., hier letzteres. swâren (:wâren 7285) mit dat., einem schwer, lästig werden. — 7282 unmœeren swv., mit dat. der Person, unmœre, unwerth (2146) sein oder werden. — 7294 die (nach den Hss.) nicht direct grammatisch auf bîlanden zu be- ziehen, sondern nach dem Sinn auf die Einwohner der Nachbarländer; eine Anderung in diu, wie sie Maßmann vorgenommen hat, ist nicht geboten und nicht statthaft.
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248 XI. TANTRIS. sît ez sin tôt doch wære, sô wære im alse mære der lip gewâget oder tôt als disiu tôtlîche nôt. hie mite besazte er sînen sin, er wolte benamen dâ hin, ez ergienge im, swie got wolte, genære, obe er solte. 7310 (185) Sînen ééheim den besande er: er seite im al von ende her sîn tougen unde sînen muot, als ein friunt sînem friunde tuot, wes im wille ware nâch Môroldes mære. diz geviel im übele unde wol, wan daz man schaden ze noeten sol dulten, als man beste kan. undèr zwein übelen kiese man, daz danne minner übel ist: daz selbe ist ouch ein nütze list. sus wurden sî zwên’ under in zwein ir dinges állés enein, als ez ouch allez gendet wart, wie er volante sîne vart; wie man’z verswigen solte, daz er ze Irlanden wolte; wie man sólte sagen mære daz er in Salerne wære dur sînes lîbés genist. nu disiu rede besetzet ist, Kurvenal wart ouch besant. dem selben seiten s' ouch zehant ir beider willen unde ir muot. diz dûhte Kurvenâlen guot und jach, er wolte mit im wesen, mit ime ersterben oder genesen. 7320 7325 7330 7335 7340 7315 7308 maere adj., hier: lieb ; vgl. wegen gewâget zu 172. — 7311 besetzen, hier: festsetzen: er fasste den festen Entschluß; vgl. 11781. 19060. 7317 tougen stn., Geheimniss. — 7330 volante ist conj. — 7336 besetzen, hier wie in V. 7311 = festsetzen, beschließsen.
248 XI. TANTRIS. sît ez sin tôt doch wære, sô wære im alse mære der lip gewâget oder tôt als disiu tôtlîche nôt. hie mite besazte er sînen sin, er wolte benamen dâ hin, ez ergienge im, swie got wolte, genære, obe er solte. 7310 (185) Sînen ééheim den besande er: er seite im al von ende her sîn tougen unde sînen muot, als ein friunt sînem friunde tuot, wes im wille ware nâch Môroldes mære. diz geviel im übele unde wol, wan daz man schaden ze noeten sol dulten, als man beste kan. undèr zwein übelen kiese man, daz danne minner übel ist: daz selbe ist ouch ein nütze list. sus wurden sî zwên’ under in zwein ir dinges állés enein, als ez ouch allez gendet wart, wie er volante sîne vart; wie man’z verswigen solte, daz er ze Irlanden wolte; wie man sólte sagen mære daz er in Salerne wære dur sînes lîbés genist. nu disiu rede besetzet ist, Kurvenal wart ouch besant. dem selben seiten s' ouch zehant ir beider willen unde ir muot. diz dûhte Kurvenâlen guot und jach, er wolte mit im wesen, mit ime ersterben oder genesen. 7320 7325 7330 7335 7340 7315 7308 maere adj., hier: lieb ; vgl. wegen gewâget zu 172. — 7311 besetzen, hier: festsetzen: er fasste den festen Entschluß; vgl. 11781. 19060. 7317 tougen stn., Geheimniss. — 7330 volante ist conj. — 7336 besetzen, hier wie in V. 7311 = festsetzen, beschließsen.
Strana 249
XI. TANTRIS. 249 (186) Und alse ez âbénde wart, nu beréite man in zuo z'ir vart eine bárken unde ein schiffelîn und schuof in vollen rât dar în an lipnar unde an spîse, an andere schifwîse. dâ wart der arme Tristán mit maneger klage getragen an vil tougenlîchen unde alsô, daz dirre schiffúnge dô vil lützel iemen wart gewar, wan die man ouch besande dar. sînem ééhéime Marke dem beválch er harte starke sîn gesínde und andér sîn dinc, daz sînes dinges iemer rinc von ein ander kæme, biz man von ime vernæme gewislîchiu mære, wie ez im ergangen ware. sîne hárphen er besande: die fuorte er ouch von lande und sînes dinges nie niht mê. 7345 7350 7355 7360 7365 Hie mite sô stiezen s' an den sê. sus fuoren si von dannen niwan mit ahte mannen; die selben hæten ouch ir leben ze bürgen und ze pfande gegeben und ouch versíchért bî gote, daz si ûz ir zwéiér gebote niemer fuoz getræten. nu sî geschiffet hæten, und Marke nâch Tristande sach , sîn kurzewile und sîn gemach, 7370 7375 7343 âbende part. præs. (= âbendende) von âbenden swv., Abend wer- den; Wendung wie tagende werden, vgl. zu 5511. — 7347 lipnar stf., Lei- besnahrung, Lebensmittel, Unterhalt. — 7348 schifwise stf., (Schiffsweise), Schiffsausrüstung. — 7352 schiffunge stf., hier abstract = Einschiffung. — 7358 rinc stm., hier wie in V. 6319. iemer rinc = niemer rinc, niemals auch nur das Geringste. — 7361 gewislich adj. = gewis. 7374 schiffen construiert mit haben = sich einschiffen. —
XI. TANTRIS. 249 (186) Und alse ez âbénde wart, nu beréite man in zuo z'ir vart eine bárken unde ein schiffelîn und schuof in vollen rât dar în an lipnar unde an spîse, an andere schifwîse. dâ wart der arme Tristán mit maneger klage getragen an vil tougenlîchen unde alsô, daz dirre schiffúnge dô vil lützel iemen wart gewar, wan die man ouch besande dar. sînem ééhéime Marke dem beválch er harte starke sîn gesínde und andér sîn dinc, daz sînes dinges iemer rinc von ein ander kæme, biz man von ime vernæme gewislîchiu mære, wie ez im ergangen ware. sîne hárphen er besande: die fuorte er ouch von lande und sînes dinges nie niht mê. 7345 7350 7355 7360 7365 Hie mite sô stiezen s' an den sê. sus fuoren si von dannen niwan mit ahte mannen; die selben hæten ouch ir leben ze bürgen und ze pfande gegeben und ouch versíchért bî gote, daz si ûz ir zwéiér gebote niemer fuoz getræten. nu sî geschiffet hæten, und Marke nâch Tristande sach , sîn kurzewile und sîn gemach, 7370 7375 7343 âbende part. præs. (= âbendende) von âbenden swv., Abend wer- den; Wendung wie tagende werden, vgl. zu 5511. — 7347 lipnar stf., Lei- besnahrung, Lebensmittel, Unterhalt. — 7348 schifwise stf., (Schiffsweise), Schiffsausrüstung. — 7352 schiffunge stf., hier abstract = Einschiffung. — 7358 rinc stm., hier wie in V. 6319. iemer rinc = niemer rinc, niemals auch nur das Geringste. — 7361 gewislich adj. = gewis. 7374 schiffen construiert mit haben = sich einschiffen. —
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250 XI. TANTRIS. ich weiz wol, daz was kleine: ze herzen und ze beine gieng ime daz selbe scheiden, wan daz ez aber in beiden ze fröuden und ze liebe kam. nu daz daz lántvólc vernam, mit wie getâner swære Tristan gevaren wære hin ze Salerne durch genesen, waer’ er ir aller kint gewesen, sîn leit enwaere in allen nie nâhèr gegangen, danne ez gie; und wande im ouch sîn ungemach ín ir diensté geschach, al deste nâher gieng ez in. 7380 7385 7390 (187) Nu Tristan der fuor allez hin über state und über maht béidiu tác únde naht die rihte wider Irlánt, als in des märnéres hant wol geleiten kunde. und als daz schif begunde Irlande alsô genâhen, daz si daz lant wol sâhen, Tristan den stiurméister bat, daz er sich gein der houbetstat ze Develîne wante, wan er daz wol erkante, daz diu wîse küniginne hæte ir wesen dar inne. des endes er dô gâhte; und alse er ir genâhte, daz er si kôs und ebene sach, «seht, hêrre», er ze Tristande sprach "ich sihe die stat: waz râtet ir?" 7395 7400 7405 7410 7385 genesen subst. inf. stn., Genesung, Heilung. 7393 über state und über maht, über Verhältnisse und Kräfte hinaus; doch kann auch state nach V. 7678 zu schließen als Synonym von maht angesehen werden = kraft. — 7396 marnœre, märnare stm., Schiffer, Steuer- mann. — 7409 ebene adv., hier: genau, deutlich. —
250 XI. TANTRIS. ich weiz wol, daz was kleine: ze herzen und ze beine gieng ime daz selbe scheiden, wan daz ez aber in beiden ze fröuden und ze liebe kam. nu daz daz lántvólc vernam, mit wie getâner swære Tristan gevaren wære hin ze Salerne durch genesen, waer’ er ir aller kint gewesen, sîn leit enwaere in allen nie nâhèr gegangen, danne ez gie; und wande im ouch sîn ungemach ín ir diensté geschach, al deste nâher gieng ez in. 7380 7385 7390 (187) Nu Tristan der fuor allez hin über state und über maht béidiu tác únde naht die rihte wider Irlánt, als in des märnéres hant wol geleiten kunde. und als daz schif begunde Irlande alsô genâhen, daz si daz lant wol sâhen, Tristan den stiurméister bat, daz er sich gein der houbetstat ze Develîne wante, wan er daz wol erkante, daz diu wîse küniginne hæte ir wesen dar inne. des endes er dô gâhte; und alse er ir genâhte, daz er si kôs und ebene sach, «seht, hêrre», er ze Tristande sprach "ich sihe die stat: waz râtet ir?" 7395 7400 7405 7410 7385 genesen subst. inf. stn., Genesung, Heilung. 7393 über state und über maht, über Verhältnisse und Kräfte hinaus; doch kann auch state nach V. 7678 zu schließen als Synonym von maht angesehen werden = kraft. — 7396 marnœre, märnare stm., Schiffer, Steuer- mann. — 7409 ebene adv., hier: genau, deutlich. —
Strana 251
XI. TANTRIS. 251 Tristan dô sprach: «dâ sulen wir hie enkeren unde belîben, disen âbent hie vertriben und ouch der naht ein teil hie sîn.» sus wurfen si den anker în und ruoweten den âbent dâ. und in der naht dô hiez er sâ gein der stat hin lâzen gân. und alse daz dô was getân, daz si sô nâhe kâmen, daz si ir gemerke nâmen eine hâlbe mile von der stat, Tristan ime dô geben bat daz allerermeste gewant, daz man in der barken vant. und als man ime daz ane getete, er hiez sich legen an der stete ûz der bárken in daz schiffelîn. sîne hárphen hiez er ouch dar în und in der mâze spîse geben, daz er ir möhté geleben drî tage oder viere. 7415 7420 7425 7430 (188) Nu diz was allez schiere nâch sînem willén getân. Kurvenâlen hiez er vür sich gân und ouch die schífmán mit im: «friunt Kurvenal», sprach er «nu nim dise bárken und diz liut an dich und pflig ir schône und wol dur mich alle stunde und alle zît! und alse ir wider komen sit, sô lône in alsô rîche, daz si únser héinlîche getriuwelîche mit uns tragen und niemen niht hier umbe sagen. 7435 7440 7445 7413 die vereinzelte Lesart von M kêren vielleicht die echte = Halt machen. — 7422 gemerke stn. nemen kann hier nur heifsen: einen Standort für die Beobachtung einnehmen; fraglich ist, ob das Wort Collectiv zu marke oder zu merke; wohl letzteres. — 7432 ir = der spîse, davon. — geleben = leben. 7444 heinliche stf., hier: Heimlichkeit, Geheimniss. —
XI. TANTRIS. 251 Tristan dô sprach: «dâ sulen wir hie enkeren unde belîben, disen âbent hie vertriben und ouch der naht ein teil hie sîn.» sus wurfen si den anker în und ruoweten den âbent dâ. und in der naht dô hiez er sâ gein der stat hin lâzen gân. und alse daz dô was getân, daz si sô nâhe kâmen, daz si ir gemerke nâmen eine hâlbe mile von der stat, Tristan ime dô geben bat daz allerermeste gewant, daz man in der barken vant. und als man ime daz ane getete, er hiez sich legen an der stete ûz der bárken in daz schiffelîn. sîne hárphen hiez er ouch dar în und in der mâze spîse geben, daz er ir möhté geleben drî tage oder viere. 7415 7420 7425 7430 (188) Nu diz was allez schiere nâch sînem willén getân. Kurvenâlen hiez er vür sich gân und ouch die schífmán mit im: «friunt Kurvenal», sprach er «nu nim dise bárken und diz liut an dich und pflig ir schône und wol dur mich alle stunde und alle zît! und alse ir wider komen sit, sô lône in alsô rîche, daz si únser héinlîche getriuwelîche mit uns tragen und niemen niht hier umbe sagen. 7435 7440 7445 7413 die vereinzelte Lesart von M kêren vielleicht die echte = Halt machen. — 7422 gemerke stn. nemen kann hier nur heifsen: einen Standort für die Beobachtung einnehmen; fraglich ist, ob das Wort Collectiv zu marke oder zu merke; wohl letzteres. — 7432 ir = der spîse, davon. — geleben = leben. 7444 heinliche stf., hier: Heimlichkeit, Geheimniss. —
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252 XI. TANTRIS. (189) und kêre balde wider heim ; grüeze mînen ééhéim und sage im daz, daz ich noch lebe, und müge ouch noch mit gotes gebe wol vürbaz leben unde genesen: ern sol niht leidic umbe mich wesen. und sage im daz zewâre, ich kome in disem jâre, ist daz ich genesen sol; gelinget mînen dingen wol, daz wirt im schieré bekant. sage in den hof und in daz lant, daz ich belibe in dirre nôt under wégen ûf der verte tôt. mîn gesinde, daz ich noch dâ habe, daz lâ benamen niht komen abe: sich, daz si min dâ bîten biz zuo den selben zîten, als ich dir hie gesaget hân. und ist ez aber alsô getân, daz mir in dirre jâres frist gelücke niht geschehen ist, sô muget ir iuch mîn wol bewegen, so lât ir got der sêle pflegen und nemet ir iuwer selbes war: sô nim du mîn liut unde var hin heim ze Parmenîe wider und lâ dich bî Rûâle nider; mînem lieben vater, dem sage von mir, daz er mir mîner triuwe an dir durch sîne triuwe lône und biete dir ez schône und tugentlîche, als er wol kan, und underwîse in ouch dar an: die mir habent gedienet her, daz er mich an den gewer einer béte unde deheiner mê; als iegelîches dienest stê, daz er im danke und lône alsô. nu, lieben liute», sprach er dô 7455 7460 7465 7470 7475 7480 7450 7485 7462 abe komen, abgehen, weggehen (aus dem Dienste). — 7481 fg. die abhängig von an den. —
252 XI. TANTRIS. (189) und kêre balde wider heim ; grüeze mînen ééhéim und sage im daz, daz ich noch lebe, und müge ouch noch mit gotes gebe wol vürbaz leben unde genesen: ern sol niht leidic umbe mich wesen. und sage im daz zewâre, ich kome in disem jâre, ist daz ich genesen sol; gelinget mînen dingen wol, daz wirt im schieré bekant. sage in den hof und in daz lant, daz ich belibe in dirre nôt under wégen ûf der verte tôt. mîn gesinde, daz ich noch dâ habe, daz lâ benamen niht komen abe: sich, daz si min dâ bîten biz zuo den selben zîten, als ich dir hie gesaget hân. und ist ez aber alsô getân, daz mir in dirre jâres frist gelücke niht geschehen ist, sô muget ir iuch mîn wol bewegen, so lât ir got der sêle pflegen und nemet ir iuwer selbes war: sô nim du mîn liut unde var hin heim ze Parmenîe wider und lâ dich bî Rûâle nider; mînem lieben vater, dem sage von mir, daz er mir mîner triuwe an dir durch sîne triuwe lône und biete dir ez schône und tugentlîche, als er wol kan, und underwîse in ouch dar an: die mir habent gedienet her, daz er mich an den gewer einer béte unde deheiner mê; als iegelîches dienest stê, daz er im danke und lône alsô. nu, lieben liute», sprach er dô 7455 7460 7465 7470 7475 7480 7450 7485 7462 abe komen, abgehen, weggehen (aus dem Dienste). — 7481 fg. die abhängig von an den. —
Strana 253
XI. TANTRIS. 253 «hie mite sô sît ir gote ergeben, vart iuwer strâze und lât mich sweben: ich muoz ze disen zîten der gotes genâden bîten; sô habet ouch ir zît, daz ir vart, iuwern lîp und iuwer leben bewart: ez nâhet vaste gein dem tage.» 7490 Sus kêrten si mit maneger klage und mit manegem jâmer hin, mit manegem trahene liezen s' in swebende uf dem wilden sê. in getéte nie scheiden alse wê. ein iegelîch getriuwer man, der ie getriuwen friunt gewan und weiz, wie man den meinen sol, entriuwen der verstât sich wol umbe Kúrvenâles swære; swie swære im aber wære al sîn herze und al sin sin, dô schiffete er doch allez hin. Tristan beleip al eine dâ: der swebete dâ wâ unde wâ mit jâmer und mit sorgen unz an den liehten morgen. und alse die von Develîn daz wiselôse schiffelin in dem wâge ersâhen, sie hiezen balde gâhen und nemen des schiffelînes war. die boten kêrten iesâ dar. 7500 7505 7510 7495 7515 Nu si begunden nâhen und dannoch niemen sâhen, (190) nû gehôrten s' al dort her suoz' unde nâch ir herzen ger eine süeze harphen klingen 7520 7491 ich habe zît, nicht: ich habe Zeit übrig, sondern : es ist Zeit, hohe Zeit für mich. 7496 trahen stm., hier: Thräne stf. (diese Form aus dem Plural trähene); pl. in V. 1208. — 7502 fg. verstân refl. umbe, sich verstehen auf, Verständniss haben für. — 7512 wiselôs adj., führerlos. — 7513 wâc stm. = Woge (2460), hier allgemeiner: Meer.
XI. TANTRIS. 253 «hie mite sô sît ir gote ergeben, vart iuwer strâze und lât mich sweben: ich muoz ze disen zîten der gotes genâden bîten; sô habet ouch ir zît, daz ir vart, iuwern lîp und iuwer leben bewart: ez nâhet vaste gein dem tage.» 7490 Sus kêrten si mit maneger klage und mit manegem jâmer hin, mit manegem trahene liezen s' in swebende uf dem wilden sê. in getéte nie scheiden alse wê. ein iegelîch getriuwer man, der ie getriuwen friunt gewan und weiz, wie man den meinen sol, entriuwen der verstât sich wol umbe Kúrvenâles swære; swie swære im aber wære al sîn herze und al sin sin, dô schiffete er doch allez hin. Tristan beleip al eine dâ: der swebete dâ wâ unde wâ mit jâmer und mit sorgen unz an den liehten morgen. und alse die von Develîn daz wiselôse schiffelin in dem wâge ersâhen, sie hiezen balde gâhen und nemen des schiffelînes war. die boten kêrten iesâ dar. 7500 7505 7510 7495 7515 Nu si begunden nâhen und dannoch niemen sâhen, (190) nû gehôrten s' al dort her suoz' unde nâch ir herzen ger eine süeze harphen klingen 7520 7491 ich habe zît, nicht: ich habe Zeit übrig, sondern : es ist Zeit, hohe Zeit für mich. 7496 trahen stm., hier: Thräne stf. (diese Form aus dem Plural trähene); pl. in V. 1208. — 7502 fg. verstân refl. umbe, sich verstehen auf, Verständniss haben für. — 7512 wiselôs adj., führerlos. — 7513 wâc stm. = Woge (2460), hier allgemeiner: Meer.
Strana 254
254 XI. TANTRIS. und mit der harphen singen einen mán sô rehte suoze, daz si'z in z'einem gruoze und z' âventiure nâmen und von der stat nie kâmen, die wile er harphete unde sanc. diu fröude diu was aber unlanc, der si vón im hæten an der stete, wan swaz er in dâ spils getete mit handen oder mit munde, dázn gie niht von grunde: daz herze daz was niht dermite. so enist ez ouch niht spiles site, daz mán ez dehéine wîle tuo, daz herze daz enstê derzuo; al eine geschehe es harte vil, ez enhéizet doch niht rehte spil, daz man sus ûzen hin getuot âne herze und âne muot. wan daz diu jugent Tristanden mit munde und ouch mit handen ir z'einer kurzewîle twanc, daz er ir harphete unde sanc, ez was dem marteræere ein marter unde ein swære. 7525 7530 7535 7540 7545 Und álse er sîn spil dô verliez, daz ander schif dar nâher stiez: sus griffen s' an sîn schiffelîn und warten widerstrît dar in; nu si sîn begunden nemen war und in sô jæmerlîche var und sô getânen sâhen, nu begúnde ez in versmâhen, daz er daz wunder kunde mit handen und mit munde; doch gruozten sî'n als einen man, 7550 7555 7526 von der stat, von der Stelle: sie hielten an, um Geräusch zu vermeiden während des wunderbaren Spiels. — 7545 marterœre stm., Mär- tyrer [nhd. beschränkter], der Marter Leidende, der Dulder. 7547 verlâzen, hier: aufgeben, beenden. — 7554 versmâhen swv. hier mit dat. (vgl. zu 3892); der Sinn kann hier nicht sein: es dünkte ihnen verächtlich, sondern: sie waren betroffen. —
254 XI. TANTRIS. und mit der harphen singen einen mán sô rehte suoze, daz si'z in z'einem gruoze und z' âventiure nâmen und von der stat nie kâmen, die wile er harphete unde sanc. diu fröude diu was aber unlanc, der si vón im hæten an der stete, wan swaz er in dâ spils getete mit handen oder mit munde, dázn gie niht von grunde: daz herze daz was niht dermite. so enist ez ouch niht spiles site, daz mán ez dehéine wîle tuo, daz herze daz enstê derzuo; al eine geschehe es harte vil, ez enhéizet doch niht rehte spil, daz man sus ûzen hin getuot âne herze und âne muot. wan daz diu jugent Tristanden mit munde und ouch mit handen ir z'einer kurzewîle twanc, daz er ir harphete unde sanc, ez was dem marteræere ein marter unde ein swære. 7525 7530 7535 7540 7545 Und álse er sîn spil dô verliez, daz ander schif dar nâher stiez: sus griffen s' an sîn schiffelîn und warten widerstrît dar in; nu si sîn begunden nemen war und in sô jæmerlîche var und sô getânen sâhen, nu begúnde ez in versmâhen, daz er daz wunder kunde mit handen und mit munde; doch gruozten sî'n als einen man, 7550 7555 7526 von der stat, von der Stelle: sie hielten an, um Geräusch zu vermeiden während des wunderbaren Spiels. — 7545 marterœre stm., Mär- tyrer [nhd. beschränkter], der Marter Leidende, der Dulder. 7547 verlâzen, hier: aufgeben, beenden. — 7554 versmâhen swv. hier mit dat. (vgl. zu 3892); der Sinn kann hier nicht sein: es dünkte ihnen verächtlich, sondern: sie waren betroffen. —
Strana 255
XI. TANTRIS. 255 der guoten gruoz verdienen kan, (191) mit munde und ouch mit handen und bâten dô Tristanden, daz er in seite mæere, wie ez im ergangen ware. «diz sage ich iu», sprach Tristán "ich was ein hövescher spileman und kúndé genuoge hövescheit unde fuoge: sprechen unde swîgen, liren unde gigen, harphen unde rotten, schimpfen unde spotten: daz kunde ich allez alse wol, als sô getân liut (von) rehte sol. dâ mite gewan ich sô genuoc, biz mich daz guot übertruoc, und mêre haben wolte, dan ich von rehte solte. sus liez ich mich an kóufrât, daz mir den lip verrâten hât. ze gesellen ich gewan einen rîchen kóufmán und luode wir zwên’ einen kiel mit allem dem, als uns geviel, dâ heime ze Ispanje und wolten ze Britanje. alsus bestuont uns ûf dem mer in einem schiffe ein róuphér, die nâmen uns klein' unde grôz und sluogen minen koufgenôz und allez, daz dâ lebende was. daz áber ich éiné genas mit dirre wunden, die ich hân, daz hât diu hárphé getân, an der ir iegelîcher sach, 7565 7570 7575 7580 7585 7590 7560 7570 schimpfen swv., scherzen. — spotten swv. ist hier wohl nicht ganz unser : spotten, sondern steht mehr synonym mit schimpfen, Scherzreden führen; beide Worte zusammen gewissermaßen formelhaft. — 7574 über- tragen mit acc., zu hoch tragen, übermüthig machen. — 7577 koufrát stm., hier: Handelschaft. — 7578 verrâten stv., (verrathen, verleiten), unglück- lich machen. — 7586 roupher stn., Räuberschaar. — 7588 koufgenôz stm., Handelsgefährte. —
XI. TANTRIS. 255 der guoten gruoz verdienen kan, (191) mit munde und ouch mit handen und bâten dô Tristanden, daz er in seite mæere, wie ez im ergangen ware. «diz sage ich iu», sprach Tristán "ich was ein hövescher spileman und kúndé genuoge hövescheit unde fuoge: sprechen unde swîgen, liren unde gigen, harphen unde rotten, schimpfen unde spotten: daz kunde ich allez alse wol, als sô getân liut (von) rehte sol. dâ mite gewan ich sô genuoc, biz mich daz guot übertruoc, und mêre haben wolte, dan ich von rehte solte. sus liez ich mich an kóufrât, daz mir den lip verrâten hât. ze gesellen ich gewan einen rîchen kóufmán und luode wir zwên’ einen kiel mit allem dem, als uns geviel, dâ heime ze Ispanje und wolten ze Britanje. alsus bestuont uns ûf dem mer in einem schiffe ein róuphér, die nâmen uns klein' unde grôz und sluogen minen koufgenôz und allez, daz dâ lebende was. daz áber ich éiné genas mit dirre wunden, die ich hân, daz hât diu hárphé getân, an der ir iegelîcher sach, 7565 7570 7575 7580 7585 7590 7560 7570 schimpfen swv., scherzen. — spotten swv. ist hier wohl nicht ganz unser : spotten, sondern steht mehr synonym mit schimpfen, Scherzreden führen; beide Worte zusammen gewissermaßen formelhaft. — 7574 über- tragen mit acc., zu hoch tragen, übermüthig machen. — 7577 koufrát stm., hier: Handelschaft. — 7578 verrâten stv., (verrathen, verleiten), unglück- lich machen. — 7586 roupher stn., Räuberschaar. — 7588 koufgenôz stm., Handelsgefährte. —
Strana 256
256 XI. TANTRIS. (192) als ich in sélbé verjach, ich wære ein art spileman. sus gewán ich in mit noeten an diz selbe kleine schiffelîn und sô vil spîsé dar în, daz ich ir hân biz her gelebet. sus bin ich eine sider geswebet mit marter und mit maneger klage wol vierzec naht und vierzec tage, swar mich die winde sluogen, die wilden ünde truogen wilen her und wîlen hin; und enkán niht wizzen, wâ ich bin, und weiz noch minner, war ich sol. nu tuot ir hêrren alse wol, daz iu lône unser tréhtîn, und helfet mir, dâ liute sîn!» «geselle", sprâchen aber die boten «dîner süezen stimme und dîner noten der soltu hie geniezen: dune sólt niht langer fliezen âne trôst und âne rât ; swaz sô dich her gefüeret hât, got oder wazzer oder wint, wir bringen dich, dâ liute sint.» 7600 7605 7610 7615 7595 Diz tâten s' ouch: si fuorten in mit schíffé mitalle hin reht’ in die stat, als er si bat. sîn schif daz haften s' an daz stat und sprâchen aber: «sich, spileman, nim war, sich dise búrc án und dise schoene stat hie bi! weistu noch, waz stete ez si?" «nein, hêrre, ichn weiz niht, waz ez ist.» «sô ságe wir dír daz, daz du bist ze Develîne in Irlant.» «des lobe ich den héilánt, daz ich doch under liuten bin. wan eteswer ist under in, 7620 7625 7630 7596 an gewinnen mit dat., hier ziemlich = unserm : einem abgewinnen ; von einem erhalten. — 7599 ir gen. spîse, mit ihr; vgl. 7432.
256 XI. TANTRIS. (192) als ich in sélbé verjach, ich wære ein art spileman. sus gewán ich in mit noeten an diz selbe kleine schiffelîn und sô vil spîsé dar în, daz ich ir hân biz her gelebet. sus bin ich eine sider geswebet mit marter und mit maneger klage wol vierzec naht und vierzec tage, swar mich die winde sluogen, die wilden ünde truogen wilen her und wîlen hin; und enkán niht wizzen, wâ ich bin, und weiz noch minner, war ich sol. nu tuot ir hêrren alse wol, daz iu lône unser tréhtîn, und helfet mir, dâ liute sîn!» «geselle", sprâchen aber die boten «dîner süezen stimme und dîner noten der soltu hie geniezen: dune sólt niht langer fliezen âne trôst und âne rât ; swaz sô dich her gefüeret hât, got oder wazzer oder wint, wir bringen dich, dâ liute sint.» 7600 7605 7610 7615 7595 Diz tâten s' ouch: si fuorten in mit schíffé mitalle hin reht’ in die stat, als er si bat. sîn schif daz haften s' an daz stat und sprâchen aber: «sich, spileman, nim war, sich dise búrc án und dise schoene stat hie bi! weistu noch, waz stete ez si?" «nein, hêrre, ichn weiz niht, waz ez ist.» «sô ságe wir dír daz, daz du bist ze Develîne in Irlant.» «des lobe ich den héilánt, daz ich doch under liuten bin. wan eteswer ist under in, 7620 7625 7630 7596 an gewinnen mit dat., hier ziemlich = unserm : einem abgewinnen ; von einem erhalten. — 7599 ir gen. spîse, mit ihr; vgl. 7432.
Strana 257
XI. TANTRIS. 257 der sîne güete an mir begât und tuot mir eteslîchen rât.» (193) Hie mite kêrten die boten hin unde begunden under in mit rede von sînen sachen vil michel wunder machen. si seiten wider ze mære, daz in widervaren wære âventiure an einem man, dâ man sich es lützel an und niemer sólté versehen. si seiten, alse ez was geschehen: ê si dar nâher kæmen, daz si áldort her vernæmen einen álsô süezen harphen klanc und mit der harphen einen sanc: got möhte in gerne hoeren in sînen himelkoeren; und jâhen, daz daz waere ein armer marterære, ein tôtwúnder spileman: “ wol hin, ir seht ez ime wol an, er stirbet morgen oder noch; und in der marter hât er doch einen múot sô lebelîchen, in allen künicrîchen enfunde man ein herze niht, daz alsô grôzer ungeschiht möhte genemen sô kleine war.» 7640 7645 7650 7655 7635 7660 Die búrgâre kêrten dar und triben maneger hande mære mit Tristande und frâgeten in sus unde sô. aber séite er iegelîchem dô 7665 7634 eteslîchen rât (nach Hs. M und H), einige Hülfe (tuot, schafft). Die Lesart arzâtlîchen rât ist der Situation nicht angemessen, auch weiß Tri- stan, daf ihn diese Leute von seiner Wunde nicht befreien können. Für eteslîch spricht auch stilistisch eteswer in V. 7632. 7638 wunder machen (vorher in V. 3714) hier mit præp. von, über etwas seine Verwunderung äufsern ; die Wendung scheint im Mhd. nicht häufig zu sein. GOTTFRIED VON STRASSBURG. I. 2. Aufl. 17
XI. TANTRIS. 257 der sîne güete an mir begât und tuot mir eteslîchen rât.» (193) Hie mite kêrten die boten hin unde begunden under in mit rede von sînen sachen vil michel wunder machen. si seiten wider ze mære, daz in widervaren wære âventiure an einem man, dâ man sich es lützel an und niemer sólté versehen. si seiten, alse ez was geschehen: ê si dar nâher kæmen, daz si áldort her vernæmen einen álsô süezen harphen klanc und mit der harphen einen sanc: got möhte in gerne hoeren in sînen himelkoeren; und jâhen, daz daz waere ein armer marterære, ein tôtwúnder spileman: “ wol hin, ir seht ez ime wol an, er stirbet morgen oder noch; und in der marter hât er doch einen múot sô lebelîchen, in allen künicrîchen enfunde man ein herze niht, daz alsô grôzer ungeschiht möhte genemen sô kleine war.» 7640 7645 7650 7655 7635 7660 Die búrgâre kêrten dar und triben maneger hande mære mit Tristande und frâgeten in sus unde sô. aber séite er iegelîchem dô 7665 7634 eteslîchen rât (nach Hs. M und H), einige Hülfe (tuot, schafft). Die Lesart arzâtlîchen rât ist der Situation nicht angemessen, auch weiß Tri- stan, daf ihn diese Leute von seiner Wunde nicht befreien können. Für eteslîch spricht auch stilistisch eteswer in V. 7632. 7638 wunder machen (vorher in V. 3714) hier mit præp. von, über etwas seine Verwunderung äufsern ; die Wendung scheint im Mhd. nicht häufig zu sein. GOTTFRIED VON STRASSBURG. I. 2. Aufl. 17
Strana 258
258 XI. TANTRIS. (194) in der gelegenheite, als er den boten ê seite. sus bâten sî'n, er harphet' in: und er kêrt' allen sînen sin an ir gebot und an ir bete, wan er'z von allem herzen tete; swâ mite er sich in kunde mit handen oder mit munde gelieben, daz was al sîn ger, des fleiz er sich und daz tet er. und alse der arme spileman wider sînes libes state began sîn harphen und sîn singen sô rehte suoze bringen, ez begunde s' alle erbarmen: sus hiezen sî den armen ûz sînem schiffelîne tragen und einem árzâte sagen, daz er'n ze hûse næme; und swaz im rehte kæme, daz er des flîz hæte und umbe ir guot im tæte beidiu helfe unde gemach. diz wart getân und diz geschach. und alse er in heim brâhte, al sîn gemach bedâhte, als er ez allerbeste von sînen sinnen weste, dô half ez allez kleine. 7670 7675 7680 7685 7690 7695 Diz maere wart gemeine über ál die stat ze Develîn: ein schar gieng ûz, diu ander în und klagetén sîn ungemach. in der wîle ez dô geschach, 7700 7667 gelegenheit stf., hier übertragen wie auch : Lage =Beschaffenheit, Umstände gebraucht wird ; in V. 3433 wörtlich; Gottfried bringt das Wort in der 2. Halfte des Gedichtes öfters an in diesen verschiedenen Functio- nen. — 7675 gelieben swv., verst. lieben (174), beliebt machen. — 7678 state stf. hat hier deutlich und geradezu den Begriff: Kraft; vgl. 7884 und zu 7339. — 7680 bringen, vorbringen, vortragen. 7696 gemeine adj., hier: allgemein (verbreitet). —
258 XI. TANTRIS. (194) in der gelegenheite, als er den boten ê seite. sus bâten sî'n, er harphet' in: und er kêrt' allen sînen sin an ir gebot und an ir bete, wan er'z von allem herzen tete; swâ mite er sich in kunde mit handen oder mit munde gelieben, daz was al sîn ger, des fleiz er sich und daz tet er. und alse der arme spileman wider sînes libes state began sîn harphen und sîn singen sô rehte suoze bringen, ez begunde s' alle erbarmen: sus hiezen sî den armen ûz sînem schiffelîne tragen und einem árzâte sagen, daz er'n ze hûse næme; und swaz im rehte kæme, daz er des flîz hæte und umbe ir guot im tæte beidiu helfe unde gemach. diz wart getân und diz geschach. und alse er in heim brâhte, al sîn gemach bedâhte, als er ez allerbeste von sînen sinnen weste, dô half ez allez kleine. 7670 7675 7680 7685 7690 7695 Diz maere wart gemeine über ál die stat ze Develîn: ein schar gieng ûz, diu ander în und klagetén sîn ungemach. in der wîle ez dô geschach, 7700 7667 gelegenheit stf., hier übertragen wie auch : Lage =Beschaffenheit, Umstände gebraucht wird ; in V. 3433 wörtlich; Gottfried bringt das Wort in der 2. Halfte des Gedichtes öfters an in diesen verschiedenen Functio- nen. — 7675 gelieben swv., verst. lieben (174), beliebt machen. — 7678 state stf. hat hier deutlich und geradezu den Begriff: Kraft; vgl. 7884 und zu 7339. — 7680 bringen, vorbringen, vortragen. 7696 gemeine adj., hier: allgemein (verbreitet). —
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XI. TANTRIS. 259 (195) daz ein pfaffe dar în kam und sîne fúogé vernam an handen unde an munde; wan er ouch selbe kunde list unde kunst genuoge, mit handen manege fuoge an iegelîchem seitespil und kunde ouch fremeder sprâche vil. an fuoge unde an hövescheit hæt' er gewendet unde geleit sîne táge und sîne sinne. der was der küniginne meister unde gesinde und hæte si von kinde gewitziget sêre an maneger guoten lêre, mit manegem fremedem liste, den sî von ime wiste. ouch lêrte er ie genôte ir tohter Isôte die erwünschéten maget, von der diu wérlt élliu saget, und von der disiu mære sint: diu wás ir éinigez kint, und hæte alle ir flîzekeit sît des tages an sî geleit, daz si iht gelernen kunde mit handen oder mit munde: die hæte er ouch in sîner pflege, die lêrte er dô und alle wege beidiu buoch und seitespil. 7705 7710 7715 7720 7725 7730 Dô der an Tristand' alse vil schoener kunst und fuoge ersach, in erbármete sîn ungemach vil inneclîche sêre und enbéite ouch dô nimêre: 7735 7701 pfaffe swm. ohne übeln Nebensinn, Geistlicher, insbesondere : Welt- geistlicher; in der formelhaften Wendung pfaffen und leien (1630) ist uns die harmlose Bedeutung noch geläufig. — 7715 witzigen swv., witzic machen, unterrichten; vgl. zu 15309. — 7724 einic adj. = nhd. einzig. — 7725 flizekeit stf., synonyme Bildung von flîz; seltenes Wort, zu Gottfried's Stile passend. 17
XI. TANTRIS. 259 (195) daz ein pfaffe dar în kam und sîne fúogé vernam an handen unde an munde; wan er ouch selbe kunde list unde kunst genuoge, mit handen manege fuoge an iegelîchem seitespil und kunde ouch fremeder sprâche vil. an fuoge unde an hövescheit hæt' er gewendet unde geleit sîne táge und sîne sinne. der was der küniginne meister unde gesinde und hæte si von kinde gewitziget sêre an maneger guoten lêre, mit manegem fremedem liste, den sî von ime wiste. ouch lêrte er ie genôte ir tohter Isôte die erwünschéten maget, von der diu wérlt élliu saget, und von der disiu mære sint: diu wás ir éinigez kint, und hæte alle ir flîzekeit sît des tages an sî geleit, daz si iht gelernen kunde mit handen oder mit munde: die hæte er ouch in sîner pflege, die lêrte er dô und alle wege beidiu buoch und seitespil. 7705 7710 7715 7720 7725 7730 Dô der an Tristand' alse vil schoener kunst und fuoge ersach, in erbármete sîn ungemach vil inneclîche sêre und enbéite ouch dô nimêre: 7735 7701 pfaffe swm. ohne übeln Nebensinn, Geistlicher, insbesondere : Welt- geistlicher; in der formelhaften Wendung pfaffen und leien (1630) ist uns die harmlose Bedeutung noch geläufig. — 7715 witzigen swv., witzic machen, unterrichten; vgl. zu 15309. — 7724 einic adj. = nhd. einzig. — 7725 flizekeit stf., synonyme Bildung von flîz; seltenes Wort, zu Gottfried's Stile passend. 17
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260 XI. TANTRIS. (196) er gie zer küniginne dan und seite ir, daz ein spileman in der stat dâ wære, der wære ein marterære und tôt mit lebendem libe, und daz nieman von wibe sîner künste als ûz erkorn noch baz gemúot würde geborn. «â», sprach er «edeliu künigin, möhte ez iemér gesîn, daz wir dar zuo gedæhten, daz wir in etswar bræhten, dar ir mit fuoge kæmet, daz wúndér vernæmet, dáz ein stérbénder man als inneclîche suoze kan geharphen unde gesingen und doch an sînen dingen weder rât noch helfe kan gewesen; wan ern kan niémér genesen: sîn meister unde sîn arzât, der sîn biz her gepflegen hât, der hât in ûz der pflege verlân, ern mag im niht ze staten gestân mit dehéiner slahte sinne.» «sich», sprach diu küniginne «ich sol den kameræeren sagen, müge ér ez iemér vertragen und verdóln, daz man in handele und under handen wandele, daz si'n uns her ûf bringen, ob ime ze sînen dingen deheiner slahte helfe tüge oder óbe in iht generen müge.» 7740 7745 7750 7755 7760 7765 7770 7743 ûz erkorn part. adj. = unserm: auserkoren, ausgezeichnet; der folgende Gen. (sîner künste) = nhd. in. an; vgl. 2124. — 7747 gedenken dar zuo, darauf denken, Bedacht nehmen. — 7748 ctswar adv., irgendwohin ; vgl. zu 899. — 7753 geharphen, gesingen, verst. harphen, singen. — 7757 mei- ster, hier = magister in der speciellen Bedeutung von Arzt; in der nhd. Prosa könnte ähnlich gesagt werden: sein Doctor und sein Arzt. — 7763 kamerœre stm., hier nicht: Kämmerer in unserm Sinn = Kammerherr, hoher Hofbeamter, sondern: Kammerdiener, Lakai. — 7765 verdoln swv., ertragen, aushalten; vgl. zu 12602. — handelen swv., (mit der Hand) angreifen ; hier insbesondere : heben und tragen. — 7766 wandelen swv. trans., (einen umwandeln, in andere Lage bringen), wegschaffen. 7770 generen swv., verst. nern (1891), genesen machen, heilen. —
260 XI. TANTRIS. (196) er gie zer küniginne dan und seite ir, daz ein spileman in der stat dâ wære, der wære ein marterære und tôt mit lebendem libe, und daz nieman von wibe sîner künste als ûz erkorn noch baz gemúot würde geborn. «â», sprach er «edeliu künigin, möhte ez iemér gesîn, daz wir dar zuo gedæhten, daz wir in etswar bræhten, dar ir mit fuoge kæmet, daz wúndér vernæmet, dáz ein stérbénder man als inneclîche suoze kan geharphen unde gesingen und doch an sînen dingen weder rât noch helfe kan gewesen; wan ern kan niémér genesen: sîn meister unde sîn arzât, der sîn biz her gepflegen hât, der hât in ûz der pflege verlân, ern mag im niht ze staten gestân mit dehéiner slahte sinne.» «sich», sprach diu küniginne «ich sol den kameræeren sagen, müge ér ez iemér vertragen und verdóln, daz man in handele und under handen wandele, daz si'n uns her ûf bringen, ob ime ze sînen dingen deheiner slahte helfe tüge oder óbe in iht generen müge.» 7740 7745 7750 7755 7760 7765 7770 7743 ûz erkorn part. adj. = unserm: auserkoren, ausgezeichnet; der folgende Gen. (sîner künste) = nhd. in. an; vgl. 2124. — 7747 gedenken dar zuo, darauf denken, Bedacht nehmen. — 7748 ctswar adv., irgendwohin ; vgl. zu 899. — 7753 geharphen, gesingen, verst. harphen, singen. — 7757 mei- ster, hier = magister in der speciellen Bedeutung von Arzt; in der nhd. Prosa könnte ähnlich gesagt werden: sein Doctor und sein Arzt. — 7763 kamerœre stm., hier nicht: Kämmerer in unserm Sinn = Kammerherr, hoher Hofbeamter, sondern: Kammerdiener, Lakai. — 7765 verdoln swv., ertragen, aushalten; vgl. zu 12602. — handelen swv., (mit der Hand) angreifen ; hier insbesondere : heben und tragen. — 7766 wandelen swv. trans., (einen umwandeln, in andere Lage bringen), wegschaffen. 7770 generen swv., verst. nern (1891), genesen machen, heilen. —
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XI. TANTRIS. 261 Diz wart getân und diz geschach. nu daz diu künigin gesach sin angest al begarwe, die wunden unde ir varwe, nu erkánde si'z gelüppe dâ. «ach, armer spilman», sprach si sâ «dû bist mit gelüppe wunt.» «i'ne wéiz», sprach Tristan sâ zestunt «i’ne kán niht wizzen, waz ez ist, wan mir enmac kein arzâtlist gehelfen noch gefrumen hie zuo: nune wéiz ich mêre, waz ich tuo, wan daz ich mich gote muoz ergeben und leben die wile ich mac geleben. swer aber genâde an mir begê, sit ez mir kumberliche stê, dem lône got: mir'st helfe nôt, ich bin mit lebendem libe tôt.» 7775 7780 7785 (197) Diu wîse sprach im aber zuo : «spilman, sag an, wie heizest duo?" «frouwe, ich heize Tántris.» « Tantris, nu wis an mir gewis, daz ich dich benamen neren sol: wis gemuot unde gehabe dich wol! ich wil dîn arzât selbe sîn.» «genâde, süeziu künigîn, diu zunge diu gruone iemer, daz herze ersterbe niemer, diu wîsheit diu müez’ iemer leben, den helfelôsen helfe geben, dîn name der müeze werden gewirdet ûf der erden!" «Tántris», sprach die künigîn «möht’ ez an dînen staten gesîn, wan daz du ab álse unkreftic bist, als ez kein wunder an dir ist, sô hôrte ich gerne harphenspil: des kanstu, hoere ich sagen, vil.» 7795 7800 7805 7790 7773 begarwe adv., s. zu 1297. — 7781 gehelfen, verst. helfen. 7797 fg. diu, daz, diu nicht bloße Artikel, sondern demonstrativ; dra- matisch lebendig mit einer Handbewegung des Sprechenden gedacht. —
XI. TANTRIS. 261 Diz wart getân und diz geschach. nu daz diu künigin gesach sin angest al begarwe, die wunden unde ir varwe, nu erkánde si'z gelüppe dâ. «ach, armer spilman», sprach si sâ «dû bist mit gelüppe wunt.» «i'ne wéiz», sprach Tristan sâ zestunt «i’ne kán niht wizzen, waz ez ist, wan mir enmac kein arzâtlist gehelfen noch gefrumen hie zuo: nune wéiz ich mêre, waz ich tuo, wan daz ich mich gote muoz ergeben und leben die wile ich mac geleben. swer aber genâde an mir begê, sit ez mir kumberliche stê, dem lône got: mir'st helfe nôt, ich bin mit lebendem libe tôt.» 7775 7780 7785 (197) Diu wîse sprach im aber zuo : «spilman, sag an, wie heizest duo?" «frouwe, ich heize Tántris.» « Tantris, nu wis an mir gewis, daz ich dich benamen neren sol: wis gemuot unde gehabe dich wol! ich wil dîn arzât selbe sîn.» «genâde, süeziu künigîn, diu zunge diu gruone iemer, daz herze ersterbe niemer, diu wîsheit diu müez’ iemer leben, den helfelôsen helfe geben, dîn name der müeze werden gewirdet ûf der erden!" «Tántris», sprach die künigîn «möht’ ez an dînen staten gesîn, wan daz du ab álse unkreftic bist, als ez kein wunder an dir ist, sô hôrte ich gerne harphenspil: des kanstu, hoere ich sagen, vil.» 7795 7800 7805 7790 7773 begarwe adv., s. zu 1297. — 7781 gehelfen, verst. helfen. 7797 fg. diu, daz, diu nicht bloße Artikel, sondern demonstrativ; dra- matisch lebendig mit einer Handbewegung des Sprechenden gedacht. —
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262 XI. TANTRIS. «nein, frouwe, sprechet alsô niht: mich enirret kein mîn ungeschiht, ich entúo und müge ez harte wol, daz iuwer dienest wesen sol.» 7810 Sus wart sîn harphe dar besant. ouch besande man zehant die jungen küniginne, daz wâre insigel der minne, mit dem sîn herze sider wart versigelt unde vor verspart allèr der werlt gemeiner niuwan ir al einer. diu schoene Isôt si kom ouch dar und nam vil flizecliche war, dâ Tristan hárphénde saz. nu harphete er noch michel baz dan er ie dâ vor getæte, wan er gedingen hæte, sîn ungelücke wære hin. dâ sang er unde harphete in niht alse ein lebelôser man, er vieng ez lebelîchen an und alse der wol gemuote tuot er machte ez in sô rehte guot mit handen und mit munde, daz er in der kurzen stunde ir aller hulde alsô gevienc, daz ez im z'allem guote ergienc. und al des spils, des er getete, beidiu ánderswâ und an der stete, (198) sô smacte ie der veige slac und machete einen solhen smac, 7815 7820 7825 7830 7835 7840 7810 irren mit acc., stören, hindern. — 7812 dienest stm., hier: der entgegen- gebrachte Dienst : was dienen kann ; insofern entspricht das Wort unserm : Gefalle, Wunsch. 7816 insigel (ingesigel 17020) stn., Siegel; wendet Gottfried öfters bild- lich an in der Bedeutung: Abbild. — 7818 versigeln swv., versiegeln, über- haupt: verschließen; vgl. 17822; auch dieses Verbum wendet der Dichter gerne an. — versperren swv. (14767), absperren, ausschließen. vor versp. mit dat. (wie vor behalten, verbergen, verhelen), vor einem abschließen. — 7830 lebelîchen adv., lebendig, lebhaft. — 7835 gevâhen stv.; hier ähnlich wie in V. 7276: empfangen , gewinnen. — 7837 al des spils , wohl zu fassen als gen. absol.: bei allem Spiel oder = swaz des spils ? — 7839 smacte præt. von smacken (s. zu 11602) oder smecken swv. intrans., riechen (wie noch in den süddeutschen Mundarten); vgl. 7280.
262 XI. TANTRIS. «nein, frouwe, sprechet alsô niht: mich enirret kein mîn ungeschiht, ich entúo und müge ez harte wol, daz iuwer dienest wesen sol.» 7810 Sus wart sîn harphe dar besant. ouch besande man zehant die jungen küniginne, daz wâre insigel der minne, mit dem sîn herze sider wart versigelt unde vor verspart allèr der werlt gemeiner niuwan ir al einer. diu schoene Isôt si kom ouch dar und nam vil flizecliche war, dâ Tristan hárphénde saz. nu harphete er noch michel baz dan er ie dâ vor getæte, wan er gedingen hæte, sîn ungelücke wære hin. dâ sang er unde harphete in niht alse ein lebelôser man, er vieng ez lebelîchen an und alse der wol gemuote tuot er machte ez in sô rehte guot mit handen und mit munde, daz er in der kurzen stunde ir aller hulde alsô gevienc, daz ez im z'allem guote ergienc. und al des spils, des er getete, beidiu ánderswâ und an der stete, (198) sô smacte ie der veige slac und machete einen solhen smac, 7815 7820 7825 7830 7835 7840 7810 irren mit acc., stören, hindern. — 7812 dienest stm., hier: der entgegen- gebrachte Dienst : was dienen kann ; insofern entspricht das Wort unserm : Gefalle, Wunsch. 7816 insigel (ingesigel 17020) stn., Siegel; wendet Gottfried öfters bild- lich an in der Bedeutung: Abbild. — 7818 versigeln swv., versiegeln, über- haupt: verschließen; vgl. 17822; auch dieses Verbum wendet der Dichter gerne an. — versperren swv. (14767), absperren, ausschließen. vor versp. mit dat. (wie vor behalten, verbergen, verhelen), vor einem abschließen. — 7830 lebelîchen adv., lebendig, lebhaft. — 7835 gevâhen stv.; hier ähnlich wie in V. 7276: empfangen , gewinnen. — 7837 al des spils , wohl zu fassen als gen. absol.: bei allem Spiel oder = swaz des spils ? — 7839 smacte præt. von smacken (s. zu 11602) oder smecken swv. intrans., riechen (wie noch in den süddeutschen Mundarten); vgl. 7280.
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XI. TANTRIS. 263 daz niemen keine stunde bî ime beliben kunde. Aber sprách diu küniginne dô: «Tantris, swenn' ez gefüege sô, daz dir dîn ding alsô gestê, daz dirre smac an dir zergê und iemen bî dir müge genesen, sô lâ dir wol bevolhen wesen die jungen maget Isôte, diu lernete ie genôte diu buoch und dar zuo seitespil und kan des ouch billîche vil nâch den tagen und nâch der frist, als si derbî gewesen ist. und kanstu keiner lêre und dehéiner fuoge mêre danne ir meister oder ich, des underwise si durch mich. dar umbe wil ich dir din leben und dînen lip ze miete geben wol gesunt und wol getân: diu mag ich geben unde lân, diu beidiu sint in mîner hant.» «jâ, ist ez danne alsô gewant», sprach aber der sieche spileman «daz ich sô wider komen kan und mit spile genesen sol, ob got wil, sô genise ich wol. sæligiu küniginne, sît daz iuwer sinne alsô stânt, als ir dâ saget, umb' iuwer tóhtér die maget, sô trûwe ich harte wol genesen. ich hân der búoché gelesen in der mâze und alse vil, daz ich mir wol getrûwen wil, ich gediene iu wol ze danke an ir. 7850 7855 7860 7865 7870 7845 7875 7844 gefüegen swv., (hier nicht refl. = nhd., vgl. 3503), sich fügen, passend sein; vgl. 15795. — 7845 gestân, hier nicht wie in V. 6778, sondern im Verbum steckt der Begriff der Bewegung wie in V. 844: sich stellen, eine Wendung nehmen, ausgehen. — 7847 genesen, hier in allgemeiner Bedeutung: bleiben, aushalten. — 7858 underwîsen hier mit gen. (des, darin); in V. 7480 dar an. —
XI. TANTRIS. 263 daz niemen keine stunde bî ime beliben kunde. Aber sprách diu küniginne dô: «Tantris, swenn' ez gefüege sô, daz dir dîn ding alsô gestê, daz dirre smac an dir zergê und iemen bî dir müge genesen, sô lâ dir wol bevolhen wesen die jungen maget Isôte, diu lernete ie genôte diu buoch und dar zuo seitespil und kan des ouch billîche vil nâch den tagen und nâch der frist, als si derbî gewesen ist. und kanstu keiner lêre und dehéiner fuoge mêre danne ir meister oder ich, des underwise si durch mich. dar umbe wil ich dir din leben und dînen lip ze miete geben wol gesunt und wol getân: diu mag ich geben unde lân, diu beidiu sint in mîner hant.» «jâ, ist ez danne alsô gewant», sprach aber der sieche spileman «daz ich sô wider komen kan und mit spile genesen sol, ob got wil, sô genise ich wol. sæligiu küniginne, sît daz iuwer sinne alsô stânt, als ir dâ saget, umb' iuwer tóhtér die maget, sô trûwe ich harte wol genesen. ich hân der búoché gelesen in der mâze und alse vil, daz ich mir wol getrûwen wil, ich gediene iu wol ze danke an ir. 7850 7855 7860 7865 7870 7845 7875 7844 gefüegen swv., (hier nicht refl. = nhd., vgl. 3503), sich fügen, passend sein; vgl. 15795. — 7845 gestân, hier nicht wie in V. 6778, sondern im Verbum steckt der Begriff der Bewegung wie in V. 844: sich stellen, eine Wendung nehmen, ausgehen. — 7847 genesen, hier in allgemeiner Bedeutung: bleiben, aushalten. — 7858 underwîsen hier mit gen. (des, darin); in V. 7480 dar an. —
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264 XI. TANTRIS. (199) dâ zuo sô weiz ich wol an mir, daz mîner jâre déhein man sô manic edele seitspil kan; swaz ir dar über geruochet und her ze mir gesuochet, dáz ist álléz getân, als verre als ich es state hân.» 7880 7885 Sus beschiet man ime ein kamerlîn und schuof im alle tage dar în allè die pflege und daz gemach, daz er selbe vor gesprach. alrêrste was diu wîshéit ze frumen und ze staten geleit, die er in dem schiffe begienc, dô er den schilt zer sîten hienc und bare sîne wunden vór den únkúnden, vór der îrlandéschen diet, dô si von Kurnewâle schiet. hie von sô was in unkunt und enwisten niht, daz er was wunt. wan haten s' iht befunden umb' dehéine sîne wunden, sô wol als in daz was erkant, wie'z umbe die wunden was gewant, die Môrolt mit dem swerte sluoc, daz er in allen noeten truoc, ez enwâre Tristánde nie ergangen, alse ez ime ergie. nu half ab in, daz er genas, daz er sô vorbedæhtic was. hie mag ein man erkennen an und wizzen wol, wie dicke ein man guote vorbedæhte 7890 7895 7900 7905 7910 7881 swaz nicht abhängig von geruochet, welches den Gen. verlangt, auch keine Attraction, sondern = swie : in welcher Weise ihr auch darüber ver- fügt. — 7882 gesuochen swv., verst. suochen, ein Gesuch richten, ein An- suchen haben oder stellen. her ze mir = nhd. an mich ; ersuchen mit acc. — 7883 daz ist allez getân ist eine Höflichkeitsformel = das wird gethan, das geschieht. 7885 bescheiden stv., hier: anweisen. — 7908 vorbedœhtic adj. [nhd. fast aufgegeben, geläufig nur: bedächtig], vorbedacht, vorsorglich. — 7911 vorbedœhte kaum pl. von vorbedâht stf. [vgl. Andacht], sondern sing. vorbedœhte stf., vorausgehende Bedachtsamkeit. —
264 XI. TANTRIS. (199) dâ zuo sô weiz ich wol an mir, daz mîner jâre déhein man sô manic edele seitspil kan; swaz ir dar über geruochet und her ze mir gesuochet, dáz ist álléz getân, als verre als ich es state hân.» 7880 7885 Sus beschiet man ime ein kamerlîn und schuof im alle tage dar în allè die pflege und daz gemach, daz er selbe vor gesprach. alrêrste was diu wîshéit ze frumen und ze staten geleit, die er in dem schiffe begienc, dô er den schilt zer sîten hienc und bare sîne wunden vór den únkúnden, vór der îrlandéschen diet, dô si von Kurnewâle schiet. hie von sô was in unkunt und enwisten niht, daz er was wunt. wan haten s' iht befunden umb' dehéine sîne wunden, sô wol als in daz was erkant, wie'z umbe die wunden was gewant, die Môrolt mit dem swerte sluoc, daz er in allen noeten truoc, ez enwâre Tristánde nie ergangen, alse ez ime ergie. nu half ab in, daz er genas, daz er sô vorbedæhtic was. hie mag ein man erkennen an und wizzen wol, wie dicke ein man guote vorbedæhte 7890 7895 7900 7905 7910 7881 swaz nicht abhängig von geruochet, welches den Gen. verlangt, auch keine Attraction, sondern = swie : in welcher Weise ihr auch darüber ver- fügt. — 7882 gesuochen swv., verst. suochen, ein Gesuch richten, ein An- suchen haben oder stellen. her ze mir = nhd. an mich ; ersuchen mit acc. — 7883 daz ist allez getân ist eine Höflichkeitsformel = das wird gethan, das geschieht. 7885 bescheiden stv., hier: anweisen. — 7908 vorbedœhtic adj. [nhd. fast aufgegeben, geläufig nur: bedächtig], vorbedacht, vorsorglich. — 7911 vorbedœhte kaum pl. von vorbedâht stf. [vgl. Andacht], sondern sing. vorbedœhte stf., vorausgehende Bedachtsamkeit. —
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XI. TANTRIS. 265 ze guotem ende bræhte, der gerne sinnebære und vorbesihtic wære. (200) Diu wîse küniginne diu kêrte alle ir sinne und alle ir witzé dar an, wie si generte einen man, úmbe des lîp und umbe des leben si gerne hâté gegeben ir lîp und alle ir êre. si hazzete in noch mêre dan sî sich selben minnete, und swes si sich versinnete, daz ime ze senfte und ze fromen und ze heile möhte komen, dâ was si spâte unde fruo beträhtic unde geschäffec zuo: daz enwás kein wunderlîch geschiht: síne erkande ir vindes niht; und möhte sî daz wizzen, an wen si was verflizzen und wem si half ûz tôdes nôt, ware iht ergers danne der tôt, den hæte si'm zewâre gegeben vil michel gerner dan daz leben. nu enwiste s' áber dâ niht wan guot und truog im niuwan guoten muot. 7920 7925 7930 7935 7915 Ob ich iu nů vil seite und lange rede vür leite von mîner frouwen meisterschaft, wie wunderlîche guote kraft ir erzenîe hæte und wie si ir siechen tæte, 7940 7913 sinnebœre adj., besonnen. 7922 Aufklärung dieser auf den ersten Blick seltsamen Wendung gleich im Folgenden, namentlich in V. 7930. — 7924 versinnen swv. (neben versinnen stv.) mit gen., sich auf etwas besinnen, etwas ausfindig machen. — 7928 geschäffec adj., schaffend, thätig. — 7932 verflizzen (part. von ver- flizen) sin an einen, eifrig bemüht sein um einen. 7939 — 58 Die folgende Stelle ist wichtig für die Beurtheilung der sogenannten höfischen Sprache und wurde deshalb auch angezogen von Franz Pfeiffer in seinem Aufsatze: Unhöfische Worte (Freie Forschung. Kleine Schriften zur Geschichte der deutschen Litteratur und Sprache. Wien 1864, S. 354). —
XI. TANTRIS. 265 ze guotem ende bræhte, der gerne sinnebære und vorbesihtic wære. (200) Diu wîse küniginne diu kêrte alle ir sinne und alle ir witzé dar an, wie si generte einen man, úmbe des lîp und umbe des leben si gerne hâté gegeben ir lîp und alle ir êre. si hazzete in noch mêre dan sî sich selben minnete, und swes si sich versinnete, daz ime ze senfte und ze fromen und ze heile möhte komen, dâ was si spâte unde fruo beträhtic unde geschäffec zuo: daz enwás kein wunderlîch geschiht: síne erkande ir vindes niht; und möhte sî daz wizzen, an wen si was verflizzen und wem si half ûz tôdes nôt, ware iht ergers danne der tôt, den hæte si'm zewâre gegeben vil michel gerner dan daz leben. nu enwiste s' áber dâ niht wan guot und truog im niuwan guoten muot. 7920 7925 7930 7935 7915 Ob ich iu nů vil seite und lange rede vür leite von mîner frouwen meisterschaft, wie wunderlîche guote kraft ir erzenîe hæte und wie si ir siechen tæte, 7940 7913 sinnebœre adj., besonnen. 7922 Aufklärung dieser auf den ersten Blick seltsamen Wendung gleich im Folgenden, namentlich in V. 7930. — 7924 versinnen swv. (neben versinnen stv.) mit gen., sich auf etwas besinnen, etwas ausfindig machen. — 7928 geschäffec adj., schaffend, thätig. — 7932 verflizzen (part. von ver- flizen) sin an einen, eifrig bemüht sein um einen. 7939 — 58 Die folgende Stelle ist wichtig für die Beurtheilung der sogenannten höfischen Sprache und wurde deshalb auch angezogen von Franz Pfeiffer in seinem Aufsatze: Unhöfische Worte (Freie Forschung. Kleine Schriften zur Geschichte der deutschen Litteratur und Sprache. Wien 1864, S. 354). —
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266 XI. TANTRIS. 7945 (201) waz hulfe ez und waz solte daz? in edelen ôren lûtet baz ein wort, daz schôné gezimt, den daz man ûz der bühsen nimt. als verre als ich’s bedenken kan, sô sol ich mich bewarn dar an, daz ich iu iemer wort gesage, daz iuwern ôren missehage und iuwerm herzen widerstê. ich spriche ouch deste minner ê von iegelicher sache, ê ich iu daz mæere mache unlîdic unde unsenfte bî mit rede, diu niht des hoves sî. umbe mîner frouwen arzâtlist und umbe ir síechén genist wil ich iu kúrzlîche sagen: si half im inner zweinzec tagen, daz man in allenthalben leit und niemen durch die wunden meit, der anders bî im wolte sîn. 7950 7955 7960 7965 Sît gie diu junge künigîn alle zît ze sîner lêre: an die sô leite er sêre sînen flîz und sîne stunde; daz beste daz er kunde sô schúollíst, sô hántspíl, daz ich niht sunder zalen wil: daz leite er ir besunder vür, daz si nâch ir selber kür ze lêre dar ûz næme, 7970 7975 7948 bühse swf. ist hier wohl anders aufzufassen als in V. 4669; gemeint scheint die Büchse des Arztes und Apothekers, bildlich gebraucht für Medicin. Ein wohl anstehendes Wort lautet in edeln Ohren besser als eines aus der Sprache der Medicin, die sich vor übel anstehenden nicht zu scheuen hat. — 7957 unlîdic adj., unleidlich, unliebsam. — unsenfte adj., unangenehm. — 7958 die Ausdrucksweise, die nicht hofgemaßs ist ; unter hof haben wir nicht in unserm Sinne den Hof der hofhaltenden regierenden Fürsten zu verstehen, sondern in allgemeinerer Fassung: die feinen Gesellschaftskreise, die gute Gesellschaft; als Wort entspricht hof öfters wie hier unserm (prosaisch ausgedrückt): Salon, Parket. — 7962 inner adv. præp. mit dat., innerhalb. 7971 schuollist stm., die Kenntnisse (in Wissenschaft oder Kunst), die man durch die Schule, durch Bücher, durch theoretischen Unterricht er- wirbt. — hantspil stn. ist wohl nicht, wie das mhd. Wb. II, 2,501b erklärt: «eine besondere Art Saitenspiel», sondern, im Gegensatze zu schuollist, das Spiel mit der Hand, praktische Musik. —
266 XI. TANTRIS. 7945 (201) waz hulfe ez und waz solte daz? in edelen ôren lûtet baz ein wort, daz schôné gezimt, den daz man ûz der bühsen nimt. als verre als ich’s bedenken kan, sô sol ich mich bewarn dar an, daz ich iu iemer wort gesage, daz iuwern ôren missehage und iuwerm herzen widerstê. ich spriche ouch deste minner ê von iegelicher sache, ê ich iu daz mæere mache unlîdic unde unsenfte bî mit rede, diu niht des hoves sî. umbe mîner frouwen arzâtlist und umbe ir síechén genist wil ich iu kúrzlîche sagen: si half im inner zweinzec tagen, daz man in allenthalben leit und niemen durch die wunden meit, der anders bî im wolte sîn. 7950 7955 7960 7965 Sît gie diu junge künigîn alle zît ze sîner lêre: an die sô leite er sêre sînen flîz und sîne stunde; daz beste daz er kunde sô schúollíst, sô hántspíl, daz ich niht sunder zalen wil: daz leite er ir besunder vür, daz si nâch ir selber kür ze lêre dar ûz næme, 7970 7975 7948 bühse swf. ist hier wohl anders aufzufassen als in V. 4669; gemeint scheint die Büchse des Arztes und Apothekers, bildlich gebraucht für Medicin. Ein wohl anstehendes Wort lautet in edeln Ohren besser als eines aus der Sprache der Medicin, die sich vor übel anstehenden nicht zu scheuen hat. — 7957 unlîdic adj., unleidlich, unliebsam. — unsenfte adj., unangenehm. — 7958 die Ausdrucksweise, die nicht hofgemaßs ist ; unter hof haben wir nicht in unserm Sinne den Hof der hofhaltenden regierenden Fürsten zu verstehen, sondern in allgemeinerer Fassung: die feinen Gesellschaftskreise, die gute Gesellschaft; als Wort entspricht hof öfters wie hier unserm (prosaisch ausgedrückt): Salon, Parket. — 7962 inner adv. præp. mit dat., innerhalb. 7971 schuollist stm., die Kenntnisse (in Wissenschaft oder Kunst), die man durch die Schule, durch Bücher, durch theoretischen Unterricht er- wirbt. — hantspil stn. ist wohl nicht, wie das mhd. Wb. II, 2,501b erklärt: «eine besondere Art Saitenspiel», sondern, im Gegensatze zu schuollist, das Spiel mit der Hand, praktische Musik. —
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XI. TANTRIS. 267 (202) swes sô si gezæme. Isôt diu schoene tete alsô: daz allerbeste, daz si dô under állen sînen listen vant, des underwant si sich zehant und was ouch flîzéc dar an, swes si in der werlte began. ouch half si harte sêre diu vórdére lêre. si kunde ê schoene fuoge und hövescheit genuoge mit handen und mit munde: diu schóéné si kunde ir sprâche dâ von Develîn, si kunde franzois und latîn, videlen wol ze prîse in wälhischer wîse. ir vingere die kunden, swenne si's begunden, die lîren wol gerüeren und ûf der harphen füeren die doene mit gewalte: si steigete und valte die noten behendecliche. ouch sanc diu sældenrîche suoz' unde wol von munde; und swaz si fuoge kunde, dâ kom si dô ze frumen an ir méistér der spileman: der bezzerte si sêre. 7980 7985 7990 7995 8000 8005 Under áller dirre lêre gap er ir eine unmüezekeit, die heizen wir morâliteit 7976 gezemen stv. mit acc., hier: einem anstehen, gefällig sein. — 7984 vor- der adj. (compar.?), früher, vorhergehend. — 7998 steigen swv. [nhd. aufge- geben, dafür: steigern], steigen machen, erhöhen. — valte præt. von vellen swv., fallen machen, erniedrigen. Sollen sich diese Ausdrücke auf den Umfang des Tönematerials beziehen, auf die Fertigkeit sowohl der rechten als der linken Hand, oder ist mit steigen das Forte, mit vellen das Piano gemeint ? Bech ist für ersteres mit Hinweis auf steic mhd. Wb. II, 2, 632a und melodia Diefenbach 355a : «sie verstand es, ihre Hände sowohl auf- wärts als niederwärts gleiten zu lassen auf den Saiten, in hohen wie in tiefen Tönen zu spielen." 8008 morâliteit stf., Fremdwort, (Moralität), Sittenlehre (in mittel- alterlichem Sinne), Unterricht und Wissenschaft des Anstandes. —
XI. TANTRIS. 267 (202) swes sô si gezæme. Isôt diu schoene tete alsô: daz allerbeste, daz si dô under állen sînen listen vant, des underwant si sich zehant und was ouch flîzéc dar an, swes si in der werlte began. ouch half si harte sêre diu vórdére lêre. si kunde ê schoene fuoge und hövescheit genuoge mit handen und mit munde: diu schóéné si kunde ir sprâche dâ von Develîn, si kunde franzois und latîn, videlen wol ze prîse in wälhischer wîse. ir vingere die kunden, swenne si's begunden, die lîren wol gerüeren und ûf der harphen füeren die doene mit gewalte: si steigete und valte die noten behendecliche. ouch sanc diu sældenrîche suoz' unde wol von munde; und swaz si fuoge kunde, dâ kom si dô ze frumen an ir méistér der spileman: der bezzerte si sêre. 7980 7985 7990 7995 8000 8005 Under áller dirre lêre gap er ir eine unmüezekeit, die heizen wir morâliteit 7976 gezemen stv. mit acc., hier: einem anstehen, gefällig sein. — 7984 vor- der adj. (compar.?), früher, vorhergehend. — 7998 steigen swv. [nhd. aufge- geben, dafür: steigern], steigen machen, erhöhen. — valte præt. von vellen swv., fallen machen, erniedrigen. Sollen sich diese Ausdrücke auf den Umfang des Tönematerials beziehen, auf die Fertigkeit sowohl der rechten als der linken Hand, oder ist mit steigen das Forte, mit vellen das Piano gemeint ? Bech ist für ersteres mit Hinweis auf steic mhd. Wb. II, 2, 632a und melodia Diefenbach 355a : «sie verstand es, ihre Hände sowohl auf- wärts als niederwärts gleiten zu lassen auf den Saiten, in hohen wie in tiefen Tönen zu spielen." 8008 morâliteit stf., Fremdwort, (Moralität), Sittenlehre (in mittel- alterlichem Sinne), Unterricht und Wissenschaft des Anstandes. —
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268 XI. TANTRIS. diu kunst diu lêret schoene site: dâ solten alle frouwen mite in ir jugent unmüezic wesen. morâliteit daz süeze lesen deist sælec unde reine. ir lêre hât gemeine mit der werlde und mit gote. si lêret uns in ir gebote got únde der werlde gevallen: si ist édelen herzen allen ze einer ámmén gegeben, daz si ir lîpnar unde ir leben suochen in ir lêre, wan síne hânt gúot noch êre, ez enlêre sî morâliteit. diz was ir meiste unmüezekeit der jungen küniginne. hie bankete sî ir sinne und ir gedanke dicke mite. hie von sô wart si wol gesite schôn' unde réiné gemuot, ir gebârde süeze unde guot. 8015 8020 8025 8010 8030 Sus kom diu süeze junge ze solher bezzerunge an lêre und an gebâre in dem halben jâre, daz von ir sælekeite allez daz lant seite, unde ir vater der künec dervan vil grôze fröudé gewan; (203) ir muoter wart es sêre frô. 8035 Nu gefúogte ez sich dicke sô, ir vater sô der was froudehaft oder álse fremediu ritterschaft da ze hóve vor dem künege was, daz Isôt in den palas 8040 8012 lesen subst. inf. stn. (wie in V. 167), hier: Bericht (s. zu 134), Lehre. — 8014 gemeine stf., Gemeinschaft; vgl. zu 16611. — 8030 gebœrde stf., hier deutlich nicht: Gebärde in unserm Sinne [der Plural Gebärden stimmt mitunter mit dem alten Begriffe], sondern synonym mit gebar und mit site (8140), Benehmen, Wesen.
268 XI. TANTRIS. diu kunst diu lêret schoene site: dâ solten alle frouwen mite in ir jugent unmüezic wesen. morâliteit daz süeze lesen deist sælec unde reine. ir lêre hât gemeine mit der werlde und mit gote. si lêret uns in ir gebote got únde der werlde gevallen: si ist édelen herzen allen ze einer ámmén gegeben, daz si ir lîpnar unde ir leben suochen in ir lêre, wan síne hânt gúot noch êre, ez enlêre sî morâliteit. diz was ir meiste unmüezekeit der jungen küniginne. hie bankete sî ir sinne und ir gedanke dicke mite. hie von sô wart si wol gesite schôn' unde réiné gemuot, ir gebârde süeze unde guot. 8015 8020 8025 8010 8030 Sus kom diu süeze junge ze solher bezzerunge an lêre und an gebâre in dem halben jâre, daz von ir sælekeite allez daz lant seite, unde ir vater der künec dervan vil grôze fröudé gewan; (203) ir muoter wart es sêre frô. 8035 Nu gefúogte ez sich dicke sô, ir vater sô der was froudehaft oder álse fremediu ritterschaft da ze hóve vor dem künege was, daz Isôt in den palas 8040 8012 lesen subst. inf. stn. (wie in V. 167), hier: Bericht (s. zu 134), Lehre. — 8014 gemeine stf., Gemeinschaft; vgl. zu 16611. — 8030 gebœrde stf., hier deutlich nicht: Gebärde in unserm Sinne [der Plural Gebärden stimmt mitunter mit dem alten Begriffe], sondern synonym mit gebar und mit site (8140), Benehmen, Wesen.
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XI. TANTRIS. 269 8045 vür ir vater wart besant; und allez daz ir was bekant hövescher liste und schoener site, dâ kurzte si im die stunde mite und mit im manegem an der stete. swaz fröude si dem vater getete, daz fröute s' alle gelîche: arme unde rîche si hæten an ir beide eine sâlege ougenweide, der ôren unde des herzen lust: ûzèn und innerhalp der brust dâ was ir lust gemeine. diu süeze Isôt, diu reine, si sanc, si schréip únd si las; und swaz ir aller fröude was, daz was ir banekîe. si vídelte ir stámpenîe, leich’ und sô fremediu notelîn, diu niemer fremeder kunden sîn, in franzoiser wîse von Sanze und San Dinîse: der kunde s' ûzer mâze vil. ir lîren unde ir harphenspil sluoc si ze beiden wenden mit hármblánken henden ze lobelichem prise. in Lût noch in Thamîse gesluogen frouwen hende nie seiten süezer danne hie la důze Isôt, la bêle. si sang ir pasturêle, ir rotruwange und ir rundate, schanzûne, réfloit únd folate 8050 8055 8060 8065 8070 8075 8068 lîren acc. von lîre swf. (deutlicher in V. 7995), Leier, ein harfen- ähnliches Instrument. — harphenspil stn. hier = harfe, als Instrument; in V. 7807 das Spiel auf der Harfe. — 8069 ze beiden wenden (s. zu 6669), auf beiden Seiten, also : mit der rechten und linken Hand. — 8070 harmblanc adj., hermelinweiß; vgl. 3550. — 8073 gesluogen = haben geschlagen. — 8076 pasturêle stf. (?) Fremdwort, Pastorell, Hirtenlied. — 8077 rotruwange stf. (?) Fremdwort, altfranz., rotruenge eine Weise, vielleicht zur Rotte ge- sungen. — rundate (nicht rundâte) stf. (?), eine Weise, vielleicht mit ron- deau, Rundreim zusammenhangend; noch einmal erwähnt in V. 19215. — 8078 folate stf. (?), eine Weise; sonst nicht nachgewiesen, darum etymolo- gisch unklar. —
XI. TANTRIS. 269 8045 vür ir vater wart besant; und allez daz ir was bekant hövescher liste und schoener site, dâ kurzte si im die stunde mite und mit im manegem an der stete. swaz fröude si dem vater getete, daz fröute s' alle gelîche: arme unde rîche si hæten an ir beide eine sâlege ougenweide, der ôren unde des herzen lust: ûzèn und innerhalp der brust dâ was ir lust gemeine. diu süeze Isôt, diu reine, si sanc, si schréip únd si las; und swaz ir aller fröude was, daz was ir banekîe. si vídelte ir stámpenîe, leich’ und sô fremediu notelîn, diu niemer fremeder kunden sîn, in franzoiser wîse von Sanze und San Dinîse: der kunde s' ûzer mâze vil. ir lîren unde ir harphenspil sluoc si ze beiden wenden mit hármblánken henden ze lobelichem prise. in Lût noch in Thamîse gesluogen frouwen hende nie seiten süezer danne hie la důze Isôt, la bêle. si sang ir pasturêle, ir rotruwange und ir rundate, schanzûne, réfloit únd folate 8050 8055 8060 8065 8070 8075 8068 lîren acc. von lîre swf. (deutlicher in V. 7995), Leier, ein harfen- ähnliches Instrument. — harphenspil stn. hier = harfe, als Instrument; in V. 7807 das Spiel auf der Harfe. — 8069 ze beiden wenden (s. zu 6669), auf beiden Seiten, also : mit der rechten und linken Hand. — 8070 harmblanc adj., hermelinweiß; vgl. 3550. — 8073 gesluogen = haben geschlagen. — 8076 pasturêle stf. (?) Fremdwort, Pastorell, Hirtenlied. — 8077 rotruwange stf. (?) Fremdwort, altfranz., rotruenge eine Weise, vielleicht zur Rotte ge- sungen. — rundate (nicht rundâte) stf. (?), eine Weise, vielleicht mit ron- deau, Rundreim zusammenhangend; noch einmal erwähnt in V. 19215. — 8078 folate stf. (?), eine Weise; sonst nicht nachgewiesen, darum etymolo- gisch unklar. —
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270 XI. TANTRIS. (204) wol unde wol und alze wol: wan von ir wart manc herze vol mit senelîcher trahte. von ir wart maneger slahte gedanke und ahte vür brâht. durch si wart wúndér gedâht, als ir wol wizzet, daz geschiht, dâ man ein solich wunder siht von schone und von hövescheit, als an Isôte was geleit. 8080 8085 Wem mag ich sî gelîchen die schoenen, sælderîchen, wan den Syrênen eine, die mit dem agesteine die kiele zíehént ze sich?" als zôch Isôt, sô dunket mich, vil herzen unde gedanken in, die doch vil sicher wânden sîn von senedem ungemache. ouch sint die zwô sache kiel âne anker unde muot ze ebenmâzénne guot. si sint sô selten beide an stæter wegeweide, sô dicke in ungewisser habe, wankende beidiu an und abe, ündende hín unde her. sus swebet diu wîselôse ger, der ungewisse minnenmuot, reht' als daz schif ân' anker tuot in ebengelîcher wîse. diu gefüege Isôt, diu wîse, diu junge süeze künigîn alsô zôch si gedanken in ûz maneges herzen arken, 8095 8100 8105 8110 8090 8083 ahte stf., hier: (Aufmerksamkeit), Urtheil. 8089 gelîchen swv. = vergleichen. — 8092 agestein stm., Magnetstein. — 8099 muot (nominativ) steht hier allein, was vorher in V. 8095 durch her- zen unde gedanken ausgedrückt ist; später deutlicher erklärt als minnen- muot in V. 8106. — 8100 ebenmâzen swv., (gleich abmessen), gleichstellen, vergleichen. — 8102 wegeweide stf., Wegreise, dann überhaupt: Fahrt, Gang. — 8105 ünden swv., wogen; vgl. zu 2428. — 8113 arke swf., Arche sing. stf., wird öfters namentlich von den Dichtern der jüngeren mhd. Zeit in solcher bildlichen Weise gebraucht. —
270 XI. TANTRIS. (204) wol unde wol und alze wol: wan von ir wart manc herze vol mit senelîcher trahte. von ir wart maneger slahte gedanke und ahte vür brâht. durch si wart wúndér gedâht, als ir wol wizzet, daz geschiht, dâ man ein solich wunder siht von schone und von hövescheit, als an Isôte was geleit. 8080 8085 Wem mag ich sî gelîchen die schoenen, sælderîchen, wan den Syrênen eine, die mit dem agesteine die kiele zíehént ze sich?" als zôch Isôt, sô dunket mich, vil herzen unde gedanken in, die doch vil sicher wânden sîn von senedem ungemache. ouch sint die zwô sache kiel âne anker unde muot ze ebenmâzénne guot. si sint sô selten beide an stæter wegeweide, sô dicke in ungewisser habe, wankende beidiu an und abe, ündende hín unde her. sus swebet diu wîselôse ger, der ungewisse minnenmuot, reht' als daz schif ân' anker tuot in ebengelîcher wîse. diu gefüege Isôt, diu wîse, diu junge süeze künigîn alsô zôch si gedanken in ûz maneges herzen arken, 8095 8100 8105 8110 8090 8083 ahte stf., hier: (Aufmerksamkeit), Urtheil. 8089 gelîchen swv. = vergleichen. — 8092 agestein stm., Magnetstein. — 8099 muot (nominativ) steht hier allein, was vorher in V. 8095 durch her- zen unde gedanken ausgedrückt ist; später deutlicher erklärt als minnen- muot in V. 8106. — 8100 ebenmâzen swv., (gleich abmessen), gleichstellen, vergleichen. — 8102 wegeweide stf., Wegreise, dann überhaupt: Fahrt, Gang. — 8105 ünden swv., wogen; vgl. zu 2428. — 8113 arke swf., Arche sing. stf., wird öfters namentlich von den Dichtern der jüngeren mhd. Zeit in solcher bildlichen Weise gebraucht. —
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XI. TANTRIS. 271 (205) als der ágestein die barken mit der Syrênen sange tuot. si sang in maneges herzen muot offenlîche und tougen durch ôren und durch ougen. ir sanc, den s' offenlîche tete beidiu anderswâ und an der stete, daz was ir süezez singen, ir senftez seiten klingen, daz lûte und offenliche durch der óren künicrîche hin nider in diu herze klanc. sô was der tougenlîche sanc, ir wunderlîchiu schoene, die mit ir muotgedoene verholne, unde tougen durch die vénstér der ougen in vil manc edele herze sleich, und daz zouber dar in streich, daz die gedánké zehant vienc unde vâhénde bant mit senede und mit seneder nôt. 8120 8125 8130 8115 8135 Sus hæte sich diu schoene Isôt von Tristándes lêre gebezzert alse sêre: sî was súozé gemuot, ir site und ir gebæerde guot. si kunde schoeniu hántspíl, schonèr behendekeite vil: briev' und schanzûne tihten, ir getihte schône slihten, si kunde schrîben unde lesen. 8140 8145 8128 muotgedœne stn., etwa = unserm: Lustgetön. — 8129 verholne (= ver- holene) part. adv., verhohlen, heimlich. 8142 behendekeite wohl gen. pl., Fertigkeiten. — 8143 unter brieve sind im Gegensatze zu schanzůne (2292) zunächst Liedertexte zu verstehen ohne Melodie (denn synonym sind wohl brief und schanzůne nicht); ins- besondere sind wohl unter dem Worte Liebesbriefe gemeint, kürzere Dichtungen, die auch unter dem Namen: Büchlein bekannt sind; vgl. Bech's Einleitung zu Hartmann II, und daselbst die Vorbemerkungen zum ersten und zweiten Büchlein. — 8144 slihten swv. steht hier ähnlich wie ebenen (457), glätten, feilen; es geht auf die kunstgemäßse Form der Gedichte.
XI. TANTRIS. 271 (205) als der ágestein die barken mit der Syrênen sange tuot. si sang in maneges herzen muot offenlîche und tougen durch ôren und durch ougen. ir sanc, den s' offenlîche tete beidiu anderswâ und an der stete, daz was ir süezez singen, ir senftez seiten klingen, daz lûte und offenliche durch der óren künicrîche hin nider in diu herze klanc. sô was der tougenlîche sanc, ir wunderlîchiu schoene, die mit ir muotgedoene verholne, unde tougen durch die vénstér der ougen in vil manc edele herze sleich, und daz zouber dar in streich, daz die gedánké zehant vienc unde vâhénde bant mit senede und mit seneder nôt. 8120 8125 8130 8115 8135 Sus hæte sich diu schoene Isôt von Tristándes lêre gebezzert alse sêre: sî was súozé gemuot, ir site und ir gebæerde guot. si kunde schoeniu hántspíl, schonèr behendekeite vil: briev' und schanzûne tihten, ir getihte schône slihten, si kunde schrîben unde lesen. 8140 8145 8128 muotgedœne stn., etwa = unserm: Lustgetön. — 8129 verholne (= ver- holene) part. adv., verhohlen, heimlich. 8142 behendekeite wohl gen. pl., Fertigkeiten. — 8143 unter brieve sind im Gegensatze zu schanzůne (2292) zunächst Liedertexte zu verstehen ohne Melodie (denn synonym sind wohl brief und schanzůne nicht); ins- besondere sind wohl unter dem Worte Liebesbriefe gemeint, kürzere Dichtungen, die auch unter dem Namen: Büchlein bekannt sind; vgl. Bech's Einleitung zu Hartmann II, und daselbst die Vorbemerkungen zum ersten und zweiten Büchlein. — 8144 slihten swv. steht hier ähnlich wie ebenen (457), glätten, feilen; es geht auf die kunstgemäßse Form der Gedichte.
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272 XI. TANTRIS. (206) Nu was ouch Tristán genesen ganz unde geheilet garwe, daz ime lich unde varwe wider lûteren begunde. nu vorhte er alle stunde, daz in etswer erkande von gesinde oder von lande, und was in stæter trahte, mit wie gefüeger ahte er úrlóup genæme und ûz den sorgen kæme; wan er wol wiste, möhte ez sîn, im solte ieweder künigîn kûm' oder niemer urloup geben. nu bedâhte er aber, daz sin leben ze allen ziten was geleit in michel ungewishéit. er gie zer küniginne und begúnde in schonem sinne sîne réde besetzen an der stete, als er an allen steten tete; er kniete vür si unde sprach: «frouwe, genâde unde gemach und helfe, die ir mir habet getân, die lâze iu got ze staten gestân in dem êwigen rîche! ir habet sô sæliclîche mit mir geworben und sô wol, daz es iu got iemer lônen sol, und ich ez iemer dienen wil unze an mînes tôdes zil, an swelher stat ich armer man iuwer lop gefürdern kan. sâlígiu künigîn, ez sol mit iuwern hulden sîn, daz ich wider ze lande var, wan mîn dinc stât mir alsô dar, daz ich lánger niht belîben kan.» 8150 8155 8160 8165 8170 8175 8180 8149 lûteren swv., lauter, rein werden. — 8165 besetzen, hier wieder in Verbindung mit rede nicht: festsetzen, Entschluß kundgeben, sondern wie unser: Rede setzen, Worte setzen, d. h. sich ausdrücken, Vortrag hal- ten. — 8175 dienen swv. mit acc., verdienen, vergelten. — 8178 gefürdern, verst. fürdern, befördern, erhöhen.
272 XI. TANTRIS. (206) Nu was ouch Tristán genesen ganz unde geheilet garwe, daz ime lich unde varwe wider lûteren begunde. nu vorhte er alle stunde, daz in etswer erkande von gesinde oder von lande, und was in stæter trahte, mit wie gefüeger ahte er úrlóup genæme und ûz den sorgen kæme; wan er wol wiste, möhte ez sîn, im solte ieweder künigîn kûm' oder niemer urloup geben. nu bedâhte er aber, daz sin leben ze allen ziten was geleit in michel ungewishéit. er gie zer küniginne und begúnde in schonem sinne sîne réde besetzen an der stete, als er an allen steten tete; er kniete vür si unde sprach: «frouwe, genâde unde gemach und helfe, die ir mir habet getân, die lâze iu got ze staten gestân in dem êwigen rîche! ir habet sô sæliclîche mit mir geworben und sô wol, daz es iu got iemer lônen sol, und ich ez iemer dienen wil unze an mînes tôdes zil, an swelher stat ich armer man iuwer lop gefürdern kan. sâlígiu künigîn, ez sol mit iuwern hulden sîn, daz ich wider ze lande var, wan mîn dinc stât mir alsô dar, daz ich lánger niht belîben kan.» 8150 8155 8160 8165 8170 8175 8180 8149 lûteren swv., lauter, rein werden. — 8165 besetzen, hier wieder in Verbindung mit rede nicht: festsetzen, Entschluß kundgeben, sondern wie unser: Rede setzen, Worte setzen, d. h. sich ausdrücken, Vortrag hal- ten. — 8175 dienen swv. mit acc., verdienen, vergelten. — 8178 gefürdern, verst. fürdern, befördern, erhöhen.
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XI. TANTRIS. 273 (207) Diu frouwe lachete in an. «dîn smeichen", sprach si «deist ein wiht, ich engibe dir urloubes niht, dune kúmest niht hinnen zwâre vor disem ganzen jâre.» «nein, edeliu küniginne, nemet in iuwer sinne, wie ez umbe die gotes ê und umbe herzeliebe stê. ich hân dâ heime ein êlîch wîp, die minne ich als mîn selbes lip und weiz wol, daz sich diu versiht und enhât ouch zwivel dar an niht, ích ensî benamen tôt; und min angest und mîn nôt, wirt si eim anderen gegeben, sô ist mîn trôst únd mîn leben und al diu fröudé dâ hin, ze der ich dingénde bin, und enwirde niemer mêre frô.» «entriuwen», sprach diu wîse dô «Tantris, diu nôt ist êháft: alsus getâne geselleschaft sol niemen guoter scheiden. got der genâde iu beiden, dînem wîbe unde dir! swie rehte ungerne ich dîn enbir, sô wil ich dîn durch got enbern. urloubes muoz ich dich gewern und bin dir willec unde holt. ich und mîn tohter Isólt wir geben dir ze dîner var und ze dîner lîpnár zwô marc von rôtem golde: 8190 8195 8200 8205 8210 8185 8215 8185 smeichen (swv.) subst. inf. stn., schmeicheln. — 8191 gotes ê, die von Gott eingesetzte, die heilige Ehe. — 8195 versehen refl. hier mit folgen- dem Satze, glauben, vermuthen. — 8202 dingende bin = dinge. dingen swv., gedinge (1186), Hoffnung hegen. — 8205 éhaft adj., gesetzmäßig; zu der ehaften Noth (noch heute bekannter juristischer Terminus), d. h. zu der wirklich zwingenden und darum entschuldbaren Verhinderung zählen Krankheit, Gefängniss und Tod ; das Wort éhaft verliert dann in dieser Verbindung den ursprünglichen Sinn und bedeutet: dringlich, begründet. — 8206 geselleschaft stf., die auf gesellekeit, Freundschaft und Liebe ge- gründete Verbindung: Gemeinschaft; vgl. 19125. — 8215 var stf., Fahrt. — GOTTFRIED VON STRASSBURG. I. 2. Aufl. 18
XI. TANTRIS. 273 (207) Diu frouwe lachete in an. «dîn smeichen", sprach si «deist ein wiht, ich engibe dir urloubes niht, dune kúmest niht hinnen zwâre vor disem ganzen jâre.» «nein, edeliu küniginne, nemet in iuwer sinne, wie ez umbe die gotes ê und umbe herzeliebe stê. ich hân dâ heime ein êlîch wîp, die minne ich als mîn selbes lip und weiz wol, daz sich diu versiht und enhât ouch zwivel dar an niht, ích ensî benamen tôt; und min angest und mîn nôt, wirt si eim anderen gegeben, sô ist mîn trôst únd mîn leben und al diu fröudé dâ hin, ze der ich dingénde bin, und enwirde niemer mêre frô.» «entriuwen», sprach diu wîse dô «Tantris, diu nôt ist êháft: alsus getâne geselleschaft sol niemen guoter scheiden. got der genâde iu beiden, dînem wîbe unde dir! swie rehte ungerne ich dîn enbir, sô wil ich dîn durch got enbern. urloubes muoz ich dich gewern und bin dir willec unde holt. ich und mîn tohter Isólt wir geben dir ze dîner var und ze dîner lîpnár zwô marc von rôtem golde: 8190 8195 8200 8205 8210 8185 8215 8185 smeichen (swv.) subst. inf. stn., schmeicheln. — 8191 gotes ê, die von Gott eingesetzte, die heilige Ehe. — 8195 versehen refl. hier mit folgen- dem Satze, glauben, vermuthen. — 8202 dingende bin = dinge. dingen swv., gedinge (1186), Hoffnung hegen. — 8205 éhaft adj., gesetzmäßig; zu der ehaften Noth (noch heute bekannter juristischer Terminus), d. h. zu der wirklich zwingenden und darum entschuldbaren Verhinderung zählen Krankheit, Gefängniss und Tod ; das Wort éhaft verliert dann in dieser Verbindung den ursprünglichen Sinn und bedeutet: dringlich, begründet. — 8206 geselleschaft stf., die auf gesellekeit, Freundschaft und Liebe ge- gründete Verbindung: Gemeinschaft; vgl. 19125. — 8215 var stf., Fahrt. — GOTTFRIED VON STRASSBURG. I. 2. Aufl. 18
Strana 274
274 XI. TANTRIS. die habe dir von Isolde!" sus vielt der éllénde ietwedere sîne hende des libes unde der sînne, ietwederr küniginne, beidiu der muoter unde der maget: «iu beiden", sprach er «sî gesaget von gote genâde und êre!» und enbéite ouch dô niht mêre, er fuor von dannen z'Engelant, von Engelanden al zehant ze Kurnewâle wider heim. 8220 8225 8218 habe dir, hier: nimm dir. — 8220 ietwedere ist Dativ.
274 XI. TANTRIS. die habe dir von Isolde!" sus vielt der éllénde ietwedere sîne hende des libes unde der sînne, ietwederr küniginne, beidiu der muoter unde der maget: «iu beiden", sprach er «sî gesaget von gote genâde und êre!» und enbéite ouch dô niht mêre, er fuor von dannen z'Engelant, von Engelanden al zehant ze Kurnewâle wider heim. 8220 8225 8218 habe dir, hier: nimm dir. — 8220 ietwedere ist Dativ.
Strana 275
XII. DIE BRAUTFAHRT. Uber Tristan's glückliche Rückkehr herrscht groſse Freude; man lacht und scherzt über den gelungenen Streich. Mit Begeisterung preist Tristan die Schönheit der jungen Isolt. — Fröhlich beginnt er wieder auf- zuleben, aber am Hofe regt sich gegen ihn der Neid. Wegen seiner wunderbaren Thaten und seines seltenen Glückes wird er für einen Zau- berer gehalten. Darum liegen seine Feinde den König an, er solle ein Weib nehmen und einen Erben gewinnen. Marke weist auf Tristan als auf seinen Erben hin. Da wird des Hasses noch mehr. Tristan fühlt sich nicht mehr sicher und will den Hof verlassen, wünscht aber auch, daß Marke seine Räthe in dieser Sache befrage. Einer derselben räth, er solle die schöne Isolt von Irland nehmen. Der König glaubt wegen der Feindschaft mit Gurmun nicht an die Möglichkeit eines solchen Schrittes, gibt aber doch scheinbar nach. Ferner wird gerathen, Tristan solle als der Geschickteste und Glücklichste die Werbung übernehmen. Tristan ist bereit und gegen des Oheims Willen entschlossen, verlangt aber, daſs außer zwanzig bewährten Rittern und sechzig Söldnern sich zwanzig der ihm feindlich gesinnten Landbarone anschließsen sollen. — (Eine andere Uberlieferung der Sage von der Schwalbe und dem Frauenhaar sowie von Tristan's zielloser Fahrt verwirft hier der Dichter als ungereimt.) Die Barone treten voll Reue und mit grofter Sorge die Reise an. Bei Weise- fort in Irlant, wo der König sich aufhält, werfen sie die Anker aus. Tri- stan befiehlt, sie sollten sich still im Schiffe halten; kehre er nicht in zwei oder drei Tagen zurück, so sollten sie wieder heimfahren. Des Kö- nigs Marschall eilt mit einer bewaffneten Schaar an den Hafen, um die Ankömmlinge zu erforschen. Tristan besteigt ein Schifflein, in das er einen schweren goldenen Becher tragen lässt, und lenkt auf den Zuruf der Irländer dem Lande zu. Er außert sich ungehalten über ihr unfreund- liches Begegnen, erzählt wiederum eine erlogene Geschichte und bittet gegen Belohnung um die Gunst eines kurzen und sichern Aufenthalts, um seine verlorenen Gefährten zu erkunden. Auf des Marschalls Frage bietet er dem Könige für jeden Tag zum Zinse eine Mark Goldes und ihm selbst verheißt er zum Geschenke den goldenen Becher, welchen der Mar- schall entgegennimmt und dafür Gnade und Schutz gewährt. Nu Márké sîn ééhéim únd daz lántlíut vernam, daz er gesunder wider kam, si wurden al gelîche 8230 18 *
XII. DIE BRAUTFAHRT. Uber Tristan's glückliche Rückkehr herrscht groſse Freude; man lacht und scherzt über den gelungenen Streich. Mit Begeisterung preist Tristan die Schönheit der jungen Isolt. — Fröhlich beginnt er wieder auf- zuleben, aber am Hofe regt sich gegen ihn der Neid. Wegen seiner wunderbaren Thaten und seines seltenen Glückes wird er für einen Zau- berer gehalten. Darum liegen seine Feinde den König an, er solle ein Weib nehmen und einen Erben gewinnen. Marke weist auf Tristan als auf seinen Erben hin. Da wird des Hasses noch mehr. Tristan fühlt sich nicht mehr sicher und will den Hof verlassen, wünscht aber auch, daß Marke seine Räthe in dieser Sache befrage. Einer derselben räth, er solle die schöne Isolt von Irland nehmen. Der König glaubt wegen der Feindschaft mit Gurmun nicht an die Möglichkeit eines solchen Schrittes, gibt aber doch scheinbar nach. Ferner wird gerathen, Tristan solle als der Geschickteste und Glücklichste die Werbung übernehmen. Tristan ist bereit und gegen des Oheims Willen entschlossen, verlangt aber, daſs außer zwanzig bewährten Rittern und sechzig Söldnern sich zwanzig der ihm feindlich gesinnten Landbarone anschließsen sollen. — (Eine andere Uberlieferung der Sage von der Schwalbe und dem Frauenhaar sowie von Tristan's zielloser Fahrt verwirft hier der Dichter als ungereimt.) Die Barone treten voll Reue und mit grofter Sorge die Reise an. Bei Weise- fort in Irlant, wo der König sich aufhält, werfen sie die Anker aus. Tri- stan befiehlt, sie sollten sich still im Schiffe halten; kehre er nicht in zwei oder drei Tagen zurück, so sollten sie wieder heimfahren. Des Kö- nigs Marschall eilt mit einer bewaffneten Schaar an den Hafen, um die Ankömmlinge zu erforschen. Tristan besteigt ein Schifflein, in das er einen schweren goldenen Becher tragen lässt, und lenkt auf den Zuruf der Irländer dem Lande zu. Er außert sich ungehalten über ihr unfreund- liches Begegnen, erzählt wiederum eine erlogene Geschichte und bittet gegen Belohnung um die Gunst eines kurzen und sichern Aufenthalts, um seine verlorenen Gefährten zu erkunden. Auf des Marschalls Frage bietet er dem Könige für jeden Tag zum Zinse eine Mark Goldes und ihm selbst verheißt er zum Geschenke den goldenen Becher, welchen der Mar- schall entgegennimmt und dafür Gnade und Schutz gewährt. Nu Márké sîn ééhéim únd daz lántlíut vernam, daz er gesunder wider kam, si wurden al gelîche 8230 18 *
Strana 276
276 XII. DIE BRAUTFAHRT. (208) von állém dem rîche reht' unde ûz allem herzen frô. der künec sîn friunt der frâgte in sô, wie ez im ergangen ware. und er seit’ ime daz mære von obene hin ze grunde, so er ébenéste kunde. des nam si alle wunder und begúndén hier under vil schimpfen unde lachen und michel lahter machen von sîner verte in Irlant; von sîner vîendinne hant, wie schône in diu generte; von allem dem geverte, daz er under in begie. si jâhen, sine gefrieschen nie solhes wúndérs gemach. 8235 8240 8245 8250 Nů diz álléz geschach, daz sîn geníst únd sîn vart sêr’ unde wol belachet wart, dô frâgeten si'n genôte von der maget Isôte. «Isôt», sprach er «daz ist ein maget, daz al diu werlt von schoene saget, deist al hie wider alse ein wint. diu liehte Isôt, daz ist ein kint von gebérden und von libe, daz kint noch maget von wibe als lustic unde als ûz erkorn nie wart noch niemer wirt geborn. 8255 8260 8239 ze grunde, bis herunter, bis zu Ende; das Wort kann öfters das bezeichnen, was wir mit: gründlich ausdrücken; hier in Verbindung mit obene aber nicht; die Wendung etwa = von vorn bis zum Schlusse. — 8248 geverte stn., (Fahrt), Verlauf, Begebenheit, dann wie hier allgemein: Dinge ; das Wort namentlich in der zweiten Hälfte vom Dichter in verschie- dener Bedeutung gerne angewandt. — 8250 gefrieschen præt. plur. conj. von gefreischen stv., erfahren, kennen lernen; eine Form vom einfachen freischen kommt im Tristan nicht vor ; hier aber ge- wohl plusquamperf. = hätten erfahren. — 8251 in der nicht unhäufigen und halb formelhaften Wendung wunders gemach ist gemach ein substantivisches Adjectiv mit der Bedeutung : das Gleiche (ohne solhes heißt wunders gemach : was einem Wunder gleich ist) ; bei Gottfried nur an dieser Stelle.
276 XII. DIE BRAUTFAHRT. (208) von állém dem rîche reht' unde ûz allem herzen frô. der künec sîn friunt der frâgte in sô, wie ez im ergangen ware. und er seit’ ime daz mære von obene hin ze grunde, so er ébenéste kunde. des nam si alle wunder und begúndén hier under vil schimpfen unde lachen und michel lahter machen von sîner verte in Irlant; von sîner vîendinne hant, wie schône in diu generte; von allem dem geverte, daz er under in begie. si jâhen, sine gefrieschen nie solhes wúndérs gemach. 8235 8240 8245 8250 Nů diz álléz geschach, daz sîn geníst únd sîn vart sêr’ unde wol belachet wart, dô frâgeten si'n genôte von der maget Isôte. «Isôt», sprach er «daz ist ein maget, daz al diu werlt von schoene saget, deist al hie wider alse ein wint. diu liehte Isôt, daz ist ein kint von gebérden und von libe, daz kint noch maget von wibe als lustic unde als ûz erkorn nie wart noch niemer wirt geborn. 8255 8260 8239 ze grunde, bis herunter, bis zu Ende; das Wort kann öfters das bezeichnen, was wir mit: gründlich ausdrücken; hier in Verbindung mit obene aber nicht; die Wendung etwa = von vorn bis zum Schlusse. — 8248 geverte stn., (Fahrt), Verlauf, Begebenheit, dann wie hier allgemein: Dinge ; das Wort namentlich in der zweiten Hälfte vom Dichter in verschie- dener Bedeutung gerne angewandt. — 8250 gefrieschen præt. plur. conj. von gefreischen stv., erfahren, kennen lernen; eine Form vom einfachen freischen kommt im Tristan nicht vor ; hier aber ge- wohl plusquamperf. = hätten erfahren. — 8251 in der nicht unhäufigen und halb formelhaften Wendung wunders gemach ist gemach ein substantivisches Adjectiv mit der Bedeutung : das Gleiche (ohne solhes heißt wunders gemach : was einem Wunder gleich ist) ; bei Gottfried nur an dieser Stelle.
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XII. DIE BRAUTFAHRT. 277 (209) diu lûtere, diu liehte Isolt, diu ist lûter alse arâbesch golt. des ich ie wánénde was, als ich ez an den buochen las, diu von ir lobe geschriben sint, Aurôren tohter unde ir kint, Tintarides diu mæere, daz an ir eine ware aller wîbe schônhéit an einen blúomén geleit: von dem wâne bin ich komen, Isôt hat mir den wân benomen. ichne geloube niemer mê, daz sunne von Mycêne gê; ganzlîchiu schoene ertagete nie ze Kriechenlant, si taget hie. alle gedanke und alle man die kaphen niuwan Irlant an: dâ nemen ir ougen wunne, sehen, wie diu niuwe sunne nâch ir morgenrôte Isôt nâch Isôte, dâ her von Develîne in elliu herze schîne! diu liehte wunneclîche si erliuhtet elliu rîche. daz si álle lobes von wîben sagent, swaz sî mit lobe ze mæeren tragent, deist allez hie wider ein niht. der Isôt' under ougen siht, dem lûtert herze unde muot, reht' als diu gluot dem golde tuot: ez liebet leben unde lîp. mit ir enist kein ander wîp 8270 8275 8230 8285 8290 8295 8265 8269 ir = Tintarides = Helena. — 8278 sunne (nach drei Hss.) = diu s. (Hs. M). — Mycêne steht hier pars pro toto = Argolis = Griechenland. — sunne von M. wird mit Beziehung auf Helena gesagt wegen ihres Gemahls Menelaus, dessen Vater Atreus König von M. war. — gân, hier ahnlich wie in V. 5295: kommen, ausgehen. — 8279 ertagen swv., (wie der Tag) erschei- nen. — 8280 tagen svw., hier wohl im Gegensatze zu ertagen nicht: erschei- nen, sondern: leuchten. — 8282 fg. kaphen, nemen, sehen Conjunctive mit imperativischem Charakter. — 8283 wunne nemen nicht mehr gebräuchlich, dafür etwa: Wonne suchen; «Wonne schöpfen". Kurtz. —
XII. DIE BRAUTFAHRT. 277 (209) diu lûtere, diu liehte Isolt, diu ist lûter alse arâbesch golt. des ich ie wánénde was, als ich ez an den buochen las, diu von ir lobe geschriben sint, Aurôren tohter unde ir kint, Tintarides diu mæere, daz an ir eine ware aller wîbe schônhéit an einen blúomén geleit: von dem wâne bin ich komen, Isôt hat mir den wân benomen. ichne geloube niemer mê, daz sunne von Mycêne gê; ganzlîchiu schoene ertagete nie ze Kriechenlant, si taget hie. alle gedanke und alle man die kaphen niuwan Irlant an: dâ nemen ir ougen wunne, sehen, wie diu niuwe sunne nâch ir morgenrôte Isôt nâch Isôte, dâ her von Develîne in elliu herze schîne! diu liehte wunneclîche si erliuhtet elliu rîche. daz si álle lobes von wîben sagent, swaz sî mit lobe ze mæeren tragent, deist allez hie wider ein niht. der Isôt' under ougen siht, dem lûtert herze unde muot, reht' als diu gluot dem golde tuot: ez liebet leben unde lîp. mit ir enist kein ander wîp 8270 8275 8230 8285 8290 8295 8265 8269 ir = Tintarides = Helena. — 8278 sunne (nach drei Hss.) = diu s. (Hs. M). — Mycêne steht hier pars pro toto = Argolis = Griechenland. — sunne von M. wird mit Beziehung auf Helena gesagt wegen ihres Gemahls Menelaus, dessen Vater Atreus König von M. war. — gân, hier ahnlich wie in V. 5295: kommen, ausgehen. — 8279 ertagen swv., (wie der Tag) erschei- nen. — 8280 tagen svw., hier wohl im Gegensatze zu ertagen nicht: erschei- nen, sondern: leuchten. — 8282 fg. kaphen, nemen, sehen Conjunctive mit imperativischem Charakter. — 8283 wunne nemen nicht mehr gebräuchlich, dafür etwa: Wonne suchen; «Wonne schöpfen". Kurtz. —
Strana 278
278 XII. DIE BRAUTFAHRT. erleschet noch geswachet, als maneger mære machet : ir schéné diu schoenet, sie zieret unde kroenet wip unde wîplîchen namen. des ensól sich ir deheiniu schamen." 8300 Nu Tristan hâté gesaget von sîner fróuwén der maget, der wunneclîchen von Irlant, dar nâch als ez im was erkant, swer dô dâ bî dem mære was und ez reht’ in sîn herze las, dem súozté diu rede den muot, reht' alse des meien tou die bluot: si hæten alle muot dâ van. 8310 8305 (210) Der wol gemuote Tristán der greif dô wider an sîn leben. im was ein ander leben gegeben. er was ein niubórner man. ez huop sich êrste umbe in an, er was dô géil unde frô. künec unde hof die wâren dô ze sînem willén gereit, biz sich diu veige unmüezekeit, dér verwâzéne nît, der selten iemér gelit, under in begunde üeben, 8315 8320 8325 8299 fg. erleschen swv., auslöschen, vertilgen (vgl. 16399), zu nichte machen. Durch Isoldens hohe Vorzüge werden die andern Frauen keineswegs ganz in den Schatten gestellt, wie mancher mare machet, sagen, glauben wird (wegen meines begeisterungsvollen Lobes), sondern sie ziert und erhebt vielmehr ihr ganzes Geschlecht. 8311 süezen swv. hier mit acc. (vgl. zu 11889), (versüßen), erquicken. 8317 niuborn (nach den drei ältesten Hss.) adj.= niuwe geborn = unserm : neugeboren. — 8318 sich an heben = sich heben =nhd. anheben. ez steht wohl nicht unpersönlich in Vertretung des Subjects, sondern ist auf leben in V. 8316 zu beziehen. — êrste adv. = alrêrste, jetzt erst. — umbe in = mit ihm, bei ihm. — 8319 geil adj., heiter [geil, lascivus, libidinosus, jünger]. — 8321 gereit adj. = bereit. — 8323 verwâzen part. adj., verwünscht, ver- flucht. — 8324 geligen, verst. ligen, daniederliegen, ruhen. — 8325 üeben swv. refl., etwa: sein Wesen treiben. —
278 XII. DIE BRAUTFAHRT. erleschet noch geswachet, als maneger mære machet : ir schéné diu schoenet, sie zieret unde kroenet wip unde wîplîchen namen. des ensól sich ir deheiniu schamen." 8300 Nu Tristan hâté gesaget von sîner fróuwén der maget, der wunneclîchen von Irlant, dar nâch als ez im was erkant, swer dô dâ bî dem mære was und ez reht’ in sîn herze las, dem súozté diu rede den muot, reht' alse des meien tou die bluot: si hæten alle muot dâ van. 8310 8305 (210) Der wol gemuote Tristán der greif dô wider an sîn leben. im was ein ander leben gegeben. er was ein niubórner man. ez huop sich êrste umbe in an, er was dô géil unde frô. künec unde hof die wâren dô ze sînem willén gereit, biz sich diu veige unmüezekeit, dér verwâzéne nît, der selten iemér gelit, under in begunde üeben, 8315 8320 8325 8299 fg. erleschen swv., auslöschen, vertilgen (vgl. 16399), zu nichte machen. Durch Isoldens hohe Vorzüge werden die andern Frauen keineswegs ganz in den Schatten gestellt, wie mancher mare machet, sagen, glauben wird (wegen meines begeisterungsvollen Lobes), sondern sie ziert und erhebt vielmehr ihr ganzes Geschlecht. 8311 süezen swv. hier mit acc. (vgl. zu 11889), (versüßen), erquicken. 8317 niuborn (nach den drei ältesten Hss.) adj.= niuwe geborn = unserm : neugeboren. — 8318 sich an heben = sich heben =nhd. anheben. ez steht wohl nicht unpersönlich in Vertretung des Subjects, sondern ist auf leben in V. 8316 zu beziehen. — êrste adv. = alrêrste, jetzt erst. — umbe in = mit ihm, bei ihm. — 8319 geil adj., heiter [geil, lascivus, libidinosus, jünger]. — 8321 gereit adj. = bereit. — 8323 verwâzen part. adj., verwünscht, ver- flucht. — 8324 geligen, verst. ligen, daniederliegen, ruhen. — 8325 üeben swv. refl., etwa: sein Wesen treiben. —
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XII. DIE BRAUTFAHRT. 279 der hêrren vil betrüeben an ir muote und an ir siten, daz si in der êrén beniten unde der werdekeite, die der hof an in leite und al daz lantgesinde. si begundén vil swinde reden ze sînen dingen und in ze mære bringen, er wære ein zouberære. diu vórdéren mære, wie er ir vînt Môrolden sluoc, wie sich sîn dinc ze Irlanden truoc, des begúnden s' under in dô jehen, ez wæere uz zóubér geschehen. «seht», sprâchen s' alle «merket hie und sprechet, wie genas er ie vor dem stárken Môrólde? wie betroug er Isólde, die wîsen küniginne, sîne tôtvîndinne, daz si sîn als flîzec was, biz daz er von ir hant genas? merket wunder, hoeret her: der partierære, wie kan er gesehendiu ougen blenden und allez daz verenden, daz er ze éndénne hât.» 8330 8335 8340 8345 8350 (211) Hie mite gevielen s' an den rât, die Markes râtes pflâgen, dáz si Marke an lâgen beidiu fruo und spâte mit flizeclchem râte, daz er ein wip næme, von der er z'erben kæme einer tóhter oder eines suns. 8355 8360 8332 swinde adv., (geschwind), stark, hart, feindselig. — 8334 ze mre bringen, auch ze mœren br. wird wie unser: ins Gerede bringen meist in übelm Sinne gebraucht; vgl. 14777. 15388. Sommer zu Flore 1553. — 8350 par- tierœre (Lesart parâtiere) stm., Betrüger; vgl. zu 874.
XII. DIE BRAUTFAHRT. 279 der hêrren vil betrüeben an ir muote und an ir siten, daz si in der êrén beniten unde der werdekeite, die der hof an in leite und al daz lantgesinde. si begundén vil swinde reden ze sînen dingen und in ze mære bringen, er wære ein zouberære. diu vórdéren mære, wie er ir vînt Môrolden sluoc, wie sich sîn dinc ze Irlanden truoc, des begúnden s' under in dô jehen, ez wæere uz zóubér geschehen. «seht», sprâchen s' alle «merket hie und sprechet, wie genas er ie vor dem stárken Môrólde? wie betroug er Isólde, die wîsen küniginne, sîne tôtvîndinne, daz si sîn als flîzec was, biz daz er von ir hant genas? merket wunder, hoeret her: der partierære, wie kan er gesehendiu ougen blenden und allez daz verenden, daz er ze éndénne hât.» 8330 8335 8340 8345 8350 (211) Hie mite gevielen s' an den rât, die Markes râtes pflâgen, dáz si Marke an lâgen beidiu fruo und spâte mit flizeclchem râte, daz er ein wip næme, von der er z'erben kæme einer tóhter oder eines suns. 8355 8360 8332 swinde adv., (geschwind), stark, hart, feindselig. — 8334 ze mre bringen, auch ze mœren br. wird wie unser: ins Gerede bringen meist in übelm Sinne gebraucht; vgl. 14777. 15388. Sommer zu Flore 1553. — 8350 par- tierœre (Lesart parâtiere) stm., Betrüger; vgl. zu 874.
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280 XII. DIE BRAUTFAHRT. Marke sprach : «got der hât uns einen gúoten érbén gegeben; got helfe uns, daz er müeze leben! Tristan, die wîle er leben sol, sô wizzet endelîche wol, sóne sol niemer künigîn noch frouwe hie ze hove gesîn.» hie mite wart des hazzes mê, des nîdes aber dô mê dan ê, den sî Tristande truogen, und begúnde ouch an genuogen ûz brechen alse sêre, daz si'z in dô niht mêre vor verhelen kunden und ime ze manegen stunden die gebarde buten und diu wort, daz er ervórhté den mort und was in den sorgen ie, daz si éteswenne und eteswie den rât enein getrüegen, daz si'n mortliche slüegen. sînen éeheim Marke den bat er, daz er der lanthêrren ger ze einem ende bræhte und durch got bedæhte sîn angest unde sîne nôt. erne wéste, wenne ez sîn tôt und sîn ende wære. 8365 8370 8375 8380 8385 8390 Sîn oeheim der gewære der sprach: «neve Tristán, swîc, ich enkume hie niemer an: i'ne gér niht erben niuwan dîn ; ouch soltu gar ân' angest sîn umbe dînen lîp und umbe dîn leben: ich wil dir guoten fride geben. ir aller nîden unde ir haz 8395 8375 vor verheln mit dat. = vor einem verhehlen. — 8378 erfürhten swv., befürchten. — 8380 eteswenne adv., irgendwenn, einmal. — eteswie adv., irgendwie. — 8382 mortlîche adv., mörderisch. — 8388 wenne (= wanne) adv. conj., wann. 8397 nîden (stv., nhd. beneiden swv.) subst. inf. stn., Beneiden, Neid; hier und im Folgenden (vgl. auch V. 8328) stimmen nît und nîden mit dem modernen Begriffe zusammen [Haß und Neid noch heute formelhaft]. —
280 XII. DIE BRAUTFAHRT. Marke sprach : «got der hât uns einen gúoten érbén gegeben; got helfe uns, daz er müeze leben! Tristan, die wîle er leben sol, sô wizzet endelîche wol, sóne sol niemer künigîn noch frouwe hie ze hove gesîn.» hie mite wart des hazzes mê, des nîdes aber dô mê dan ê, den sî Tristande truogen, und begúnde ouch an genuogen ûz brechen alse sêre, daz si'z in dô niht mêre vor verhelen kunden und ime ze manegen stunden die gebarde buten und diu wort, daz er ervórhté den mort und was in den sorgen ie, daz si éteswenne und eteswie den rât enein getrüegen, daz si'n mortliche slüegen. sînen éeheim Marke den bat er, daz er der lanthêrren ger ze einem ende bræhte und durch got bedæhte sîn angest unde sîne nôt. erne wéste, wenne ez sîn tôt und sîn ende wære. 8365 8370 8375 8380 8385 8390 Sîn oeheim der gewære der sprach: «neve Tristán, swîc, ich enkume hie niemer an: i'ne gér niht erben niuwan dîn ; ouch soltu gar ân' angest sîn umbe dînen lîp und umbe dîn leben: ich wil dir guoten fride geben. ir aller nîden unde ir haz 8395 8375 vor verheln mit dat. = vor einem verhehlen. — 8378 erfürhten swv., befürchten. — 8380 eteswenne adv., irgendwenn, einmal. — eteswie adv., irgendwie. — 8382 mortlîche adv., mörderisch. — 8388 wenne (= wanne) adv. conj., wann. 8397 nîden (stv., nhd. beneiden swv.) subst. inf. stn., Beneiden, Neid; hier und im Folgenden (vgl. auch V. 8328) stimmen nît und nîden mit dem modernen Begriffe zusammen [Haß und Neid noch heute formelhaft]. —
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XII. DIE BRAUTFAHRT. 281 nu, sô dir got, waz wirret dir daz? (212) hazzen unde nîden daz muoz der bíderbe lîden: der man der wirdet al die frist, die wile und er geniten ist. wird’ unde nît diu zwei diu sint reht' alse ein muoter unde ir kint. diu wirde diu birt alle zît und füeret ház únde nît. wen gevället ouch mê hazzes an dan einen sâligen man? diu sælde ist árm únde swach, diu nie deheinen haz gesach. lebe iemer und wirp iemer daz, daz du éinen tac sîst âne haz: dû enwirbest niemer daz, daz du iemer werdest âne haz. wellest aber von boeser diet ungeházzet sîn, sô sing ir liet und wis mit in ein boese wiht, sône hazzent si dich niht. Tristan, swaz ieman getuo, sô rihte dû dich ie dar zuo, daz du hôhes muotes sîs: wis vor bedenkende alle wîs dînen frúmen und dîn êre und enrât mir daz niht mêre, daz dir ze schaden müge ergân. swaz rede hier umbe wirt getân, des envólge ich weder in noch dir.» «hêrre, sô gebietet mir, sô wil ich von dem hove varn: i’ne mác mich vor in niht bewarn. sol ich bî disem hazze wesen, sone kán ich niemér genesen. ê ich sus angeslîche elliu künicrîche 8405 8410 8415 8420 8425 8430 8400 8399 und die folgenden Zeilen bis 8418 haben einen sprichwörtlichen Charak- ter, namentlich 8411—14 wegen der Wiederholung der Reime. — 8401 wir- den swv. hier intrans., würdig sein. — 8407 an gerallen mit acc., einem anfallen, einem zufallen, beschieden sein. — 8416 ungehazzet adj. part. = niht gehazzet.
XII. DIE BRAUTFAHRT. 281 nu, sô dir got, waz wirret dir daz? (212) hazzen unde nîden daz muoz der bíderbe lîden: der man der wirdet al die frist, die wile und er geniten ist. wird’ unde nît diu zwei diu sint reht' alse ein muoter unde ir kint. diu wirde diu birt alle zît und füeret ház únde nît. wen gevället ouch mê hazzes an dan einen sâligen man? diu sælde ist árm únde swach, diu nie deheinen haz gesach. lebe iemer und wirp iemer daz, daz du éinen tac sîst âne haz: dû enwirbest niemer daz, daz du iemer werdest âne haz. wellest aber von boeser diet ungeházzet sîn, sô sing ir liet und wis mit in ein boese wiht, sône hazzent si dich niht. Tristan, swaz ieman getuo, sô rihte dû dich ie dar zuo, daz du hôhes muotes sîs: wis vor bedenkende alle wîs dînen frúmen und dîn êre und enrât mir daz niht mêre, daz dir ze schaden müge ergân. swaz rede hier umbe wirt getân, des envólge ich weder in noch dir.» «hêrre, sô gebietet mir, sô wil ich von dem hove varn: i’ne mác mich vor in niht bewarn. sol ich bî disem hazze wesen, sone kán ich niemér genesen. ê ich sus angeslîche elliu künicrîche 8405 8410 8415 8420 8425 8430 8400 8399 und die folgenden Zeilen bis 8418 haben einen sprichwörtlichen Charak- ter, namentlich 8411—14 wegen der Wiederholung der Reime. — 8401 wir- den swv. hier intrans., würdig sein. — 8407 an gerallen mit acc., einem anfallen, einem zufallen, beschieden sein. — 8416 ungehazzet adj. part. = niht gehazzet.
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282 XII. DIE BRAUTFAHRT. wolte haben ze mîner hant, ich wære ê iemer âne lant.» 8435 Dô Marke sînen ernest sach, er bat in swîgen unde sprach: (213) «néve, swie gerne ich stæte und triuwe zuo dir hæte, sóne gestatest dû mir's niht. swaz sô nû hier ûz geschiht, dâ bin ich gar unschuldic an. swie ich dir nû gevolgen kan, dâ bin ich aber bereite zuo sage án, wie wildu daz ich tuo?" «da beséndet iuwern hoverât, der iuch hier ûf geleitet hât, und erváret iegelîches muot: frâget, wie si dunke guot, daz ir hie mite gebâret; ir willen sô gevâret, daz ez mit êren müge gestân.» 8440 8445 8450 Nu diz wart schieré getân, daz si álle wârén besant. nu die gerieten ouch zehant und niuwan durch Tristandes nôt, möht' ez gesîn, diu schoene Isôt diu gezáme im wol ze wîbe an geburt, an tugent, an lîbe, und stâten ouch den rât alsô. vür Marken kômen s' alle dô; ir einer, der ez kunde, der sprach mit einem munde ir aller willen unde ir muot: «hêrrè", sprach er «uns dunket guot, diu schoene Isôt von Irlant, als al den landen ist bekant, 8455 8460 8465 8439 fg. stœte (Beständigkeit, Treue) und triuwe steht hier formelhaft für den Begriff: Treue und Liebe und hœte = bewährte. — 8449 ervaret der Hss. wohl nicht mit Maßmann ervâret (erlauert, erlistet), welches Wort bei Gottfried, der sonst varen und gevâren (s. zu 8452. 11800) ge- braucht, nicht vorkommt, sondern ervaret = erforschet (vgl. zu 12762. 13673. 13745). — 8452 gevâren swv., verst. varen, belauern, beobachten. 8461 stâten = stœteten præt. von stœten swv., hier: feststellen. —
282 XII. DIE BRAUTFAHRT. wolte haben ze mîner hant, ich wære ê iemer âne lant.» 8435 Dô Marke sînen ernest sach, er bat in swîgen unde sprach: (213) «néve, swie gerne ich stæte und triuwe zuo dir hæte, sóne gestatest dû mir's niht. swaz sô nû hier ûz geschiht, dâ bin ich gar unschuldic an. swie ich dir nû gevolgen kan, dâ bin ich aber bereite zuo sage án, wie wildu daz ich tuo?" «da beséndet iuwern hoverât, der iuch hier ûf geleitet hât, und erváret iegelîches muot: frâget, wie si dunke guot, daz ir hie mite gebâret; ir willen sô gevâret, daz ez mit êren müge gestân.» 8440 8445 8450 Nu diz wart schieré getân, daz si álle wârén besant. nu die gerieten ouch zehant und niuwan durch Tristandes nôt, möht' ez gesîn, diu schoene Isôt diu gezáme im wol ze wîbe an geburt, an tugent, an lîbe, und stâten ouch den rât alsô. vür Marken kômen s' alle dô; ir einer, der ez kunde, der sprach mit einem munde ir aller willen unde ir muot: «hêrrè", sprach er «uns dunket guot, diu schoene Isôt von Irlant, als al den landen ist bekant, 8455 8460 8465 8439 fg. stœte (Beständigkeit, Treue) und triuwe steht hier formelhaft für den Begriff: Treue und Liebe und hœte = bewährte. — 8449 ervaret der Hss. wohl nicht mit Maßmann ervâret (erlauert, erlistet), welches Wort bei Gottfried, der sonst varen und gevâren (s. zu 8452. 11800) ge- braucht, nicht vorkommt, sondern ervaret = erforschet (vgl. zu 12762. 13673. 13745). — 8452 gevâren swv., verst. varen, belauern, beobachten. 8461 stâten = stœteten præt. von stœten swv., hier: feststellen. —
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XII. DIE BRAUTFAHRT. 283 (214) diu uns und in gelegen sint, diu ist ein maget unde ein kint, an die wiplîchiu sælekeit al die sælde hât geleit, die si dár gelegen kunde, als ir ze maneger stunde von ir selbe habet vernomen, diu ist sâlic unde vollekomen an lebene unde an lîbe ; mag iu diu ze wîbe und uns ze frouwen werden, sone kán uns ûf der erden an wibe niemer baz geschehen.» der künic sprach: «lât, hêrre, sehen, ob ich die gerne wolte hân , wie solte ez iemér ergân? wan nemet ir doch in iuwern sin, wie’z únder uns und under in nu guote wîle sî gewant: uns hazzet liute unde lant. Gurmûn ist mir von herzen gram und hât ouch reht, ich bin im sam. wer getrüege iemer under uns zwein sô grôze friuntscháft enein?» «hêrre», sprâchen s' aber dô «ez füeget sich vil dicke alsô, daz under landen schade ergât; sô suln si beidenthalben rât beidiu súochen unde vinden und suln ez mit ir kinden wider ze suone bringen. ůz häzlîchen dingen wirt dicke michel friuntscháft. sît ir hie zuo gedáncháft: ir muget noch wol geleben den tac, daz Irlant iuwer werden mac. Irlant stât niuwan an in drîn: künic unde künigîn 8475 8480 8485 8490 8495 8500 8470 8505 8469 gelegen part. adj., (nahe gelegen), benachbart. — 8473 gelegen, verst. legen. — 8488 hazzet sing. statt pl. trotz des Plurals liute; diese Freiheit gestattet sich die ältere Sprache; vgl. Gr. 4, 199. — 8490 sam adv., so, ebenso; bei Gottfried sonst häufiger alsam. — 8496 beidenthalben adv. — (dat. pl.), auf beiden Seiten.
XII. DIE BRAUTFAHRT. 283 (214) diu uns und in gelegen sint, diu ist ein maget unde ein kint, an die wiplîchiu sælekeit al die sælde hât geleit, die si dár gelegen kunde, als ir ze maneger stunde von ir selbe habet vernomen, diu ist sâlic unde vollekomen an lebene unde an lîbe ; mag iu diu ze wîbe und uns ze frouwen werden, sone kán uns ûf der erden an wibe niemer baz geschehen.» der künic sprach: «lât, hêrre, sehen, ob ich die gerne wolte hân , wie solte ez iemér ergân? wan nemet ir doch in iuwern sin, wie’z únder uns und under in nu guote wîle sî gewant: uns hazzet liute unde lant. Gurmûn ist mir von herzen gram und hât ouch reht, ich bin im sam. wer getrüege iemer under uns zwein sô grôze friuntscháft enein?» «hêrre», sprâchen s' aber dô «ez füeget sich vil dicke alsô, daz under landen schade ergât; sô suln si beidenthalben rât beidiu súochen unde vinden und suln ez mit ir kinden wider ze suone bringen. ůz häzlîchen dingen wirt dicke michel friuntscháft. sît ir hie zuo gedáncháft: ir muget noch wol geleben den tac, daz Irlant iuwer werden mac. Irlant stât niuwan an in drîn: künic unde künigîn 8475 8480 8485 8490 8495 8500 8470 8505 8469 gelegen part. adj., (nahe gelegen), benachbart. — 8473 gelegen, verst. legen. — 8488 hazzet sing. statt pl. trotz des Plurals liute; diese Freiheit gestattet sich die ältere Sprache; vgl. Gr. 4, 199. — 8490 sam adv., so, ebenso; bei Gottfried sonst häufiger alsam. — 8496 beidenthalben adv. — (dat. pl.), auf beiden Seiten.
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284 XII. DIE BRAUTFAHRT. an Isôt' eine geerbet sint. si íst ir éinigez kint.» (215) Des antwurt’ in dô Marke : «Tristan der hât mich starke in gedanke durch si brâht: ich hân vil durch sî gedâht, als er si lobete wider mich. von den gedanken bin ouch ich von den andern allen sô sêre an sî gevallen, sine müge mir danne werden, sone wirt ûf dirre erden niemèr dehéiniu mîn wîp, sem mir got und mîn selbes lip.» den eit tet er niht umbe daz, daz ime sîn gemüete iht baz sô hin stüende danne her: durch die kündekeit swuor er, daz es im gar was ungedâht, daz ez iemer würde z'ende brâht. Des küneges rât sprach aber dô: «hêrre, gefüeget ir'z alsô, daz mîn hêr Tristan, der hie stât, der dâ ze hove künde hât, iuwer bóteschaft dâ werben wil, sô ist ez allez an ein zil und an ein stætez ende brâht. der ist wîs’ unde wol bedâht und sælic z'allen dingen; der mag ez z'ende bringen: er kan ir aller sprâche wol, er endet, swaz er enden sol.» «ir râtet übel», sprach Marke «ir flîzet iuch ze starke 8515 8520 8525 8530 8535 8510 8540 8507 erben swv., hier: vererben, als Erbe bestimmen. 8511 in gedanke bringen, auf Gedanken bringen, nachdenklich machen. — 8512 entsprechend unserm: sie hat mir viel im Sinne gelegen. — 8525 ungedâht adj. part., hier nicht: unbewusst (vgl. 916), sondern etwa: undenkbar; indem es ihm nicht einfiel, daran zu denken; zu beachten ist es (nicht e2 wie das mhd. Wb. citiert) = sîn (wie auch Hs. W hat), wegen des Genetivs bei denken und gedenken; ebenso es in V. 6328. 8530 künde stf., hier: Bekanntschaft: der am Hofe sich auskennt. — 8531 boteschaft werben, Botschaft ausrichten, als Gesandter dienen. —
284 XII. DIE BRAUTFAHRT. an Isôt' eine geerbet sint. si íst ir éinigez kint.» (215) Des antwurt’ in dô Marke : «Tristan der hât mich starke in gedanke durch si brâht: ich hân vil durch sî gedâht, als er si lobete wider mich. von den gedanken bin ouch ich von den andern allen sô sêre an sî gevallen, sine müge mir danne werden, sone wirt ûf dirre erden niemèr dehéiniu mîn wîp, sem mir got und mîn selbes lip.» den eit tet er niht umbe daz, daz ime sîn gemüete iht baz sô hin stüende danne her: durch die kündekeit swuor er, daz es im gar was ungedâht, daz ez iemer würde z'ende brâht. Des küneges rât sprach aber dô: «hêrre, gefüeget ir'z alsô, daz mîn hêr Tristan, der hie stât, der dâ ze hove künde hât, iuwer bóteschaft dâ werben wil, sô ist ez allez an ein zil und an ein stætez ende brâht. der ist wîs’ unde wol bedâht und sælic z'allen dingen; der mag ez z'ende bringen: er kan ir aller sprâche wol, er endet, swaz er enden sol.» «ir râtet übel», sprach Marke «ir flîzet iuch ze starke 8515 8520 8525 8530 8535 8510 8540 8507 erben swv., hier: vererben, als Erbe bestimmen. 8511 in gedanke bringen, auf Gedanken bringen, nachdenklich machen. — 8512 entsprechend unserm: sie hat mir viel im Sinne gelegen. — 8525 ungedâht adj. part., hier nicht: unbewusst (vgl. 916), sondern etwa: undenkbar; indem es ihm nicht einfiel, daran zu denken; zu beachten ist es (nicht e2 wie das mhd. Wb. citiert) = sîn (wie auch Hs. W hat), wegen des Genetivs bei denken und gedenken; ebenso es in V. 6328. 8530 künde stf., hier: Bekanntschaft: der am Hofe sich auskennt. — 8531 boteschaft werben, Botschaft ausrichten, als Gesandter dienen. —
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XII. DIE BRAUTFAHRT. 285 Tristandes schaden und sîner nôt. er ist doch z'einem mâle tôt vür iuch und iuwer erben. ir sult in aber sterben ze dem ándéren mâle. nein ir von Kurnewâle, ir müezet sélbé dâ hin: nimêre enrâtet mir ûf in!» 8545 (216) «Hêrrè», sprach aber Trístán «sine mísseredent niht hier an. ez ware wol gefüege, swâ iuch der muot zuo trüege, griff' ich ez bältlîcher an und beréiter danne ein ander man; und ist ouch reht, daz ich ez tuo. hêrr', ich bin harte guot derzuo: ez enwirbet zwâre niemen baz. gebietet êt in allen daz, daz si selbe mit mir varn, hin unde her mit mir bewarn iuwer dinc und iuwer êre.» «nein, dû enkumest niht mêre in ir gewalt und in ir hant, sît dich got wider hât gesant.» «hêrre, zwâre diz muoz wesen: suln sî dâ sterben oder genesen, daz muoz ouch mir mit in geschehen. ich wil si selbe lâzen sehen, belibet diz lant erben fri, op daz von mînen schulden si. heizèt si sich bereiten; ich wil den kiel leiten und füeren mit mîn selbes hant in daz sælege Irlánt hin wider ze Develîne gein der sunnen schîne, der manegem herzen fröude birt. wer weiz, ob uns diu schoene wirt. hêrrè, würd' iu diu schoene Isôt, lægen wir dan alle tôt, 8555 8560 8565 8570 8575 8550 8580 8544 sult, hier wieder = wollt. — sterben swv. mit acc., verderben.
XII. DIE BRAUTFAHRT. 285 Tristandes schaden und sîner nôt. er ist doch z'einem mâle tôt vür iuch und iuwer erben. ir sult in aber sterben ze dem ándéren mâle. nein ir von Kurnewâle, ir müezet sélbé dâ hin: nimêre enrâtet mir ûf in!» 8545 (216) «Hêrrè», sprach aber Trístán «sine mísseredent niht hier an. ez ware wol gefüege, swâ iuch der muot zuo trüege, griff' ich ez bältlîcher an und beréiter danne ein ander man; und ist ouch reht, daz ich ez tuo. hêrr', ich bin harte guot derzuo: ez enwirbet zwâre niemen baz. gebietet êt in allen daz, daz si selbe mit mir varn, hin unde her mit mir bewarn iuwer dinc und iuwer êre.» «nein, dû enkumest niht mêre in ir gewalt und in ir hant, sît dich got wider hât gesant.» «hêrre, zwâre diz muoz wesen: suln sî dâ sterben oder genesen, daz muoz ouch mir mit in geschehen. ich wil si selbe lâzen sehen, belibet diz lant erben fri, op daz von mînen schulden si. heizèt si sich bereiten; ich wil den kiel leiten und füeren mit mîn selbes hant in daz sælege Irlánt hin wider ze Develîne gein der sunnen schîne, der manegem herzen fröude birt. wer weiz, ob uns diu schoene wirt. hêrrè, würd' iu diu schoene Isôt, lægen wir dan alle tôt, 8555 8560 8565 8570 8575 8550 8580 8544 sult, hier wieder = wollt. — sterben swv. mit acc., verderben.
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286 XII. DIE BRAUTFAHRT. dâ ware lützel schaden an." und alse Markes râtmán gehôrten, war diu rede gie, sine wúrden alse riuwic nie in állén ir jâren, sô sî der rede wâren. nu muose ez unde solte wesen. 8585 (217) Tristan hiez úz dem hove lesen des küneges heinlîchære zweinzec rittér gewære und zuo der nôt die besten. von lande und von gesten gewan er sehzic umbe solt. des râtes hæte er âne golt zweinzec lantbarůne. sus was der cumpanjûne hundert unde deheiner mê. mit den fuor Tristan über sê, die wâren sîn geselleschaft, und fuorte ouch râtés die kraft an spîse unde an wæte, an anderm schifgeræte, daz sô vil liuten zuo ir vart nie kiel sô wol berâten wart. 8590 8595 8600 Si lesent an Tristande, daz ein swálwe ze Irlande von Kurnewâle kæme, ein frouwen hâr dâ næme ze ir bûwe und z'ir geniste, (i'ne wéiz, wâ si'z dâ wiste) und fuorte daz wider über sê. geniste ie kein swalwe mê mit solhem ungemache, 8610 8605 8582 râtman pl., Rathleute, Rathgeber. — 8584 riuwic adj.: hier: betrübt. 8589 heinlîchœre stm., Vertrauter (vgl. zu 15075), geheimer Rath (das Wort: Heimlicher hat sich in dieser Bedeutung lange erhalten). — 8595 lantbarûn stm. synonym mit lanthérre, lantfürste, der im Land ein- gesessene hohe Adeliche. 8605 an Tristande, ganz wie unser: im Tristan. — 8609 geniste stn., hier nicht collectiv = Nester, aber auch nicht = Nest, sondern würde dem Begriff: Nistung entsprechen. — 8612 geniste = genistete, hat genistet. — ie — mê, jemals — noch, schon. — 8613 ungemach stn. (18219), hier: Un- bequemlichkeit; vgl. 1274. —
286 XII. DIE BRAUTFAHRT. dâ ware lützel schaden an." und alse Markes râtmán gehôrten, war diu rede gie, sine wúrden alse riuwic nie in állén ir jâren, sô sî der rede wâren. nu muose ez unde solte wesen. 8585 (217) Tristan hiez úz dem hove lesen des küneges heinlîchære zweinzec rittér gewære und zuo der nôt die besten. von lande und von gesten gewan er sehzic umbe solt. des râtes hæte er âne golt zweinzec lantbarůne. sus was der cumpanjûne hundert unde deheiner mê. mit den fuor Tristan über sê, die wâren sîn geselleschaft, und fuorte ouch râtés die kraft an spîse unde an wæte, an anderm schifgeræte, daz sô vil liuten zuo ir vart nie kiel sô wol berâten wart. 8590 8595 8600 Si lesent an Tristande, daz ein swálwe ze Irlande von Kurnewâle kæme, ein frouwen hâr dâ næme ze ir bûwe und z'ir geniste, (i'ne wéiz, wâ si'z dâ wiste) und fuorte daz wider über sê. geniste ie kein swalwe mê mit solhem ungemache, 8610 8605 8582 râtman pl., Rathleute, Rathgeber. — 8584 riuwic adj.: hier: betrübt. 8589 heinlîchœre stm., Vertrauter (vgl. zu 15075), geheimer Rath (das Wort: Heimlicher hat sich in dieser Bedeutung lange erhalten). — 8595 lantbarûn stm. synonym mit lanthérre, lantfürste, der im Land ein- gesessene hohe Adeliche. 8605 an Tristande, ganz wie unser: im Tristan. — 8609 geniste stn., hier nicht collectiv = Nester, aber auch nicht = Nest, sondern würde dem Begriff: Nistung entsprechen. — 8612 geniste = genistete, hat genistet. — ie — mê, jemals — noch, schon. — 8613 ungemach stn. (18219), hier: Un- bequemlichkeit; vgl. 1274. —
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XII. DIE BRAUTFAHRT. 287 sô vil sô si bûsache bi ir in dem lande vant, daz si über mer in fremediu lant nâch ir bûgeræte streich? weiz got, hie spellet sich der leich, hie líspét daz mære. ouch ist ez alwære, swer saget, daz Tristan uf daz mer nâch wâne schiffete mit her und solte des niht nemen war, wie lange er füere oder war, und wiste ouch niht, wen suochen. waz rach er an den buochen, der diz hiez schriben unde lesen? jâ, waeren s' alle samet gewesen, der künic, der ûz sande sînen rât vón dem lande, die boten gouche unde soten, waerèn si alsô gewesen boten. 8620 8625 8630 8615 (218) Nu Tristan was ûf sîne vart und schiffete allez hinewart er unde sîn geselleschaft; der was ein teil vil sórcháft: ich meine die barûne, die zweinzic cumpanjûne, den rât von Kurnewâle: die hæten ze dem mâle vil michel angest unde nôt; si wânden alle wesen tôt. 8635 8640 8614 sô vil só si, wie viel sie auch, während sie doch so viel. — bûsache stf., Bauzeug. — 8618 spellen swv. refl., sich zum spel, zum Geschwätz machen, lügenhaft werden. — leich, hier in übertragener und allgemeiner Bedeutung : Gedicht, Erzählung? Bech fasst dagegen mit Hinweis auf Mar- tina 165, 15 fg. der leich spellet sich als sprichwörtlichen Ausdruck, alsdann leich in ursprünglicher Bedeutung. — 8619 lispen swv., lispeln (in welcher Bedeutung: schwatzen oder stammeln?) — 8622 nâch wâne, auf Gerathe- wohl. — 8626 rechen stv., hier im Sinne: was, welches Unrecht hat er an den Büchern zu rächen ? was ließ er die Bücher entgelten ? "was thaten die Bücher zu Leide dem. » Kurtz; ähnlich Simrock: «was that dem wohl das Buch zu Leid.» — 8628 fg. Die Construction der folgenden beiden Sätze von den Ubersetzern missverstanden oder nicht scharf genug gefasst; die Schwierigkeit liegt in der Wortstellung von V. 8628, nhd. dafür: ja, es wären u. s. w. oder: ja, sie allesammt (der König [und] die Boten) wären Narren gewesen, wären sie gewesen d. h. wenn sie gewesen wären alsô (darauf liegt der Nachdruck), auf solche Weise Boten. — 8631 gouch stm., (Kukuk), Narr; vgl. zu 1035. — sote swm. Fremdwort, franz. sot, Thor. 8636 sorchaft adj., s. zu 79. —
XII. DIE BRAUTFAHRT. 287 sô vil sô si bûsache bi ir in dem lande vant, daz si über mer in fremediu lant nâch ir bûgeræte streich? weiz got, hie spellet sich der leich, hie líspét daz mære. ouch ist ez alwære, swer saget, daz Tristan uf daz mer nâch wâne schiffete mit her und solte des niht nemen war, wie lange er füere oder war, und wiste ouch niht, wen suochen. waz rach er an den buochen, der diz hiez schriben unde lesen? jâ, waeren s' alle samet gewesen, der künic, der ûz sande sînen rât vón dem lande, die boten gouche unde soten, waerèn si alsô gewesen boten. 8620 8625 8630 8615 (218) Nu Tristan was ûf sîne vart und schiffete allez hinewart er unde sîn geselleschaft; der was ein teil vil sórcháft: ich meine die barûne, die zweinzic cumpanjûne, den rât von Kurnewâle: die hæten ze dem mâle vil michel angest unde nôt; si wânden alle wesen tôt. 8635 8640 8614 sô vil só si, wie viel sie auch, während sie doch so viel. — bûsache stf., Bauzeug. — 8618 spellen swv. refl., sich zum spel, zum Geschwätz machen, lügenhaft werden. — leich, hier in übertragener und allgemeiner Bedeutung : Gedicht, Erzählung? Bech fasst dagegen mit Hinweis auf Mar- tina 165, 15 fg. der leich spellet sich als sprichwörtlichen Ausdruck, alsdann leich in ursprünglicher Bedeutung. — 8619 lispen swv., lispeln (in welcher Bedeutung: schwatzen oder stammeln?) — 8622 nâch wâne, auf Gerathe- wohl. — 8626 rechen stv., hier im Sinne: was, welches Unrecht hat er an den Büchern zu rächen ? was ließ er die Bücher entgelten ? "was thaten die Bücher zu Leide dem. » Kurtz; ähnlich Simrock: «was that dem wohl das Buch zu Leid.» — 8628 fg. Die Construction der folgenden beiden Sätze von den Ubersetzern missverstanden oder nicht scharf genug gefasst; die Schwierigkeit liegt in der Wortstellung von V. 8628, nhd. dafür: ja, es wären u. s. w. oder: ja, sie allesammt (der König [und] die Boten) wären Narren gewesen, wären sie gewesen d. h. wenn sie gewesen wären alsô (darauf liegt der Nachdruck), auf solche Weise Boten. — 8631 gouch stm., (Kukuk), Narr; vgl. zu 1035. — sote swm. Fremdwort, franz. sot, Thor. 8636 sorchaft adj., s. zu 79. —
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288 XII. DIE BRAUTFAHRT. si fluocheten der stunde mit herzen und mit munde, daz der reise unde der vart ze Irland' ie gedâht wárt. sine kunden umbe ir eigen leben in selben keinen rât gegeben: si rieten her, si rieten hin und enkúnden nie niht under in gerâten, daz in tohte und daz rât geheizen mohte. und was ouch daz kein wunder: hier umbe noch hier under was râtes niht wan zweier ein, in müeze einez under zwein bringen umbe ir leben frist, âventiure oder list: der list was aber dâ tiure; sô was ouch âventiure ir deheime in wâne: si wâren beider âne. doch sprâchen ir genuoge: «wisheit unde fuoge der ist hárte vil an disem man. ist, daz uns got gelückes gan, wir mugen vil wol mit ime genesen, wolt’ er deheiner mâze wesen an sîner blinden fréchéit; der ist ze vil an in geleit, er ist ze frech und ze gemuot, ern ruochet hiute, waz er tuot ; ern gæbe niht ein halbez brôt umb' uns noch umbe sîn selbes tôt. und iedoch unser bester wân der muoz an sînen salden stân: sîn witze muoz uns lêre geben, wir wir gefristén daz leben. 8650 8655 8660 8665 8670 8675 8645 8657 frist kann hier unmöglich in unserm Sinne: Frist, Aufschub sein, sondern entsprechend fristen in V. 6916: Erhaltung, Rettung. — 8659 tiure adj., in solchen Wendungen = selten, dann : in geringem Maße vorhanden oder auch: ganz abhanden; hier scheint wirklich eine Ironie zu Grunde zu liegen (vgl. zu 269); [vgl. die noch erhaltene Redensart: da ist guter Rath theuer]. — 8669 frecheit stf., Dreistigkeit, Tollkühnheit; vgl. zu 641. — 8673 niht ein halbez brôt, nicht das Geringste ; ahnliche Wendung : niht eine halbe bóne 15995; vgl. 1682 und zu 3641. 8873.
288 XII. DIE BRAUTFAHRT. si fluocheten der stunde mit herzen und mit munde, daz der reise unde der vart ze Irland' ie gedâht wárt. sine kunden umbe ir eigen leben in selben keinen rât gegeben: si rieten her, si rieten hin und enkúnden nie niht under in gerâten, daz in tohte und daz rât geheizen mohte. und was ouch daz kein wunder: hier umbe noch hier under was râtes niht wan zweier ein, in müeze einez under zwein bringen umbe ir leben frist, âventiure oder list: der list was aber dâ tiure; sô was ouch âventiure ir deheime in wâne: si wâren beider âne. doch sprâchen ir genuoge: «wisheit unde fuoge der ist hárte vil an disem man. ist, daz uns got gelückes gan, wir mugen vil wol mit ime genesen, wolt’ er deheiner mâze wesen an sîner blinden fréchéit; der ist ze vil an in geleit, er ist ze frech und ze gemuot, ern ruochet hiute, waz er tuot ; ern gæbe niht ein halbez brôt umb' uns noch umbe sîn selbes tôt. und iedoch unser bester wân der muoz an sînen salden stân: sîn witze muoz uns lêre geben, wir wir gefristén daz leben. 8650 8655 8660 8665 8670 8675 8645 8657 frist kann hier unmöglich in unserm Sinne: Frist, Aufschub sein, sondern entsprechend fristen in V. 6916: Erhaltung, Rettung. — 8659 tiure adj., in solchen Wendungen = selten, dann : in geringem Maße vorhanden oder auch: ganz abhanden; hier scheint wirklich eine Ironie zu Grunde zu liegen (vgl. zu 269); [vgl. die noch erhaltene Redensart: da ist guter Rath theuer]. — 8669 frecheit stf., Dreistigkeit, Tollkühnheit; vgl. zu 641. — 8673 niht ein halbez brôt, nicht das Geringste ; ahnliche Wendung : niht eine halbe bóne 15995; vgl. 1682 und zu 3641. 8873.
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XII. DIE BRAUTFAHRT. 289 (219) Nu si ze Irlande kâmen, ir gelénde dâ genâmen, dâ man in seite mære, daz der künic ware ze Weiseforte vür die stat, Tristan den anker werfen bat wol alse verre von der habe, daz man mit einem bogen dar abe niht mohte haben geslagen ze in. sîne lántbarůne bâten in, daz er durch got in seite, mit waz gelegenheite er wolte werben umbe daz wîp; ez gienge in sêre an den lip, ez diuhte sî und wære ouch guot, daz er in seite sînen muot. Tristan sprach: «dâ entuot niht mê, bewart daz iuwer keiner gê hin vür den liuten z' ougen; weset alle hinne tougen wan knehte und marnære, die vórschén der maere f der brúcke vor der schiftür, und iuwer keiner kome dervür. swiget unde tuot iuch în; ich wil selbe dâ vor sîn, wan ich die lántsprâche kan. man wirt uns schiere komende an vón den búrgâren mit übelîchen maeren; den muoz ich liegen disen tac, swaz ich in geliegen mac. helet ir iuch hier inne; wan wirt man iuwer inne, sô haben wir strît an der hant, 8685 8690 8695 8700 8705 8710 8680 8687 slahen stv. (mit einem bogen) steht hier ungewöhnlich in der Be- deutung : treffen, und insofern für: schießen. Vgl. zu dieser Stelle Grimm’s Rechtsalterthümer, S. 60. — 8698 hinne (= hie inne) adv.; noch einmal im Reime 10645. — 8701 brucke = schifbrucke, s. zu 13372. — schiftür stf. = schiftor, Schiffseingang; vgl. 8720. — 8708 übelîch (= übellîch) adj., übel beschaffen, bösartig. — 8709 liegen stv. hier mit dat., einem Unwahrheiten sagen, etwa unser: vorlügen; bei Gottfried in dieser Weise einigemal. — 8710 geliegen stv. mit acc. und dat., verst. liegen. — 8711 helen stv. refl., sich verbergen, sich verborgen halten. — 8713 an der hant, wohl nicht = zehant, sofort, sondern: in Handen, wie unser: auf dem oder am Halse haben. — GOTTFRIED VON STRASSBURG. 1. 2. Aufl. 19
XII. DIE BRAUTFAHRT. 289 (219) Nu si ze Irlande kâmen, ir gelénde dâ genâmen, dâ man in seite mære, daz der künic ware ze Weiseforte vür die stat, Tristan den anker werfen bat wol alse verre von der habe, daz man mit einem bogen dar abe niht mohte haben geslagen ze in. sîne lántbarůne bâten in, daz er durch got in seite, mit waz gelegenheite er wolte werben umbe daz wîp; ez gienge in sêre an den lip, ez diuhte sî und wære ouch guot, daz er in seite sînen muot. Tristan sprach: «dâ entuot niht mê, bewart daz iuwer keiner gê hin vür den liuten z' ougen; weset alle hinne tougen wan knehte und marnære, die vórschén der maere f der brúcke vor der schiftür, und iuwer keiner kome dervür. swiget unde tuot iuch în; ich wil selbe dâ vor sîn, wan ich die lántsprâche kan. man wirt uns schiere komende an vón den búrgâren mit übelîchen maeren; den muoz ich liegen disen tac, swaz ich in geliegen mac. helet ir iuch hier inne; wan wirt man iuwer inne, sô haben wir strît an der hant, 8685 8690 8695 8700 8705 8710 8680 8687 slahen stv. (mit einem bogen) steht hier ungewöhnlich in der Be- deutung : treffen, und insofern für: schießen. Vgl. zu dieser Stelle Grimm’s Rechtsalterthümer, S. 60. — 8698 hinne (= hie inne) adv.; noch einmal im Reime 10645. — 8701 brucke = schifbrucke, s. zu 13372. — schiftür stf. = schiftor, Schiffseingang; vgl. 8720. — 8708 übelîch (= übellîch) adj., übel beschaffen, bösartig. — 8709 liegen stv. hier mit dat., einem Unwahrheiten sagen, etwa unser: vorlügen; bei Gottfried in dieser Weise einigemal. — 8710 geliegen stv. mit acc. und dat., verst. liegen. — 8711 helen stv. refl., sich verbergen, sich verborgen halten. — 8713 an der hant, wohl nicht = zehant, sofort, sondern: in Handen, wie unser: auf dem oder am Halse haben. — GOTTFRIED VON STRASSBURG. 1. 2. Aufl. 19
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290 XII. DIE BRAUTFAHRT. (220) und bestât uns alléz daz lant. die wîle ich morgen ûze sî; wan ich wil rîtén hie bî úf âventiure víl frúo, mir gelinge oder entuo: sô si Kurvenal dâ vor und ander mit im an dem tor, den diu sprâche sî bekant. und eines dinges sît gemant: ist, daz ich under wegen sî zwêne tage oder drî, zehant enbîtet mîn niht mê, entrinnet wider über sê und ernéret leben unde lîp; sô hân ich éiné daz wîp verzinset mit dem libe, sô râtet ir ze wîbe iuwerm hêrren, swar iuch dunke guot: diz ist mîn rât und ouch mîn muot.» Des küneges marschalc von Irlant, in des gewalt und in des hant ez allez stuont, stat unde habe, der kom gerüeret dort her abe gewâfent unde wîcgár mit einer míchélen schar beidìu der burgar’ unde ir boten, als in von hove was geboten, und als daz mæere hie vor giht, der dâ vor an daz mæere siht: swer dar ze stade gestieze, daz man in vâhen hieze, biz man vil rehte erkande, ob er von Markes lande und des gesindes wære. die selben wîzenæere, 8720 8725 8730 8735 8740 8745 8715 8718 entuon (nicht thun) steht hier Verbum vertretend = niht gelinge ; die moderne Sprache setzt dafür die einfache Negation: nicht (oder je nach Umständen nicht thun mit dem Accusativ eines Pronomens : oder thue es nicht). — 8729 verzinsen swv., bezahlen: ich habe mein Leben für das Weib zum Opfer gebracht. 8737 wicgar adj. kampfgerüstet; vgl. zu 5956. — 8741 fg. Wortspiel mit vor: hie vor, vorher, dâ vor, vornehin. vor sehen, entsprechend unserm : nachsehen. — 8748 wîzenare (von wîzenen swv., strafen, bei Gottfried nicht vorkommend) stm., Peiniger. —
290 XII. DIE BRAUTFAHRT. (220) und bestât uns alléz daz lant. die wîle ich morgen ûze sî; wan ich wil rîtén hie bî úf âventiure víl frúo, mir gelinge oder entuo: sô si Kurvenal dâ vor und ander mit im an dem tor, den diu sprâche sî bekant. und eines dinges sît gemant: ist, daz ich under wegen sî zwêne tage oder drî, zehant enbîtet mîn niht mê, entrinnet wider über sê und ernéret leben unde lîp; sô hân ich éiné daz wîp verzinset mit dem libe, sô râtet ir ze wîbe iuwerm hêrren, swar iuch dunke guot: diz ist mîn rât und ouch mîn muot.» Des küneges marschalc von Irlant, in des gewalt und in des hant ez allez stuont, stat unde habe, der kom gerüeret dort her abe gewâfent unde wîcgár mit einer míchélen schar beidìu der burgar’ unde ir boten, als in von hove was geboten, und als daz mæere hie vor giht, der dâ vor an daz mæere siht: swer dar ze stade gestieze, daz man in vâhen hieze, biz man vil rehte erkande, ob er von Markes lande und des gesindes wære. die selben wîzenæere, 8720 8725 8730 8735 8740 8745 8715 8718 entuon (nicht thun) steht hier Verbum vertretend = niht gelinge ; die moderne Sprache setzt dafür die einfache Negation: nicht (oder je nach Umständen nicht thun mit dem Accusativ eines Pronomens : oder thue es nicht). — 8729 verzinsen swv., bezahlen: ich habe mein Leben für das Weib zum Opfer gebracht. 8737 wicgar adj. kampfgerüstet; vgl. zu 5956. — 8741 fg. Wortspiel mit vor: hie vor, vorher, dâ vor, vornehin. vor sehen, entsprechend unserm : nachsehen. — 8748 wîzenare (von wîzenen swv., strafen, bei Gottfried nicht vorkommend) stm., Peiniger. —
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XII. DIE BRAUTFAHRT. 291 die leiden mórtrâten, die manegen mórt hâéten begangen mit unschulden ir hêrrén ze hulden, die kômen in die habe gezogen mit ármbrústen und mit bogen und mit ander wîcwér, alsô von rehte ein róuphér. 8750 8755 (221) Des kieles meister Tristán leit' eine reisekappen an durch anders niht wan umbe daz, daz er sich hæle deste baz. ouch hiez er einen kopf dar tragen von rôtem góldé geslagen und gewórht ze fremedem prîse in engeloiser wîse. sus trat er in ein schiffelîn und Kurvenal zuo z'ime dar in und kêrte hin engegen der habe und bôt in sînen gruoz hin abe mit gebârden und mit munde, so er súozéste kunde. swaz aber des gruozes wære, genuoge búrgare zen schiffelînen liefen, von stade genuoge riefen: «habe an lant, habe an lant !» Tristan stiez in die habe zehant. «ir hêrren», sprach er «saget mir, wie komet ir sus? waz tiutet ir 8760 8765 8770 8775 8749 mortrate adj. subst., Mordstifter. — 8751 mit unschulden = sing. mit Unschuld, ohne Schuld ; die Worte beziehen sich aber nicht etwa auf das Verbum und auf die wîzenœere und mortrœten, was man aus dem folgenden Verse schließen könnte, weil sie es gezwungen thaten, sondern auf mort, der unschuldig, unverdient war. — 8752 ze hulden (dat. pl.) = zu Lieb, zu Gefallen. — 8755 wîcwer stf., Kriegsrüstung. 8761 kopf stm., Becher [Kopf für das ganze Haupt jünger]. — 8762 ge- slagen bezieht sich auf die Gediegenheit des Metalls; es war keine getrie- bene Arbeit. — 8769 hier stimmt mit gebarden im Gegensatze zu mit dem munde mit dem heutigen Ausdrucke, doch liegt mehr im Worte als die blofse rein körperliche Bewegung der Gliedmaßen, etwa: das Winken und Verneigen. — 8775 habe an lant, elliptisch = halte das Schiff dem Lande zu, steuere ans Land! — 8778 tiuten mit acc. = andeuten : was soll euer unge- verte bedeuten? (in V. 6799 unpersönlich: waz tiutet daz = was bedeutet das?) — 19 *
XII. DIE BRAUTFAHRT. 291 die leiden mórtrâten, die manegen mórt hâéten begangen mit unschulden ir hêrrén ze hulden, die kômen in die habe gezogen mit ármbrústen und mit bogen und mit ander wîcwér, alsô von rehte ein róuphér. 8750 8755 (221) Des kieles meister Tristán leit' eine reisekappen an durch anders niht wan umbe daz, daz er sich hæle deste baz. ouch hiez er einen kopf dar tragen von rôtem góldé geslagen und gewórht ze fremedem prîse in engeloiser wîse. sus trat er in ein schiffelîn und Kurvenal zuo z'ime dar in und kêrte hin engegen der habe und bôt in sînen gruoz hin abe mit gebârden und mit munde, so er súozéste kunde. swaz aber des gruozes wære, genuoge búrgare zen schiffelînen liefen, von stade genuoge riefen: «habe an lant, habe an lant !» Tristan stiez in die habe zehant. «ir hêrren», sprach er «saget mir, wie komet ir sus? waz tiutet ir 8760 8765 8770 8775 8749 mortrate adj. subst., Mordstifter. — 8751 mit unschulden = sing. mit Unschuld, ohne Schuld ; die Worte beziehen sich aber nicht etwa auf das Verbum und auf die wîzenœere und mortrœten, was man aus dem folgenden Verse schließen könnte, weil sie es gezwungen thaten, sondern auf mort, der unschuldig, unverdient war. — 8752 ze hulden (dat. pl.) = zu Lieb, zu Gefallen. — 8755 wîcwer stf., Kriegsrüstung. 8761 kopf stm., Becher [Kopf für das ganze Haupt jünger]. — 8762 ge- slagen bezieht sich auf die Gediegenheit des Metalls; es war keine getrie- bene Arbeit. — 8769 hier stimmt mit gebarden im Gegensatze zu mit dem munde mit dem heutigen Ausdrucke, doch liegt mehr im Worte als die blofse rein körperliche Bewegung der Gliedmaßen, etwa: das Winken und Verneigen. — 8775 habe an lant, elliptisch = halte das Schiff dem Lande zu, steuere ans Land! — 8778 tiuten mit acc. = andeuten : was soll euer unge- verte bedeuten? (in V. 6799 unpersönlich: waz tiutet daz = was bedeutet das?) — 19 *
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2 292 XII. DIE BRAUTFAHRT. mit disem ungeverte? iur gebarde die sint herte. i’n weiz, wés ich mich versehen sol. durch gotes willen tuot sô wol, si iemen bî iu an der habe, der gewált vón dem lande habe, der hoere unde verneme mich !» «jâ», sprach der marschalc «hie bin ich: mîn gebérde und mîn geverte diu werdent iu sô herte, daz ich benamen wizzen wil iuwèr geverte unz ûf ein zil.» «entriuwen, hêrre», sprach Tristan «dâ habet ir mich bereiten an; der mir geswigen hieze und mich ze sprâche lieze, des selben wolte ich gerne biten, daz man mit gúotlîchen siten und sô mîn wort vernæeme, als ez dem lande zæme.» 8785 8790 8795 8780 (222) Hie mite wart ime ein stille gegeben. «hêrrè», sprach Tristan «unser leben, unsèr geburt und unser lant dar umbe ist ez alsô gewant, als ich in hie bediute: wir sîn werbende liute und mugen uns des niht geschamen. koufliute heizen wir benamen ich und mîn cumpanîe und sîn von Normandie. 8800 8805 8779 ungeverte stn., hier in übertragener und allgemeiner Bedeutung : übele Art, unfreundliches Begegnen. — 8780 herte adj., hart, rauh. — 8787 ge- verte stn., auch hier allgemein: Art, Wesen. — 8790 geverte hat dagegen in stilistischem Gegensatze hier die Bedeutung: Absicht der Fahrt, Reise- zweck. — unz úf ein zil = bis zu Ende, d. h. ganz genau. — 8793 geswigen stv., verst. swîgen; ob der Dativ mir direct zu geswîgen zu ziehen ist, wie das mhd. Wb. II, 2, 788b, 3 anführt (also: wenn einer hieße vor mir zu schweigen, wenn einer befähle, daf man mir schweigend zuhöre), scheint mir fraglich; wegen der stilistischen Congruenz mit der folgenden Zeile (mich lieze) möchte ich mir zu hieze ziehen, und geswîgen stünde dann nahezu substantivisch: wenn einer mir, für mich, in meinem Interesse Schweigen anbefehlen wollte ; wenn man mir Gehör verschaffen wollte. — 8796 guotlîch adj., gütig, freundlich; vgl. 2676. 8799 eine stille geben = unserm : Ruhe schaffen. — 8805 geschamen, verst. schamen. — 8806 heizen steht in älterer Sprache öfters, wo wir: sein anzuwenden pflegen. —
2 292 XII. DIE BRAUTFAHRT. mit disem ungeverte? iur gebarde die sint herte. i’n weiz, wés ich mich versehen sol. durch gotes willen tuot sô wol, si iemen bî iu an der habe, der gewált vón dem lande habe, der hoere unde verneme mich !» «jâ», sprach der marschalc «hie bin ich: mîn gebérde und mîn geverte diu werdent iu sô herte, daz ich benamen wizzen wil iuwèr geverte unz ûf ein zil.» «entriuwen, hêrre», sprach Tristan «dâ habet ir mich bereiten an; der mir geswigen hieze und mich ze sprâche lieze, des selben wolte ich gerne biten, daz man mit gúotlîchen siten und sô mîn wort vernæeme, als ez dem lande zæme.» 8785 8790 8795 8780 (222) Hie mite wart ime ein stille gegeben. «hêrrè», sprach Tristan «unser leben, unsèr geburt und unser lant dar umbe ist ez alsô gewant, als ich in hie bediute: wir sîn werbende liute und mugen uns des niht geschamen. koufliute heizen wir benamen ich und mîn cumpanîe und sîn von Normandie. 8800 8805 8779 ungeverte stn., hier in übertragener und allgemeiner Bedeutung : übele Art, unfreundliches Begegnen. — 8780 herte adj., hart, rauh. — 8787 ge- verte stn., auch hier allgemein: Art, Wesen. — 8790 geverte hat dagegen in stilistischem Gegensatze hier die Bedeutung: Absicht der Fahrt, Reise- zweck. — unz úf ein zil = bis zu Ende, d. h. ganz genau. — 8793 geswigen stv., verst. swîgen; ob der Dativ mir direct zu geswîgen zu ziehen ist, wie das mhd. Wb. II, 2, 788b, 3 anführt (also: wenn einer hieße vor mir zu schweigen, wenn einer befähle, daf man mir schweigend zuhöre), scheint mir fraglich; wegen der stilistischen Congruenz mit der folgenden Zeile (mich lieze) möchte ich mir zu hieze ziehen, und geswîgen stünde dann nahezu substantivisch: wenn einer mir, für mich, in meinem Interesse Schweigen anbefehlen wollte ; wenn man mir Gehör verschaffen wollte. — 8796 guotlîch adj., gütig, freundlich; vgl. 2676. 8799 eine stille geben = unserm : Ruhe schaffen. — 8805 geschamen, verst. schamen. — 8806 heizen steht in älterer Sprache öfters, wo wir: sein anzuwenden pflegen. —
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XII. DIE BRAUTFAHRP. 293 (223) unser wîp und unser kint sint dâ. wir selbe sîn wâ unde wâ von lándé ze lande koufende aller hande und gewinnen, daz wir uns betragen. und innen disen drîzec tagen dô fuoren wir von lande dan, ich und zwên’ ander koufmán. wir drî wir wolten under uns drîn mit gesélleschaft ze Iberne sîn; und sint wol ahte tage iezuo, daz uns an einem tage fruo von hinnen verre ein wint bestuont, als uns die winde dicke tuont; der hât uns dri gescheiden, mich einen von in beiden, und enwéiz niht, wie si sîn gevarn, wan got der müeze si bewarn, sî sîn lebende oder tôt! ich bin mit michéler nôt vil manegen übelen wec geslagen in disen swaren ahte tagen; und gester umbe den mitten tac, dô stúrm únde wint gelac, do erkánde ich berge unde lant. durch ruowen kêrte ich dar zehant und ruowete unze hiute dâ; hiut' an dem morgen iesâ dô ez liehténde wart, dô streich ich aber ûf mîne vart alhie her wider Weisefort. nu vert ez hie wirs danne dort. ich wæne, ich bin noch ungenesen; doch wânde ich hie genesen wesen, 8815 8820 8825 8830 8835 8810 8840 8813 betragen swv. refl. (in jüngerer Zeit auch stv. und mit dem andern betragen stv. scheinbar zusammenfallend ähnlich wie bei laden stv. und swv.), sich ernähren. — 8814 innen adv. præp. mit dat. (ähnlich wie inner 7962), innerhalb; vgl. zu 18182. — 8829 geslagen wie in V. 7603 = getrieben. — 8831 mitte adj., mittler [jetzt die völlige Zusammensetzung: Mittag aus mittetac allein geläufig]. — 8832 gelac = sich gelegt hatte. — 8837 liehten swv., licht werden, tagen; vgl. 5511. — 8841 ungenesen adj. part., hier par- ticipialer zu fassen als in V. 6957 = niht genesen im Anschluß an genesen im folgenden Verse, welches aber selbst als Adjectiv zu nehmen ist. un- genesen von Kurtz gut getroffen «ungeborgen". —
XII. DIE BRAUTFAHRP. 293 (223) unser wîp und unser kint sint dâ. wir selbe sîn wâ unde wâ von lándé ze lande koufende aller hande und gewinnen, daz wir uns betragen. und innen disen drîzec tagen dô fuoren wir von lande dan, ich und zwên’ ander koufmán. wir drî wir wolten under uns drîn mit gesélleschaft ze Iberne sîn; und sint wol ahte tage iezuo, daz uns an einem tage fruo von hinnen verre ein wint bestuont, als uns die winde dicke tuont; der hât uns dri gescheiden, mich einen von in beiden, und enwéiz niht, wie si sîn gevarn, wan got der müeze si bewarn, sî sîn lebende oder tôt! ich bin mit michéler nôt vil manegen übelen wec geslagen in disen swaren ahte tagen; und gester umbe den mitten tac, dô stúrm únde wint gelac, do erkánde ich berge unde lant. durch ruowen kêrte ich dar zehant und ruowete unze hiute dâ; hiut' an dem morgen iesâ dô ez liehténde wart, dô streich ich aber ûf mîne vart alhie her wider Weisefort. nu vert ez hie wirs danne dort. ich wæne, ich bin noch ungenesen; doch wânde ich hie genesen wesen, 8815 8820 8825 8830 8835 8810 8840 8813 betragen swv. refl. (in jüngerer Zeit auch stv. und mit dem andern betragen stv. scheinbar zusammenfallend ähnlich wie bei laden stv. und swv.), sich ernähren. — 8814 innen adv. præp. mit dat. (ähnlich wie inner 7962), innerhalb; vgl. zu 18182. — 8829 geslagen wie in V. 7603 = getrieben. — 8831 mitte adj., mittler [jetzt die völlige Zusammensetzung: Mittag aus mittetac allein geläufig]. — 8832 gelac = sich gelegt hatte. — 8837 liehten swv., licht werden, tagen; vgl. 5511. — 8841 ungenesen adj. part., hier par- ticipialer zu fassen als in V. 6957 = niht genesen im Anschluß an genesen im folgenden Verse, welches aber selbst als Adjectiv zu nehmen ist. un- genesen von Kurtz gut getroffen «ungeborgen". —
Strana 294
294 XII. DIE BRAUTFAHRT. wan ich die stat erkenne und bin ouch eteswenne mit kóufliuten hie gewesen. deste baz wând' ich genesen und hie genâde vinden. nu bin ich stúrmwinden alrêrste in die hant gevarn, doch mac mich got noch wol bewarn ; sît ich bî disem gesinde weder fride noch ruowe vinde, sô kêre ich wider uf daz mer. dâ hân ich al der werlde wer und strît genuogen an der fluht. geruochet aber ir iuwer zuht und iuwer êre an mir begân, der mâze als ich hie guotes hân, daz teile ich iu vil gerne mite umb' eine kurzlîche bite, daz ir mir unde mîner habe schaffet fride in dirre habe, biz ich besuoche unde besehe, op mir diu sâldé geschehe, daz ich mîn lantgesinde ervorsche unde ervinde. und wellet ir mich des gewern, sô heizet mir ouch fride bern. si gâhent vásté dort her, i’ne weiz welhe oder wer, in kleinen schiffelînen; oder ich var wider zen mînen und fürhte iuch alle niht ein strô.» 8850 8855 8860 8865 8870 8845 Der marschalc der hiez s' alle dô wider kêren an daz lant. 8875 8854 al der werlde gen. abhängig von wer, Wehr, Schutz: ich habe (finde) Schutz vor aller Welt in der Flucht; oder ist al der werlde zu fassen als emphatische Umschreibung für: all: ich finde allen nur erdenklichen Schutz? — 8855 genuogen kaum Adverb, sondern = genuogen, bedeutenden, vollkommenen, strît. — Die Ubersetzer geben strît mit: Streitkraft; das liegt hier wohl nicht im Worte, sondern strît steht metaphorisch wie in der Wendung den strît lân, für: Sieg, Rettung. — 8858 der mâze adv. gen., (dermaßen), im Verhältnisse, so viel. — 8860 bite stf., hier: Verweilen, Auf- enthalt. — 8863 besuochen swv., versuchen, nachsuchen. — 8866 ervinden stv., finden, ausfindig machen. — 8869 vaste adv., fest, sehr; vgl. 15551. — 8873 niht ein strô, nicht einen Strohhalm, d. h. gar nichts ; ähnliche Wen- dungen bei Gottfried niht eine ber (Beere) 16272, niht ein hâr 16537, niht eine bône 16880; vgl. zu 3641. 8673.
294 XII. DIE BRAUTFAHRT. wan ich die stat erkenne und bin ouch eteswenne mit kóufliuten hie gewesen. deste baz wând' ich genesen und hie genâde vinden. nu bin ich stúrmwinden alrêrste in die hant gevarn, doch mac mich got noch wol bewarn ; sît ich bî disem gesinde weder fride noch ruowe vinde, sô kêre ich wider uf daz mer. dâ hân ich al der werlde wer und strît genuogen an der fluht. geruochet aber ir iuwer zuht und iuwer êre an mir begân, der mâze als ich hie guotes hân, daz teile ich iu vil gerne mite umb' eine kurzlîche bite, daz ir mir unde mîner habe schaffet fride in dirre habe, biz ich besuoche unde besehe, op mir diu sâldé geschehe, daz ich mîn lantgesinde ervorsche unde ervinde. und wellet ir mich des gewern, sô heizet mir ouch fride bern. si gâhent vásté dort her, i’ne weiz welhe oder wer, in kleinen schiffelînen; oder ich var wider zen mînen und fürhte iuch alle niht ein strô.» 8850 8855 8860 8865 8870 8845 Der marschalc der hiez s' alle dô wider kêren an daz lant. 8875 8854 al der werlde gen. abhängig von wer, Wehr, Schutz: ich habe (finde) Schutz vor aller Welt in der Flucht; oder ist al der werlde zu fassen als emphatische Umschreibung für: all: ich finde allen nur erdenklichen Schutz? — 8855 genuogen kaum Adverb, sondern = genuogen, bedeutenden, vollkommenen, strît. — Die Ubersetzer geben strît mit: Streitkraft; das liegt hier wohl nicht im Worte, sondern strît steht metaphorisch wie in der Wendung den strît lân, für: Sieg, Rettung. — 8858 der mâze adv. gen., (dermaßen), im Verhältnisse, so viel. — 8860 bite stf., hier: Verweilen, Auf- enthalt. — 8863 besuochen swv., versuchen, nachsuchen. — 8866 ervinden stv., finden, ausfindig machen. — 8869 vaste adv., fest, sehr; vgl. 15551. — 8873 niht ein strô, nicht einen Strohhalm, d. h. gar nichts ; ähnliche Wen- dungen bei Gottfried niht eine ber (Beere) 16272, niht ein hâr 16537, niht eine bône 16880; vgl. zu 3641. 8673.
Strana 295
XII. DIE BRAUTFAHRT. 295 (224) zem gaste sprach er al zehant: «waz wellet ir dem künege geben, daz ich iu guot unde leben in disem rîché bewar?» aber sprách der éllénde dar: «hêrre, ich gibe im alle tage, swâ ich ez gewinne oder bejage eine márc von rôtem golde; und sult ir iu ze solde und ze miete disen kópf hân, ob ich mich's an iuch mac verlân.» «jâ», sprâchen s' állé zehant: «er ist hie marschalc über diz lant.» der marschalc sîne gâbe nam, diu dûhte in rîche und lobesam, und hiez in stôzen in die habe; sînem libe und sîner habe fride únde genâde er dô gebôt. dâ wâren si rîch unde rôt, ich meine zins únde solt: rîch unde rôt des küneges golt, des boten solt rôt unde rîch: si wâren beidiu rîlîch. daz half ouch ime, daz ime geschach beidiu genâde unde gemach. 8880 8885 8890 8895 8900
XII. DIE BRAUTFAHRT. 295 (224) zem gaste sprach er al zehant: «waz wellet ir dem künege geben, daz ich iu guot unde leben in disem rîché bewar?» aber sprách der éllénde dar: «hêrre, ich gibe im alle tage, swâ ich ez gewinne oder bejage eine márc von rôtem golde; und sult ir iu ze solde und ze miete disen kópf hân, ob ich mich's an iuch mac verlân.» «jâ», sprâchen s' állé zehant: «er ist hie marschalc über diz lant.» der marschalc sîne gâbe nam, diu dûhte in rîche und lobesam, und hiez in stôzen in die habe; sînem libe und sîner habe fride únde genâde er dô gebôt. dâ wâren si rîch unde rôt, ich meine zins únde solt: rîch unde rôt des küneges golt, des boten solt rôt unde rîch: si wâren beidiu rîlîch. daz half ouch ime, daz ime geschach beidiu genâde unde gemach. 8880 8885 8890 8895 8900
Strana 296
XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. Durch einen Drachen war das Land in grofse Noth versetzt. Der König hatte dem Ritter, der ihn erlegen würde, seine Tochter gelobt. Tausende waren schon im Kampfe umgekommen. Davon hatte auch Tri- stan gehört und darauf baute er seinen Plan. Andern Tages reitet er wohlgewappnet nach dem Thal Anferginan, dem Aufenthalt des Drachen. Er sieht auf dem Wege vier Ritter dahinfliehen, unter ihnen den feigen Truchsefs der Königin, welcher die junge Königin begehrte. Tristan findet den Drachen und erlegt ihn in heißsem Kampfe. Sein Ross büßst er ein. Tristan schneidet die Zunge aus dem Drachenhaupte und steckt sie zu sich. Ermüdet senkt er sich, Kühlung suchend, in eine kleine Lache, aber der Dunst der Drachenzunge raubt ihm die Besinnung. Der Truchsefs bemächtigt sich des erlegten Drachen, aber den Ritter, der ihn erschlagen, entdeckt er nicht. Er bricht seinen Speer entzwei und stößst das vordere Stück zum Schein in des Drachen Schlund. Er reitet nach Weisefort zurück, verkündet seine Heldenthat und lässt auf einem Lastwagen das Haupt des Drachen nach Hause schaffen. Darauf mahnt er den König Gurmun an sein Gelübde. Des Truchsefs Sieg schmerzt die schöne Isolt, lieber will sie in den Tod, als des Verhassten Weib werden. Ihre Mutter wahrsagt ihr zum Troste, ein Fremder habe den Drachen erschlagen. Die Frauen reiten in Begleitung ihrer Niftel Brangæne und des Knappen Paranis zur Kampf- stätte und entdecken endlich den Ritter, den sie entwaffnen, von der be- täubenden Zunge befreien und durch ein Heilmittel wieder ins Leben zurückrufen. Die junge Isolt erkennt in ihm den Spielmann Tantris. Sie schaffen ihn unbemerkt mit sich und nehmen ihn in ihre Pflege. Andern Tages erklärt sich Tantris aus Dankbarkeit bereit, im Nothfalle mit dem Truchsefs kämpfen zu wollen. Unterdessen ist Tristan's Reisegesellschaft in Ungewissheit und Sorge. Sie haben vernommen, dafs ein Ritter im Kampfe mit dem Drachen todt geblieben sei, und senden deshalb Kurvenal auf Kundschaft aus. Dieser findet den Drachen und das verstümmelte Ross, welches er als das seines Herrn erkennt. Schmerzvoll kehrt er zurück. Die Mehrzahl der Gefähr- ten beschließt zum Leidwesen der Barone noch mindestens zwei Tage aus- zuharren und weitere Forschungen anzustellen.
XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. Durch einen Drachen war das Land in grofse Noth versetzt. Der König hatte dem Ritter, der ihn erlegen würde, seine Tochter gelobt. Tausende waren schon im Kampfe umgekommen. Davon hatte auch Tri- stan gehört und darauf baute er seinen Plan. Andern Tages reitet er wohlgewappnet nach dem Thal Anferginan, dem Aufenthalt des Drachen. Er sieht auf dem Wege vier Ritter dahinfliehen, unter ihnen den feigen Truchsefs der Königin, welcher die junge Königin begehrte. Tristan findet den Drachen und erlegt ihn in heißsem Kampfe. Sein Ross büßst er ein. Tristan schneidet die Zunge aus dem Drachenhaupte und steckt sie zu sich. Ermüdet senkt er sich, Kühlung suchend, in eine kleine Lache, aber der Dunst der Drachenzunge raubt ihm die Besinnung. Der Truchsefs bemächtigt sich des erlegten Drachen, aber den Ritter, der ihn erschlagen, entdeckt er nicht. Er bricht seinen Speer entzwei und stößst das vordere Stück zum Schein in des Drachen Schlund. Er reitet nach Weisefort zurück, verkündet seine Heldenthat und lässt auf einem Lastwagen das Haupt des Drachen nach Hause schaffen. Darauf mahnt er den König Gurmun an sein Gelübde. Des Truchsefs Sieg schmerzt die schöne Isolt, lieber will sie in den Tod, als des Verhassten Weib werden. Ihre Mutter wahrsagt ihr zum Troste, ein Fremder habe den Drachen erschlagen. Die Frauen reiten in Begleitung ihrer Niftel Brangæne und des Knappen Paranis zur Kampf- stätte und entdecken endlich den Ritter, den sie entwaffnen, von der be- täubenden Zunge befreien und durch ein Heilmittel wieder ins Leben zurückrufen. Die junge Isolt erkennt in ihm den Spielmann Tantris. Sie schaffen ihn unbemerkt mit sich und nehmen ihn in ihre Pflege. Andern Tages erklärt sich Tantris aus Dankbarkeit bereit, im Nothfalle mit dem Truchsefs kämpfen zu wollen. Unterdessen ist Tristan's Reisegesellschaft in Ungewissheit und Sorge. Sie haben vernommen, dafs ein Ritter im Kampfe mit dem Drachen todt geblieben sei, und senden deshalb Kurvenal auf Kundschaft aus. Dieser findet den Drachen und das verstümmelte Ross, welches er als das seines Herrn erkennt. Schmerzvoll kehrt er zurück. Die Mehrzahl der Gefähr- ten beschließt zum Leidwesen der Barone noch mindestens zwei Tage aus- zuharren und weitere Forschungen anzustellen.
Strana 297
XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. 297 Der Truchsefs macht vor der Versammlung des Hofes und der Ritter- schaft seine Ansprüche geltend und beruft sich auf das mitgebrachte Wahrzeichen. Die Königin leugnet sein Verdienst; ein anderer habe den Drachen erschlagen. Der Truchseß erbietet sich, es auf einen Kampf mit dem Unbekannten ankommen zu lassen. In drei Tagen soll dieser Kampf stattfinden. (225) Nu Tristan der ist ze fride komen. ie noch hât nieman vernomen, waz er welle ane gân: nu sol man ez iuch wizzen lân, son’ erlanget iuch des mæres niht. diz maere saget unde giht von einem sérpánde; der was dô dâ ze lande. der selbe leide vâlânt der hæte liute unde lant mit alsô schädelîchem schaden sô schädelîchen überladen, daz der künec swuor einen eit bî küniclîcher wârhéit, swer ime benâmé daz leben, er wolte im sîne tohter geben, der edel und ritter ware. diz selbe lántmáre und daz vil wunneclîche wîp verluren tûsenden den lîp, die dar ze kampfe kâmen, ir ende dâ genâmen; des mæres was daz lánt vól. diz mæere erkande ouch Tristan wol: diz eine starcte in dar an, daz er der reise ie began, diz was sîn meistiu zuoversiht, anders trôstes hæte er niht. nu ist es zît, nu kêre zuo! 8905 8910 8915 8920 8925 8905 mich erlanget mit gen., (wie sonst belanget) mich langweilt etwas. — 8907 serpant stm., Fremdwort, gen. serpandes, Schlange, Drache ; sonst gebraucht Gottfried auch trache. — 8917 der = swer, wenn, falls derselbe. — 8918 lantmare stn., allgemeines Gerücht; vgl. 8923. — 8920 verliesen stv. hier trans., verderben, zu Grunde richten; vgl. 9811. 16520. — 8922 ende nemen, genemen = Ende finden, in alterer Sprache häufiger [nhd. Ende meist mit Adjectiv verbunden]. — 8929 kêre zuo ! wörtlich : eile herbei (5490) = fang an! ruft sich der Dichter im Sinne eines Zuhörers selbst zu ; auf Tristan ist es wohl kaum zu beziehen.
XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. 297 Der Truchsefs macht vor der Versammlung des Hofes und der Ritter- schaft seine Ansprüche geltend und beruft sich auf das mitgebrachte Wahrzeichen. Die Königin leugnet sein Verdienst; ein anderer habe den Drachen erschlagen. Der Truchseß erbietet sich, es auf einen Kampf mit dem Unbekannten ankommen zu lassen. In drei Tagen soll dieser Kampf stattfinden. (225) Nu Tristan der ist ze fride komen. ie noch hât nieman vernomen, waz er welle ane gân: nu sol man ez iuch wizzen lân, son’ erlanget iuch des mæres niht. diz maere saget unde giht von einem sérpánde; der was dô dâ ze lande. der selbe leide vâlânt der hæte liute unde lant mit alsô schädelîchem schaden sô schädelîchen überladen, daz der künec swuor einen eit bî küniclîcher wârhéit, swer ime benâmé daz leben, er wolte im sîne tohter geben, der edel und ritter ware. diz selbe lántmáre und daz vil wunneclîche wîp verluren tûsenden den lîp, die dar ze kampfe kâmen, ir ende dâ genâmen; des mæres was daz lánt vól. diz mæere erkande ouch Tristan wol: diz eine starcte in dar an, daz er der reise ie began, diz was sîn meistiu zuoversiht, anders trôstes hæte er niht. nu ist es zît, nu kêre zuo! 8905 8910 8915 8920 8925 8905 mich erlanget mit gen., (wie sonst belanget) mich langweilt etwas. — 8907 serpant stm., Fremdwort, gen. serpandes, Schlange, Drache ; sonst gebraucht Gottfried auch trache. — 8917 der = swer, wenn, falls derselbe. — 8918 lantmare stn., allgemeines Gerücht; vgl. 8923. — 8920 verliesen stv. hier trans., verderben, zu Grunde richten; vgl. 9811. 16520. — 8922 ende nemen, genemen = Ende finden, in alterer Sprache häufiger [nhd. Ende meist mit Adjectiv verbunden]. — 8929 kêre zuo ! wörtlich : eile herbei (5490) = fang an! ruft sich der Dichter im Sinne eines Zuhörers selbst zu ; auf Tristan ist es wohl kaum zu beziehen.
Strana 298
298 XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. 8930 (226) Des ándéren tages fruo sô wâfende er sich alse wol, alsô ein man ze noeten sol. ûf ein starkez ors saz er, er hiez im reichen éin spér grôz únde veste, daz sterkeste und daz beste, daz man in dem kiele vant. ûf sînen wec reit er zehant über vélt und über gevilde; er nam im in der wilde manege kêre und manege vart. und alse der tac stîgende wart, dô liez er vaste hine gân wider daz tal ze Anferginân, dâ was des trachen héimwist, alsô man an der geste list. nu sach er verre dort hin dan vier gewâfénde man über úngeverte und über velt ein lützel balder danne enzelt fliehende gâlopieren. der einer von den vieren truhsæze was der künigîn, der was ouch und wolte sîn der jungen küniginne amis wider ir willen alle wîs; und alse ieman ze velde reit durch gelücke und durch mánhéit, sô was ouch der truhsæze dâ eteswenne und eteswâ durch niht, wan daz man jæhe, daz man ouch in dâ sæhe, dâ man nâch âventiure rite, und anders was ouch niht dermite, 8935 8940 8945 8950 8955 8960 8943 hier die Ellipse gân lâzen (5054) in der Verbindung mit hin, hin- sprengen. — 8945 heimwist stf., Heimwesen, Wohnsitz. — 8946 geste stf., Fremdwort, lat. gesta, Geschichte = mœre, âventiure, istôrje. — 8949 unge- verte stv., hier: Unweg, unwegsame Strecke. — 8950 balder comp. adv., schneller. — enzelt (=in zelt) adv., im Zeltgange (eine Art Trab). 8960 eteswenne und eteswâ hier formelhaft nebeneinander in der Bedeu- tung: immer und überall. —
298 XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. 8930 (226) Des ándéren tages fruo sô wâfende er sich alse wol, alsô ein man ze noeten sol. ûf ein starkez ors saz er, er hiez im reichen éin spér grôz únde veste, daz sterkeste und daz beste, daz man in dem kiele vant. ûf sînen wec reit er zehant über vélt und über gevilde; er nam im in der wilde manege kêre und manege vart. und alse der tac stîgende wart, dô liez er vaste hine gân wider daz tal ze Anferginân, dâ was des trachen héimwist, alsô man an der geste list. nu sach er verre dort hin dan vier gewâfénde man über úngeverte und über velt ein lützel balder danne enzelt fliehende gâlopieren. der einer von den vieren truhsæze was der künigîn, der was ouch und wolte sîn der jungen küniginne amis wider ir willen alle wîs; und alse ieman ze velde reit durch gelücke und durch mánhéit, sô was ouch der truhsæze dâ eteswenne und eteswâ durch niht, wan daz man jæhe, daz man ouch in dâ sæhe, dâ man nâch âventiure rite, und anders was ouch niht dermite, 8935 8940 8945 8950 8955 8960 8943 hier die Ellipse gân lâzen (5054) in der Verbindung mit hin, hin- sprengen. — 8945 heimwist stf., Heimwesen, Wohnsitz. — 8946 geste stf., Fremdwort, lat. gesta, Geschichte = mœre, âventiure, istôrje. — 8949 unge- verte stv., hier: Unweg, unwegsame Strecke. — 8950 balder comp. adv., schneller. — enzelt (=in zelt) adv., im Zeltgange (eine Art Trab). 8960 eteswenne und eteswâ hier formelhaft nebeneinander in der Bedeu- tung: immer und überall. —
Strana 299
XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. 299 wan ern gesach den trachen nie, er enkêrte bälderîchen ie. 8965 Nu Tristan wart vil wol gewar án der fliehénden schar, der trache der wære etswâ dâ, und stapfete ouch des endes sâ und reit unlange, unz er gesach sîner ougen ungemach, den egeslîchen trachen; der warf ûz sînem rachen rouch unde flammen unde wint rehte alse des tiuvels kint und kêrte gein im aldort her. Tristan der sáncté daz sper, daz ors er mit den sporen nam: sô swinde er dar gerüeret kam, daz er'm daz sper zem giele in stach, sô daz ez ime den rachen brach und innen an dem herzen want, unde er selbe ûf den serpant sô sêre mit dem orse stiez, daz er daz ors dâ tôtez liez und er dâ von vil kûme entran. der trache gieng ez aber an mit phnâste und mit fiure, unz ez der ungehiure 8970 8975 8980 8985 8990 8966 kêren, hier: umkehren. — bälderîchen (M balderîchen, H belderîchen) adv. macht Schwierigkeiten; eine befriedigende Erklärung des in den Haupthss. ziemlich einheitlich überlieferten Textes ist bisjetzt nicht ge- funden; eine von mir erlassene öffentliche Frage und Bitte um Aufkla- rung (in Pfeiffer's Germania 12, 318 fg.) ist leider nicht beantwortet wor- den. Den Text gegen die Uberlieferung zu ändern, scheint gewagt. Nahe liegt balde den rucken: ohne daß er nicht bald den Rücken wendete. Ver- sucht wurde ferner im näheren Anschluß an die Hss. belde (gen. von belde stf., Muth) rîche : daſs er nicht muthvoll (in ironischem Sinne) immer wie- der umgekehrt wäre, ferner : beldeclîchen adv., muthig , zuletzt beldericher compar. (von v. Hagen, Germ. Studien, 1, 56) : als daß er (ern abh. von niht in V. 8964) stets unverschämter (in seinen Bewerbungen um Isolt) zurück- kehrte. Wahrscheinlich liegt ein sprichwörtlicher Ausdruck vor, der noch zu deuten ist. 8969 etswâ adv., hier in der ersten Bedeutung : irgendwo. — 8970 stapfen swv., treten, schreiten, insbesondere wie hier : langsam reiten. — 8973 eges- lích adj., schrecklich, greulich. — 8980 swinde adv., hier = geschwind. — 8981 giel stm., Schlund, Rachen. — 8982 Hagen schreibt mit F sô daz ez im in (în) zem rachen brach (= W, nur fehlt im); Groote folgt H, hält aber die Lesart von O sô daz ez in dem rachen brach für die richtigste; das mhd. Wörterbuch citiert nach F. Die gewählte Lesart übereinstimmend in M und H bedeutet : sodafs er (der Speer) ihm (dem Drachen) gewaltsam durch den Rachen drang. — 8989 phnâst stm., Schnauben. —
XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. 299 wan ern gesach den trachen nie, er enkêrte bälderîchen ie. 8965 Nu Tristan wart vil wol gewar án der fliehénden schar, der trache der wære etswâ dâ, und stapfete ouch des endes sâ und reit unlange, unz er gesach sîner ougen ungemach, den egeslîchen trachen; der warf ûz sînem rachen rouch unde flammen unde wint rehte alse des tiuvels kint und kêrte gein im aldort her. Tristan der sáncté daz sper, daz ors er mit den sporen nam: sô swinde er dar gerüeret kam, daz er'm daz sper zem giele in stach, sô daz ez ime den rachen brach und innen an dem herzen want, unde er selbe ûf den serpant sô sêre mit dem orse stiez, daz er daz ors dâ tôtez liez und er dâ von vil kûme entran. der trache gieng ez aber an mit phnâste und mit fiure, unz ez der ungehiure 8970 8975 8980 8985 8990 8966 kêren, hier: umkehren. — bälderîchen (M balderîchen, H belderîchen) adv. macht Schwierigkeiten; eine befriedigende Erklärung des in den Haupthss. ziemlich einheitlich überlieferten Textes ist bisjetzt nicht ge- funden; eine von mir erlassene öffentliche Frage und Bitte um Aufkla- rung (in Pfeiffer's Germania 12, 318 fg.) ist leider nicht beantwortet wor- den. Den Text gegen die Uberlieferung zu ändern, scheint gewagt. Nahe liegt balde den rucken: ohne daß er nicht bald den Rücken wendete. Ver- sucht wurde ferner im näheren Anschluß an die Hss. belde (gen. von belde stf., Muth) rîche : daſs er nicht muthvoll (in ironischem Sinne) immer wie- der umgekehrt wäre, ferner : beldeclîchen adv., muthig , zuletzt beldericher compar. (von v. Hagen, Germ. Studien, 1, 56) : als daß er (ern abh. von niht in V. 8964) stets unverschämter (in seinen Bewerbungen um Isolt) zurück- kehrte. Wahrscheinlich liegt ein sprichwörtlicher Ausdruck vor, der noch zu deuten ist. 8969 etswâ adv., hier in der ersten Bedeutung : irgendwo. — 8970 stapfen swv., treten, schreiten, insbesondere wie hier : langsam reiten. — 8973 eges- lích adj., schrecklich, greulich. — 8980 swinde adv., hier = geschwind. — 8981 giel stm., Schlund, Rachen. — 8982 Hagen schreibt mit F sô daz ez im in (în) zem rachen brach (= W, nur fehlt im); Groote folgt H, hält aber die Lesart von O sô daz ez in dem rachen brach für die richtigste; das mhd. Wörterbuch citiert nach F. Die gewählte Lesart übereinstimmend in M und H bedeutet : sodafs er (der Speer) ihm (dem Drachen) gewaltsam durch den Rachen drang. — 8989 phnâst stm., Schnauben. —
Strana 300
300 XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. (227) vor dem sátele gar verswande. nu was im aber als ande daz sper, daz in dâ sêrte, daz er vón dem orse kêrte hin wider ein steingevelle. Tristan sîn kampfgeselle der kêrte im nâch, reht' uf sîn spor. der veige streich im allez vor mit solher ungedulte, daz er den wált vulte mit egeslîcher stimme und hürste vil von grimme abe bránde und ûz der erden sluoc. des treip er vil und sô genuoc, biz in der smerze überwant, und under eine stéinwant vil nâhen sich gedructe. Tristan daz swert dô zucte und wânde, er funde in âne strît. nein, ez wart ängeslîcher sît, dan ez ê mâles wære. doch enwás ez nie sô swære : Tristan ruort’ aber den trachen an, der trache wider an den man und brâhte in z'alse grôzer nôt, daz er wânde wesen tôt. er liez in nie ze were komen, er hæte ime schiere benomen beidiu slege unde wer. dô was sin ouch ein michel her : er fuorte mit im an den kampf beidiu róuch únde tampf und andére stiure 8995 9000 9005 9010 9015 9020 8991 verswande =verswendete, verswenden swv., (verschwinden machen), vertilgen. — 8992 ande adj., widerwärtig, unleidlich; von Gottfried nicht ungerne gebraucht, auch das Adverbium; vgl. zu 7088. — 8993 sêren swv., schmerzen. — 8995 hin gehört zu kêrte, wider ist præp. mit acc., gegen, nach — zu; vgl. 2567. 5609. — steingerelle stn., ein durch Steine unweg- samer Platz, «Steingeklüft". Kurtz. 9002 hürste gen. pl. (abh. von vil) von hurst, Strauch; das Geschlecht stm. oder stf. nicht ersichtlich. — 9007 gedrücken, verst. drücken. — 9013 an rüeren, hier deutlich = an gân 8988, angreifen, denn im folgenden Verse steht es ebenfalls vom Drachen und Tristan's Ross ist todt; vgl. zu 6981. 9049. —
300 XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. (227) vor dem sátele gar verswande. nu was im aber als ande daz sper, daz in dâ sêrte, daz er vón dem orse kêrte hin wider ein steingevelle. Tristan sîn kampfgeselle der kêrte im nâch, reht' uf sîn spor. der veige streich im allez vor mit solher ungedulte, daz er den wált vulte mit egeslîcher stimme und hürste vil von grimme abe bránde und ûz der erden sluoc. des treip er vil und sô genuoc, biz in der smerze überwant, und under eine stéinwant vil nâhen sich gedructe. Tristan daz swert dô zucte und wânde, er funde in âne strît. nein, ez wart ängeslîcher sît, dan ez ê mâles wære. doch enwás ez nie sô swære : Tristan ruort’ aber den trachen an, der trache wider an den man und brâhte in z'alse grôzer nôt, daz er wânde wesen tôt. er liez in nie ze were komen, er hæte ime schiere benomen beidiu slege unde wer. dô was sin ouch ein michel her : er fuorte mit im an den kampf beidiu róuch únde tampf und andére stiure 8995 9000 9005 9010 9015 9020 8991 verswande =verswendete, verswenden swv., (verschwinden machen), vertilgen. — 8992 ande adj., widerwärtig, unleidlich; von Gottfried nicht ungerne gebraucht, auch das Adverbium; vgl. zu 7088. — 8993 sêren swv., schmerzen. — 8995 hin gehört zu kêrte, wider ist præp. mit acc., gegen, nach — zu; vgl. 2567. 5609. — steingerelle stn., ein durch Steine unweg- samer Platz, «Steingeklüft". Kurtz. 9002 hürste gen. pl. (abh. von vil) von hurst, Strauch; das Geschlecht stm. oder stf. nicht ersichtlich. — 9007 gedrücken, verst. drücken. — 9013 an rüeren, hier deutlich = an gân 8988, angreifen, denn im folgenden Verse steht es ebenfalls vom Drachen und Tristan's Ross ist todt; vgl. zu 6981. 9049. —
Strana 301
XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. 301 an slegen unde an fiure, an zenen unde an griffen: die wârén gesliffen, sêre schárph únde wahs, noch wahser danne ein scharsahs. dâ mite treip er in umbe manege ängeslîche krumbe von bóumén ze buschen: dâ muose er sich vertuschen und fristen, swie er mohte, wan ime der kampf niht tohte; und hæte ez doch sô sêre versuochet mit der kêre, daz ime der schilt vor der hant vil nâch ze kolen was verbrant, (228) wan er gienc in mit fiure an, daz er im kûme vor entran. 9025 9030 9035 9040 Doch werte ez niht vil lange, der mórtsáme slange dér kom schíeré dar an, dáz er zwîvelen began und ime daz sper sô nâhen gie, daz er sich aber nider lie und want sich ange und ange. Tristan was aber unlange, er kom gerüeret balde her, daz swert daz stach er zuo dem sper zem herzen in unz an die hant. nu lie der veige vâlánt einen dôz und eine stimme sô griulîch und sô grimme ûz sînem veigen giele, 9045 9050 9055 9025 grif stm., (Griff), hier: Klaue. — 9026 fg. sind wohl auf beides, auf Zähne und Klauen zu beziehen. — gesliffen ist aufzufassen als Adj. part., nicht als reines Particip, das folgende scharph ist Adj., nicht Adv. zu slîfen. und sêre ist Adv. zu scharph, nicht zu gesliffen. — 9027 wahs adj., scharf. — 9028 scharsahs stn., Scheermesser. — 9029 fg. ähnliche Wendung in V. 16064 fg. — 9032 vertuschen swv., verbergen [nhd. beschränkt im Gebrauch, nicht mehr reflexiv]. — 9040 vgl. zu 730. 9044 zwivelen swv., (zweifeln), verzweifeln, verzagen (F schreibt swi- belen swv., welches keineswegs das echte Wort, sondern ein schlecht be- zeugtes &raz 1eyópevov ist). — 9048 unlange adv. bei wesen (vgl. zu 5564): er war nicht lange aus, blieb nicht lange, zögerte nicht. — 9049 rüeren, hier übertragen und allgemein wie unser: sprengen auch von Fußgängern gesagt wird ; ebenso in V. 16053, in V. 8736 zweifelhaft, da der Marschall auch zu Ross gewesen sein kann. — 9053 dôz stm., Getöse. — 9054 grimme adv., grimmig, wüthend. —
XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. 301 an slegen unde an fiure, an zenen unde an griffen: die wârén gesliffen, sêre schárph únde wahs, noch wahser danne ein scharsahs. dâ mite treip er in umbe manege ängeslîche krumbe von bóumén ze buschen: dâ muose er sich vertuschen und fristen, swie er mohte, wan ime der kampf niht tohte; und hæte ez doch sô sêre versuochet mit der kêre, daz ime der schilt vor der hant vil nâch ze kolen was verbrant, (228) wan er gienc in mit fiure an, daz er im kûme vor entran. 9025 9030 9035 9040 Doch werte ez niht vil lange, der mórtsáme slange dér kom schíeré dar an, dáz er zwîvelen began und ime daz sper sô nâhen gie, daz er sich aber nider lie und want sich ange und ange. Tristan was aber unlange, er kom gerüeret balde her, daz swert daz stach er zuo dem sper zem herzen in unz an die hant. nu lie der veige vâlánt einen dôz und eine stimme sô griulîch und sô grimme ûz sînem veigen giele, 9045 9050 9055 9025 grif stm., (Griff), hier: Klaue. — 9026 fg. sind wohl auf beides, auf Zähne und Klauen zu beziehen. — gesliffen ist aufzufassen als Adj. part., nicht als reines Particip, das folgende scharph ist Adj., nicht Adv. zu slîfen. und sêre ist Adv. zu scharph, nicht zu gesliffen. — 9027 wahs adj., scharf. — 9028 scharsahs stn., Scheermesser. — 9029 fg. ähnliche Wendung in V. 16064 fg. — 9032 vertuschen swv., verbergen [nhd. beschränkt im Gebrauch, nicht mehr reflexiv]. — 9040 vgl. zu 730. 9044 zwivelen swv., (zweifeln), verzweifeln, verzagen (F schreibt swi- belen swv., welches keineswegs das echte Wort, sondern ein schlecht be- zeugtes &raz 1eyópevov ist). — 9048 unlange adv. bei wesen (vgl. zu 5564): er war nicht lange aus, blieb nicht lange, zögerte nicht. — 9049 rüeren, hier übertragen und allgemein wie unser: sprengen auch von Fußgängern gesagt wird ; ebenso in V. 16053, in V. 8736 zweifelhaft, da der Marschall auch zu Ross gewesen sein kann. — 9053 dôz stm., Getöse. — 9054 grimme adv., grimmig, wüthend. —
Strana 302
302 XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. als himel und erde viele, und daz der selbe mórtschál verre in daz lant erhal, und Tristan harte sêre erschrac. und alse der trache dô gelac, daz er in tôtén gesach, den giel er ime ûf brách, mit michéler arebeit; ûz dem rachen er im sneit der zungen mit dem swerte der mâze, als er ir gerte; in sînen buosem er si stiez, den giel er wider ze samene liez. 9060 9065 (229) Sus kêrte er gein der wilde hin. daz tete er aber durch den sin: er wolte sich verbergen dâ, den tac geruowen eteswâ und wider komen ze sîner maht und wolte danne hin ze naht ze sînen lantgesellen wider. nu zôch in aber diu hitze nider, die er béidiu von der arebeit und dâ zuo von dem trachen leit, und müedete in sô sêre, daz er iezuo niht mêre und vil kůme mohte leben. nu gesách er eine lachen sweben smal unde mâzlîche grôz, in die von einem velse flôz ein küelez kleinez brunnelîn. dâ viel er alsô gewâfent in und sancte sich unz an den grunt: er lie hie vor niwan den munt. dâ lag er den tac und die naht, wan ime benam al sîne maht diu leide zunge, die er truoc; 9075 9080 9085 9070 9090 9057 mortschal stm., Todesschrei. — 9058 erhellen stv., erhallen, ertönen. — 9068 lâzen, hier wie unser: machen: er machte den Rachen wieder zu. 9072 geruowen swv., verst. ruowen, ausruhen. — 9075 lantgeselle swm., hier: Genofs aus dem Vaterland, Landsmann. — 9079 müeden swv. trans., ermüden. — 9082 sweben, s. zu 888. — 9083 mâzlîche adv., mäsig, nicht. sehr. —
302 XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. als himel und erde viele, und daz der selbe mórtschál verre in daz lant erhal, und Tristan harte sêre erschrac. und alse der trache dô gelac, daz er in tôtén gesach, den giel er ime ûf brách, mit michéler arebeit; ûz dem rachen er im sneit der zungen mit dem swerte der mâze, als er ir gerte; in sînen buosem er si stiez, den giel er wider ze samene liez. 9060 9065 (229) Sus kêrte er gein der wilde hin. daz tete er aber durch den sin: er wolte sich verbergen dâ, den tac geruowen eteswâ und wider komen ze sîner maht und wolte danne hin ze naht ze sînen lantgesellen wider. nu zôch in aber diu hitze nider, die er béidiu von der arebeit und dâ zuo von dem trachen leit, und müedete in sô sêre, daz er iezuo niht mêre und vil kůme mohte leben. nu gesách er eine lachen sweben smal unde mâzlîche grôz, in die von einem velse flôz ein küelez kleinez brunnelîn. dâ viel er alsô gewâfent in und sancte sich unz an den grunt: er lie hie vor niwan den munt. dâ lag er den tac und die naht, wan ime benam al sîne maht diu leide zunge, die er truoc; 9075 9080 9085 9070 9090 9057 mortschal stm., Todesschrei. — 9058 erhellen stv., erhallen, ertönen. — 9068 lâzen, hier wie unser: machen: er machte den Rachen wieder zu. 9072 geruowen swv., verst. ruowen, ausruhen. — 9075 lantgeselle swm., hier: Genofs aus dem Vaterland, Landsmann. — 9079 müeden swv. trans., ermüden. — 9082 sweben, s. zu 888. — 9083 mâzlîche adv., mäsig, nicht. sehr. —
Strana 303
XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. 303 der rouch, der von der an in sluoc, der eine entworhte in garwe an krefte und an der varwe, daz er von dannen niht enkam, unz in diu künigîn dâ nam. 9095 Der truhsæez', alse ich hân gesaget, dér der sâligen maget friunt unde ritter wolte sîn, dem begúnden die gedanke sîn uf swellen harte grôze von des trachen dôze, der alsô griulich und als grôz über wált und über vélt dôz. in sîn herze er allez las, reht’ alse ez ouch ergangen was, und dâhte: «er ist benamen tôt oder áber in sô grôzer nôt, daz ich in mag gewinnen mit eteslîchen sinnen.» von jenen drîn er sich verstal, eine hálden stapfte er hin ze tal und lie wol balde hine gân, hin dâ der schrei dô was getân; und alse er zuo dem orse kam, eine ruowe er ime dâ nam. bî dem sô habte er lange trahtende kleine und ange : (230) in nam der kurzen reise grôz angest unde freise. 9100 9105 9110 9115 9120 Iedoch genante er über lanc und reit als âne sînen danc erschrocken unde herzelôs die rihte hin, dâ er dâ kôs, dáz daz lóup únd daz gras 9125 9093 entwürken swv. anom., auflösen, vernichten. 9118 kleine adv., hier: genau. — 9119 fg. nemen hier wie mich nimet wunder verbunden mit angest: mich ergreift, befällt Angst. — 9120 freise stf., Schrecken. Der Genetiv der kurzen reise ebenso wie bei wunder nemen: wegen der kurzen Reise, über die kurze Reise. 9121 genante præt. von genenden swv., Muth fassen; vgl. zu 18063. — über lanc (adj. neutr.), bald darauf; vgl. zu 11687. —
XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. 303 der rouch, der von der an in sluoc, der eine entworhte in garwe an krefte und an der varwe, daz er von dannen niht enkam, unz in diu künigîn dâ nam. 9095 Der truhsæez', alse ich hân gesaget, dér der sâligen maget friunt unde ritter wolte sîn, dem begúnden die gedanke sîn uf swellen harte grôze von des trachen dôze, der alsô griulich und als grôz über wált und über vélt dôz. in sîn herze er allez las, reht’ alse ez ouch ergangen was, und dâhte: «er ist benamen tôt oder áber in sô grôzer nôt, daz ich in mag gewinnen mit eteslîchen sinnen.» von jenen drîn er sich verstal, eine hálden stapfte er hin ze tal und lie wol balde hine gân, hin dâ der schrei dô was getân; und alse er zuo dem orse kam, eine ruowe er ime dâ nam. bî dem sô habte er lange trahtende kleine und ange : (230) in nam der kurzen reise grôz angest unde freise. 9100 9105 9110 9115 9120 Iedoch genante er über lanc und reit als âne sînen danc erschrocken unde herzelôs die rihte hin, dâ er dâ kôs, dáz daz lóup únd daz gras 9125 9093 entwürken swv. anom., auflösen, vernichten. 9118 kleine adv., hier: genau. — 9119 fg. nemen hier wie mich nimet wunder verbunden mit angest: mich ergreift, befällt Angst. — 9120 freise stf., Schrecken. Der Genetiv der kurzen reise ebenso wie bei wunder nemen: wegen der kurzen Reise, über die kurze Reise. 9121 genante præt. von genenden swv., Muth fassen; vgl. zu 18063. — über lanc (adj. neutr.), bald darauf; vgl. zu 11687. —
Strana 304
304 XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. vor ime abe gesenget was. und kom in kurzer friste, ê danne er sin iht wiste, reht' ûf den trachen, dâ er lac; und er der trúhsâze erschrac als inneclîche sêre, daz er nâch eine kêre zer erden hâté genomen, durch daz er ime sô bî was komen und ime sô nâhén gereit. nu was er aber zehant bereit, daz ors warf er sô balde wider, daz er mit dem orse nider ze einem hûfén gelac. nu er sich wider ûf gewac (ich meine von der erden), done móhte im state niht werden vor vorhten, die er hæte, daz er sô vil getæte, daz er üf daz ors gesæze: der leide trúhséze er liez ez stân únde flôch. dô ime dô niemen nách zôch, do gestúont er unde sleich dô wider, nâch sînem spere greif er nider, daz ors er bî dem zügele nam, z' einem rónen er gezogen kam, ûf daz órs ér gesaz, sînes schaden er vergaz, er sprancte verre dort hin dan und sach her wider den trachen an, waz ámpare er hæte, ob er lébete oder entæte. 9130 9135 9140 9145 9150 9155 (231) Nu er in tôtén ersach, «heil, obe got will» er dô sprach «hie ist âventiure funden: ich bin ze guoten stunden und ze heile komen her.» 9160 9140 ûf gewegen, aufwärts bewegen, erheben. — 9143 vorhte im Mhd. öfters im Plural, nhd. nur: vor Furcht. — 9152 rone swm., Klotz, abgehauener Baumstrunk. — 9157 ampœre (aus ant-bœre) stf., Aussehen.
304 XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. vor ime abe gesenget was. und kom in kurzer friste, ê danne er sin iht wiste, reht' ûf den trachen, dâ er lac; und er der trúhsâze erschrac als inneclîche sêre, daz er nâch eine kêre zer erden hâté genomen, durch daz er ime sô bî was komen und ime sô nâhén gereit. nu was er aber zehant bereit, daz ors warf er sô balde wider, daz er mit dem orse nider ze einem hûfén gelac. nu er sich wider ûf gewac (ich meine von der erden), done móhte im state niht werden vor vorhten, die er hæte, daz er sô vil getæte, daz er üf daz ors gesæze: der leide trúhséze er liez ez stân únde flôch. dô ime dô niemen nách zôch, do gestúont er unde sleich dô wider, nâch sînem spere greif er nider, daz ors er bî dem zügele nam, z' einem rónen er gezogen kam, ûf daz órs ér gesaz, sînes schaden er vergaz, er sprancte verre dort hin dan und sach her wider den trachen an, waz ámpare er hæte, ob er lébete oder entæte. 9130 9135 9140 9145 9150 9155 (231) Nu er in tôtén ersach, «heil, obe got will» er dô sprach «hie ist âventiure funden: ich bin ze guoten stunden und ze heile komen her.» 9160 9140 ûf gewegen, aufwärts bewegen, erheben. — 9143 vorhte im Mhd. öfters im Plural, nhd. nur: vor Furcht. — 9152 rone swm., Klotz, abgehauener Baumstrunk. — 9157 ampœre (aus ant-bœre) stf., Aussehen.
Strana 305
XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. 305 hie mite sô neigete er daz sper, mit dem zügel er hancte, er híu únde sprancte und lie hin gân punieren, punierende crôîeren: «schevelier damoisêle, ma blunde Isôt, ma bêle!» er stach ûf in mit solher kraft, der starke éschîne schaft daz er im durch die hânt réit. daz er ab dô niht mêre streit, daz liez er niuwan durch den list: er dâhte: «op dirre in lebene ist, der disen trachen hât erslagen, sone kán ez mich niht vür getragen, daz ich hie mite hân ûf geleit.» er kêrte dannen unde reit und suochte hér únde hin ûf den gedingen, obe er in iender hæte funden sô müeden oder sô wunden, daz ime der strît töhte und mit im strîten möhte, daz er'n erslagen wolte haben und in erslagenén begraben. und alse er sîn dô niht envant, «lâ, hêrre, varn!» dâht' er zehant, «sweder er lebe oder entuo, bin ich der êrsté derzuo; mich enwîset niemán dervan: ich bin gefriunt únde geman, sô wert und sô genæme, swer sich es an genæme, der hæte doch dar an verlorn.» er lie hin rîten gân mit sporn 9170 9175 9180 9185 9190 9195 9165 9165 hancte præt. von hengen swv., hängen lassen, insbesondere den Zügel; hier tritt mit dem zügel hinzu; die Wendung etwa: er sprengte daher mit verhängtem Zügel. — 9169 damoiséle = demoiselle. — 9170 ma = neufr. — 9173 rîten stv., (reiten), hier intrans. wie unser : fahren ; im Worte liegt der Begriff des Gewaltsamen: dringen; vgl. zu 2565. — 9182 ûf den gedingen, auf die Hoffnung hin, in der Hoffnung. — 9183 iender adv., irgendwo. — 9194 gefriunt adj., befreundet, im Besitz von Freunden. — geman adj. ebenso gebildet, eigentlich: bemannt, im Besitze von Mannen; ein anderes geman in V. 17298. — GOTTFRIED VON STRASSBURG. I. 2. Aufl. 20
XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. 305 hie mite sô neigete er daz sper, mit dem zügel er hancte, er híu únde sprancte und lie hin gân punieren, punierende crôîeren: «schevelier damoisêle, ma blunde Isôt, ma bêle!» er stach ûf in mit solher kraft, der starke éschîne schaft daz er im durch die hânt réit. daz er ab dô niht mêre streit, daz liez er niuwan durch den list: er dâhte: «op dirre in lebene ist, der disen trachen hât erslagen, sone kán ez mich niht vür getragen, daz ich hie mite hân ûf geleit.» er kêrte dannen unde reit und suochte hér únde hin ûf den gedingen, obe er in iender hæte funden sô müeden oder sô wunden, daz ime der strît töhte und mit im strîten möhte, daz er'n erslagen wolte haben und in erslagenén begraben. und alse er sîn dô niht envant, «lâ, hêrre, varn!» dâht' er zehant, «sweder er lebe oder entuo, bin ich der êrsté derzuo; mich enwîset niemán dervan: ich bin gefriunt únde geman, sô wert und sô genæme, swer sich es an genæme, der hæte doch dar an verlorn.» er lie hin rîten gân mit sporn 9170 9175 9180 9185 9190 9195 9165 9165 hancte præt. von hengen swv., hängen lassen, insbesondere den Zügel; hier tritt mit dem zügel hinzu; die Wendung etwa: er sprengte daher mit verhängtem Zügel. — 9169 damoiséle = demoiselle. — 9170 ma = neufr. — 9173 rîten stv., (reiten), hier intrans. wie unser : fahren ; im Worte liegt der Begriff des Gewaltsamen: dringen; vgl. zu 2565. — 9182 ûf den gedingen, auf die Hoffnung hin, in der Hoffnung. — 9183 iender adv., irgendwo. — 9194 gefriunt adj., befreundet, im Besitz von Freunden. — geman adj. ebenso gebildet, eigentlich: bemannt, im Besitze von Mannen; ein anderes geman in V. 17298. — GOTTFRIED VON STRASSBURG. I. 2. Aufl. 20
Strana 306
306 XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. (232) ze sînem strîtgesellen wider und erbeizete dâ zer erden nider. an sînen strît er wider vie reht' an der stat, dâ er in lie: mit dem swerte, daz er truoc, dâ mite gebecte er unde gesluoc den vînt sô vil wâ unde wâ, biz er'n verschriet dâ unde dâ. genuoc versuochte er’z an den kragen: den hate er'm gerne abe geslagen; dô was er sô herte und sô grôz, daz in der arebeit verdrôz. über éinen ronen brach er daz sper: daz vorder stucke daz stach er dem trachen ze dem gorgen în, als ez ein tjoste solte sîn. 9200 9205 9210 Uf sînen spanjôl saz er dô: er begunde frôlîch unde frô ze Weisefort in rüeren und hiez balde ûz füeren vier pfärt und einen kánzwágen, der daz houbet solte tragen; und seite in allen mære, wie ime gelungen ware und waz er angeste hie mite und kumberlîcher noete lite. «jâ hêrre, al diu werlt» sprach er «diu enbiete niuwan ôre her, betrahte und sehe daz wunder an, waz der gehérzéte man und der gestándéne muot 9220 9225 9215 9199 strîtgeselle swm., Kampfgenof (wird hier der Drache scherzweise ge- nannt); in V. 6985 nicht: Gegner, sondern: Mitstreiter. — 9201 an ist præp.; s. zu 696. — 9204 gebecte præt. von gebecken swv., stechen; in ge- die Function der Wiederholung. — 9206 verschrôten stv. (s. zu 2906), zer- hauen, zerhacken. — dâ unde dà, da und dort, hier und da. — 9210 mich verdriuzet mit gen., ich werde einer Sache überdrüssig. — 9211 einen ronen nach W (M fehlt, H und F haben fem. eine r.). — 9214 tjoste stf., Fremd- wort, franz. joste, juste, lat. juxta, Speerzweikampf; hier: der Speerstofs. 9215 spanjôl stm., Spanier, spanisches Ross; vgl. 5364. — 9219 kanz- wagen stm., Rüstwagen, Lastwagen. — 9223 angest hier im Plural, (Angste), Gefahren. — 9228 geherzet part. (von herzen, geherzen 6152) adj., ermuthigt, entsprechend unserm: beherzt; vgl. 11337 und zu 118; daneben braucht Gottfried geherze adj. 13343. — 9229 gestanden part. adj., hier bei einem Abstractum, kann hier nur: standhaft bedeuten; vgl. zu 6488. —
306 XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. (232) ze sînem strîtgesellen wider und erbeizete dâ zer erden nider. an sînen strît er wider vie reht' an der stat, dâ er in lie: mit dem swerte, daz er truoc, dâ mite gebecte er unde gesluoc den vînt sô vil wâ unde wâ, biz er'n verschriet dâ unde dâ. genuoc versuochte er’z an den kragen: den hate er'm gerne abe geslagen; dô was er sô herte und sô grôz, daz in der arebeit verdrôz. über éinen ronen brach er daz sper: daz vorder stucke daz stach er dem trachen ze dem gorgen în, als ez ein tjoste solte sîn. 9200 9205 9210 Uf sînen spanjôl saz er dô: er begunde frôlîch unde frô ze Weisefort in rüeren und hiez balde ûz füeren vier pfärt und einen kánzwágen, der daz houbet solte tragen; und seite in allen mære, wie ime gelungen ware und waz er angeste hie mite und kumberlîcher noete lite. «jâ hêrre, al diu werlt» sprach er «diu enbiete niuwan ôre her, betrahte und sehe daz wunder an, waz der gehérzéte man und der gestándéne muot 9220 9225 9215 9199 strîtgeselle swm., Kampfgenof (wird hier der Drache scherzweise ge- nannt); in V. 6985 nicht: Gegner, sondern: Mitstreiter. — 9201 an ist præp.; s. zu 696. — 9204 gebecte præt. von gebecken swv., stechen; in ge- die Function der Wiederholung. — 9206 verschrôten stv. (s. zu 2906), zer- hauen, zerhacken. — dâ unde dà, da und dort, hier und da. — 9210 mich verdriuzet mit gen., ich werde einer Sache überdrüssig. — 9211 einen ronen nach W (M fehlt, H und F haben fem. eine r.). — 9214 tjoste stf., Fremd- wort, franz. joste, juste, lat. juxta, Speerzweikampf; hier: der Speerstofs. 9215 spanjôl stm., Spanier, spanisches Ross; vgl. 5364. — 9219 kanz- wagen stm., Rüstwagen, Lastwagen. — 9223 angest hier im Plural, (Angste), Gefahren. — 9228 geherzet part. (von herzen, geherzen 6152) adj., ermuthigt, entsprechend unserm: beherzt; vgl. 11337 und zu 118; daneben braucht Gottfried geherze adj. 13343. — 9229 gestanden part. adj., hier bei einem Abstractum, kann hier nur: standhaft bedeuten; vgl. zu 6488. —
Strana 307
XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. 307 (233) durch liebes wîbes willen tuot ! daz ich der nôt, in der ich was, ie dannen kom und ie genas, des wundert unde wundert mich und weiz ouch wol benamen, war’ ich senft' alse ein ander man gewesen, i'ne wére niemér genesen. i’ne wéiz niht, wer er wæere: ein âventíuraére, der ouch nâch âventiure reit, der was ze sîner véichéit ê danne ich koeme, zuo z'im komen, der hât sîn ende dâ genomen. got hæte sîn vergezzen: sî sint beidiu vrezzen, ros unde man ist allez mort. daz ros daz lît noch halbez dort zekuwen unde besenget. waz töhte ez iu gelenget? ich hân mê noete erliten hie mite, dan dehéin man ie durch wîp erlite.» sîne friunt er alle zuo sich nam, ze dem serpande er wider kam und zeigete in sîn wunder. er bat ouch al besunder, daz sî der wârheit jæhen, als sî si dâ gesæhen. daz houbet fuorte er mit im dan. sîne mâge und sîne man die ladte er, die besander, nâch dem künege rander und mante in sîner sicherheit. der rede wart ein tac geleit ze Weiseforte vür daz lant. hie mite sô wart daz lant besant, 9235 9240 9245 9250 9255 9260 9230 9238 aventiurœre stm. entspricht hier ziemlich unserm: Abenteurer, welches in Verbindung mit der folgenden Zeile ein neuerer Dichter ebenso brau- chen könnte; sonst hat das Wort in der Regel bei uns übeln Nebensinn. — 9240 veicheit stf., (Feigheit), Unheil; vgl. zu 1674. — 9245 mort adj. hier Fremdwort, todt; vgl. zu 5488. — 9247 zekuwen part. von zekiuwen stv., (zerkauen), zerbeißen. — besengen swv. = versengen. — 9262 tac legen, Termin festsetzen. — der rede ist Genitiv : wegen der Sache, dazu, darauf- hin. — 9264 lant zusammenfassend für : die Landbewohner mit der im Fol- genden gleich angemerkten Bedeutung: die landsässigen Herren. — 20*
XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. 307 (233) durch liebes wîbes willen tuot ! daz ich der nôt, in der ich was, ie dannen kom und ie genas, des wundert unde wundert mich und weiz ouch wol benamen, war’ ich senft' alse ein ander man gewesen, i'ne wére niemér genesen. i’ne wéiz niht, wer er wæere: ein âventíuraére, der ouch nâch âventiure reit, der was ze sîner véichéit ê danne ich koeme, zuo z'im komen, der hât sîn ende dâ genomen. got hæte sîn vergezzen: sî sint beidiu vrezzen, ros unde man ist allez mort. daz ros daz lît noch halbez dort zekuwen unde besenget. waz töhte ez iu gelenget? ich hân mê noete erliten hie mite, dan dehéin man ie durch wîp erlite.» sîne friunt er alle zuo sich nam, ze dem serpande er wider kam und zeigete in sîn wunder. er bat ouch al besunder, daz sî der wârheit jæhen, als sî si dâ gesæhen. daz houbet fuorte er mit im dan. sîne mâge und sîne man die ladte er, die besander, nâch dem künege rander und mante in sîner sicherheit. der rede wart ein tac geleit ze Weiseforte vür daz lant. hie mite sô wart daz lant besant, 9235 9240 9245 9250 9255 9260 9230 9238 aventiurœre stm. entspricht hier ziemlich unserm: Abenteurer, welches in Verbindung mit der folgenden Zeile ein neuerer Dichter ebenso brau- chen könnte; sonst hat das Wort in der Regel bei uns übeln Nebensinn. — 9240 veicheit stf., (Feigheit), Unheil; vgl. zu 1674. — 9245 mort adj. hier Fremdwort, todt; vgl. zu 5488. — 9247 zekuwen part. von zekiuwen stv., (zerkauen), zerbeißen. — besengen swv. = versengen. — 9262 tac legen, Termin festsetzen. — der rede ist Genitiv : wegen der Sache, dazu, darauf- hin. — 9264 lant zusammenfassend für : die Landbewohner mit der im Fol- genden gleich angemerkten Bedeutung: die landsässigen Herren. — 20*
Strana 308
308 XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. die lantbarûne die mein' ich. nu die bereiten alle sich, als in von hove was getaget. 9265 (234) Nu wart ouch al zehant gesaget ze hove den frouwen mære. die marter und die swære, die si álle hâtén dâ van, dien’ gesách an frouwen nie kein man. diu süeze maget, diu schoene Isôt, diu was reht’ in ir herzen tôt : sô leiden tac si nie gesach. Isôt ir muoter zuo ir sprach: «nein, schoeniu tohter, nein, lâ stân, lâ dir ez niht sô nâhen gân; wan sweder ez mit der wârhéit oder áber mit lüge ist ûf geleit, wir suln ez doch wol undervarn ; ouch sol uns got dervor bewarn. niht weine, tohter mîne : diu klâren ougen dîne diu ensûlen niemer werden rôt umb' alsô swächlîche nôt.» «â muoter», sprach diu schoene «frouwe, niene gehone dîne gebúrt únde dich. ê ich es gevolge, sô stich' ich reht' in mîn herze ein mezzer ê; ê sîn wille an mir ergê, ich nim mir selber ê den lîp. ern gewinnet niemer wîp noch frouwen an Isôte, ern habe mich danne tôte.» «nein, schoeniu tohter, fürhte niht : swes er od iemen hie von giht, daz ist allez samet verlorn; und hæte es al diu werlt gesworn, ern wirdet niemér dîn man.» 9275 9280 9285 9290 9295 9270 9300 9267 tagen = tac legen, bestimmen. 9277 la stân, hier anders als in V. 2792: laf es gehen, etwa = unserm : laß es gut sein. — 9281 undervarn mit acc., hintertreiben, hindern; vgl. zu 9529. — 9286 swächlîch adj., gering. — 9288 gehœnen swv., verst. hœnen, (verhöhnen), beschimpfen. — 9290 gevolgen mit gen., in einer Sache nach- geben. — 9299 verlorn part. adj. = unangewandt, vergeblich.
308 XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. die lantbarûne die mein' ich. nu die bereiten alle sich, als in von hove was getaget. 9265 (234) Nu wart ouch al zehant gesaget ze hove den frouwen mære. die marter und die swære, die si álle hâtén dâ van, dien’ gesách an frouwen nie kein man. diu süeze maget, diu schoene Isôt, diu was reht’ in ir herzen tôt : sô leiden tac si nie gesach. Isôt ir muoter zuo ir sprach: «nein, schoeniu tohter, nein, lâ stân, lâ dir ez niht sô nâhen gân; wan sweder ez mit der wârhéit oder áber mit lüge ist ûf geleit, wir suln ez doch wol undervarn ; ouch sol uns got dervor bewarn. niht weine, tohter mîne : diu klâren ougen dîne diu ensûlen niemer werden rôt umb' alsô swächlîche nôt.» «â muoter», sprach diu schoene «frouwe, niene gehone dîne gebúrt únde dich. ê ich es gevolge, sô stich' ich reht' in mîn herze ein mezzer ê; ê sîn wille an mir ergê, ich nim mir selber ê den lîp. ern gewinnet niemer wîp noch frouwen an Isôte, ern habe mich danne tôte.» «nein, schoeniu tohter, fürhte niht : swes er od iemen hie von giht, daz ist allez samet verlorn; und hæte es al diu werlt gesworn, ern wirdet niemér dîn man.» 9275 9280 9285 9290 9295 9270 9300 9267 tagen = tac legen, bestimmen. 9277 la stân, hier anders als in V. 2792: laf es gehen, etwa = unserm : laß es gut sein. — 9281 undervarn mit acc., hintertreiben, hindern; vgl. zu 9529. — 9286 swächlîch adj., gering. — 9288 gehœnen swv., verst. hœnen, (verhöhnen), beschimpfen. — 9290 gevolgen mit gen., in einer Sache nach- geben. — 9299 verlorn part. adj. = unangewandt, vergeblich.
Strana 309
XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. 309 (235) Und alse ez náhtén began, diu wîse frâgete unde sprach umbe ir tohter ungemach ir tougenlîche liste, von den si wunder wiste, daz si in ir troume gesach daz ez niht alsô geschach, alsô der lantschal sagete. und iesâ dô ez tagete, si rief Isôte und sprach ir zuo : «â süeziu tohter, wachest duo?" «jâ», sprach si «frouwe muoter mîn.» «nu lâ dîn ángésten sîn; ich wil dir liebiu maere sagen: ern hât den trachen niht erslagen; swaz âventiure in her getruoc, er ist ein gast, der in dâ sluoc. wol uf, wir suln vil balde dar, der maere selbe nemen war. Brangæne, stant ûf lise und sage uns Paranîse, daz er uns satele schiere: wir müezen varn wir viere, ich und mîn tohter, dû und er; und bringe er uns diu pfärit her, so ez schíeréste müge sîn, vür unser hâltürlîn, dâ der bóumgárte hin ze velde warte.» 9305 9310 9315 9320 9325 9330 Nu diz waz álléz gereit, diu rotte saz ûf unde reit des endes, dâ si hôrten sagen, daz der trache was erslagen. nu sî daz órs fúnden, daz geréite si begunden 9335 9303 sprechen hier mit acc. eines Abstractums: sich besprechen, be- fragen. — 9305 tougenlîche liste, geheimnissvolle Künste, Zauberkünste; ge- meint ist insbesondere: die Wahrsagekunst. — 9309 lantschal stm. = lant- more, allgemeines Gerücht. — 9314 angesten subst. inf. stn., Angstigen, Angst (hier in unserm Sinne). — 9322 sagen mit dat. der Person und acc. der Person nicht mehr gebräuchlich: ansagen, melden. — 9328 hâltürlîn stn., verborgenes Pförtlein. — 9330 warten swv., ausschauen (2498) mit der Bedeutung: Richtung nehmen, hinliegen. — 9336 gereite stn., Reitzeug.
XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. 309 (235) Und alse ez náhtén began, diu wîse frâgete unde sprach umbe ir tohter ungemach ir tougenlîche liste, von den si wunder wiste, daz si in ir troume gesach daz ez niht alsô geschach, alsô der lantschal sagete. und iesâ dô ez tagete, si rief Isôte und sprach ir zuo : «â süeziu tohter, wachest duo?" «jâ», sprach si «frouwe muoter mîn.» «nu lâ dîn ángésten sîn; ich wil dir liebiu maere sagen: ern hât den trachen niht erslagen; swaz âventiure in her getruoc, er ist ein gast, der in dâ sluoc. wol uf, wir suln vil balde dar, der maere selbe nemen war. Brangæne, stant ûf lise und sage uns Paranîse, daz er uns satele schiere: wir müezen varn wir viere, ich und mîn tohter, dû und er; und bringe er uns diu pfärit her, so ez schíeréste müge sîn, vür unser hâltürlîn, dâ der bóumgárte hin ze velde warte.» 9305 9310 9315 9320 9325 9330 Nu diz waz álléz gereit, diu rotte saz ûf unde reit des endes, dâ si hôrten sagen, daz der trache was erslagen. nu sî daz órs fúnden, daz geréite si begunden 9335 9303 sprechen hier mit acc. eines Abstractums: sich besprechen, be- fragen. — 9305 tougenlîche liste, geheimnissvolle Künste, Zauberkünste; ge- meint ist insbesondere: die Wahrsagekunst. — 9309 lantschal stm. = lant- more, allgemeines Gerücht. — 9314 angesten subst. inf. stn., Angstigen, Angst (hier in unserm Sinne). — 9322 sagen mit dat. der Person und acc. der Person nicht mehr gebräuchlich: ansagen, melden. — 9328 hâltürlîn stn., verborgenes Pförtlein. — 9330 warten swv., ausschauen (2498) mit der Bedeutung: Richtung nehmen, hinliegen. — 9336 gereite stn., Reitzeug.
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310 XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. (236) bemerken unde betrahten und in ir sinnen ahten, sin' gesâhen nie ze Irlande gereite solher hande, und kômen állé dar an, swer sô er waré der man, den daz ors dar trüege, daz der den trachen slüege. vürbaz riten si dô zehant und kômen ûf den sérpánt. nu was des tiuvéls genôz als ungehiure und alse grôz, diu liehte fröuwîne schar daz diu wart alse ein tôte var vor ángesten, dô si in ersach. diu muoter aber zer tohter sprach: «ei wie sicher ich es bin, der truhsæze daz er in ie getórsté bestân! wir mugen ez âne sorge lân; und zwâre, tohter Isôt, dirre mán sî lebende oder tôt, mich andet sêre, daz er sî verborgen eteswâ hie bî: ez wîsaget mir mîn muot. von dannen, dunket ez dich guot, sô kêren an die suoche, ob unser got sô ruoche, daz wir in etswâ vinden und mit im überwinden die grundelôsen herzenôt, diu uns beswæret alse der tôt.» des berieten si sich schiere: 9340 9345 9350 9355 9360 9365 9337 bemerken swv., prüfen. — 9355 ie, hier = nie. — 9356 ez âne sorge lan, “wegen etwas unbesorgt sein ". Groote ; ebenso Hagen ; « deshalb unbeküm- mert bleiben". Mhd. Wb. Das ist allerdings ziemlich der Sinn, aber es ist wohl keine bestimmte Redensart anzunehmen wie âne nît, âne hat lân, sondern lân hier = aufgeben, auf sich beruhen lassen. — 9359 mich andet (Hs. H und W ; M liest dunchet) = anet (Hs. F), ahnt (neuerdings häufiger : mir ahnt als: mich ahnt). — 9362 von dannen, hier causal: darum, des- halb; vgl. zu 1618. 4227. — 9364 ruochen swv. mit gen., um etwas besorgt sein, sich annehmen, in der Verbindung mit got etwa entsprechend unserm : gnädig sein. — 9367 grundelôs adv. hat nicht wie das nhd. Wort die dop- pelte Bedeutung: ohne Grund, ohne Anlass und zugleich: bodenlos, son- dern nur die letztere = ungemein tief. —
310 XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. (236) bemerken unde betrahten und in ir sinnen ahten, sin' gesâhen nie ze Irlande gereite solher hande, und kômen állé dar an, swer sô er waré der man, den daz ors dar trüege, daz der den trachen slüege. vürbaz riten si dô zehant und kômen ûf den sérpánt. nu was des tiuvéls genôz als ungehiure und alse grôz, diu liehte fröuwîne schar daz diu wart alse ein tôte var vor ángesten, dô si in ersach. diu muoter aber zer tohter sprach: «ei wie sicher ich es bin, der truhsæze daz er in ie getórsté bestân! wir mugen ez âne sorge lân; und zwâre, tohter Isôt, dirre mán sî lebende oder tôt, mich andet sêre, daz er sî verborgen eteswâ hie bî: ez wîsaget mir mîn muot. von dannen, dunket ez dich guot, sô kêren an die suoche, ob unser got sô ruoche, daz wir in etswâ vinden und mit im überwinden die grundelôsen herzenôt, diu uns beswæret alse der tôt.» des berieten si sich schiere: 9340 9345 9350 9355 9360 9365 9337 bemerken swv., prüfen. — 9355 ie, hier = nie. — 9356 ez âne sorge lan, “wegen etwas unbesorgt sein ". Groote ; ebenso Hagen ; « deshalb unbeküm- mert bleiben". Mhd. Wb. Das ist allerdings ziemlich der Sinn, aber es ist wohl keine bestimmte Redensart anzunehmen wie âne nît, âne hat lân, sondern lân hier = aufgeben, auf sich beruhen lassen. — 9359 mich andet (Hs. H und W ; M liest dunchet) = anet (Hs. F), ahnt (neuerdings häufiger : mir ahnt als: mich ahnt). — 9362 von dannen, hier causal: darum, des- halb; vgl. zu 1618. 4227. — 9364 ruochen swv. mit gen., um etwas besorgt sein, sich annehmen, in der Verbindung mit got etwa entsprechend unserm : gnädig sein. — 9367 grundelôs adv. hat nicht wie das nhd. Wort die dop- pelte Bedeutung: ohne Grund, ohne Anlass und zugleich: bodenlos, son- dern nur die letztere = ungemein tief. —
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XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. 311 die geréisen alle viere, si riten von ein ander sâ, diu suochte hie und disiu dâ. 9370 Nu ergieng ez, alse ez solte und alse der billîch wolte, diu junge künigîn Isôt daz sî ir leben unde ir tôt, ir wunne unde ir ungemach ze allerêrsté gesach. von sînem helme gienc ein glast, der vermeldete ir den gast. nu sî des helmes wart gewar, si kêrte und rief ir muoter dar: «frouw', ile, rît her nâher baz! ich sihe dort glesten, i’ne weiz waz: ez ist reht' alse ein helm getân; ich wæne in rehte ersehen hân.» «entriuwen», sprach diu muoter dô «mich selben dunket ouch alsô. got der wil unser ruochen: ich wæne, den wir suochen, daz wir den haben funden." sus riefen s' an den stunden den andéren zwein zuo z'in und riten alle viere hin. 9375 9380 9385 9390 (237) Nu sî im begunden nâhen und in sô ligen sâhen, nu wânden s' alle, er ware tôt. «er ist tôt !» sprach ieweder Isôt «unsèr gedinge der ist hin. der truhsâéze der hât in mortlîche ermordet unde erslagen und hât in in diz mos getragen.» si erbéizeten alle viere 9395 9400 9370 gereise swm. (gebildet wie geselle, gesinde, geverte), eigentlich: der Mitreisende, der Gefährte. 9374 billîch stm. (s. zu 6429), hier etwa: Schicksal; ähnliche Wendung in V. 10062. — 9378 nicht : zum allerersten Male in ihrem Leben sah (denn sie hat ihn ja schon gesehen), sondern: zuerst beim Nachsuchen, vor den andern, ersah, fand. — 9379 glast stm., Glanz (mit dem aber glast sprach- lich nicht zusammenhängt). [glast in moderner Dichtung noch hier und da gebraucht]; Gottfried hat daneben auch gleste stf. 17071. 9398 ieweder pron., jeder von beiden (in der Bedeutung, nicht in der Form = ietweder). — 9402 mos stn., (Moos), Sumpf, Pfütze. —
XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. 311 die geréisen alle viere, si riten von ein ander sâ, diu suochte hie und disiu dâ. 9370 Nu ergieng ez, alse ez solte und alse der billîch wolte, diu junge künigîn Isôt daz sî ir leben unde ir tôt, ir wunne unde ir ungemach ze allerêrsté gesach. von sînem helme gienc ein glast, der vermeldete ir den gast. nu sî des helmes wart gewar, si kêrte und rief ir muoter dar: «frouw', ile, rît her nâher baz! ich sihe dort glesten, i’ne weiz waz: ez ist reht' alse ein helm getân; ich wæne in rehte ersehen hân.» «entriuwen», sprach diu muoter dô «mich selben dunket ouch alsô. got der wil unser ruochen: ich wæne, den wir suochen, daz wir den haben funden." sus riefen s' an den stunden den andéren zwein zuo z'in und riten alle viere hin. 9375 9380 9385 9390 (237) Nu sî im begunden nâhen und in sô ligen sâhen, nu wânden s' alle, er ware tôt. «er ist tôt !» sprach ieweder Isôt «unsèr gedinge der ist hin. der truhsâéze der hât in mortlîche ermordet unde erslagen und hât in in diz mos getragen.» si erbéizeten alle viere 9395 9400 9370 gereise swm. (gebildet wie geselle, gesinde, geverte), eigentlich: der Mitreisende, der Gefährte. 9374 billîch stm. (s. zu 6429), hier etwa: Schicksal; ähnliche Wendung in V. 10062. — 9378 nicht : zum allerersten Male in ihrem Leben sah (denn sie hat ihn ja schon gesehen), sondern: zuerst beim Nachsuchen, vor den andern, ersah, fand. — 9379 glast stm., Glanz (mit dem aber glast sprach- lich nicht zusammenhängt). [glast in moderner Dichtung noch hier und da gebraucht]; Gottfried hat daneben auch gleste stf. 17071. 9398 ieweder pron., jeder von beiden (in der Bedeutung, nicht in der Form = ietweder). — 9402 mos stn., (Moos), Sumpf, Pfütze. —
Strana 312
312 XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. und hæten in vil schiere her ûz gezogen an daz lant. den helm entstricten sî im zehant und stricten ime die kuppen dan. diu wîse Isôt diu sach in an und sach wol, daz er lebete, und aber sîn leben klebete kûm' alse an einem hâre. «er lebet», sprach sî «zewàre : nu balde entwâfénet in ! ist, daz ich alse sælic bin, daz er niht vérchwúnden hât, sô mag es alles werden rât.» 9405 9410 9415 Die schonen alle drie, diu liehte cumpanîe, dô sî den éllénden mit snêwizen henden entwâfén begunden, die zungen sî dâ funden. «sich, warte», sprach diu künigîn «waz ist diz oder waz mac daz sîn?" Brangæne, hövesche niftel, sprich!» «ez ist ein zunge, dunket mich.» «du sprichest wâr, Brangæne: mich dunket unde ich wæne, sô was ouch sî des trachen: unser sâlde diu wil wachen. herzetohter, schœne Isôt, ich weiz ez wârez alse den tôt, wir sîn zer rehten verte komen: diu zunge hât ouch ime benomen béidiu kráft únde sin.» hie mite entwâfénten s' in und dô si an ime niht funden 9420 9425 9430 9435 9406 entstricken swv., aufknüpfen. — 9407 stricken dan (= weg) dasselbe was entstricken. — 9415 verchwunde swf., Wunde die ans Leben (verch stn.) geht, insofern : Todwunde. 9423 warte imper. wie noch in Mundarten = schau. — 9425 niftel (fem. zu neve, Neffe) swf., Nichte (dies eine niederdeutsche Form), aber nicht immer im heutigen engen Sinne von: Tochter der Schwester oder auch des Bruders, sondern überhaupt: Verwandte mütterlicherseits. Wie Bran- gæne mit dem Königshause verwandt ist, erfahren wir nicht. — 9430 hier streift sœlde an die Personification. —
312 XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. und hæten in vil schiere her ûz gezogen an daz lant. den helm entstricten sî im zehant und stricten ime die kuppen dan. diu wîse Isôt diu sach in an und sach wol, daz er lebete, und aber sîn leben klebete kûm' alse an einem hâre. «er lebet», sprach sî «zewàre : nu balde entwâfénet in ! ist, daz ich alse sælic bin, daz er niht vérchwúnden hât, sô mag es alles werden rât.» 9405 9410 9415 Die schonen alle drie, diu liehte cumpanîe, dô sî den éllénden mit snêwizen henden entwâfén begunden, die zungen sî dâ funden. «sich, warte», sprach diu künigîn «waz ist diz oder waz mac daz sîn?" Brangæne, hövesche niftel, sprich!» «ez ist ein zunge, dunket mich.» «du sprichest wâr, Brangæne: mich dunket unde ich wæne, sô was ouch sî des trachen: unser sâlde diu wil wachen. herzetohter, schœne Isôt, ich weiz ez wârez alse den tôt, wir sîn zer rehten verte komen: diu zunge hât ouch ime benomen béidiu kráft únde sin.» hie mite entwâfénten s' in und dô si an ime niht funden 9420 9425 9430 9435 9406 entstricken swv., aufknüpfen. — 9407 stricken dan (= weg) dasselbe was entstricken. — 9415 verchwunde swf., Wunde die ans Leben (verch stn.) geht, insofern : Todwunde. 9423 warte imper. wie noch in Mundarten = schau. — 9425 niftel (fem. zu neve, Neffe) swf., Nichte (dies eine niederdeutsche Form), aber nicht immer im heutigen engen Sinne von: Tochter der Schwester oder auch des Bruders, sondern überhaupt: Verwandte mütterlicherseits. Wie Bran- gæne mit dem Königshause verwandt ist, erfahren wir nicht. — 9430 hier streift sœlde an die Personification. —
Strana 313
XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. 313 weder slege noch wunden, dô wâren s' alle samet frô. driakel nam diu wîse dô diu lístíge künigîn und flôzte im der alsô vil în, biz daz er switzén began. «er wil genesen", sprach sî «der man, der tampf gerûmet schiere hie, der von der zungen an in gie, sô mag er sprechen unde ûf sehen.» daz was ouch schieré geschehen: er lag unlange, unz ez geschach, daz er béidiu ûf und umbe sach. Nu er der sâligen schar bi ime und umbe in wart gewar, er gedâhte in sînem muote: «â hêrre got der guote, du hâst mîn unvergezzen: mich hânt driu lieht besezzen, diu besten, die diu wérlt hât, maneges herzen fröude und rât und maneges ougen wunne: Isôt diu liehte sunne und ouch ir muoter Isôt der frôliche morgenrôt, diu stolze Brángáne daz schone vólmáne.» hie mite genante er unde sprach kům' unde kůmeclîchen: «ach, wer sît ir unde wâ bin ich ?" «â ritter, mahtu sprechen? sprich! wir helfen dir ze dîner nôt!» 9445 9450 9455 9460 9465 (238) 9440 9440 driakel stm., Theriak. — 9441 listic adj., hier: kenntnissreich. 9442 der ist Genitiv pl. auf drîakel bezogen ; somit wurde der Theriak in einzelnen Dosen gereicht. — 9445 gerûmen swv., verst. rûmen, intrans., (räumen), den Raum verlassen, sich entfernen, schverwinden. 9455 unvergezzen eigentlich adj. part., aber hier participial = niht ver- gezzen, darum auch mîn. — 9456 besitzen stv., hier bildlich: belagern (vgl. zu 383), umgeben. — 9464 volmane stn., Vollmond; so nennt der Dichter im Gegensatze zu der lichten sunne, zur Isolt, Brangæne öfters z. B. 11086. 11513. Ein neuerer Dichter würde dieses Bild, weil es leicht eine komische Wirkung hervorbringen kann , vermeiden und Brangæne lieber mit einem Sterne vergleichen; der mâne wird als Bild ruhiger Klarheit in der älteren Poesie häufiger verwendet; in der neueren knüpft sich an den Mond leicht ein Zug der Sentimentalität. —
XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. 313 weder slege noch wunden, dô wâren s' alle samet frô. driakel nam diu wîse dô diu lístíge künigîn und flôzte im der alsô vil în, biz daz er switzén began. «er wil genesen", sprach sî «der man, der tampf gerûmet schiere hie, der von der zungen an in gie, sô mag er sprechen unde ûf sehen.» daz was ouch schieré geschehen: er lag unlange, unz ez geschach, daz er béidiu ûf und umbe sach. Nu er der sâligen schar bi ime und umbe in wart gewar, er gedâhte in sînem muote: «â hêrre got der guote, du hâst mîn unvergezzen: mich hânt driu lieht besezzen, diu besten, die diu wérlt hât, maneges herzen fröude und rât und maneges ougen wunne: Isôt diu liehte sunne und ouch ir muoter Isôt der frôliche morgenrôt, diu stolze Brángáne daz schone vólmáne.» hie mite genante er unde sprach kům' unde kůmeclîchen: «ach, wer sît ir unde wâ bin ich ?" «â ritter, mahtu sprechen? sprich! wir helfen dir ze dîner nôt!» 9445 9450 9455 9460 9465 (238) 9440 9440 driakel stm., Theriak. — 9441 listic adj., hier: kenntnissreich. 9442 der ist Genitiv pl. auf drîakel bezogen ; somit wurde der Theriak in einzelnen Dosen gereicht. — 9445 gerûmen swv., verst. rûmen, intrans., (räumen), den Raum verlassen, sich entfernen, schverwinden. 9455 unvergezzen eigentlich adj. part., aber hier participial = niht ver- gezzen, darum auch mîn. — 9456 besitzen stv., hier bildlich: belagern (vgl. zu 383), umgeben. — 9464 volmane stn., Vollmond; so nennt der Dichter im Gegensatze zu der lichten sunne, zur Isolt, Brangæne öfters z. B. 11086. 11513. Ein neuerer Dichter würde dieses Bild, weil es leicht eine komische Wirkung hervorbringen kann , vermeiden und Brangæne lieber mit einem Sterne vergleichen; der mâne wird als Bild ruhiger Klarheit in der älteren Poesie häufiger verwendet; in der neueren knüpft sich an den Mond leicht ein Zug der Sentimentalität. —
Strana 314
314 XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. (239) sprach aber diu sinnerîche Isôt. «jâ, süeziu frouwe, sælic wîp, und ich enweiz, wie mir der lip und al mîn kraft in kurzer frist geswachet unde geswichen ist.» diu junge Isôt diu sach in an: «diz ist Tantris der spileman» sprach sî, «ob ich in ie gesach.» der anderen ietwederiu sprach: «uns dunket ouch entriuwen sô.» diu wîse diu sprach aber dô: «bístu'z Tantris?" «frouwe, jâ.» « sage án», sprach aber diu wîse sâ «wâ bistu hér kómen od wie oder waz wirbéstu hie?" «sæeligest aller wîbe, i'ne hân ez an dem lîbe noch leider an der krefte niht, daz ich iu mîné geschiht bescheidenlîche müge gesagen. heizèt mich füeren oder tragen durch gotes willen eteswar, dâ mîn iemen neme war doch disen tag und dise naht. und kume ich wider ze mîner maht, sô íst reht, daz ich tuo und sage, swaz iu gelîche und iu behage.» 9475 9480 9485 9490 9470 9495 Sus nâmen si Tristanden si vieré ze handen ûf ein pfärit huoben s' in und under in fuorten si in hin und brâhten si'n sô heinlîch în wider durch ir hâltürlin, daz umbe ir reise und umbe ir vart nie niemen nihtes innen wart. dâ schuofen si’m helf' unde gemach. die zungen, alse ich ê dâ sprach, sîn îsen und sîn ander dinc 9500 9505 9474 geswichen part. von geswîchen stv., entweichen, entsprechend öfters unserm: sinken; vgl. 14321. — 9486 haben an dem lîbe, etwas vermögen [vgl. auf den Rippen haben].
314 XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. (239) sprach aber diu sinnerîche Isôt. «jâ, süeziu frouwe, sælic wîp, und ich enweiz, wie mir der lip und al mîn kraft in kurzer frist geswachet unde geswichen ist.» diu junge Isôt diu sach in an: «diz ist Tantris der spileman» sprach sî, «ob ich in ie gesach.» der anderen ietwederiu sprach: «uns dunket ouch entriuwen sô.» diu wîse diu sprach aber dô: «bístu'z Tantris?" «frouwe, jâ.» « sage án», sprach aber diu wîse sâ «wâ bistu hér kómen od wie oder waz wirbéstu hie?" «sæeligest aller wîbe, i'ne hân ez an dem lîbe noch leider an der krefte niht, daz ich iu mîné geschiht bescheidenlîche müge gesagen. heizèt mich füeren oder tragen durch gotes willen eteswar, dâ mîn iemen neme war doch disen tag und dise naht. und kume ich wider ze mîner maht, sô íst reht, daz ich tuo und sage, swaz iu gelîche und iu behage.» 9475 9480 9485 9490 9470 9495 Sus nâmen si Tristanden si vieré ze handen ûf ein pfärit huoben s' in und under in fuorten si in hin und brâhten si'n sô heinlîch în wider durch ir hâltürlin, daz umbe ir reise und umbe ir vart nie niemen nihtes innen wart. dâ schuofen si’m helf' unde gemach. die zungen, alse ich ê dâ sprach, sîn îsen und sîn ander dinc 9500 9505 9474 geswichen part. von geswîchen stv., entweichen, entsprechend öfters unserm: sinken; vgl. 14321. — 9486 haben an dem lîbe, etwas vermögen [vgl. auf den Rippen haben].
Strana 315
XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. 315 des enbléip dâ weder vadem noch rinc: si fuorten'z allez mit in dan beidiu harnasch unde man. 9510 (240) Nu daz der ander tac dô kam, diu wîse in aber ze handen nam: «nu Tantris», sprach si «sage mir bî den genâden, alse ich dir nu unde ê mâles hân getân, daz ich dich zwir erneret hân, und bin dir willic unde holt, und als du dînem wîbe solt, wenne kâéme dú in Irlánt?" wie slüege dû den sérpánt?» 9515 9520 « Frouwe, daz wil ich iu sagen: ich kom in disen kurzen tagen, ez sint drî tage von hiute, ich und ánder kouflíute mit einem kiele in dise habe; dô kom ein roupher hinnen abe, i'ne wéiz, durch wélhé geschiht, die wolten uns, hæt’ ich ez niht mit mînem guote underkomen, den lip zem guote hân genomen. nu ist ez uns alsô gewant, wir müezen dicke fremediu lant heinlichen unde bûwen und enwizzen wem getrüwen, wan man uns vil gewaltes tuot. sô weiz ich wol, mir wære guot, mit swelher slahte dingen ich ez dâ zuo möhte bringen, daz mich diu lant erkanden. künde in fremeden landen diu rîchét den kóufmán. seht, frouwe, dâ gedâhte ich an, wan mir ist umbe den serpant daz lántmaére lange erkant, 9525 9530 9535 9540 9529 underkomen stv. trans., dazwischentreten, hintertreiben, ver- hindern; vgl. zu 9281. — 9533 heinlîchen swv., heimlich, heimisch, zur Hei- mat machen; vgl. zu 15075. — bûwen swv., (bauen), bewohnen.
XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. 315 des enbléip dâ weder vadem noch rinc: si fuorten'z allez mit in dan beidiu harnasch unde man. 9510 (240) Nu daz der ander tac dô kam, diu wîse in aber ze handen nam: «nu Tantris», sprach si «sage mir bî den genâden, alse ich dir nu unde ê mâles hân getân, daz ich dich zwir erneret hân, und bin dir willic unde holt, und als du dînem wîbe solt, wenne kâéme dú in Irlánt?" wie slüege dû den sérpánt?» 9515 9520 « Frouwe, daz wil ich iu sagen: ich kom in disen kurzen tagen, ez sint drî tage von hiute, ich und ánder kouflíute mit einem kiele in dise habe; dô kom ein roupher hinnen abe, i'ne wéiz, durch wélhé geschiht, die wolten uns, hæt’ ich ez niht mit mînem guote underkomen, den lip zem guote hân genomen. nu ist ez uns alsô gewant, wir müezen dicke fremediu lant heinlichen unde bûwen und enwizzen wem getrüwen, wan man uns vil gewaltes tuot. sô weiz ich wol, mir wære guot, mit swelher slahte dingen ich ez dâ zuo möhte bringen, daz mich diu lant erkanden. künde in fremeden landen diu rîchét den kóufmán. seht, frouwe, dâ gedâhte ich an, wan mir ist umbe den serpant daz lántmaére lange erkant, 9525 9530 9535 9540 9529 underkomen stv. trans., dazwischentreten, hintertreiben, ver- hindern; vgl. zu 9281. — 9533 heinlîchen swv., heimlich, heimisch, zur Hei- mat machen; vgl. zu 15075. — bûwen swv., (bauen), bewohnen.
Strana 316
316 XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. und sluog in niuwan umbe daz : ich wæne, daz ich deste baz fride únde genâde vinde bî disem lantgesinde.» 9545 (241) «Fride únde genâde», sprach Isôt «die müezen dich an dînen tôt mit wernden êren bringen; du bist ze guoten dingen dir selben unde uns komen her. nu trahte, wes dîn herze ger, daz ist getân, daz schaffe ich dir von mînem hêrren und von mir.» «genâde, frouwe, sô ergib ich mînen kíel únde mich vil verre an iuwer triuwe. seht, daz mich iht geriuwe, daz ich iu guot unde leben an iuwer triuwe hân gegeben.» «nein zwâre, Tantris, ez entuot; umbè dîn leben und umbe dîn guot ensorge nû niht mêre. mine triuwe und mîn êre sê hie, die nim in dîne hant, daz dir niemer ze Irlant bî mînem lebene leit geschiht. entwer mich einer bete niht und biut mir eteslîchen rât umb' eine sache, an der nu stât mîn êre und al mîn sælekeit.» und seite im, alse ich hân geseit, wes sich der trúhsâze umbe dise tât vermæze: wie sêre und wie genôte er spræeche nâch Isôte; und wie er den valsch und die lüge ze offenlîchem kampfe züge: 9555 9560 9565 9570 9575 9550 9580 9563 das thut’s nicht, das wird nicht der Fall sein (daſs es dich ge- reut). — 9567 in die hant nemen, durch Handschlag empfangen. — 9570 ent- wern swv. mit acc. und gen., einem etwas nicht gewähren, versagen ; vgl. zu 12272. — 9579 valsch stm., Falschheit, Betrug. — 9580 ziehen ist hier Terminus aus der Rechtssprache: eine Sache vor die Entscheidung eines (höheren) Gerichtes, einer weiteren Instanz (hier der offenlîche kampf) bringen, appellieren.
316 XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. und sluog in niuwan umbe daz : ich wæne, daz ich deste baz fride únde genâde vinde bî disem lantgesinde.» 9545 (241) «Fride únde genâde», sprach Isôt «die müezen dich an dînen tôt mit wernden êren bringen; du bist ze guoten dingen dir selben unde uns komen her. nu trahte, wes dîn herze ger, daz ist getân, daz schaffe ich dir von mînem hêrren und von mir.» «genâde, frouwe, sô ergib ich mînen kíel únde mich vil verre an iuwer triuwe. seht, daz mich iht geriuwe, daz ich iu guot unde leben an iuwer triuwe hân gegeben.» «nein zwâre, Tantris, ez entuot; umbè dîn leben und umbe dîn guot ensorge nû niht mêre. mine triuwe und mîn êre sê hie, die nim in dîne hant, daz dir niemer ze Irlant bî mînem lebene leit geschiht. entwer mich einer bete niht und biut mir eteslîchen rât umb' eine sache, an der nu stât mîn êre und al mîn sælekeit.» und seite im, alse ich hân geseit, wes sich der trúhsâze umbe dise tât vermæze: wie sêre und wie genôte er spræeche nâch Isôte; und wie er den valsch und die lüge ze offenlîchem kampfe züge: 9555 9560 9565 9570 9575 9550 9580 9563 das thut’s nicht, das wird nicht der Fall sein (daſs es dich ge- reut). — 9567 in die hant nemen, durch Handschlag empfangen. — 9570 ent- wern swv. mit acc. und gen., einem etwas nicht gewähren, versagen ; vgl. zu 12272. — 9579 valsch stm., Falschheit, Betrug. — 9580 ziehen ist hier Terminus aus der Rechtssprache: eine Sache vor die Entscheidung eines (höheren) Gerichtes, einer weiteren Instanz (hier der offenlîche kampf) bringen, appellieren.
Strana 317
XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. 317 ob iemen über in kæme, der sich ez an genæme. (242) «Sæligiu frouwe», sprach Tristan «hie enhábet deheine sorge van: ir habet mir zwir lip unde leben mit gotes helfe wider gegeben, diu suln ouch iu ze rehte beidìu ze dirre vehte und z'allen notén bestân, die wîle ich sî gesunde hân.» «got lône dir, lieber Tántris: des bin ich gerne an dir gewis: und wil dir ouch des wol verjehen, ist, daz diz wunder sol geschehen, sô sîn wir beide ich unde Isôt iemèr mit lebendem libe tôt.» «nein, frouwe, tuot die rede hin : sît ich in iuwerm fride bin und mînen lib und swaz ich hân an iuwer êre hân verlân und dar an sicher wesen sol, trût frouwe, sô gehabet iuch wol. helfet mir ze libe wider, ich gelége ez allez eine nider. und saget mir, frouwe, ist iu bekant : diu zunge, die man bî mir vant, beleip diu oder war tete man die?" «entriuwen, nein ich hân si hie und allez, daz du haben solt: mîn schoniu tohter selbe, Isolt, und ich, wir brâhten'z allez dan.» «diz kumt uns rehte», sprach Tristan «nu sálígiu künigîn, lât aller slahte sorge sîn und râtet mir ze mîner kraft, sô ist ez allez endehaft.» 9590 9595 9600 9605 9610 9585 9615 9587 ze rehte, mit Recht, billig; vgl. 16978. — 9589 bestân mit dat. vielleicht: beistehen? (H gestân, M bî stân); eher die gewöhnliche Bedeu- tung: bleiben, verbleiben. — 9597 hin tuon, bei Seite thun, sein lassen. — 9598 fride stm., Schutz, Sicherheit. — 9604 nider gelegen, hier: beilegen. — 9612 rehte adv., gelegen, eben recht. — 9616 endehaft adj., was zu Ende gebracht wird, ausführbar; vgl. zu 16942.
XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. 317 ob iemen über in kæme, der sich ez an genæme. (242) «Sæligiu frouwe», sprach Tristan «hie enhábet deheine sorge van: ir habet mir zwir lip unde leben mit gotes helfe wider gegeben, diu suln ouch iu ze rehte beidìu ze dirre vehte und z'allen notén bestân, die wîle ich sî gesunde hân.» «got lône dir, lieber Tántris: des bin ich gerne an dir gewis: und wil dir ouch des wol verjehen, ist, daz diz wunder sol geschehen, sô sîn wir beide ich unde Isôt iemèr mit lebendem libe tôt.» «nein, frouwe, tuot die rede hin : sît ich in iuwerm fride bin und mînen lib und swaz ich hân an iuwer êre hân verlân und dar an sicher wesen sol, trût frouwe, sô gehabet iuch wol. helfet mir ze libe wider, ich gelége ez allez eine nider. und saget mir, frouwe, ist iu bekant : diu zunge, die man bî mir vant, beleip diu oder war tete man die?" «entriuwen, nein ich hân si hie und allez, daz du haben solt: mîn schoniu tohter selbe, Isolt, und ich, wir brâhten'z allez dan.» «diz kumt uns rehte», sprach Tristan «nu sálígiu künigîn, lât aller slahte sorge sîn und râtet mir ze mîner kraft, sô ist ez allez endehaft.» 9590 9595 9600 9605 9610 9585 9615 9587 ze rehte, mit Recht, billig; vgl. 16978. — 9589 bestân mit dat. vielleicht: beistehen? (H gestân, M bî stân); eher die gewöhnliche Bedeu- tung: bleiben, verbleiben. — 9597 hin tuon, bei Seite thun, sein lassen. — 9598 fride stm., Schutz, Sicherheit. — 9604 nider gelegen, hier: beilegen. — 9612 rehte adv., gelegen, eben recht. — 9616 endehaft adj., was zu Ende gebracht wird, ausführbar; vgl. zu 16942.
Strana 318
318 XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. Die küniginne beide beide ân' underscheide si nâmen in ze handen und swaz si beide erkanden, daz ime ze heile und ze fromen an sînem lîbe mohte komen, daz was ir meiste unmüezekeit. 9620 Hier under hæte michel leit sîn kiel und sîn geselleschaft, der was genuoc als angesthaft, daz si úngenesen wânden wesen: ir dehéiner trûwete genesen wan si innerhalp den zwéin tágen nie niht von ime gehôrten sagen. ouch hæten si den schal vernomen, der von dem trachen ûz was komen; und was des mares vil getriben, dâ wære ein ritter tôt beliben, daz ors daz lage halbez dâ. nu dâhten ouch die sîne sâ: "wer wære daz niwan Tristan? dane ist benamen kein zwîvel an, (243) hæet’ ez im der tôt niht benomen, er ware sît her wider komen." Hie mite gerieten s' under in und santen Kurvenâlen hin, daz er des orses næme war. daz tete er: Kurvenal reit dar, er vant daz ors, (und) erkande daz. nu reit er aber vürbáz: den trachen vant er ouch zehant, und alse er dô niht mêre vant von dehéinen sînen dingen 9630 9635 9640 9645 9625 9626 der geht nicht auf kiel, sondern ist gen. plur. nach dem Sinne: derer (aus dem Kiel und der Gesellschaft) war genug, derer waren viele. — angesthaft adj., sorgenvoll. — 9631 schal stm. (vgl. lantschal 9309), Ge- rücht; doch kann sich schal auch doppelsinnig beziehen auf mortschal in V. 9057. 9641 gerâten stv., hier: (zusammen berathen), berathschlagen. —
318 XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. Die küniginne beide beide ân' underscheide si nâmen in ze handen und swaz si beide erkanden, daz ime ze heile und ze fromen an sînem lîbe mohte komen, daz was ir meiste unmüezekeit. 9620 Hier under hæte michel leit sîn kiel und sîn geselleschaft, der was genuoc als angesthaft, daz si úngenesen wânden wesen: ir dehéiner trûwete genesen wan si innerhalp den zwéin tágen nie niht von ime gehôrten sagen. ouch hæten si den schal vernomen, der von dem trachen ûz was komen; und was des mares vil getriben, dâ wære ein ritter tôt beliben, daz ors daz lage halbez dâ. nu dâhten ouch die sîne sâ: "wer wære daz niwan Tristan? dane ist benamen kein zwîvel an, (243) hæet’ ez im der tôt niht benomen, er ware sît her wider komen." Hie mite gerieten s' under in und santen Kurvenâlen hin, daz er des orses næme war. daz tete er: Kurvenal reit dar, er vant daz ors, (und) erkande daz. nu reit er aber vürbáz: den trachen vant er ouch zehant, und alse er dô niht mêre vant von dehéinen sînen dingen 9630 9635 9640 9645 9625 9626 der geht nicht auf kiel, sondern ist gen. plur. nach dem Sinne: derer (aus dem Kiel und der Gesellschaft) war genug, derer waren viele. — angesthaft adj., sorgenvoll. — 9631 schal stm. (vgl. lantschal 9309), Ge- rücht; doch kann sich schal auch doppelsinnig beziehen auf mortschal in V. 9057. 9641 gerâten stv., hier: (zusammen berathen), berathschlagen. —
Strana 319
XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. 319 9650 an gewande noch an ringen, dô kom in michel zwîvel an: «â», dâhte er «hêrre Trístán, weder bistu lebende oder tôt? owê owî», sprach er «Isôt, owî, daz dîn lop und din nam ie hin ze Kurnewâle kam! daz din schoen’ und dîn edelkeit ze solhem schaden ist ûf geleit einèr der salegisten art, diu ie mit sper versigelt wart, der dû ze wol geviele!» 9655 9660 (244) Sus kêrte er wider zem kiele weinende unde klagende, diu maere wider sagende, als er si hæte erfunden. diu mâré begunden genuogen missevallen und iedoch niht in allen : daz selbe sware maere was niht ir aller sware ; genuoge ez wol vertruogen. ouch sach man an genuogen, daz ez in grôze riuwe bar, und was ouch der diu meiste schar. sus was ir wille unde ir muot undersniten übel und guot. mit disem wehsele geviel dér gezwéiéte kiel an sprâchen unde an rûnen. den zwéinzíc barůnen den was niht innecliche leit der zwîvel, der in was geseit: 9665 9670 9675 9680 9658 ûf legen hat hier die Bedeutung: bestimmen; entsprechend etwa unserm: gereichen. — 9659 art stf., hier ähnlich wie in V. 6723, Natur, Wesen abstract für: Mensch. — 9660 sper stn., Speer, concret für : Ritter- lichkeit. — versigeln swv., bekräftigen , beurkunden, bewähren. 9676 undersnîden stv., hier geradezu: untermischen; undersniten part. = verschieden; vgl. zu 942. — 9677 wehsel stm. = nhd. (vgl. 12049, daneben stn. in mitteld. Quellen), Wechsel, Verschiedenheit, Gegensatz. — gevallen stv., hier: verfallen; an = auf; gerathen. — 9678 gezweiet part., adj., ent- zweit, zwiespältig. — 9679 sprâchen swv. subst. inf., Besprechen, Berathung. — Hier liegt in rûnen swv. subst. inf. mehr als in V. 4049 der Begriff des Heimlichen wie im Nhd.: Raunen, Flüstern. — 9682 zwivel stm., Ungewiss- heit, Befürchtung (dafs Tristan todt sei).
XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. 319 9650 an gewande noch an ringen, dô kom in michel zwîvel an: «â», dâhte er «hêrre Trístán, weder bistu lebende oder tôt? owê owî», sprach er «Isôt, owî, daz dîn lop und din nam ie hin ze Kurnewâle kam! daz din schoen’ und dîn edelkeit ze solhem schaden ist ûf geleit einèr der salegisten art, diu ie mit sper versigelt wart, der dû ze wol geviele!» 9655 9660 (244) Sus kêrte er wider zem kiele weinende unde klagende, diu maere wider sagende, als er si hæte erfunden. diu mâré begunden genuogen missevallen und iedoch niht in allen : daz selbe sware maere was niht ir aller sware ; genuoge ez wol vertruogen. ouch sach man an genuogen, daz ez in grôze riuwe bar, und was ouch der diu meiste schar. sus was ir wille unde ir muot undersniten übel und guot. mit disem wehsele geviel dér gezwéiéte kiel an sprâchen unde an rûnen. den zwéinzíc barůnen den was niht innecliche leit der zwîvel, der in was geseit: 9665 9670 9675 9680 9658 ûf legen hat hier die Bedeutung: bestimmen; entsprechend etwa unserm: gereichen. — 9659 art stf., hier ähnlich wie in V. 6723, Natur, Wesen abstract für: Mensch. — 9660 sper stn., Speer, concret für : Ritter- lichkeit. — versigeln swv., bekräftigen , beurkunden, bewähren. 9676 undersnîden stv., hier geradezu: untermischen; undersniten part. = verschieden; vgl. zu 942. — 9677 wehsel stm. = nhd. (vgl. 12049, daneben stn. in mitteld. Quellen), Wechsel, Verschiedenheit, Gegensatz. — gevallen stv., hier: verfallen; an = auf; gerathen. — 9678 gezweiet part., adj., ent- zweit, zwiespältig. — 9679 sprâchen swv. subst. inf., Besprechen, Berathung. — Hier liegt in rûnen swv. subst. inf. mehr als in V. 4049 der Begriff des Heimlichen wie im Nhd.: Raunen, Flüstern. — 9682 zwivel stm., Ungewiss- heit, Befürchtung (dafs Tristan todt sei).
Strana 320
320 XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. si wânden dannen komen dermite; und daz man sîn niht langer bite, des bâten s' al gemeine, die zweinzic meine ich eine; si rieten allé dar an, daz man des nahtes füere dan. sô rieten aber ander daz, daz sî beliben unde baz erfüerén diu mære, wie’z ime ergángen ware. 9685 9690 Alsus zehullen s' under in: dise wolten gerne hin, jene wolten dâ bestân. sus wart ez dô dar an verlân, sît daz sîn tôt niht wære gewis noch offenbære, daz si dâ lángér beliben, ir vorsche unde ir frâge triben zem minnesten doch zwêne tage: daz was der barûne klage. 9695 9700 Hie mite sô was ouch dér tac komen, der ze Wéiseforte was genomen, dar Gurmûn hâté getaget umbe sîne tóhtér die maget und umbe den truhsæezen. Gurmûnes umbesæzen, sîne mán und sîne mâge, als er si durch râtfrâge ze sînem tage hæte besant, die wâren alle dâ zehant. die nam ouch er besunder und suochte rât hier under sô verre und alse sêre, 9705 9710 9715 — 9693 zehullen pl. præt. von zehellen, zerh. stv., nicht übereinstimmen. 9700 vorsche stf., Forschung, Erkundigung. 9703 fg. tac, Termin, hier verbunden mit nemen, festsetzen, anberau- men; vgl. zu 9262. — 9708 umbesarze swm., (Umsasse), Umwohner, Nach- bar; vgl. 13467. — 9710 râtfrage stf., Rathsverhandlung. —
320 XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. si wânden dannen komen dermite; und daz man sîn niht langer bite, des bâten s' al gemeine, die zweinzic meine ich eine; si rieten allé dar an, daz man des nahtes füere dan. sô rieten aber ander daz, daz sî beliben unde baz erfüerén diu mære, wie’z ime ergángen ware. 9685 9690 Alsus zehullen s' under in: dise wolten gerne hin, jene wolten dâ bestân. sus wart ez dô dar an verlân, sît daz sîn tôt niht wære gewis noch offenbære, daz si dâ lángér beliben, ir vorsche unde ir frâge triben zem minnesten doch zwêne tage: daz was der barûne klage. 9695 9700 Hie mite sô was ouch dér tac komen, der ze Wéiseforte was genomen, dar Gurmûn hâté getaget umbe sîne tóhtér die maget und umbe den truhsæezen. Gurmûnes umbesæzen, sîne mán und sîne mâge, als er si durch râtfrâge ze sînem tage hæte besant, die wâren alle dâ zehant. die nam ouch er besunder und suochte rât hier under sô verre und alse sêre, 9705 9710 9715 — 9693 zehullen pl. præt. von zehellen, zerh. stv., nicht übereinstimmen. 9700 vorsche stf., Forschung, Erkundigung. 9703 fg. tac, Termin, hier verbunden mit nemen, festsetzen, anberau- men; vgl. zu 9262. — 9708 umbesarze swm., (Umsasse), Umwohner, Nach- bar; vgl. 13467. — 9710 râtfrage stf., Rathsverhandlung. —
Strana 321
XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. 321 (245) als dem ez umbe sîn êre und ouch niht ándérs enstât. dar zuo besande er an den rât sîn liebez wîp, die künigîn. si mohte ime ouch wol liep sîn, wan er hæt’ an ir einer dô sunderlîcher salde zwô der allerbesten, die der man an liebem wibe vinden kan: schone unde wîshéit, der was der mâze an si geleit, daz si im wol liep mohte sîn. diu sâlíge künigîn, diu schoene wîse was ouch dâ. 9720 9725 Ir friunt der künic nam si sâ von dem râte dort hin dan: «wie râtest dû?» sprach er «sag an : mir ist disiu rede swaer’ alse der tôt.» «gehabet iuch wol", sprach aber Isôt "wir suln uns wol hier an bewarn: ich hân ez allez undervarn." «wie? herzefrouwe, sage ouch mir, sô fröuwe ich mich der rede mit dir.» «unser trúhsâze, als er dô giht, seht, der ensluoc des trachen niht, und der in sluoc, den weiz ich wol: daz bewære ich, swenne ich sol. al iuwer angest leget nider. gêt balde z'iuwerm râte wider: saget in allen unde jeht, als ir gehoeret unde geseht des trûhsâzen wârhéit, ir loset gerne iuwern eit, den ir dem lande habt getân. heizèt si alle mit iu gân und sitzet an’z gerihte: 9735 9740 9745 9730 9750 9716 fg. stan umbe elew., sich handeln um, auf dem Spiele stehen. — 9726 der mâze, hier: dermaſen, so viel. 9735 bewarn refl. hier an = sich in Bezug darauf bewahren, hüten.— 9746 als conj., hier: wenn, sobald. — 9747 wârheit stf., hier: (Wahrhaftig- keit), Erhärtung der Wahrheit, Beweis. — GOTTFRIED VON STRASSBURG. 1. 2. Aufl. 21
XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. 321 (245) als dem ez umbe sîn êre und ouch niht ándérs enstât. dar zuo besande er an den rât sîn liebez wîp, die künigîn. si mohte ime ouch wol liep sîn, wan er hæt’ an ir einer dô sunderlîcher salde zwô der allerbesten, die der man an liebem wibe vinden kan: schone unde wîshéit, der was der mâze an si geleit, daz si im wol liep mohte sîn. diu sâlíge künigîn, diu schoene wîse was ouch dâ. 9720 9725 Ir friunt der künic nam si sâ von dem râte dort hin dan: «wie râtest dû?» sprach er «sag an : mir ist disiu rede swaer’ alse der tôt.» «gehabet iuch wol", sprach aber Isôt "wir suln uns wol hier an bewarn: ich hân ez allez undervarn." «wie? herzefrouwe, sage ouch mir, sô fröuwe ich mich der rede mit dir.» «unser trúhsâze, als er dô giht, seht, der ensluoc des trachen niht, und der in sluoc, den weiz ich wol: daz bewære ich, swenne ich sol. al iuwer angest leget nider. gêt balde z'iuwerm râte wider: saget in allen unde jeht, als ir gehoeret unde geseht des trûhsâzen wârhéit, ir loset gerne iuwern eit, den ir dem lande habt getân. heizèt si alle mit iu gân und sitzet an’z gerihte: 9735 9740 9745 9730 9750 9716 fg. stan umbe elew., sich handeln um, auf dem Spiele stehen. — 9726 der mâze, hier: dermaſen, so viel. 9735 bewarn refl. hier an = sich in Bezug darauf bewahren, hüten.— 9746 als conj., hier: wenn, sobald. — 9747 wârheit stf., hier: (Wahrhaftig- keit), Erhärtung der Wahrheit, Beweis. — GOTTFRIED VON STRASSBURG. 1. 2. Aufl. 21
Strana 322
322 XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. (246) enfürhtet iu ze nihte, lât den truhsâzen klagen und sagen, swaz er welle sagen; und alse ez danne zît sî, sô bin ich unde Isôt dâ bî: so gebietet mir ez, sô sprich' ich vür iuch, vür Isôt’ und vür mich. hie mite lât die rede stân: ich wil nâch mîner tohter gân und komen ouch iesâ wider, wir zwô." 9755 9760 Nâch ir tohter gie si dô. der künec gienc in den palas wider: an daz gerihte saz er nider und mit im vil barûne, des landes cumpanjûne. dâ was schoeniu ritterschaft, von ritterschefte michel kraft, niht durch des küneges êre sô starke noch sô sêre, sô daz si gerne wolten sehen, wáz dâ sólté geschehen úz disem lántschálle: des wúndérte s' alle. 9765 9770 Die sælegen 1sôte zwô nu daz si mit ein ander dô zem palas în gegiengen, si gruozten unde enpfiengen die hêrren al besunder. hie mitten unde hier under wart vil gesprochen unde gedâht, rede únde gedanke vil vür brâht von ir beider sælekeit. und iedoch mêré geseit von des truhsaezen linge dan von der frouwen dinge. si sprâchen unde gedâhten dar: «nu kieset alle, nemet war, wirt disem unsæeligen man, dér nie séldé gewan, 9780 9785 9775 9790 9769 fg. niht sô— sô dac = nicht so — als dass.
322 XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. (246) enfürhtet iu ze nihte, lât den truhsâzen klagen und sagen, swaz er welle sagen; und alse ez danne zît sî, sô bin ich unde Isôt dâ bî: so gebietet mir ez, sô sprich' ich vür iuch, vür Isôt’ und vür mich. hie mite lât die rede stân: ich wil nâch mîner tohter gân und komen ouch iesâ wider, wir zwô." 9755 9760 Nâch ir tohter gie si dô. der künec gienc in den palas wider: an daz gerihte saz er nider und mit im vil barûne, des landes cumpanjûne. dâ was schoeniu ritterschaft, von ritterschefte michel kraft, niht durch des küneges êre sô starke noch sô sêre, sô daz si gerne wolten sehen, wáz dâ sólté geschehen úz disem lántschálle: des wúndérte s' alle. 9765 9770 Die sælegen 1sôte zwô nu daz si mit ein ander dô zem palas în gegiengen, si gruozten unde enpfiengen die hêrren al besunder. hie mitten unde hier under wart vil gesprochen unde gedâht, rede únde gedanke vil vür brâht von ir beider sælekeit. und iedoch mêré geseit von des truhsaezen linge dan von der frouwen dinge. si sprâchen unde gedâhten dar: «nu kieset alle, nemet war, wirt disem unsæeligen man, dér nie séldé gewan, 9780 9785 9775 9790 9769 fg. niht sô— sô dac = nicht so — als dass.
Strana 323
XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. 323 dísiu sâlige maget, sô ist im elliu sæelde ertaget, diu ime oder deheinem man an einer maget ertagen kan." (247) Sus kômen si zem künege hin. der küncc stuont ûf engegen in. lieplîche sazte er sî ze sich: «nù», sprách der künec «truhsaeze, sprich! waz ist dîn bete und dîn ger?" «vil gerne, hêrre künec»; sprach er «hêrre, ich ger unde bite, daz ir dem lande küneges site niemèr zebréchét an mir. welt ir es jehen, sô sprâchet ir und lobetet es ouch beide mit rede und mit dem eide, swelh ritter disen sérpant slüege mit siîn eines hant, ir gæbet ime ze solde iuwer tóhter Isólde. der eit verlôs vil manegen man; dâ sach ab ich vil lützel an, durch daz ich minnete daz wip unde wâgete den lîp dick' ängeslîcher danne ie man, biz mir ze júngést dar an alsô gelanc, daz ich in sluoc. ist éz dâ mite genuoc, hie lît daz houbet, seht ez an: daz selbe urkünde brâhte ich dan. nu loeset iuwer wârhéit: küneges wort und küneges eit die suln wâr unde bewæret sin.» «Truhsæze», sprach diu künigin «der alsô rîchlîchen solt, alsô mîn tohter ist, Isolt, ungedienet haben wil, 9800 9805 9810 9815 9820 9795 9825 9792 ertagen swv., (leuchtend wie der Tag) aufgehen, erscheinen, hier mit dat.; vgl. zu 8279. 9812 an sehen, berücksichtigen. 9820 urkünde stn., (Urkunde stf.), Zeugniss, Wahrzeichen. 9827 ungedienet adj. part., unverdient, ohne verdient zu haben. — 21*
XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. 323 dísiu sâlige maget, sô ist im elliu sæelde ertaget, diu ime oder deheinem man an einer maget ertagen kan." (247) Sus kômen si zem künege hin. der küncc stuont ûf engegen in. lieplîche sazte er sî ze sich: «nù», sprách der künec «truhsaeze, sprich! waz ist dîn bete und dîn ger?" «vil gerne, hêrre künec»; sprach er «hêrre, ich ger unde bite, daz ir dem lande küneges site niemèr zebréchét an mir. welt ir es jehen, sô sprâchet ir und lobetet es ouch beide mit rede und mit dem eide, swelh ritter disen sérpant slüege mit siîn eines hant, ir gæbet ime ze solde iuwer tóhter Isólde. der eit verlôs vil manegen man; dâ sach ab ich vil lützel an, durch daz ich minnete daz wip unde wâgete den lîp dick' ängeslîcher danne ie man, biz mir ze júngést dar an alsô gelanc, daz ich in sluoc. ist éz dâ mite genuoc, hie lît daz houbet, seht ez an: daz selbe urkünde brâhte ich dan. nu loeset iuwer wârhéit: küneges wort und küneges eit die suln wâr unde bewæret sin.» «Truhsæze», sprach diu künigin «der alsô rîchlîchen solt, alsô mîn tohter ist, Isolt, ungedienet haben wil, 9800 9805 9810 9815 9820 9795 9825 9792 ertagen swv., (leuchtend wie der Tag) aufgehen, erscheinen, hier mit dat.; vgl. zu 8279. 9812 an sehen, berücksichtigen. 9820 urkünde stn., (Urkunde stf.), Zeugniss, Wahrzeichen. 9827 ungedienet adj. part., unverdient, ohne verdient zu haben. — 21*
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324 XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. (248) entriuwen, des ist alze vil." « ei», sprach der truhsæze dô «frouw', ir tuot übel, wie redet ir sô? mîn hêrre, der ez enden sol, der kan doch selbe sprechen wol : der spreche unde antwürte mir.» der künec sprach: «frouwe, sprechet ir vür iuch, vür Isôt' und vür mich.» «genâde, hêrre, daz tuon ich.» aber sprách diu küniginne: «truhsæeze, dîne minne die sint lûter unde guot und hâst sô mänlîchen muot : du bist wol guotes wîbes wert. swer aber sô hôhes lônes gert, dâ er sîn niht verdienet hât, entriuwen, deist ein missetât. du hâst dir selben ûf geleit eine tât und eine mánhéit, der dû mitalle unschuldic bist, als ez mir zuo gerûnet ist.» «frouwe, ir redet, i'ne weiz wie : ich hân doch diz wortzeichen hie.» «sô hâst du brâht ein houbet dan: daz bræhte ouch lîhte ein ander man, ich meine, ob er Isolde dermite verdienen solde. síne wirt aber gewunnen niht mit alse kléinér geschiht.» «nein zwâre», sprach diu junge Isôt «durch alsô mâézlîche nôt enwil ich niemer veile sîn.» «ahî, frou junge künigîn", sprach aber der truhsæze dô «daz ir ze mînen dingen sô mit arge spréchénde sît der nôt, der ich ze maneger zît 9835 9840 9845 9850 9855 9860 9830 9848 zno růnen swv., s. zu 9679. — 9850 wortzeichen stn., eigentlich: ein Zeichen für das Wort; genügender äußerlicher Beweis = urkunde, ent- sprechend unserm : Wahrzeichen (über welches Wort noch Zweifel herrscht. ob = warzeichen oder = warseichen oder Entstellung aus wortzeichen, öster- reichisch wartzeichen; Gr. 2, 481). — 9858 mezlich adj., mäſsig, gering; vgl. 11605. — 9863 arc stm., (Argheit), Bosheit, übele Gesinnung; mit arye, feindselig. — sprechen mit dat. (der nôt), von einem oder von etwas sprechen, sich über etwas außsern. —
324 XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. (248) entriuwen, des ist alze vil." « ei», sprach der truhsæze dô «frouw', ir tuot übel, wie redet ir sô? mîn hêrre, der ez enden sol, der kan doch selbe sprechen wol : der spreche unde antwürte mir.» der künec sprach: «frouwe, sprechet ir vür iuch, vür Isôt' und vür mich.» «genâde, hêrre, daz tuon ich.» aber sprách diu küniginne: «truhsæeze, dîne minne die sint lûter unde guot und hâst sô mänlîchen muot : du bist wol guotes wîbes wert. swer aber sô hôhes lônes gert, dâ er sîn niht verdienet hât, entriuwen, deist ein missetât. du hâst dir selben ûf geleit eine tât und eine mánhéit, der dû mitalle unschuldic bist, als ez mir zuo gerûnet ist.» «frouwe, ir redet, i'ne weiz wie : ich hân doch diz wortzeichen hie.» «sô hâst du brâht ein houbet dan: daz bræhte ouch lîhte ein ander man, ich meine, ob er Isolde dermite verdienen solde. síne wirt aber gewunnen niht mit alse kléinér geschiht.» «nein zwâre», sprach diu junge Isôt «durch alsô mâézlîche nôt enwil ich niemer veile sîn.» «ahî, frou junge künigîn", sprach aber der truhsæze dô «daz ir ze mînen dingen sô mit arge spréchénde sît der nôt, der ich ze maneger zît 9835 9840 9845 9850 9855 9860 9830 9848 zno růnen swv., s. zu 9679. — 9850 wortzeichen stn., eigentlich: ein Zeichen für das Wort; genügender äußerlicher Beweis = urkunde, ent- sprechend unserm : Wahrzeichen (über welches Wort noch Zweifel herrscht. ob = warzeichen oder = warseichen oder Entstellung aus wortzeichen, öster- reichisch wartzeichen; Gr. 2, 481). — 9858 mezlich adj., mäſsig, gering; vgl. 11605. — 9863 arc stm., (Argheit), Bosheit, übele Gesinnung; mit arye, feindselig. — sprechen mit dat. (der nôt), von einem oder von etwas sprechen, sich über etwas außsern. —
Strana 325
XIII. DER KAMPE MIT DEM DRACHEN. 325 9865 (249) durch iuwer minne erliten hân, daz sol ze guoten staten gestân.» «daz ir mich minnet», sprach Isolt «i'ne wárt iu nie getriu noch holt noch zwâre iemer werden sol.» «jâ», sprach der ander «ich weiz wol, ir tuot vil rehte als elliu wîp ; ir sît alle alsô gelîp, alsô geartet unde gemuot, iuch dunket ie daz arge guot, daz guote dunket iuch ie arc: diu art ist an iu allen starc; ir sît verkêret alle wîs, iu sind die tumben alle wîs, iu sint die wîsen alle tump; ir machet úz dem slehten krump und ûz dem krumben wider sleht; ir habet allen ungereht an iuwer seil gevazzet: ir minnet, daz iuch hazzet; ir hazzet, daz iuch minnet. wie sît ir sus gesinnet, wie minnet ir sô harte der dinge widerwarte, daz man der sô vil an iu siht! der iuch dâ wil, desn welt ir niht, und welt den, der iuch niht enwil. ir sît daz irresameste spil, daz iemen uf dem brete kan. er ist ein sinnelôser man, der âne bürgen durch daz wîp iemèr gevéilét den lîp. und zwâre iedoch dar umbe niht, swaz ir jeht oder mîn frouwe giht, ez wirt al anders ûf geleit, oder man brichet mir den eit.» 9870 9875 9880 9885 9890 9895 9900 9872 gelîp adj., (mit lip, mit einem Leibe, Wesen versehen), beschaffen. — 9873 gemuot adj. = gesinnt. — 9882 ungereht stm., das Unrechte, Verkehrte, das Gegentheil. — 9883 die Wendung an das (ein, mîn) seil als Bild ist wohl aus dem Jägerleben genommen: wie der Jäger seinen Hund; es heifst also : an sich fesseln, sich zu eigen machen, annehmen. — 9888 wider- warte stf. (10262), zunächst: die Gegnerin, dann auch von Sachen: das Gegentheil. — 9892 irresam adj., unsicher, schwankend; vgl. 11830. — 9896 geveilen swv., verst. veilen (9965), feil machen, preisgeben, wagen.
XIII. DER KAMPE MIT DEM DRACHEN. 325 9865 (249) durch iuwer minne erliten hân, daz sol ze guoten staten gestân.» «daz ir mich minnet», sprach Isolt «i'ne wárt iu nie getriu noch holt noch zwâre iemer werden sol.» «jâ», sprach der ander «ich weiz wol, ir tuot vil rehte als elliu wîp ; ir sît alle alsô gelîp, alsô geartet unde gemuot, iuch dunket ie daz arge guot, daz guote dunket iuch ie arc: diu art ist an iu allen starc; ir sît verkêret alle wîs, iu sind die tumben alle wîs, iu sint die wîsen alle tump; ir machet úz dem slehten krump und ûz dem krumben wider sleht; ir habet allen ungereht an iuwer seil gevazzet: ir minnet, daz iuch hazzet; ir hazzet, daz iuch minnet. wie sît ir sus gesinnet, wie minnet ir sô harte der dinge widerwarte, daz man der sô vil an iu siht! der iuch dâ wil, desn welt ir niht, und welt den, der iuch niht enwil. ir sît daz irresameste spil, daz iemen uf dem brete kan. er ist ein sinnelôser man, der âne bürgen durch daz wîp iemèr gevéilét den lîp. und zwâre iedoch dar umbe niht, swaz ir jeht oder mîn frouwe giht, ez wirt al anders ûf geleit, oder man brichet mir den eit.» 9870 9875 9880 9885 9890 9895 9900 9872 gelîp adj., (mit lip, mit einem Leibe, Wesen versehen), beschaffen. — 9873 gemuot adj. = gesinnt. — 9882 ungereht stm., das Unrechte, Verkehrte, das Gegentheil. — 9883 die Wendung an das (ein, mîn) seil als Bild ist wohl aus dem Jägerleben genommen: wie der Jäger seinen Hund; es heifst also : an sich fesseln, sich zu eigen machen, annehmen. — 9888 wider- warte stf. (10262), zunächst: die Gegnerin, dann auch von Sachen: das Gegentheil. — 9892 irresam adj., unsicher, schwankend; vgl. 11830. — 9896 geveilen swv., verst. veilen (9965), feil machen, preisgeben, wagen.
Strana 326
326 XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. (250) Aber sprách diu küniginne: «truhsæze, dine sinne die sint starc unde spæhe : der spæhe an sinnen sæhe, si habent dem gelîchen schîn, als sî ze kemenâten sin in der frouwen tougenheit bedâht. dâ zuo hâst du si vür brâht reht’ alse ein frouwen ritter sol. du weist der frouwen art ze wol: du bist dar în ze verre komen, ez hât dir der manne art benomen. du minnest ouch ze harte der dinge widerwarte. mich dunket, dir sî ouch wol dermite: du hâst den selben frouwen site sêr' an dîn seil gevazzet: du minnest, daz dich hazzet; du wilt, daz dîn níht enwil: diz ist doch unser frouwen spil; wes nimestu dich hie mite an ? sô dir got, du bist ein man, lâz uns unser frouwen art. dune bist niht wol dermite bewart. habe dînes mannes sinne und minne, daz dich minne; welle, daz dich welle: daz spil hât guot gevelle. du sagest uns ie genôte, du wellest Isôte, und si enwelle dîn niht. daz ist ir art : wer mac des iht ? 9905 9910 9915 9920 9925 91150 9904 der ist nicht Artikel (gen. oder dat.) zu spahe (3034), sondern Relativ = swer, wenn einer. — spœhe (im Wortspiel mit spuhe adj. pl., tein, scharfsinnig in 9903) ist hier Singular des Adj. in der Bedentung: ver- ständig, synonym mit nis. spahe an sinnen ist nur Verstärkung des ein- fachen Wortes. Wenn einer sich darauf verstehend zusehen würde (so würde er finden). — 9907 tongenheit stf.. Heimlichkeit. — 9908 «Frauen- ritter" würde auch im modernen Gedichte halbwegs verstanden werden; speciell verstand aber die alte Zeit unter froumen ritter denjenigen, der von einer Frau irgend ein Kleidungsstück, ein Haarband, emen Armel, Gürtel oder Ring u. s. w. zum Geschenk erhält, welches ihn während des Kampfes an die Geliebte erinnern und ihm zum Siege verhelfen soll vgl. Frommann zu Herbort 9516. — 9927 welle imper. in Wortspiel mit. dem folgenden welle conj. præes. — 9928 gevelle stn., (Gefälle), hier: Fall der Würtel, überhaupt des Spiels, Chance; vgl. spilgevelle in V. 16442. —
326 XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. (250) Aber sprách diu küniginne: «truhsæze, dine sinne die sint starc unde spæhe : der spæhe an sinnen sæhe, si habent dem gelîchen schîn, als sî ze kemenâten sin in der frouwen tougenheit bedâht. dâ zuo hâst du si vür brâht reht’ alse ein frouwen ritter sol. du weist der frouwen art ze wol: du bist dar în ze verre komen, ez hât dir der manne art benomen. du minnest ouch ze harte der dinge widerwarte. mich dunket, dir sî ouch wol dermite: du hâst den selben frouwen site sêr' an dîn seil gevazzet: du minnest, daz dich hazzet; du wilt, daz dîn níht enwil: diz ist doch unser frouwen spil; wes nimestu dich hie mite an ? sô dir got, du bist ein man, lâz uns unser frouwen art. dune bist niht wol dermite bewart. habe dînes mannes sinne und minne, daz dich minne; welle, daz dich welle: daz spil hât guot gevelle. du sagest uns ie genôte, du wellest Isôte, und si enwelle dîn niht. daz ist ir art : wer mac des iht ? 9905 9910 9915 9920 9925 91150 9904 der ist nicht Artikel (gen. oder dat.) zu spahe (3034), sondern Relativ = swer, wenn einer. — spœhe (im Wortspiel mit spuhe adj. pl., tein, scharfsinnig in 9903) ist hier Singular des Adj. in der Bedentung: ver- ständig, synonym mit nis. spahe an sinnen ist nur Verstärkung des ein- fachen Wortes. Wenn einer sich darauf verstehend zusehen würde (so würde er finden). — 9907 tongenheit stf.. Heimlichkeit. — 9908 «Frauen- ritter" würde auch im modernen Gedichte halbwegs verstanden werden; speciell verstand aber die alte Zeit unter froumen ritter denjenigen, der von einer Frau irgend ein Kleidungsstück, ein Haarband, emen Armel, Gürtel oder Ring u. s. w. zum Geschenk erhält, welches ihn während des Kampfes an die Geliebte erinnern und ihm zum Siege verhelfen soll vgl. Frommann zu Herbort 9516. — 9927 welle imper. in Wortspiel mit. dem folgenden welle conj. præes. — 9928 gevelle stn., (Gefälle), hier: Fall der Würtel, überhaupt des Spiels, Chance; vgl. spilgevelle in V. 16442. —
Strana 327
XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. 327 (251) si lât der dinge vil hin gân, der sî doch vil wol möhte hân. ir ist der vil unmære, dem si doch vil liep wære, der dû ze hant der êrste bist. daz selbe ir von mir gartet ist: ich selbe enwart dir ouch nie holt. ich weiz wol, alsam tuot Isolt : ez ist ir gártét von mir. du verlíusest michel minne an ir. diu schéné, diu reine, si wære ze gemeine, ob si iegelichen solte wellen, der si wolte. truhsæeze, als du hâst geseit, mîn hêrre der sol sînen eit vil gerne an dir bewæren. sich, daz du dînen maeren und diner rede sô mite gâst, daz dû s' iht under wegen lâst: volge dînen sachen. ich hoere sagen, den trachen den habe ein ander man erslagen: sich, waz du dâ zuo wellest sagen." "wer ware der ?» «ich weiz in wol und wil in bringen, swenne ich sol.» «Frouwe, ez enist kein man, der sich hier umbe iht nimet an und mich von mînen êren mit valsche waenet kêren; der mir state und reht wil geben, dane sî mîn lîp umb' und mîn leben gewâget unde geveilet, swie mir der hof erteilet, hant wider hende, ê ich den fuoz gewende!» 9940 9945 9950 9955 9960 9965 9935 9937 2e hant wesen, bei der Hand, zur Stelle, da sein. — 9938 arten swv., [vgl. nhd. ausarten, erhalten geartel] entspricht hier ziemlich unserm: an-, auferben (eine Naturanlage); Kurtz: angeartet, V. 9941 angeerbt; Simrock desgleichen. — 9965 veilen swv., preisgeben; vgl. 9896. — 9966 er- teilen swv., urtheilen, Entscheidung geben. — 9967 hant wider hende, ent- sprechend unserm: Mann gegen Mann. —
XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. 327 (251) si lât der dinge vil hin gân, der sî doch vil wol möhte hân. ir ist der vil unmære, dem si doch vil liep wære, der dû ze hant der êrste bist. daz selbe ir von mir gartet ist: ich selbe enwart dir ouch nie holt. ich weiz wol, alsam tuot Isolt : ez ist ir gártét von mir. du verlíusest michel minne an ir. diu schéné, diu reine, si wære ze gemeine, ob si iegelichen solte wellen, der si wolte. truhsæeze, als du hâst geseit, mîn hêrre der sol sînen eit vil gerne an dir bewæren. sich, daz du dînen maeren und diner rede sô mite gâst, daz dû s' iht under wegen lâst: volge dînen sachen. ich hoere sagen, den trachen den habe ein ander man erslagen: sich, waz du dâ zuo wellest sagen." "wer ware der ?» «ich weiz in wol und wil in bringen, swenne ich sol.» «Frouwe, ez enist kein man, der sich hier umbe iht nimet an und mich von mînen êren mit valsche waenet kêren; der mir state und reht wil geben, dane sî mîn lîp umb' und mîn leben gewâget unde geveilet, swie mir der hof erteilet, hant wider hende, ê ich den fuoz gewende!» 9940 9945 9950 9955 9960 9965 9935 9937 2e hant wesen, bei der Hand, zur Stelle, da sein. — 9938 arten swv., [vgl. nhd. ausarten, erhalten geartel] entspricht hier ziemlich unserm: an-, auferben (eine Naturanlage); Kurtz: angeartet, V. 9941 angeerbt; Simrock desgleichen. — 9965 veilen swv., preisgeben; vgl. 9896. — 9966 er- teilen swv., urtheilen, Entscheidung geben. — 9967 hant wider hende, ent- sprechend unserm: Mann gegen Mann. —
Strana 328
328 XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. «diz lobe ich», sprach diu künigîn «und wil des selbe bürge sîn, daz ich dich dîner rede gewer und dir’n ze kampfe bringe her von hiute unz an den dritten tac, wande ich iezuo enmac, den selben der den trachen sluoc.» der künic sprach: «des ist genuoc.» ouch sprâchen al die hêrren dô: «truhsaeze, es ist genuoc alsô; diz ist ein kúrzlîchiu bite: gâ dar, bestæte den kampf hie mite, und tuo mîn frouwe selbe alsam.» der künec dô von in beiden nam triuw’ unde gewisse gîselschaft, daz dirre kámpf éndehaft des dritten tages ware. hie mite zergie diz mare. 9970 9975 9980 9985 9979 bile stf., hier: Verzug, Aufschub; vgl. zu 8860. — 9980 bestaten swv., bestätigen , festsetzen. — 9983 gîselschaft stf., Bürgschaft, Versprechen. Druck von F. A. Brockhaus in Leipzig.
328 XIII. DER KAMPF MIT DEM DRACHEN. «diz lobe ich», sprach diu künigîn «und wil des selbe bürge sîn, daz ich dich dîner rede gewer und dir’n ze kampfe bringe her von hiute unz an den dritten tac, wande ich iezuo enmac, den selben der den trachen sluoc.» der künic sprach: «des ist genuoc.» ouch sprâchen al die hêrren dô: «truhsaeze, es ist genuoc alsô; diz ist ein kúrzlîchiu bite: gâ dar, bestæte den kampf hie mite, und tuo mîn frouwe selbe alsam.» der künec dô von in beiden nam triuw’ unde gewisse gîselschaft, daz dirre kámpf éndehaft des dritten tages ware. hie mite zergie diz mare. 9970 9975 9980 9985 9979 bile stf., hier: Verzug, Aufschub; vgl. zu 8860. — 9980 bestaten swv., bestätigen , festsetzen. — 9983 gîselschaft stf., Bürgschaft, Versprechen. Druck von F. A. Brockhaus in Leipzig.
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